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Problemstellung
Seit 2002 nimmt die Zahl der Menschen die im VZR mit 1 oder mehr Punkten verzeichnet
sind kontinuierlich zu.
Bei einer grundsätzlichen Abnahme der Gesamtbevölkerung in Deutschland spricht das
dafür, dass immer mehr Verkehrsteilnehmer gegen Regeln im Straßenverkehr verstoßen.
Die Anzahl der Verkehrsverstöße liegt seit 2005 auf annähernd gleichbleibend hohem
Niveau.
Im Jahr 2011 wurden insgesamt etwa 10.000 Personen die Fahrerlaubnis entzogen, weil
18 Punkte im VZR erreicht bzw. überschritten wurden. Dabei handelt es sich um ca. 1.000
Frauen und ca. 9.000 Männer.
Quelle: www.kba.de
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Sag mir welches Auto Du fährst …
Jeder Mensch möchte das Bild, das er von sich selber hat, gerne aufrecht erhalten. Daher
versucht man, Informationen zu sammeln, die das eigene Selbstkonzept bestätigen. Die
Wahl einer bestimmten Automarke fällt auch darunter.
Die Studie:
Es wurden zwei Markengruppen gebildet: 1 – VW, Opel, Renault und Fiat, 2 – Audi, BMW, Mercedes
Mittels eines Fragebogens wurden dann verschiedene Persönlichkeitsmerkmale erfasst.
Quelle: Forschungsbericht von Hossiep und Sommer, Ruhr-Universität Bochum, 14.06.2013;
www.testentsicklung.de/veroeffentlichungen/forschungsberichte/
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Sag mir welches Auto Du fährst …
Ergebnisse:
Die Fahrer der 2. Gruppe zeigten sich leistungs- und führungsmotivierter, flexibler, durchsetzungsstärker
selbstbewusster und belastbarer als die Fahrer der Gruppe 1. Dagegen waren sie jedoch vergleichsweise
weniger harmoniebedürftig und weniger analyseorientiert.
Berücksichtigt man des Weiteren eine Studie des ADAC, nach der die Fahrer der Marken BMW und Mercedes die
Spitzenreiter im Drängeln sind, könnte man schließen, dass Personen, die Einfluss auf andere ausüben, dies auch im
Straßenverkehr tun.
Es kommt zu folgendem Prozess:
Jemand der sich gerne durchsetzt, wählt ein Auto, das dies auch symbolisiert. Auf der Straße wird der Fahrer durch sein
Auto als jemand identifiziert, der durchsetzungsstark ist. Also macht man ihm auf der Autobahn Platz. Dies wiederum
bestätigt den Fahrer in seinem Selbstkonzept – „Ich kann mich halt gut durchsetzen.“. Die anderen Verkehrsteilnehmer
werden in ihrem Selbstkonzept gestützt – „Lieber weiche ich aus, als einen Konflikt zu provozieren. Das ist nur gefährlich
und das will ich nicht riskieren.“
Quelle: Forschungsbericht von Hossiep und Sommer, Ruhr-Universität Bochum, 14.06.2013;
www.testentsicklung.de/veroeffentlichungen/forschungsberichte/; Motorwelt, 2000, 7, 32-34
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Formen aggressiven Verhaltens im Straßenverkehr
Rücksichtslosigkeit auf Autobahnen
• dichtes Auffahren
• Blockierung der linken Spur
• rechtes Überholen
• Lückenspringen
• mangelnde Bereitschaft, das
Reißverschlussprinzip zu
praktizieren
• unangemessene Geschwindigkeit
• Ausscheren nach links
• knappes Einscheren
• Überholen kurz vor der Ausfahrt
Rücksichtslosigkeit
auf Landstraßen
• riskantes Überholen
• zu schnelles Fahren
Rücksichtslosigkeit in der Stadt
• Rücksichtslosigkeit gegenüber
Schwächeren
• zu schnelles Fahren
• Parkplatzkonflikte (2. Reihe,
Gehweg, Radwege)
• an Ampeln hupen
• mangelnde Bereitschaft,
andere in den fließenden
Verkehr einfädeln zu lassen
• Spurwechsel / Lückenspringen
Quelle: Ellinghaus, 1986
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Was heißt das, Aggressivität?
Aggression: Bewusstes Schädigen einer anderen Person (ohne deren Zustimmung)
Aggressivität: Persönlichkeitsdisposition/ Neigung zu aggressivem Verhalten
Unterscheidung in:
Instrumentelle Aggressivität:
Bewusstes Schädigen einer Person zur Erreichung anderer Ziele. Geht einher mit ständiger Verletzung
impliziter oder expliziter sozialer oder gesetzlicher Regeln => DISSOZIALES VERHALTEN aufgrund von
mangelndem Respekt vor Regeln, mangelnder Einsicht oder mangelnder Empathie
Emotionale oder impulsive Aggressivität:
Schädigendes Verhalten wird durch Ärger verursacht. Das unmittelbare Schädigungsziel steht im Vordergrund.
Starke Emotionalität und Impulsivität. Mangelnde Impulskontrolle.
Quelle: Banse, R. (2011) Psychologische Ursachen für ein erhöhtes Aggressionspotenzial bei Kraftfahrern, Vortrag auf dem
7. Gemeinsamen Symposium der DGVP und DGVM am 08.-09.09.2011 in Potsdam
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Wodurch wird aggressives Verhalten begünstigt?
Quelle: Raithel, J., Widmer, A. Deviantes Verkehrsverhalten, Hogrefe 2012
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Verkehrsauffälligkeiten als Resultat
dauernder sozialer Belastungen
Elternhaus
• unharmonische
Familienstruktur
• unharmonisches
Familienleben
eigene Familie
• Partnerschafts-
probleme
• familiäre Konflikte
• Scheidung
ökonomische
Situation
• Arbeitslosigkeit
• finanzielle Probleme
Schulzeit
• kein Schulabschluss
• Leistungsschwächen
• gestörtes Verhältnis zu
Lehrern u. Mitschülern
beruflicher Werdegang
• Diskontinuität
• häufiger Arbeitsplatzwechsel
• Probleme mit Vorgesetzten
und Kollegen
• Arbeitsbelastung und
beruflicher Erfolg
Einflüsse auf das Verhalten
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Wodurch wird aggressives Verhalten begünstigt?
Quelle: Raithel, J., Widmer, A. Deviantes Verkehrsverhalten, Hogrefe 2012
- Aggressivität
- Langsamer Fahrer auf der linken Spur beim
Überholvorgang
„Ich muss pünktlich sein.“
„Wer nicht mindestens 140 km/h fährt, sollte
lieber rechts fahren.“
„Der hat gemerkt, dass ich es eilig habe und
fährt absichtlich langsam.“
„Der hat es doch verdient, dass ich jetzt mal
etwas Druck mache. Der hätte doch eben rechts
rüber fahren können.“
„Regeln sind doch nur für die da, die nicht so
gute Fahrer sind.“
- Dichtes Auffahren, Lichthupe
„Jetzt habe ich es dem aber gezeigt, wurde ja
auch Zeit, dass der rüber fährt.“
„Endlich geht es wieder voran.“
„Ich hatte die Situation zu jedem Zeitpunkt unter
Kontrolle.
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Ablauf einer aggressiven Handlung
1. Wahrnehmung erfolgt bereits selektiv
bei höherer Aggressivität größere Wahrscheinlichkeit für dementsprechende Wahrnehmung
2. Gelernte Verhaltensmuster werden aktiviert
Je eingeschliffener, vertrauter und erfolgreicher aggressive Verhaltensweisen sind, desto
wahrscheinlicher wird auf sie zurückgegriffen.
3. Vor Überspringen der Hemmschwelle findet eine Bewertung statt
Unter Berücksichtigung von Erfahrungen aus der Vergangenheit wird der mögliche Nutzen /
Schaden kalkuliert ja/nein
Dies ist ein unbewusster Prozess!
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Kriminalität und Verhalten im Verkehr
Quelle: Banse, R. (2011) Psychologische Ursachen für ein erhöhtes Aggressionspotenzial bei Kraftfahrern, Vortrag auf dem
7. Gemeinsamen Symposium der DGVP und DGVM am 08.-09.09.2011 in Potsdam
Kriminalität
Verhaltensdispositionen
- Aggressivität - Impulsivität/Selbstkontrolle
- Risikoneigung/Sensation Seeking
- Dissoziale Persönlichkeitsstörung
- Andere Störungen (Psychose)
Verhalten im Verkehr
Vorhersage möglich ?
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Sagen Verkehrverstöße kriminelles Verhalten vorher?
Quelle: Banse, R. (2011) Psychologische Ursachen für ein erhöhtes Aggressionspotenzial bei Kraftfahrern, Vortrag auf dem
7. Gemeinsamen Symposium der DGVP und DGVM am 08.-09.09.2011 in Potsdam
0,0 2,0 4,0 6,0 8,0 10,0
Strafbares Verkehrsdelikt
andere Straftaten
Gewaltdelikte
Vandalismus
Eigentumsdelikte
Kri
min
ell
e D
eli
kte
Odd's Ratio
Risikoverhalten
ohne
Alkoholeinflussalle Fälle mit
Risikoverhalten
Wer durch riskantes Verhalten im
Straßenverkehr aufgefallen ist, hat
eine ca. 2-fach erhöhte Wahrscheinlich-
keit auch durch ein allgemeinrecht-
liches Delikt aufzufallen.
Stand das Risikoverhalten im Verkehr
im Zusammenhang mit Alkohol, ist die
Wahrscheinlichkeit mit einem strafbarem
Verkehrsdelikt aufzufallen sogar
8-fach erhöht!
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Sagt kriminelles Verhalten Verkehrsverstöße vorher?
Quelle: Banse, R. (2011) Psychologische Ursachen für ein erhöhtes Aggressionspotenzial bei Kraftfahrern, Vortrag auf dem
7. Gemeinsamen Symposium der DGVP und DGVM am 08.-09.09.2011 in Potsdam
Wer durch ein Gewaltdelikt aufgefallen
ist, hat eine doppelte Wahrscheinlich-
keit auch durch einen Verkehrsunfall auf-
zufallen.
Wurden zwei oder mehr Eigentumsdelikte
begangen, ist die Wahrscheinlichkeit für
ein Auffallen durch einen Verkehrsunfall
4-fach erhöht!0,0 1,0 2,0 3,0 4,0 5,0
Ein Eigentumsdelikt
Zw ei oder mehr Eigentumsdelikte
Gew altdelikt im letzten Jahr
Jemals ein Gew altdelikt begangen
Kri
min
elle D
elikte
Odd's Ratio
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Aggressivität und Fahreignung
(3) Die Beibringung eines Gutachtens einer a. a. BfF (medizinisch-psychologisches Gutachten) kann zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach Absatz 1 und 2 angeordnet werden
…
• bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen oder die erhebliche Straftat unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde,
• bei Straftaten, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen,
…
Unberührt bleiben medizinisch-psychologische Begutachtungen nach § 2a Abs. 4 und 5 und § 4 Absatz 10 Satz 3 des StVG sowie § 10 Absatz 2 und den §§ 13 und 14 in Verbindung mit den Anlagen 4 und 5 dieser Verordnung.
§ 11 Eignung FeV (Fahrerlaubnis-Verordnung)
Quellen: Fahrerlaubnis-Verordnung, zuletzt geändert am 17.12.2010, verkündet im Bundesgesetzblatt 2010 Teil I Nr. 67
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Begutachtungs-Leitlinien der Kraftfahreignung (Straftaten)
Leitsätze
„Wer Straftaten begangen hat, ist nach § 2 Abs. 4 StVG ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen:
wenn sie im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen oder
wenn sie auf ein hohes Aggressionspotenzial schließen lassen, sei es auf einer Neigung zu planvoller, bedenkenloser Durchsetzung eigener Anliegen ohne Rücksicht auf berechtigte Interessen anderer oder einer Bereitschaft zu ausgeprägt impulsivem Verhalten (z. B. bei Raub, schwerer oder gefährlicher Körperverletzung, Vergewaltigung) und dabei Verhaltensmuster deutlich werden, die sich so negativ auf das Führen von Kraftfahrzeugen auswirken können, dass die Verkehrssicherheit gefährdet wird.“
… Ursachen für Straftaten können auch Krankheiten sein.
Begründung
„Der Straßenverkehr ist ein soziales Handlungsfeld, welches von den Beteiligten “ständige Vorsicht und gegenseitige
Rücksicht” (§ 1 StVO) erfordert.
Wer auf Grund des rücksichtslosen Durchsetzens eigener Interessen, auf Grund seines großen Aggressionspotenzials
oder seiner nicht beherrschten Affekte und unkontrollierten Impulse in schwerwiegender Weise die Rechte anderer
verletzt, lässt nicht erwarten, dass er im motorisierten Straßenverkehr die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer -
zumindest in den sehr häufig auftretenden Konfliktsituationen - respektieren wird.“
Quelle: Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Berichte der BASt, Heft 115
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Einordnung nach den Beurteilungskriterien V1 bis V3
V1 Generalisierte Störung der Persönlichkeit oder der Entwicklung
Anpassungsstörung
Es wird bewusst und absichtlich in verschiedenen Lebensbereichen gegen Regeln verstoßen (Heterogene
Deliktstruktur, Aggressiviät)
Quelle: Beurteilungskriterien 3. Auflage, Kirschbaum 2013
V2 Emotionale Regulation durch Fehlverhalten
Verminderte Anpassungsfähigkeit
Es wird gegen Regeln verstoßen, weil sich das gut anfühlt (Spanungsabbau, Drängler, „Erzieher“)
V3 Fehleinstellungen zur Regelbeachtung
Verminderte Anpassungsbereitschaft
Es wird gegen Regeln verstoßen, die man nicht sinnvoll findet (Vielfahrer, stehen über den Regeln,
Sorglosigkeit, Nachlässigkeit)
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Ausblick - Zusammenfassung
Aggressivität ist eine Persönlichkeitseigenschaft, die sich durch aggressives Verhalten in verschiedenen
Verhaltensbereichen äußert – sowohl im Straßenverkehr, als auch außerhalb.
Es besteht ein Zusammenhang zwischen kriminellem Verhalten im allgemeinen und dem Verhalten im
Straßenverkehr im Besonderen.
Aufgrund von Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr kann die Fahrerlaubnisbehörde eine
Überprüfung der Kraftfahreignung anordnen, sofern diese im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr
stattfanden.
Die bisherigen Erkenntnisse dagegen weisen darauf hin, dass auch durch Straftaten mit
Aggressionspotenzial außerhalb des Straßenverkehr die Kraftfahreignung eingeschränkt sein kann, da
sie eine Vorhersage über das Verkehrsverhalten zulassen.
Vor diesem Hintergrund strebt die DGVP / DGVM an, eine Änderung der Fahrerlaubnisverordnung zu
bewirken, mit der der Zusatz „… im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung…“ aus § 11 (3) entfällt.