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ZUM DaF-ERWERB AUSGEWÄHLTER
GRAMMATISCHER STRUKTUREN DER DEUTSCHEN
SPRACHE DURCH ITALOPHONE STUDIERENDE.
ERGEBNISSE UND DIDAKTISCHE KONSEQUENZEN*
SABRINA BALLESTRACCI
Inhalt
ZUR EINFÜHRUNG 2
1. DAS PISANER PROJEKT. ZUM KORPUS UND ZUR
METHODIK DER EMPIRISCHEN ANALYSE 4
2. BESCHREIBUNG DER ERGEBNISSE 8
2.1. DIACHRONE ERWERBSPHASEN 10
2.1.1. VERBALMORPHOLOGIE 12
2.1.2. SATZGLIEDSTELLUNG 17
2.1.3. KASUS-DEKLINATION DER
NOMINALPHRASEN 20
2.2. SYNCHRONE ERWERBSPHASEN 24
2.2.1. DIE PHASE DER UNBEWUSSTHEIT 24
2.2.2. DIE PHASE DER BEWUSSTHEIT 25
2.2.3. AUSBAU UND KONSOLIDIERUNG 27
2.3. ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE 27
*Ich möchte an dieser Stelle Horst Sitta, der mit wertvollen Hinweisen maßgeblich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat, meinen ganz besonderen Dank aussprechen.
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3. DIDAKTISCHE KONSEQUENZEN 32
3.1. NATÜRLICHE ERWERBSPHASENABFOLGE 33
3.2. CHUNK-LEARNING 36
3.3. SPRACHBEWUSSTHEIT 36
3.4. DER TRANSFER AUS DER MUTTERSPRACHE
UND ANDEREN FREMDSPRACHEN 38
3.5. DAUER DER PHASEN, FOSSILISIERUNGEN
UND REGRESSIONEN 42
FAZIT 44
LITERATUR 46
ZUR EINFÜHRUNG
Die Didaktik des Deutschen als Fremdsprache stützt sich noch heute
zum Großteil auf Ergebnisse von Untersuchungen über den Erwerb
der deutschen Sprache unter natürlichen Bedingungen oder den
Erwerb des Englischen als Fremdsprache. In den letzten Jahren hat
sich die Auslandsgermanistik jedoch verstärkt mit der Frage nach dem
Spracherwerb der deutschen Grammatik unter gesteuerten
Bedingungen beschäftigt: Die in diesem Bereich vorgenommenen
Untersuchungen haben umfassende Erklärungen über die den Erwerb
einer Fremdsprache steuernden Mechanismen und Strategien geliefert.
In diesem Zusammenhang spielt vor allem das bei frankophonen
Schülern der Primar- und Sekundarstufe durchgeführte
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Forschungsprojekt „Deutsch in Genfer Schulen“ eine wichtige Rolle
(Diehl 2000). Dabei wurde die beim natürlichen L1- und L2-Erwerb
des Deutschen festgestellte Phasenabfolge überprüft, und man kam zu
folgenden Ergebnissen:
1. Auch unter gesteuerten Bedingungen unterliegt der Erwerb der
deutschen Grammatik einer inneren Gesetzmäßigkeit und verläuft
in einer bestimmten Phasenabfolge, die durch den Unterricht kaum
verändert werden kann.
2. Diese Phasenabfolge ist der bei den natürlichen Erwerbsformen
beobachteten Sequenz ähnlich, aber nicht mit ihr identisch: Beim
Erwerb einiger grammatischer Strukturen (vor allem innerhalb der
Satzgliedstellung und der Kasus-Deklination) wurden auch
Unterschiede zum natürlichen L1- und L2-Erwerb festgestellt.
Unter den Faktoren, die den Erwerb des Deutschen bei den
frankophonen Schülern von den natürlichen Erwerbsformen
unterscheiden, wird beim DiGS-Projekt vor allem der Muttersprache
eine wichtige Rolle zugeschrieben. Dieses Ergebnis lässt darauf
schließen, dass der DaF-Unterricht auf spezifischen, je nach
Muttersprache verschiedenen Methoden und Mitteln basieren sollte.
Im vorliegenden Beitrag werden die im Rahmen des Genfer Projekts
aufgestellten Thesen bei italophonen Studierenden überprüft. Ziel ist
es, die Besonderheiten des DaF-Erwerbsprozesses bei italophonen
Lernern festzustellen, um daraus wichtige Schlüsse für den DaF-
Unterricht in Italien zu ziehen. Dabei ist von der Hypothese
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auszugehen, dass verschiedene Typen von Faktoren im
Grammatikerwerb des Deutschen miteinbezogen werden, d.h.:
1) Merkmale, die allen DaF-Erwerbern gemeinsam sind
2) Merkmale, die nur für die italophonen Lerner typisch sind
3) Merkmale, die von Lernkontext zu Lernkontext wechseln.
Der Beitrag gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Teil (Abschnitte 1
und 2) werden die Ergebnisse einer Untersuchung zum DaF-Erwerb
bei italophonen Studierenden beschrieben, die am Germanistikinstitut
der Fakultät Lingue e Letterature Straniere, Universität Pisa,
vorgenommen wurde; der zweite Teil (Abschnitt 3) befasst sich
hingegen mit den didaktischen Schlüssen, die sich aus der Analyse der
bei den italophonen Lernern gewonnenen Ergebnisse ziehen lassen.
1. DAS PISANER PROJEKT. ZUM KORPUS UND ZUR
METHODIK DER EMPIRISCHEN ANALYSE
Gegenstand des Pisaner Forschungsprojektes, das im Zeitraum
zwischen 2000 und 2006 durchgeführt wurde, ist der DaF-Erwerb
ausgewählter grammatischer Strukturen im DaF-Unterricht durch
italophone Studierende des dreijährigen Corso di Laurea in Lingue e
Letterature Straniere (Grundstudium). Ziel der Untersuchung war es,
festzustellen, ob der Erwerb der deutschen Grammatik bei den
italophonen Lernern wie bei den frankophonen Schülern des Genfer
Projektes in einer bestimmten Phasenabfolge verläuft, die weder durch
den Unterricht geändert, noch durch äußerliche Variablen beeinflusst
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werden kann. Bei der Überprüfung wurden jene grammatischen
Bereiche berücksichtigt, bei denen das DiGS-Projekt die Existenz
einer natürlichen Phasenabfolge bestätigt hatte: Verbalmorphologie,
Satzgliedstellung und Kasus-Deklination der Nominalphrasen.1 Es
wurden die grammatischen Strukturen aus 157 schriftlichen Arbeiten
italophoner Universitätsstudierender, die zu Studienbeginn Null-
Anfänger waren, statistisch analysiert. Die Datenerhebung erfolgte zu
acht verschiedenen Zeitpunkten: viermal im ersten Jahr, dreimal im
zweiten Jahr und einmal am Ende des dritten Jahres.
Anhand eines unter den Studierenden verteilten Fragebogens wurden
auch die probandenbezogenen Variablen ermittelt, deren
Beschreibung hier aus einer kontrastiven Perspektive erfolgt, und
zwar mit dem Ziel, die Unterschiede bzw. Ähnlichkeiten zwischen
den Pisaner Studierenden und den Genfer Schülern zu verdeutlichen:
•••• Alter und kognitive Entwicklung. Während die schweizerischen
Lerner Schüler der Primar- und Sekundarstufe sind, handelt es sich
bei den Pisaner Lernern um Universitätsstudierende mit prinzipiell
niedrigeren Erfolgsaussichten beim Sprachenlernern, da das
neuronale System von Erwachsenen über eine geringere
Flexibilität verfügt als jenes der Kinder, was sich auf den
Lernerfolg beim Erwerb neuer Strukturen auswirken kann.
•••• Sprachliche Kenntnisse. Im Gegensatz zu den frankophonen
Schülern besitzen die Pisaner Studierenden allgemeine
1 Die Genuszuweisung, die Pluralmarkierung und die Kasus-Deklination der Präpositionalphrasen, bei denen das DiGS-Projekt keine allgemein gültige Erwerbssequenz beobachtet hatte, wurden hingegen nicht untersucht.
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Sprachkenntnisse, die beim Spracherwerb von Vorteil sein
können: Viele von ihnen studieren auch andere Fremdsprachen
(vor allem Englisch, Französisch und Spanisch), haben die
klassischen Sprachen in der Oberstufe gelernt und sprechen
innerhalb der Familie einen oder mehrere Dialekte.
•••• Einstellung zur deutschen Sprache. Während das Deutsche für die
Genfer Schulkinder ein obligatorisches Schulfach ist und deshalb
bei diesen oft negative Einstellungen erweckt, wird das
Germanistikstudium an der italienischen Universität freiwillig
gewählt. Dies erlaubt die Annahme, dass das Deutsche für die
italophonen Germanistikstudierenden ein Fach darstellt, das keine
negativen Gefühle hervorruft.
•••• Muttersprache. Das Italienische ist wie das Französische eine
romanische Sprache. Beide Sprachen weisen vergleichbare
Unterschiede zur deutschen Sprache auf, weil sie ähnliche
morphologische und syntaktische Strukturen bei der Verbal- und
Nominalmorphologie sowie bei der Wortstellung haben, was
voraussetzen lässt, dass der Erwerb des Deutschen bei den
frankophonen und den italophonen Lernern gleichartige
Lernschwierigkeiten bereiten sollte. Das Italienische ist im
Gegensatz zur französischen Sprache eine Pro-drop-Sprache, d.h.
es gehört zur Gruppe jener Sprachen, bei denen das Subjekt in
einigen Kontexten ausgelassen werden kann.
Um die verwendeten grammatischen Strukturen sowie die Beziehung
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zwischen deren Gesamtanzahl und den normkonformen bzw.
normwidrigen Vorkommen festzustellen, wurden die ausgewählten
Sprachdaten je nach grammatischem Bereich in drei Teile
(Verbalmorphologie, Satzgliedstellung, Kasus-Deklination)
gegliedert. Die Analyse erfolgte nach den folgenden Kriterien:
Die Beschreibung der Verbalmorphologie umfasst alle konjugierten
Verbformen in den Haupt- und Nebensätzen (Verben im Präsens mit
regelmäßiger Konjugation und unregelmäßiger Konjugation;
Modalverbkomplexe;2 Perfektbildungen; Präterita; Imperative;
Futurformen; weitere Verbformen wie Passiv, Konjunktiv), wobei
eine Unterteilung in normkonforme und normwidrige Fälle erfolgt.
Dabei werden auch die Kategorien Flexion, Subjekt-Verb-Kongruenz,
zeitliche Kohärenz und Modus berücksichtigt.
Bei der statistischen Analyse der Satzgliedstellung wird bei jedem im
Korpus enthaltenen Deklarativsatz, Fragesatz und Nebensatz die
Stellung des konjugierten Verbs bzw. der Verbalkomplexe (bei den
2 Modalverbkomplexe wurden – wie alle mehrteiligen Prädikate – sowohl innerhalb der Verbalmorphologie als auch innerhalb der Satzgliedstellung analysiert. Bei der Verbalmorphologie wurden grundsätzlich nur morphologische Aspekte (Flexion des Modalverbs und der übrigen Verbform), bei der Satzgliedstellung nur syntaktische Aspekte (Stellung des Modalverbs und der übrigen Verbform) untersucht. Die Analyse der Flexion musste manchmal auch morphosyntaktische Aspekte berücksichtigen, wie bei den Verwechslungen zwischen Modalverbkomplexen und Perfektbildungen (Bsp.: „Ich habe ein Bier trinken“ vs. „Ich möchte ein Bier getrunken“), bei denen festgestellt wurde, dass die normwidrige Flexion direkt mit der Bearbeitung der Distanzstellung zusammenhängt. Dazu muss gesagt werden, dass es in diesen Fällen manchmal sehr schwierig ist, zu unterscheiden, auf welcher Ebene die Normwidrigkeit liegt; deswegen schien es sinnvoll, die mehrteiligen Prädikate sowohl bei der Verbalmorphologie als auch bei der Satzgliedstellung sowie schließlich auch bei der Analyse der synchronen Phasen (bei den Zusammenhängen zwischen Morphologie und Syntax) zu behandeln.
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Infinitivnebensätzen die Stellung des Infinitivs), die Stellung des
Subjekts (bei den Infinitivnebensätzen die Stellung der Subjunktionen
um und zu) und die Vorfeldbesetzung (ohne Nebensätze und
Infinitivnebensätze) untersucht.
Die Analyse der Kasus-Deklination bei den Nominalphrasen befasst
sich hauptsächlich mit der Konformität der Kasus (Nominativ (N),
Akkusativ (A) bzw. Dativ (D)), und zwar nur bei den
Nominalphrasen, die als Subjekt, als prädikativer Nominativ, als
Akkusativobjekt, als prädikativer Akkusativ und als Dativobjekt in
den folgenden Satztypen vorkommen:
• Ein-Kasus-Sätzen (nur N): Meine Mutter schläft
• Zwei-Kasus-Sätzen (N-N): Das ist ein schönes Buch
(N-A): Mein Bruder hat ein neues
Fahrrad gekauft
(N-D): Mir gefällt das nicht
• Drei-Kasus-Sätzen (N-A-D): Sie haben mir ein schönes
Buch geschenkt.
2. BESCHREIBUNG DER ERGEBNISSE
Die empirische Analyse hat ergeben, dass der Grammatikerwerb der
deutschen Sprache bei den italophonen Universitätsstudierenden
sowohl allgemein gültige Merkmale als auch individuelle Merkmale
aufweist. Die folgende Darlegung ist auf die allgemein gültigen
Merkmale beschränkt, zu denen die überindividuellen Erwerbsphasen
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und die mit ihnen korrelierten Lernstrategien gehören.
Der Erwerb der grammatischen Strukturen des Deutschen in den drei
untersuchten Bereichen kann – wie die folgende Tabelle
veranschaulicht – in verschiedene Phasen aufgeteilt werden:
Chronologische Phasen
Verbalmorphologie Satzgliedstellung Kasus-Deklination
I. Phase
II. Phase
III. Phase
IV. Phase
V. Phase
VI. Phase
VII. Phase
VIII. Phase
regelmäßige Konjugation;
unregelmäßige Konjugation;
Konjugation der Modalverben
**************
Perfekt
***************
Präteritum
*************** Ausbau (übrige
Verbformen)
Hauptsätze, zusammengesetzte
bzw. -gezogene Sätze mit S-V-Struktur
W-Frage ***************
E-Frage *************** Distanzstellung
(Verbalklammer) ****************
X-V-S-Struktur in Deklarativsätzen; Verbendstellung
*************** Ausbau ↓
unsystematisches Flexionssystem; Verwendung von
chunks ***************
N- und N-N-Sätze;
Verwendung von chunks beim Dativ
**************
N-A-Sätze; normkonforme
Dativ-Formen mit den Pronomina
*************
N-D-Sätze, N-A-D-Sätze
*************** Ausbau ↓
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hypothetische Phase
Tabelle 1: Überindividuelle Erwerbsphasen bei den Pisaner Studierenden.
Es können zwei Typen von überindividuellen Erwerbsphasen
unterschieden werden: die diachronen und die synchronen
Erwerbsphasen.
2.1. DIACHRONE ERWERBSPHASEN
Unter „diachronen Erwerbsphasen“ verstehe ich hier die allgemein
gültigen Erwerbsphasen in den drei analysierten Bereichen. Sie sind in
den einzelnen Bereichen unterschiedlich: Es lassen sich vier
Erwerbsphasen innerhalb der Verbalmorphologie und jeweils fünf
Erwerbsphasen innerhalb der Satzgliedstellung und innerhalb der
Kasus-Deklination feststellen. (Vgl. dazu Tab. 1). Mit
‚Erwerbsphasen’ sind die einzelnen sequenziellen Ausschnitte
gemeint, in die der Erwerb einer oder mehrerer gleichzeitig
bearbeiteter grammatischer Strukturen aufgeteilt werden kann. Die
innerhalb eines Bereiches beobachtete Phase lässt sich dann weiter in
verschiedene Stadien unterteilen: Sie entsprechen kleineren
Ausschnitten, in denen die Bearbeitung eines bestimmten Aspektes
der zu erwerbenden Struktur bzw. die Anwendung bestimmter
Lernstrategien erfolgt.
Die Aufteilung der diachronen Erwerbsphasen in Stadien soll im
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Folgenden näher betrachtet werden (vgl. die untenstehende Tabelle).
Verbalmorphologie Satzgliedstellung Kasus-Deklination
I. sy
nchr
. EP
h U
nbew
usst
heit
II. s
ynch
r. E
Ph
Bew
usst
heit
I. diachr. EPh: - präkonjugale Verbformen - regelmäßige Konjugation im Präsens - unregelmäßige Konjugation im Präsens ***************** II. diachr. EPh: - Übergangsstadium zw. Erwerb der Konjugation des Präsens und Erwerb des Perfekts - Partizip II - Übergangsstadium zw. Perfekt und Präteritum III. diachr. EP: - Präteritum von sein und haben - Erwerb des Präteritums regelmäßiger Verben - Erwerb des Präteritums unregelmäßiger
I. diachr. EPh: - deklarative Sätze mit S-V-X-Struktur (auch Satzreihen) - W-Fragen II. diachr. EPh: - E-Fragen ***************** III. diachr. EPh: - keine bzw. partielle Distanzstellung - Distanzstellung IV. diachr. EPh: - X-V-S-Struktur in den deklarativen Sätzen - Verbendstellung im Nebensatz
I. diachr. EPh: - unsystematische Flexion II. diachr. EPh: - N- und N-N-Sätze ***************** III. diachr. EPh: - Erwerb der NP im Akkusativ mit Artikel bzw. Artikelwort + Nomen - NP im Akkusativ mit Artikelwort + Adjektiv + Nomen IV. diachr. EP: - NP im Dativ mit Pronomina als Kern - NP im Dativ mit Nomina als Kern
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III. s
ynch
r. E
Ph
Kon
solid
ieru
ng
Verben ***************** IV. diachr. EPh: - Ausbau - Konsolidierung
**************** V. diachr. EPh: - Ausbau - Konsolidierung
**************** V. diachr. EPh: - Ausbau: Perfektionierung von Genuszuweisung und Pluralmarkierungen in den NP - Konsolidierung: Erweiterung der Lexik
Tabelle 2: Aufteilung der diachronen Erwerbsphasen (diachr. EPh) in Stadien und Bestimmung der synchronen Erwerbsphasen (synchr. EPh) der Unbewusstheit, Bewusstheit und Konsolidierung.
2.1.1. VERBALMORPHOLOGIE
Der Erwerb der Verbalmorphologie erfolgt in vier Phasen:
I. Phase. Erwerb der Konjugation des Indikativs Präsens. In der
ersten Erwerbsphase, die ungefähr den ersten zwei chronologischen
Phasen entspricht, befassen sich die Studierenden gleichzeitig mit der
Konjugation der regelmäßigen als auch der unregelmäßigen Verben
sowie mit jener der Modalverben. Diese Phase lässt sich in drei
Stadien unterteilen:
1) Nicht konjugierte Verbformen und präkonjugale3 Verbformen.
Infinite und andere präkonjugale Verbformen treten nur bei jenen
Studierenden auf, die eine sehr geringe Kenntnis der
Verbalmorphologie haben und noch über keine systematische
Verarbeitungsstrategie verfügen. Beispiele dafür sind: Verwendung
3 Der Terminus „präkonjugal” wurde Diehl et al. 2000 entnommen. Dieser Begriff tritt unter der englischen Bezeichnung pre- and proto-morphology auch in berühmten crosslinguistischen Studien zum Erstspracherwerb auf (Dressler 1997). (Zum Erstspracherwerb des Deutschen vgl. Klampfer et al. 2002).
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des Infinitivs statt der konjugierten Verbform („du essen“);
normwidrige Stammwahl („sie sprache“); normwidrige graphische
Umsetzungen („ich fhare“); auf Italienisch geschriebene Verben („Das
Märchen inizia so...“) und Fehlen der konjugierten Verbform („Dem
wünchen von jedem vater Ø zum eine nefiu von seinem sohne
bekommen“).4
2) Bearbeitung der regelmäßigen Konjugation im Präsens. Dieses
Stadium ist durch zwei Lernstrategien gekennzeichnet:
a) durch die Generalisierung der regelmäßigen Konjugation auf die
unregelmäßige Konjugation:
(1) Habst du dein Foto?
b) durch die Verwendung von Chunks in der Bearbeitung der
unregelmäßigen Konjugation, d.h. durch die Verwendung von
unanalysierten Satzteilen, die beim Grammatiklernen im Gedächtnis
gespeichert wurden. Bsp.:
(2) baby: Opa das ist ein Katze?
Opa: Ja, das ist ein Katze.
baby: Das ist ein Maus?
Opa: Ja, das ist ein Maus
3) Bearbeitung der unregelmäßigen Verben im Präsens. In diesem
Stadium wird die unregelmäßige Konjugation auf die regelmäßige
generalisiert. Bsp.:
(3) Er käuft die Rose für sich
4 Solche Verwendungen, die zusammen mit der nichtmarkierten Nominalflexion zu der sogenannten prä- bzw. proto-morphologischen Phase (vgl. Dressler 1997) gehören, kommen nur bei jenen Studierenden vor, die in allen grammatischen Bereichen mit großen Schwierigkeiten kämpfen.
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II. Phase. Bearbeitung des Perfekts. In der zweiten Erwerbsphase,
die schon in der zweiten chronologischen Phase beginnt und die in der
vierten chronologischen Phase abgeschlossen wird, bearbeiten die
Studierenden das Perfekt. Diese Phase lässt sich in drei Stadien
unterteilen:
1) Übergangsstadium. Das erste Stadium bei der Bearbeitung des
Perfekts stellt einen Übergang zwischen dem Erwerb der Konjugation
des Präsens (vor allem der Modalverbkomplexe) und der Bearbeitung
der Perfektbildung dar. Für dieses Stadium sind die folgenden
Lernstrategien charakteristisch:
a) Verwechslungen zwischen Perfektbildungen und
Modalverbkomplexen. Bsp.:
(4) Wir können ein Bier zusammen getrunken.
(5) „Wo“ habe ich antworten
b) Generalisierungen bzw. Verwechslungen bei der Auxiliarwahl. Die
Lerner wissen, dass die Verwendung des Auxiliars im Deutschen
anders als im Italienischen erfolgt und generalisieren diese Regel auch
auf Verben, die vom selben Hilfsverb wie im Italienischen regiert
werden. Dadurch kommt es zur Verwechslung bei der Verwendung
der Hilfsverben sein und haben. Bsp.:
(6) ich bin gesucht [it. ho cercato]
(7) sie hat gefällt [it. è caduta]
c) Verwendung von Chunks beim Hilfsverb und beim Partizip. Der
Großteil der Perfektbildungen wird in der 1. Person Singular
konjugiert. Seltener treten auch Formen in der 3. Person Singular
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sowie in der 1. und 3. Person Plural auf. Am häufigsten kommen
Bewegungsverben vor („ich bin gegangen“, „wir sind angekommen“,
„ich bin abgefahren“), außerdem Verben des menschlichen Verhaltens
(„ich habe gesehen“, „ich habe gesucht“, „ich habe gehört“) und die
Verben sein und haben („ich habe gehabt“, „ich bin gewesen“).
2) Bearbeitung des Partizips. In diesem Stadium befassen sich die
Lerner vor allem mit der Bearbeitung des Partizips II. Dieses Stadium
ist insbesondere durch Generalisierungen der regelmäßigen Flexion
auf unregelmäßige Verben sowie der unregelmäßigen Flexion auf
regelmäßige Verben gekennzeichnet:
(8) ich habe viele Monument gesehet
(9) wir haben gereden
3) Übergansstadium. In diesem Stadium wird der Erwerb der
Perfektbildungen abgeschlossen und die Studierenden beginnen die
Konjugation des Präteritums zu bearbeiten. Es handelt sich um ein
Übergangsstadium zwischen dem Erwerb des Perfekts und der
Bearbeitung des Präteritums, welches durch Generalisierungen der
Konjugation des Präteritums auf das Perfekt (z.B.: „ich hatte hatten“
und „Ihre Eltern hatte schenkten“) und durch Verwechslungen
zwischen Partizip II und Präteritumsformen (z.B.: „habe ich
verstand“) gekennzeichnet ist.
III. Phase – Bearbeitung des Präteritums. In der dritten Phase
erfolgt der Erwerb des Präteritums. Diese Phase lässt sich in drei
Stadien unterteilen.
1) Erwerb des Präteritums von sein und haben. In diesem Stadium
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wird nur das Präteritum der Verben sein und haben normkonform
verwendet. Die anderen Verben erscheinen vor allem als Chunks:
Regelmäßige Verben („sagen“, „fragen“ und „machen“) sowie
unregelmäßige Verben („gehen“, „geben“, „bekommen“ und
„bringen“) treten vor allem in der 1. und 3. Person Singular auf.
2) Erwerb des Präteritums regelmäßiger Verben. Typisch in diesem
Stadium ist die Generalisierung des –t- bzw. –te-Flexionsmorphems,
das nun auch bei unregelmäßigen Verben verwendet wird. Bsp.:
(10) sprachten wir
(11) Luca sagtet
3) Erwerb des Präteritums unregelmäßiger Verben. Im dritten Stadium
werden fast alle Präterita normkonform verwendet. Es gibt keinen
Beleg für Generalisierungen der unregelmäßigen Konjugation auf die
regelmäßigen Verben, was eigentlich zu erwarten wäre. Es lässt sich
hingegen ein Spätstadium belegen, in dem die Konjugation des
Präteritums durch jene des Konjunktivs beeinflusst wird:
(12) die Erwachsenen würden [statt wurden]
IV. Phase – Ausbau und Konsolidierung. Die letzte Phase im
Bereich der Verbalmorphologie ist jene des Ausbaus und der
Konsolidierung. Beim Ausbau befassen sich die Studierenden mit dem
Erwerb der übrigen Verbformen (Futur I und II, Imperativ, Passiv und
Konjunktiv): Dieses Stadium wird nur von einer geringen Anzahl der
untersuchten Studierenden erreicht; es ist jedoch davon auszugehen,
dass es eine Phase gibt, in der sich alle Studierenden mit den übrigen
Verbformen auseinandersetzen. In einem allerletzten Stadium
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(Konsolidierung), das hier nur hypothetisch, sozusagen als „Ideal-
Erwerbsverlauf“, angenommen wird, soll schließlich die
Konsolidierung der gelernten Strukturen durch Wiederholung und
Automatisierung erfolgen, sodass die zunächst unbewusst und danach
bewusst verwendeten Regeln wieder auf einer unbewussten Ebene
verinnerlicht und auch im spontanen Gebrauch produziert werden.
2.1.2. SATZGLIEDSTELLUNG
Beim Erwerb der Satzgliedstellung können fünf diachrone Phasen
unterschieden werden.
I. Phase – Erwerb der S-V-Struktur und der W-Fragesätze. In der
ersten Phase befassen sich die Studierenden mit Deklarativsätzen mit
S-V-Struktur und mit W-Fragesätzen. Hier lassen sich zwei Stadien
beobachten.
1) Erwerb der S-V-Struktur. In diesem Stadium verwenden die
Studierenden vor allem Strukturen, die mit jenen der Muttersprache
übereinstimmen. Die Interferenzen aus der L1 sind in diesem Stadium
Grund sowohl für positiven Transfer bei den normkonformen
Verwendungen als auch für negativen Transfer bei den normwidrigen
Verwendungen. Normkonforme Strukturen kommen bei den
Deklarativsätzen mit S-V-X-Struktur (auch bei Satzreihen) vor,
während die normwidrigen Strukturen vor allem in
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Inversionskontexten auftreten:
(13) Sie sietzen und sie lesen ein Buch
(14) Auf dem Bild ich sehe zwei personen
(15) Jetzt gehen Ø nach Hause
Die W-Fragen werden in diesem Stadium nur als Chunk verwendet:
(16) was ist das?
(17) wie heißt er?
2) Erwerb der W-Fragesätze. In diesem Stadium erfolgt der Erwerb
der Fragesätze. Nun befassen sich die Studierenden mit einer großen
Varietät von W-Fragen, die in den meisten Fällen normkonform
gebildet werden:
(18) Wie geht’s?
(19) Warum gehst du weg?
Die Probanden beginnen, sich mit den E-Fragesätzen
auseinanderzusetzen, welche sie aber mit S-V-Struktur bilden. Bsp.:
(20) Das ist ein Hund?
II. Phase – Erwerb der E-Fragesätze. In der zweiten Phase, in der
sich keine Unterteilung in Stadien erkennen lässt, erfolgt der Erwerb
der E-Fragesätze, die in den meisten Fällen eine normkonforme
Struktur aufweisen:
(21) Schläfst du auch?
(22) War der Traum schlecht? (I/12.02/104)
III. Phase – Erwerb der Distanzstellung (Verbalklammer). In der
dritten Erwerbsphase, die in der zweiten chronologischen Phase
beginnt und in der dritten chronologischen Phase abgeschlossen wird,
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erfolgt der Erwerb der Distanzstellung, d.h. der
Verbalklammerstruktur. Der Erwerb dieser Struktur hängt mit dem
Erwerb der Modal- und Perfektbildung zusammen (vgl. II. synchrone
Phase). In dieser Phase lassen sich zwei Stadien beobachten.
1) Kontaktstellung bzw. partielle Distanzstellung. In diesem Stadium
spielt die Muttersprache aufgrund der Interferenzen eine wichtige
Rolle. In den meisten Fällen verwenden die Studierenden entweder
keine Distanzstellung:
(23) Ich habe geputzt meine Schuhe
oder nur eine partielle Distanzstellung:
(24) Dann habe ich das Licht ausgemacht in mein Schlafzimmer
2) Distanzstellung. In diesem Stadium befassen sich die Studierenden
bewusst mit Verbalklammern mit Distanzstellung und bilden
normkonforme Strukturen; nur bei Inversionskontexten treten noch
Normwidrigkeiten auf:
(25) Ich bin zum Schüle gegangen. Ich wollte nicht essen so bin ich in mein
Zimmer zurückgekommen.
(26) Nach 2 Uhr wir haben nach Hause zurückgekommen
IV. Phase – Erwerb des Nebensatzes und der X-V-Struktur. In dieser
Phase setzen sich die Studierenden mit dem Erwerb zweier typisch
deutscher Strukturen auseinander: Die X-V-S-Struktur in den
Deklarativsätzen und die Verbendstellung im Nebensatz. Der Erwerb
dieser Strukturen erfolgt bei den italophonen Studierenden in einer
einzigen Phase; die vorkommenden Normwidrigkeiten zeigen, dass
diese Strukturen von den Lernern verwechselt werden:
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20
(27) Die Prinzessin eine Apfel von der Xene gegessen hat und dann sie
geschlafen ist
(28) Die Erzählung die du liest immer für mich
(29) Es ist ein Bild in welchem sieht man sprechende Leute
V. Phase – Ausbau und Konsolidierung. Wie bei der
Verbalmorphologie wird auch bei der Satzgliedstellung eine Ausbau-
bzw. Konsolidierungsphase angenommen, in der die Lerner den
Erwerb aller Satzstrukturen konsolidieren und in der vor allem der
Erwerb der Inversionskontexte und der Nebensätze abgeschlossen
wird. Im Bezug darauf soll betont werden, dass das Auftreten beider
Strukturen auch noch in den von den Studierenden zuletzt
geschriebenen Texten normwidrig ist; deswegen werden diese
Strukturen hier als nicht erworben betrachtet. Normwidrigkeiten treten
aber häufiger in Nebensätzen mit Verbendstellung als bei den
Deklarativsätzen mit X-V-S-Struktur auf, was vermuten lässt, dass die
Inversion in einer in diesem Korpus nicht belegten zukünftigen Phase
vor der Regel Verbendstellung erworben wird.
2.1.3. KASUS-DEKLINATION DER NOMINALPHRASEN
Der Erwerb der Kasus-Deklination der Nominalphrasen erfolgt in fünf
Phasen.
I. Phase – unsystematische Flexion. In der ersten Erwerbsphase, die
mit der ersten chronologischen Phase übereinstimmt, verwenden die
Studierenden noch keine systematische Flexion. Aus der Analyse geht
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hervor, dass die Kasus-Deklination zu diesem Zeitpunkt durch die
folgenden Phänomene charakterisiert ist:
A. Beschränkte Kenntnis der deutschen Lexik und der deutschen
Nominalflexion
B. Lexikalische und morphosyntaktische Interferenzen aus der
italienischen L1
Es werden vor allem Nominalphrasen mit Pronomen als Kern
verwendet, während die Kasus-Deklination in den Nominalphrasen
mit Nomina, die unter anderem auch durch die Interferenzen aus der
L1 bei der Genuszuweisung stark beeinflusst wird, noch sehr
unsystematisch erfolgt:
(30) Sie sietzen
(31) Im Foto sind zwei personen: ein alten Mann und ein Kind
(32) Die Großvater lacht
Die willkürliche Kasus-Deklination zeigt sich auch in der
Verwendung von Chunks im Nominativ und im Vorkommen von
Interferenzen aus den bisher erlernten L2:
(33) Das Kind anhöret [hört] der Großvater
(34) I geht auf dem Zug
II. Phase – Erwerb der N-Sätze und N-N-Sätze. In der zweiten
Phase erfolgt der Erwerb der N-Sätze und N-N-Sätze. Den
Studierenden ist schon bewusst, dass jedem Kasus ein bestimmtes
Flexionsmorphem entspricht, sie sind jedoch noch nicht in der Lage,
dieses Wissen immer normkonform umzusetzen: Nur N-Sätze und N-
N-Sätze werden in dieser Phase bewusst bearbeitet und normkonform
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verwendet:
(35) Die junge Frau kommt zurück
(36) Sie war meine Freundin Valentina
Der Umgang mit den anderen Kasus ist noch sehr unsystematisch:
Normkonforme Strukturen treten nur mit Personennamen und mit als
Chunks verwendeten Pronomina auf:
(37) Pietro liebt Caroline. Er kennt sie
(38) Die Katze hat mir gesagt
Wenn die Nominalphrase aus Artikel + Nomen besteht, kommt es zu
Normwidrigkeiten in Form von Generalisierungen der neutralen
Endung des Nominativs und der femininen –e-Endung:
(39) Der Mann wartet sein Freund
(40) Der Mann hat eine Koffer und Blumen für sein Freund
III. Phase – Erwerb der N-A-Sätze. In dieser Phase erfolgt der
Erwerb der N-A-Sätze. Dabei können zwei Stadien unterschieden
werden:
1) Erwerb der Nominalphrasen im Akkusativ mit Artikel bzw.
Artikelwort + Nomen:
(41) Ich wollte meinen Onkel besuchen
(42) Um 6 Uhr pm haben wir das Haus meines Onkel finden
In diesem Stadium wird der Akkusativ auf alle im Mittelfeld
auftretenden Nominalphrasen generalisiert, unabhängig davon, welche
Rolle diese im Satz spielen. Bsp.:
(43) Das war meinen Ring
2) Erwerb der Nominalphrasen im Akkusativ mit Artikelwort +
Adjektiv + Nomen:
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(44) Ich bekam viele schöne Geschenke
(45) Cinzia hat ein großes Haus mit einem Garten wo es die Tische und die
Stühle gab
In diesem Stadium wird sehr oft der Dativ verwendet, aber nur in
Nominalphrasen, deren Kern ein Pronomen ist:
(46) [etwas Interessantes] das mir passierte
(47) ich half ihm
IV. Phase – Erwerb der N-D-Sätze und der N-A-D-Sätze. Der
Erwerb des Kasus Dativ, d.h. die Verwendung von N-D-Sätzen und
N-A-D-Sätzen, erfolgt erst in der letzten Phase, in der vor allem
Nominalphrasen im Dativ mit Pronomina sowie Nomina als Kern
benutzt werden:
(48) Es sieht mir aus, dass [...]
(49) Das ist mir egal!
(50) er gibt den Teller der Kellnerin zurück
V. Phase – Ausbau und Konsolidierung. Wie bei der
Verbalmorphologie und der Satzgliedstellung wird auch bei der
Kasus-Deklination der Nominalphrasen eine Ausbau- und
Konsolidierungsphase angenommen: In dieser Phase sollte vor allem
der Erwerb der Genuszuweisung und der Pluralmarkierungen in den
Nominalphrasen mit Nomen als Kern abgeschlossen werden, weil
diese oft den Grund für die Normwidrigkeiten darstellen, die auch
noch in den letzten Phasen bei der Wahl von Artikeln, Artikelwörtern,
Flexiven bei Adjektiven und Nomina auftreten. Diese letzte
Erwerbsphase soll auch als eine Phase interpretiert werden, in der der
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Ausbau und die Konsolidierung der Kasus-Deklination und der damit
verbundenen Kategorien (Genuszuweisung und Pluralmarkierung)
durch den Ausbau des Wortschatzes erfolgt. Die Analyse hat nämlich
gezeigt, dass eine beschränkte Kenntnis der deutschen Lexik der
Grund für die meisten bei der Kasus-Deklination auftretenden
Normwidrigkeiten ist.
2.2. SYNCHRONE ERWERBSPHASEN
Mit „synchronen Erwerbsphasen“ bezeichnet man die Parallelen, die
sich zwischen den analysierten grammatischen Bereichen erkennen
lassen. Es wurden drei synchrone Phasen beobachtet: die Phase der
Unbewusstheit, die Phase der Bewusstheit und die Phase der
Konsolidierung (vgl. Tab. 2).
2.2.1. DIE PHASE DER UNBEWUSSTHEIT
In der ersten synchronen Phase erfolgt der Erwerb jener
grammatischen Strukturen der deutschen Sprache, die entweder mit
den Strukturen der italienischen Sprache übereinstimmen oder
Regularitäten innerhalb des deutschen Systems aufweisen.
Die Studierenden bilden einfache Deklarativsätze (vor allem
Hauptsätze oder Satzreihen) mit S-V-X-Struktur und sie üben die
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Subjekt-Verb-Kongruenz. Bei der Verbalmorphologie entspricht diese
Phase der Auseinandersetzung mit der Konjugation des Indikativs
Präsens, wobei die Studierenden versuchen, ein systematisches
Flexionssystem zu erkennen. Was die Kasus-Deklination der
Nominalphrasen angeht, verfügen die Lerner noch über keine
Systematik: Artikelwörter und Adjektive werden entweder
normwidrig oder gar nicht dekliniert. Es wird kein Kasus-Unterschied
gemacht und bei den normkonformen Fällen handelt es sich vor allem
um Chunks.
Die Ergebnisse dieser ersten Phase bestätigen, dass die ersten
Strukturen, die erworben werden, jenen der Muttersprache ähnlich
sind. Die Strukturen, die sich von jenen der Muttersprache stark
unterscheiden, werden in dieser ersten Phase nur als Chunk
verwendet.
2.2.2. DIE PHASE DER BEWUSSTHEIT
In der zweiten synchronen Phase beginnen die Studierenden sich mit
jenen Strukturen der deutschen Sprache auseinanderzusetzen, die in
der Muttersprache keine Entsprechung finden bzw. die durch andere
Verfahren gebildet werden. Was die Satzgliedstellung angeht,
befassen sich die Lerner mit der Bearbeitung der V-S-Struktur in E-
Fragesätzen, mit der Distanzstellung (Verbalklammer), mit der
Verbendstellung im Nebensatz und mit der X-V-S-Struktur in
Deklarativsätzen. Im Bereich der Verbalmorphologie werden die
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Vergangenheitstempora (Perfekt und Präteritum) bearbeitet, bei denen
es große Unterschiede zwischen dem italienischen und dem deutschen
System gibt und wo auch zahlreiche Irregularitäten vorkommen. Erst
in dieser Phase erfolgt bei der Kasus-Deklination der Nominalphrasen
eine echte Unterscheidung der Funktionen der einzelnen Kasus; die
Studenten beginnen, sich auch mit den im Italienischen nicht
existierenden Kasus zu befassen: dem Akkusativ und dem Dativ.
In dieser Phase lassen sich viele Zusammenhänge zwischen den drei
untersuchten Bereichen beobachten.
Eine Verbindung zwischen Verbalmorphologie und Satzgliedstellung
ist beim Erwerb der Modalverbkomplexe bzw. Perfektbildungen und
der Distanzstellung zu beobachten: Das Auftreten von Mischformen
(Modalverb + Partizip II bzw. Hilfsverb + Infinitiv) erfolgt in den
meisten Fällen bei der Verwendung der Distanzstellung. Die
Konjugation der mehrteiligen Verbformen ist zwar in einem ersten
Erwerbsstadium normkonform, die Distanzstellung wird dabei aber
nicht beachtet (d.h.: „ich möchte essen ein Bonbon“, „ich habe
gegessen Bonbon“). In einem nächsten Schritt beginnen die
Studierenden die Distanzstellung normkonform zu benutzen, wobei es
aber zu Normwidrigkeiten bei der Konjugation der übrigen
Verbformen kommt. (Bsp.: „ich will ein Bier getrunken“, „ich habe
ein Bier trinken“). Im letzten Stadium sind schließlich sowohl
Konjugation als auch Distanzstellung zielsprachgerecht.
Bei der Satzgliedstellung und der Kasus-Deklination lassen sich
Parallelen zwischen der Generalisierung des Kasus Akkusativ und der
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Satzgliedstellung im Mittelfeld beobachten, d.h. es zeigt sich die
allgemeine Tendenz, dass in den nach dem konjugierten Verb
stehenden Nominalgruppen der Kasus Akkusativ verwendet wird,
auch wenn es sich nicht um ein Akkusativobjekt handelt (z.B.: „es ist
einen schönen Hund“). Diese Strategie wird auch in normkonform
gebildeten Inversionskontexten angewandt, wobei der Akkusativ auf
das Subjekt generalisiert wird.
Eine Korrelation zwischen Verbalmorphologie und Kasus-Deklination
ist in komplexen syntaktischen Strukturen festzustellen, die auch ein
Dativobjekt enthalten: Es kommt hierbei oft zur Verwechslung von
Subjekt und Dativobjekt (z.B.: „schmecken Sie es nicht so gut?“).
2.2.3. AUSBAU UND KONSOLIDIERUNG
In allen drei Bereichen wird eine letzte Phase angenommen, in der es
zum Abschluss des Erwerbsprozesses kommen sollte. Diese Phase
setzt sich aus dem Ausbau und der daran anschließenden
Konsolidierung zusammen. Beide Stadien – Ausbau und
Konsolidierung – sind hypothetisch, weil sie nur von einer begrenzten
Anzahl von Lernern erreicht werden. Im Ausbaustadium sollten alle
Lerner befähigt werden, die im Unterricht gelernten Strukturen
normkonform zu verwenden. Das Konsolidierungsstadium besteht
hingegen in der Übung und Wiederholung aller gelernten Strukturen
und zielt darauf ab, diese tief im Gedächtnis zu speichern. Durch die
Konsolidierung sollten die gelernten Strukturen wieder auf die
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unbewusste Ebene zurückgebracht werden, nachdem das
Grammatiklernen ihr Auftauchen von der unbewussten auf die
bewusste Ebene bewirkt hatte.
2.3. ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE
Eine Gegenüberstellung der bei den italophonen Studierenden
gewonnenen Daten mit bereits existierenden Ergebnissen
(insbesondere mit den Daten des DiGS-Projekts) lässt sowohl
Unterschiede als auch Ähnlichkeiten erkennen. Darüber hinaus
können die Besonderheiten des Grammatikerwerbs des Deutschen als
Fremdsprache bei italophonen Lernern festgestellt werden. Die
Beschreibung sowohl der Ähnlichkeiten als auch der Unterschiede der
Pisaner Resultate im Vergleich zu den bisher vorliegenden
Forschungsergebnissen, soll dazu dienen, wichtige Schlüsse für den
DaF-Unterricht in Italien zu ziehen. Bei diesem Vergleich lassen sich
folgende Typen von Merkmalen beobachten:
1) allen Lernertypen gemeinsame Merkmale
2) muttersprachbezogene Merkmale
3) kontextbezogene Merkmale.
1) Zu allen Lernertypen gemeinsamen Merkmalen:
Wie im Genfer Projekt wurde auch bei der Pisaner Untersuchung
festgestellt, dass der Erwerb der analysierten deutschen Strukturen in
einer bestimmten, einer inneren Dynamik gehorchenden
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Phasenabfolge verläuft. Die Existenz einer natürlichen
Erwerbsphasenabfolge bestätigt nicht nur die Ergebnisse des DiGS-
Projekts, sondern auch die theoretischen Prinzipien aller kognitiv
ausgerichteten Hypothesen, und zwar der Interlanguage-Hypothese
von Larry Selinker, der Natural Order-Hypothese von Stephen D.
Krashen, der Natürlichen Erwerbssequenzen-Hypothese von Sascha
Felix und Hennig Wode sowie des Multidimensionalen ZISA-Modells
von Clahsen, Meisel und Pienemann.
2) Zu den muttersprachbezogenen Merkmalen:
Die Art und Weise, wie der Grammatikerwerb bei den frankophonen
Schülern und den italophonen Studierenden erfolgt, d.h. die Tatsache,
dass er in beiden Kontexten inneren Gesetzmäßigkeiten gehorcht, ist
Grund für eine Identitätshypothese (d.h.: DaF-Erwerb bei
Frankophonen = DaF-Erwerb bei Italophonen). Die bei beiden
Korpora festgestellte Erwerbssequenz, d.h. die Sequenz, in der sich
der Erwerb der einzelnen grammatischen Strukturen bzw. Formen
vollzieht, ist aber nicht ganz identisch, sondern nur ähnlich: In den
analysierten Bereichen erfolgt der Erwerb fast aller grammatischen
Strukturen bei den italophonen Studierenden in der gleichen Abfolge
wie bei den frankophonen Lernern; es wurden aber auch einige
Unterschiede beobachtet:
- Während den frankophonen Schülern die Subjekt-Verb-Inversion
bei den Ja/Nein-Fragen keine allzu großen Schwierigkeiten
bereitet, haben die Pisaner Studierenden vor allem in den ersten
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Phasen große Probleme damit. Dieser Unterschied kann dadurch
erklärt werden, dass die frankophonen Schüler V-S-
Inversionsphänomene in E-Fragen von ihrer Muttersprache her
kennen (Bsp.: „Veux-tu manger avec moi?“), während diese im
Italienischen nicht üblich sind, weil das pronominale Subjekt
ausgelassen werden kann und die Frage vor allem durch die
Intonation ausgedrückt wird (Bsp.: „Vuoi mangiare insieme a
me?“ „Carla viene alla festa?“ „Questo è tuo?“). Die Interferenz
aus der L1 würde auch erklären, warum die V-S-Inversion in den
W-Fragen den italophonen Studierenden hingegen weniger
Schwierigkeiten bereitet. In diesem Fall ist das Vorfeld auch im
Italienischen durch die Fragepartikel besetzt (Bsp.: „Perchè mangi
solo insalata?“). Obwohl das pronominale Subjekt auch in diesem
Fall nicht ausgedrückt wird, ist die Struktur der italienischen Frage
jener der deutschen W-Frage ähnlicher.
- Im Gegensatz zu den schweizerischen Ergebnissen kann beim
Erwerb der Regeln ‚Verbletztsatz’ und ‚Inversion’ bei den Pisaner
Studierenden keine eindeutige Phasenabfolge festgestellt werden:
Sowohl die Inversion als auch die Nebensätze werden schon in
den ersten Phasen verwendet; in den normwidrigen Fällen, die in
den letzten schriftlichen Arbeiten vorkommen, werden die beiden
Strukturen immer noch sehr oft verwechselt. Der Erwerb dieser
beiden Strukturen erfolgt bei den frankophonen Lernern in zwei
unterschiedlichen Phasen – wobei der Nebensatz vor der Inversion
erworben wird –, während es bei den italophonen Studierenden
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nicht möglich ist, eine Phasenabfolge zu erkennen: In der letzten
beobachteten Phase werden beide Strukturen immer noch
normwidrig verwendet und sogar miteinander verwechselt. Dieser
Unterschied zwischen den italophonen und den frankophonen
Lernern würde unter anderem auch den Unterschied der DiGS-
Ergebnisse zu jenen des ZISA-Projektes teilweise erklären: Die
Erwerbsphasenabfolge der beiden Strukturen, Inversion und
Verbletztsatz, ist bei den Gastarbeitern jener der Genfer Schüler
entgegengesetzt. Obwohl die Pisaner Ergebnisse weder mit den
DiGS- noch mit den ZISA-Daten ganz identisch sind, ist die bei
den Pisaner Studierenden festgestellte Phasenabfolge jener der
Gastarbeiter ähnlicher als jener der frankophonen Lerner:
Inversion und Nebensatz werden von den Universitätsstudierenden
nicht in zwei aufeinander folgenden Erwerbsphasen erworben, was
die Pisaner Daten von jenen des ZISA-Projektes unterscheidet.
Die Deklarativsätze mit Inversion werden jedoch häufiger
normkonform verwendet als die Nebensätze mit Verbendstellung.
Dies lässt vermuten, dass die Inversion von den Pisaner
Studierenden in einer hier nicht belegten zukünftigen Phase vor
der Verbendstellung erworben wird. Allgemein kann dazu also
Folgendes festgestellt werden: Diese Strukturen – sowie auch die
Distanzstellung in der Verbalklammer – werden zwar von den
jeweiligen Lernertypen in unterschiedlicher Abfolge erworben;
man kann jedoch behaupten, dass sie allen romanischsprachigen
Lernern gleichermaßen Schwierigkeiten bereiten. Diese Tatsache
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ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Muttersprache eine wichtige
Rolle im Erwerbsprozess spielt.
3) Zu den kontextbezogenen Merkmalen:
- Die größte Diskrepanz zwischen den Pisaner und den DiGS-
Ergebnissen liegt nicht bei der Phasenabfolge, sondern bei der
Länge der verschiedenen Phasen: Die Erwerbsphasen der
italophonen Lerner sind in allen grammatischen Bereichen kürzer;
in den ersten Erwerbsphasen werden schon Strukturen und Formen
verwendet, die beim DiGS-Korpus erst in den nachfolgenden
Phasen auftreten. Als Beispiel dafür kann der Fall der
präkonjugalen Phase bei der Verbalmorphologie genannt werden:
Während diese im DiGS-Korpus eine allgemeine
Verarbeitungsstrategie darstellt, treten präkonjugale Verbformen
im Pisaner Korpus nur vereinzelt auf.
- Ein weiterer Unterschied liegt bei den Fossilisierungen und
Regressionen, die bei den italophonen Studierenden häufiger als
bei den frankophonen Schulkindern auftreten.
3. DIDAKTISCHE KONSEQUENZEN
Der Vergleich mit den bereits aus früheren Studien vorliegenden
Ergebnissen zeigt, dass der DaF-Grammatikerwerb bei italophonen
Studierenden durch drei Typen von Merkmalen gekennzeichnet ist:
1) allen Lernertypen gemeinsame Merkmale, die den italophonen und
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allen anderen DaF-Lernern gemeinsam sind. Das sind: die Existenz
und die Natürlichkeit einer Erwerbsphasenabfolge, die
Verinnerlichung der grammatischen Regeln durch Chunk-learning
und der Abschluss des Erwerbsprozesses durch die Bewusstwerdung;
2) muttersprachbezogene Merkmale, die nur für italophone Lerner
gelten. Dazu gehört vor allem die unterschiedliche Phasenabfolge
beim Erwerb jener grammatischen Strukturen, bei denen die
Muttersprache eine wichtige Rolle spielt;
3) kontextbezogene Merkmale, die bei erwachsenen
Universitätsstudierenden, nicht jedoch bei anderen Lernern auftreten.
Dies sind: Dauer der Phasen, anfängliche Vielfältigkeit der
bearbeiteten Strukturen, Vorkommen und Dauer von Fossilisierungen
und Regressionen.
Aus den bei den italophonen Lernern festgestellten Merkmalen kann
zunächst geschlossen werden, dass die didaktischen Methoden und
Mittel des DaF-Unterrichts dem jeweiligen Kontext angepasst werden
sollten. Diese für die italophonen Lerner relevanten Methoden werden
in den folgenden Abschnitten im Einzelnen beschrieben.
3.1. NATÜRLICHE ERWERBSPHASENABFOLGE
Die Pisaner Studie hat, wie fast alle vorhergehenden Untersuchungen,5
5 Die einzige Ausnahme stellt die von Klein Gunnewieck vorgenommene Untersuchung dar, bei der festgestellt wurde, dass der Erwerb der deutschen Grammatik bei niederländischen DaF-Lernern nicht in einer Phasenabfolge erfolgt, weil sie am Anfang des Erwerbsprozesses schon imstande sind, alle grammatischen
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ergeben, dass der Erwerb der deutschen Grammatik auch unter
gesteuerten Bedingungen in einer bestimmten Phasenabfolge verläuft,
die internen Gesetzmäßigkeiten gehorcht und kaum durch den
Unterricht gesteuert werden kann. Aus dieser Beobachtung ist jedoch
auf keinen Fall zu schließen, dass die Praxis des Grammatikunterrichts
keine Rolle spielt: Die verwendete Methode und die didaktische
Einstellung sind hingegen von großer Bedeutung. Im
Grammatikunterricht sollte vor allem berücksichtigt werden, dass die
festgestellte Phasenabfolge nur die Reihenfolge darstellt, in der die
grammatischen Strukturen der deutschen Sprache im Allgemeinen
erworben werden. Das bedeutet weder, dass der Erwerbsprozess keine
individuellen Tendenzen aufweist, noch, dass der DaF-Unterricht die
grammatischen Strukturen in dieser Reihenfolge vermitteln muss. In
den einzelnen chronologischen Phasen setzt nämlich jeder Lerner
seine eigenen Lernstrategien ein, wobei nicht mit Sicherheit geklärt
werden kann, welche Faktoren den individuellen Merkmalen zugrunde
liegen. Es ist jedoch möglich, zwei Lernertypen zu unterscheiden: Es
gibt Lerner, denen die kommunikative Funktion des Textes wichtiger
ist als die grammatische Korrektheit, weshalb sie auch grammatische
Strukturen der deutschen Sprache (auch jene, die den DaF-Lernern im Allgemeinen große Schwierigkeiten bereiten) zu bearbeiten und normkonform zu verwenden. Dieses Ergebnis stellt aber – wie Diehl bemerkt – keine Widerlegung der kognitiv ausgerichteten Hypothese der natürlichen Phasenabfolge dar, weil die Strukturen der niederländischen Sprache jenen der deutschen Sprache sehr ähnlich sind, was vermutlich der Grund dafür ist, warum die niederländischen DaF-Lerner jene Strukturen des Deutschen schon von den ersten Erwerbsphasen an gut beherrschen, die den DaF-Lernern mit anderer L1 normalerweise Schwierigkeiten bereiten. Dieses Ergebnis stellt also eine weitere Bestätigung dafür dar, dass die Muttersprache der Lerner im Spracherwerbsprozess eine wichtige Rolle spielt.
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Strukturen verwenden, die im Sprachunterricht noch nicht
systematisch behandelt wurden. Andere Studierende vermeiden es
hingegen, grammatische Strukturen zu benutzen, die sie noch nicht
beherrschen, was auch durch die zahlreichen Selbstkorrekturen
bestätigt wird.6 Daraus können folgende Konsequenzen für den DaF-
Unterricht abgeleitet werden:
1. Die Phaseabfolge soll nicht als eine Skala interpretiert werden,
an die sich die didaktische Vermittlung der grammatischen
Strukturen Schritt für Schritt anpassen muss; sie dient eher
dazu, zu erkennen, in welcher Erwerbsphase bzw. in welchem
Erwerbsstadium sich jeder Lerner gerade befindet.
2. Der Grammatikunterricht soll vom Anfang an alle natürlichen
Strukturen der deutschen Sprache durch einen nicht
restriktiven Input vermitteln.
3. Der Sprachunterricht soll natürliche Erwerbsverfahren
stimulieren: Die DaF-Lerner sollen ständig mit authentischen
deutschen Sprachmaterialien konfrontiert werden.
4. Der Input soll nicht auf die Strukturen reduziert werden, die
nach der festgestellten Phasenabfolge in der jeweiligen Phase
erworben werden, sondern die Lerner sollen mit einem breiten
Spektrum von Strukturen arbeiten.
6 Diese Beobachtung könnte als Bestätigung der Monitor-Hypothese von Krashen gesehen werden: Einige Lerner verwenden bei der sprachlichen Produktion nur Strukturen, die sie als zielsprachgerecht erkennen, und vermeiden unbekannte Strukturen, während andere Lerner, die der Form weniger Bedeutung beimessen, den Mut haben, ihre kommunikativen Absichten auch mit neuen Strukturen auszudrücken. (Vgl. Krasken 1985, 102-104).
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5. Im Grammatikunterricht sollen authentische Texte (vor allem
der deutschen Gegenwartssprache) verwendet werden, in
denen das Vorkommen der grammatischen Strukturen in
einem natürlichen Kontext auch natürliche
Verinnerlichungsverfahren der grammatischen Regeln
stimulieren kann.
3.2. CHUNK-LEARNING
Die bei den italophonen Lernern vorgenommene Untersuchung hat
bestätigt, dass das Chunk-learning von den ersten Erwerbsphasen an
(und vor allem in den ersten Erwerbsphasen) eine wichtige Rolle bei
der Assimilation der Strukturen der Fremdsprache spielt. Das stellt
einen weiteren Grund dafür dar, dass die DaF-Lehre mit einem nicht
restriktiven Input arbeiten sollte, denn ein solcher regt zum Output
noch nicht systematisch behandelter grammatischer Strukturen an.
Daraus lässt sich also folgende Konsequenz für die didaktische Praxis
ableiten:
6. Da die als Chunk verwendeten Strukturen offenbar eine
wichtige Rolle spielen und diese vor allem aus authentischen
Texten übernommen werden, sollte der Sprachunterricht sich
nicht starr auf die Strukturen beschränken, die den natürlichen
Erwerbsphasen entsprechen, und es sollte nicht nur mit
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vollständigen Sätzen gearbeitet werden.
3.3. SPRACHBEWUSSTHEIT
Der unbewussten Verinnerlichung der zielsprachlichen Strukturen
durch Chunk-learning folgt im Erwerbsprozess eine weitere Phase, in
der sich die Lerner durch den Ausbau der im Gedächtnis
gespeicherten Strukturen deren Verwendung bewusst machen: Beim
In-Kontakt-Treten mit den Regeln der Fremdsprache stoßen die
Lerner sowohl auf Regelmäßigkeiten als auch auf
Unregelmäßigkeiten, die sie in den meisten Fällen durch
generalisierende Lernstrategien zu bearbeiten versuchen. Solche
Strategien, die in der Praxis zu normwidrigen Verwendungen führen,
sind aber ein Hinweis dafür, dass die Lerner immerhin versuchen, die
Regeln der Zielsprache zu begreifen. Dies lässt folgenden Schluss für
die didaktische Praxis zu:
7. Der Sprachunterricht sollte einen Weg finden, um die
Entwicklung der Sprachbewusstheit auf natürliche Weise zu
steuern. Dies muss aber auf jeden Fall immer dem jeweiligen
Kontext und der Lernergruppe (Kinder, Jungendliche,
Erwachsene) angepasst sein. Als allgemeine didaktische
Strategie kann aber die Auseinandersetzung mit Texten gelten,
in denen der Kontrast zwischen regelmäßigen und
unregelmäßigen Strukturen in den Vordergrund gerückt wird.
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Aus der Zusammenfassung der allen Lernertypen gemeinsamen
Merkmale ergeben sich zwei wichtige Konsequenzen für den DaF-
Unterricht:
- Beachtung der natürlichen Erwerbsphasenabfolge als
Bezugsmittel für die Bewertung der Erwerbsphase bzw. des
Erwerbsstadiums der einzelnen Lerner;
- Verwendung eines nicht restriktiven Inputs bzw. authentischer
Texten statt einzelner Sätze bei der Vermittlung der
grammatischen Regeln.
3.4. DER TRANSFER AUS DER MUTTERSPRACHE UND
ANDEREN FREMDSPRACHEN
Die Analyse hat ergeben, dass die Muttersprache der Lernenden und
die anderen Fremdsprachen eine wichtige Rolle im Erwerbsprozess
spielen, weil sie sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf
den Erwerbsprozess haben können. Durch positiven Transfer können
sie zu zielsprachgerechten Verwendungen beitragen; durch negativen
Transfer sind sie hingegen Ursache für Interferenzen.
Im Allgemeinen wurde festgestellt, dass die Lerner auf Strukturen der
Muttersprache und anderer gelernter Fremdsprachen zurückgreifen,
wenn ihnen die Strukturen der Zielsprache unbekannt sind.
Aufgrund dieses Ergebnisses gilt im Allgemeinen für die
Unterrichtspraxis folgende Empfehlung:
8. Das Auftreten von Interferenzen soll nicht nur als „fehlerhafte“
Performance, sondern vielmehr als Hinweis auf
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Lernschwierigkeiten betrachtet werden. Die Interferenzen aus
der L1 oder aus anderen L2 kommen nämlich bei jenen
Strukturen vor, die den Lernern besondere Schwierigkeiten
bereiten, weil sie sich stark von den ihnen schon bekannten
grammatischen Strukturen unterscheiden. Dass die
Studierenden auf bekannte Strukturen zurückgreifen, ist unter
anderem ein Beweis dafür, dass der L2-Erwerb durch den
Vergleich zwischen „dem Bekannten“ und dem „nicht
Bekannten“ erfolgt: Da, wo das Unbekannte vorkommt, greift
der Lerner auf das Bekannte zurück.7 Es wird also empfohlen,
dass auch der DaF-Unterricht eine kontrastive Perspektive
einsetzt, vor allem bei der Vermittlung jener Strukturen der
Zielsprache, die den Lernern unbekannt sind, weil sie weder in
der Muttersprache noch in den am häufigsten gelernten
Fremdsprachen vorkommen.
Im Einzelnen lässt sich die kontrastive Perspektive bei der
Vermittlung folgender grammatischer Strukturen empfehlen:
� Verbalklammer: Einer der auffälligsten Unterschiede zwischen der
italienischen und der deutschen Sprache sind die im deutschen
Satzbau auftretenden mehrteiligen Prädikate, die Verbalklammern
7 Einen weiteren Beweis dafür, dass die Lerner nur in den Fällen auf die Strukturen der Muttersprache zurückgreifen, in denen ihnen die L2-Struktur unbekannt ist, stellen einige bei den Pronominalnebensätzen auftretende Normwidrigkeiten dar. Bsp.: „Das Mädchen, dass sie wir getroffen haben“. Dabei versuchen die Studierenden die L2-Strukturen zu bearbeiten, die sie schon kennen, und verwenden die Konjunktion dass, um den Anfang des Nebensatzes zu markieren, und das Pronomen sie, um das Subjekt des Nebensatzes auszudrücken.
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bilden. Das sind Satzstrukturen, die in der italienischen Sprache
nicht existieren. Der Unterschied zwischen L1 und L2 ist der
Grund für die normwidrigen Realisierungen der Distanzstellung in
der Verbalklammer (Kontaktstellung oder partielle
Distanzstellung). Es handelt sich dabei um eine Normwidrigkeit,
die bei einigen Lernern fossilisiert wird. Deswegen wäre es
wichtig, dass diese Struktur von Anfang an im grammatischen
Input vorhanden wäre. Die Konzentration auf diese Struktur kann
unter anderem ein hilfreiches Mittel sein, um die X-V-S-Struktur
in die didaktische Praxis einzuführen, ohne sich auf den Begriff
„Inversion“ zu beziehen, der – wie viele Studien gezeigt haben –
für die deutsche Sprache eigentlich nicht adäquat ist.
� E-Fragen: Bei den E-Fragen sollte vor allem betont werden, dass
das Italienische und das Deutsche verschiedene Verfahren haben,
um E-Fragen auszudrücken. In der deutschen Sprache ist die
Satzgliedstellung von Bedeutung, während die E-Fragen im
Italienischen vor allem durch die Intonation ausgedrückt werden.
Dieser Unterschied sollte vor allem in den Phonetik-Kursen
thematisiert werden.
� X-V-S-Struktur in Deklarativsätzen / Verbendstellung in
Nebensätzen: Dass der Erwerb dieser Strukturen in den letzten
Phasen noch immer nicht abgeschlossen ist, und dass sie
verwechselt werden, bedeutet, dass sie den italophonen
Studierenden besondere Lernschwierigkeiten bereiten. Es sollte
außerdem betont werden, dass die Interferenzen aus der L1 nicht
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41
nur bei der Stellung der Satzglieder, sondern oft auch bei der
Auswahl der Subjunktion auftreten:8 In einigen Fällen besitzt
nämlich die deutsche Sprache zwei Subjunktionen (Bsp. wenn und
als), während die italienische Sprache nur eine hat (quando). In
diesem Fall kann die kontrastive Perspektive ein hilfreiches Mittel
für die Vermittlung solcher Strukturen sein.
� Verbalmorphologie: Den italophonen Studierenden ist fast sofort
klar, dass es in der deutschen Sprache andere Mittel als im
Italienischen gibt, um die Subjekt-Verb-Kongruenz auszudrücken.
Es handelt sich hier um einen grammatischen Bereich, in dem die
Lerner eine gewisse Zeit brauchen, um dieses andere
Flexionssystem zu verinnerlichen.9 Die italophonen Studierenden
greifen nur zu bestimmten Zeitpunkten des Erwerbs der
Verbalmorphologie auf Strukturen der Muttersprache zurück: Das
passiert insbesondere bei der Auswahl des Modalverbs und des
Hilfsverbs in den Modalverbkomplexen bzw. Perfektbildungen.
Auch bei der Vermittlung und der Übung dieser Strukturen könnte
also die kontrastive Perspektive von Nutzen sein.
� Kasus-Deklination: Auch beim Erwerb der Kasus-Deklination
spielt die Muttersprache eine wichtige Rolle: Zunächst beim
8 Die Pisaner Daten bestätigen im Großteil die Ergebnisse der Untersuchung von Crespi Günter (1998) zum DaZ-Erwerb bei zwei italophonen Lernern. 9 In diesem Fall bestätigen die Pisaner Ergebnisse die Daten der Studie von Tschirner zum DaF-Erwerb bei amerikanischen Lernern des OPI-Niveaus, wonach „die Kongruenz sich unabhängig von der Reifung der Syntax entwickelt und damit auch unabhängig von Erwerbssequenzen ist. [...] Damit wäre sie ein Beispiel für grammatische Strukturen, die keinen Erwerbssequenzen unterliegen und die durch Unterricht beeinflussbar sind“ (Tschirner 1999, S. 238).
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Erwerb der verschiedenen Funktionen der Kasus, vor allem bei
jenen Studierenden, die in der Scuola Superiore nicht Latein
gelernt haben. Hier soll die kontrastive Perspektive dazu dienen,
zu erklären, welche Rolle die verschiedenen Kasus spielen. Die
Vermittlung dieser Kenntnisse kann nicht unabhängig vom Lernen
der Syntax erfolgen, da Kasus und Funktion der Satzglieder sehr
stark miteinander verbunden sind.
Die muttersprachenbezogenen didaktischen Empfehlungen lassen sich
folgendermaßen zusammenfassen:
- Einsatz der kontrastiven Perspektive bei der Vermittlung jener
grammatischen Strukturen der deutschen Sprache, bei deren
Verwendung die Lerner auf Strukturen der Muttersprache
zurückgreifen.
- Verwendung authentischer Texte (zum Lesen und Analysieren)
mit solchen Strukturen, die den Lernern in kontrastiver Hinsicht
Schwierigkeiten bereiten.
3.5. DAUER DER PHASEN, FOSSILISIERUNGEN UND
REGRESSIONEN
Bei den erwachsenen Universitätsstudierenden sind die ersten
Erwerbsphasen relativ kurz, weil sie innerhalb einer kürzeren
Zeitspanne einen Großteil der zielsprachlichen Strukturen benutzen,
wobei nicht alle Vorkommnisse normkonform sind. Dieses Phänomen
scheint mit kontextbezogenen Merkmalen zu korrelieren: Das Alter
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und insbesondere die kognitive Entwicklung der
Universitätsstudierenden, die auch über relativ gute metasprachliche
Kenntnisse verfügen, haben in diesem Zusammenhang einen positiven
Effekt: Die Pisaner Testpersonen lernen zumindest eine weitere
Fremdsprache; viele von ihnen haben in der Schule auch die
klassischen Sprachen gelernt und an der Universität besuchen sie
Lehrveranstaltungen zur allgemeinen und vergleichenden
Sprachwissenschaft, was ihnen sicherlich im Spracherwerbsprozess
zugute kommt. Die Altersvariable kann aber andererseits auch
negative Auswirkungen auf den Erwerbsprozess haben. Ab der
zweiten synchronen Phase kommen bei fast allen Studierenden
Fossilisierungen und Regressionen vor; bei manchen Lernern kommt
es im Erwerbsprozess sogar zu einem Stillstand, der sich nicht mehr
aufheben lässt. Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen für die
Unterrichtspraxis:
9. Der DaF-Unterricht soll die metasprachlichen Kenntnisse der
Studierenden durch die Reflexion über die Sprache aktivieren;
dies ist unter anderem auch ein Mittel, um Sprachbewusstheit
zu erlangen und kann vor allem in den Vorlesungen von
Lingua Tedesca thematisiert werden.
10. Es soll zunächst angenommen werden, dass Regressionen und
Fossilisierungen Bestandteil des Erwerbsprozesses sind, die in
unterschiedlichem Ausmaß bei allen Lernern auftreten.
Diesbezüglich soll die didaktische Praxis auch einen wichtigen
Punkt beachten, der wieder auf die allgemein gültigen
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Merkmale zurückverweist: Der Spracherwerbsprozess ist kein
in sich geschlossener Prozess. Auch wenn alle grammatischen
Strukturen schon behandelt worden sind, darf das Üben der
grammatischen Regeln nicht aufhören, eben um Regressions-
und Fossilisierungsphänomene zu vermeiden bzw. diese
zumindest einzuschränken. Ein weiterer Grund dafür, dass die
grammatischen Inhalte mehrmals wiederholt werden sollten,
ist die Tatsache, dass die Studierenden viel Zeit brauchen, um
die grammatischen Strukturen (vor allem die
Vergangenheitstempora bei der Verbalmorphologie, die
Inversion und die Verbendstellung bei der Satzgliedstellung
und die ganze Kasus-Deklination) zu verinnerlichen und
automatisieren. Die wiederholte Übung gibt den Lernern
gleichzeitig die Gelegenheit, ihren Wortschatz zu erweitern
und dadurch die Genuszuweisung zu üben, bei der es auch in
den letzten analysierten Phasen noch große Schwierigkeiten
gibt.
Die kontextbezogenen didaktischen Konsequenzen können wie folgt
zusammengefasst werden:
- theoretische Reflexion über die Sprache
- Verwendung von authentischen Texten, die die Besprechung
metasprachlicher Begriffe ermöglichen
- wiederholte Grammatikübung mit Erweiterung der Lexik zur
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Automatisierung.
FAZIT
Der vorliegende Beitrag beschreibt die Ergebnisse einer
Untersuchung, die zum DaF-Erwerb ausgewählter Strukturen der
deutschen Sprache bei italophonen Studierenden vorgenommen
wurde. Die dabei durchgeführte Analyse hat ergeben, dass auch bei
italophonen Lernern Erwerbsphasenabfolgen auftreten, die inneren
Dynamiken unterliegen, unabhängig von Unterrichtsprogression
ablaufen und durch den Sprachunterricht kaum beeinflusst werden
können.
Die empirische Analyse hat aber auch gezeigt, dass die Muttersprache
und andere Faktoren (vor allem Alter und kognitive Entwicklung) eine
wichtige Rolle im Erwerbsprozess spielen.
Aus den gewonnenen Ergebnissen wurden drei Typen von
didaktischen Konsequenzen für den DaF-Unterricht abgeleitet und
beschrieben: Empfehlungen für alle DaF-Lerner; Empfehlungen für
italophone DaF-Lerner und Empfehlungen für DaF-
Universitätsstudierende.
Obwohl diese Untersuchung wichtige Ergebnisse geliefert hat, sollte
die Beschreibung des DaF-Erwerbs bei italophonen Lernern noch
durch die Analyse einiger grammatischer Bereiche ergänzt werden,
d.h.: Genuszuweisung, Pluralmarkierung und Kasus-Deklination der
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Präpositionalphrasen. Im Anschluss daran wäre es sinnvoll, wenn
unter Berücksichtigung und mit Hilfe der gewonnenen Ergebnisse
angemessene didaktische Materialien erarbeitet würden, da der DaF-
Erwerb – wie die Forschung gezeigt hat – je nach Muttersprache
spezifische Merkmale aufweist. Auf jeden Fall sollte vermieden
werden, dass die Lehre des Deutschen als Fremdsprache sich auch
noch in Zukunft auf Forschungsergebnisse aus dem natürlichen
Erwerb oder aus dem Erwerb des Englischen als L2 stützt.
Sabrina Ballestracci
Dipartimento di Linguistica
Sezione di Tedesco
balestra@humnet.unipi.it
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