Post on 06-Apr-2016
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WirtschaftWirtschaftWirtschaftt tttttschafttschafttschafttschaft in Baden-WürttembergAusgabe 3 | 2014 Preis 3,20 Euro | 87639Ein Gemeinschaftsprodukt der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten
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Rund jeder zehnte Euro, den deutsche Konsumenten ausgeben, landet inzwischen im Online undVersandhandel – mit weiterhinsteigender Tendenz. Gleichzeitig
erhöhen neue Einkaufszentren den Druckauf alteingesessene Fachgeschäfte, vondenen viele schließen müssen. Mit welchenStrategien kann der traditionelle Einzelhandel auf die aktuellen Herausforderungen reagieren, und welche neuen Chancen tun sich für findige Unternehmer auf? Einachtseitiger Themenschwerpunkt in dieserAusgabe von Wirtschaft in BadenWürttemberg gibt Antworten.
So sieht etwa der Handelsexperte Thomas Roeb für klassische Bekleidungsgeschäfte keine Zukunft. „Sie können sowohl preislich als auch von der Art des Angebots
nicht mit der Konkurrenz mithalten“, sagt der Professor von der Hochschule BonnRheinSieg im Interview. Trotzdem hält Roeb den stationären Textileinzelhandelnicht für ein Auslaufmodell. Für Ketten wieH&M oder Zara, die schnell auf Trendsreagieren können, sieht Roeb weiter gute Perspektiven. Auch junge Leute wolltennicht nur online einkaufen, so der Experte.
Während viele Händler das Internet alsBedrohung ihres traditionellen Geschäftsmodells sehen, versuchen andere, mit derintelligenten Kombination von Onlineund OfflineAngeboten bei den Kunden zupunkten. Ein Beispiel dafür ist die Elektronikkette MediaMarkt, bei der man imInternet bestellen und die Ware in dernächsten Filiale abholen kann. Im Textilsektor verkaufen Hersteller wie Hugo Boss
oder Olymp einen wachsenden Teil ihrer Ware über eigene Shops – und machendamit den etablierten Modegeschäftenzusätzlich Konkurrenz.
Chancen für den stationären Einzelhandel sieht Björn Bloching, Senior Partnerbei Roland Berger Strategy Consultants,dagegen im datenbasierten Marketing –beispielsweise in sogenannten LocationBasedServices. Dabei wird der Kunde perGPS lokalisiert und erhält individuelle Angebote auf sein Smartphone, sobald er sich in der Nähe des entsprechenden Geschäfts befindet. „Verfügten vor zehn Jahren nurGroßunternehmen über die Ressourcenfür DataMining, so kann heute jeder Lieferservice datenbasiert Kundenbindungbetreiben“, sagt der Unternehmensberaterund Autor des Buchs „Data Unser“.
Wettbewerb ShoppingCenter und der boomende OnlineHandel setzen traditionelle Läden unter Druck. Doch der Umbruch in der Branche birgt auch Chancen für innovative Unternehmen. Von Werner Ludwig
Der Kampf um Kunden
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Konsum Die alte Erfolgsformel
gilt weiter: Wer erfolgreich sein
will, muss Einkaufen zum Erlebnis
machen. Von Thomas Thieme
Erst staunen, dann kaufen
Neunundneunzig Euro und neunundneunzig Cent kostet ein stationärer Laden, wenn man ihn online
bei Amazon bestellt – Lieferung inbegriffen. Der Kaufladen „Tante Emma“ mit viel Zubehör ist für Kinder ab drei Jahren geeignet und bietet laut Beschreibung alles,„was das Herz unserer kleinen Kaufleute höherschlagen lässt“: Ladentheke, Regalund Reklametafel aus Holz, dazu verschiedene Markenprodukte und einen Einkaufswagen im Miniaturformat. Im Spielzeugladen ist also vieles noch so, wie es frühereinmal war – ganz im Gegensatz zur realenEinzelhandelswelt, die mächtig in Bewegung geraten ist.
Die Branche sortiert sich von Grund aufneu. Schlagworte wie Niedergang des Fachhandels, Untergang der Warenhäuser, Ladensterben und Verödung der Fußgängerzonen beschreiben die negativen Folgen. Ihnen gegenüber stehen der OnlineBoom,die Expansion der Textilketten und der Siegeszug der innerstädtischen Einkaufszentren. Die unterschiedlichsten Konzepte –vom FastFashionDiscounter bis zumgehobenen Luxusanbieter – ringen angestrengt um Marktanteile. Gleichzeitigschrumpft das Stückvom großen Kuchen,das die Handelskonzerne und zunehmend auch die Industrieunter sich aufteilen, immer weiter: Während der Anteil des Einzelhandels an denprivaten Konsumausgaben 2003 nochknapp 34 Prozent betrug, waren es zehnJahre später nur noch 29 Prozent.
Die Deutschen kaufen zwar nach wie vorgern ein, allerdings steigen ihre Ausgabenfür Wohnen, Energie und Verkehr kontinuierlich. Und auch die nächste Urlaubsreiseoder das neue Auto schmälern das Budget, das sonst in den Kassen des Einzelhandels landen würde. Nun ist die Bereitschaft, fürWaren des täglichen Bedarfs tief in die Tasche zu greifen, hierzulande ohnehin nicht sonderlich stark ausgeprägt. Da kam dasInternet mit seiner einfachen Preisvergleichsfunktion gerade recht. Flankiert von„Geiz ist geil“Kampagnen hat es die Deutschen zu echten Sparfüchsen erzogen.
Dabei ist etwas auf der Strecke geblieben,das die eingangs erwähnten kleinen Kaufleute noch an ihren Läden zu schätzen wissen und das ein echtes Entscheidungskriterium sein kann: das Einkaufserlebnis. Darauf besinnt sich der Handel nun wieder.Wahrscheinlich zu spät, um den Trend zumbequemen OnlineShopping umzukehren.Aber vielleicht noch rechtzeitig, um Kundeneine Alternative zu bieten, die nicht auf Service und Beratung verzichten wollen odereinfach lieber an echten Schaufenstern vorbeibummeln, als im Netz zu surfen und imPaketboten den einzigen menschlichenKontakt zur Handelswelt zu haben.
Einkaufslust bei den Kunden zu erzeugen, ist übrigens kein neuer Trend, sondernziemlich altmodisch: Schon als Ende des 19.Jahrhunderts die ersten großen Warenhäuser wie Karstadt, Tietz oder Wertheimihre Türen öffneten, stand das Staunen vordem Kaufen. Die neue Kaufhauswelt machte Erwachsene wieder zu Kindern. Auch wer im Handel des 21. Jahrhunderts erfolgreich sein will, kommt an dieser bewährtenErfolgsformel nicht vorbei.
Editorial
EinzelhandelEine Traditionsbranche sucht nach neuen Wegen. SCHWERPUNKT SEITE 1 BIS 8
Harte SaniererInterimsmanager werden immer jünger. SEITE 11
Unentbehrlich Der Finanzplatz Stuttgart pusht das Wachstum. SEITE 27
Internet und „Geiz ist geil“Kampagnen haben die Deutschen zu Sparfüchsen erzogen.
Illustration: Malte Knaack
Inhalt
Die Macher der BranchePorträts Handelskonzerne aus BadenWürttemberg mischen in vielen Marktsegmenten ganz vorn mit. Die Erfolgsgeschichten dieser Unternehmen hängen eng mit den Managerpersönlichkeiten an der Spitze zusammen. Eine kleine Auswahl.
Willy Oergel
Mode und LifestyleFachmannAn jedem zweiten Samstag im Monat steht ein großer, elegant gekleideter Mannauf der Verkaufsfläche eines BreuningerKaufhauses irgendwo in Deutschland,der im Hauptberuf das Unternehmen leitet. „Ich möchte den Kontakt zu unseren Kunden nicht verlieren“, sagt Willy Oergel. Der gebürtige Stuttgarter, Jahrgang 1952, feiert gerade sein 30JahrDienstjubiläum bei der Warenhauskette. Seit September 2012 ist er Geschäftsführer des schwäbischen Traditionsunternehmens, dessen Geschichte bis ins Jahr 1881 zurückreicht. Oergel ist verheiratet und Vater eines erwachsenen Sohnes. Er will Breuninger als Experten für Mode und LifestyleFragen etablieren und orientiert sich dabei an renommierten Warenhausketten in England (Selfridges, Harrods), Frankreich (GaleriesLafayette) oder den USA (Macy’s). Auch beim Thema Service hat der Manager,der einst von der SteigenbergerHotelgruppe ins Warenhausgeschäft wechselte, hohe Ansprüche. So gerät er regelrecht ins Schwärmen, wenn er von einemnächtlichen Einkaufsbummel in New York berichtet, bei dem ihm ein AppleMitarbeiter kompetent sein neues iPhone programmiert hat. tht
Dieter Schwarz
Stiller KonzerngründerDie Pressestelle der SchwarzGruppe bestätigt die Tatsache, dass Dieter Schwarz am 24. September2014 seinen 75. Geburtstag gefeiert hat. Mehr Informationen förderte eine Anfrage der Nachrichtenagentur dpa nach dem Jubilar nicht zu Tage.Wieso auch sollte die stille Unternehmerlegendeauf ihre alten Tage mehr von sich preisgeben als in dem Dreivierteljahrhundert davor? Was man weiß:Schwarz ist verheiratet und hat zwei Kinder. Erengagiert sich als Mäzen, seine Stiftung fördertBildung, Erziehung, Wissenschaft und Forschung.Die ihn persönlich kennen, loben sein bescheidenes Auftreten. Ansonsten schweigen auch sie. Einwenig überrascht hat Dieter Schwarz, Gründerdes Lebensmitteldiscounters Lidl und Vater einesmilliardenschweren Handelsimperiums, in diesemJahr dennoch, indem er eine öffentliche Wahlempfehlung für Harry Mergel abgab. Der SPDMann wurde im Mai zum Heilbronner Oberbürgermeister gewählt. Ob er am 24. September gemeinsammit Schwarz auf ein ereignisreiches Jahr angestoßen hat, ist freilich nicht überliefert. tht
Foto
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Erich Harsch und Götz Werner
Vertrauen in die MitarbeiterEin schweres Erbe hat der gebürtige Wiener Erich Harsch, Jahrgang 1961, imMai 2008 angetreten, als er die Leitung der Drogeriemarktkette DM von derenGründer Götz Werner übernahm. In den dreieinhalb Jahrzehnten zuvor hatte Werner ein Stück deutsche Handelsgeschichte geschrieben. Die Karlsruherwaren lange die Nummer zwei im deutschen Drogeriemarkt und stiegen nachder Pleite Anton Schleckers zum Marktführer auf. Anders als der knausrigeKonkurrent gestand Götz Werner seinen Mitarbeitern ein hohes Maß an Eigenverantwortung zu. Der Profit stand bei ihm nie an allererster Stelle. Harsch, seit1981 im Unternehmen, war bereits von 2004 an Werners Stellvertreter. Nachseinem Wechsel an die DMSpitze setzte er sowohl den Führungsstil als auchden Erfolgskurs seines Vorgängers fort. Heute arbeiten rund 50 000 Beschäftigte in 3000 DMFilialen. Die Renditeziele verliert der Vater eines Sohnes undeiner Tochter bei aller Fairness gegenüber seinen Beschäftigten nicht aus denAugen: ein Prozent müsse am Ende des Jahres erreicht werden, verlangtHarsch, zuletzt tendierte die Rendite eher gegen zwei Prozent. tht
ClausDietrich Lahrs
Weit gereister ManagerDieser Mann kennt sich mit Luxus aus: Cartier, Louis Vuitton und Christian Dior waren die letztendrei Karrierestationen von ClausDietrich Lahrs, bevor er seinen Lebensmittelpunkt im Mai 2008 von Paris nach Metzingen verlagerte. Der 51Jährige führt seither den schwäbischen ModekonzernHugo Boss – mit Erfolg, wie Unternehmenszahlenund Aktienkursentwicklung belegen. Die positive Entwicklung hängt nicht zuletzt damit zusammen,dass der Hersteller Hugo Boss sich unter Lahrs miteigenen Shops immer stärker selbst im Einzelhandel engagiert hat. Der gebürtige Bielefelder ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die längste Zeit seiner beruflichen Laufbahn, rund 17 Jahre, hat Lahrsin Frankreich verbracht. Doch auch die USA zählten zu den Stationen, auf denen ihn seine Frau stets begleitet hat. „Ich wollte nie mein Leben langan einem Ort bleiben. In einer globalen Welt mussman ohnehin mobil sein, wenn man vorankommen will“, sagte Lahrs einmal. Wie mobil die Familie war, offenbarte er kurz nach seinem Einstieg beiBoss: 18mal sei er schon umgezogen. tht
Trends
Handel im digitalen WandelDie Branche erlebt einen tiefgreifenden Umbruch.Das spornt viele Anbieter an, neue Wege zu gehen. SEITE 4/5
Interview
Nicht alle wollen nur online kaufenDer Wissenschaftler Thomas Roeb sieht weiter Chancen für den stationären Handel – wenn die Strategie stimmt. SEITE 3
Pro & Kontra
OnlineShopping: Segen oder Fluch?Zwei StZRedakteurinnen debattieren aus Kundensicht überVor und Nachteile des Einkaufens per Internet. SEITE 8
Berufsporträt
Experten für Geld und TechnikWirtschaftsingenieure sind in Firmen gefragt – das Aufgabenspektrum ist fast unerschöpflich. SEITE 12/13
Arbeitsrecht
Achtung, ausgebootet!Ein Experte erklärt, was Geschäftsführer beachten sollten, wenn sie in Ungnade gefallen sind. SEITE 10
Fallbeispiele
Wie Gründer aus Misserfolgen lernenNicht jede Gründung kann am Markt bestehen. In jedem Fall sammeln die Beteiligten wertvolle Erfahrungen. SEITE 20/21
Interview
Finanzspritze für junge UnternehmerSo will Wirtschaftsminister Schmid mit Wagniskapitaleine ExistenzgründerInitiative starten. SEITE 26
Tipps zur Geldanlage
Kein massentaugliches ModellDie Bundesregierung will die Anlageberatung auf Honorarbasis stärken. Was bringt dieses Gesetz? SEITE 28
Schutz der Anleger
Papier ist geduldigVerbraucherschützer warnen: Die Beratungsprotokolle von Banken sind oft katastrophal schlecht. SEITE 29
Private Finanzen
Unternehmensgewinn richtig angelegtIn der Firma belassen oder herausziehen? Bei der Verwendung des Gewinns kommt es auf Details an. SEITE 14
Interview
Gesucht: der ehrliche KaufmannEin hartes Vorgehen gegen Wirtschaftskriminalität zahlt sich für Firmen aus, sagt Steffen Salvenmoser von PwC. SEITE 17
Compliance
Daimler setzt auf WhistleblowerVorstandsmitglied Christine HohmannDennhardt erklärt, wie der Konzern gegen Korruption vorgeht. SEITE 18
Finanzierung
Die Qual der WahlEs gibt für Unternehmen viele Wege, an Kapital zu kommen. Doch welcher ist
für wen der richtige? SEITE 23
Ausgefragt
Am DrückerSusanne Kunschert, CoChefin undMiteignerin des ElektronikspezialistenPilz, erzählt, was sie antreibt. SEITE 16
Markenshops
Hersteller als VerkäuferModeproduzenten wie Hugo Boss oderOlymp setzen verstärkt auf eigene Läden– zu Lasten des Großhandels. SEITE 7
Chefredakteure Joachim Dorfs, Dr. Christoph Reisinger
Leitung Michael Heller, Klaus Köster
Redaktion Imelda Flaig, Werner Ludwig, Walther Rosenberger
Gestaltung/Produktion Sebastian Klöpfer, Milena Lenz,Bernd Fischer, Dirk Steininger
EMail: redaktion@wirtschaftinbw.de Telefon: 07 11 / 72 05 – 12 11 und 07 11 / 72 05 – 74 01Internet: www.wirtschaftinbw.de„Wirtschaft in BadenWürttemberg“ ist ein Produkt der Stuttgarter Zeitung Verlagsgesellschaft mbH / Stuttgarter Nachrichten Verlagsgesellschaft mbH
Anzeigen Marc Becker (verantw.)Stuttgarter Zeitung Werbevermarktung GmbH, Plieninger Str. 150, 70567 StuttgartTelefon: 0711/72 05 – 16 03
Druck Pressehaus Stuttgart Druck GmbH, Plieninger Str. 150, 70567 StuttgartTelefon: 07 11 / 72 05 – 0
Impressum
Abercrombie & Fitch 7Adidas 7Air Berlin 16Aldi 3, 4/5Alko 16Alnatura 4/5Amazon 3, 4/5Apple 2Atreus 11Aurubis 16Aventis 16Bauhaus 4/5Bilfinger 19Blackstone 24Börse Stuttgart 29, 31Börse Stuttgart Cats 29Breuninger 2, 3Bürgschaftsbank BW 30Buy or Burn 20/21C&A 4/5Capmarcon 23Carl Zeiss 16Cartier 2
Karstadt 1, 3Kaufhof 3Kaufland 4/5Kik 3, 4/5KKR 24KfW 30KPMG 23Kreissparkasse OstAlb 30LBank 26, 30, 31Leicht Küchen 30Lidl 2, 4/5Linde 12/13Louis Vuitton 2, 7Ludwig Heuse 11Macy’s 2Mammut 7Management Angels 11Massimo Dutti 4/5Max Bahr 4/5MediaMarkt 1, 4/5Metro 4/5Mörk 19Müller 4/5Mustang 7My Couchbox 20/21North Face 7Obi 4/5Olymp 7Otto 4/5Peek&Cloppenburg 3Penneys 4/5Penny 4/5Permira 24Pilz 16Prada 3Praktiker 4/5PricewaterhouseCoopers 17, 19, 24Primark 3, 4/5
Pull&Bear 4/5Quirin Bank 28Rewe 3, 4/5Rocket Internet 20/21Roland Berger 1, 3, 4/5Rossmann 4/5, 7S.Oliver 3Sales & Solutions 16SAP 12/13, 16Saturn 4/5Schlecker 2, 4/5SchwarzGruppe 2, 4/5Selfridges 2Solo Kleinmotoren 16Sparkassenversicherung 26Startupmoney.com 20/21Steigenberger 2Strenesse 7Stuttgart Financial 25, 31Takko 4/5Task Force 11Tchibo 3Telekom 3Tritschler 7Vana 20/21Vaude 7VR Schwäbisch Gmünd 30Volksbank Stuttgart 27Weekday 4/5Thümmel, Schütze und Partner 10Wirtschaftswoche 20/21Wittwer 7WMF 16Würth 2Württ. Versicherung 26Zalando 3, 4/5Zara 1, 3, 4/5Züblin 19
Allmendinger, Martin 20/21Alter, Roland 4/5,7Aumiller, Meinrad 7Axt, Dietmar 7Baumgärtner, Markus 16Bezner, Mark 7Birnbaum, Günther 29Bloching, Björn 1, 4/5Boschan, Christoph 29Burghof, HansPeter 29, 31Chmel, Andreas 10Dittmann, Uwe 12/13Ecclestone, Bernie 18Eicher, Iris 9Engelhardt, Andreas 16Freeh, Louis 18Friedmann, Robert 2Fritz, Uwe 16Genth, Stefan 4/5Glaser, Roman 27Gollner, Christian 4/5Griggel, Marc 16Haide, Sarah 20/21Harsch, Erich 2Herb, Wolfgang 18Hesse, Jürgen 9Hirschberg, Jürgen 16HohmannDennhardt, Christine 18Hornbach, Albrecht 4/5Horstmann, Malte 20/21Horstmann, Olaf 20/21Jost, Steffen 4/5Kirsch, Wolfgang 4/5Klapproth, Thorsten 16Knothe, Björn 11Kovacevic, Dragana 19Kreher, Markus 23
Kunschert, Susanne 16Lahrs, ClausDietrich 2,7Lipke, Thomas 7Mangold, PeterMichael 28Maas, Heiko 29Marriott, Greg 11Mausbeck, Dirk 16Mehrabian, Albert 9Mergel, Harry 2Mohn, Dorothea 29Mörk, Georg 19Müntefering, Franz 24Nauhauser, Nils 28Neumann, Rainer 16Nuoy, Daniéle 27Oergel, Willy 2Pilz, Renate 16Pilz, Thomas 16Prion, Willi 12/13Quitmann, HansAchim 16Rausch, KarlFriedrich 12/13Reitzenstein, Michael 12/13Reitzenstein, Nicola 12/13Reitzle, Wolfgang 12/13Riekhof, HansChristian 7Roeb, Thomas 1, 3Salvenmoser, Steffen 17Sander, Daniel 12/13Sapper, Elke 9Schäfer, Matthias 19Scheerer, Patrick 31Schmid, Nils 25, 26Schnatz, Frank 16Schneider, Peter 27Schorr, Gerhard 27Schwarz, Dieter 2Stangohr, Siegfried 30Stober, Rolf 19
Sturz, Dirk 25Tromp, Stephan 4/5Tüngler, Marc 29Uebber, Bodo 12/13Waldenmaier, Stefan 30Walter, Clemens 20/21Werner, Götz 2Will, Joachim 4/5Wulf, Christian 16Würth, Reinhold 2Wüst, Peter 4/5zu Guttenberg, Karl Theodor 9
Personen
Unternehmen
Index
Robert Friedmann
Würths junger Tiger Der Sprecher der Konzernführung der Künzelsauer WürthGruppe ist zwar Verkäufer, aber keinTausendsassa mit marktschreierischem Auftreten.Robert Friedmann wirkt eher ruhig und bedächtig.Die Welt hat der Chef des weltweit größten Schraubenhändlers zwar gesehen – doch auch bei Kinderfreizeiten in Heilbronn war er schon anzutreffen.Trotz seiner ruhigen Art gilt Friedmann als durchsetzungsstark. Dies sowie die Mischung aus Bodenständigkeit und Weltläufigkeit schätzt auch Reinhold Würth. Der Firmengründer zählte ihn früher zu seinen „jungen Tigern“ und machte ihn 2005zum Chef einer Gruppe, die 2014 mit 65 000 Mitarbeitern einen Umsatz von zehn Milliarden Euroanstrebt. Geboren wurde der verheiratete Vater zweier Kinder 1966 in Lindau, nach dem Studiumbegann er seine Arbeit bei der WürthGruppe. Führungserfahrung sammelte er bei einer Tochtergesellschaft, dem Werkzeughändler Hahn & Kolb.Zwei wichtige Aufgaben werden der weitere Ausbau der Vertriebswege, aber auch die Aktivitätenabseits des Schraubenhandels sein. ey
Christian Dior 2Citigroup 29Commerzbank 30COS 4/5Daimler 12/13, 18Degussa Goldhandel 31Dennree 4/5DB Mobility Logistics 12/13Division One 11DM 2, 3, 4/5DSAG 16Dürr 16Edeka 3, 4/5EnBW 16Enpatech 20/21Ernst & Young 16Esprit 3Flughafen Friedrichshafen 16Flughafen Stuttgart 16Galeries Lafayette 2Gasversorgung Süddeutschland 16Globetrotter 7Goldman Sachs 24Gucci 3Gust 20/21H&M 1, 3, 4/5Hahn & Kolb 2Hansgrohe 16Harrods 2haufe.de 14Hochland 7Holcim 12/13Hollister 7Holtzbrinck Ventures 20/21Hugo Boss 1, 2, 3, 4/5, 7Inditex 4/5ISS Facility Services 12/13Jack Wolfskin 7
2 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
diesen Kleidern zu relativ niedrigen Preisen befriedigen.
Weil sie Massenware zu niedrigen Löhnenund unter fragwürdigen Arbeitsbedingungen produzieren lassen.Klar können die Gutmenschen jetzt wiederaufschreien und beklagen, dass unserWohlstand auf der Ausbeutung derjenigen fußt, die unsere Kleider billig in Asienschneidern. Niemand hindert sie am Kauf „fair“ produzierter Ware. Ansonsten ist esaber doch so: wenn es die Ketten nicht gäbe,würden die Arbeiter für weniger Lohnschlechtere Tätigkeiten verrichten, zumBeispiel 14 Stunden am Tag knietief imReisfeld stehen oder die Frauen würden indie Prostitution gezwungen.
Die Kunden wollen vielleicht nicht unbedingt ethisch korrekt einkaufen, aber siewünschen sich mehr Service und bessereBeratung, als sie es in den Textilgeschäftenoft vorfinden. Dafür stand der Fachhandel inder Vergangenheit.Die Kunden! Welche Kunden? Wenn Sie zuH&M gehen und eine fachkundige Beratung erwarten, sind Sie selbst schuld. Die Kunden lieben es, wie es ist, in Deutschlandmehr als überall sonst auf der Welt. Außerdem bekommen Sie immer noch Beratung:in den Warenhäusern wie Kaufhof oderKarstadt und vor allem in den Textilkaufhäusern wie P&C oder Breuninger. Derkommt doch sogar aus Stuttgart. Im Übrigen muss man doch auch einmal einessehen: alle Anbieter aus dem gehobenenKaufhausSegment zusammengenommensind nicht einmal so groß wie H&M alleine.
In Stuttgart haben im Herbst zwei große ShoppingMalls am Rande der Innenstadteröffnet. Kann dieses auch nicht mehr ganz neue Modell aus den USA die Zukunft des Einzelhandels in Deutschland bedeuten?Zumindest bieten sie auch Platz für diekleineren Geschäfte, die sich die Fußgängerzone nicht mehr leisten können. Das istein Teil der Strategie dieser Einkaufszentren. Weil die CenterBetreiber die kompletten Verkaufsflächen vermarkten,können sie ganz anders kalkulieren als dieVermieter in den Fußgängerzonen. Um die Attraktivität des Centers zu erhöhen, holensie auch kleinere Geschäfte hinein. Besitzer von innerstädtischen Einzelimmobilien werden dagegen immer den Mieter bevorzugen, der ihnen die höchsten Einnahmen verspricht. Und die Mietpreise in denFußgängerzonen der Metropolen steigenweiter. Auch in der Kölner Innenstadthaben gerade auf einen Schlag zwei alteingesessene Fachgeschäfte geschlossen.In eines der Gebäude ist ein TelekomShopeingezogen. Was aus dem anderen wird, ist noch nicht klar.
Wahrscheinlich ein Backshop oder ein Wettbüro. Müssen wir uns damit abfinden, dass
„Nicht alle wollen nur online kaufen“
Große ShoppingMals machendem traditionellen Einzelhandelimmer mehr Konkurrenz. Auf deranderen Seite böten sie kleinenGeschäften, die sich die Mieten
in den Innenstädten nicht mehr leisten können, neue Chancen, meint Thomas Roeb, der Professor für Handelsbetriebslehre an derHochschule BonnRheinSieg.
Herr Roeb, was würden Sie einem gutenFreund raten, der ein Einzelhandelsgeschäfteröffnen möchte?Ich würde sagen, das ist eine tolle Idee.Aber wir müssten noch darüber reden, waser verkaufen möchte. Es spricht überhauptnichts dagegen, eine Partnerschaft miteinem erfolgreichen FranchiseUnternehmen einzugehen und beispielsweise einenRewe oder EdekaSupermarkt aufzumachen. Ein ehemaliger Student von mirbetreibt erfolgreich einen EdekaLaden.Er hatte zuvor mehrere Jahre lang in derKonzernzentrale gearbeitet.
Wie sieht es denn mit einem Bekleidungsfachgeschäft aus?Davon würde ich dringend abraten. Daswar vielleicht in den siebziger Jahren einegute Idee, als Erwin Lindemann im berühmten LoriotSketch mit seiner Tochtereine Herrenboutique in Wuppertal eröffnen wollte. Heute ist der inhabergeführte Modefachhandel nicht mehr populär.
Woran liegt das?Die Läden sind einfach nicht mehr wettbewerbsfähig. Es gibt sie ja auch kaum
noch. Gehen Sie doch maldurch die Innenstädte inKöln, München oderStuttgart, da müssen sieschon gezielt danachsuchen. Sie hätten michvor 20 Jahren darauf ansprechen sollen, dann hätte man noch Gegenstrategien entwickeln können.Nun ist es zu spät. DieKunden wollen diese kleinen Läden nicht mehr.
Es gibt etliche Menschen,die das Ladensterben indeutschen Städten lautstark beklagen.Die gleichen Menschen,die darüber jammern,
kaufen doch selbst nicht mehr in diesenGeschäften ein. Es gibt einen einfachenGrund, weshalb die Fachgeschäfte verschwinden: Sie können sowohl preislich alsauch von der Art des Angebots nicht mit derKonkurrenz mithalten. Die großen, vertikal integrierten Ketten wie H&M, Zaraoder Primark haben zwei wichtige Fähigkeiten: Sie können sehr schnell auf Modetrends reagieren und die Nachfrage nach
auch die wenigen noch verbliebenen kleinenLäden aus den Innenstädten verschwindenund damit auch der letzte Funken an Individualität verloren geht?Das mag vielleicht für einen Pessimistenwie Sie so erscheinen, aber die Mehrzahlder Menschen geht weiter dahin.
Oder sie gehen ins Internet. Um die Kundentobt ein heftiger Kampf der Händler. KönnenSie uns den typischen ModeKunden etwasnäherbringen?Diesen Kunden gibt es nicht. Man könnteversuchen, ihn anhand der Größe seinesGeldbeutels zu charakterisieren. Dannreicht die Palette von Kik über H&M undPeek&Cloppenburg bis zu Gucci und Prada.Allerdings lassen sich die Gruppen nichtklar voneinander abgrenzen. Ein gutes Beispiel für den „hybriden Kunden“ ist Aldi: Durch seine extrem breite Aufstellunggelingt es dem Discounter, mit seinenTextilien auch Kunden anzusprechen, die normalerweise keine Produkte im Billigsegment erwerben würden. Ich selbst kaufedort zum Beispiel Kindersachen ein. Auchbei meinen Studenten beobachte ich, dassie oft einen teuren Pulli etwa von Hugo Boss mit einem preiswerteren Artikelvon H&M kombinieren. Die ökonomischenZwänge, die der Einkaufsstättenwahl zugrunde liegen, lassen sich allerdings nichtvöllig ausschalten.
Das macht es dem Händler nicht geradeleicht, die richtige Strategie zu finden.Der Textilbereich ist auch kompliziert. Erfunktioniert in erster Linie nach Markenprinzipien. Dabei spielt das Image eine vielgrößere Rolle als etwa im Lebensmittelbereich. Es gibt Kunden, die 70 oder 80 Prozent ihres Bedarfs an Nahrungsmitteln in einer Supermarktkette decken. Im Textilbereich werden Sie dagegen kaum jemanden finden, der seine Kleider ausschließlich bei Esprit oder bei S.Oliver kauft. DieStreuung ist viel breiter. Das heißt abernicht, dass der Händler nicht relativ genauwüsste, wie sein Kunde aussieht. Nur dasssein Kunde eben auch noch Kunde beianderen Händlern ist.
Mehr als 20 Prozent der Kleidungskäufewerden bereits vom Paketboten an die Haustür geliefert. Wieso trifft die Abwanderungins Netz die Warenhäuser stärker als dieModeketten, die doch eine viel jüngere Zielgruppe ansprechen und daher die OnlineKonkurrenz viel stärker spüren müssten?Die Krise der Warenhäuser allein mit demAufkommen des OnlineHandels zu begründen, wäre zu kurz gegriffen. Diese Krise ist schon 30 Jahre alt, und trotzdem gibtes die Warenhäuser noch. Daran sehen Sie,was für ein statisches Geschäft der Einzelhandel sein kann. Es stimmt auch nicht,dass die jungen Konsumenten sukzessivedazu übergehen, nur noch online einzukaufen. Aus Gesprächen mit meinen Studenten
weiß ich, dass sie durchaus sehr bewusstgemischt online und offline einkaufen.
Werden wir also nicht irgendwann alle unsere Einkäufe im Internet erledigen?In den nächsten 20 Jahren ist das ausmehreren Gründen nicht zu erwarten. Zumeinen bietet online aktuell nicht dasselbeEinkaufserlebnis wie offline. Auch diepraktischen Vorteile beim Einkauf im stationären Handel überwiegen: Sie habeneine viel größere Auswahl an Kleidungsstücken, die sie anfassen undanprobieren können, undsie können die Farben imLaden besser erkennenals auf Fotos im Internet.Der dritte und aus meinerSicht sogar wichtigsteAspekt ist der, dass derOnlineVertrieb nichtunbedingt günstiger ist.Zalando ist ja auch nuräußerst mühsam in dieGewinnzone gekrochen.
Sie meinen, die Konzentration auf den stationärenVertrieb kann auch eine erfolgreiche Strategie sein?Große Filialisten wie Zaraoder H&M stehen dafür.Sie betreiben kein nennenswertes OnlineGeschäft, weil es für siebetriebswirtschaftlich wenig Sinn macht.Ihre Filialen sind so stark frequentiert, dieFlächenproduktivität ist so hoch, dass dieRaumkosten deutlich geringer sind, als esdie Transportkosten bei einem OnlineVersandhandel wären.
Der technische Fortschritt ist rasant. Die vonIhnen beschriebenen Rahmenbedingungenkönnten sich ändern.Vielleicht bekommen wir irgendwann einmal alle unser Klamotten mit Drohnennach Hause geliefert. Und diese Lieferungen kosten nichts, weil die Drohnen zu Hunderttausenden oder Millionen billig produziert werden können. Aber das ist imMoment nicht abzusehen.
Konzerne wie Amazon oder Zalando haben die Märkte in den letzten Jahren umgekrempelt. Könnte es einem Neueinsteiger in absehbarer Zeit gelingen, sie von ihren Spitzenpositionen zu verdrängen?Wer jetzt noch einen reinen OnlineShopfür Kleidung aufmacht, hat nur geringeChancen, weil schon alle anderen da sind.Aber man sollte niemals nie sagen. DieEinstiegsbarrieren sind relativ niedrig.Vielleicht steht der nächste Amazon oderZalando ja bereits in den Startlöchern,möglicherweise sogar ohne zu wissen, dasser mal ganz oben landen wird.
Das Gespräch führte Thomas Thieme.
Interview Der inhabergeführte Modefachhandel ist nach Ansicht des Handelsexperten Thomas Roeb ein Auslaufmodell. Die Zukunft gehört nach seiner Ansicht großen Textilketten wie H&M, Zara oder Primark, für die der stationäre Handel weiterhin eine zentrale Rolle spielt.
Zara und andere große Modeketten können schnell auf neue Trends reagieren und mit niedrigen Preisen punkten – zum Leidwesen traditioneller Bekleidungsgeschäfte. Fotos: dpa
HANDELSEXPERTEPosition Thomas Roeb, Jahrgang 1964, vertritt seit 1998 das Fach Handelsbetriebslehre an der Hochschule BonnRheinSieg.
Erfahrung Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre und Geschichte in Bayreuth und Trier arbeitete Roeb zunächst für den Lebensmitteldiscounter Aldi Süd und die Unternehmensberatung Roland Berger.
Beratung Parallel zu seiner Lehrtätigkeit berät Roeb verschiedene Handelsunternehmen, darunter die Drogeriemarktkette DM und Tchibo. tht
„Die gleichen Menschen, die darüber jammern, kaufen doch selbst nicht mehrin diesen Geschäften ein.“Thomas Roeb über das Ladensterben
3Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
4 Wirtschaft in Baden-Württemberg 5Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
Einkaufszentrensind die neuen KonsumtempelDie klassischen Warenhäuserwerden in die Zange genommen: von innerstädtischen Einkaufszentren auf der einen Seite und von OnlineHändlern aufder anderen. Die einen stehenfür Erlebnisshopping, die anderen für preis und vergleichsorientiertes Einkaufen. Einspannendes Event wollen moderne Einkaufszentren wie Milaneo und Gerber in Stuttgartoder die Mall of Berlin am Leipziger Platz in der Bundeshauptstadt ihren Kunden bieten.
„Alles was neu ist, übt ersteinmal einen enormen Reizaus“, sagt der Handelsexperte Roland Alter. Warenhäuserhätten auch einmal als neueEinkaufswelt gegolten, nichtohne Grund habe man sieals Konsumtempel bezeichnet.Doch mittlerweile seien sie ineinem fortgeschrittenen Stadium ihres Lebenszyklus angelangt. Alter spricht von „Reife“
oder „Rückgang“ – freundlicheUmschreibungen für etwas, was man auch als Kaufhaussterben bezeichnen könnte.
Ein Alleinstellungsmerkmalder Häuser war die große Auswahl. Sie ist nach wie vor einwichtiges Argument für Kunden, sich für ein Geschäft zuentscheiden. Die größte Produktvielfalt wird heute allerdings im OnlineHandel geboten. „Hier können sie einebreite Warenwelt im direktenVergleich sehen“, sagt Alter.
Die persönliche Beratungwerde zudem immer mehrdurch Konsumentenbewertungen im Netz ersetzt. „Mit einbisschen Glück können Sie sagen: wenn ich einem schlechtausgebildeten Verkäufer gegenüberstehe, werde ich wenigerals bei einer Internetrechercheerfahren, bei der ich mir Produktvergleiche und bewertungen anschaue.“
Die vertikalen Textilketten bleiben auf der ÜberholspurKeinen Grund zu klagen habendie sogenannten vertikalenTextilketten, die die gesamteWertschöpfungskette – vom Entwurf über die Produktionbis zur Warenpräsentation – kontrollieren und so teure Vertriebs und Vermarktungsstufen überspringen. H&M, Zara und C&A, aber auch Billigketten wie Kik und Takko behaupten sich im harten Preiswettbewerb. Mit rasch wechselndenKollektionen und niedrigenPreisen setzen sie überwiegendauf junge Kunden, für die dieKleider zum massenhaftenKonsumgut geworden sind.
2009 ist noch ein ambitionierter FastFashionAnbieter
in den deutschen Markt eingestiegen: der irische ModeDiscounter Primark. Ende November eröffnet das Unternehmen,das in seiner Heimat unter demNamen Penneys bekannt ist,in Dresden seine 14. deutsche Filiale. Erreichen die Iren ihrZiel, in jeder Stadt mit mehr als200 000 Einwohnern wenigstens einmal vertreten zu sein,wären es 40 Standorte odermehr. Dann könnten sie an derDominanz von H&M und Inditex (Zara) rütteln. Die Schweden und die Spanier prägendie Fußgängerzonen mit ihrenStammgeschäften und mitTöchtern wie Massimo Dutti,Pull&Bear, COS oder Weekday.
Die Grenzen zwischenon und offline fallenAuf der Suche nach „neuenWegen, die Online und die OfflineWelt zu einem neuen Einkaufserlebnis“ zu verbinden,befindet sich MediaMarktnach den Worten seinesDeutschlandchefs Wolfgang Kirsch. Eine ungewöhnlicheForm der Vernetzung wird derzeit am Firmensitz in Ingolstadt getestet. Dafür müssenKunden nicht einmal ihr Autoverlassen: Sie können ihre per Laptop, Tablet oder Smartphone georderten Waren direktam DriveinSchalter abholen.
Das bewährte Prinzip vonFastFoodKetten wird einfach auf Elektroartikel übertragen.So sparen sich die Kunden imVergleich zum OnlineEinkaufdas Warten auf die Lieferungund mögliche Versandkosten.Vom stationären Einkaufunterscheidet sich der ElektroDrivein vor allem dadurch,dass die Kunden weder einenParkplatz noch das Produktoder die Abteilung im Ladensuchen müssen. Wenn das Konzept aufgeht, soll es in weiterenHäusern eingeführt werden.
Umgestalten will der Konzern in den kommenden fünfJahren alle seiner 260 deutschen Filialen. Das neue Ladenkonzept sieht neben einer opti
schen Auffrischung auch denAufbau von OnlineTerminalsvor. Darin können die Kundendurch ein Sortiment surfen, dasbreiter ist, als das im Laden zurSchau gestellte. Diese „virtuellen Regalverlängerungen“ umfassten zum Start im September rund 60 000 Artikel und350 000 sogenannte EntertainmentProdukte (CDs,DvDs), während der Markt inIngolstadt auf 3400 Quadratmeter Verkaufsfläche rund45 000 Artikel umfasst. Das Zielsei, so Wolfgang Kirsch, das OnlineAngebot zu verdreifachen.Outletcenter
überziehen die Republik Wer sich samstagmittags imEinkaufsgetümmel auf der Königstraße in Stuttgart wohlfühlt, für den dürfte ein Bummel durch die ShoppingCityMetzingen geradezu die Erfüllung sein. Das UrOutletcenterlockt nach wie vor die Massen in die schwäbische Provinz: imJahr 2012 waren es 3,5 Millionen Kunden aus 185 Nationen.„In Metzingen trifft sich dieganze Welt“, sagt der Handelsexperte Roland Alter. In densiebziger Jahren begann dieGeschichte der deutschenOutletHauptstadt mit einemFabrikverkauf von Hugo Boss; mittlerweile überzieht ein gutes Dutzend Outletcenter dieganze Republik, weitere sindbereits in Planung.
Joachim Will berät Unternehmen und Investoren bei derStandortwahl. Er beschreibtdas Erfolgsrezept dieser Einkaufsform, die an den Umsätzen gemessen nur eine Nische im Handel besetzt. Outlets seien heute schon da, wo vieleStädte und Shoppingcenter ersthinwollten, sagt der Berater.
„Sie bieten Aufenthaltsqualitätund Eventcharakter. Architekten und Stadtplaner bekommen aufgrund der DisneyArchitektur im Wertheim Village einen Brechreiz, derNormalverbraucher verbringtdort aber gerne Zeit mit derFamilie und Freunden.“
Schlagzeilen hat in diesemSommer der nordrheinwestfälische Kurort Bad Münstereifelgemacht. Zum ersten Mal wurde dort ein Outletcenter mittenin einer Stadt angesiedelt undnicht an deren Rand oder aufder grünen Wiese an einerAutobahnabfahrt. In der Fußgängerzone der historischenAltstadt eröffneten zeitgleich mehr als 20 Markenshops.
Ein solches Umfeld ist nichtnur für die namhaften Markeninteressant, sondern auch für junge Labels im Aufbau. „Fürsie ist es verlockend, sich in derNähe von großen, bekannten AnkerLäden niederzulassen“,sagt Handelsexperte RolandAlter, schließlich würdendie markenbewussten Kundendort hinkommen.
Der Handel setzt aufmehrere Vertriebskanäle„MultiChannel“ und „CrossChannel“ – also der Aufbau mehrerer Vertriebskanäle undihre Vernetzung – sind zweiaktuelle Lieblingsbegriffe vonHandelsmanagern. Idealerweise sieht das CrossChannelEinkaufsverhalten so aus: DerKunde informiert sich im Netz, lässt interessante Produkte insozialen Medien bewerten, probiert sie im Laden an oder ausund lässt sich die Ware dannnach Hause schicken. Dazureicht es längst nicht mehr aus,einen OnlineShop zu betreiben, in dem die Kunden vomLaptop, Tablet oder Smartphone aus bestellen können.
Die Driveins von MediaMarkt stehen für einen dertechnischen Trends, mit denender Handel um Kunden wirbt:es geschieht in dem Fall nachdem sogenannten Click&Collect oder Click&ReservePrinzip (im Internet kaufen und imLaden abholen). Andere Trendssind: SameDayDelivery (im
Geschäft kaufen und noch amgleichen Tag nach Hause geliefert bekommen), EPayment(bezahlen per Smartphone)oder Smart Display Solution(elektronische Preisschilder).
Eines der zentralen Elemente der digitalen Kundenbindung ist der sogenannte LocationBasedService. Dabei wirdder Kunde per GPS lokalisiert und erhält individuelle Angebote auf sein Smartphone,wenn er in der Nähe einesGeschäfts ist. Diese Form des datenbasierten Marketings verändert die Branche: „Verfügten vor zehn Jahren nur Großunternehmen über die Ressourcen für DataMining, sokann heute jeder Lieferservicedatenbasiert Kundenbindungbetreiben. Die Ära der Intuitionist vorbei, Daten sind der Kittin der Kundenbeziehung“, sagtBjörn Bloching, Senior Partnerbei Roland Berger StrategyConsultants und Autor desBuchs „Data Unser“.
BioNahrung liegt im TrendDie BioHändler verbuchen imLebensmittelsektor die höchsten prozentualen Steigerungsraten. So stieg der Umsatz des BioFilialisten Dennree 2013 um 17,4 Prozent (2012: plus 13,3Prozent), der von Alnatura um 14,9 Prozent (2012: plus 11,3 Prozent). „Das Thema ‚regionale Produkte‘ und transparenteLieferketten haben in den letzten Jahren einen deutlichenAufschwung genommen“, sagtder Handelsexperte Roland
Alter. Das sei im Lebensmittelbereich noch deutlicher ausgeprägt als bei Textilien. Allerdings ist Bio immer noch eineNische: Laut einer Studie desBundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft wurden im vergangenen Jahr in DeutschlandBioLebensmittel im Wert von 7,6 Milliarden Euro gekauft. Dergesamte Lebensmittelumsatzbelief sich auf 164 MilliardenEuro. Damit liegt der BioAnteilbei weniger als fünf Prozent.
Der Lebensmittelhandelerweitert sein SortimentDie Konzentration ist im Lebensmittelhandel noch vielweiter fortgeschritten als imModesektor. Lediglich vierKonzerne beherrschen lautBundeskartellamt den deutschen Markt. Edeka ist demnach mit rund 12 000 Filialen (inklusive Netto) und 25 bis 30 Prozent des Absatzes klarer Marktführer. Rewe kommt auf5500 Filialen (inklusive Penny)und 15 bis 20 Prozent Marktanteil. Die SchwarzGruppe (Lidl und Kaufland) hat bundesweitetwa 4500 Filialen und einenMarktanteil von 20 bis 25 Prozent. Aldi (Nord und Süd) istbundesweit mit 4000 Filialenund 15 bis 20 Prozent Marktanteil vertreten.
Die Märkte decken längstmehr als nur den Nahrungsmittelbedarf der Kunden. Mitihren wöchentlichen Aktionen bauen die Discounter ihre Sor
timente kontinuierlich aus. „Inallen Warenkategorien gibt esStandardprodukte mit einemhohen stückzahlmäßigen Bedarf“, sagt Roland Alter. DieDiscounter würden die Kategorien gezielt durchgehen undversuchten, die sogenanntenSchnelldreher zu identifizieren – zum Leidwesen der Konkurrenz: „Bei diesen Produktenspüren die Fachhändler natürlich einen Absatzrückgang, da gehen ihnen große Stückzahlenverloren“, sagt der Handelsexperte. Dabei sei grundsätzlich jeder angreifbar. Es treffedie Baumärkte genauso wie dieDrogerien oder den Textilbereich. Sobald ein Produkt gerade auch saisonal eine hohe„Abverkaufsfähigkeit“ hat, wirdes interessant, zum BeispielGeräte für die Gartenpflege imSommer oder Winterkleidungin der kalten Jahreszeit.
Drogerie und Baumärktesortieren sich neuMit Schlecker und Praktikersind gleich in zwei Branchengroße Marktteilnehmer verschwunden. „Das hat Druck ausdem Markt genommen“, sagtAlbrecht Hornbach, Chef derdrittgrößten deutschen Baumarktkette nach Obi und Bauhaus. Die Konkurrenz hat eineReihe von Märkten übernommen, teilweise mitsamt der früheren Belegschaft.
„Ein überwiegender Anteilder Umsätze der PraktikerGruppe kann aller Voraussichtnach in den aktiven Unternehmen der Baumarktbranche gebunden werden, die individuellmit deutlichen Zuwachsratenfür das Geschäftsjahr 2014rechnen“, heißt es beim Handelsverband Heimwerken, Bauen und Garten (BHB). Für dieKunden sei das Verschwindenvon Praktiker und Max Bahrohnehin verkraftbar, sagt BHB
Hauptgeschäftsführer PeterWüst: „Niemand vermisstPraktiker, niemand hat Versorgungslücken.“
Eine ähnliche Marktbereinigung hat im Bereich der Drogeriemärkte stattgefunden. Diedrei verbliebenen Großen – Rossmann, DM und Müller –verzeichneten in den vergangenen beiden Jahren teilweise zweistellige Wachstumsraten und bauten ihreFilialnetze weiter aus.Gleichwohl befinden sich die Konkurrenten weiterhin in einemharten Preiswettbewerb.
Neun von zehn Euro werden nach wie vor in den Einkaufszentren, den Fußgängerzonen,im Supermarkt oder beim Discounter ausgeben. Doch derKunde wird bequemer und lässtsich immer mehr Dinge nach Hause liefern: 2013 lag der OnlineAnteil am Gesamtumsatzdes deutschen Einzelhandelsbei gut elf Prozent (Handelsverband); bei einzelnen Warengruppen wie Elektro, Bücheroder Kleidung liegt er bereits zwischen 20 und 30 Prozent.
Die deutsche Logistikbranche war in den vergangenenJahren der große Profiteurdieses Booms: So wurden 2013knapp 2,7 Milliarden Sendungen verschickt, 57 Prozent mehr als im Jahr 2000. Der Gesamtumsatz mit Paketen, Expresslieferungen und Kuriersendungen lag bei 16 MilliardenEuro. Auch die Beschäftigungszahl in der Branche erreichtemit 197 000 Mitarbeitern ein Rekordhoch und lag um 23 Prozent über der des Jahres 2002.Das Bestellen ist aber nur die
eine Seite des OnlineHandels;die andere sind die zahllosenRücksendungen. Handelsexperten schätzen die Retourenquote im Textilbereich auf biszu 70 Prozent.
Nicht einmal eine Gesetzesänderung, die den Versendernseit Juni 2014 die Weitergabeder Rücksendegebühren an denKunden unabhängig vom Warenwert erlaubt, konnte etwasan der hohen Zahl zurückgeschickter Artikel ändern. Die Händler scheinen sich schlichtnicht zu trauen, den Kundendiese Kosten aufzubürden.„Grundsätzlich macht ja geradeein kostenfreies Widerrufsrecht den Einkauf im Internetfür Verbraucher sicher“, sagtChristian Gollner von der Verbraucherzentrale RheinlandPfalz. Solange die größtenInternetversender auf demdeutschen Markt – Amazon,Otto und Zalando – an dieserPraxis festhalten, werden sich auch kleinere Anbieter schwertun, einen anderen Weg einzuschlagen.
OnlineHandel lässt die Logistikbranche boomen
Das Sterben derkleinen Fachhändler
Der Handel will permanentfür die Kunden da sein
Handel im digitalen WandelTrends Einkaufszentren boomen, traditionelle Fachgeschäfte sterben – und alle zusammen spüren die wachsende Konkurrenz des Internets. Was die deutsche Handelslandschaft sonst noch bewegt,zeigt unser Überblick. Von Thomas Thieme
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Online, offline oder dieKombination beider Vertriebswege: noch nie hatten Kunden so viele
Möglichkeiten, ihre Wünsche zu befriedigen. Umam Markt zu bestehen, buhlen Händler mit kreativen
Ideen um die Gunst der Verbraucher.
Gute Geschäfte mit Körperpflege: nach der Schlecker
Pleite konntenKonkurren
ten wie DModer Rossmann zulegen.
Neben dem schleichend voranschreitenden Kaufhaussterbenist das allgemeine Ladensterbenein weiteres Phänomen in derdeutschen Einzelhandelslandschaft. Der Bundesverband desDeutschen Textileinzelhandelsin Köln (BTE) sieht davon vorallem die Randlagen der Großstädte, aber auch kleine undmittlere Kommunen betroffen.So sei die Zahl der Bekleidungsfachhändler seit der Jahrtausendwende jährlich um 1000Unternehmen gesunken: vonmehr als 35 000 im Jahr 2000auf aktuell nur noch 20 000.„Online boomt, während demmittelständischen Einzelhandelja schon fast das Sterbeglöckchen geläutet wird“, sagtBTEPräsident Steffen Jost.
Gerade den Modehändlernbereiten die sinkenden Frequenzen in den Fußgängerzonen immer größere Schwierigkeiten. „Da die Menschen ihrLeben zunehmend vom heimischen Computer aus organisieren, verringern sich die Chancen für Impuls und Lustkäufe“,
bedauert Jost. Dazu kommt, dass kleine Händler den Aufbaueines eigenen Internetvertriebsscheuen. Laut einer Studie desECommerceCenters in Kölnbetreiben sechs von zehn mittelständischen Händlern keinen OnlineShop. Als entscheidende Hinderungsgründe nennen sie den zeitlichen Aufwandund die Kosten.
Doch nicht erst das Internethat die kleinen Händler an dieWand gedrückt. Im Elektrobereich waren große Fachmärkte wie die beiden MetroTöchterMediaMarkt und Saturn schonfrüher da. Die Ketten sindlängst selbst der Kannibalisierung durch das Netz ausgesetzt.Zudem wurden sie zu Opfernihrer eigenen jahrelangen Tiefpreiskampagnen („Ich bin dochnicht blöd“ oder „Geiz ist geil“),attestiert der HandelsexperteRoland Alter. „Die Kundensind jetzt technologieaffin undmachen Preisvergleiche. Überall da, wo eine einfache Preisvergleichbarkeit gegeben ist, istdas Internet klar im Vorteil.“
Das Internet kennt keine Öffnungszeiten. Mit diesem Argument im Gepäck ziehen dieSpitzenvertreter des Handelsgegen das Verbot der Ladenöffnung an Sonntagen zu Felde:„Das stationäre Einzelhandelkann und muss echte Einkaufserlebnisse schaffen. Dazubraucht er mehr Chancengleichheit bei den streng regulierten Öffnungszeiten“, sagt Stefan Genth, der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland.
Ein Blick in die Geschichtelässt vermuten, dass die Erfüllung seiner Forderung nur eineFrage der Zeit sein könnte. Sowurden die Verkaufszeiten seitder Einführung der langenDonnerstage 1989 sukzessiveausgeweitet. 1996 wurden dieÖffnungszeiten an Wochen
tagen von 7 bis 18.30 Uhr auf6 bis 20 Uhr und am Samstagvon 14 auf 16 Uhr ausgeweitet.Ab 2003 durften Geschäfte anallen Samstagen bis 20 Uhr geöffnet sein. Die Verantwortungfür die Öffnungszeiten ging2006 schließlich vom Bund aufdie Länder über. In den meistenBundesländern gelten mittlerweile gar keine oder nur noch geringe Beschränkungen anWerktagen.
Einzige Ausnahme und daher steter Streitpunkt zwischenGewerkschaften und Kirchenauf der einen und dem Handelauf der anderen Seite bleibt derSonntag: Die Verkäufer müssten vor Sonntagsarbeit geschützt werden, fordern die einen. Auch in anderen Branchen werde sonntags gearbeitet, argumentieren die anderen.
<1,5
Einzelhandelsumsätze der Kreise Baden-Württembergsals Anteil der gesamtdeutschen Umsätze
Angaben in Promille
1,5 - 2,0
2,0 - 2,5
2,5 - 3,0
3,0 - 3,5
3,5 - 4,0
> 4,0
StZ-Grafik: zap
NeckarsulmSchwarz-Gruppe(Lidl, Kaufland)Lebensmittel74,0 Mrd. Euro
DMDrogerie7,7 Mrd. Euro
BopfingenMöbel Mahler180 Mio. Euro
EurobaustoffBaustoffe(Fachhandels-kooperation)5,4 Mrd. Euro
HeineBekleidung483 Mio. Euro
OffenburgEdeka Südwest
Lebensmittel7,6 Mrd. Euro
OffenburgEdeka Südwest
Lebensmittel7,6 Mrd. Euro
WillstättOrsayBekleidung183 Mio. Euro
KünzelsauWürthBefestigungselemente9,7 Mrd. Euro
KünzelsauMustang
Bekleidung(eigener Einzelhandel)
50 Mio. Euro
MichelfeldRötherBekleidung209 Mio. Euro
CelesioPharmagroßhandel21,4 Mrd. Euro
BreuningerWarenhaus500 Mio. Euro
TakktBüroeinrichtungen953 Mio. Euro
DitzingenEuronics(Fachhandels-kooperation)Elektronik1,5 Mrd. Euro
Bietigheim-BissingenHofmeisterMöbel170 Mio. Euro
Bietigheim-BissingenOlymp
Bekleidung (eigener Einzelhandel)
25 Mio. EuroPforzheim
Klingel-GruppeBekleidung
1,0 Mrd. Euro
UlmMüllerDrogerie3,7 Mrd. Euro
Bad WaldseeWalzVersandhandel300 Mio. Euro
SigmaringenCharles VögeleBekleidung300 Mio. Euro
KöngenAWGBekleidung295 Mio. Euro
MetzingenHugo BossBekleidung (eigener Einzelhandel)225 Mio. Euro
GöppingenMöbel Rieger260 Mio. Euro
WinterbachPeter HahnBekleidung307 Mio. Euro
MannheimPhoenixPharma-großhandel21,2 Mrd. Euro
MannheimBauhausBaumarkt5,4 Mrd. Euro
Geringste Umsätze
KARLSRUHE
RHEIN-NECKAR-KREIS
NECKAR-ODENWALD-KREIS
MAIN-TAUBER-KREIS
HOHENLOHEKREIS
HEILBRONN
ENZKREIS
CALW
BADEN-BADEN
BÖBLINGEN
ESSLINGEN
REUTLINGEN
TÜBINGEN
GÖPPINGEN
OSTALBKREIS
HEIDENHEIM
ALB-DONAU-KREIS
BIBERACH
TUTTLINGEN
FREIBURG
LÖRRACHWALDSHUT
EMMENDINGEN
ORTENAUKREIS
FREUDENSTADT
ROTTWEIL
SIGMARINGEN
ZOLLERNALBKEIS
KONSTANZRAVENSBURG
LUDWIGSBURG REMS-MURR-KREIS
HEIDEL-BERG
SCHWÄBISCH HALL
BODENSEEKREIS
SCHWARZWALD-BAAR-KREIS
RASTATT
BREISGAU-HOCHSCHWARZWALD
Höchste Umsätze
Sitz
Jahresumsatz(jeweils aktuellsterverfügbarer Wert)
UnternehmenBranche
Quellen: eigene Recherchen, Branchenpublikationen, Schätzungen
Karlsruhe
Statistik Gemessen an der Zahl der Mitarbeiter ist der Einzelhandel mit rund 280 000Beschäftigten die drittgrößte Branche im Land – nach Maschinenbau und Gesundheitswesen. Hinzu kommen knapp 230 000 Beschäftigte im Großhandel. Unsere Übersichtskarte zeigt,in welchen Stadt und Landkreisen die höchsten Einzelhandelsumsätze erzielt werden undwo ausgewählte Handelsunternehmen aus dem Südwesten ihren Sitz haben.
Wer handelt womit inBadenWürttemberg?
Stadt oder Landkreis
EinwohnerAEinzelhandelsumsatz 2014 (Mrd. Euro)B
Umsatz proEinwohner (indexiertC)
SK Stuttgart 597 939 4,1 135,9
LK RheinNeckarKreis 527 287 2,4 89,9
LK Ludwigsburg 516 748 2,3 89,7
LK Esslingen 508 577 2,2 87,0
SK Mannheim 294 627 2,1 143,7
SK Karlsruhe 296 033 2,0 131,8
LK Böblingen 367 208 1,9 102,7
LK Ortenaukreis 411 700 1,9 91,1
LK RemsMurrKreis 408 827 1,9 91,3
LK Karlsruhe 427 106 1,8 85,2
BadenWürttemberg gesamt
10 569 111 53,3 99,6
Deutschland gesamt 80 523 700 408,0 100
A Stand: 31. 12. 2012 B Prognose C Bundesdurchschnitt = 100 Quelle: GfK, eigene Berechnungen
DIE ZEHN UMSATZSTÄRKSTEN KREISE IM LAND
6 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
Herrn Aumillers Angst vor der Sonne
Schirme. Schwieriges Thema. Weil:einen guten Schirm kauft man jaeigentlich fürs Leben – um ihn doch
womöglich bei der übernächsten Gelegenheit irgendwo stehen zu lassen, woraufhinder ursprüngliche, auf Dauer angelegteLebensschirmplan schnell komplettdurcheinandergerät. Der nun folgendeSchirm, denn ohne Schirm geht es ja auchnicht, ist dann meist einer der billigen Sorte. „So zehn Euro“, sagt Meinrad Aumiller, der Inhaber von „Schirme im Rathaus“in München, ein Mann vom Fach. „Aber diemüssen gar nicht mal schlecht sein“, setzter hinzu.
Meinrad Aumiller, ein stattliches bayerisches Mannsbild von gut fünfzig Jahren,trägt denselben Vornamen, den schon derGroßvater und der Vater hatten; sein Sohnheißt auch wieder so, Meinrad. Wenn es alsoum Tradition geht und wie sie, was die Traditionsgeschäfte angeht, langsam ausstirbt in den großen Innenstädten, ist man hier
allemal an der richtigen Adresse: Dienerstraße, hinterm Rathaus. Es ist
ein schöner Herbsttag, undMeinrad Aumiller steht
vor seinem Geschäft,schräg gegenüber
vom Feinkosthändler Dallmayr, in
der Sonne.Klar, dass das
nicht sein Wetter ist. Wobeisich das Wetter, das sei ja
das Schöne, sagtAumiller, manchmal
schlagartig ändern könne,„und dann drängeln schon mal schnell ein
halbes Dutzend Leute in den Laden, mehrgehen beim besten Willen nicht hinein, undkaufen besagte ZehnEuroSchirme“. Aberdie Sonne ist ziemlich hartnäckig an diesemNachmittag.
Aumillers, die auch mal das SchirmGeschäft im Stuttgarter Königsbau betrieben (ehemals: Carl Hepfer), haben 1974 dieDinge übernommen von der Familie Darchinger, die ihrerseits seit 1952 amtierte.Manche alte Kunden haben den Wechselzwar zur Kenntnis genommen, sagt Meinrad Aumiller, aber irgendwie auch wiedernicht, weil manche bis heute „Herr Darchinger“ zu ihm sagen. Er selbst ist im Jahr2000 eingestiegen, und das war, sagt Aumiller rückblickend, ziemlich genau der Zeitpunkt, als es „langsam anfing zu bröckeln“ im klassischen Innenstadtgefüge.Jedenfalls sei ihm die Stammkundschaft, die Qualität kaufte und wollte und selbstSchirme reparieren ließ, „langsam weggestorben“, sagt er, oder anders ausgedrückt:„Meine Kundschaft heute ist der Tourist:Chinesen, Amerikaner, Russen.“
Touristen kaufen 10, 30, manchmalauch 50EuroSchirme, darüber geht wenig, und wenn, dann lohnt sich das eigentlich nicht. Für über 800 Euro hat Aumillermal einen Schirm verkauft, den auch Prinz Charles gerne benutzt – britisch halt(wiewohl in China hergestellt), schwarz,schwer –, aber dann war gleich der Stockkaputt, das kann passieren. „Die meisten gehen eh zum Rossmann“, sagt Aumiller, reibt den Daumen über den Zeigefinger derrechten Hand hinweg und schaut ein wenigins Leere, während er an den DrogerieDiscounter denkt: „Drei Euro. An der Kasse.“
Andererseits ist Aumiller noch vergleichsweise gut dran. Die Miete ist „eini
germaßen bezahlbar“, und er hat ein Produkt, „dass eigentlich immer geht“, wennauch nur, wie geschildert, auf der gesellschaftlichen Schwundstufe. Neben „Schirme im Rathaus“ war Stempel Berger seit1919. Die haben 2012 zugesperrt, undAumiller sieht das eher nüchtern: „Werbraucht heute bei Internet und Tralalanoch Stempel?“ Außer Behörden.
Manche Dinge, denkt man trotzdem, gibtes doch ewig: Porzellan zum Beispiel. Dass dem nicht so ist, hat Kuchenreuther inder Münchner Sonnenstraße gemerkt. DasGeschäft musste im letzten Jahr ausverkaufen – nach drei Generationen. Wobei Kuchenreuther schon einigermaßen mit der Zeit gegangen war, aber eben nicht mit denganzen bonbonbunten Billigeinrichtungsläden mithalten konnte. „Joh. Zehme“, Hutmacher von Rang und Namen, verließ diePerusastraße; das Modehaus Maendler zogaus. „Wer ist da drin?“, fragt Meinrad Aumiller. Bei Maendler ein MangoShop. Undsonst? „Handyläden, schon um zu zeigen, dass sie’s jederzeit können. Die wollen präsent sein – wie die Parfümerieketten.“
Vor großen Einkaufszentren muss sichdie Münchner Innenstadt zwar bisher nichtfürchten, aber was sich sonst in der Fläche alles monopolisiert und als Flaggschiff reinrauscht, reicht allemal. Eher noch luxuriöser geworden oder in der Hand von GlobalPlayern wie Vuitton, Abercrombie & Fitchoder Adidas sind die Edelmeilen Theatinerund Maximilianstraße, in deren Umfeld sichdarum Einzelhändler ansiedeln, die bewusstExklusivität verkaufen – und das auchdemonstrieren wollen. So ist nicht nur der hyperteure Schuhladen von Eduard Meier (seit 1596) in die Brienner Straße gewandert, also eher an den Rand der Innenstadt. Andere Hochmögende haben sich angeschlossen und eine kleine Gemeinde gebildet. Einen Zusammenschluss von Traditionsgeschäften, wie jüngst in Stuttgart vonHochland, Tritschler, Wittwer und anderen
organisiert, gibt es jedoch in München vorerst nicht. Hier wurstelt jeder für sich allein.
Im Zweifelsfall, sagt Meinrad Aumiller,jetzt schon wieder ganz versöhnlich gestimmt, kämen die Leute dann doch wiederdrauf, dass es noch einen Fachhandel in derCity gibt und dass der Sachen auf Lager hat, von denen selbst die Kaufhäuser nur träumen können. Andererseits stehen häufig dieHerren im Laden – „Es sind immer die Herren“, sagt Aumiller –, zücken ihre Smartphones und geben bekannt, dass es diesesoder jenes Modell imInternet klar billigergebe, aber echt. Aumiller hatte mal mitModeschmuck imNebenerwerb angefangen und mit Lottogeliebäugelt. Selbstden kompletten Systemwechsel bis hinzur Eisdiele hatte er bereits erwogen. Logistisch wäre das natürlich ein riesiger Aufwand, und irgendwie, das merkt man, hängt Aumiller auch an seinen paar Quadratmetern im Zentrum der Landeshauptstadt. Ja, und es freut ihn natürlich, dass er mit der alten Kundschaft noch reden kann, wie ihm das Maul gewachsen ist: münchnerisch halt,wie man’s kaum noch irgendwo hört. Überdies hat die Stadt ein Auge drauf, dass bei„Schirme im Rathaus“ eigentlich allesbleibt, wie es ist. Nämlich in der Art:
Alte Dame: „Ich hätte gerne einen schönen Schirm für meine Freundin.“
Verkäuferin: „Und das Stoffmuster?“Alte Dame: „Wie der im Fenster. Mit den
Blumen.“ Die Frau nimmt den mit den Blumen.
Blumen gehen immer, auch auf Schirmen,ja, gerade auf Schirmen. Und MeinradAumiller junior – letzte Meldung jetzt –,momentan 14 Jahre alt, will vom Papa dasGeschäft übernehmen. Ganz im Ernst. Eslebe der Fachhandel.
Fachhandel Das letzte Schirmgeschäft in Münchens Innenstadt trotzt FlagshipStores, Handyläden und dem Ungeist der Zeit. Von Mirko Weber
„Die Stammkundschaft, die Qualität kaufte, ist langsam weggestorben. Meine Kundschaftheute ist der Tourist: Chinesen, Amerikaner, Russen.“Der Münchner Schirmfachhändler Meinrad Aumiller
Wenn Hersteller zu Händlern werden
Eigentlich steht es im Widerspruchzu einem alten Grundprinzip desHandels und der Industrie, das dalautet: werde nicht zum Konkurrenten deines Kunden. Doch im
mer mehr Konsumgüterhersteller weichenvon dieser Linie ab und schlüpfen selbst in die Rolle des Händlers. Sie eröffnen eigeneGeschäfte oder siedeln sich mit ihrenSortimenten in Outletcentern an. Dafürmüssen die Unternehmen viel Geld in dieHand nehmen, doch die Investitionen können sich auszahlen; finanziell sowiebeim Image.
„Unsere FlagshipStores prägen die globale Markenwahrnehmung“, sagt HugoBossChef ClausDietrich Lahrs. Der Metzinger Modekonzern setzt seit Jahren konsequent auf den eigenen Einzelhandel. DerBereich verzeichnet zweistellige Zuwachsraten und ist aktuell der Hauptumsatztreiber. Im vergangenen Jahr durchbrach
die Zahl der HugoBossStores inklusive ShopinShopFilialen und Outletcenter weltweit die1000erMarke. Mit576 Geschäften liegtder Schwerpunkt in
Europa, aber auch die Vertriebsnetze in Asien (234 Läden) und in Amerika (200) werden ausgebaut. Der Anteil des Einzelhandels am Gesamtumsatz übertraf 2012erstmals den des Großhandels. Im vergangenen Jahr wurden 54 Prozent der Einnahmen(747 Millionen Euro) in den eigenen Geschäften erzielt. Die eigenen Läden sind profitabler als der Vertrieb über Handelspartner, da mehr Ware umgeschlagen wird, schneller auf Kundenwünsche reagiert werden kann und die Margen höher ausfallen.Die eigenen Verkaufsflächen fungieren auchals Werbeträger für die Marke. Allerdings steigen die Kosten, etwa für Mieten, Personal, Logistik und Marketing. In diesem Jahrwurden weltweit rund 50 neue Filialen eröffnet, darunter FlagshipStores in Metropolen wie Paris, Rom und Osaka.
Auch kleinere Mode und Textilhersteller aus dem Südwesten bauen ihren eigenenVertrieb sukzessive aus. So betreibt derTettnanger OutdoorAusstatter Vaudemittlerweile 13 Geschäfte in Eigenregie,weitere sollen folgen. In der Branche sind die Oberschwaben damit keine Ausnahme.Große Hersteller wie Jack Wolfskin, NorthFace oder Mammut eröffnen FlagshipStores und MonoMarkenGeschäfte und ziehen damit den Unmut der Handels
ketten auf sich: „Natürlich stört uns das“, sagt Thomas Lipke, Geschäftsführer bei Deutschlands größtem OutdoorHändlerGlobetrotter. Die Hersteller hätten Wachstumserwartungen, die ihnen der Handel nicht erfüllen könne. Allerdings sei dieAbhängigkeit beidseitig; auch die großenHändler können eine Marke auslisten.
Der Hemdenhersteller Olymp hat dieVorteile eigener Geschäfte bereits in denneunziger Jahren entdeckt. Eine „bedachteDosierung der RetailAktivitäten“ zieht dasFamilienunternehmen aus Bietigheim dabei einer „übereifrigen StoreExpansion“ vor, erklärt OlympChef Mark Bezner. Zuletzt wurde das Filialnetz auf 52 Läden aufgestockt; dazu gehören 36 eigene Lädenund 16 Filialen von FranchisePartnern.„Die eigene Handelsstrategie stellt für unseine sinnvolle Ergänzung zur Ausweitungunserer Markenpräsenz dar“, sagt Bezner. Sechs bis acht Neueröffnungen hält er mittelfristig für realistisch. Den Löwenanteilder Waren vertreibt der Hersteller überden klassischen Vertriebsweg mit Handelspartnern, so Bezner. Damit würden derzeit 80 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet.
Für Roland Alter müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein, damit sich ein Konsumgüterproduzent erfolgreich einen Eigenvertrieb aufbauen kann: „Die Markenstärke muss groß genug sein, undSchlüsselkunden dürfen es nicht als prinzipielle Bedrohung empfinden.“ Der Kannibalisierungseffekt müsse sich zudem inGrenzen halten, ergänzt der Handelsexperte von der Hochschule Heilbronn. Ein Hersteller, der diese Kannibalisierung komplett vermieden hat, ist die USModemarkeHollister. Ohne den Vertriebskanal Großhandel je etabliert zu haben, sei es den Amerikanern mit einem cleveren Marketing gelungen, ihre überwiegend jungeKundschaft zu gewinnen, erklärt Alter.
Unternehmen mit erfolgreichen Strategien sind dem Handelsfachmann zufolgeimmer auch Vorbilder für andere Managerin der Branche. Manche von ihnen würdensich allerdings nur einreden, dass ihre Marke stark genug sei. Selbst mit einer bekannten Marke im Rücken müsse diese Form derExpansion nicht nachhaltig funktionieren,wie der Fall des LuxusmodeherstellersStrenesse zeige. Das Unternehmen aus dembayrischen Nördlingen durchläuft geradeeine Insolvenz in Eigenverwaltung.
Der Vorreiter Hugo Boss ist aber nichtnur wegen der guten Wachstumsaussichtenauf die Idee gekommen, den Vertrieb in dieeigene Hand zu nehmen. In einer Studie
des Göttinger Marketingprofessors HansChristian Riekhof wird am Beispiel desGroßbritannienGeschäfts des Edelschneiders beschrieben, wie die Wirtschaftskrise den Trend beschleunigt hat: FranchisePartner konnten ihren Verpflichtungenzur regelmäßigen Renovierung nicht nachkommen; Kaufhäuser forderten Warenrücknahmen und bessere Zahlungskonditionen. Ein Teil der Großhandelspartner musste im Zuge der Krise sogar Insolvenzanmelden, andere veränderten ihr Sortiment und nahmen mehr preisaggressiveMarken auf. Als Reaktion darauf haben sichdie Metzinger von unprofitablen Großhandelspartnern getrennt und auf die eigene RetailExpansion gesetzt. Während Boss2008 noch knapp 80 Prozent seiner Warenauf der Insel über Handelspartner vertrieben hat, waren es drei Jahre später nurnoch 33 Prozent. Der Konzern zeigt sichhöchst zufrieden mit der neuen Strategie: „Der Erfolg gibt uns recht. Wir haben im
Laufe der letzten vier Jahre in Großbritannien an Stärke gewonnen und gehören heute kontinuierlich zu den am dynamischstenwachsenden PremiumMarken. Dabei erzielen wir herausragende Kapitalrenditenfür unseren Konzern.“
Den Rückwärtsgang in Sachen eigenerEinzelhandel hat der Jeanshersteller Mustang aus Künzelsau eingelegt. „Wir habenin der Vergangenheit zu viele Shops an derfalschen Stelle eröffnet“, sagt der heutigeMustangChef Dietmar Axt. Nach seinem Einstieg vor drei Jahren stoppte er die seit2004 forcierte Expansion des Filialnetzes,schloss in seinem ersten Jahr mehr als ein Dutzend eigener Läden und machte sichauf die Suche nach neuen Vertriebspartnern. Mustang besitzt heute noch rund50 Shops im In und weitere 25 im Ausland.Das Verhältnis Einzel zu Großhandel –derzeit 50 zu 50 – soll sich weiter in Richtung Großhandel verschieben. Die Zielmarke liegt Axt zufolge bei 75 Prozent.
Vertrieb Viele Modeunternehmen setzen auf eigene Läden.Eine Erfolgsgarantie gibt es dabei aber nicht. Von Thomas Thieme
Der Modekonzern Hugo Boss setzt in seinen eigenen Shops mehr um als über den Einzelhandel. Foto: Achim Zweygarth
Schirmegehen im
mer, doch mehr als zehn
Euro dürfen sie selten kosten.Foto: fotolia
„Die Markenstärke muss groß genug sein, und Schlüsselkunden dürfen es nicht als prinzipielle Bedrohung empfinden.“Handelsexperte Roland Alter über den Eigenvertrieb
7Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
OnlineShopping: Segen oder Fluch?
Konkurrenz Bereits jeder zehnte Euro im deutschen Einzelhandel wird im Internetausgegeben. Gleichzeitig müssen immer mehr traditionelle Geschäfte schließen.Zwei StZRedakteurinnen debattieren die Entwicklung aus Kundinnensicht.
Kontra
Computer hochfahren, OnlineShop besuchen, Produkt bestellen – und wenige Tage später steht der Paketbote vor der Tür.
24 Stunden am Tag shoppen, immer stau undstressfrei. So einfach soll OnlineShopping sein,verspricht die Branche. Von wegen.
Zunächst das Angebot. Im Internet findetsich alles und dies auch noch überreichlich. Beispiel Hosen. Es gibt sie in Blau, Schwarz, Grau,Grün und Rot. Und ich klicke und klicke und klicke. Es gibt sie in vielen Formen und Längen.Und es gibt ausführliche Produktbeschreibungen. Stimmt. Aber: Passt mir die Hose, steht siemir, oder sollte ich ein anderes Modell wählen?Fehlanzeige. Dazu gibt es keine Informationen – klicken hilft nicht, nur probieren. Also bestelle ich Hosen. Doch Vorsicht, der Mindestbestellwert ist wichtig, sonst wird Porto fällig.
Und jetzt sind – jawohl – die Nachbarn gefordert. Welche Berufstätige ist schon zu Hause, wenn der Paketdienst kommt? Rentner inder Nachbarschaft können ein Lied davon singen, während sich bei ihnen die Pakete amHauseingang stapeln. So viel Toleranz ist niemandem abzuverlangen. Die Modenschau vordem häuslichen Spiegel macht es dann deutlich: falsche Farbe, unvorteilhafter Schnitt, grober Stoff. Alles wieder einpacken und zurück anden Absender. Und dann droht für weniger routinierte OnlineShopper die nächste Hürde: dieSchlange am Postschalter. Und Retouren sindbeileibe nicht die Ausnahme. Sie sollen bei über50 Prozent liegen. Und die Kleidungsstücke, dienicht zurückgeschickt werden, sondern ihr trauriges Dasein im Schrank fristen, sind da nicht mal mitgerechnet. Doch die Retoure ist nicht das Ende, sondern der Anfang: Computerhochfahren, OnlineShop besuchen – Sie wissen schon.
Natürlich schützt auch der stationäre Handel nicht vor Fehlkäufen. Aber sie lassen sichreduzieren – weil die Menschen meist konkreteVorlieben für Geschäfte und Marken haben undsich gerne Rat suchen. Mit einer Freundin wirdein Einkaufsbummel schnell zum Erlebnis (inklusive CaféPause). Eine geschulte Verkäuferin kennt ihre Waren und hat einen Blick für dieFigur der Kundin – und macht Mut zum Ausprobieren. So findet frauModelle, an die sie selbstnie gedacht hätte. Nicht zu unterschätzen: sie kann Stoffe anfassenund so im wahren Sinneerfahren. Und wenn die Verkäuferin mal keineZeit hat – kein Problem. Zum einen benötigendie wenigsten Kunden eine Vollzeitberatung, zum anderen kann ein Modeschwätzchen mit der Dame aus der NachbarAnprobe ganz anregend sein. All dies droht zu verschwinden,wenn immer mehr Kunden lieber im Interneteinkaufen.
Das gilt nicht nur für Mode, sondern auchfür Bücher, CDs oder Elektronikartikel. Ineinem Geschäft trifft man Menschen, die etwasüber Musik oder Bücher erzählen können. Undwer sein technisches Grundwissen erweitern will, holt sich Rat beim Fachmann hinter der Theke – statt am Computer zu sitzen oder ewigin der HotlineSchleife zu hängen.
Beratung Einkaufen am Computer kann nervenaufreibend sein. Und weit und breit gibt es
kein Straßencafé, das ein wenig Entspannung bieten könnte. Von Inge Nowak
Der RetourenStress
Inge Nowak beschäftigt sich in der StZWirtschaftsredaktion mit den Zulieferernund dem Maschinenbau.
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Pro
Es gibt sie, diese Momente, in deneneinem – vielleicht inspiriert vom Fernsehprogramm oder auch ganz spontan – ein
fällt, dass man ein bestimmtes Produkt habenmöchte. Mit wenigen Klicks im Internet kanndiesem Verlangen auf unmittelbare Weise Genüge getan werden. So kommt auch die Frageerst gar nicht auf, wann man denn eigentlich die Zeit finden soll, um etwa den benötigtenReiseführer oder die gewünschte Bluse in der Stadt zu besorgen. Vor allem, wenn man genauweiß, nach was man sucht, kann OnlineShopping sehr bequem und zeitsparend sein.
Aber auch, wenn man sich einfach nur inspirieren lassen möchte, lädt das Netz mit seinerschier unendlichen Fülle an Artikeln zumdigitalen Bummeln ein. Dort gibt es ein
Angebot, das vermutlichalle stationären Händlerin Deutschland zusammengenommen garnicht anbieten können:Kleidungsstücke in allen erdenklichen Farben, Formen, Größen
und Schnitten – und darüber hinaus auch Artikel, die in kleineren Städten nicht erhältlich sind oder die überhaupt hierzulande gar nicht verkauft werden.
Ein weiterer Vorteil: die Produkte werdenauf den ShoppingPortalen ausführlich beschrieben und zudem von anderen Kunden bewertet. Fallen die Schuhe größer oder kleineraus? Entspricht die Farbe des Kleides auf demFoto auch der des Originals? Trägt der Stoffauf ? Solche Kriterien bleiben selten unerwähnt. Gerade, wenn man sich für den Kauf eines Smartphones, eines TabletPCs oderÄhnlichem interessiert, sind differenzierte
Meinungen zu Vor und Nachteilen eines Produkts wirklich hilfreich.
Das Internet ist ein Ort, an dem tatsächlichnoch Markttransparenz herrscht: Hier gibt esdie Möglichkeit, Artikel, Preise und Lieferzeiten von verschiedenen Herstellern und Anbietern einfach und direkt miteinander zu vergleichen. Viele OnlineShops bieten ihren Kunden darüber hinaus auch attraktive Preise undRabatte an, die in herkömmlichen Geschäften nicht möglich sind.
Sicherlich, ob der Rock einem nun passtoder die Farbe des TShirts einem steht, lässt sich erst herausfinden, wenn die Ware dann tatsächlich zu Hause angekommen ist. Doch fehltnicht oft auch in den Geschäften die Muse, sichin den engen Umkleidekabinen mit nicht sonderlich schmeichelhaftem Licht allzu lange aufzuhalten und die Kleidung ausführlich ansich zu begutachten? Zu Hause, vor dem heimischen Spiegel, lässt sich die bestellte Warejedenfalls in aller Ruhe anprobieren und mit Klamotten oder Accessoires, die man bereits imSchrank liegen hat, kombinieren.
Und wenn der Artikel nicht gefällt, dannwird er wieder zurückgeschickt. Das geht auchunabhängig von Öffnungszeiten und ohnenervenaufreibendes Schlangestehen am Postschalter. Denn erfahrene OnlineShopper wissen längst: Die Retouren können beispielsweiseauch in sogenannten Paketboxen aufgegeben werden. Klappe schließen und fertig!
Angebot OnlineShopping ist nicht nur bequem und zeitsparend. Im Internet gibt es auch eine
schier unendliche Fülle an Produkten und Kundenbewertungen. Von Nora Stöhr
Einladung zum digitalen Bummeln
Nora Stöhr kümmert sich imStZWirtschaftsressort um dieMedienbranche – von Verlagenbis zu privaten TVAnbietern.
Die weite Welt des Internets ist ein Ort,an dem tatsächlich Markttransparenz herrscht.
Die Zustellung derOnlineBestellung wird zur Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Nachbarschaft.
8 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
WirWirWirtschafttschaft 9November 2014& Karriere
Klangvoller alsein Doktortitel
Wahrscheinlich hätte sichKarlTheodor zu Guttenberg die Dissertationwirklich schenken können. Denn er besitzt das,
was die Karriere jedes Menschen mächtigbeflügeln kann: eine wohltönende, souveräne Stimme. So etwas wie den richtigenSchmelz zum Erfolg. In vielen Berufssparten sei nicht unbedingt ein Doktortitel derSchlüssel zum Aufstieg in Führungspositionen, sondern vor allem ein stimmlichüberzeugender Auftritt, sagt Iris Eicher,Sprachwissenschaftlerin und Stimmtrainerin in München.
Studien haben bewiesen: Leise Piepsmäuse kommen übers Kaffeekochen in derFirma selten hinaus – ob sie blitzgescheitsind oder nicht. Auch schrille Sirenen, sichverhaspelnde Schnellsprecher oder knödelnde Nuschler schaffen es kaum bis in dieChefetagen. Wer in Bewerbungsgesprä
chen oder späterin Konferenzenund Besprechungen erst gar nicht„gehört“ wird oderstimmlich in unangenehmer Erinnerung bleibt,landet in der Regelauf dem berufli
chen Abstellgleis, weiß Karrierecoach undDiplomPsychologe Jürgen Hesse aus der täglichen Beratungspraxis. Auf ewig Indianer statt Häuptling: das kann Frauen wieMännern gleichermaßen passieren, wennsie sich eine unnatürliche Tonlage angewöhnt haben.
Wie stark eine gute Stimme die Außenwirkung von Menschen beeinflussen kann,
hat der USPsychologe AlbertMehrabian ineiner Studie nachgewiesen. Danachgehen satte 38Prozent des persönlichen Eindrucks auf andereauf das Konto der
Stimme. Nur sieben Prozent hängen überhaupt vom Inhalt des Gesagten ab, der große Rest von der Körpersprache.
Clevere Politiker wissen das längst. Wermitreißende Reden halten, Vertrauen wecken und aufsteigen will, holt sich Unterstützung vom SprechCoach. Auch Schauspieler tun es, Moderatoren, Dozenten,Spitzenmanager. Und was machen Millionen normale Berufstätige? „Die machensich so gut wie nie Gedanken um den Klang
ihrer Stimme“, erzählt Iris Eicher, die als Dozentin an der Münchner LudwigMaximiliansUniversität (LMU) arbeitet. „Das sollten sie ruhig mal tun.“
Zwar sind viele im Job perfektvorbereitet, achten auf ihr Äußeres,haben ihre Körpersprache im Griff –aber sobald sie den Mund aufmachen, können sie einfach nichtpunkten. Fast jeder kennt solche Kollegen: Frauen, die mit viel zu hoherKopfstimme fiepen, die mit dem Tempo eines Maschinengewehrs rattern. Männer,die monoton leiern, die sich im Sekundentakt räuspern oder hüsteln. Oder,schlimmster Fall: Männer, deren Stimme so hoch ist, dass sie am Telefon als Frauangesprochen werden.
Und dann kennt jeder die Kollegen, diedurch ihre Stimme angenehm auffallen –Männer wie Frauen. Die immer die volleAufmerksamkeit für sich verbuchen können, wenn sie das Wort ergreifen. Diescheinbar wie von selbst die Karriereleiternach oben klettern.
Vielen Vorgesetzten ist nicht bewusst,dass sie Mitarbeiter mit souveränklangvoller Stimme unweigerlich als selbstsicher, dynamisch und führungsstark einstufen, wie eine neue Studie von Elke Sapper am Lehrstuhl für Sprachheilpädagogikder Münchner LMU herausfand. Die Artdes Vortrags überlagert in der Regel die Inhalte, wie brillant sie auch sein mögen. Ein Mensch mit unnatürlicher Stimmlage und Sprechtempo wird im direkten Vergleichmit hoher Wahrscheinlichkeit den Kürzeren ziehen, wenn es um Einstellung oderdie nächste Stufe der Karriereleiter geht.
Wer eine stimmliche Schieflage hat, istsich dessen aber selbst nicht bewusst, weißStimmCoach Eicher aus Erfahrung. VieleMenschen haben sich die „falsche“ Sprechweise im Lauf des Lebens angewöhnt. Denechten eigenen Grundton haben sie praktisch verlernt. Stehen sie unter Stress, wirdes nicht besser. Im Gegenteil: KleinmädchenStimmen kieksen bei Anspannungnoch höher, Schnellsprecher verhaspeln sich noch öfter als sonst. Dazu wird ständiggehüstelt, geräuspert, nach Luft geschnappt – kein Zuhörer bleibt davon unbeeindruckt. „In 99 Prozent der Fälle kommt kein Hinweis von Kollegen oderFreunden, das Thema ist zu intim“, sagt auch Karrieretrainer Hesse.
Dafür reden Personalleiter in Firmenimmer öfter Klartext. Wer im Mitarbeiteroder im Bewerbungsgespräch zu hörenbekommt, er könne sich kein Gehör verschaffen, sollte spätestens dann professionelle Hilfe suchen, betont Eicher. Blei
ben Stimmprobleme unbehandelt,schleifen sie sichein und werdenchronisch.
Eine ansprechende Stimmlage istnicht allein natürlicheBegabung. Sie lässt sich gezielt üben. Ein Beispiel aus Hesses Karriereberatung: Eine 40jährige Politologin mitDoktortitel und TopReferenzen wartrotz etlicher Vorstellungsgesprächevolle zwei Jahre lang arbeitslos. Bis sichein Personalleiter erbarmte und die Frauauf den „keifigen Ton in der Stimme“ hinwies. Sie ging zum Stimmtraining – und tatsächlich klappte es dann mit der Anstellung.
Vor allem Frauen bräuchten eine kraftvolle Stimme, um sich gegen die männliche Konkurrenz durchsetzen zu können, sagt Eicher. Denn Männer sind von der Natur her häufig im Vorteil. Die Höhe der Stimmehängt auch von der genetischen Veranlagung ab. Je größer der Kehlkopf und dasLungenvolumen, desto tiefer die Stimme.
Beim Sprechen werden über 100 Muskeln gebraucht und koordiniert. Schon einnormales Gespräch mit etwa 120 Wörternpro Minute ist eigentlich eine kleine Meisterleistung. Jedes Wort erfordert eine andere Muskelstellung und das Einbindenunterschiedlicher Organe.
Schon kleine Tricks können helfen, denrichtigen Ton zu treffen, selbst bei Lampenfieber und massivem Stress. Menschen mitunechter Stimme müssten „zunächst lernen,sich selbst beim Sprechen wahrzunehmen“,erläutert Fachfrau Eicher. Wer locker „mmmmmm“ brummt, kriegt eine Ahnungdavon, wie seine natürliche Klangfarbe wirklich ist. Oft hilft auch die Vorstellung, man seibei seinem Lieblingsitaliener, habe noch diephänomenale Soße auf den Lippen und sagtdann voll Begeisterung: „Mmmmolto bene“.
Ein professionelles Stimmtraining startet aber nicht gleich mit Stimmübungen.Locker machen, Schuhe ausziehen und mitder Fußsohle über kleine Bälle rollen – das
Auftreten Hätten Sie’s gewusst? Eine souveräne Stimme ist für den beruflichen Erfolg wichtiger als Maßanzug und Kostüm. Piepsmäuse und Nuschler werden nie Chef. Schon ein paar Stunden Stimmtraining können die Karriere beflügeln. Von Berrit Gräber
Training Ob Sirene oderPiepsmaus: selbst jahrelange stimmliche Schieflagenlassen sich mit gezieltem
Training ausmerzen. Der Karriere kommt das zu Gute.
Kosten Die Kosten für eineStimmtherapie werdenvon der Krankenkasse imNormalfall übernommen,
zumindest wenn ein Phoniater sie verordnet hat.
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sind erste Schritte, umFistelstimme oder Nuschelei loszuwerden. Schon das pure Aufrichten des Oberkörpersschafft viel mehr Raumfürs Atmen und Sprechen. Wer sich großmacht, gerade sitzt oder steht, bekommt eine festere Stimme. Das klappt ruck, zuck.
„Manchen gelingt eine Veränderungschon nach fünf Trainingseinheiten à 45Minuten“, betont Eicher. Bei anderen kannes deutlich länger dauern. Die Kosten füreine befreite, souveräne Stimme: ab 500Euro, je nach Stimmeinschränkung und Aufwand. Die Therapiewird von der Krankenkasse übernommen,wenn ein Phoniater(Facharzt für Sprach,Stimm und kindlicheHörstörungen) sie verordnet hat.
„Leute, pflegt dieStimme, wie ihr den Restdes Körpers pflegt. Sie kann im Beruf richtigviel nützen und womöglich bares Geld wertsein“, fordert Karrierecoach Hesse. Sprechen in der richtigen Tonlage sei leicht zu lernen, koste oft nicht mehr als ein paar neueSkier – und mache rundum selbstbewusster.
Berufliche Nachteile Wersich eine unechte Sprechweise angewöhnt hat,merkt es oft nicht. Das kann
für die Betroffenen in eine berufliche Sackgasse führen.
AußenwahrnehmungMenschen, die nuscheln,piepsen, knödeln, hüstelnoder sich räuspern, werden
als führungsschwächer eingestuft – wie gescheit sie auch sein mögen.
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10 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
Wenn Firmen ihre TopLeute auf dem Kieker haben, werden schon mal Hotelrechnungen oder Tankbelegedurchforstet, um arbeitsrechtliche Verfehlungenzu finden. Fotos: factum/Weise, fotolia (2)
gebenen Geschäftspartners dieeigene Ehefrau zum Essen eingeladen wurde. Auch die Betankung des PrivatPkw mitBenzin über die Firmentankkarte kann beieinem DieselGeschäftswagen bei genauerem Hinsehen auffallen. Die anwaltlicheFrage nach der „weißen Weste“ oder „Leichen im Keller“ ist daher zwangsläufig,wenn sich ein Geschäftsführer dazu beraten lässt, wie er sich am besten zu einemTrennungsansinnen des Unternehmenspositioniert. Nimmt der Geschäftsführerbeispielsweise einen ihm angebotenenAufhebungsvertrag nicht an oder reizt ihninsbesondere finanziell zu sehr aus, wird häufig das Schleppnetz ausgeworfen. Nichtselten führt es zu einem für den Geschäftsführer verhängnisvollen Fang, mag auchder Geschäftsführer damals nur unbedachtgehandelt haben.
Für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften gelten die obigen Ausführungen teilweise ebenfalls. Der wichtigste Unterschied ist, dass der zuständigeAufsichtsrat die Bestellung zum Vorstandsmitglied nur widerrufen darf, wennhierfür ein wichtigerGrund vorliegt. Erforderlich ist beispielsweise einegrobe Pflichtverletzungoder die Unfähigkeit zurordnungsgemäßen Geschäftsführung. Ob dieseVoraussetzungen vorliegen, wird vom Aufsichtsrat und Vorstandsmitgliedhäufig unterschiedlich beurteilt. Gegen eine Abberufung kann das Vorstandsmitglied – anders als regelmäßig der GmbHGeschäftsführer – gerichtlich vorgehen. Biszu einer rechtskräftigen Entscheidungüber das Bestehen eines wichtigen Grundes bleibt die Abberufung zwar jedenfallswirksam, ob jedoch Klage erhoben wird, istdavon abhängig, ob das Vorstandsmitgliedmit der Situation trotz einer eventuell fraglichen Abberufung gut leben kann. Dies isthäufig der Fall, wenn das im Zweifel freigestellte Vorstandsmitglied bis zum Ablauf des Dienstvertrages weiter vergütet wird.Ist dem nicht so, kann eine Klage aufgrund ihres hohen Lästigkeitswerts Bewegung in möglicherweise festgefahrene Einigungsgespräche bringen. In aller Regel bestehtauf beiden Seiten Interesse an einer Einigung und nur wenig Neigung, die interne Auseinandersetzung im Rahmen eines öffentlichen gerichtlichen Verfahrens – ggfs.im Beisein der Presse – auszutragen. Sowerden auf Eis gelegte Vergleichsgespräche nach Klageerhebung nicht selten raschwieder aufgenommen, um einer mündlichen Verhandlung möglichst aus dem Wegzu gehen. Solange der Gesprächsfaden abernicht völlig abgerissen ist, macht es Sinn, frühzeitig eine einvernehmliche Trennungzu erreichen und ein gerichtliches Verfahren gänzlich zu vermeiden. Dies bringt beiden Seiten Klarheit und Rechtssicherheit.Die Vorstellungen beider Seiten, wie eineEinigung aussehen kann, sollten dabei freilich nicht allzu weit auseinander liegen.Dies ist oft die Krux.
anders als Arbeitnehmer – nicht vom Kündigungsschutzgesetz erfasst, so dass dessenstrenge Anforderungen bei der Kündigungeines Geschäftsführers nicht gelten. Begründet wird dies damit, dass Geschäftsführer innerhalb des UnternehmensArbeitgeberfunktionen wahrnehmen, womit sich der allgemeine Kündigungsschutznicht verträgt. Aus diesem Grund achtenGeschäftsführer häufig auf Dienstverträge mit langen Befristungszeiträumen oderlangen Kündigungsfristen. Solche auf einegewisse Dauer angelegten Verträge sind –neben der Vergütungshöhe – eine Art Kompensation für den fehlenden Kündigungsschutz von Geschäftsführern.
Um die aus Sicht des Unternehmensunliebsame Folge zu vermeiden, den Geschäftsführer nach einer Abberufung nochfür längere Zeit weiter vergüten zu müssen,kommt es gelegentlich zur sogenanntenSchleppnetzfahndung. Es werden Unterlagen – insbesondere Spesenbelege –durchforstet, um zu sehen, ob sich daraus nicht ein Grund für eine fristlose Kündigung des Dienstvertrages ergibt. Beischwerwiegenden Pflichtverletzungen desGeschäftsführers kann dessen Dienstvertrag fristlos gekündigt werden, wobei das Unternehmen nach Bekanntwerden derVerfehlungen rasch handeln muss. Verfehlungen im Spesenbereich, die zu persönlichen Begünstigungen des Geschäftsführersführen, sind nicht selten ein dankbarerAnlass für den Ausspruch einer fristlosenKündigung. So kann sich etwa herausstellen, dass anstelle des im Spesenbeleg ange
zur Vergütung enthält. Nur teilweise sehenDienstverträge mit Geschäftsführern sogenannte Koppelungsklauseln vor, wonachder Dienstvertrag mit oder kurze Zeit nacheiner Abberufung automatisch endet. OhneKoppelungsklausel hängt es von der konkreten Gestaltung der Dienstverträge ab,was weiter geschieht.
Viele Dienstverträge von Geschäftsführern werden befristet abgeschlossen, etwafür die Dauer von zwei oder drei Jahren.Wird ein solcher befristet angestellter Geschäftsführer vor dem Befristungsende vonseinem Geschäftsführeramt abberufen,muss die Gesellschaft den Vertrag dennochweiter erfüllen und insbesondere weiterVergütung bezahlen. Dies gilt unabhängigdavon, ob der Geschäftsführer von seinenDienstpflichten vollständig freigestelltwird oder eine anderweitige Tätigkeit zugewiesen erhält, wobei zweifelhaft ist, ob Letzteres überhaupt zulässig ist.
Sieht der Dienstvertrag des Geschäftsführers hingegen die Möglichkeit zur Kündigung unter Einhaltung bestimmter Fristen vor, wird die Gesellschafterversammlung hiervon Gebrauch machen und mitder Abberufung eine Kündigung aussprechen. Bis zum Ablauf der Kündigungsfristist die Situation dann genauso, wie sie soeben für befristete Dienstverträge geschildert wurde. Gegen eine solche Kündigungkann sich der Geschäftsführer nicht zurWehr setzen, soweit die Kündigungsfristeingehalten wurde. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zur Kündigung eines Arbeitnehmers. Geschäftsführer werden –
Solange die Geschäfte in Unternehmen gut laufen, haben deren Inhaber bzw. Aufsichtsorgane in derRegel wenig Grund, die obersteFührungsebene infrage zu stellen.
Dies gilt für Geschäftsführer einer GmbH wie für Vorstände einer Aktiengesellschaft.Werden hingegen die Geschäftsziele nichterreicht, beginnt die Suche nach den Verantwortlichen. Gibt es keine nachvollziehbaren äußeren Einflüsse wie etwa eineallgemeine Rezession, wird häufig beim obersten Führungspersonal angesetzt. Werdas Unternehmen vermeintlich nicht mehrim Griff hat, fällt leicht in Ungnade. Gleiches kann für Geschäftsführer und Vorstände bei Pflichtverstößen wie etwa Kompetenzüberschreitungen oder einer allzulaxen Spesenpraxis, aber auch bei Differenzen mit den Gesellschaftern oder Aufsichtsorganen geschehen. Ist die Trennungseitens des Unternehmens einmal beschlossen, stellt sich die Frage nach derUmsetzung.
Bei einer GmbH ist meist die Gesellschafterversammlung für das Verhältnis zum Geschäftsführer zuständig. Die Gesellschafterversammlung kann einen Geschäftsführer in aller Regel jederzeit und ohne Angabe von Gründen von seinem Amtals Geschäftsführer abberufen. Damit verliert der Geschäftsführer zwar sein Amt,meist wirkt sich dies aber nicht auf denDienstvertrag aus, der neben der ursprünglichen Bestellung zum Geschäftsführer besteht und der unter anderem Regelungenzur Dauer des Dienstverhältnisses sowie
In Ungnade gefallenWenn Chefs gehen müssen Nicht immer sind Unternehmen mit ihrem obersten Führungspersonal zufrieden. Gilt hier „Hire and Fire“, oder muss man differenzieren? Von Andreas Chmel
Gastautor Andreas Chmel, Jahrgang 1970, studierte an den Universitäten Tübingen und Catania und erwarb in der Folge seinen Doktortitel an der HumboldtUniversität zu Berlin. Seit 2001 ist er Rechtsanwalt bei der Wirtschaftskanzlei Thümmel, Schütze und Partner in Stuttgart. 2005 wurde er dort Partner. Andreas Chmel berät und vertritt vorrangig Arbeitgeber, aber auch Führungskräftein Belangen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Daneben bildet die Beratung ausländischer, international aufgestellter Unter
nehmen mit Aktivitäten in Deutschland und Europa einen Schwerpunkt seiner Arbeit. Er ist unter anderem spezialisiert auf die Gestaltung undBeendigung von Arbeits und Dienstverträgen von Geschäftsführern und Vorständen sowie auf Restrukturierungsmaßnahmen in Unternehmen. red
DER ARBEITSRECHTLER
Auf der Suche nach Kündigungsgründen greifen manche Firmenzur Schleppnetzfahndungund durchforsten alte Spesenabrechnungen.
DANKE
FÜR DIE BEFÖRDERUNG,
CHEF!
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Alle Infos für Arbeitgeber
unter: vvs.de/fi rmenticket
vvs.de
aber oft ohne jede praktische Erfahrung.Sie analysieren die Lage und legen Konzepte vor, setzen diese aber nicht selbst um.Der IM geht einen Schritt weiter. Er setztauch um, was er zuvor vorgeschlagen hat.Das ist der entscheidende Vorteil, den auchimmer mehr Kunden sehen.
Wie oft scheitern IM?Das kommt selten vor. Viel steht und fällt allerdings mit der Auswahl der Kandidaten. Bei Division One treffen wir die Kandidaten persönlich und arbeiten zudem überReferenzen. Jeder IM muss zwei Personennennen, die seine Leistung einschätzenkönnen. Diese treffen wir im Normalfallauch persönlich. Zusammen mit anderenMaßnahmen können wir seine Qualifikationen so ziemlich genau einschätzen. Inunserer Datenbank haben wir derzeit gut1000 IM.
Die haben Sie aber nicht alle persönlichgetroffen?Viele davon schon. In unseren Büros gehenjeden Tag IM ein und aus.
Wo kommen IM überall zum Einsatz?Vakanzüberbrückungen sind ein Dauerthema in unserer Branche. Wenn einFirmenchef stirbt, Krankheiten führendeMitarbeiter außer Gefecht setzen oderes zu überraschenden Kündigungen kommt, werden wir angerufen. Einen Boom gibt es derzeit bei Projekttätigkeiten, weil die eigenen Ressourcen imUnternehmen nicht mehr ausreichen.Im Mittelstand ist allgemein zu wenig ManagementKnowhow vorhanden. Davon profitieren wir sehr stark. Mittlerweile werden IM auch stark gebucht, umdem Produktvertrieb einen Schub zu geben. Da haben anfängliche Berührungsängste der Firmen stark abgenommen. Die klassische Aufgabe von IM bleibenaber Sanierungen.
Wie viele Frauen arbeiten als IM?Viel zu wenige. Von den rund 3500 IM inDeutschland sind maximal fünf Prozentweiblich. Mehr Frauen würden der Branche guttun. Über die Gründe tappe ich imDunkeln. Mag sein, dass familiäre Gründe eine Rolle spielen. Klar ist, dass es vieleThemen gibt, in denen Frauen stark sind. Allgemein gehen sie die Dinge oft diplomatischer an als Männer.
Wie reagieren die Belegschaften auf die IM?Bei Sanierungsthemen sind die Vorbehalte natürlich groß, weil zu viele Ängste mit im Spiel sind. Generellwird externer Sachverstand in Unternehmen aber zusehends zum Normalfall. Es gibt alsogenerell keine Ablehnung.
Was verdienen dieVermittler?Im Interimsmanagement ist es üblich,das der Vermittlercirca 20 Prozent desBetrags erhält, dendas Unternehmenfür den IM bezahlt.In Zukunft wird derMarkt aber schwieriger werden.Einerseits drängen immer mehr IM insGeschäft, andererseits steigt die Zahl der Vermittler. Gerade britische und USamerikanische Firmen versuchen inDeutschland Fuß zu fassen. Beides zusammen wird erheblichen Druck auf die Tagessätze der IM ausüben und damit natürlich auch auf die Gewinnspannen der Vermittler.
Das Gespräch führte Walther Rosenberger.
Branchenerfahrung dagegen nicht mehrdie übergeordnete Rolle. Meist werden aber Spezialisten gesucht. IM mit gemischten Lebensläufen tun sich schwer. Derabsolut größte Mehrwert eines IM ist es,bestimmte Herausforderungen und Situationen schon mehrfach erlebt und bewältigt zu haben. Wenn ein Kandidat schonfünfmal eine Restrukturierung durchgeführt hat, dann ist er Fachmann und wirdauch schnell seinen sechsten Auftrag zurRestrukturierung eines Unternehmensbekommen.
Das heißt, wenn die Zeiten in der Wirtschaftschlechter werden, brummt bei Ihnen alsPersonaldienstleister das Geschäft?Ja und nein. In den Krisenjahren 2009 undauch 2010 war das tatsächlich so. Da war dieNachfrage nach harten Sanierern sehrhoch. Mittlerweile hat aber eine Akzentverschiebung stattgefunden. Gerade mittelständische Unternehmen haben heuteProbleme, genügend Personal fürs eigene Wachstum zu finden. Einer unserer Kunden will zum Beispiel gerade ein Werk inChina aufbauen, hat aber noch nicht dasnötige Personal und Knowhow. Wir habeneinige Interimsmanager mit ChinaErfahrung vorgeschlagen, die ihn bei dem Projekt begleiten können. Gerade kleinen Firmen mangelt es oft an ManagementKapazitäten, um neue Projekte anzuschieben. Dafür kaufen sie sich dann IM ein.
Deren Dienste sind dann aber nicht geradebillig, oder?Der durchschnittliche Tagessatz eines IMliegt derzeit bei 1100 bis 1200 Euro, wobei Spezialisten deutlich mehr verdienen können. Auf den Monat umgerechnet sind das also 20 000 bis 30 000 Euro. Das ist vielGeld, und es ist auch manchmal die Hürdefür uns als Vermittler. Viele Firmen müssen da erst mal tief durchatmen.
Welche Vorteile haben die Firmen überhaupt von IM?Erstens ist ein Festangestellter mit Dienstwagen, Rentenversicherung und allen Extras oft nicht viel billiger. Vor allem dauerngewöhnliche Jobausschreibungen abersehr lange. Wenn eine Anfrage zu unskommt, können wir meist innerhalb vonzwei bis drei Tagen einige passende Lebensläufe liefern. Wenn das UnternehmenJa sagt, kann der Kandidat sofort anfangen.Interimsmanagement geht also sehrschnell. Außerdem bleibt der Kunde flexibel. Die Kündigungsfristen der IM liegenirgendwo zwischen einem Tag und zweiWochen. Durchschnittlich bleiben sie aberzehn bis elf Monate im Unternehmen. Einwichtiger Nebeneffekt ist es, dass IM ineinem Unternehmen keine Karriere machen wollen. Sie wollen ihren Job nur bestmöglich durchziehen. Sie müssen also beiihren Entscheidungen nicht „politisch“vorgehen und keine persönlichen Rücksichten nehmen. Das erhöht die Qualitätder Entscheidungen.
Was ist der Unterschied zu klassischenUnternehmensberatern?Strategieberater sind jung und kompetent,
Interimsmanagement – das Führen vonUnternehmen auf Zeit – ist ein Wachstumsfeld. Gerade für BadenWürttemberg mit seiner vielfältigen Unternehmenslandschaft trifft das zu. Auslän
dische Dienstleister haben den Markt entdeckt und greifen an, sagt Björn Knothe.
Herr Knothe, Ihr Unternehmen Division Onevermittelt Manager auf Zeit, sogenannteInterimsmanager (IM). Was für ein Typ vonArbeitnehmer ist das?Der Typus des IM ist sehr mobil und hat Spaß an schwierigen Situationen. Stress macht ihm nichts aus, vielleicht sucht erihn sogar. Er muss komplexe Situationenschnell erfassen und zügig Leistung bringen. Sobald die Lage in einem Unternehmen zum Normalbetrieb übergeht, übergibt ein Interimsmanager gerne seine Aufgaben. Da ist die Herausforderung gelöst,und er verlässt das Unternehmen, wie vorher vereinbart. IM sind daher Spezialisten,die immer dann zum Einsatz kommen,wenn Probleme schnell gelöst werdenmüssen. Eine interessante Entwicklung ist,dass sie immer jünger werden. Als wir vor
fünf Jahren mit derVermittlung begonnen haben, warenfast alle Kandidatenüber 50 Jahre alt. Siewaren langjährig imgehobenen Management tätig und gehörten der erstenoder zweiten Führungsebene an. Heu
te drängt eine neue, jüngere Generation von Managern in den Markt.
Warum ist das so?Das hängt mit sich wandelnden Lebensmodellen zusammen. Die klassische Festanstellung über 30 Jahre hinweg, verbundenmit dem Gang durch alle Hierarchiestufen einer Firma, steht in der Rangliste derArbeitnehmerinteressen nicht mehr ganzoben. Viele Jüngere reizt heute Projektarbeit. Sie wollen immer vor neuen Herausforderungen stehen und sich beweisen.
Greenhorns, die kritische Situationen inUnternehmen lösen sollen. Ist das sinnvoll?Zugegeben, vielleicht haben die jüngerenIM manchmal weniger Erfahrung als ihre älteren Kollegen. Für uns als Vermittler ist es wichtig, dass wir den Unternehmen einebreitere Auswahl an Managern und Spezialisten anbieten können. Ich begrüße dieEntwicklung daher sehr.
Welche anderen Qualitäten braucht ein IM?Vor allem Erfahrung in der jeweiligenBranche. Wir vermitteln schwerpunktmäßig IM für die Bereiche Automobil, Industrie und IT. Unsere Erfahrung ist, dass Kunden oft nur Experten akzeptieren, dieeinschlägige Branchenkenntnisse vorweisen können. Das betrifft ganz sicher Jobsim Produktionsbereich, wenn also eine Firma einen Werkleiter oder Produktionschefsucht. Wenn ein Unternehmen Verstärkung im Finanzbereich benötigt, spielt die
„Die ziehen den Job durch“Interview Reingehen, sanieren, rausgehen. Interimsmanager gelten als die harten Jungs unter den Zeitarbeitern. Ihr Job ist aber vielschichtiger, sagt Björn Knothe, Chef der Personalvermittlung Division One.
Björn Knothe, Chef derStuttgarter Personalvermittlung DivisionOne, rechnet mit mehr Geschäft, aber wachsenderKonkurrenz.
Foto: Lg/Max Kovalenko
WACHSTUMSBRANCHEInterimsmanager In Deutschland gibt es rund 25 spezialisierte Vermittler für Interimsmanager. Bekannte Namen sind Division One, Atreus, Ludwig Heuse, Task Force oder Management Angels. Der Dachverband DDIM taxiert die Branchenumsätze für 2013 auf fast 1,2 Milliarden Euro. Experten gehen davon aus, dass der Markt mittelfristig um jährlich 15 bis 20 Prozent wächst. 2013 lagen die Tagessätze für Interimsmanager durchschnittlich bei knapp 1000 Euro, je nach Region aber viel höher.
Division One 2009 wurde Division One von Björn Knothe und Greg Marriott gegründet. Heute hat man über 20 Mitarbeiter und drei Standorte: Stuttgart, München und Düsseldorf. Partnerbüros gibt es in über 40 Ländern. wro
ZUR PERSONBjörn Knothe Nach einem BWLStudium in Stuttgart arbeitete der 42Jährige für mehrere Firmen im In und Ausland. 2009 gründete er zusammen mit einem Partner Division One mit Sitz in Stuttgart. Die Firma ist auf die Vermittlung von Führungskräften und Interimsmanagern spezialisiert. wro
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11Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
Der Mensch als Kapital
Fragt man Michael Reitzenstein (48), wieviele Mitarbeiter ihm als Personalchefbei ISS Facility Services mit Sitz in Düs
seldorf unterstehen, schüttelt er den Kopf.Reitzenstein redet davon, mit Mitarbeitern auf Augenhöhe zu sein. Nur so kann er umsetzen, was er gern tut: gestalten und Erfolg mit anderen haben. „Menschen machen denUnterschied“, hat Reitzenstein schon imStudium des Wirtschaftsingenieurwesensan der ehemaligen Technischen Hochschule(TH) Karlsruhe gelernt. Bei seinem Arbeitgeber sind Menschen das Kapital, weil siedie Serviceleistungen verkörpern. „Wennwir mit Kunden über Dienstleistungen sprechen, dann sprechen wir über Menschen“, sagt Reitzenstein. Sein Mottolautet: die richtigen Leute zurrichtigen Zeit am richtigen Ortzu haben.
Reitzenstein, in dessenTeam 25 Kollegen arbeiten, dersich aber für die deutschlandweit 12 000 Mitarbeiter verantwortlich fühlt, hatte immereine Affinität zu Menschen. ImInternat hat er sich als Gruppenleiter um jüngere Mitschüler gekümmert. Zugleich findet er Technik und Technologien spannend. „Ich bin extrovertiert,kann gut reden und erklären. Im stillen Kämmerlein wollte ich nie forschen.“ Das istmit ein Grund, warum er Wirtschaftsingenieurwesen studieren wollte – unbedingtin Karlsruhe, wo der Studiengang mit demFokus auf Unternehmensplanung und führung angeboten wurde. „Dort nahm dasSchicksal seinen Lauf“, sagt Reitzensteinund lacht, „ich habe mich als Ingenieur in dasThema Personalwesen verliebt.“ Mit seinemInteresse galt er als Exot. In den 1990er Jahren sei es ungewöhnlich gewesen, dass Ingenieure Personaler werden, sagt Reitzenstein.Allmählich ändert sich das.
Die Liebe zur Technik hat Reitzensteintrotz der Entscheidung für das Personalwesen nie aufgegeben. Er und sein Arbeitgeberprofitieren vielmehr von seinem technischen Sachverstand. Mit dem Einstieg beiISS vor vier Jahren war Reitzenstein zwarsofort Personalchef und Vollmitglied der Geschäftsleitung, doch seine Aufgaben gehen weit über die klassische Personalarbeit hinaus – und selbst dort begegnet ihm Technik:bei der Arbeit mit SAP oder wenn er sich mitdem Arbeitsschutz beschäftigt. Seit 2011nutzt ISS Methoden des Lean Management –ein Ansatz, der Reitzenstein seit dem Studium vertraut ist. „Damals waren Optimierung und Produktivitätsfortschritt große
Themen. Der Ansatz für einebessere Ergebnis und damitKundenorientierung eignetsich auch für Dienstleistungen,nicht nur für die Produktion.“
Daneben muss Reitzensteindie Bedürfnisse der Kundenverstehen und übersetzen. FürKunden aus der Industrie oderAutomobil und ZuliefererBranche, die sich mit Hilfe der
ISS auf ihr Kerngeschäft konzentrieren wollen. „Ich bin aktiv in AkquiseProzesse eingebunden“, sagt Reitzenstein. „Wenn wir voneiner Firma einen Teil beziehungsweise eineDienstleistung übernehmen, müssen wir dieFirma kennen und nachvollziehen können,was dort passiert.“ Auf Augenhöhe will Reitzenstein auch mit den Kunden sein. Werkbesichtigungen gehören zum Alltag. So gelingtes ihm besser, Krisengespräche mit Mitarbeitern zu führen oder Unstimmigkeiten mit Kunden zu beseitigen. Mit solchen Aufgaben ist er als Pendler zwischen den einzelnen Standorten in Deutschland beauftragt.
Vor seiner Zeit bei ISS arbeitete Reitzenstein 15 Jahre lang bei einem führenden ITUnternehmen. Eingestiegen als Personal
referent, „habe ich es bis zum Personalleiter für die Bereiche Vertrieb, IT und Infrastruktur geschafft“. Reitzenstein beschreibt sichals ehrgeizig. „Ich wollte immer eine Führungsposition übernehmen.“ Auslandserfahrung sammelte er in einem Schweizer Technologiekonzern.
Seine Ziele hat Reitzenstein erreicht.„Mein Job ist spannend. Ich brauche dieAbwechslung, und die finde ich bei ISS.“Zudem immer neue Herausforderungen. DieFirma hat eine Vision: „Die größte Serviceorganisation sind wir schon. Jetzt wollen wirdie beste werden“, sagt Reitzenstein.
Porträt Michael Reitzenstein (48) vereint als Personalchef seine Affinität zum Personalwesen und zur Technik. Von Stefanie Köhler
Immer auf Augenhöhe: Personalchef Michael Reitzenstein weiß,wie wichtig Menschen im Unternehmen sind. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko
„Ich habe michals Ingenieur in das Thema Personalwesen verliebt.“Michael ReitzensteinPersonalchef bei ISS
Ingenieurstudiengänge sind dafür bekannt, dass der Männeranteil hoch und der Frauenanteil mit unter zehn Prozent niedrig ist.Beim Studium des Wirtschaftsingenieurwesens sieht es anders aus. Laut Uwe Dittmann, Hochschulprofessor in Pforzheim, liegt die Frauenquote bei 20 bis 25 Prozent, andere Experten sprechen von bis zu 30Prozent. Vor 20 Jahren waren es fünf Prozent. Beliebt ist der Beruf Wirtschaftsingenieurbei Frauen auch, weil sie nach dem Studium in weniger technische Bereiche wie Immobilienwirtschaft, Facility Management, Marketing oder Beratung einsteigen können. sk
Hoher Frauenanteil
Wirtschaftsingenieure sind gefragte Fachkräfte. „Sie haben glänzende Berufsaussichten“, sind sich der Pforzheimer HochschulprofessorUwe Dittmann und Nicola Reitzenstein, beim Verband Deutscher Wirtschaftsingenieure (VWI) Sprecherin der Region BadenWürttemberg,einig. Firmen seien verstärkt auf flexible Mitarbeiter angewiesen, unddiese Eigenschaft brächten Wirtschaftsingenieure aufgrund ihres interdisziplinär ausgerichteten Studiums mit. „Wirtschaftsingenieure sind extrem einsatzfreudig“, sagt Reitzenstein. Laut Bundesagentur für Arbeit spiegelt sich die große Nachfrage in einer „dynamisch gewachsenen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung“ wider. Im Jahr 2013 waren laut Arbeitsagentur 156 000 Ingenieure in der Produktionsplanung und steuerung sowie in der Konstruktion beschäftigt – wegen der neuen Klassifikation der Berufe werden Wirtschaftsingenieure nicht mehr separat geführt, sondern fallen in das Tätigkeitsfeld Produktionssteuerung. Die Arbeitslosenquote bei Ingenieuren in der Produktionssteuerung und Konstruktion lag 2013 bei unter drei Prozent. Laut HochschulInformationsSystem (HIS) sind 95 Prozent der UniAbgänger und 90 Prozent der Absolventen von Fachhochschulen fünf Jahre nach dem Abschluss erwerbstätig. sk
Glänzende Berufsaussichten
Wirtschaftsingenieure haben Aussicht auf Gehälter im sechsstelligenBereich – sofern sie Universitätsabsolventen in einer Führungsposition sind. Die Spitzengehälter betragen mehr als 150 000 Euro brutto jährlich. Das Einkommen von Absolventen der Fachhochschule (FH) und Dualen Hochschule (DH) stagniert meist bei 80 000 Euro, weil sie für gewöhnlich operative statt Führungsaufgaben übernehmen. In der Regel verdienen Wirtschaftsingenieure mit UniAbschluss (Master/Diplom) schon beim Einstieg etwas mehr als Fachhochschulabsolventen (Master). Am wenigsten bekommen Absolventen der DH und FH (Bachelor). Das Einstiegsgehalt beträgt 34 000 bis 41 000 Euro brutto im Jahr. Die Höhe hängt aber auch von der Unternehmensgröße ab. Mit zehn Jahren Berufserfahrung bekommen UniAbsolventen mehr als 65 000 Euro BruttoJahresgehalt, die restlichen Wirtschaftsingenieure 50 000 bis 65 000 Euro. sk
Sechsstellige Einkommen sind möglich
Wer Wirtschaftsingenieur werden will, muss Wirtschaftsingenieurwesen studieren. In Deutschland ist das an rund 100 Hochschulen und mehr als 30 Universitäten möglich. Im Südwesten bietet zudem die Duale Hochschule den Studiengang an. Voraussetzung sind sehr gute Kenntnisse in Mathematik und Physik. Zahlreiche Einrichtungen haben einen Numerus clausus. Ein Drittel der Studenten entscheidet sich der Berufsbilduntersuchung des Verbands Deutscher Wirtschaftsingenieure (VWI) zufolge für die Richtung Maschinenbau, gefolgt von Produktion (19 Prozent), Informations und Kommunikationssysteme (11 Prozent) und Elektrotechnik (8 Prozent). Laut Statistischem Bundesamt ziehen Studenten den ingenieurwissenschaftlichen Schwerpunkt dem wirtschaftswissenschaftlichen vor. Hochschulprofessor Uwe Dittmann sagt, dass sich Firmen stark für die Inhalte des Studiums interessieren. Das Studium gebe den Absolventen ein breites Profil mit. Dass Wirtschaftsingenieure gefragt sind, hat sich herumgesprochen. Binnen zehn Jahren hat sich die Studentenzahl mehr als verdoppelt. Deutschlandweit sind derzeit etwa 100 000 Menschen eingeschrieben. Doch das Studium ist hart, wie die Zahlen zeigen: Nur 50 bis 60 Prozent schließen ihr Studium ab. sk
Einstieg nur mit einem Studium
Wirtschaftsingenieur Ein Beruf, wie geschaffen für eine immer internationalere Wirtschaft»
Mit Enten werden Wirtschaftsingenieure gern verglichen: Sie können wederrichtig laufen noch richtigschwimmen noch richtig
fliegen, sagt man. So wie mit den Enten verhält es sich auch mit Wirtschaftsingenieuren: Sie haben ein breites Wissen, sind aberkeine Spezialisten. Was Skeptiker bemängeln, wird von Firmen geschätzt. Wirtschaftsingenieure sind Generalisten – undgerade deshalb in Unternehmen Partnerfür eine Vielzahl von Spezialisten.
Ihre Fähigkeiten erarbeiten sichWirtschaftsingenieure im anspruchsvollenStudium. Das Wirtschaftsingenieurwesen ist interdisziplinär aufgebaut und vereintmehrere Studiengänge, die das Handwerkszeug für zahlreiche Unternehmensbereiche vermitteln. Die angehenden Wirtschaftsingenieure (kurz Wiings) erwerbenKenntnisse in der Betriebs und Volkswirtschaftslehre, zudem naturwissenschaftliche und technische Grundlagen in Elektrotechnik, Informatik, oder Maschinenbau, die sie je nach Hochschule vertiefen können. Nach dem Studium können Firmen die Absolventen flexibel und vielseitigeinsetzen, auch im Ausland. In der Berufsbilduntersuchung „Wirtschaftsingenieurwesen in Ausbildung und Praxis“, die derVerband Deutscher Wirtschaftsingenieure(VWI) alle vier Jahre herausbringt, heißtes: „Die zwei starken Säulen des integrativen Konzeptes der Ausbildung Wirtschafts und Ingenieurwissenschaft begegnen den vielfältigen Anforderungen dermodernen Unternehmenswelt.“
Wirtschaftsingenieure arbeiten an derSchnittstelle von Wirtschaft und Technik.
„Sie sind in der Lage, Probleme zu erkennen und Lösungen dafür zu finden, wobeisie zahlreiche Aspekte berücksichtigen“,sagt Uwe Dittmann, Professor für Wirtschaftsingenieurwesen an der HochschulePforzheim. Wenn er das Selbstverständniseines Wirtschaftsingenieurs beschreibt,benutzt Dittmann das Bild eines Brückenbauers oder eines Vermittlers. „Ein Wirtschaftsingenieur verbindet die technischeWelt mit der kaufmännischen. Er sprichtbeide Sprachen und führt die Weltenzusammen“, sagt Dittmann.
Aus seiner Sicht werden Wirtschaftsingenieure für Firmen immer wichtiger,weil die einzelnen Unternehmensbereichein sich ausgereizt sind. „Durch eine lokale Optimierung lässt sich nur noch weniggewinnen“, sagt Dittmann. Gefragt seienbereichsübergreifende Ansätze, für dieWirtschaftsingenieure prädestiniert sind.Dabei müssen Wirtschaftsingenieure aber nicht jedes technische Detail in und auswendig kennen. „Ein Wirtschaftsingenieurversteht die Abläufe und Prozesse. Erversteht, was die anderen tun, und übersetzt das an den Schnittstellen“, sagt NicolaReitzenstein, beim VWI Sprecherin derRegion BadenWürttemberg.
Daniel Sander, Hauptgeschäftsführerder Ingenieurkammer BadenWürttemberg, sagt: „Wirtschaftsingenieure machenUnternehmen erfolgreicher.“ Grundsätzlich seien sie für alle Firmen interessant.Ihre Fähigkeit, technischen Sachverstand mit Wissenaus der Betriebswirtschaft zu verbinden, erfülle aber
besonders die Bedürfnisse der mittelständischen Industrie – die im Südwesten starkvertreten ist. Gerade Betriebe, die hochtechnologisierte Produkte entwickeln, profitieren, sagt Sander. Trotz technischemSachverstand behalten Wirtschaftsingenieure Aspekte wie Qualität, Zeit und Kosten im Blick.
Tatsächlich sind Wirtschaftsingenieurein sämtlichen Unternehmensgrößen undBranchen zu finden. Nach wie vor dominieren sie in der Industrie. Dort sind lautVWIBerufsbilduntersuchung mehr als dieHälfte der Frauen und Männer beschäftigt(59 Prozent), gefolgt vom Dienstleistungssektor (24 Prozent). Die Wissenschaftmacht sechs Prozent aus, der öffentlicheDienst sowie der Handel jeweils drei Prozent. Fünf Prozent der Wirtschaftsingenieure sind selbstständig.
Auch innerhalb einer Branche oderFirma fischen Wirtschaftsingenieure insämtlichen Gewässern. Und machen durchaus spezialisierten Ingenieuren Konkurrenz. „Wenn eine Firma zum Beispieleinen Konstrukteur sucht, lädt sie auchWirtschaftsingenieure zum Bewerbungsgespräch ein“, sagt Reitzenstein.
Typische und für Firmen besondersbedeutsame Einsatzfelder für Wirtschaftsingenieure sind der VWIBerufsbilduntersuchung zufolge Produktion, Transport/Verkehr/Logistik und Marketing/Vertrieb.Aber auch in der Beratung, im Controlling, in der Informatik und im Einkauf bewertenUnternehmen Wirtschaftsingenieure als wichtig.
Wirtschaftsingenieure müssen demnach wie Kaufleute mit Kosten und Zahlenumgehen können, sie müssen wie Konstrukteure über die Funktion eines Bauteils
Bescheid wissen unddieses beschaffenkönnen, sie müssenaber auch wie Vertriebler denken, dieProdukte verkaufen.Das bedeutet, demKunden das Produktzu erklären undihm gleichzeitig zuvermitteln, wie eres einsetzen kann.„Unternehmen haben einen hohenBedarf an Vertriebsingenieuren“, sagtReitzenstein. Industrieversicherun
gen suchen ebenfalls Wirtschaftsingenieure, die technische Produkte und Anlagenbeurteilen können.
Darüber hinaus nehme inzwischen dieBedeutung von Wirtschaftsingenieuren inder Forschung und Entwicklung zu, woüber viele Jahre hinweg hauptsächlich reine Elektrotechniker oder Maschinenbauergefragt waren, sowie im Personalwesen.„Früher waren Personaler meistens ausschließlich Juristen“, sagt Reitzenstein.Mittlerweile hätten die Firmen jedocherkannt, dass Personaler die geeignetstenMitarbeiter dann finden, wenn sie die zubesetzende Position auch tatsächlichverstehen.
Wirtschaftsingenieuren stehen nichtnur in der Breite alle Türen und Tore offen.Sie können auch problemlos die Karriereleiter bis in die Konzernspitze erklimmen. Dort dominierten bis vor einigen JahrenMaschinenbauer oder DiplomIngenieureals Geschäftsführer oder Vorstandsvorsitzende. Das hat sich geändert. „Jeder zweiteWirtschaftsingenieur arbeitet in einerFührungsposition“, sagt Professor Dittmann. 15 Prozent davon übernehmen dieGeschäftsleitung einer Firma. Um nur ein paar prominente Beispiele zu nennen, dieden Aufstieg von Wirtschaftsingenieurenmarkieren: KarlFriedrich Rausch ist Vorstand für Transport und Logistik bei derDeutschen Bahn (DB) Mobility Logistics. Bodo Uebber ist Vorstand für Finanzen undControlling bei Daimler. Und WolfgangReitzle war bis zum Mai 2014 Vorstandsvorsitzender des TechnologieKonzernsLinde, bevor er als Verwaltungsratspräsident zum weltgrößten BaustoffherstellerHolcim wechselte.
Die Notwendigkeit von Wirtschaftsingenieuren in Leitungsfunktionen stelltauch die VWIBerufsbilduntersuchungfest. Darin heißt es: „Die steigende Komplexität der Unternehmenswelt erfordertheute von den Unternehmen Entscheiderund Führungskräfte, die neben der Übernahme von Spezialaufgaben auch eine integrierende Funktion übernehmen und beider Steuerung der Geschäfte die gesamteUnternehmenseinheit im Blick haben.Diese Funktion erfordert das Verständnissowohl der technischen als auch der wirtschaftlichen Unternehmensprozesse.“
Auch in Zukunft wird Wirtschaftsingenieuren die Arbeit nicht ausgehen. Experten glauben, dass Themen wie Ökologie, Nachhaltigkeit und Ressourcenverbrauchin Firmen eine noch größere Rolle spielenwerden. Vor allem auch deshalb, weil Verbraucher wissen wollen, wie umweltbewusst und ressourcenschonend Firmenagieren. Spannend könnten auch die FelderMedizin und Verfahrenstechnik werden,Branchen, die von Technik und Innovationgeprägt sind.
Unternehmen werden sich weiter internationalisieren. In Firmen, die etwa durchKooperationen wachsen, sagt Reitzenstein,würden für Wirtschaftsingenieure deshalb Sprachen noch wichtiger. Englisch sei bereits „absolut notwendig“. Weil Sprachkenntnisse und Fachwissen aber nichtausreichen, um internationale Projekteerfolgreich zu leiten, gewinnen interkulturelle Kompetenzen bereits im Studium an Bedeutung.
Berufsprofil Wirtschaftsingenieure sind in Unternehmen gefragt, weil sie interdisziplinär denken. Sie arbeiten als Übersetzer an der Schnittstelle zwischen Technikern und Kaufleuten. Von Stefanie Köhler
Die Grenzüberschreiter
Maschinenbau
Produktion
Informations- undKommunikationssysteme
Elektrotechnik
Logistik, Transport, Verkehr
Umwelttechnik
31
19
11
8
5
4
Bauingenieurwesen 3
ohne spezielle Vertiefung* 2
technische Chemie 2
Automatisierungs-technik 2
Operations Research 2
Biotechnologie 1
Verfahrenstechnik 1
sonstige 9
Verteilung der Wirtschaftsingenieure nach StudienrichtungAngaben in Prozent
Quelle: Berufsbilduntersuchung des Verbands Deutscher Wirtschaftsingenieure (VWI), 2011
*An einigen Hochschulen wird nur ein allgemeiner Studiengang
Wirtschaftsingenieurwesen angeboten.
StZ-Grafik: zap
Wirtschaftsingenieuren wird schon allein wegen des anspruchsvollen Studiums viel abverlangt. Eine starke Eigenmotivation ist deshalb unabdingbar. „Wir erwarten von den Studenten eine hohe Leistung“, sagt Uwe Dittmann, Professor für Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Pforzheim. Das teile er den Studentenbereits im Aufnahmegespräch mit. Flexibilitätist bei den angehenden Wirtschaftsingenieuren ebenfalls gefragt, wenn innerhalb eines Tages Betriebswirtschaftslehre, Informatik und Marketing auf dem Stundenplan stehen. „Wirtschaftsingenieure müssen sich schnell in neue Themengebiete einarbeiten“, sagt Dittmann.
Eigenmotivation gehört später im Berufslebenaus Sicht der Firmen zu den wichtigsten Eigenschaften. Als fast genauso bedeutend werden
Verantwortungsbewusstsein, Ziel und Kundenorientierung, analytisches Denken und Teamfähigkeit bewertet. „Wirtschaftsingenieure müssen absolute Teamplayer sein“, sagt Nicola Reitzenstein, beim Verband Deutscher Wirtschaftsingenieure (VWI) Sprecherin der Region BadenWürttemberg. Wer ein Projekt übernimmt, müsse auf andere Leute zugehen können, kommuni kativ, feinfühlig und zugleich ausdrucksstark sein. Dasselbe gelte, wenn man Mitarbeiter davon überzeugen muss, dass neue Prozesse effizienter sind als die alten. Hochschulprofessor Dittmann setzt diese Fähigkeiten auch im Umgang mit Kunden voraus, denen man zum Beispiel einProdukt erklären muss.
Reitzenstein sagt, dass Unternehmen heutevon Absolventen erwarten, dass sie bereits im
Ausland tätig waren – sei esdurch ein Auslandssemesteroder ein Praktikum. Darüber hinaus verlangen Unternehmenvon Wirtschaftsingenieuren,dass sie die im Studium gelernten Methoden und Technikeneinsetzen, um beispielsweiseProbleme zu analysieren oderProjekte zu starten. Diese Fähigkeit gilt auch für das Fachwissen, das Wirtschaftsingenieurenicht nur vertiefen sollen, sondern auch je nach Situation undErfordernis entsprechend einsetzen sollen. sk
Soft Skills als Erfolgskriterien
Wirtschaftsingenieure denken vernetzt. Ein Tunnelblick ist fehl am Platz. Foto: fotolia
FLEXIBEL EINSETZBAR
Den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen haben die Deutschen erfunden, oder genauer gesagt hat ihn der Wirtschaftswissenschaftler Willi Prion entwickelt. Im Jahr 1927 gründete er an der Technischen Hochschule BerlinCharlottenburg den Studiengang, derzunächst noch „Wirtschaft und Technik“ hieß. Am1. April startete Prion zusammen mit 51 Studenten. Der Wirtschaftswissenschaftler war der Auffassung, dass Wirtschaft und Technik eng miteinander verknüpft seien. Die eine Disziplin könne nur mit Hilfe der anderen maximal ausgeschöpft werden. Das sollte gelingen, indem er in einem Studiengang zwei völlig verschiedene Denk und Handlungsansätze integrierte. Anders als heute stieß der Studiengang damals allerdings auf eine nur mäßige Akzeptanz. Bis in die 1970er Jahre wurden Wirtschaftsingenieure in Deutschlandan nur wenigen Universitäten ausgebildet, wie zum Beispiel in Berlin, Karlsruhe, Darmstadt, Hamburg oder Kaiserslautern. Erst seitdem der Arbeitsmarkt ein großes Interesse am Berufsprofil der Wirtschaftsingenieure zeigt, bieten immer mehr Hochschulen den Studiengang an. Laut Verband Deutscher Wirtschaftsingenieure (VWI) hat sich diese Art Studium im Ausland bislang kaum etabliert. sk
Ein deutsches Produkt
„Jeder zweite Wirtschaftsingenieur arbeitet in einer Leitungsposition.“Uwe DittmannHochschulprofessor
Foto: StZ
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12 Wirtschaft in Baden-Württemberg 13Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
Lass es liegen!
Es klingt so einfach. „Lassen Sie IhrGeld für Sie arbeiten.“ Was dieserAufforderung – zu finden auf zahlreichen Internetseiten – folgt, isteine Anleitung wie aus dem Bilder
buch: Kaum ist das Vermögen „beim Arbeiten“, sprudeln nur noch die Gewinne. Allesharmlos. Alles easy. Das Problem ist nur:Geld scheint aktuell dank der Kombinationaus Geldflut und gefährlich niedriger Zinsen in den Streik getreten zu sein. Geld arbeitet zurzeit schlicht nicht – stattdessenwird es jeden Tag weniger wert.
Ein Luxusproblem für Reiche? Mitnichten. Auch Gesellschafter, oft in Personalunion auch noch Geschäftsführer schwer schuftender kleiner und mittelständischerUnternehmen, müssen sich fragen, was siemit ihrem Geld am besten anfangen.Grundsätzlich gibt es aus Unternehmer
sicht zwei Möglichkeiten: das verdiente Geld im Unternehmen lassen oder es ausschütten, um es anderweitig anzulegen.
Auf die Frage, was er denn mit seinemGeld mache, das er jedes Jahr verdient,antwortete jüngst ein mittelständischer Brauereibesitzer: „Das lasse ich natürlich in meinem Betrieb und arbeite damit. Ich investiere in neue Anlagen und Maschinen,Verfahren und Mitarbeiter. Ich baue mireine Hackschnitzelanlage, um Energiekosten zu sparen. Oder ich investiere in eineneue Flaschenreinigung, die weniger Wasser braucht.“ Geld aus der Firma herauszuziehen, um es privat anzulegen, kommt für ihn nicht infrage. „Wenn ich nicht an die Zukunft meines Geschäftsmodells glaubenwürde – wer soll es dann tun?“
Der Staat unterstützt diese Haltung. Odervielleicht formulieren wir es besser so: Er
setzt hohe Anreize für Unternehmer, dass sieihr Vermögen im Unternehmen belassen.
Nehmen wir zum Beispiel eine GmbH,die – wie bei vielen Familienunternehmen der Fall – einem oder vielleicht auchzwei geschäftsführenden Gesellschafterngehört und als Kapitalgesellschaft derKörperschaftsteuer (15 Prozent) sowie derGewerbesteuer (ca. 15 Prozent) unterliegt.Die GewinnAbräumung erfolgt hier in derRegel über das Geschäftsführergehalt. Dieses wiederum unterliegt der allgemeinenLohnsteuerpflicht. Aber was ist mit demRest des Gewinns, sofern einer übrig bleibt?Behält man den in der GmbH, oder soll maneine Gewinnausschüttung vornehmen?
Zum einen ist das eine ideologische Frage,zum anderen aber auch eine steuerliche.Sowohl offene wie auch verdeckte Gewinnausschüttungen unterliegen nämlich grund
sätzlich der Abgeltungsteuer. Auf Antrag kann sich ein privater Gesellschafter aberder Einkommensteuer unterwerfen. In demFall kommt das Teileinkünfteverfahren zumEinsatz, sprich: die Ausschüttung bleibt zu40 Prozent steuerfrei, außerdem sind Werbungskosten abzugsfähig. Diese Option lohntsich nicht generell, weil die Gewinnausschüttung dann auch – anders als unter derAbgeltungsteuer – mit 60 Prozent die Progression für die übrigen Einkünfte des Gesellschafters belastet. Es kommt also auf den Einzelfall an, wie dieses Beispiel von Haufe.de zeigt: Der ledige GmbHAlleinGesellschafter bezieht ein Geschäftsführergehalt, woraus sich ein zu versteuerndes Einkommen (z. v. E.) von 80 000 Euro ergibt. Darüberhinaus hatte er eine Gewinnausschüttung von 100 000 Euro erhalten. Werbungskostenwaren nicht angefallen.
Ergebnis: das Teileinkünfteverfahren istleicht ungünstiger, obwohl 40 Prozent der Ausschüttung steuerfrei bleiben. Das resultiert daraus, dass der Tarif für das übrigeEinkommen steigt. Insoweit lohnt sich derAntrag nur dann, wenn auch Werbungskosten angefallen sind, wie dies im zweiten Beispiel der Fall ist: Hier wurde mit Schuldzinsen in Höhe von 40 000 Euro gerechnet, dieals Werbungskosten von der 100 000EuroAusschüttung abgezogen werden. Ergebnis:das Teileinkünfteverfahren ist deutlich günstiger,weil sich hier über 60 Prozent der Werbungskostenauswirken.
Grundsätzlich ist esaber immer besser, dasGeld erst gar nicht ausdem Betrieb herauszunehmen. Natürlich, so argumentierenmanche, ist das angesparte Geld dann demRisiko im Insolvenzfall ausgesetzt. Andererseits kann das Unternehmen mit diesemKapital arbeiten. Und: Unternehmen, diein der GmbH ein Vermögen ansammeln,gehören in der Regel auch nicht zu denen, die anschließend insolvent gehen.
Dass der Staat durch die Steuergesetzgebung Unternehmer mehr oder wenigerdazu zwingt, möglichst wenig Geld aus ihrerGesellschaft herauszunehmen, hat Gründe.Kapitalstarke Unternehmen sind wenigerausfallgefährdet, können Krisenzeiten besser überstehen und sind auch bei der Bankbesser angesehen. Hört man sich im Kreise mittelständischer Firmenkundenberaterum, heißt es unisono: die Kapitalstärke derbadenwürttembergischen Mittelstandsbetriebe hat in den vergangenen Jahren – spätestens seit der Krise 2008/2009 – deutlichzugenommen. Das Gespür für Liquiditätund nachhaltige Zahlungsfähigkeit ist da.
Kein Wunder: das Rating eines Unternehmens, das wiederum die Höhe des Risikoaufschlags der Bank auf den marktüblichen Zins für Investitionen und Betriebsmittelkredite bestimmt, hängt maßgeblichvon der nachhaltigen Zahlungsfähigkeitdes Kunden ab.
Mittelständische Geschäftsführer, dieihr Unternehmen also nachhaltig gut finanzieren wollen, sind nicht nur ideologisch beidem Brauereibesitzer, der sein Geld lieberim eigenen Unternehmen lässt, anstatt es anderen zu überlassen. Auch aus steuerlicher Sicht ist die Investition in das eigeneWachstum nach wie vor die sinnvollsteKapitalanlage für einen Unternehmer.
Gewinnverwendung Unternehmer sollten besser auf die eigene Firma vertrauen, anstatt ihr Geld anderswo zu bunkern. Von Raimund Haser
Was sollten Unternehmer mit ihrem Geld tun? Es in die
eigene Firma – etwa eine Brauerei – investieren oder es
privat anlegen, etwa in Immobilien? Fotos: fotolia
Geldanlage Wie verwendet man anfallende
Gewinne von Firmen? Gerade Gesellschafter
stehen vor dieser Frage. Wie sie sich
entscheiden sollten, um Steuern zu sparen,
ist pauschal nicht zu beantworten.
Badenwürttembergische Mittelstandsbetriebesind heute kapitalstärkerals vor der Finanz und Wirtschaftskrise 2008/2009.
Teileinkünfteverfahren (in Euro) Abgeltungsteuer (in Euro)
zu verst. Einkommen 80 000 80 000
Gewinnausschüttung 100 000 100 000
60 % der Gewinnausschüttung 60 000
zu verst. Einkommen neu 140 000 80 000
Tarifliche ESt50 628 25 428
+5,5 % Solidaritätszuschlag 2 784 1 398
25 % Abgeltungsteuer 25 000
+5,5 % Solidaritätszuschlag 1 375
Gesamtbelastung 2011 53 412 53 201
Teileinkünfteverfahren(in Euro)
Abgeltungsteuer(in Euro)zu verst. Einkommen
80 000 80 000Gewinnausschüttung 100 000 100 00060 % der Kapitaleinkünfte von 60 000 € * 36 000zu verst. Einkommen neu 116 000 80 000Tarifliche ESt.
40 548 25 428+5,5 % Solidaritätszuschlag 2 230 1 39825 % Abgeltungsteuer 25 000+5,5 % Solidaritätszuschlag 1 375Gesamtbelastung 2011 42 778 53 201* Ausschüttung 100 000 € abzgl. Werbungskosten 40 000 €
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14 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
Die Verbrauchswerte beziehen sich auf die zur Markteinführung (09/2014) verfügbaren Motoren (C 180/C 200/ C 250/C 220 BlueTEC und C 250 BlueTEC). Kraftstoffverbrauch, kombiniert: 6,0–4,3 l/100 km; CO2-Emissio-nen, kombiniert: 140–108 g/km. Die Angaben beziehen sich nicht auf ein einzelnes Fahrzeug und sind nicht Bestandteil des Angebots, sondern dienen allein Vergleichszwecken zwischen verschiedenen Fahrzeug- typen. Abbildung enthält Sonderausstattungen.
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Persönliches
Markus Baumgärtner
ChefKontrolleur bei GVS
Markus Baumgärtner ist seit Anfang Oktober neuer Aufsichtsratsvorsitzender des Gaszwischenhändlers Gasversorgung Süddeutschland (GVS) in Stuttgart. Baumgärtner, der beim Energieversorger EnBW als Leiter der Wertschöpfungskette Gas beschäftigt ist, folgt damit auf den ehemaligen EnBWVertriebsvorstand Dirk Mausbeck, der das GVSKontrollgremium zwei Jahre lang führte. Neu im GVSAufsichtsrat ist zudem Uwe Fritz, Geschäftsfrüher der Sales & Solutions GmbH. wro
Frank Schnatz
Von WMF zu HansgroheFrank Schnatz (41) wird neuer Produktionsvorstand beim Schiltacher Badarmaturenhersteller Hansgrohe SE. Schnatz, der bislang beim Küchenausstatter WMF beschäftigt ist, folgt damit auf Marc Griggel (45), der seit 2004 beim Schwarzwälder Brausenhersteller beschäftigt war und die Internationalisierung der Produktion vorangetrieben hat. Ein exaktesEintrittsdatum für Schnatz in sein neues Amt steht noch nicht fest. Nach ExWMFChef Thorsten Klapproth, der seit Anfang Oktober bei Hansgrohe Vorstandschef ist, wäre Schnatz der zweite WMFMann innerhalb kurzer Zeit, der zu den Südbadenern wechselt. wro
Andreas Engelhardt
GWG mit neuem VorstandschefAnfang Oktober hat Andreas Engelhardt sein Amt als neuer Vorstandsvorsitzender der Volks und RaiffeisenbankTochter Gesellschaft für Wohnungs und Gewerbebau BadenWürttemberg AG (GWG) angetreten. Der 49jährige Immobilienspezialist folgt auf Rainer Neumann. Dieser hatte zum selben Zeitpunkt den Aufsichtsratsvorsitz der GWG übernommen. Engelhardthat jahrzehntelange Erfahrung im Immobilienbereich. Die GWG bewirtschaftet rund 18 000 Objekte in Deutschland. wro
Jürgen Hirschberg
Aus der Chemiebranche zu SoloDer Restrukturierungsspezialist Jürgen Hirschberg ist zum kaufmännischen Leiter beim Sindelfinger Gartengerätehersteller Solo Kleinmotoren GmbH berufen worden. Hirschberg arbeitete fast 15 Jahre für den Chemieriesen Hoechst (heute Aventis) und managte unter anderem die Umstrukturierung von Konzerngesellschaften in Asien. Der Schwerpunkt seiner Arbeit als InterimManager bei Solo wird etwa in der Optimierung von Prozessen im Verwaltungsbereich liegen. Solo hat Anfang des Jahres Teile seines GartenwerkzeugeGeschäfts an den Konkurrenten Alko verkauft. wro
HansAchim Quitmann
ZeissMann im DSAGVorstandHansAchim Quitmann, Leiter der KonzernIT beim Oberkochener Technologieunternehmen Carl Zeiss AG, ist Mitte Oktober zum neuen
TechnologieVorstandbei der DSAG gewähltworden. Die DSAG versteht sich als unabhängige Interessenvertretungvon SAPAnwendernim deutschsprachigenRaum und fördert denInformationsaustauschzwischen dem Walldorfer Konzern und seinen
Kunden. Der Verein ist eine der größten SAPAnwendergruppen weltweit. Seine Tätigkeitbei Carl Zeiss setzt Quitmann, der zuvor beim Hamburger Kupferhersteller Aurubis beschäftigt war, in vollem Umfang fort. wro
Christian Wulf
IHK statt FlughafenDer Betriebswirt Christian Wulf (39) hat Mitte Oktober die Leitung der Abteilung Presse und Öffentlichkeitsarbeit der Industrie und Handelskammer HochrheinBodensee (IHK) übernommen. Bisher war Wulf Sprecher der Flughafen Friedrichshafen GmbH und leitete den Bereich Marketing, Vertrieb und Unternehmenskommunikation des Unternehmens und arbeitete zuvor in ähnlichen Positionen beim Flughafen Stuttgart und bei der Fluggesellschaft Air Berlin. Wulf ist Mitglied der Vollversammlung der IHK BodenseeOberschwaben in Weingarten und engagiert sich seit einigen Jahren ehrenamtlich im KammerVerbund. wro
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Gottgefällig und am Drücker
Müssen Chefs von ehrwürdigen HighTechElektronikunternehmen nichtdurch Zurückhaltung punkten? Müssen sie ihre Stirn
nicht in Falten legen, bevor sie Fragen beantworten? Und grüblerisch abwägen, bevor sie ihr Urteil fällen? Mitnichten – und Susanne Kunschert, seit 2002 geschäftsführende Gesellschafterindes Automatisierungsunternehmens Pilz,ist der lebende Beweis, dass es auch ganzanders geht. Die Mutter eines Sohnes entspricht gerade nicht dem klassischen Bilddes deutschen Automatisierers, der zwarfachlich top und durchaus freundlich ist, dem es im persönlichen Umgang aber nichtselten irgendwie an Farbe fehlt. Wenn Kunschert Gäste bei sich im Unternehmen empfängt, dann hechtet sie förmlich nach vorn, um sie zu begrüßen. Sie sagtdann Sätze wie, „Toll, dass Sie da sind“, oder„Wir sind da grad an was ganz, ganz Spannendem dran. Kommen Sie, das zeig ich Ihnen jetzt mal.“ Lebensfreude und eine positive Grundeinstellung sind zwei Wesensmerkmale der 43Jährigen, die das aufAutomatisierungstechnik spezialisierteUnternehmen zusammen mit ihrer MutterRenate Pilz und ihrem Bruder Thomas Pilzführt. Die drei haben ein „sehr enges Verhältnis“, wie es heißt. Bei Pilz sitzen sieSeit an Seit im selben Büro. Kunschert verantwortet die Bereiche Personal, Finanzen,Controlling und Organisation – und ist fürdas Thema Industrie 4.0 zuständig. Einen Großteil ihrer Kraft schöpft diestudierte BWLerin, deren Vater Mitte der1970er Jahre bei einem Flugzeugunglückums Leben kam, aus dem katholischenGlauben. „Der Glaube ist die Basis“, sagt sie– nicht nur fürs Privatleben, sondern auch fürs Geschäftliche. Das reicht vom eherabstrakten „Ideal des ehrbaren Kaufmanns“bis in konkrete Details. Meetings bei Pilzsind oft über alle Mitarbeiterebenen hinweg offen. Das Wort Gemeinschaft wird ganz großgeschrieben, Hierarchien werden eher als notwendig denn als Selbstzweck angesehen. Pilz scheint das gutzutun. Umsätze undMitarbeiterzahlen steigen. Wer einmalbei Pilz arbeitet, bleibt fast immer dort. Mit nur 1,3 Prozent ist die Fluktuation in der Firma extrem gering. „Daraufsind wir stolz“, sagt Kunschert. Und strahlt glücklich.
Pilz Der NotAusKnopf hat Pilz aus Ostfildern weltweit bekanntgemacht. Geschäftsführerin Susanne Kunschert achtet darauf, dass die HighTechFirma technologisch vorn bleibt, und setzt dabei auf christliche Werte. Von Walther Rosenberger
Vertrauen in Führung
Was macht einen guten Chef aus? Fachliche Kompetenz sowie das „Wer andere führen möchte, sollte gelernt haben, sich selbst zu führen“.Und welche Eigenschaften davon haben Sie? Selbstreflexion.
Wie kommt man so weit wie Sie? Fleiß, Eigenverantwortung und die Bereitschaft, sich von Gott führen zu lassen.Welche Rolle spielte Glück bei Ihrer Karriere? Ich sehe das wie Elie Wiesel: „Ich glaube nicht an Zufall, ich glaube an Begegnung“.Haben Sie Vorbilder?Jesus.
Was ist typisch für Ihren Arbeitsalltag? Begegnungen.
Was würden Sie heute anders machen? Nichts.
Von wem können Sie am ehesten Kritik einstecken?Konstruktive Kritik will ich von allen Seiten hören.
Womit können Kollegen Sie nerven?Ich nehme jeden, wie er ist.
Und umgekehrt?
Ich hoffe, dass meine Mitmenschen mich auch so nehmen,wie ich bin.
Was raten Sie Berufsanfängern?Die eigenen Gaben zu entdecken und den eigenen Weg zu gehen.
Was macht Sie leistungsfähig?
Das Gebet.
Susanne Kunschert ist Mutter und Macherin. Im Fragebogen verrät sie etwas über ihre Vorbilder und erklärt, warum Zuversicht meist zum Ziel führt. Von Walther Rosenberger
Ausgefragt
Susanne Kunschert Die 43Jährige studierte an der Universität Regensburg Betriebswirtschaftslehre und arbeitete danach für den Anlagenbauer Dürr in den USA und England. Nach einer Zwischenstation bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young übernahm sie 2002 die Position der geschäftsführenden Gesellschafterin beim Elektronikunternehmen Pilz in Ostfildern. Privat ist sie in der Kinderkirche engagiert.
Das Unternehmen 1948 von Hermann Pilz als Glasbläserei in Esslingen am Neckar gegründet, steht Pilz heute für Prozessautomatisierung sowie für Sicherheitstechnik. Vor allem Elektronik und Sensoren spielen hier eine große Rolle. Sie erfassen beispielsweise Personen, die in den Arbeitsbereich von Robotern treten, und stoppen blitzschnell alle Systeme. Geleitet wird das Unternehmen von Renate Pilz, die seit 1994 Vorsitzende derGeschäftsführung ist und zusammen mit ihrer Tochter Susanne Kunschert und ihrem Sohn Thomas Pilz die Geschäftsführung bildet.
Die Kennzahlen Mit einem Umsatz von 233 Millionen Euro (2013) ist die Pilz GmbH & Co. KG ein klassischer Mittelständler. Das Unternehmen hat 31 FirmenTöchter und ist auf allen Kontinenten präsent. Über 1800 Menschen arbeiten für das Familienunternehmen, rund 900 davon in Deutschland. 17 Prozent des Umsatzes werden in Forschung und Entwicklung investiert.In den letzten Monaten hat Pilz rund 25 MillionenEuro in Werke, etwa in China, investiert. wro
FAMILIE AM STEUER
Susanne Kunschert,geschäftsführendeGesellschafterin beimMittelständler Pilz,
blättert in einer Broschüre. ITTechnologie
für Sensoren wird für Pilz immer wichtiger.
Foto: Pilz GmbH
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16 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
WirWirWirtschafttschaft 17November 2014& Debatte
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Strengere Gesetze und drastischeStrafen bewegen viele Unternehmen dazu, hart gegen Wirtschaftskriminalität vorzugehen. Dennochbleibe viel zu tun, meint der Krimi
nalitätsexperte Steffen Salvenmoser von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC.
Herr Salvenmoser, woran erkennt man einen Wirtschaftskriminellen?Das sehen Sie den Leuten nicht an. Der typische Wirtschaftsstraftäter ist vollkommenunauffällig und sozial integriert. Es handeltsich sehr oft um langjährige Beschäftigteeines Unternehmens, die in höheren Positionen arbeiten. Und es sind deutlich mehrMänner als Frauen.
Welche Rolle spielen Täter außerhalb derUnternehmen?Bis 2007 war das Verhältnis zwischenMitarbeitern und Externen, von leichten
Schwankungen abgesehen, ungefähr gleich.Seitdem hat die Tätergruppe der Mitarbeiternach unseren Daten nochetwas an Bedeutung gewonnen. Das liegt sicherauch daran, dass vieleUnternehmen ihre internen Kontrollen verschärft haben.
Gehen Unternehmen heutekritischer mit dem ThemaWirtschaftskriminalitätum als noch vor zehn oder15 Jahren?Eindeutig ja. Der Bewusstseinswandel hängtvor allem mit strengerenGesetzen und Haftungsregeln sowie dem härteren Vorgehen der Strafve r f o l g u n g s b e h ö r d e n
gegen Wirtschaftskriminelle zusammen. Die drastischen Strafen, die in großen Korruptionsfällen verhängt wurden, haben gezeigt, dass es sehr teuer werden kann, wennman sich nicht an die Regeln hält.
Hat sich das bereits auf die Zahl der Wirtschaftsdelikte ausgewirkt?Wenn Sie auf die polizeiliche Kriminalstatistik schauen, ist die Zahl der Delikte inden vergangenen Jahren mehr oder weniger konstant geblieben – abgesehen von Schwankungen durch Großverfahren mitHunderten oder Tausenden Beteiligten.Die Zahlen bilden aber nur einen Bruchteilder Wirtschaftskriminalität ab, weil sie nurdie angezeigten Fälle berücksichtigen. Daneben gibt es ein großes Dunkelfeld. Wir haben einen anderen Ansatz. Wir zählen
nicht die Fälle, sondern ermitteln perUmfrage den Anteil der Unternehmen, die von Wirtschaftskriminalität betroffen sind.Wir erfassen also auch jene, die Opfer einesDelikts geworden sind, aber keine Anzeigeerstatten. Damit können wir zumindesteinen Teil des Dunkelfelds ausleuchten.
Mit welchem Ergebnis?Mit der Einführung strengerer Kontrollen in den vergangenen Jahren hat zunächst einimmer höherer Anteil von UnternehmenDelikte festgestellt. Seit einigen Jahren nimmt die Zahl der betroffenen Unternehmen aber wieder etwas ab, weil die Präventionsmaßnahmen Wirkung zeigen. Nach wie vor sind aber nach unseren Erhebungenrund 43 Prozent der Unternehmen in Deutschland binnen zwei Jahren mit mindestens einem Fall von Wirtschaftskriminalität konfrontiert.
Sie haben also keine Angst, dass Ihnen die Arbeit ausgehen könnte?Überhaupt nicht. Ich habe eher die Sorge,dass aus dem leichten Rückgang eine falscheBotschaft herausgelesen wird – dass Unternehmen sagen: Die Lage hat sich gebessert,jetzt kann ich meine Bemühungen einstellen. Dabei ist die Abnahme nur eine Konsequenz verstärkter Anstrengungen. Wennman diese einstellen würde, würde die Wirtschaftskriminalität wieder zunehmen.
Was sind die häufigsten Delikte?Auf Platz eins rangieren Vermögensdelikte– also der Griff in die Kasse oder die Veruntreuung betrieblicher Gelder. In diese Kategorie gehören der Buchhalter, der Scheinrechnungen schreibt und das Geld auf seineigenes Konto überweisen lässt; der Lieferant, der schlechtere Qualität liefert als vereinbart; oder der Dienstleister, der Leistungen abrechnet, die nicht erbracht wurden.Auf Platz zwei liegt der Diebstahl geistigen Eigentums. Dazu gehören der Missbrauchvon Patenten und Markenrechten, Industrie und Wirtschaftsspionage oder derDiebstahl von Kundendaten. Das dritte große Deliktfeld ist die Korruption.
Wie läuft die Untersuchung von Verdachtsfällen ab – rufen die Firmen bei Ihnen an, undSie rücken dann als eine Art TaskForce an?Das ist eine Variante, die häufig vorkommt. Ein Unternehmer tritt an uns heran undsagt etwa: „Ich habe schon seit Jahren dasGefühl, dass in dieser Abteilung etwasschiefläuft.“ Da geht es oft um eine Aneinanderreihung von Kleinigkeiten. Ein Beispiel: ein Mitarbeiter fährt ein teures Autound setzt sich permanent für bestimmteLieferanten ein, obwohl er woanders günstiger einkaufen könnte. Außerdem schotteter sein Arbeitsfeld massiv ab, und auch die Zahlen stimmen seit einiger Zeit nicht.
Wenn dann noch etwas Ungewöhnliches passiert, möchten die Unternehmen, dassda mal jemand genauer hinschaut.
Dürfen Mitarbeiter die Aussage verweigern,wenn Sie sie befragen?Das kommt auf die Situation an und darauf,wie das Gesagte später verwendet werdensoll. Arbeitsrechtlich gilt der Grundsatz:der Arbeitnehmer hat eine Auskunftspflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Es gibtaber eine Grenze: Er ist – ähnlich wie imStrafrecht – nicht verpflichtet, sich selbst zu belasten. Manche Juristen sind der Auffassung, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer explizit über diese Grenze belehrenmuss, bevor er ihn befragt. Andere haltendas nicht für erforderlich. Da werdengerade lange juristische Aufsätze darüber geschrieben.
Wie können sich Unternehmen konkret vorWirtschaftskriminalität schützen?Das Thema Kontrollen hatten wir ja bereitsangesprochen. Das Risiko, entdeckt zu werden, schreckt potenzielle Täter ab. So lassensich etwa mit spezieller Software verdächtige Geldströme erkennen. Hilfreich ist auch eine WhistleblowerHotline, an die sichMitarbeiter wenden können, wenn sie irgendwo Ungereimtheiten vermuten. DiePrävention hat aber auch eine moralischeEbene. Die Unternehmen müssen dasBewusstsein vom ehrlichen Kaufmannwieder stärker zur Geltung bringen undden Mitarbeitern zeigen: Wir wollen unsereGeschäfte nur auf ehrliche Weise machen.
Besteht nicht die Gefahr, dass das zwar ineinem wohlklingenden Unternehmensleitbildsteht, sich in der Praxis aber nichts ändert?Das Management muss sich auch daranhalten. Das zeigt sich besonders in Grenzfällen – wenn etwa ein großes Geschäftwinkt, für das das Unternehmen aber gegenseine Antikorruptionsrichtlinien verstoßenmüsste. Dann muss die Geschäftsführung sagen: Das machen wir nicht, weil wirglaubwürdig bleiben wollen. Die Mitarbeiter müssen das Gefühl haben, dass dieRegeln ernst gemeint sind. Und es mussnatürlich trotzdem Kontrollen geben.
Eine WhistleblowerHotline lässt sich auchnutzen, um Kollegen zu denunzieren.Man kann nicht ausschließen, dass Mitarbeiter versuchen, so ein Instrument zumissbrauchen. Aber wenn man professionell damit umgeht, merkt man das schnell.Oft nehmen Beschäftigte etwas Verdächtiges wahr, wissen aber nicht so recht, wie siediese Information weitergeben sollen. Derdirekte Vorgesetzte ist ja möglicherweise anden regelwidrigen Praktiken beteiligt. Daeinen Kanal aufzumachen, über den manHinweise geben kann, ohne sich als Person
zu offenbaren, ist hilfreich. Der Kanal kannauch zu einem externen Dritten führen, wasgerade für kleinere Unternehmen, die nichtso viele Ressourcen auf das Thema Compliance verwenden können, eine interessante Option ist. Entscheidend ist, dass Verdachtsfälle ergebnisoffen geprüft werden. Es darf auch nicht bekannt werden, wenn ein Verdacht gegen Herrn X oder Frau Yuntersucht wird. Selbst wenn sich die Vorwürfe nicht erhärten lassen, bliebe an den Betroffenen immer etwas hängen, wenn einentsprechender Verdacht bekannt würde.
Und wo bleibt der Arbeitnehmerdatenschutz,wenn zur Kriminalitätsprävention systematisch Daten ausgewertet werden?Solchen Auswertungen setzt das Bundesdatenschutzgesetz enge Grenzen. Unproblematisch ist die Untersuchung von Transaktionsdaten – beispielsweise von Buchungsvorgängen. Es gibt aber auch Fälle,in denen diese Informationen mit Personenverbunden sind. Um diese Daten auswertenzu dürfen, braucht es einen konkretenVerdacht. Es geht hier um eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Interessen der Arbeitnehmer und dem Aufklärungsinteresse des Unternehmens.
Gab es schon einen Fall, bei dem selbst Siegestaunt haben, dass einer auf so eine Ideegekommen ist?Das passiert selten,weil sich das Ganzeletztlich doch aufeine überschaubare Anzahl von Grundmanipulationsmustern reduziert. Manche Täter glaubenzwar, sie seien aufeinen genialen Kniffgekommen, den noch keiner entdeckt hat. Meist erfinden sie aber nur das Rad wieder neu. Dielesen ja auch keine Lehrbücher darüber, wieman so was heutzutage aufdecken kann.
In Europa und den Vereinigten Staaten gelten strenge Antikorruptionsgesetze. Gilt dasauch für andere Regionen – oder muss man dort immer noch schmieren, um einen Auftrag zu bekommen?Das bekomme ich immer wieder zu hören. Es mag ja sein, dass man den einen oderanderen Auftrag verliert, wenn man konsequent auf Schmiergeld verzichtet. Die Unternehmen sollten sich aber fragen, obsich ein dubioses Geschäft auch noch rechnet, wenn man mögliche Strafzahlungen und den drohenden Reputationsschaden miteinbezieht.
Das Gespräch führte Werner Ludwig.
Compliance Die Einhaltung von Gesetzen und Regeln wird für Firmen immer wichtiger. Der PWCExperte Steffen Salvenmoser gibt im Interview einen Überblick über die Entwicklung der Wirtschaftskriminalität in den vergangenen Jahren. DaimlerVorstandsmitglied Christine HohmannDennhardt erklärt, wie ein Großunternehmen das Thema Compliance in die Praxis umsetzt. Das Beispiel der Baufirma Mörk zeigt, welche Möglichkeitender Kriminalitätsprävention mittelständische Unternehmen haben.Seite 19, 20 und 21
Gesucht: der ehrliche Kaufmann
Wie Firmen flüssig bleiben
Bankkredite, Anleihen, Schuldscheindarlehen oder Aktien – es gibt viele Wege, an Kapital zu kommen. Wir stellen die wichtigsten vor. Doch selbst eine dicke Eigenkapitaldecke schützt nicht immer vor Liquiditätsproblemen. Seite 24 bis 26
Gründer – und was aus ihnen wurde
Nicht jede Gründung ist wirtschaftlich erfolgreich.Doch auch wenn es anders als geplant läuft, lernen die Neuunternehmer vieles, was ihnen beim nächsten Anlauf hilft. Das belegen zwei Beispiele aus Stuttgart. Seite 22 und 23
Experte Steffen Salvenmoser ist Partner im Bereich Forensic Services bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price Waterhouse Coopers (PWC). Er ist spezialisiert auf die Aufklärung von Wirtschaftskriminalität in Unternehmen und leitete eine Vielzahl von Sonderprüfungen in unterschiedlichen Branchen. Vor seiner Tätigkeit bei PWC war Salvenmoser zwei Jahre als Richter und mehr als sechs Jahre als Staatsanwalt für Wirtschaftsstrafsachen tätig. lud
ZUR PERSON
„Der typische Wirtschaftsstraftäter ist vollkommen unauffällig und sozial integriert.“Steffen Salvenmoser, Kriminalitätsexperte bei Price Waterhouse Coopers
Foto: PWC
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Der Anglizismus Compliance, derfür Regelkonformität steht, hatKarriere gemacht. In vielenKonzernen kümmern sich jetztVorstandsmitglieder darum,
dass die Korruption keine Chance hat undsich alles nach gesetzlichen und internen Vorschriften abspielt. Im DaimlerVorstand kümmert sich die frühere Verfassungsrichterin Christine HohmannDennhardt seit 2011 um das Thema. Im Interviewzieht sich eine Zwischenbilanz ihrer Arbeit.
Frau HohmannDennhardt, Daimler ist infast allen Ländern der Welt vertreten. Ist es dort überall wirklich möglich, legal Geschäfte zu machen? Natürlich ist es in den unterschiedlichenLändern unterschiedlich schwer, legal zu handeln, aber es ist möglich. Und es ist insbesondere möglich für ein so großes undangesehenes Unternehmen wie Daimler.Ich sage immer: Wer, wenn nicht wir?
Gibt es Gepflogenheiten auf Drittmärkten,die nach deutschem Recht in Ordnung sind,nach USRecht aber zum Beispiel nicht? Es hat zumindest in der Vergangenheitunterschiedliche Gesetze gegeben. Beider Korruptionsbekämpfung ist uns dasamerikanische Recht voraus gewesen. Der„Foreign Corrupt Practices Act“ (FCPA)von 1977, also das USGesetz, das Zahlungen an ausländische Amtsträger verbietet,war ein Rechtswerk, das es so auf der Welt
vorher nicht gegeben hat. Es wurdenUnternehmen fürKorruptionshandlungen zur Verantwortung gezogen,nicht die einzelnenTäter, und das Gesetz erstreckte sichauf das Ausland.Früher waren dieGesetze in Deutschland und in vielenanderen Ländernnicht so, es gab alsogewisse Verzögerungen.
Haben wir jetzt weltweit einen einheitlichenStandard?Was die Gesetze betrifft, so hat es weltweiteine Anpassung auf das gleiche Niveau gegeben. Das gilt auch für Länder, in denenKorruption herrscht. Da gibt es ein Vollzugsdefizit.
Sie erwarten von den Geschäftspartnern dasEinhalten von Regeln und ein insgesamtintegres Verhalten. Wie verträgt sich das damit, dass Daimler auch mit Geschäftsleutenwie Bernie Ecclestone zusammenarbeitet?Wir überprüfen all unsere Geschäftspartner im Hinblick auf Compliance. WasHerrn Ecclestone betrifft: er ist kein direkter Geschäftspartner von uns. Das Gerichtsverfahren gegen ihn ist beendet, ermusste zwar einen großen Betrag zahlen,aber er ist nicht für schuldig erklärt worden. Wir respektieren die Entscheidung des Gerichts.
Die Ermittlungen in den USA gegen Daimlerwegen Korruption sind 2010 mit einem Ver
gleich beendet worden. Anschließend hat derfrühere FBIDirektor Louis Freeh kontrolliert, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Siesind seit 2011 im DaimlerVorstand unteranderem für Compliance verantwortlich.Was hat sich in diesen Jahren geändert?Es hat sich sehr vieles erfreulich entwickeltund zum Besseren gewandelt. Louis Freeh hat zum Ende seiner Arbeit im vergangenen Jahr vom Goldstandard gesprochen.Dasselbe gilt für eine Studie der DeutschenForschungsgemeinschaft (DFG), bei der esum die Frage ging, wie weit Compliance imUnternehmen verankert ist. Da haben wir sehr gut abgeschnitten. Aber wir könnenund wollen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen.
Wie viele Verstöße wurden gemeldet?Die Bilanz messe ich nicht an den Zahlen,um das ganz klar zu sagen. Ich messe dasdaran, dass sich unsere Mitarbeiter mittlerweile sicher fühlen im Umgang mit denThemen. Aber wir müssen auf der Hut sein.Dazu dient zum Beispiel unser Hinweisgebersystem. Nach der Bilanz 2013 wurdenkonzernweit 4500 Fälle angezeigt. Daswaren vielfach aber auch reine Anfragenund Doppelanzeigen. Dann gab es leichtereVerstöße, die an die jeweiligen Vorgesetzten gegeben wurden – zum Beispiel Verspätungen von Mitarbeitern. Festgehaltenwurden 700 Hinweise, und von denen sind nach Prüfung 84 Fälle übrig geblieben, beidenen sich der Verdacht bestätigte. An erster Stelle stehen Diebstahl und Untreue,dann kommen sonstige Verstöße – zumBeispiel gegen unsere Verhaltensrichtlinie – und an dritter Stelle dann Bestechungsfälle, aber fast gleichbedeutend sindFragen von Diskriminierung und Mobbing.
Von wie vielen Mitarbeitern hat sich Daimler aus diesen Gründen getrennt?Für uns steht das Prinzip der Verhältnismäßigkeit an oberster Stelle. Natürlichmüssen wir Verstößen nachgehen. Aber wirhaben uns einer Fehlerkultur verschrieben.Man darf bei uns Fehler machen, wenn das nicht vorsätzlich geschieht. Und es spielteine Rolle, wenn jemandem der Fehler zumBeispiel zum ersten Mal nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit unterlaufen ist. Aber eskommt auch zu Kündigungen. Über Zahlen möchte ich da nicht sprechen.
Das WhistleblowerSystem für anonymeTipps gilt auch als Spielwiese für Denunzianten. Rechtfertigt die Trefferquote den möglichen Schaden?Ich meine, dass das ein sehr sinnvolles Instrument ist. Natürlich besteht das Risikodes Missbrauchs. Ich meine aber, dass mandem begegnen kann. Wir prüfen sehr sorgfältig, ob wir überhaupt in Prüfungen eintreten – was die Zahlen ja im Übrigen zeigen. Wir gehen keinem aus der Luft gegriffenen Verdacht nach, sondern prüfen sehrgenau. Und wir ziehen ganz unverzüglich die Betroffenen heran und hören sie an.
Wer schützt zu Unrecht angeschwärzteMitarbeiter?
Wenn sich ein Verdacht nicht bestätigen sollte, bieten wir dem
Mitarbeiter rehabilitierendeSchritte an, sofern er es will.
Wir stellen die Sache dannklar, damit nichts hängenbleibt. Außerdem mussderjenige mit Sanktionen rechnen, der falscheVorwürfe erhebt, sofernwir das feststellen können.
Aber ein Tippgeber kannanonym bleiben.
Natürlich, aber manchmallässt sich erkennbares An
schwärzen einkreisen und erkennen, aus welcher Ecke das kommt. Zudem sind nichtalle Hinweise anonym.
Sollten Tippgeber wie in den USA eine Belohnung erhalten? Auf EUEbene wird überdieses Thema diskutiert.Ich halte von dieser Idee überhaupt nichts.Wer einen Verdacht äußert, sollte das nichtwegen des Geldes tun, sondern weil er sichverantwortlich fühlt. In den USA ist es so:Wenn sich der Whistleblower an den Staat wendet, bekommt er nachher die Belohnung. Das ist kontraproduktiv, denn derselbe Gesetzgeber, der die Belohnung aussetzt,erlegt den Unternehmen auf, WhistleblowerSysteme einzurichten. Warum sollte sich jemand noch intern und rechtzeitigan ein solches WhistleblowerSystem wenden, wenn er daran vorbei vom Staat eine Belohnung erhalten kann? Das führt unsnicht weiter. Unternehmen haben die Verpflichtung, sich selbst darum zu kümmern,dass es regelkonform bei ihnen zugeht.
Wie halten Sie beim Thema Compliance dieAufmerksamkeit aufrecht, zumal die Moraldebatte manchenauch nerven wird?Wir führen die Debatte nicht moralisch, sondern sehreng orientiert an derAlltagssituation derMitarbeiter. Abernatürlich sind wirimmer wieder gefordert, das Thema amLaufen zu halten.Wir machen das mitFachtagungen, aberauch mit einem Computerspiel, der „Monster Mission“ zum Thema Integrität, das wirin diesem Jahr aufgelegt haben. Wirtschaftlicher Erfolg und Integrität sind beide wichtig, und um beides geht es in dem Spiel. Mitdem spielerischen Ansatz betreten wir inDeutschland Neuland. Sicher gibt es auch kritische Stimmen, die fragen, ob das demThema angemessen ist. Aber auch diese Debatte ist wichtig.
Für Mitarbeiter gilt bei Einladungen einRichtwert von 100 Euro, bei Geschenken sindes 50 Euro. Übertreiben Sie da nicht?Wohlgemerkt, es ist ein Richtwert, keineObergrenze, so wie wir sie früher hatten.Eigentlich brauchen wir so etwas gar nicht,denn es kommt ja darauf an zu sagen, welche Einladungen oder Geschenke gemieden werden sollten, weil der Anscheineiner Einflussnahme entstehen könnte.Das kann schon bei zehn Euro der Fall seinund bei 110 Euro noch nicht. Eine Orientierungslinie ist hilfreich. Diese Linie kannüberschritten werden, aber es ist dannsinnvoll, das Geschenk oder die Einladungschriftlich zu dokumentieren.
Das Gespräch führte Michael Heller.
„Von Prämien halteich überhaupt nichts“ Interview Christine HohmannDennhardt, im DaimlerVorstand fürIntegrität und Recht zuständig, mag Hinweise auf Vergehen nicht belohnen. Anonyme Tipps hält sie für ein sinnvolles Instrument.
DaimlerVorstandsfrau HohmannDennhardt plädiert für eine Fehlerkultur. Fotos: Lg/Leif Piechowski, Illustration: Daimler
Daimler hat das Regelwerk drastisch beschnitten
In den USA haben im Jahr 2004 das Justizministerium und die BörsenaufsichtSEC Ermittlungen gegen Daimler aufge
nommen. Grund dafür waren Korruptionsvorwürfe, die ein Insider erhoben hatte. Zwei Jahre später wurde der frühere FBIDirektor Louis Freeh als AntiKorruptionsberater nach Stuttgart geschickt, umDaimler beim Aufbau einer ComplianceOrganisation zu unterstützen. 2010 konnteDaimler die Sache per Vergleich aus der Welt schaffen. Der Konzern zahlte 185 Millionen Dollar und akzeptierte Freeh für diefolgenden drei Jahre als Aufpasser. Wenigschmeichelhaft heißt es in den Unterlagender USJustiz, dass jahrzehntelang in22 Ländern Staatsbedienstete geschmiertwurden, um an Aufträge zu kommen.
Ziel der 2006 gebildeten ComplianceOrganisation ist es, den Beschäftigtendabei zu helfen, sich rechtlich einwandfreiund integer zu verhalten und sich um Ver
stöße zu kümmern. Der Bereich ist Teil desVorstandsressorts Integrität und Recht,das seit 2011 besteht und von der früheren Bundesverfassungsrichterin Christine HohmannDennhardt (64) geleitet wird.Insgesamt zählt die Organisation mit ChiefCompliance Officer Wolfgang Herb an derSpitze 178 Mitarbeiter; davon sind 79 lokaleManager, die weltweit vor Ort für die Umsetzung des ComplianceProgramms sorgen. Der Schwerpunkt liegt auf der Prävention von Korruption, Untreue, Unterschlagung und Geldwäsche. Beim Business Practices Office (BPO) können Beschäftigte ebenso wie Außenstehende Hinweise aufGesetzesverstöße oder interne Regeln melden. Das BPO hat etwa zehn Mitarbeiter.
Christine HohmannDennhardt legtWert darauf, dass eine Überregulierungvermieden wird, so dass Mitarbeiter nichtdas Vertrauen in die eigene Organisationund in ihr eigenes Entscheidungsvermögen
verlieren. Das Ergebnis der Bemühungen: in den letzten drei Jahren wurde das Regelwerk von 1800 internen Vorschriften auf weniger als 700 reduziert.
Daimler begreift das Thema Complianceals Daueraufgabe und baut sein bereitsumfangreiches Schulungsprogramm stetigaus. So wurden in den Jahren 2011 bis 2013etwa 184 000 Beschäftigte in internetbasierten Trainings und Präsenzveranstaltungen geschult. Die Beschäftigten in denWerken hat der Konzern versucht durcheinen sogenannten Integrity Truck zu erreichen. Dieser Lastwagen fuhr, besetzt mitComplianceSpezialisten, 18 Standorte inDeutschland an und suchte das Gesprächmit den Mitarbeitern in der Produktion.
Mit der „Monster Mission“ wird diePalette der Maßnahmen um ein OnlineSpiel ergänzt. Die erste Runde ging MitteOktober zu Ende. In einer Umfrage haben72 Prozent der Teilnehmer den spielerischen Ansatz als grundsätzlich geeignet fürdie Auseinandersetzung mit dem ThemaCompliance bezeichnet. Zum Spiel selbst gab es auch einige kritische Stimmen. Jetztläuft die zweite Runde. mih
Korruptionsbekämpfung Um Überregulierung zu vermeiden, wurdedie Zahl der internen Vorschriften von 1800 auf etwa 700 reduziert.
CHRISTINE HOHMANNDENNHARDTKarriere Die frühere Bundesverfassungsrichterin Christine HohmannDennhardt hat die Wirtschaft erst spät entdeckt. 2011 zog die64Jährige in den DaimlerVorstand ein. Die Juristin war vor ihrer Zeit in Karlsruhe (1999 bis 2011) Ministerin in der Landesregierung Hessens, zunächst verantwortlich für Justiz, später für Wissenschaft und Kunst. Auch die Kommunalpolitik kennt die gebürtige Leipzigerin aus ihrer Zeit als Sozialdezernentin in Frankfurt. red
„Wenn sich ein Verdacht nicht bestätigen sollte, bieten wir rehabilitierende Schritte an.“Christine HohmannDennhardt über zu Unrecht angeschwärzte Mitarbeiter
Via OnlineSpiel wird bei DaimlerKorruptionsfällen nachgespürt.
18 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
und Züblin auf der gar nichtso langen Teilnehmerliste. Bei EMB geht es nicht nur umdie Einhaltung von Recht undOrdnung. Es geht vielmehr um ein wertorientiertes Management, die Unternehmen wollen als „vertrauenswürdiger und fairer Partner auftreten“, ist in der EMBBroschüre nachzulesen. Alle drei Jahre wird das Audit überprüft und neu ausgestellt. Rundeinen Tag sind dafür dieEMBVerantwortlichen imUnternehmen und reden mitGeschäftsführer und Mitarbeitern.
Schäfer, der sich selbstschon gegen unredliche Angebote gewehrt hat, steht hinter dem Ansatz. Wie ernst er es meint, werde im Bewerbungsgespräch deutlich, erläutert er. „Ich spreche mitBewerbern über kritischeThemen, die der Alltag so mit sich bringt.“ Konkret diskutiert er etwa Fallbeispiele, wenn etwa einKunde um einen Preisnachlass feilscht. „Entschieden verhandeln ist in Ordnung, Lügen dürfen nicht sein“, sagt Schäfer im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung unmissverständlich. Auch ein bisschen Schummeln geht nicht. „Mein Feedback inGesprächen: unser Wertesystem gibt uns Klarheit. Wir wissen, was geht und wasnicht geht. Wir rutschen nicht so schnell in die Grauzone“, so Schäfer.
Transparenz und Ehrlichkeit sollenauch den Beschäftigten Halt geben. Bei Verträgen gilt das VierAugenPrinzip, immer zwei Personen müssen unterschreiben. Projekte sind auch für Kollegen einsehbar.Was freilich nicht bedeutet, dass alles immer problemlos über die Bühne geht. Es gibt auch mal Ärger bei einem Projekt. „Wirwollen nicht immer nur lieb und nett er
Selbst ein bisschen Schummeln geht nicht
Das Image der Branche ist traditionell schlecht. Wer überKorruption, Bestechlichkeitund Skandale redet, landetschnell beim Bau. Jeder zeigt
auf die Branche, wenn es um Kostenexplosion, Schwarzarbeit, Sozialversicherungsbetrug, Intransparenz oder Pfusch geht. Matthias Schäfer kennt all diese Probleme.Er weiß vom Misstrauen, dass zwischenBauherren, Bauunternehmen und Lieferanten herrscht – und wie häufig Anwälteund Gerichte die Wogen glätten müssen. Schäfer ist der Geschäftsführer von Mörk inLeonberg. Und er macht es anders.
Mörk ist ein mittelständisches Bauunternehmen, das mit 90 Beschäftigten50 Millionen Euro umsetzt. Das Familienunternehmen, gegründet 1902, beschäftigtkeine gewerblichen Mitarbeiter, sonderntritt als Generalübernehmer auf. Gemeinsam mit Partnern erstellt Mörk Reihenhäuser sowie größere Wohneinheiten mit 20 bis150 Wohneinheiten, es baut für Industrie,Gewerbe und kirchliche Einrichtungen.
Auf der Homepage stößt man unter derRubrik „Werte“ schnell auf Stichworte wieAufrichtigkeit, Zuverlässigkeit und Kompetenz. Schäfer will keinen Vertragspartnerübervorteilen. Fairness ist ihm wichtig.
P r e i sa b s p r a c h e noder Ähnliches seien für ihn ein NoGo, sagt er. Die eigene Fehlkalkulationüber Tricksereienwettzumachen, gehtnicht. Das sindmehr als leere Worte. Mörk besitzt dasEMBZertifikat. DasKürzel steht für„Ethikmanagementder Bauwirtschaft“;
der Verein wurde 1996 von der bayerischen Bauwirtschaft gegründet. Die Landesgrenzen hat er schon lange überschritten. NebenMörk stehen bekannte Namen wie Bilfinger
scheinen“, so Schäfer. Manchmal komme esauch zum Streit. Schließlich gehe es darum:„Was ist vereinbart, was steht im Vertrag?Das steht uns dann auch zu.“ Schäfer: „Manmuss für seine Werte auch eintreten.“ Undmanchmal landet auch Mörk vor Gericht.
Und auch bei den Mitarbeitern sei manletztlich nie dagegen gefeit, dass einermal irgendwelchen Verlockungen erliege, räumt Schäfer ein. Doch die Gefahr, entdeckt zu werden, ist groß. Es gebe zwei Vertrauenspersonen im Unternehmen, die Ansprechpartner für mögliche Regelverstöße sind. Ein Mitarbeiter, der Verdacht geschöpft hat, kann sich an sie wenden. Eswerde offen geredet, Diskretion sei abergewährleistet, versichert Schäfer.
Anschließend kann die Vertrauensperson die angesprochenen Punkte verifizieren. „Wir haben auch schon diskutiert, ob
wir eine Meinungsbox aufstellen sollen, damit die Mitarbeiter anonym bleiben“, erläutert der MörkChef. „Aber was bringt unsdas?“, fragt er. Im Zweifel bleibe dann vielesunklar. Man könne zum Beispiel nichtnachfragen, ob es einen Konflikt zwischenden Betroffenen gibt, wie häufig der Regelverstoß vorkam oder in welchem Zusammenhang er entdeckt wurde. „Unserer Ansicht nach ist Anonymität kein geeignetesMittel, um Transparenz und ein vertrauensvolles Miteinander zu schaffen“, so Schäfer.
Und der Kunde? Honoriert er die Bemühungen von Mörk um Ehrlichkeit und Fairness, oder entscheidet er doch wieder nach dem Preis? „Wir können keine höherenPreise durchsetzen“, so Schäfer. „Aberwenn zwei Angebote vergleichbar sind,bekommen wir auch aufgrund unsererArbeitsweise oft den Zuschlag.“
Compliance Das Bauunternehmen Mörk in Leonberg kennt das schlechte Image der Branche – und macht es besser. Der Mittelständler setzt auf Transparenz und Ehrlichkeit und lässt sich nach dem EMBWertemanagement Bau zertifizieren. Von Inge Nowak
Eines von vielen MörkProjekten: das Gemeindezentrum der evangelischmethodistischen Kirche in MainzKostheim Foto: Mörk
BAUEN FÜR STAMMKUNDEN Geschichte Mörk ist ein Familienunternehmen. Gegründet wurde es 1902 von Georg Mörk, bis heute ist der Firmensitz in Leonberg. Mörk bezeichnet sich selbst als Spezialist für schlüsselfertiges Bauen. Rund 60 Prozent der Kunden sind Stammkunden.
Aktivitäten Das Unternehmen erstellt größere Wohneinheiten, Gewerbeimmobilien sowie Kirchen im süddeutschen Raum. ino
Arbeiten wie ein Detektiv
Wo Dragana Kovacevic hinkommt,sind Menschen und ihre Arbeitsplätze gefährdet – zum Beispiel
durch Spionage, Geheimnisverrat oder Korruption. Die 28Jährige ist „Senior Consultant Forensic Services“ oder einfacher gesagt: Expertin für wirtschaftskriminelle Handlungen bei der Wirtschaftsprüfungsund Beratungsgesellschaft PwC. In ihremBeruf dreht sich alles um das Thema Com
pliance – also um regelkonformes Verhalten in Betrieben und den Umgang mitRegelverstößen. „Wir werden leidermeistens erst gerufen, wenn es schonbrennt“, sagt Kovacevic. Um im Bild zubleiben: Sie und ihre Kollegen müssen erst einmal Feuer löschen und
den Brandstifter finden. Dann können sie neue Sicherheitsmaßnahmen erarbeitenund Feuermelder aufhängen.
„Analysieren, Regeln entwickeln undumsetzen, überwachen und optimieren“, sobeschreibt Rolf Stober die Arbeit einesComplianceManagers. Stober ist Leiterdes Forschungsinstituts für Compliance, Sicherheitswirtschaft und Unternehmenssicherheit an der Deutschen Universität für Weiterbildung in Berlin (DUW). Er hateinen Masterstudiengang für Complianceentwickelt. Besonders wichtig ist ihm, dassangehende Sicherheitsexperten international, interdisziplinär und interkulturell agieren lernen. Doch seit die DUW von der privaten SteinbeisHochschule übernommen wurde, werden keine neuen Studentenmehr in diesen Studiengang aufgenommen.„Die Bewerberzahlen waren schlichtweg zugering“, sagt Birgit Galley, Geschäftsführerin der DUW und Direktorin der Steinbeis
Hochschule. Alternativ könnten Studierende nun einen Master of Business Administration mit dem Schwerpunkt Complianceund Wirtschaftskriminalität wählen.
Einen klassischen Weg in den Beruf nebenden Angeboten privater Hochschulen gibt esnicht. Dragana Kovacevic hat Betriebswirtschaft, Recht und Rechnungswesen studiert. Als sie ihr Studium abgeschlossen hatte,wusste sie noch nicht einmal, dass es diesenJob überhaupt gibt. Geschadet habe dasnicht, sagt sie. Das meiste lerne man in derPraxis und von den Kollegen im Team. Denn die Fälle sind für einen Menschen alleinehäufig viel zu komplex. Quereinsteiger wieUnternehmer, Staatsanwälte und Polizistenbringen wertvolles Vorwissen mit – und Lebenserfahrung. Geschäftsführer, die ihreUnternehmen seit 30 Jahre kennen, sind häufig misstrauisch, ob UniAbsolventen ihreexistenzgefährdenden Probleme lösen können. „Das ist eine Herausforderung, da muss man sich natürlich erst mal beweisen und einen Namen machen“, sagt die Beraterin.
Dass das Interesse an ihrem Beruf relativgering ist, kann sie nicht verstehen. Einen spannenderen Job könne sie sich nicht vor
stellen. „Wir arbeiten wie Detektive“, sagtKovacevic . Hat ein Geschäftsführer denVerdacht, dass in seinem Unternehmen jemand korrupt ist, meldet er sich bei PwC. Die Experten werten den Schriftverkehr aus, suchen nach Verwandten und Freunden in dem Unternehmen, dem möglicherweise Aufträge zugeschustert wurden, führen Interviews und recherchieren, ob derVerdacht schlüssig ist. Manchmal wird derBetroffene mit den Mutmaßungen konfrontiert, in anderen Fällen nicht. Die Experten müssen dann verdeckt arbeiten.
Auch angesichts der Karrierechancenkönnte das Interesse größer sein. „Es werden sehr viele Fachleute gesucht“, sagt Rolf Stober. ComplianceManager arbeiten für alle Branchen. Doch im Mittelstand und inder öffentlichen Verwaltung sei das Themanoch nicht richtig angekommen, sagt Stober. Die meisten ComplianceExpertenkommen in Großunternehmen oder bei Beratungsagenturen unter. Dort führt die Karriereleiter vom JuniorBerater über den SeniorBerater zum Partner. Wie andere Beratertätigkeiten auch wird ComplianceManagement gut bis sehr gut bezahlt.
Karriere Bei der Ausbildung zum Experten für Compliance und Wirtschaftskriminalität führen viele Wege zum Ziel. Von Larissa Holzki
Dragana Kovacevic kann sich keinen spannenderenJob vorstellen. Foto: PwC
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19Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
Erfolgreicher Neustart vom Sofa aus
Als sie sich zum ersten Mal auf dasGründerparkett wagten, hat auch inClemens Walter und Sarah Haide
noch etwas zu viel deutsche Gründlichkeitgesteckt. Dabei hatten die beiden, die imJahr 2012 eine sichere Anstellung beieinem Personaldienstleister gegen eine Unternehmerkarriere tauschten, bei ihremersten Projekt namens Buy orBurn eigentlich alles richtiggemacht.
Mit Hilfe einer App solltenmitteilungsfreudige Modekäufer schon im Laden Fotos von der Lieblingshose oderdem Lieblingshemd machenkönnen und mit ihren OnlineFreunden darüber debattieren, ob das Kleidungsstückzu ihnen passt oder nicht. Geboren wurde die Idee auf einem Gründerforum in Aachen. Bei solchen in Deutschland inzwischen gar nicht mehr so seltenen Events können spontan zusammengewürfelteTeams in einigen schlaflosen Nächten aneiner zündenden Idee basteln. „Der erste Funke sprang über – und schon am Wochenende hatten wir ein Team gefunden,mit dem wir das angehen wollten“, erzähltWalter. Binnen zwei Monaten sollte, rein technisch gesehen, die App stehen. Schonfrüh kam ein Auftritt im Magazin „Wirtschaftswoche“. Dann gewann das Gründerteam einen Förderpreis der MFG Innovationsagentur des Landes BadenWürttemberg unter dem Motto „BW goes mobile“.Frühzeitig suchten die Gründer nach potenziellen Investoren und nach kooperierenden Läden – schließlich gilt in Kaufhäusern üblicherweise für Produkte einFotografierverbot.
„Am Anfang wollte ich alles immer gutvorbereitet haben“, sagt Walters Partnerin und Mitgründerin Sarah Haide im Rückblick. „Wir haben bei Buy or Burn immer sehr stark versucht, in die Zukunft zu blicken: Was machen wir, wenn das oder das passiert?“ Erst die Läden als Kunden undKooperationspartner an Bord holen, danndie App verfügbar machen, das war der Gedanke. „Es war zu sehr getüftelt“, sagt Walter. „Wir hätten die App einfach mal in einerabgespeckten Version lancieren sollen. AmEnde wären es dann die Nutzer gewesen,
die sich entschieden hätten, die App einzusetzen oder nicht. Aber das hätte konkretgezeigt, welches Interesse besteht.“ Als erund seine Mitgründerin begriffen, dass Zeitund Geld zur Neige gingen, war es zu spät.Auch eine CrowdfundingKampagne führte
nicht weiter. „Uns sind dannirgendwann die Techniker abhandengekommen – und dannkonnten wir auch nicht mehrauf eine abgespeckte Versionumschwenken.“
Und dennoch: ClemensWalter und Sarah Haide sindmit den vergangenen drei Jahren seit ihrer Entscheidungfür das Gründerdasein ganz
zufrieden. Das liegt nicht nur daran, dass sieBuy or Burn nicht als endgültig gescheitertansehen, sondern die Idee nur auf Eis gelegthaben. Vor allem ist eine andere, erst in diesem Jahr gestartete Gründung namens MyCouchbox sehr erfolgreich. Und ein zweitesProjekt – eine OnlinePlattform für Gründer und Investoren – ist in der Testphase. My Couchbox, ein OnlineVersand für
Überraschungsboxen mit Süßigkeiten undSnacks, der im Januar buchstäblich von ihrer Wohnzimmercouch aus startete, hatsich besser und schneller entwickelt als erhofft. „Wir waren am allerersten Tag bereitsnach 80 Minuten ausverkauft“, erzähltWalter.
Inzwischen verlassen monatlich mehrere Tausend der nicht nur einzeln, sondernauch im Monatsabonnement für zehn Euroerhältlichen Boxen die frisch bezogenen Büro und Lagerräume im Stuttgarter Westen. Der Clou: My Couchbox bekommt dieWare von den Herstellern gratis, weil diesedie Boxen als willkommenen Testlauf fürneue Produkte sehen. My Couchbox ermuntert mit Hilfe von Prämienpunkten dieNutzer zu Qualitätsurteilen und wertet diese Erkenntnisse für die Hersteller aus – wasfür die Produzenten unter dem Strich einepreiswerte Marktstudie ist.
Einfach loslegen – das ist die Lektion fürHaide und Walter: „Bei My Couchbox haben wir, noch bevor wir eine Visitenkarteund eine Website hatten, bereits SnackProduzenten angerufen“, erzählt Haide, dieals Geschäftsführerin fungiert. „Wir mussten nur minimal in Technik investieren. EinFreund hat uns das Grundgerüst einerWebsite und eines Zahlungssystems gebaut“, sagt sie.
Der große Vorteil eines solchen Geschäftsmodells sei, dass es sich von Anfangan finanziell selbst getragen habe, sagt
Walter. „Dasist eben dasBesondere amECommerce: Der Kunde kannsofort in deinGeschäft kommen, ohne dass du eine Filialebrauchst. Der Charme ist, dass du schneller zu deinem ersten Euro Umsatz kommst.“
Ziel ist es, im kommenden Jahr beimVersand der Boxen in den fünfstelligen Bereich vorzustoßen und im Ausland zu expandieren, auch wenn es inzwischen ersteNachahmer gibt, die auf den Zug aufzuspringen versuchen. „Du musst schnellersein als die anderen, das ist hart. Man darfnie denken: Wir sind die Besten“, sagt Walter. ECommerce sei keineswegs weniger komplex als eine eher auf die SoftwareEntwicklung gestützte App, wie Buy or Burneine war. „Es sind Tausende Kunden, die individuell ihre Artikel geliefert bekommenwollen, es gibt eine komplexe Logistik.“
Ohne die manchmal harten Lektionenaus der ersten Gründung wäre er nie so weitgekommen, meint Walter. „Es ist ein Reifeprozess: technisch, kaufmännisch, persönlich. Heute bin ich gelassener, strukturierter, kann anderen im Team besser Mut machen und besser reflektieren, was ich tue.“Von Frust über den ersten Anlauf keine Spur: „Wir haben von Grund auf das Gründen gelernt. Das kommt uns jetzt zugute“,sagt Haide. „Als gescheitert hätten wir dieSache nur angesehen, wenn wir zurück in unsere Jobs gegangen wären – und frustriert gewesen wären.“
Kein Wunder, dass schon eine weitereGründung auf der Agenda steht: Eine Website, in der sich auch alle Erfahrungen des eigenen Gründerdaseins bündeln. Startupmoney.de soll sie heißen. „Wir wollen fürInvestoren den Zugang zu gutenIdeen optimieren“, sagt Walter. Auf einerInternetplattform sollen sie nach einer festen, übersichtlichen Struktur zueinanderfinden. Die Gründer in spe präsentierensich in einem kurzen Video – und interessierte Geldgeber können entscheiden, ob sie weitere Informationen herunterladen wollen. Das genaue Geschäftsmodell willWalter noch nicht verraten. Doch in denVereinigten Staaten ist eine solche Plattform namens Gust schon sehr erfolgreich und vermittelt inzwischen Millioneninvestments oder börsenfähige Bewertungen von Startups. „Die großen Investoren wie Rocket Internet oder Holtzbrinck Ventureskommen leicht an Ideen heran“, sagt Walter, „aber viele Mittelständler wissen bishernicht, wie sie einen Zugang zu diesem Markt finden können.“
Gründerlektionen I Bei ihrem ersten Projekt Buy or Burn waren Sarah Haide und Clemens Walter noch perfektionistisch. Bei ihremzweiten, erfolgreichen Startup My Couchbox legten sie einfach los – und wurden für ihren ungebrochenen Gründerelan belohnt.
Infiziert vom StartupVirus
Jahrelange Forschungen, eine genialeIdee, die auf viel Beifall stieß – die Geschichte von Enpatech hat vielverspre
chend begonnen. Es gab Fördermittel undganz konkrete Interessenten. Doch amEnde lernte das aus der Universität Hohenheim hervorgegangene Startup die hohen Hürden des Geschäfts mitUnternehmen kennen, in denen oft Hierarchien undschwierige Entscheidungsstrukturen innovativen Ideenvon außen im Weg stehen.
Martin Allmendiger undseine Mitstreiter Malte undOlaf Horstmann wollten nach neuesten Erkenntnissen derTransaktionsforschung Verhandlungsprozesse zwischen Einkäufernund Verkäufern optimieren. Klare grafische Darstellungen sollten einen schnellenÜberblick über das bestmögliche Verhandlungsergebnis erlauben. „Unsere Projekte sind ins Laufen gekommen, Unternehmenhaben sie getestet“, erzählt Allmendinger. „Die Fachabteilungen waren sehr an derSache interessiert. Danach ging es an denKonzerneinkauf weiter – und dann hieß es:Wir arbeiten schon konzernweit an einer anderen Lösung.“
Frustration ist aus seiner Stimme nichtherauszuhören. Denn vom Gründen sind erund sein Team, das bis heute zusammenhält, weiterhin überzeugt. Inzwischenbieten sie Enpatech zumindest für einenNischenmarkt an. Sie schulen Trainer, diedann ihrerseits Kurse für bessere Verhandlungsstrategien anbieten, oder sie gehen anUniversitäten, um mit Hilfe ihrer Softwaregrundsätzliche Erkenntnisse über Verhandlungsstrategien zu vermitteln. Das sind zugegebenermaßen kleinere Brötchen, als sie sich im vergangenen Jahr vorgestellt hatten. „Wir können da nur einenTagessatz abrechnen“, sagt Allmendinger. Für potenzielle Investoren ist das offenbarein Geschäftsmodell mit zu geringemWachstumspotenzial.
Aber der wichtigste Ertrag aus heutigerSicht ist die Tatsache, dass da drei Universitätsabsolventen das Gründergen in sich selbst entdeckt haben. Während zwei Mitglieder des EnpatechTeams inzwischenihren Lebensunterhalt im Beratungs
geschäft verdienen und Allmendinger zurzeit am Lehrstuhl für Unternehmensgründungen und Unternehmertum der Universität Hohenheimweiterbeschäftigt ist, bleibt ein Drittel derZeit für weitere Gründerideen reserviert.„Wir werden wohl noch bis 70 arbeiten –
warum soll man nicht einmaletwas ausprobieren?“, sagtAllmendinger.
In Betrieb ist bereits einOnlineShop namens Vana fürden Verkauf von Bambusbrillen. Die Idee entstand auseinem kreativen Zufall, der oftder Ausgangspunkt für zündende Gründungsideen ist.Auf einer ChinaReise war
einer aus dem Team über das Produkt gestolpert. „2013 haben wir 150 Prozent gearbeitet, Nun haben wir beschlossen, unsere Energie dorthin zu stecken, wo wir schneller etwas erreichen“, sagt Allmendinger. „Und da haben wir gemerkt, dass wir in wenigen Wochen mehr Umsatz machen als mit dem anderen Produkt im gan
zen Jahr.“ Die aus China importierten Brillen seien ein nachhaltiges, schön verpacktes Produkt – also die perfekte Nische füreine vorerst eher kleine OnlinePlattform.
Während die Entscheidungs und Innovationsprozesse im Geschäft mit Unternehmen häufig schwerfällig seien, sei dersogenannte ECommerce bei den potenziellen Kunden inzwischen fest verankert.Angesichts eines Anteils der OnlineUmsätze im deutschen Handel, der auch heutenoch kaum die Schwelle vonzehn Prozent überschrittenhabe, sei das Potenzial fürGründer weiter enorm – wennsie für sich die richtige Lückeentdeckten: „Wer schnell vorankommen will, geht in diesen Bereich“, sagt Allmendinger. Die Marge bei dem OnlineShop sei in Ordnung. Leben könne man aber vondieser einen Website nicht.„Wenn man aber einmal mit dem Gründenangefangen hat, kann man nicht mehr davon lassen.“
Der erste Anlauf mit Enpatech habeentscheidende Lernerfahrungen gebracht. „Ein wichtiger Rat wäre, viel früher auf Multiplikatoren zuzugehen, also auf Partner, die den Markt genau kennen –und eine Einschätzung einzuholen“, sagtAllmendinger. „Das haben wir zu spätgemacht, weil wir schlicht nicht wussten,
was denn genau der Markt für unser Produkt war.“ Während das Team ursprünglich geglaubt hatte, dass man Lizenzen fürdie Software an Unternehmen verkaufenkönne, erwies sich im Laufe der Zeit, dassdie Verhandlungssoftware als Schulungsprodukt viel populärer war. Doch dieseErkenntnis kam zu spät.
Aus eigener Kraft konnte man diesenMarkt nicht mehr erschließen – und diebisherigen Fördermittel aus dem staat
lichen ExistProgramm fürGründungen von Universitätsabsolventen liefen Ende2013 aus. „Wir hätten für denVertrieb schon viel frühereinen strategischen Partnergebraucht“, sagt Allmendinger. „Als wir uns den Aufwandangeschaut haben, den maninvestieren muss, damit nurein Kunde herauskommt, haben wir gesagt: Das funktio
niert nicht. Die Vertriebskosten fressenuns auf. “
Doch das Wort Scheitern kommt auchbei Enpatech keinem über die Lippen:„Wir wussten, dass wir nicht der zweiteMark Zuckerberg werden. Es ist wichtig,das eigene Vorhaben realistisch einzuschätzen,“ sagt Allmendinger. Letztlich seidie entscheidende Hürde die bei vielenFirmen tief sitzende Scheu vor dem Neuengewesen, die eine lange, teure Anlaufphasenötig machte. „In Deutschland fehltmanchmal der offene, experimentierfreudige Umgang mit Ideen wie der unseren.Ideen, an denen grundsätzlich schon Interesse besteht, dann in der Praxis auchanzuwenden, das ist hierzulande nicht leicht“, sagt Allmendinger.
Aber für ihn lautet das Fazit: noch mehrGründergeist, nicht weniger. „Wir denken jetzt anders und gehen an die Idee einerGründung ganz anders heran. Man sollte beim Gründen ruhig erst einmal streuen und schauen, was funktioniert“, sagt er. Esgehe erst einmal nicht darum, alle Aufgaben säuberlich abzuhaken. „Es ist viel wichtiger, frühzeitig weitere Leute ins Bootzu holen. Es heißt, mit möglichst wenigAufwand möglichst viel zu erreichen.“
Sein Rat an potenzielle Gründer: ersteinmal im Job bleiben, schauen, was funktioniert – und dann loslegen. Aber dann lieber einmal ins kalte Wasser springen, alsunglücklich in einer Festanstellung versauern: „In einer solchen Situation steckt soviel Unzufriedenheit, und die Kreativitätgeht verloren. Es ist immer wieder sehrschade zu sehen, wie viel Potenzial da aufder Strecke bleibt.“
Gründerlektionen II Das VerhandlungswerkzeugEnpatech stieß bei potenziellen Kunden auf Interesse, aber Käufe
blieben aus. Doch das Team hielt zusammen und nahm neue Projekte ins Visier – wie einen OnlineShop für Bambusbrillen.
Während Sarah Haide das Geschäft mit den SnackÜberraschungsboxen von My Couchboxmanagt, bastelt Clemens Walter schon an einer weiteren Gründung. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski
Martin Allmendingers Rat für Gründungswillige: so früh wie möglich auf Partner zugehen,die den Markt genau kennen. Foto: Martin Stollberg
Gründer – und was
aus ihnen wurde
Neustart Im vergangenen Jahr hat die Stuttgarter Zeitung junge Gründer aus
der Region vorgestellt. Zwei Projekte haben die Hoffnungen nicht erfüllt.
Dennoch blicken die Beteiligten optimistisch nach vorn. Heute sind sie mit
anderen Gründungen erfolgreich – und haben viel gelernt. Von Andreas Geldner
„Wir haben mit unserem ersten Projekt von Grund auf das Gründen gelernt.“ Sarah Haide,My Couchbox
„Wenn man einmal mit dem Gründen angefangen hat, kann man nicht mehr davon lassen.“Martin Allmendingerüber seine Motivation
„Wir haben beschlossen, unsere Energie dorthin zu stecken, wo wir schneller etwas erreichen.“Martin Allmendinger über den BambusbrillenWebshop
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ausgabe bei.
Die Stuttgarter Zeitung ist
amtliches Publikationsorgan
der Baden-Württembergischen
Wertpapierbörse.
Impressum
SERIENFAHRPLAN
Gründergeist Die Zahl der Jungunternehmer
im Land geht seit Jahren zurück.27.7.
Enpatech Verhandlungskniffe, die aus dem
Universitätslabor stammen30.7.
Kaiserqualität Netzwerken für Naturkosmetik-
unternehmen
2.8.
Leaserad Dienstfahrräder für Arbeitnehmer,
finanziert von der Crowd6.8.
Veganz Raus aus dem Weltkonzern, rein
in die Verwirklichung eigener Ideale9.8.
Buy or Burn Shopping-Ratschläge aus dem
sozialen Netzwerk
Heute
Immprove Der Schönheitssalon für schwer
verkäufliche Immobilien
Zukunftsfonds In Heilbronn finanzieren
Unternehmerfamilien Existenzgründungen.
Regiohelden Was ein Stuttgarter aus den
Fehlern der ersten Gründung gelernt hat.
Polymedics Hilfe bei Verbrennungen –
erst in der eigenen Firma ein Erfolg
Deutsch-Dach Eine Gründerin dringt
in die Männerdomäne Dachdeckerei vor.
Notion Systems Präzisionsdrucker für
die Hightechindustrie
Bürgerbahnhof Die Leutkircher sanieren
als Genossenschaft ihren Bahnhof.
Schlussrätsel Eine geheimnisvolle Firma –
der Erfinder, der zum Gründer wurde
Gründen als Kick
fürs Lebensgefühl
Clemens Walter erinnert sich
noch gut an den Morgen, als er
mit dem Angestelltendasein
innerlich abgeschlossen hat.
Bei dem Automobilzulieferer
in Reutlingen, zu dem er einige Monate zu-
vor von seinem ersten Job bei einem Perso-
naldienstleister gewechselt war, wartete er
eines Morgens vor dem Werkstor. „Da sind
wir alle vom Parkplatz durchs Drehkreuz.
Und ich stand mittendrin in dieser Reihe
von Leuten, die mechanisch und marionet-
tenhaft ihre Mitarbeiterkarte zückten“, er-
zählt Walter. „Da habe ich mir gesagt: Cle-
mens, du gehörst hier nicht hin.“
Satt und abgesichert zu sein, das schien
für Walter keine Perspektive – obwohl er zu
schätzen wusste, dass er im Vergleich zu
seiner ersten Arbeitsstelle nicht unter
ständigem Druck stand und gut bezahlt
wurde. „Ich hatte meine 35-Stunden-Wo-
che, ich hatte Gleitzeit, einen Betriebsarzt,
Kantine, Superkollegen, Urlaubsgeld. Das
war die Zeit in meinem Leben,
wo meine Oma gesagt hat:
Junge, du hast alles richtig ge-
macht“, sagt er. „Alle um mich
herum waren schon Jahre in
der Firma – aber genau das
war mein Problem.“
Für den 27-Jährigen war es
nicht ein Geistesblitz, nicht
eine konkrete Erfindung, die
ihn zum Gründer gemacht
hat, sondern ein Lebensge-
fühl: Lebenszeit ist kostbar,
das war die Lektion, die sich
ihm in seiner Zeit als Zivildienstleistender
in der Sterbebegleitung eingeprägt hat. Der
Impuls zur Gründung war da – nun suchte
der studierte Wirtschafts- und Kommuni-
kationswissenschaftler nach dem richtigen
Konzept. Walter kannte als Ex-Unterneh-
mensberater das ökonomische Einmaleins.
Für eine Gründung kam in erster Linie die
IT-Branche infrage: Hier zählen die Idee
und das Gespür für Trends. Die Investitio-
nen sind überschaubar.
Es sollten noch Monate vergehen, bis
die passende Idee gefunden war. Einmal
bereits stand Walter kurz vor dem Weg zum
Notar, um einen Versandhandel zu grün-
den, der im Abonnement preisgünstige Ra-
sierklingen verschicken sollte – eine Ge-
schäftsidee, die in den USA sehr gut funk-
tioniert. Doch ein Freund, der mitmachen
und bei der Anschubfinanzierung helfen
wollte, bekam kalte Füße: „Die meisten
unterliegen zunächst einer romantischen
Vorstellung von einem Start-up. Aber was
das konkret bedeutet, wird unterschätzt.“
Doch Walter ließ sich nicht entmutigen.
Es war Ende 2012, als er in einem Laden in
der Stuttgarter Königstraße das Aha-Erleb-
nis hatte. Er stand in der Kleiderkabine und
probierte lustlos ein paar Jeans aus, die
partout nicht richtig sitzen wollen. Wohl
oder übel zog er sich die am besten passen-
de Hose über – machte ein Foto und schick-
te eine E-Mail seiner Freundin. „Das Nein
kam zum Glück prompt“, sagt Walter – dem
so ein Fehlkauf erspart blieb. Noch im La-
den begann er zu grübeln, ob das nicht eine
Situation war, vor der jeden Tag vor allem
viele Jugendliche stehen. Passt mir das
neue Outfit? Was halten meine Freunde da-
von? Auf seiner Facebook-Sei-
te will man nicht jede Kauf-
entscheidung herausposau-
nen. „Wenn du einen
Verlobungsring kaufst, willst
du nicht, dass alle Welt davon
weiß“, sagt Walter. Warum al-
so nicht ein soziales Netzwerk
für die Shopping-Beratung
etablieren? „Buy or Burn“ hat
er das Projekt genannt. „Buy “
als Feedback heißt: Greife zu.
„Burn“ hingegen bedeutet:
Finger weg. Walter wagte
einen riskanten Schritt. Um seine Idee vo-
ranzutreiben, reichte er die Kündigung ein.
Das Geschäftsmodell ist typisch für die
Online-Welt: Die App gibt es gratis, die
Währung, mit der die Nutzer bezahlen, sind
ihre Daten. Für den Einzelhandel sei die
Tatsache interessant, dass sich die Kunden
genau in dem Moment, an dem sie vor einer
Kaufentscheidung stehen, bei einer sol-
chen Plattform einwählen: „Der Nutzer er-
fasst, was er einkaufen will und wo er
steht“, sagt Walter. Technisch sei die App
kein Hexenwerk. „Buy or Burn“, das von
einem vierköpfigen Kernteam getragen
wird, arbeitet dafür mit freiberuflichen IT-
Spezialisten zusammen. „Ich kann keine
einzige Zeile Code programmieren“, sagt
Walter: „Das überlassen wir den Profis.
Aber wir wissen, worauf wir achten müs-
sen.“ Die Umsetzung und die Vermarktung
seien der Schlüssel. Es gibt freilich Hürden:
Viele Läden verbieten es, im Laden Fotos
von ihrer Ware zu machen. „Buy or Burn“
will das Problem mit Kooperationen lösen.
Walter hat sogar das Verbraucherschutz-
ministerium auf das Problem hingewiesen.
Im Zeitalter der Handykameras dürfe man
Fotos nicht einfach verbannen, sagt er.
Anfang dieses Jahres hat das Projekt
„Buy or Burn“den Förderpreis „BW goes
mobile“ der MFG Innovationsagentur für
IT und Medien des Landes Baden-Würt-
temberg gewonnen, was nicht nur ein
Preisgeld von 10 000 Euro einbrachte, son-
dern auch den Kontakt zu Mentoren, wel-
che die Geschäftsidee fördern wollen. Erste
Kooperationspartner haben angedockt, et-
wa Europas größter Barcode-Anbieter oder
ein großer deutscher Dienstleister für Tele-
fon- und Internetauskünfte. Seit Februar
2013 begleitet die Hochschule Heilbronn
im Rahmen eines Projektes zu neuen sozia-
len Medien den Unternehmensstart – was
wertvolle Daten über die potenziellen, vor
allem jugendlichen Nutzer erbracht hat.
Studenten der Heilbronner Hochschule
sind die ersten Praktikanten der jungen
Firma. Für die künftige Expansion laufen
Gespräche mit möglichen Geldgebern.
Im Herbst soll die App in einem ge-
schlossenen Nutzerkreis an den Start. Ob
man dann das Weihnachtsgeschäft mitneh-
men kann, hängt an der Frage, ob bis dahin
die technische Infrastruktur perfekt funk-
tioniert. „Da sind wir wieder bei einer für
Deutschland typischen, kulturellen Kom-
ponente: Da muss von Anfang an alles ste-
hen“, sagt Walter. Statt in großen Sprüngen
wie in den USA würden hier Ideen lieber
Stück um Stück umgesetzt. „In den Ver-
einigten Staaten wird die Erfahrung des
Scheiterns fast verlangt. Da bewerten dich
bestimmte Investoren danach, ob du schon
einmal einen Fehler gemacht hast – dann
erst bist du interessant.“
Doch die Verwandlung zum Unterneh-
mer hat auch eine persönliche Komponen-
te. Alleine wäre Walter nie an den Start ge-
gangen, wenn er nicht neben sich eine Per-
son gehabt hätte, die seit Teenagerzeiten
ihren eigenen Weg geht. Walter hat seine
Freundin Sarah Haid, die Teilhaberin an
der jungen Firma ist, in seinem früheren
Job bei einem Personaldienstleister in Hei-
delberg kennengelernt. Da war die heute
25-Jährige lange abseits ausgetretener
Karrierepfade unterwegs. Mit 16 ist Haid
von zu Hause ausgezogen. Nach der Schule
und der Ausbildung zur Wirtschaftsassis-
tentin hatte sie sich ihren Traum erfüllt
und war nach Neuseeland gegangen. In der
immer noch von Pioniergeist geprägten
Gesellschaft fand sie nach einer Zeit als Au-
pair-Mädchen einen Job bei einem IT-
Start-up. Dort arbeitete sie sich bis zur As-
sistentin des Chefs hoch. Doch in der Wirt-
schaftskrise wurde ihre Arbeitserlaubnis
nicht verlängert. Notgedrungen kam sie
nach Deutschland zurück. Doch ein briti-
scher Personaldienstleister gab Haid auch
ohne Studium eine Chance – wegen ihrer
Lebenserfahrung. Sie wurde beauftragt, IT-
Kräfte auszuwählen. Dass für sie in ihrem
Leben immer eine Türe aufgegangen sei,
habe sie entspannter gemacht, sagt sie. Und
so erschrak Haid auch nicht, als ihr Lebens-
gefährte mit dem Gedanken auf sie zukam,
seinen Job für ein unternehmerisches Ex-
periment aufzugeben. „Wir wussten, dass
wir das zunächst nur mit unserer Überzeu-
gungskraft und ohne Geld hinbekommen
müssten“, sagt Haid.
Die Geschichte von „Buy or Burn“ zeigt,
wie sehr eine Gründung den ermutigenden
sozialen Kontext braucht. „Ich wollte
schon als Praktikant so viel wie möglich
machen können und bin deshalb in kleine
Firmen gegangen“, sagt Walter.“ Dabei
lernte er Menschen kennen, die aus dem
Raster der normalen Arbeitnehmerexis-
tenz fielen. Seinen wichtigsten Partner hat
er während seines Praktikums in der Thü-
ringer Sportwagenmanufaktur Gumpert
kennengelernt. Der 60-Jährige, der mehr-
fach Unternehmen gegründet hat, ist nun
finanzkräftiger Gesellschafter von „Buy or
Burn“. Bei Gumpert traf Walter auch jenen
39-jährigen Unternehmer, der dort für
einen Boliden 350 000 Euro in bar hinblät-
terte. Der Mann, der eine erfolgreiche Lo-
gistikfirma für Organ- und Blutttransporte
gegründet hatte, habe ihn motiviert: „,Cle-
mens, du musst zur richtigen Zeit am rich-
tigen Ort die richtigen Leute treffen‘, hat er
gesagt. ,Und wenn du eine Idee hast, von
der du überzeugt bist, egal was alle anderen
sagen – dann musst du das machen.‘“
// Bereits erschienene Teile der Serie finden
Sie auch unter http://stzlinx.de/startklar
Netzwerk „Buy or Burn“ profitiert davon, dass für IT-Start-ups
Kreativität anfangs wichtiger ist als Kapital. Von Andreas Geld
ner
Das Problem Vor allem für
junge Menschen sind soziale
Netzwerke heute das zentrale
Kommunikationsvehikel. Ein-
kaufen ist eine Aktivität, die
sich für Feedback und Aus-
tausch gut anbietet. Die Ent-
scheidung über Kaufen
(„Buy“) oder Nichtkaufen
(„Burn“) könnte zu einem
sozialen Prozess
werden. Bislang
gibt es aber keine
Möglichkeit,
sich gezielt
beim Shoppen auszutauschen
– zumal viele Läden misstrau-
isch sind, wenn sich Kunden
per Handykamera Ratschläge
einholen.
Die Lösung „Buy or Burn“ hat
ein Smartphone-Programm
(App) entwickelt, das ein spe-
zielles Netzwerk fürs
Einkaufen anbietet.
Eine je nach Ein-
kauf individuell
ausgewählte
Gruppe von Freun-
den und Ratgebern
kann so zum virtu-
ellen Begleiter wer-
den und den Dau-
men heben oder sen-
ken, wenn es um die
Kaufentscheidung geht.
Das Prozedere soll nutzer-
freundlich sein und ohne um-
ständliches Hin- und Her-
schalten zwischen unter-
schiedlichen Anwendungen
funktionieren.
Das Geschäftsmodell Das
junge Unternehmen strebt ge-
bührenpflichtige Kooperatio-
nen mit Läden an, denen eine
Möglichkeit gegeben werden
soll, im Moment der Kaufent-
scheidung mit den Nutzern zu
kommunizieren. Dabei ist
nicht an Werbung gedacht,
sondern an konkrete Angebo-
te. Für die Kunden ist die App
kostenlos. Sie bezahlen sozu-
sagen mit ihren Daten. Die
teilnehmenden Firmen können
etwa von der Information pro-
fitieren, dass der Kunde gera-
de im Laden ist. age
„BUY OR BURN“ – EIN SOZIALES NETZWERK FÜRS EINKAUFENDieGründer SarahH
aid undClemensWalter in der
StuttgarterKönigstra
ße, wo die Idee zu
einem sozialen Netzwerk fü
r die Einkaufsberatun
g geboren wurde.
Fotos: factum/Weise
Startklar
Die Serie
über Gründer
Die japanische Wirtschaft hat im
zweiten Quartal weiter zugelegt, je-
doch nicht so stark wie erwartet.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg zwi-
schen April und Juni mit einer hochgerech-
neten Jahresrate von real 2,6 Prozent, wie
die Regierung am Montag auf vorläufiger
Basis bekanntgab. Im Vergleich zu den vo-
rangegangenen drei Monaten legte die
Wirtschaft des Landes um 0,6 Prozent zu,
wie die Regierung weiter mitteilte. Damit
wuchs die drittgrößte Volkswirtschaft der
Welt im nunmehr dritten Quartal in Folge.
An den Finanzmärkten und unter Wirt-
schaftsexperten wird nun mit Spannung
abgewartet, ob der rechtskonservative Mi-
nisterpräsident Shinzo Abe tatsächlich wie
geplant die Verbrauchsteuer in zwei Schrit-
ten bis 2015 auf zehn Prozent verdoppeln
wird. Die jüngsten Daten lassen es aus Sicht
von Experten wahrscheinlicher werden,
dass er die Steuern anhebt.
Die Wirtschaft sei dabei, sich zu erholen,
sagte Abe. Der Regierungschef will im
Herbst entscheiden, ob er die Steuern an-
hebt. Mit seiner „Abenomics“ genannten
Wirtschaftspolitik hatte er dafür gesorgt,
dass im Zuge massiver schuldenfinanzier-
ter Konjunkturprogramme und einer dras-
tischen Lockerung der geldpolitischen Zü-
gel der Yen deutlich abgewertet wurde und
dadurch die Ausfuhrerlöse zulegten. Die
Exporte des Landes erhöhten sich im Be-
richtsquartal um 3,0 Prozent und damit im
zweiten Quartal in Folge. Der Privatkon-
sum, der in Japan zu rund 60 Prozent zur
Wirtschaftsleistung des Landes beiträgt,
stieg um real 0,8 Prozent und damit im drit-
ten Quartal hintereinander.dpa
Konjunktur Die Wirtschaft legt
weiter zu. Jetzt geht die Angst
vor höheren Steuern um.
Japan sieht
Silberstreif
Nahrungsmittel
Fisch kostet
deutlich mehr
Die Deutschen essen weniger Fisch und
Meeresfrüchte. Im vergangenen Jahr ging
der Pro-Kopf-Verbrauch um acht Prozent
auf 14,4 Kilo zurück, wie die Bundesanstalt
für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)
in Bonn mitteilte. Gleichzeitig mussten die
Verbraucher bei einem Preisanstieg um 5,6
Prozent für Fische und Meeresfrüchte
deutlich tiefer in die Tasche greifen. Wäh-
rend die Preise für Nahrungsmittel allge-
mein seit 2005 um 22 Prozent gestiegen
seien, kosteten Fischereierzeugnisse fast
32 Prozent mehr, so die Bundesanstalt.
Beliebtester Speisefisch in Deutschland
war im vergangenen Jahr der Alaska-See-
lachs mit einem durchschnittlichen Pro-
Kopf-Verbrauch von 3,1 Kilogramm, ge-
folgt von Hering mit 2,4 Kilogramm. Be-
sonders betroffen von dem Nachfrage-
rückgang waren neben Seelachs auch Lachs
und Pangasius. Nur noch knapp ein Fünftel
des Gesamtangebots von 1,2 Millionen
Tonnen wurde dabei von deutschen Schif-
fen angelandet.
dpa
Offshore-Windpark Riffgat
EWE fordert
Entschädigung
Das Oldenburger Energieunternehmen
EWE fordert eine Entschädigung für die
Verzögerung beim Anschluss des Offshore-
Windparks Riffgat an das Stromnetz. Die
Anlage mit 30 Windrädern in der Nordsee
vor Borkum ist einsatzbereit, kann aber
wegen der fehlenden Landanbindung vo-
raussichtlich erst im nächsten Jahr Strom
liefern. „Tennet hat uns definitive Zusagen
gemacht mit klaren Fertigstellungstermi-
nen“, sagte EWE-Chef Werner Brinker im
Nordwestradio. Tennet hatte kürzlich er-
klärt, es gebe Schwierigkeiten mit der Ber-
gung von Munition. Eine Tennet-Spre-
cherin sagte zur Ankündigung des EWE-
Chefs: „Das wird man sehen.“ Bei Tennet
seien noch keine Forderungen eingegan-
gen. Brinker warf dem Netzbetreiber vor, es
sei seit vielen Jahren bekannt, dass die Mu-
nition auf dem Meeresboden liege. dpa
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Nr. 186 | Dienstag, 13. August 2013STUTTGARTER ZEITUNG
WIRTSCHAFT
M alte Horstmanns erste unterneh-merische Erfahrungen liegenschon eine ganze Weile zurück.
„Wir hatten zu Hause diese Teigformen für
Osterhasen“, erzählt der 26-Jährige, der in
Stuttgart-Hohenheim Wirtschaftsinfor-
matik studiert hat. „Es war ein Hase und
ein Lamm“, ergänzt sein Bruder Olaf (25),
der nach seinem Examen an der Hochschu-
le der Medien in Stuttgart nun als IT-Ent-
wickler beim Älteren mit im Boot sitzt.
„Wir haben die Formen mit Beton gefüllt,
die ausgestochenen Tiere golden angemalt
und vor dem Haus verkauft“, sagt Malte
Horstmann: „Das lief gut. Konkurs haben
wir jedenfalls nicht angemeldet.“ Damals
waren beide Grundschüler – doch solche
Geschäftstüchtigkeit verlernt man nicht.Malte Horstmann hätte in die Wissen-
schaft gehen können. Fünf Jahre lang war er
an der Universität Stuttgart-Hohenheim an
einem Forschungsprojekt beteiligt. Es kreis-
te um die Frage, wie sich Verhandlungspro-
zesse in der Wirtschaft mit elektronischer
Hilfe verbessern lassen. Er hat fleißig Daten
gesammelt – und sich irgendwann gefragt,
ob es dafür nicht einen Markt geben könnte.
„Akademisch war das Thema elektronische
Verhandlungsunterstützung ungemein
spannend. Ich wollte aber das Gefühl haben,
dass das, was ich erforsche, etwas bringt und
nicht nur ein Selbstzweck ist“, sagt Horst-mann. Statt für die Pro-motion entschied ersich zum Sprung in dieWirtschaft.Enpatech heißt dieFirma, die seit Januar2013 als Gesellschaftdes bürgerlichenRechts (GbR) regist-riert ist. Die junge Fir-me bietet ein Software-programm an, das den
Stand von Verhandlungen auf einen Blick
erfassen und bewerten lässt. Zurzeit erpro-
ben Testkunden das Programm. Anfang des
kommenden Jahres will das Unternehmen,
das Horstmann zurzeit zusammen mit sei-
nem Bruder und einem alten Schulfreund
aufbaut, an den Markt. Große Investitionen
braucht es dafür nicht – was Gründungen
im IT-Bereich generell leichter macht. Die
Verhandlungssoftware will Enpatech den
Firmen über die „Cloud“ im Internet per Li-
zenz überlassen. Im Durchschnitt nach sie-
ben E-Mails, versprechen es die Firmen-
gründer, seien dann einst zeitraubende Ver-
handlungen unter Dach und Fach.Für Ideen wie diese gibt es in Deutsch-
land einen von Bundeswirtschaftsminister
Philipp Rösler (FDP) stark propagierten
Fördertopf namens Exist. Das Programm
ist für Unternehmensgründungen gedacht,
die direkt aus der universitären Forschung
hervorgehen. Doch Malte Horstmanns
Problem war zunächst nicht der Förder-
topf. Er fand keine Mitstreiter. „Viele in
meinem Alter sagen sofort: Das traue ich
mich nie“, sagt er. Er sei kurz davor gestan-
den, auf eigene Faust loszulegen. „Doch im
Nachhinein weiß ich, das wäre naiv gewe-
sen. Wir würden heute nicht dort stehen,
wo wir stehen. Den Arbeitsaufwand kannst
du normalerweise nicht komplett alleine
stemmen“, sagt Horstmann.Zum Glück konnte er einen Freund aus
Schulzeiten für seine Idee begeistern. Der
brachte nicht nur betriebswirtschaftliches
Wissen mit, sondern auch Gründergeist:
Den Wunsch, etwas Eigenes zu gestalten
und dafür die ausgetretenen Pfade zu ver-
lassen. Die wichtigsten Dinge in seinem Le-
ben habe er außerhalb von Schule und
Hochschule gelernt, sagt Martin Allmen-
dinger (27), der nun für die geschäftliche
Seite von Enpatech zuständig ist: „Ich bin
der Typ, der immer gerne etwas gemacht
hat – aber nicht nur das, was mir vorgege-
ben wurde“, sagt er. Als Teenager hat er
Musik produziert oder am Computer ge-
bastelt. An der Uni organisierte er eine Be-
rufs- und Kontaktmesse – ein Event, das
schwarze Zahlen schreiben musste und
dessen Ertrag studentische Projekte finan-
zierte. Auch Allmendinger, der an den Uni-
versitäten Ilmenau und Bamberg studiert
hat, kennt den Graben zwischen der Welt
der Wissenschaft und dem Unternehmer-
tum: „Es ist nicht so, dass du an Universitä-
ten mit offenen Armen empfangen wirst,
wenn du gründen willst. Und das ist schon
gar nicht der Inhalt der Lehrpläne.“Das Gründerstipendium Exist ist einer
der Versuche, die beiden Welten miteinan-
der zu verbinden. Doch vor der Gründung
kamen erst einmal die Formulare. Im April
2012 wurde das Projekt Enpatech geboren.
Zwei Monate später war der erste Förder-
antrag unterwegs. Doch erste im zweiten,
nachgebesserten Anlauf wurde im vergan-
genen November das Geld bewilligt. Insge-
samt 77 200 Euro sichern dem dreiköpfi-
gen Gründerteam, zum dem Anfang dieses
Jahres als letzter Horstmanns Bruder Olaf
als IT-Entwickler gestoßen ist, erst einmal
für ein Jahr den Lebensunterhalt. 5000
Euro für Beratungsleistungen und 17 000
Euro für Investitionen sind darin einge-
schlossen. Ebenfalls inklusive ist die eher
allgemein formulierte Verpflichtung der
Universität, die Gründern zu unterstützen.
Das erwies sich als nicht so einfach. Fast
zum selben Zeitpunkt, als Enpatech im
Frühjahr des vergangenen Jahres an den
Start gehen wollte, wurde das Gründer-
zentrum an der Universität geschlossen.
Trotz einer Stiftungsprofessur für Entre-
preneurship war an der relativ kleinen
Universität nicht die erhoffte kritische
Masse an Gründungen zusammengekom-
men. In 14 Jahren waren es etwa hundert –
davon wurde ein Dutzend als direkte Aus-
gründungen aus der Wissenschaft über
Exist gefördert. Heute gibt es noch eine
halbe Stelle für eine „Referentin für Exis-
tenzgründung“ und Hohenheim koope-
riert bei der Gründerförderung mit der
Universität Stuttgart. Der Lehrstuhl für
Entrepreneurship ist nach einer Pause seit
einem halben Jahr wieder besetzt. Doch
Wissenschaft und Wirtschaft bewegen
sich in unterschiedlichem Takt. Fünf Mo-
nate musste die junge Firma etwa auf
einen Laptop warten. „Du kannst nicht
einfach einen Computer bestellen und
dann die Rechnung vorlegen, was das
Schnellste wäre, sondern musst über die
zentrale Beschaffung gehen“, sagt Allmen-
dinger: „Wir haben hier gleich vier An-
sprechpartner: Einen für Reisekosten,
einen für Hardware, eine Ansprechpartne-
rin für Software, dann jemanden für das
Büromaterial.“ Der Weg durch die Instan-
zen sei manchmal lang, sagt Horstmann:
„Es gab viele Fragen, die keiner geradehe-
raus beantworten konnte.“Doch seitdem die Hochschule Enpatech
in einer Pressemitteilung präsentiert hat,
geht es zügig voran. Danach kam eine Mate-
rialanfrage binnen einer Woche durch. Die
Hohenheimer Gründer wollen nicht un-
dankbar klingen. Ohne die Hilfe der Uni
hätte es ihr Unternehmen, das inzwischen
zwei der drei gesuchten Testpartner gefun-
den hat, nicht gegeben. „Es ist schon ein
sehr gutes Programm. Aber dass manche
simplen Prozesse über die Uni so lange
dauern – das kann man nicht immer nach-
vollziehen. Inzwischen kennen wir aber
unsere Ansprechpartner und sie kennen
uns,“ sagt Allmendinger. Es gibt für Enpa-
tech auch einen universitären Beirat.Sollte alles so laufen wie geplant, dann
muss Enpatech schnell wachsen. Bis zu 15
Kunden könne man zu Dritt betreuen –
dann müssten weitere Mitarbeiter her.
„Wenn es um Festanstellungen geht, dann
denkst du als Startup in Deutschland aber
zweimal nach“, sagt Allmendinger: „Es
hängt viel von der Finanzierung ab. Daran
haben wir auch festgemacht, ob wir das
weiterbetreiben.“ Es geht nicht mehr um
Stipendien, sondern um etwa eine halbe
Million Euro von privaten Investoren. Ob
die Universität nach dem Auslaufen der
„Exist“-Förderung Ende 2013 weiter hel-
fen wird, ist offen. Optimistisch ist das
Dreierteam dennoch. „Mach was du liebst –
und das Geld kommt von alleine,“ sagt Mar-
tin Allmendinger in Anspielung auf den
amerikanischen Gründerslogan „Do what
you love and the money will follow.“// Die bereits erschienen Teile der Serie finden
Sie auch unter http://stzlinx.de/startklar
Verhandlungsstrategie aus dem LaborSoftware Das IT-Startup Enpatechwagt den Sprung aus derForschung ins Unternehmertum.Von Andreas Geldner
MartinAllmendinger und dieBrüderMalte undOlafHorstmann (von rechts) sind überzeugt,
dass Erkenntnisse aus derWirtschaftsforschung auch imAlltag taugen. Foto: Martin StollbergDas Problem Eine Preisver-handlung ist auch im Zeitalterder E-Mail-Kommunikationoft ein umständliches Proze-dere. Angebot und Gegen-angebot gehen wie in einemPing-Pong-Spiel so lange hinund her, bis ein Abschluss zu-stande kommt. Es gibt dabeifür jeden Verhandlungspartnereine klare Prioritäten-Liste.Ob diese auch erreicht werden,
ist im E-Mail-Verkehr oftschwierig zu verfolgen.Hier kann elektronischeUnterstützung helfen.
Die Idee Enpatech will diesenAustausch transparenter ma-chen. Schon vor seiner erstenAnfrage definiert ein Verhand-lungspartner das Optimum,das er erreichen will: denmaximalen Preis und die Liefer-dauer, das beste Material , dieoptimale Stückzahl oder diegünstigsten Zahlungskonditio-nen. Jeder dieser Bausteinewird gewichtet. Die Enpatech-Software setzt das Verhand-lungsziel dann in eine Grafikum – und analysiert auch dasAngebot der Gegenseite.
Die Umsetzung Am Ende sol-len zwei Linien einander treffen.Beide Verhandlungspartnerkönnen in der Software an denPrioritäten feilen. Was passiert,
wenn sie Zugeständnissemachen? Hat man sich seitder letzten E-Mail aufeinanderzubewegt? Der verbleibendeAbstand der Verhandlungs-positionen lässt sich miteinem Blick auf die Skalaerfassen. Experimente derUni Hohenheim haben belegt,dass so schneller eine Einigungerzielt wird. age
WERKZEUG FÜR EFFIZIENTERE VERHANDLUNGEN
SERIENFAHRPLANGründergeist Die Zahl der Jungunternehmer
im Land geht seit Jahren zurück.27.07.Enpatech Verhandlungskniffe, die aus dem
Universitätslabor stammenHeuteKaiserqualität Netzwerken für Naturkosmetik-
unternehmen
Leaserad Dienstfahrräder für Arbeitnehmer,
finanziert von der CrowdVeganz Raus aus dem Weltkonzern,rein in die Verwirklichung eigener Ideale.Buy or burn Shopping-Ratschläge aus dem
sozialen Netzwerk
Deutsch-Dach Eine Gründerin dringtin die Männerdomäne Dachdeckerei vorZukunftsfonds In Heilbronn finanzieren
Unternehmerfamilien Existenzgründungen.Regiohelden Was ein Stuttgarter aus denFehlern der ersten Gründung gelernt hatImmprove Der Schönheitssalon für schwer
verkäufliche ImmobilienPolymedics Hilfe bei Verbrennungen –erst in der eigenen Firma ein ErfolgNotion Systems Präzisionsdrucker für
die HightechindustrieBürgerbahnhof Die Leutkircher sanierenals Genossenschaft ihren BahnhofSchlussrätsel Eine geheimnisvolle Firma –
der Erfinder, der zum Gründer wurde
Keine Angst um die SAP-Zentrale – aber EmpörungD er SAP-Gründer Hasso Plattner istfür klare Worte bekannt – und auchdafür, dass der Softwareunterneh-
mer mit der amerikanischen Geschäfts-
mentalität mehr anfängt als mit deutscher
Sozialpartnerschaft. Am Wochenende ha-
ben mehrere Medien seine Kritik an der
angeblich wenig innovationsfreundlichen
Kultur am Gründungsstandort Walldorf
transportiert. „Man ist in Walldorf einfach
etwas ab von Schuss, und deswegen gibt es
dort weniger kreative Impulse“, sagte
Plattner der „Welt am Sonntag“. Das Maga-
zin „Spiegel“ referierte eine noch weit hef-
tigere Schelte Plattners: „Manchmal will
ich die Walldorfer Entwickler packen und
schütteln und anschreien: Bewegt euch
schneller!“In Walldorf indes kam nach Plattners
provozierenden Worten keineswegs Panik
auf. „Die Kollegen hier sind selbstbewusst
genug zu wissen, dass sie gute Arbeit leisten
und sich keine Sorgen um ihren Arbeits-
platz machen müssen“, sagt Eberhard
Schick, Mitglied des Betriebsrats. Doch die
Tatsache, dass auch Hasso Plattner, der
ständig die Nachteile des Standortes
Deutschland kritisiere, nicht ernsthaft am
Stammsitz des Unternehmens rütteln wol-
le, sei nur eine Seite der Medaille, sagt Ralf
Kronig, ein ebenfalls von der IG Metall
unterstützter Betriebsrat in Walldorf. Für
die Stimmung unter der Belegschaft aller-
dings seien die Zitate Plattners, die er nicht
zum ersten Mal gemacht habe, ein Tief-
schlag: „Das trifft die Leute schon ins
Mark“, meinte Kronig.Kronigs Mailpostfach war am Montag
jedenfalls voll mit Beschwerden. Die Mit-
arbeiter fühlten sich kollektiv abgewatscht,
so fasst der Betriebsrat den Tenor zusam-
men: Wenn es Probleme gebe, dann solle
Plattner auf die Belegschaft in Walldorf zu-
gehen und nicht aus den fernen USA „Ein-
würfe von der Seitenlinie“ machen. Vor al-
lem im Zusammenhang mit einem schon
länger verkündeten Sparprogramm, das die
ehrgeizigen Renditeziele verteidigen solle,
sei Plattners Stil kein Beispiel für moderne
Unternehmensführung, sagt Kronig.Für die Arbeitsplätze am Ort sieht die
Walldorfer Bürgermeisterin Christiane
Staab (CDU) keine Gefahr: „Ich kann nur
sagen, dass wir als Stadt mit der SAP wun-
derbar zusammenarbeiten. Wir stellen an
Infrastruktur alles zur Verfügung, was ein
Weltunternehmen braucht und sind sicher,
dass der Standort bleibt.“ Aus den Inter-
views von „Herrn Plattner“ jedenfalls kön-
ne sie „ nichts herauslesen, was darauf hin-
weisen würde,dass der Standort Walldorf
zur Diskussion steht.“ Mit dieser Bemer-
kung stütze sie sich auch „auf ein klares Be-
kenntnis aus dem Unternehmen, dass über
eine Verlagerung auch nicht andeutungs-
weise diskutiert wird.“
Softwareschmiede Die Kritik des Gründers Hasso Plattner ärgert
die Mitarbeiter. Von Johanna Eberhardt und Andreas Geldner
I taliens Regierungschef Enrico Lettahat das Hilfskonzept von Europäernund Internationalem Währungsfonds
für Griechenland scharf kritisiert. „Der
Zeitplan war falsch. Es waren die falschen
Instrumente“, sagte Letta am Montag bei
einem Besuch in Athen. Die harten Spar-
auflagen hätten das Land noch tiefer in die
Rezession gestürzt und europaweit die
Arbeitslosigkeit nach oben getrieben.
„Wenn Europa Griechenland zu Beginn an-
ders behandelt hätte, wäre die finanzielle
Katastrophe nicht so groß ausgefallen“, be-
klagte der italienische Premier. Italien ist
nach Griechenland mit einer Schuldenquo-
te von über 120 Prozent das am zweithöchs-
ten verschuldete Land der Euro-Zone.Unterdessen machte der Haushaltsaus-
schuss des Deutschen Bundestages den
Weg frei für die Auszahlung von weiteren
2,5 Milliarden Euro an Griechenland durch
die Euro-Partner. Dabei handelt es sich um
die erste Rate des zugesagten Kredits von
insgesamt 6,8 Milliarden Euro. Mit der
Umsetzung von 22 geforderten Spar- und
Reformmaßnahmen hatte Griechenland
Ende letzter Woche die Voraussetzungen
geschaffen. Bereits am Freitag hatte eine
Arbeitsgruppe der Euro-Mitgliedsländer
die Zahlung unter Vorbehalt befürwortet.Derweil kam die EU dem südeuropäi-
schen Land entgegen und senkte das Priva-
tisierungsziel für dieses Jahr. Wie aus
einem EU-Dokument hervorgeht, muss
Griechenland als Auflage für weitere Hilfs-
milliarden nur noch 1,6 Milliarden Euro
mit Privatisierungen einnehmen – rund
eine Milliarden Euro weniger als bislang
angesetzt. Dafür müssen 2014 allerdings
3,5 Milliarden Euro aus dem Verkauf von
Staatsbeteiligungen erlöst werden. Bislang
waren 1,9 Milliarden Euro angesetzt. rtr
Griechenland Der Zeitplan unddie Instrumente seien falsch, sagtder italienische Premier Letta.
Rom kritisiertRettungskonzept
Luftfahrt
Boeing und Airbusprüfen NotsenderDie Flugzeugbauer Boeing und Airbus ha-
ben eine Überprüfung von Notsendern der
US-Firma Honeywell angeordnet. Mög-
lichst viele der weltweit 1200 mit den Peil-
sendern ausgestatteten Boeing-Maschinen
sollten inspiziert werden, teilte der US-
Konzern mit. Innerhalb von zehn Tagen
sollten die Fluggesellschaften Informatio-
nen melden, um den Aufsichtsbehörden
bei der Entscheidung über nächste Schritte
helfen zu können. Der europäische Kon-
kurrent Airbus ging nicht ganz so weit. Es
sollte aber überprüft werden, wie die Peil-
sender in die Jets eingebaut worden seine.
Dabei handele es sich um eine reine Vor-
sichtsmaßnahme, sagte ein Airbus-Spre-
cher am Montag. Die Sender helfen nach
einem Absturz bei der Ortung von Maschi-
nen. Mitte Juli war am Londoner Flugha-
fen Heathrow ein parkender Boeing Dre-
amliner in Brand geraten. Als Ursache wird
ein Sender von Honeywell vermutet. rtr
TelekommunikationsmarktSlim könnte KPNganz übernehmenDer mexikanische Milliardär Carlos Slim
könnte nur wenige Monate nach seinem
Einstieg bei KPN den niederländischen
Telekommunikationskonzern gänzlich
schlucken. Slims Unternehmen America
Movil hat eine Stillhalte-Vereinbarung be-
endet, die den Anteil auf unter 30 Prozent
limitierte, wie KPN mitteilte. Damit ist der
Weg nun frei, die Beteiligung aufzustocken.
Die Kündigung des Abkommens sei
möglich geworden, weil der spanische Kon-
kurrent Telefonica für die deutsche KPN-
Tochter E-Plus ein Übernahmeangebot
vorgelegt habe, erklärte KPN. Derzeit hält
America Movil 28 Prozent. Slim war im ver-
gangenen Jahr im größeren Stil in den
europäischen Telekommunikationsmarkt
eingestiegen. Neben KPN beteiligte sich
der Milliardär auch an Telekom Austria.Am Freitag hatte America Movil mitge-
teilt, dass es weiter darüber nachdenke, ob es
den möglichen Verkauf des Mobilfunk-
unternehmens E-Plus an die O2-Mutter Te-
lefonica unterstütze. Deutschland ist Euro-
pas größter Mobilfunkmarkt. Das mexikani-
sche Unternehmen, das seit seinem Einstieg
bei KPN rund zwei Milliarden Euro seines
Investments verloren hat, wollte sich am
Montag nicht zu der Mitteilung äußern. Ein
KPN-Sprecher sagte, America Movil habe
nicht mitgeteilt, ob das Unternehmen sei-
nen Anteil an KPN auf über 30 Prozent aus-
bauen wolle. Wäre dies der Fall, müssten die
Mexikaner für den ganzen Konzern ein
Übernahmeangebot vorlegen.rtr
StartklarDie Serieüber Gründer
11
Dienstag, 30. Juli 2013 | Nr. 174
STUTTGARTER ZEITUNG
WIRTSCHAFT
INNOVATIONFachbereich für kaufmännisches Personal
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SOLUTIONSFachbereich für Facharbeiter und Hilfskräfte
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20 Wirtschaft in Baden-Württemberg 21Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
Wem die Banken nicht helfen, der muss sich selbsthelfen: Das war die ersteLektion, die der Mittelstand in der Krise lernen
musste. Die Innenfinanzierung – also das Ausschöpfen der eigenen Gewinne fürInvestitionen und das Freischaufeln unnötig gebundenen Kapitals – wurde zu einem der wichtigsten Instrumente. Der deutscheMittelstand hat schnell gelernt. Heutebeklagen die deutschen Banken, dass die Nachfrage nach neuen Krediten geringist. Das liegt zum einen daran, dassdie wirtschaftlichen Aussichten nicht so
rosig sind, dass kleine und mittelständische Unternehmenmit neuen Investitionen ihre Kapazitätenausbauen wollen –sie konzentrieren
sich vielmehr vorerst darauf, produktiver zuwerden. Zum anderen hat sich die finanzielle Situation der Unternehmen in derKrise spürbar verbessert, die Eigenkapitalausstattung ist in mehr als der Hälfte derFirmen so gut, dass sie Investitionen aus eigener Kraft finanzieren können.
Dennoch ist fehlende Liquidität nachwie vor eine der häufigsten Ursachen dafür,dass Unternehmen in die Pleite rutschen,sie also zahlungsunfähig werden. Nach Einschätzung von Experten liegt das daran,dass vor allem kleinere Unternehmen nichtüber ein funktionierendes Liquiditätsmanagement verfügen. Schon der Ausfall einesgrößeren Kunden, von dem man noch eine größere Summe Geld zu bekommen hat, kann das eigene Unternehmen in Bedrängnis bringen. Als erster Schritt ist daher eineLiquiditätsplanung erforderlich, sprich: Ausgaben und Einnahmen müssen klardargestellt werden. Um Schwankungen imzeitlichen Ablauf auszugleichen, nutzen die
meisten kleineren Unternehmen ihrenKontokorrentkredit. Das ist eine Kreditlinie, die sie mit ihrer Bank vereinbart haben, bei deren Inanspruchnahme Zinsenfällig werden. Darüber hinaus können überBetriebsmittelkredite der Einkauf von Waren oder Rohstoffen sowie die Zahlung von Gehältern, Mieten und anderen laufendenVerpflichtungen sichergestellt werden.
Auf der Kostenseite fallen zudem beiproduzierenden Unternehmen die Rechnungen der Lieferanten ins Gewicht.Zwar räumen diese oft ein Zahlungsziel von30 Tagen oder mehr ein, bei schnellererZahlung der Rechnung kann man aber üblicherweise rund drei Prozent vom Betragals Skonto abziehen. Rund 60 Prozent derUnternehmen sind allerdings nicht in derLage, diesen Vorteil zu nutzen. Dafür habensich sogenannte FinetradingUnternehmen entwickelt, die die Vorfinanzierung übernehmen. Die Kosten dafür sind geringer als die Ersparnis aus dem Skonto, unddaher wird neue Liquidität geschaffen.
Wichtig für die Liquiditätssteuerung istaber auch, dass die Einnahmen zeitnaherfolgen. Was nützt es, wenn man viele Produkte verkauft hat, das Geld aber nicht aufdem Konto ankommt? Eine Möglichkeit,um auch hier mehr Stabilität zu bekommenund nicht von der individuellen Zahlungsfähigkeit oder Zahlungsmoral des Kundenabhängig zu sein, ist der Verkauf der Forderung an sogenannte Factoringgesellschaften. Dann erhält man sofort 80 bis 90 Prozent des ausstehenden Betrages, um den Rest kümmert sich die Factoringgesellschaft, die auch das Ausfallrisiko trägt. Der Einsatz von Factoring bietet drei Vorteile: sofortige Liquidität, eine bessere Eigenkapitalquote und somit ein besseres Ratingsowie Bonitätsinformationen über die Kunden. Das wiederum erleichtert einemögliche Kreditaufnahme bei Banken, wenn eine größere Investition ansteht.
In fast jedem Unternehmen gibt es auchVermögenswerte, die für den aktuellenGeschäftsbetrieb nicht nötig sind. Sosollten ungenutzte Maschinen und Anlagen, Gebäudeflächen oder Patente undMarkenrechte verkauft werden, um die Liquiditätsausstattung zu verbessern. Aberauch genutzte Gebäude, Maschinen oder Anlagen müssen nicht zwingend im Besitz des Unternehmens bleiben. Indemman solche Werte verkauft und vondem Käufer zurückmietet (SaleandLeaseBack), kann man zusätzliche Liquidität schaffen. Das Gleiche gilt für denFirmenfuhrpark, für den Leasinggesellschaften umfangreiche Angebote parat haben. Dies bietet aus der Sicht des Liquiditätsmanagements zwei wesentlicheVorteile: Die Leasingraten könnenaus den laufenden Einnahmen bezahlt und sofort als Betriebsausgaben geltend gemacht werden. Undes wird weniger Kapital im Anlagevermögen gebunden.
Für Unternehmen in Umbruchphasen oder in einer Krise ist die Sicherung und Steuerung der Liquidität gleichbedeutend mit der Sicherung der Existenz. Liquiditätverschafft zunächst Zeit, um dieProfitabilität überhaupt wiedersteigern zu können. Gibt es ineinem Unternehmen strategische Fehlentwicklungen, istdas oft schon am stockenden Liquiditätsfluss ein biszwei Jahre voreiner möglichen Insolvenzzu erkennen.
Finanzen Vor allem in kleineren Betrieben gibt es Nachholbedarf beim professionellen Liquiditätsmanagement. Von Klaus Dieter Oehler
Auch Firmen mit guter Eigenkapitalausstattung
können in Schwierigkeiten geraten, wenn
zu wenig flüssige Mittelin der Kasse sind.
Foto: fotolia
Wie Unternehmen flüssig bleiben
Kennzahl Der Cashflow ist eine Messgröße aus der Betriebswirtschaft und ein Indikator dafür, wie gesund ein Unternehmen im Hinblick auf seine finanzielle Lage ist. Generell soll der Cashflow den gesamten Strom der Finanzmittel abbilden. Konkret beschreibt die Kennzahl den Überschuss an Zahlungsmitteln, den ein Unter
nehmen durch seine Tätigkeiten innerhalb eines bestimmten Zeitraums erwirtschaften konnte.
Berechnung Der Cashflow bleibt übrig, wenn man die Ausgaben von den Einnahmen eines Betriebes abzieht, und gibt somit an, inwiefern sich das Unternehmen selbst finanzieren kann. Ist der
Cashflow positiv, spricht man von einem Mittelzufluss, fällt er negativ aus, von einem Mittelabfluss.
Aussagekraft Der operative Cashflow ist das Ergebnis aller zahlungswirksamen Geschäftsvorfälle der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit. Insbesondere der operative Cashflow wird im
Rahmen der Jahresabschlussanalyse als Indikator für das Innenfinanzierungspotenzial eines Unternehmens verwendet. Ein positiver operativer Cashflow versetzt ein Unternehmen in die Lage, aus den Umsatzprozessen heraus Kredite ordnungsgemäß zu tilgen oder neue Anlageinvestitionen zu tätigen. kdo
Was nützt es, wenn man vieleProdukte verkauft hat,das Geld dafür aber nicht aufdem Firmenkonto ankommt?
DER CASHFLOW ALS INDIKATOR FÜR FINANZIELLE GESUNDHEIT VON UNTERNEHMEN
22 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
23Wirtschaft in Baden-WürttembergNr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
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Kapitalbeschaffung Der wichtigste Finanzierungsweg für Mittelständler ist nach wie vor der Bankkredit – erst recht angesichts historisch niedriger Zinsen. Trotzdem lohnt es sich, einen Blick auf die Alternativen und ihre Vor und Nachteile zu werfen. Von Barbara Schäder
Unternehmen könnenviele Geldquellen anzapfen
Deutsche Unternehmen finanzieren einen Großteil ihres Geschäfts über Abschreibungenund einbehaltene Gewinne.Doch wer einen neuen Betrieb
gründet, Maschinen anschafft oder seinbestehendes Unternehmen erweitern will,braucht dafür zusätzliches Kapital. EinÜberblick über die wichtigsten Finanzierungsquellen.
Die Zinsen sind so niedrig wie noch nie. Laut Bundesbank zahlen Unternehmen füreinen Bankkredit bis 250 000 Euro miteiner Zinsbindungsfrist von fünf bis zehnJahren derzeit im Mittel 2,7 Prozent Zinsen. Hinter diesem Durchschnittswert verbirgt sich allerdings eine breite Spanne. DieZinsen für längerfristige Unternehmenskredite werden individuell ausgehandelt. Sie hängen von der Bonität der Firma undden Sicherheiten ab, die sie bieten kann.
Helfen kann bei den Verhandlungen mitder Bank ein externes Rating, also eine Einstufung der Kreditwürdigkeit des Unternehmens durch eine Agentur. „Wer gutgeratet ist, kann sich derzeit problemlosKapital bei der Bank besorgen – und dassogar zu traumhaften Konditionen“, sagtMarkus Kreher von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Aussichtenauf gute Konditionen auch ohne Ratinghätten Mittelständler, „wenn sie über gute Sicherheiten verfügen – ein Beispiel wäreein Einzelhändler, der Immobilien in Formvon Ladenlokalen besitzt und diese beleihen kann.“ Schwieriger sei es, wenn ein Unternehmen eine neue Produktionsstätteeröffnen wolle: „Für die Bank besteht dasRisiko, dass sich das neue Werk nicht rechnet und sie ihr Geld am Ende nicht zurückbekommt. Da werden für Mittelständler biszu zweistellige Zinssätze aufgerufen.“
Zinsvergünstigte Darlehen für Existenzgründungen, aber auch für Innovationsvorhaben bestehender Unternehmenbieten Förderbanken wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) an.
Unternehmensanleihen sind in aller Munde. Trotz der schlagzeilenträchtigen Insolvenzen mehrerer Schuldner aus dem Mittelstand ist die Nachfrage der Investorenungebrochen. Als Finanzierungsquelle für Unternehmen sind Anleihen deshalb weiter interessant.
Das gilt allerdings erst ab einem Kapitalbedarf von mindestens zehn Millionen Euro, denn neben den Zinsen fallen Transaktionskosten von vier bis fünf Prozent desAnleihevolumens an. Sie entstehen unteranderem durch die Erstellung eines Wertpapierprospekts und eines Ratings. Hinzu kommen Gebühren für die Banken, dienach Geldgebern suchen: Da Mittelstandsanleihen in der Regel in Schuldverschreibungen über 1000 Euro gestückelt werden,ist der Vertrieb mit einigem Aufwand verbunden. Die Zulassung der Papiere zum Börsenhandel zieht außerdem eine Reihevon Verpflichtungen nach sich wie dieVeröffentlichung von Jahresberichten und AdhocMitteilungen.
Grundsätzlich können Anleihen auchohne Rating und abseits der Börse in
Umlauf gebracht werden. Diesen Wegwählte vor einigen Jahren die Wiener Feinbäckerei Heberer aus Mühlheim am Main, die ihre Anleihe über ihre Filialen im gesamten Bundesgebiet vertrieb. Allerdings kam auf diese Weise weniger Geld zusammen als von dem Unternehmen erhofft –8,5 Millionen statt zwölf Millionen Euro.
Schuldscheindarlehen sind attraktiv fürUnternehmen, die den Aufwand für die Emission einer Anleihe scheuen. Denn anders als für Anleihen muss für Schuldscheine kein Wertpapierprospekt erstellt werden. Sie werden nicht an der Börse gehandelt, sondern können vom Gläubiger nurim Wege der Abtretung an Dritte übertragen werden. Oft ist dafür die Zustimmungdes Darlehensnehmers erforderlich.
Für private Anleger sind Schuldscheinedeshalb nicht interessant, Geldgeber sindhier in der Regel institutionelle Investorenwie Banken und Versicherungen. Sie übernehmen meistens Teilbeträge von mindestens 500 000 Euro, bevorzugen deshalb allerdings auch Schuldner mit einer hohenBonität. Um diese einschätzen zu können,verlangen die Großinvestoren üblicherweise zwar kein Rating, wohl aber umfassendeInformationen über das Unternehmen.Anders als bei einer Anleihe muss die Firma damit aber nicht an die Öffentlichkeitgehen.
Den Kontakt zu den potenziellenGeldgebern fädelt in der Regel dieHausbank oder ein Beratungsunternehmen ein. Die Kosten belaufen sich nachAngaben des Stuttgarter Finanzierungsspezialisten Capmarcon auf 150 000 bis350 000 Euro. Marktüblich sind Schuldscheindarlehen ab 15 Millionen Euro, kleinere Volumina sind laut Capmarcon nur inAusnahmefällen sinnvoll.
Für Existenzgründer, junge Unternehmen und hoch verschuldete Betriebe ist Fremdkapital oft sehr teuer: Egal ob Bankkreditoder Anleihe, die Zinsen sind sehr hoch,weil die Geldgeber eine Risikoprämie verlangen. In diesen Fällen kann es sinnvollersein, zusätzliche Anteilseigner ins Boot zuholen. Das gilt auch für bonitätsstarkeUnternehmen mit großem Kapitalbedarf,etwa für Expansionspläne.
Da neue Anteilseigner über die Geschicke des Unternehmens mitbestimmen,wünschen sich die Altgesellschafter oft einen langfristigen Investor mit ähnlichenInteressen. Wenn ein solcher Partner nichtzur Verfügung steht, kann eine professionelle Beteiligungsgesellschaft eine Alternative sein. Oft steigen diese ProfiInvestoren allerdings nach wenigen Jahren wiederaus, zum Teil bürden sie überdies die Kosten für den Erwerb ihres Anteils dem übernommenen Unternehmen auf (siehe auchdie Beiträge auf Seite 24). Es gibt aber auchGesellschaften, die sich mit einer Minderheitsbeteiligung zufriedengeben und nichtgroß ins Geschäftsmodell eingreifen.
Startups können sich um die Unterstützung durch sogenannte Business Angels bemühen – das sind erfahrene Unternehmer,die Neugründer nicht nur beraten, sondernhäufig auch Kapital zur Verfügung stellen.
Mit der Ausgabe von Aktien können Unternehmen ihre Kapitalbeschaffung auf einebreite Basis stellen. Denn diese Anteilsscheine sind auch für Privatanleger erschwinglich. Dem gleichen Prinzip folgen auch CrowdfundingPlattformen. Doch ander Börse gehandelte Anteilsscheine können leichter verkauft werden, wenn dasUnternehmen in schwieriges Fahrwasser gerät. Deshalb lassen sich für börsennotierte Aktien mehr Geldgeber finden als fürandere Beteiligungsformen.
Die Zulassung zum Börsenhandel istallerdings aufwendig und teuer. Zur Vorbereitung zählen die Erstellung einesWertpapierprospekts und Werbeveranstaltungen für Investoren, an denen in derRegel mehrere Banken beteiligt sind. Alleinfür diese Vorlaufkosten veranschlagen Experten sechs bis zehn Prozent der Summe,
die der Verkauf der Aktien einbringt. Hinzukommen die laufenden Kosten einer Börsennotierung, etwa für Hauptversammlungen und die Veröffentlichung vonGeschäftsberichten.
Dieser Aufwand lohne sich nicht fürjedes Unternehmen, sagt KPMGExperteKreher: „Eine gewisse Mindestgröße braucht man. Die Umsätze sollten schoneinen mittleren zweistelligen Millionenbetrag erreichen.“ Zudem unterwerfen sichbörsennotierte Unternehmen einer ständigen Marktbewertung – was die Entscheidungsfreiheit einschränken kann.
Wer Eigenkapital aufnehmen, aber keineStimmrechte an die neuen Anteilseignerabgeben will, kann auf sogenannte hybride Finanzinstrumente zurückgreifen. Ein Beispiel ist die stille Beteiligung. Hier zahlt
der Gesellschafter zwar eine Einlage, verzichtet aber auf ein Mitbestimmungsrecht und begnügt sich mit Gewinnausschüttungen. Eine Verlustbeteiligung wird bei stillen Gesellschaftern oft ausgeschlossen.
Eine Spezialität des deutschsprachigenWirtschaftsraums sind Genussrechte. DerKäufer eines Genussrechts überlässt dem Unternehmen einen Geldbetrag und erhältdafür Zinsen oder Gewinnausschüttungen,aber keine Stimmrechte. Die Verlustbeteiligung ist je nach Vertrag unterschiedlichgeregelt. Genussrechte können von Unternehmen jeder Rechtsform ausgegebenwerden, sind bis auf wenige Ausnahmenallerdings prospektpflichtig.
Auf ein Stimmrecht verzichten in derRegel auch Käufer von Vorzugsaktien. Dafür werden sie bei der Gewinnausschüttungdurch eine höhere Dividende bevorzugt. Ineinigen Fällen ist sogar eine Nachzahlungfür Verlustjahre vorgesehen.
Kredite von der Bank: Bonität und Sicherheiten entscheiden über den Zins
Die Börse als Finanzierungsquelle: Ausgabe von Aktien
Von jedem etwas: Mischformen zwischen Fremd und Eigenkapital
Suche nach Gläubigern abseits der Börse: Schuldscheindarlehen
Den Kapitalmarkt mit Anleihen anzapfen: Transparenz ist gefordert
Mehr Eigen als Fremdkapital: Anteilseigner ins Boot holen
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Kontra
Natürlich sind Aktionäre rechtlich betrachtet die Eigentümer eines Unternehmens. Aber es sind Eigentümer be
sonderer Art. „Eigentum verpflichtet“, heißt esim Grundgesetz. Wozu aber verpflichtet derAktienbesitz? Zu nichts, sagen nicht nur notorische Kapitalismuskritiker, die lieber von Aktienbesitzern als von Eigentümern sprechen.Finanzinvestoren führen sich in der Regel auf wie Aktienbesitzer, nicht wie Eigentümer. Ihnen geht es nur darum, das eigene Vermögenzu mehren. Deshalb stiften sie volkswirtschaftlich mehr Schaden als Nutzen.
Der Aktionär haftet nur in Höhe seiner Einlage, also mit seiner Aktie. Das war nicht immer so. In der Frühphase der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, als zum Beispiel inAmerika und in England die Eisenbahnen mit Hilfe von großen Kapitalgesellschaften gebautwurden, haftete der Aktionär noch persönlich und unabhängig von der Höhe seiner Investition für die Schulden des Unternehmens. DieseEinheit von Haftung und Kapitaleinsatz ist dasModell, mit dem die deutsche Wirtschaft großgeworden ist: mit Unternehmern, die das Risiko auf sich genommen haben, im Fall des Misserfolgs all ihr Vermögen zu verlieren, nicht nurein paar Aktien. Sie haben nicht via Kapitalmarkt das unternehmerische Risiko gestreut, sondern sich bei der Bank Geld beschafft undselbst die Ausfallhaftung übernommen.
Wer das Hohelied der großen, der anonymen Kapitalgesellschaften singt, mag solcheBetrachtungen für hoffnungslos überholt halten. Sie sind gleichwohl zeitgemäß. Sie erklären, warum Finanzinvestoren, die seit guteinem Jahrzehnt aus dem Wirtschaftsleben
nicht mehr wegzudenken sind, keinen nachhaltigen Mehrwert schaffen. Ihnen geht esdarum, kurzfristige Vorteile für sich zu realisieren, nicht darum, ein Unternehmen zumlangfristigen Erfolg zu führen. Die hanebüchene Methode, dem übernommenen Unternehmen die Finanzierungskosten für den Erwerbselbst aufzubürden,zeigt klar, um wessenInteressen es hier geht.Kurzfristig kann dieExistenz von Finanzinvestoren natürlichauch für ein Unternehmen in Schwierigkeitenvon Vorteil sein. Dakönnen schnell ein Finanzengpass oder eineFührungskrise mit über Kreuz liegenden Eigentümerkreisen überwunden werden.
Aber sonst? Mit stabilen Eigentumsverhältnissen fährt ein Unternehmen besser. Diezurückliegenden Jahre halten viele Beispiele dafür bereit, dass Finanzinvestoren Unternehmen in keine sichere Zukunft führen, sondernlieber nach wenigen Jahren an den nächstenFinanzinvestor weiterreichen. Meist endet dieOdyssee damit, dass sich wieder ein industrieller Investor findet, der dann aber nur nocheinen massiv ausgehöhlten Betrieb ohne jegliche Finanzkraft übernimmt.
Haftung Finanzinvestoren verhalten sich wie Aktienbesitzer, nicht wie Eigentümer. Sie schaffen
keinen Mehrwert und räumen am Ende das Feld für industrielle Investoren. Von Michael Heller
Nur den eigenen Vorteil im Blick
Pro
Franz Müntefering hat die Debatte ins Rollen gebracht. „Heuschrecken“ nannte derdamalige SPDVorsitzende im April 2005
die Finanzinvestoren, die deutsche Firmenausschlachten würden. „Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten– sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter.Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir“, sagte Müntefering damals in einem Interview. Sogar der Sachverständigenrat befasste sich daraufhin mit den Investoren, die nachAnsicht der Kritiker nur auf die kurzfristigeGewinnmaximierung aus waren und dabei
den übernommenenFirmen in der Regelhohe Schuldenbergeaufluden.
Diese Beispiele gabund gibt es, das ist richtig. Doch spätestens seitdem Beginn der Finanzkrise hat sich auch beiden Finanzinvestoren
die Einstellung grundlegend geändert. Esgeht den Beteiligungsgesellschaften wie KKR, Goldman Sachs, Blackstone, Permira und wiesie alle heißen, heute nicht mehr darum, möglichst hohe Renditen zu erzielen und die Firmen, an denen sie sich beteiligen, möglichstschnell aufzuhübschen, um sie gewinnbringend wieder verkaufen zu können. Das liegtschon allein daran, dass in den Zeiten der Niedrigzinsphase auch die Renditeerwartungendeutlich zurückgegangen sind. Heute suchen
die Beteiligungsgesellschaften eher nach langfristigen Engagements, nach Möglichkeiten,ein Unternehmen auf einen stabilen Wachstumspfad zu bringen.
Das haben immer mehr Mittelständler erkannt. Inzwischen können sich 61 Prozent der mittelständischen Unternehmen eine PrivateEquityGesellschaft als Anteilseigner vorstellen, wie eine Umfrage des Beratungsunternehmens Price Waterhouse Coopers (PWC) ergeben hat. Die Zurückhaltung der Kreditinstitutebei der Kreditvergabe mag zu diesem Sinneswandel beigetragen haben. Die Vorteile liegenauf der Hand: Die Beteiligungsprofis kennen sich in der Regel nicht nur in der Branche aus,aus der ein Beteiligungskandidat kommt, siehaben auch besseren Zugang zu allen Formender Kapitalbeschaffung, vom klassischenBankkredit über alternative Finanzierungsformen bis hin zur Vorbereitung eines Börsengangs. Daneben verfügen sie oft über erfahreneManager, die – wenn es denn der Mittelständler zulässt – auch professionelle Modelle einerguten Unternehmensführung entwerfen können. Auch bei der Nachfolgeregelung können Finanzinvestoren gute Helfer sein.
Natürlich gibt es auch immer noch vereinzelte „Heuschrecken“, doch die Branche arbeitet intensiv daran, mit mehr Transparenz undguten Beispielen ihren Ruf zu verbessern.
Private Equity Die Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe hat im Mittelstand
das Interesse an privaten Beteiligungsgesellschaften geweckt. Von Klaus Dieter Oehler
Aus Investoren werden Unternehmer
Klaus Dieter Oehler istWirtschaftskorrespondent derStuttgarter Zeitung in Frankfurt.
Mit den Zinsen sind auch die Renditeerwartungen der Beteiligungsfirmen gesunken. Wichtiger ist ist ihnen nun eine stabile Wachstumsperspektive.
Heilsbringer oder Heuschrecken?Beteiligungsgesellschaften Das Thema Finanzinvestoren polarisiert. Den Kritikern gelten sie als rücksichtslose Renditejäger, die bei Firmen einsteigen, um sie möglichst schnell
wieder mit hohen Gewinnen abzustoßen – ohne Rücksicht auf die Interessen der Mitarbeiter. Andere meinen, dass die Beteiligung der umstrittenen Kapitalgeber gerademittelständischen Unternehmen neue Wachstumschancen eröffnen kann. Was spricht für die Finanzinvestoren und was dagegen? Zwei StZWirtschaftsredakteure debattieren.
Michael Heller leitet die Wirtschaftsredaktion der Stuttgarter Zeitung.
Die Einheit von Haftung und Kapitaleinsatz istdas Modell, mit dem die deutsche Wirtschaft groß geworden ist.
24 Wirtschaft in Baden-Württemberg Nr. 3 | November 2014Stuttgarter Zeitung | Stuttgarter Nachrichten
Öl für das Getriebeder deutschenRealwirtschaftD i e n s t l e i s t u n g e n d e s F i n a n z -u n d V e r s i c h e r u n g s s e k t o r s s i n du n e n t b e h r l i c h f ü r A n p a s s u n g s -u n d W a c h s t u m s p r o z e s s e .
F inanz- und Versicherungsdienstleis-tungen wirken wie Schmiermittel fürdie Realwirtschaft und tragen somit
direkt und indirekt dazu bei, Beschäftigungzu sichern. In einer neuen Studie analysiertdie Initiative Stuttgart Financial die Bedeu-tung der Finanzbranche für Baden-Würt-temberg und für die Region Stuttgart.„Unser Bundesland verfügt über einen
gewachsenen Finanzsektor, der sich durcheine große Nähe zur Realwirtschaft aus-zeichnet“, sagt Dirk Sturz, Leiter von Stutt-gart Financial. Demnach wird die Wirt-schaftsleistung der Finanzbranche in Baden-Württemberg für das vergangene Jahr auf13,9 Milliarden Euro geschätzt, was einemAnteil von vier Prozent an der gesamtenWertschöpfung entspricht. In der Region
Stuttgart liegt der Anteil des Fi-nanzsektors an der gesamtenBruttowertschöpfung bei 5,2Prozent und in der Landes-hauptstadt bei neun Pro-zent. „Der Beitrag zur Brut-towertschöpfung ist ins-besondere auf der Ebeneder Stadt Stuttgartbeeindruckend“, sagtSturz, der über dieBruttowertschöp-fung und dieArbeitsplätze hi-naus vor allem inder Finanzie-rung der Wirt-schaft einen
großen Mehr-wert der Fi-nanzbranche er-kennt.Eine besondere
Stärke des Finanzplat-zes Stuttgart liegt inder Breite seines Ange-bots, das von den klassi-schen Bank-, Versicherungs-und Bauspargeschäften bishin zu Unternehmensanleihen,Wagniskapital, Leasing- und Fac-toring-Finanzierungen reicht. DieStabilität und Leistungsfähigkeit deshiesigen Finanzsektors hat laut Sturzpositive Wirkungen auf die übrigenWirtschaftszweige, aber auch – wie dieErfahrungen der vergangenen Jahre ge-zeigt hätten – großen Einfluss auf dieZuversicht der Unternehmen und die derGesellschaft.Diese Bedeutung schlägt sich auf
dem Arbeitsmarkt nieder. Die Finanz-branche beschäftigt landesweit rund138 000 Menschen, davon sind fast97 000 den Finanzdienstleistungenund etwas mehr als 23 000 den Ver-sicherungen zuzuordnen. „Finanz-und Versicherungsdienstleistungensind generell unentbehrlich für dieAnpassungs- und Wachstumspro-zesse unserer Wirtschaft. Sie tragendirekt und indirekt dazu bei,Beschäftigung in unserem Land zusichern“, sagt dazu Nils Schmid,Minister für Finanzen und Wirtschaftin Baden-Württemberg.Dirk Sturz betont, dass ein moder-
nes Finanzsystem neben der Kapital-versorgungsfunktion der Wirtschafts-akteure auch Versicherungen sowie mitFinanzen und Versicherungen verbunde-ne Dienstleistungen zur Verfügung stelle.„Durch vor- und nachgelagerte Tätigkei-ten werden insbesondere in den Regionenverstärkte Wachstumsimpulse freigesetzt“,erläutert er. Die regionalwirtschaftliche Be-deutung eines Finanzplatzes wird also zu-sätzlich zu den direkt bei Banken, Versiche-rungen und Bausparkassen Beschäftigtendurch indirekte Beschäftigungswirkungendeutlich.
Jene indirekte Beschäftigung resultiertaus der lokalen Präsenz von Finanz- und Ver-sicherungsunternehmen und wird teilweisedurch die mit Finanz- und Versicherungs-dienstleistungen verbundenen Tätigkeitenerfasst. Der andere Teil, der nicht in derBeschäftigungsstatistik der Finanz- und Ver-sicherungsdienstleistungen berücksichtigtwird, ergibt sich aus den weiteren positivenAuswirkungen der lokalen Präsenz eines Fi-nanzplatzes auf die übrigen Wirtschafts-zweige – etwa auf Anwälte, Wirtschafts-prüfer oder IT-Dienstleister, die sich auf dieFinanzwirtschaft spezialisiert haben.Nach den Ergebnissen der Studie von
Stuttgart Financial hat sich der Sektor derFinanz- und Versicherungsdienstleistungenin Baden-Württemberg gemessen an der
Bruttowertschöpfung seit dem Tiefpunkt derFinanzmarktkrise wieder erholt. Zwar konn-te in keinem Fall der Höchststand von 2004wieder erreicht werden, doch von 2008 bis2011 legte die Branche sowohl im Bund alsauch im Land um rund 21 Prozent auf 101,5Milliarden Euro beziehungsweise 13,9 Mil-liarden Euro zu.Mit einem Plus von 18,6 Prozent auf fünf
Milliarden Euro fiel der Zuwachs in der Re-gion Stuttgart geringer aus. Damit trug dieBranche 2011 in Baden-Württemberg vierProzent zur Gesamtbruttowertschöpfungbei, in der Region Stuttgart 5,2 Prozent undallein in der Stadt Stuttgart neun Prozent.Parallel dazu steuerten die mit Finanz- undVersicherungsdienst-leistungen verbunde-nen Tätigkeiten 2011im Land 1,3 Milliar-den Euro und in derRegion 524 MillionenEuro an Bruttowert-schöpfung bei.Indessen ist die
Zahl der Beschäftig-ten der Finanz- undVersicherungsdienstleistungen, deren Ent-wicklung die Studie für 2008 und 2013 be-trachtet, gesunken. So ergibt sich bundes-weit ein Rückgang von 0,3 Prozent auf guteine Million sozialversicherungspflichtig Be-schäftigte, während in Baden-Württembergein Minus von 0,6 Prozent auf 138 000 zuregistrieren ist. In der Region Stuttgart wie-derum sank die Zahl um 3,6 Prozent auf49 700; in der Stadt Stuttgart liegt der Rück-gang gar bei 4,9 Prozent auf knapp 29 900Beschäftigte.
Werden die Werte jedoch ab dem zwei-ten Quartal 2013 betrachtet, deutet sich einepositive Entwicklung an, heißt es in der Stu-die. Die Beschäftigung in den mit Finanz-und Versicherungsdienstleistungen verbun-denen Tätigkeiten nahm von 2008 bis 2013im Land um 14,3 Prozent auf 19 900 zu. Inder Region betrug das Plus 12,6 Prozent auf8000 Beschäftigte. Betrachtet man nun dieregionalen Anteile an den Beschäftigten derFinanz- und Versicherungsdienstleistungenim gesamten Bundesgebiet, so zeigt sich,dass der Beitrag der Region Stuttgart zur ge-samten Beschäftigung mit 3,8 Prozent leichtüber dem Wert der Region München mit 3,5Prozent und nahezu gleichauf mit dem An-teil der Region Frankfurt (3,8 Prozent) liegt.Den höchsten Beitrag zur bundesweiten Be-schäftigung liefert im Rahmen der betrach-teten Gebiete hier mit 4,3 Prozent die RegionHamburg.Wenn man nun den Beschäftigungs-
beitrag der jeweiligen Stadtkreise zur Re-gion ins Verhältnis setzt, weist die baden-württembergische Landeshauptstadt mit33,6 Prozent im bundesweiten Vergleich derGroßstädte den geringsten Wert aus. „Diesspricht für die Stärke des Umlands und ver-deutlicht, dass in der Region Stuttgart derwirtschaftsstarke Umkreis einen signifikan-ten Beitrag zur Beschäftigung leistet“, resü-miert Dirk Sturz. Thomas Spengler
SignalwirkungBaden-Württembergs Finanz-und Wirtschaftsminister NilsSchmid über Gründer undwarum ein Wagniskapital-fonds so wichtig ist.
Seite 26
Klein, aber feinDer Stuttgarter Finanzplatzist klein, aber fein. DieBanken in der Regionpunkten vor allem mit einergroßen Nähe zum Kunden.
Seite 31
AnsichtssacheDer Gesetzgeber will dieAnlageberatung stärkerregulieren. Über das Wiescheiden sich aber dieGeister seit Langem.
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E I N S O N D E R T H E M A D E R Z E I T U N G W I R T S C H A F T I N B A D E N - W Ü R T T E M B E R G
F INANZWIRTSCHAFTIM SÜDWESTEN
NOVEMBER 2014
VERSICHERUNG WIRTSCHAFT
BESCHÄFTIGTEWACHSTUM DIENSTLEISTUNG
FINANZBRANCHEWACHSTUMSPROZESSE
INDIREKTE EFFEKTEBEI DER BESCHÄFTIGUNG
STARKE REGION NEBEN DERLANDESHAUPTSTADT
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„Selbst kleineZahlen machenviel aus“
B a d e n - W ü r t t e m b e r g h a t z u s a m m e n m i tU n t e r n e h m e n a u s d e r P r i v a t w i r t s c h a f te i n e n W a g n i s k a p i t a l f o n d s a u f g e l e g t .I m I n t e r v i e w e r l ä u t e r t N i l s S c h m i d ,M i n i s t e r f ü r W i r t s c h a f t u n d F i n a n z e n ,d e n A n s a t z – u n d w a r u m d i eV o r b e r e i t u n g s o l a n g e d a u e r t e .
Herr Minister Schmid, als Finanz- undWirtschaftsminister schlagen bekannt-lich zwei Seelen in Ihrer Brust. Lassen
Sie zunächst den Wirtschaftsminister zu Wortkommen. Im August hat das Land einen Wag-niskapitalfonds ins Leben gerufen, der jungenUnternehmen unter die Arme greifen soll. Waswollen Sie damit bezwecken?Ich habe als Wirtschaftsminister mit derAmtsübernahme eine Gründeroffensive ge-startet. Dazu zählt eine Reihe von Baustei-nen. Zentral ist dabei der Wagniskapital-fonds zur Unterstützung von Existenzgrün-dern. Wir haben festgestellt, dass es inunserem Land zwar eine rege Gründertätig-keit gibt, wir aber forschungsintensive undtechnologieintensive Gründungen nochstärker unterstützen wollen.
Warum erst so spät?Wir sind an dem Thema lange dran. Estauchten jedoch bürokratische Hemmnisseauf, da derartige Fonds bei der Europäischen
Union angemeldet wer-den müssen. Und geradeda gab es Änderungenbei den Zulassungskrite-rien. Uns war es auchwichtig, Partner mit insBoot zu nehmen. Das istmit der Sparkassenversi-cherung und der Würt-tembergischen Versiche-rung gelungen. Ich bindavon überzeugt, derWagniskapitalfonds fin-det seine Abnehmer.
An wen denken Sie da?Wir wollen, beraten durch einen Beirat, vorallem im Bereich der im Koalitionsvertragdefinierten Wachstumsfelder Informations-und Kommunikationstechnologie, Gesund-heit, nachhaltige Mobilität sowie Umweltund Ressourceneffizienz Unternehmens-gründungen vorantreiben. Wichtig ist nichtnur die Zahl neuer Firmen. Vielmehr sollendie Unternehmer durch qualifizierte Bera-tung in die Lage versetzt werden, sich einedauerhaft gesicherte Existenz aufzubauen.
Wie weit reicht der Ein-fluss des Wirtschafts-ministers?Die Gesellschafter ent-scheiden natürlich. Es wurde auch keineBranchenfestlegung getroffen. Außer, dasswir technologieintensive Existenzgründun-gen unterstützen wollen. Das ist die Ziel-gruppe. Wir wissen von der L-Bank, die Be-teiligungskapital in einer späteren Phase derUnternehmensentwicklung ausgibt, dass re-lativ viele Unternehmen aus dem IT-Bereichdabei sind. Aber das ist keine Vorgabe, undda nehme ich auch keinerlei politischen Ein-fluss.
Wieso mischt sich das Land überhaupt imBereich der Wagniskapitalfinanzierung ein?Hier besteht eine Lücke in Baden-Württem-berg. Es wird häufig beklagt, dass es zu we-nig verfügbares Wagniskapital gibt, weil si-chere Anlagen existieren. Darum liegt da eingewisses Marktversagen vor. Das bedeutet
nicht, dass der Staat selbst Unternehmengründen sollte. Er kann aber die Kapitalfragelösen. Zumal wir einen Vervielfältigungsef-fekt haben. Das vom Land eingebrachte Geld– also die vier Millionen Euro – bringt zusätz-liche Kapitaleinlagen von Sparkassenversi-cherung und Württembergischer. Zusätzlichgibt es, weil das Wagniskapital immer eineMinderheitsbeteiligung ist, auch noch priva-tes Geld, in gleicher Höhe.
Was bedeutet das?So wird sichergestellt, dass es nicht verkopf-te Lieblingsprojekte von Politikern sind,sondern dass sich die Geschäftsidee amMarkt bewähren muss. Ich glaube, dass wirda richtig liegen, wie wir das in Baden-Würt-temberg angestoßen haben.
Stehen die Jungunternehmer Schlange?Wir haben nicht den Ehrgeiz, in der erstenRunde das ganze Geld auf einmal zu vertei-len. Das soll über drei bis fünf Jahre gehen.Wir werden da sorgfältig auswählen. Wich-tig ist, dass von jedem dieser Investmentseine starke Signalwirkung an private Inves-toren ausgeht. Alles, was wir vielleicht nichtmachen können, weil das Geld fehlt, könn-ten interessante Anlagen für Privatinvesto-ren sein. Neben der rein monetären Wir-kung ist es für mich ein starkes Aufbruch-signal für Existenzgründer.
Reichen die acht Millionen Euro überhaupt?Wir gehen davon aus, dass der Fonds zwi-schen 250 000 und einer Million Euro in einUnternehmen anlegt. Das ist in etwa dieGrößenordnung. Es ist nicht unser An-
spruch, mit einemFonds alle Finanzie-rungsdefizite zu lö-sen. Allerdings sto-ßen wir mit dem
Anlagevolumen dieses Fonds im Länder-Ranking aus dem Mittelfeld nach oben vor.Wenn wir durch den Fonds nur acht bisneun Investments realisieren, steht Baden-Württemberg bereits an der Spitze, wasdie Gründungsintensität bei Forschungs-und Technologieunternehmen angeht. Damachen selbst kleine Zahlen sehr viel aus.
Was hat das Land davon?Es geht um die Signalwirkung und umUnternehmen, denen wir helfen, Arbeits-plätze im Land aufzubauen. Je mehr positiveVorbilder wir haben, umso stärker kann sichdiese neue Gründerkultur, die wir im Landbrauchen, etablieren. Die Erfolgsgeschichteeiner jungen Firma, die durch die Förderunghochgekommen ist, strahlt auf ganz Baden-Württemberg aus.
Maximal 32 Unternehmen werden gefördert, dieLaufzeit beträgt vier Jahre, maximal acht Unter-nehmen im Jahr können unterstützt werden.Acht Millionen Euro sind im Topf. Ist das nichtviel zu wenig für eine wirkungsvolle Gründer-offensive?Nein, das ist realistisch. Wollen wir die glei-che Gründerzahlen wie Bayern erreichen,braucht Baden-Württemberg pro Jahr zweizusätzliche Beteiligungen im Bereich vonHigh Tech und sechs im Bereich der techno-logieintensiven Dienstleistungen. Da ist dievon mir angesprochene Signalwirkung andie privaten Investoren nicht mit eingerech-net. Bei anderen Fonds, die das Land schonlänger kennt, lässt sich diese Signalwirkungbeobachten. Auchwenn es auf den erstenBlick nach wenig Geldaussieht, kann eineHebelwirkung erzeugtwerden, weil private Investoren nachziehen.
Schmerzen die vier Millionen Euro aus dem Lan-deshaushalt nicht den Finanzminister in Ihnen?Nein, der Finanzminister ist begeistert, weiler mit relativ wenig Geld die Chancen er-höht, dass Mittelständler erfolgreich sind.Wir haben genügend Beispiele von Unter-nehmen, die sich etabliert haben und dannauch hier im Land Steuern zahlen. Deshalbwar der Finanzminister in mir damit sehreinverstanden.
Woher kommt das Geld für den Fonds?Die vier Millionen Euro sind seit Längeremim Haushalt reserviert für die Einrichtungeines Venture-Capital-Fonds. Das war eineEmpfehlung des Innovationsrats der Vor-gängerregierung. Doch seitdem liegt dasGeld da einfach.
Ist es in der Zeit mehr geworden?Leider nicht (lacht), die Zinsen waren zuniedrig. Ich hatte gehofft, dass es schnellergeht, aber wichtig war es, einen gutenFondsmanager und verlässliche Partner zuhaben. Ich halte es für ein gutes Zeichen,dass Unternehmen wie die Sparkassenversi-cherung oder die Württembergische Versi-cherung bereit sind, hier Versichertengelderanzulegen.
Würde Nils Schmid mit privaten Geld in denFonds einsteigen?Nein. Ich würde ohnehin davon abraten, beieiner privaten Anlagestrategie alles auf eineKarte zu setzen, also in dem Fall nur aufWagniskapital.
Wie sieht die Rendite aus?Wir versprechen keine Renditen.
Aber die Partner wollen Geld verdienen.Ja, und sie gehen davon aus, dass sie mit die-sem Fonds so viel Rendite erwirtschaften,wie man mit Wagniskapital erzielen kann.Also eine höhere Rendite als die in norma-len Anlageformen. Dem steht allerdingsauch ein höheres Risiko gegenüber.
Kann der Unternehmer mit dem Geld machen,was er will?Die Fondsmanager lassen sich regelmäßigdie Berichte des Unternehmens zeigen. Dasist üblich. Das wird an die Situation undGröße des Unternehmens angepasst. Wennein Unternehmer Mittel vom Venture-Capital-Fonds haben will, braucht er einenBusinessplan. Geht es um die Existenzgrün-dung, reicht es nicht aus, eine gute Idee zuhaben oder überzeugt zu sein, dass das Pro-dukt gut ist. Da braucht es auch eine kauf-männische Seite. Der Unternehmer mussnicht nur den VC-Fonds überzeugen, son-dern auch weitere potenzielle Geldgeber.Das gehört dazu.
Eine aktuelle Studie gibt dem Finanzplatz Stutt-gart gute Noten. Wo sehen Sie aus Sicht desLandes noch Handlungsbedarf?
Wenn man den Fi-nanzplatz Stuttgartbewertet, hängt ei-niges davon ab, wiees der LBBW geht.
Und die LBBW steht gut da. Die Restruktu-rierung ist auf einem guten Weg. Die Zahlenzeigen in die richtige Richtung. Für den Fi-nanzplatz sprechen auch die guten Ausbil-dungsmöglichkeiten. Wir haben mit denUniversitäten Hohenheim und Mannheimstarke Ausbildungsstätten. Aber eine Frageist, wie die akademische Aus- und Weiter-bildung intensiviert und sichtbarer gemachtwerden kann.
Sie sitzen im Kuratorium der Vereinigung derFreunde der Wertpapierbörse. Wie stehen Siedenn zur Forderung der Börse Stuttgart nachBörsenvorrang für Privatanleger?Die Frage ist, obdas gesetzlich ge-regelt werdenmuss. Da bin ichpersönlich skep-tisch. Wir wissen,dass sich die BörseStuttgart beson-ders um den Pri-vatanleger be-müht. Das hebt dieBörse Stuttgart vonanderen Markt-plätzen ab.
Und wie hält es derFinanzminister mitder persönlichenGeldanlage?Sehr konservativund sehr schwä-bisch.
Das Gespräch führ-ten Reimund Abelund Ingo Dalcolmo.
VENTURE CAPITALEXISTENZGRÜNDER
UNTERNEHMERTUMTECHNOLOGIE-INTENSIVRISIKO INNOVATIONSRAT
HIGH TECH RENDITEDIENSTLEISTUNGEN
BUSINESSPLAN LBBWMARKT PRIVATANLEGER
„ES GEHT UM DIESIGNALWIRKUNG“
„KEINE VERKOPFTENPROJEKTE VON POLITIKERN“
FINANZWIRTSCHAFT IM SÜDWESTEN26 November 2014
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ZUR PERSON
Dr. Nils Schmid (SPD) ist seit der baden-württembergischen Landtagswahl 2011stellvertretender Ministerpräsident so-wie Minister für Finanzen und Wirt-schaft. Seit 1997 gehört Schmid demLandtag an. Im November 2009 wurde erzum Landesvorsitzenden der SPD Baden-Württemberg gewählt; Mitglied der Par-tei ist er seit 1991.Schmid wurde 1973 als Sohn eines
Zollbeamten und einer Lehrerin gebo-ren. Nach Abitur und Zivildienst studier-te Schmid Rechtswissenschaften an derUniversität Tübingen, wo er 1999 das Ers-te Juristische Staatsexamen ablegte. Dasanschließende Referendariat beendete er2001 mit dem Zweiten Staatsexamen.2006 folgte die Promotion. Seit 2001 istSchmid als selbstständiger Rechtsanwalttätig; seine Zulassung ruht. Schmid istverheiratet und hat zwei Kinder. oh
Euro berechnet wird. Solche Bilanzsummenweist vor allem das Gros der Sparkassen auf,aber auch viele Genossenschaftsbanken lie-gen in diesem Bereich, etwa die VolksbankStuttgart. „Es ist jedenfalls davon auszuge-hen, dass die Belastung viel zu hoch seinwird“, sagt Schorr, den vor allem die Summeder Regularien umtreibt, die die Banken aufInitiative der EU-Kommission erfüllen müs-sen. „Es ist die Additionder Einzelmaßnahmen,die einen nicht unerheb-lichen Verwaltungsauf-wand darstellt“, sagt er.Und je kleiner eine Banksei, desto unverhältnis-mäßiger wirke sich dieBelastung durch dieeuropäische Regulierungaus.Auch im Sparkassen-
lager sieht man angesichts einer „unglaubli-chen Regulierungsdebatte“, wie Schneider esnennt, vieles auf dem Spiel stehen. So habeman zwar erreicht, dass die Sparkassen –ebenso wie die Genossenschaftsbanken – imRahmen des neuen europäischen Aufsichts-mechanismus nicht der direkten Aufsichtder Europäischen Zentralbank (EZB) unter-liegen, sondern weiter von Bafin und Bun-desbank beaufsichtigt würden.
„Dennoch droht uns eine immer stärkeran internationalen Bankkonzernen ausge-richtete Aufsicht direkt durch die EZB“,fürchtet Schneider. Die EZB baue dazu be-reits eine Generaldirektion für die Über-wachung kleinerer Institute auf, sagt er undverweist darauf, dass die oberste Banken-aufseherin der EZB, Danièle Nouy, kürzlicheinen Stresstest für kleine Kreditinstitutewie Sparkassen und Genossenschaftsbankenins Spiel gebracht hat. Ähnlich klingt das beiGlaser: „Die Volksbanken und Raiffeisen-banken in Baden-Württemberg wehren sichgegen eine zu wenig differenzierte Betrach-tung des Bankenmarkts“, so der Präsidentdes BWGV.Vor diesem Hintergrund gemeinsamer
Interessen üben Sparkassen und Genossen-schaftsbanken regelmäßig den Schulter-schluss. So fahren die Verbandsspitzen ein-mal im Jahr nach Straßburg, um mit denEuropa-Abgeordneten aus Baden-Württem-berg aktuelle Fragen und Gesetzesvorhabender EU zu besprechen. Wie man hört, stehtder nächste Termin für das kommende Jahrbereits fest. Thomas Spengler
Milliarden Euro gesteigert. Steil nach obenist auch die Entwicklung bei den Genossen-schaftsbanken im Land verlaufen, die ihreMittelstandskredite im selben Zeitraumum 19,6 Prozent auf 30,6 Milliarden Euroerhöhen konnten.
Auch wenn nun für Kleinbankeneine überschaubare Größenordnungfür die Abgabe erreicht worden ist, är-gert die Institute vor allem eins: „Wirkommen nie in den Genuss desFonds, müssen aber einbezahlen.Zusammen mit den Aufwendun-gen für den eigenen Sicherungs-fonds ergibt sich daraus eineDoppelbelastung für jedes Insti-tut“, macht Gerhard Schorr,Verbandsdirektor beim Baden-Württembergischen Genos-senschaftsverband, klar. ImSparkassenlager wird diesgenauso gesehen.
Es ist auch noch nichteindeutig geregelt, nachwelchen Risikofaktorendie Abgabe für Institutemit einer Bilanzsum-me ab einer Milliarde
und Auslandsbanken vonjetzt auf nachher aus demStaub machten“, sagt erüber die Zeit nach 2008während der Finanz-marktkrise. So habenzum Beispiel die baden-württembergischenSparkassen ihre Kre-dite an den Mittel-stand seit 2008um 13 Prozentauf heuterund 50
I m Alltag führen sie als Rivalen in ihrenMarktgebieten einen gesunden Wett-streit um die Kunden. Doch wenn es um
die Verteidigung des Drei-Säulen-Modells inder deutschen Kreditwirtschaft gegenüberder Europäischen Union geht, ziehen Spar-kassen und Genossenschaftsbanken aneinem Strang – etwa beim Gerangel um dieeuropäische Bankenabgabe.So haben die beiden Institutsgruppen
gegenüber Brüssel – mit Unterstützung derBundesregierung – eine gemeinsame Strate-gie vertreten, als es bis Ende Oktober bei derEU-Kommission um die Ausgestaltung einesgemeinsamen europäischen Fonds zur Ab-wicklung von Banken gegangen ist. Von den55 Milliarden Euro, die von 2016 bis 2023 zurAbwicklung maroder Institute von der eige-nen Branche zur Verfügung gestellt werden,müssen nun die deutschen Banken 15,4 Mil-liarden Euro aufbringen. Davon entfällt mit85 Prozent der Löwenanteil auf die großenBanken.Sparkassen und Genossenschafts-
banken wird dagegen angerechnet,dass sie bereits ein eigenes, funk-tionierendes Institutssiche-rungssystem unterhalten. Au-ßerdem wird ihr Risikofak-tor als geringer erachtet.Darüber hinaus wur-den für Banken miteiner Bilanzsum-me von weni-ger als einerMi l l i a rde
Euro Pau-schalbeträgevon 1000 bis50 000 Euro verein-bart. Nationalen Be-hörden wie der deut-schen Bundesanstalt fürFinanzdienstleistungsauf-sicht (Bafin) wird ein gewisserSpielraum eingeräumt, indem sieetwa diese Schwelle auf bis zu dreiMilliarden Euro anheben können. DenBetrag allerdings, den die kleinen Bankendann weniger bezahlen, muss die Bafin beianderen, größeren Instituten eintreiben.Bedeutet die Einigung auf eine Formel
bei der Bankenabgabe also einen Sieg fürSparkassen und Genossenschaftsbanken?Mitnichten, heißt es aus beiden Instituts-gruppen unisono. „Die Genossenschafts-banken haben die Finanzmarktkrise nichtverursacht, und sie haben auch als einzigeBankengruppe Deutschlands die Hilfe desSteuerzahlers nicht in Anspruch nehmenmüssen“, sagt dazu der Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsver-bands (BWGV), Roman Glaser.Ins gleiche Horn stößt Peter Schneider,
der Präsident des SparkassenverbandsBaden-Württemberg. „Wir Sparkassen ha-ben gemeinsam mit den Genossenschafts-banken die Kreditfinanzierung unsererWirtschaft gesichert, während sich die Groß-
An einem Strang
EZB EU-KOMMISSION BAFINSTRESSTESTEUROPA BILANZSUMMEREGULIERUNGBUNDESBANK DREI-SÄULEN-MODELL
FINANZKRISE
FINANZWIRTSCHAFT IM SÜDWESTEN 27November 2014
Kommt auch ein Stresstest für kleine Banken? Foto: dpa
S p a r k a s s e n u n d G e n o s s e n s c h a f t s b a n k e n ü b e n d e n S c h u l t e r s c h l u s s
HETEROGENERBANKENMARKT
Foto
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FINANZWIRTSCHAFT IM SÜDWESTEN28 November 2014
Honorar-Anlageberater und Honorar-Finanzanlagenberater dürfen keine Provisionen von Produktanbietern oder anderen behalten. Das soll sie unabhängiger machen. Foto: Viorel Sima/Fotolia
desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht(Bafin) zu unterstellen. Das sei im aktuellenGesetz nicht vorgesehen. „Diese Sonder-behandlung widerspricht sowohl demGrundsatz des Anlegerschutzes als auch derWettbewerbsgleichheit, da die Honorar-Fi-nanzanlagenberater allein der weniger spe-zialisierten Gewerbeaufsicht unterliegen.“Deutschland hat beim Thema Honorar-
beratung im Vergleich zu anderen LändernNachholbedarf. Bei vielen europäischenNachbarn ist die Honorarberatung sehr vielweiter vorangeschritten. So hat beispielswei-se die britische Finanzaufsicht Provisionenim Finanzvertrieb bereits im Januar 2013komplett verboten. Und das in den Nieder-
landen zunächst nur fürVersicherungen gelten-de Provisionsverbotwurde zum 1. Januar2014 auf sämtliche Fi-
nanzprodukte ausgeweitet. Auch in Skandi-navien gibt es bereits seit zehn Jahren einNettoprämiensystem, kombiniert mit Hono-raren.Bisher gibt es in Deutschland noch we-
nig Interesse der Kunden beim Thema Hono-rarberatung. Massentauglich ist das Modellalso derzeit nicht. Zumal Kunden für die Be-ratung zahlen müssen, auch wenn sie ihrGeld gar nicht anlegen wollen. Aber es be-steht die Chance, dass das Thema an Fahrtaufnimmt. Wenn Verbrauchern klar wäre,wie viel Provision sie für eine vermeintlicheBeratung tatsächlich zahlen, würden sie fest-stellen, dass die Honorarberatung in denmeisten Fällen günstiger ist, heißt es bei Ver-braucherschützern. Oliver Schmale
Euro. Der Anlageberater muss Provisionenoffenlegen. Nach der Erfahrung von Ver-braucherschützern steckt der Teufel aber imDetail. Denn die Provisionen sind nicht im-mer transparent. Die Kreditinstitute sehenunter anderem die strikte Trennung vonHonorarberatung und Beratung auf Provi-sionsbasis kritisch. Dies werde in der Praxiskleinere und mittlere Institute aufgrundmangelnder Ressourcen zu einer Entschei-dung „entweder – oder“ zwingen. Bei derKreditwirtschaft erwartet man offensicht-lich, dass sich nicht viel ändern wird. Denn:„Nunmehr ist es an den Kunden zu entschei-den, ob sich diese Art der Anlageberatungim Markt durchsetzt“, heißt es in einer Stel-lungnahme.Für die Breite des
Marktes werde die Ver-mittlung auf Provi-sionsbasis bevorzugt,erklärt der Deutsche Sparkassen- und Giro-verband. In der genossenschaftlichen Ban-kengruppe seien gegenwärtig keine Tenden-zen absehbar, die auf eine organisatorischeUmstellung der Kundenberatung auf eineHonorar-Anlageberatung hindeuteten, er-klärt auch der Bundesverband DeutscherVolksbanken und Raiffeisenbanken. „Esbleibt abzuwarten, ob sich die Beratunggegen Honorar im deutschen Markt über-haupt etablieren wird.“Die Kreditwirtschaft bemängelt Folgen-
des an der neuen Regelung: Leider habe esder Gesetzgeber versäumt, nicht nur die beiden Banken angesiedelten Honorar-Anlage-berater, sondern auch die (freien) Honorar-Finanzanlagenberater der Aufsicht der Bun-
ne Provisionen von Produktanbietern oderanderen behalten, deren Finanzprodukte sievermitteln. Banken und Sparkassen müssendie Beratungssysteme organisatorisch strikttrennen. Wer als Honorarberater tätig ist,wird in ein öffentliches Register eingetragenund darf dann nicht mehr auf Provisions-basis arbeiten.Durch Falschberatung entstehen den
Verbrauchern jährlich Schäden in Milliar-denhöhe. Die Quirin Bank mit ihrer Nieder-lassung in Stuttgart bietet seit 2007 Hono-rarberatung in Stuttgart an. Sie betreut 1000Kunden mit einem Volumen von rund 300Millionen Euro, wie eine Sprecherin berich-tet. Ein dauerhaftes Beratungsmandat rech-ne sich ab einem Anlagevolumen von100 000 Euro, im Schnitt legten die Kundenjedoch das Dreifache an. Das erste Gesprächdiene dem gegenseitigen Kennenlernen,dauere ungefähr eineinhalb Stunden und seifür den Kunden kostenlos. „Die weiteren Ge-spräche führen in der Regel zur Eröffnungeines Depots, das mit circa einem Prozentdes Depotwertes pro Jahr transparent ver-gütet wird.“Das neue Gesetz in Deutschland gilt
nicht für alle Finanzprodukte, sondern nurfür Wertpapiere und Vermögensanlagen.Ausgenommen sind beispielsweise Kapital-lebensversicherungen, Bausparpläne oderSpareinlagen. Eine verbraucherfreundlicheRundumberatung ist somit nach Auffassungder Verbraucherschützer nicht möglich.Doch wie hoch ist eigentlich das Honorar?Eine Gebührenordnung gibt es nicht. Häufigwird pro Stunde abgerechnet, der Branchezufolge sind es derzeit im Schnitt etwa 150
D as Thema Anlageberatung ist einheißes Eisen. Der Hauptvorwurf derVerbraucherschützer an die Berater:
sie verkaufen ihren Kunden nicht immer dasfür sie passende Finanzprodukt, sondernsolche, bei denen sie hohe Provisionen er-halten. Die Bundesregierung will die Bera-tung gegen Honorar stärken. Seit AnfangAugust ist das sogenannte Honorar-Anlage-beratungsgesetz in Kraft. Was es tatsächlichbringt, ist jedoch umstritten. „Die Honorar-Anlageberatung ist derzeit noch unzurei-chend geregelt“, moniert Niels Nauhauservon der Verbraucherzentrale Baden-Würt-temberg. Weder sei sichergestellt, dass die
Qualifikationder Berateraus re i chendsei, noch seiderzeit einefunktionieren-de Aufsicht si-chergestel l t ,die Fehlbera-tung sanktio-nieren könne.Der Grund
für das Gesetzist ganz pro-
fan gewesen: mögliche Fehlanreize im Zugeder provisionsbasierten Beratung, so dasBundesfinanzministerium. Anleger seien oftschlecht beraten und die Risiken bestimm-ter Produkte verschleiert worden. Es gibtneben der Anlageberatung auf Provisions-basis künftig eine gesetzliche Regelung fürsogenannte Honorar-Anlageberater und Ho-norar-Finanzanlagenberater. Sie dürfen kei-
Ein NischenangebotP r o v i s i o n s u n a b h ä n g i g e B e r a t u n g s p i e l t b i s l a n g k e i n e g r o ß e R o l l e
ANDERE LÄNDER SINDSCHON WEITER
HONORARE PROVISIONEN
BERATUNGSGESPRÄCHBAFIN CHANCE RISIKOVERBRAUCHERSCHUTZ
GESETZ ANLEGERSCHUTZÖFFENTLICHES REGISTER
GEWERBEAUFSICHT ANLAGE
M an kann ihn getrost als Experten inSachen Schwabentum bezeichnen.In seinen Büchern, Reden oder
Sprüchen ist Manfred Rommel tief in dieGründe der schwäbischen Seele eingetaucht.Und so konstatierte der Politiker, der von1974 bis 1996 Oberbürgermeister seiner Ge-burtsstadt Stuttgart war, einst in der ihm soeigenen trocken-ironischen Art: „Der Schwa-be tut so, als sei er arm, aber er ist beleidigt,wenn andere ihm das glauben.“ Damitbrachte Rommel das Dilemma jenes Volks-stamms im Südwesten, den der erste Bun-despräsident der Republik, Theodor Heuss,als den „kompliziertesten, gewiss aber denspannungsreichsten unter den deutschenStämmen“ bezeichnete, treffend auf denPunkt: Über Geld reden, das ist nicht so dasDing des Schwaben an und für sich. Viel-leicht ist es das Ding der Reigschmeckten,sprich der Zugezogenen, die so gerne mit„Mein Auto, mein Haus, meine Yacht“ ange-ben. Wie erklärte doch einst eine von Nor-den eingereiste Geschichtslehrerin denSchülern eines schwäbischen Gymnasiumsin unbekümmert rheinischem Frohsinn:„Die schwäbische Dame trägt den Pelz nachinnen, außen sieht man nur den abgewetz-ten Trenchcoat.“ Ob sich danach Eltern be-schwert haben, istnicht überliefert.Doch ob Urteil
oder Vorurteil,klar ist, Würt-temberg gehör-te einst zu denärmsten Gegen-den. Und Armutgebiert Spar-samkeit – sowiebei den Schwa-ben insbesonderedie klangvollenPrämissen „Nix ver-komme lasse!“ und„Auf sei Sach ufpasse“,
was auf Hochdeutsch so viel bedeutet wie„Verwerte gefälligst alle Reste“ und „Gib achtauf dein Hab und Gut“. Wenige Wörter, diezeigen, dass der Schwabe auch sprachlichökonomisch zu agieren weiß. Manche nen-nen es maulfaul. Wie auch immer, es gibtkaum einen Dialekt, in dem man sich mit sowenigen Silben einen Abend lang unterhal-ten kann. Nach Peter-Michael Mangold, Au-tor eines Online-Lexikons für Schwäbischsind das: Ha noi – Ha no – Awa – Au no.Sind die Ressourcen knapp, muss man
sie halt schonen. Wer wenig hat, schaut zu-dem, was er daraus machen kann. Und sowurde aus dem Schwabenland das sprich-wörtliche Ländle der Tüftler und Erfinder.Vieles, was heute im Haushalt steht oderdurch die Straßen tuckert, stammt aus demSüdwesten. Und obschon die Schwaben Neu-em – wie auch den Reigschmeckten – zu-nächst durchaus skeptisch gegenüberstehenkönnen, an Fortschritt sind sie stets interes-siert. Freilich nur, wenn er es wert ist oderwirklich ein solcher ist. Womöglich willeinen jemand reinlegen!Angesichts dieser Befindlichkeiten der
schwäbischen Seele wird deutlich, warumder Schwabe selten oder ungern über denMammon oder gar über Finanzprodukte
schwätzt: Wem schon seit Jahr-hunderten vererbt wird, „seiSach“ zusammenzuhalten,wer mit vier Wortpaaren aus-kommt und dabei mit einer gu-ten Prise Skepsis gesegnet ist,der wird nicht am Stammtischund schon gar nicht beimBankberater seine finanziellenKarten nonchalant auf denTisch legen. Die richtig Rei-chen der Welt halten es schonseit Jahrhunderten mit dem –ohne Zweifel von den ausgewan-
derten Schwaben abgeguckten –Motto: „Über Geld spricht man nicht,man hat es“. peix
Ha noi – Ha no –Awa – Au noW a r u m S c h w a b e n u n g e r nü b e r G e l d s p r e c h e n
Foto:Electriceye/Fotolia
der Bundesanstalt für Finanzdienstleis-tungsaufsicht, sieht dies anders. „Ich glaubenicht, dass das Beratungsprotokoll dazu ge-führt hat, dass die Banken die Leute nichtmehr beraten. Zudem ist Beratung ja nichtper se gut. Wir wollen gute Beratung“, soBirnbaum. „Und wenn sich Institute zurück-ziehen, kann das auch daran liegen, dass sienicht genug qualifiziertes Personal haben.“
Dass die entstandene Situation in derAnlageberatung keine befriedigende ist,hat auch die Bundesregierung erkannt.„Das Beratungsprotokoll werden wirim Hinblick auf die praktikable Hand-habung prüfen“, heißt es dazu im Ko-alitionsvertrag. Und nun scheint Bun-desjustizminister Heiko Maas Ernstzu machen. Ab-schaffen will erdie Protokollezwar nicht, abersie sollten künftig„ihrer Funktiongerecht werden“.Dabei werden imGrunde zwei Än-derungsansätzeverfolgt. Zum einen wird erwogen, denschieren Umfang der Protokolle ein-zuschränken. Zum anderen könnte esmehr Fälle geben, in denen man aufdas Protokoll verzichten darf.Grundsätzlich geht es bei der
Debatte auch um die Frage, inwieweitder Staat unter dem Etikett des Anle-gerschutzes künftig in die Anlageent-scheidungen des Einzelnen eingreifensoll und darf. So sieht der Entwurf desKleinanlegerschutzgesetzes etwa dieMöglichkeit eines Werbeverbots fürbestimmte Geldanlagen in allgemeinenMedien vor, die keine Wirtschaftsbe-richterstattung betreiben. Als alarmie-rend sieht hier Christoph Boschan, Ge-schäftsführer der Börse Stuttgart Holding,das dahinterstehende Leitbild des in Finanz-fragen unmündigen Bürgers, dem bestimm-te Medieninhalte vorzuenthalten seien, dersich aber zugleich verstärkt eigenständigum seine Altersversorgung kümmern solle.„Der Ruf nach dem Staat ist populär, abereine pauschale Befreiung von der eigenenSorgfaltspflicht kann es nicht geben“, sagtBoschan. Vor diesem Hintergrund führt keinWeg an mehr Bildung der Verbraucher in Fi-nanzfragen vorbei. „Besser als Verbote sindalle Initiativen, die die Selbstverantwortungder Privatanleger fördern“, so Boschan. Alsnachhaltigste Maßnahme in diesem Sinneist die Entscheidung der Landesregierungzu werten, an allen allgemeinbildendenSchulen das Fach „Wirtschaft Berufs- undStudienorientierung“ einzuführen. spe
gar nicht mehr beraten“, so Burghof. Gün-ther Birnbaum, Abteilungspräsident Be-
reich Wertpapieraufsicht und As-set-Management bei
protokollen klingt nach einer tollen Idee,hat aber vor allem einen Effekt:Menschen mit geringemVermögen werden
S eit der Gesetzgeber 2010 damit begon-nen hat, die Bankberatung immerstrenger zu regulieren, hat der Papier-
kram bei den Beratungsgesprächen massivzugenommen. Seitenweise müssen Bera-tungsprotokolle erstellt werden, was lautDeutschem Aktieninstitut (DAI) dazu ge-führt hat, dass manche Bankberater schonvon Aktien abraten würden. Jedenfalls ha-ben sich einer DAI-Studie zufolge knapp15 Prozent aller Finanzhäuser, die früher inder Aktienberatung tätig gewesen sind, ausdem Geschäft zurückgezogen. Versuche mitTestkunden haben zudem ergeben, dass dieHoffnung, die Beratung werde sich durchdie Protokolle verbessern, eine Illusion war.„In den vergangenen Jahren wurde die
Beratung kaputtreguliert – und gleichzeitigauch der Anlegerschutz“, sagt dazu MarcTüngler, Hauptgeschäftsführer der Deut-schen Schutzvereinigung für Wert-papierbesitz. Beratungsprotokolledienten in ihrer jetzigen Form nichtden Anlegern, sondern der Befreiungder Banken von Haftungsrisiken. Sohat seit Einführung der Protokollekein Anleger mehr einen Prozess we-gen Falschberatung der Bank gewon-nen. „Die Beratungsprotokolle sindschlichtweg eine Katastrophe“, resü-miert Tüngler.Dorothea Mohn, Leiterin des Teams Fi-
nanzen beim Bundesverband der Ver-braucherzentralen, stimmt Tünglers Schluss-folgerungen zu, setzt sich aber zugleichdafür ein, dem Instrument des Beratungs-protokolls noch eine Chance zu geben:„Wenn Protokolle sinnvoll sein sollen, dannbedarf es einer stärkeren Standardisierung.“Falls auch dies nicht ausreiche, sei ein ande-rer Weg nötig: „Ich glaube, dass wir früheroder später zu einem Provisionsverbot kom-men werden“, sagte Mohn kürzlich.Das Beispiel Beratungsprotokoll macht
deutlich, dass die Regulierungsdebatte ein-mal mehr um die Frage nach einer Balancezwischen ausreichendem Anlegerschutz undden Folgen eines Übermaßes an Regulierungkreist. So weist Hans-Peter Burghof, Inhaberdes Lehrstuhls für Bankwirtschaft und Fi-nanzdienstleistung an der Universität Ho-henheim, auf die Gefahren einer zu hohenRegulierungsintensität hin: „Maßhalten isthier enorm wichtig. Extreme sind selten diebeste Lösung“, sagt er. Bei jedem staatlichenEingriff gelte es zu prüfen, ab wann denMenschen damit nicht mehr gedient werde.In einzelnen Bereichen sei dieser Punktlängst überschritten. Als Beispiele nenntBurghof die umfangreichen Dokumente zurInformation von Kapitalanlegern, die nie-mand mehr lese, wie er sagt, sowie die Anla-geberatung. „Die Einführung von Beratungs-
Zu viel PapierA n d e r R e g u l i e r u n g d e r A n l a g e b e r a t u n g s c h e i d e n s i c h d i e G e i s t e r
WERBEVERBOT ANLEGERWERTPAPIERAUFSICHTVERBRAUCHER PROTOKOLLVERANTWORTUNG LEITBILD
KOALITIONSVERTRAG
FINANZWIRTSCHAFT IM SÜDWESTEN 29November 2014
D ie neue Finanzmarktrichtlinie derEU-Kommission gaukelt zwar vor,den Wertpapierhandel stärker zu re-
gulieren. In Wahrheit aber wird nur an eini-gen außerbörslichen Handelssystemen et-was nachgebessert, wo bisher nichts regu-liert war. Damit bringt die überarbeiteteFinanzmarktrichtlinie Mifid II (Markets inFinancial Instruments Directive) nach Über-zeugung der Börse Stuttgart nur die zweit-beste Lösung für den Anleger. Zwar werdenneue nicht oder nur schwach regulierte Han-delsplattformen, die seit Einführung der Mi-fid I 2007 erst entstanden sind, in Ansätzenetwas stärker reguliert als bisher. Aber derSchutz der Anleger und die Funktion desKapitalmarkts werden nicht auf das Niveauregulierter Märkte zurückgeführt. Ergo: Auf-träge von Privatanlegern werden weiterhinhäufig an nicht regulierten Märkten und da-mit auch im Schattenreich intransparenterDark Pools ausgeführt, ohne dass es denAuftraggebern immer klar ist.Wertpapier-Orders von Privatanlegern
sollten aber aus Sicht der Börse grundsätz-lich an einem regulierten Markt wie der Bör-se ausgeführt werden. „Nur dort gibt es den
Schutz und die Verläss-lichkeit einer un-a b h ä n g i g e nHandelsüber-wachung so-wie die Vorzü-ge einer neu-
tralen Preisermittlung und einervollständigen Transparenz“, sagt ChristophBoschan, Geschäftsführer der Börse StuttgartHolding.Außerdem wird mit der Mifid II der
Wettbewerb zwischen börslichen, also regu-lierten, und nicht oder kaum reguliertenWertpapierhandelssystemen unter unglei-chen Bedingungen fortgesetzt. Währendeine Börse eine Handelsüberwachung odereine Zulassungsstelle aufrechterhalten undfür eine lückenlose Vor- und Nachhandels-transparenz sorgen muss, existieren fürnicht regulierte Märkte keine derartigenVorgaben, oder sie sind nur rudimentärvorhanden. Dadurch sind regulierte Börsenteurer als nicht regulierte Plattformen wieMultilateral Tradings Facilities, systemati-sche Internalisierer und der klassischeaußerbörsliche Handel. Das „regulatorischeGepäck“, wie Boschan es nennt, das die tra-ditionellen Börsen dadurch mit sich herum-tragen, macht nach seiner Schätzung 70 Pro-zent der Betriebskosten einer Börse aus.Die Börse Stuttgart hat auf den Trend zu
mehr außerbörslichem Handel reagiert, in-dem sie im April Cats-OS, das außerbörs-liche Handelssystem der Citigroupfür den Zertifikatehandel, erwor-ben hat. An der neuen FirmaBörse Stuttgart Cats hältdie Citigroup jedocheine Minderheit.T. Spengler
Im SchattenreichA u ß e r b ö r s l i c h e r H a n d e l n i m m t z u
Foto: rdnzl/Fotolia
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:Max
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lenko
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D er Mittelstand ist das Rückgrat derWirtschaft im Südwesten. Die großeMehrheit dieser rund 500 000 Be-
triebe beschäftigt weniger als 250 Mitarbei-ter; fast die Hälfte der im Mittelstand Be-schäftigten arbeiten in Unternehmen mitzehn bis 250 Mitarbeitern. Und vor diesemHintergrund spielt die Finanzierung immereine besondere Rolle. „Es ist wichtig, dassdiese Unternehmen ihre Betriebe voranbrin-gen können und an ausreichend Finanzie-rungen kommen“, sagt eine Sprecherin derBürgschaftsbank. Diese und die Mittelstän-dische Beteiligungsgesellschaft (MBG) sowiedie L-Bank und die Kreditanstalt für Wieder-aufbau (KfW) helfen den Unternehmen mitspeziellen Fördertöp-fen, um an Geld zukommen. Oftmals gehtes darum, Nachteileauszugleichen, die dieKleinen bei der Finanzierung gegenüberbörsennotierten Unternehmen haben.Alle Förderinstitute arbeiten mit den
Kreditinstituten vor Ort zusammen, wie dieSprecherin erläutert. Denn: „Es gilt dasHausbankprinzip. Das heißt, der Unterneh-mer muss zuerst zu seiner Hausbank unddort sein Vorhaben vorstellen.“ Ist die Haus-bank überzeugt, dann ist eine wichtige Hür-de genommen. Die Geschäftsidee oder eineInvestition muss sich also rechnen. DerUnternehmer muss nämlich nicht nur Zin-sen und Tilgung zahlen, sondern auch vonseinem Vorhaben leben können.Die Bürgschaftsbank Baden-Württem-
berg kann den Angaben zufolge höchstenseine Bürgschaft in Höhe von 1,25 Millionen
Euro übernehmen. Das Gleiche gilt für dieMBG: Bei ihr ist der Höchstbeteiligungs-betrag ebenfalls 1,25 Millionen Euro. Doch esgibt gleichfalls noch ein anderes Angebot,bei dem es um viel kleinere Summen geht.Es handelt sich um das Programm Mikro-mezzanin, eine Kleinstbeteiligung zwischen10 000 und 50 000 Euro. „Das Programmrichtet sich an junge Gründer sowie anUnternehmen, die vielleicht aufgrundihrer Herkunft oder persönlichen Situa-tion keinen Zugang zu einer Finanzie-rung hätten“, beschreibt die Sprecherindie Zielgruppe. Wenn die Wirtschaft nichtso rund läuft, steigt die Nachfrage nachBürgschaften. „Aktuell merken wir, dass die
Unternehmen sich stra-tegisch mit eigenkapi-talähnlichen Mittelneindecken in Form derstillen Beteiligungen
der MBG Baden-Württemberg“, so die Spre-cherin weiter. Denn Eigenkapital sei Krisen-vorsorge.Der größte Geldgeber der heimischen
Wirtschaft im Land ist die L-Bank. Das För-derinstitut unterstützt mit seinen Finanzie-rungsangeboten jährlich mehr als 6000etablierte Unternehmen. Hinzu kommenzwischen 2500 und 3000 Existenzgründun-gen. So werden jedes Jahr rund 9000Arbeitsplätze durch geförderte mittelständi-sche Unternehmen und rund 4000 durchExistenzgründer geschaffen. Im ersten Halb-jahr flossen 1,5 Milliarden Euro an die Wirt-schaft in Baden-Württemberg.Mit mehr als einer Milliarde Euro finan-
zierte die L-Bank Investitionen von 3000
etablierten Unternehmen. Für 1400 Grün-dungsvorhaben flossen 232 Millionen Euro.430 landwirtschaftliche Betriebe wurdenmit 76 Millionen Euro gefördert. Damit be-wegen sich die Ergebnisse zum Halbjahr
2014 leicht unterhalb dessehr hohen Vorjahres-niveaus, wobei 2013ein Rekordjahr fürdie Wirtschaftsför-derung war.
Für seine Finanzierungsvorhaben nutztder Mittelstand vorrangig klassische Förder-kredite. Die nachfragestärksten Programmesind dabei die Wachstumsfinanzierung, die2012 gestartete „Energieeffizienzfinanzie-rung – Mittelstand“ sowie die Investitions-finanzierung. Schwerpunkte der nachfra-genden Unternehmen seien Investitionen inAnlagen und Gebäuden vor allem mit demZiel des Kapazitätsausbaus. Insbesonderewenn es um neue Produktionsanlagen oder
Gebäude geht, setzen die Unterneh-men dabei immer häufiger aufLösungen, die nachhaltig denEnergieverbrauch der neuenMaschine oder Werkshallesenken. Deshalb gibt es
auch Liquiditätskredite zur Betriebsmittel-finanzierung.Die Nachfrage hängt vom wirtschaft-
lichen Umfeld ab. In den Zeiten der Finanz-marktkrise und der anschließenden wirt-schaftlichen Schwächeperiode waren es eherLiquiditätskredite, die verstärkt nachgefragtwurden. Diese bieten eine Kombination ausZinsverbilligung und Risikoübernahme undwurden vor allem zur Betriebsmittelfinan-zierung genutzt. Und in der aktuellen Phasewerden den Angaben zufolge vor allemWachstumskredite und Energieeffizienz-finanzierungen nachgefragt. „Besonders mitden Finanzierungen energetischer Vorhabenverbessern die Unternehmen ihre Wettbe-werbsfähigkeit und entlasten die Umwelt“,wie die Sprecherin erläutert. Oliver Schmale
Mit dieser systematischen Herangehens-weise haben sich Leicht und seine drei Haus-banken zügig auf ein Finanzierungsmodellfür beide Investitionsprojekte verständigt,so dass sich die Projekte rasch realisieren lie-ßen. Der Bau der automatischen Bauteile-fertigung wurde, nachdem das erste Bankge-spräch im November 2011 stattfand, im Sep-tember 2014 fertig gestellt. Bei demAusstellungs- und Schulungszentrum vonLeicht dauerte es 27 Monate bis zur Fertig-stellung im Oktober 2014. In beiden Fällenwurde eine Finanzierung mit 80 ProzentFremdkapital durch die Bankpartner ge-wählt.„Die Beispiele stehen für klassische bila-
terale Unternehmenskredite“, sagt SiegfriedStangohr, Vorsitzender der Geschäftsleitung
für das MarktgebietWürttemberg bei derCommerzbank. Alledrei Hausbanken ha-ben jeweils ein Drittel
finanziert, und alle wussten voneinander.„Wir spielen mit offenen Karten“, betontWaldenmaier. Seit der Kreditvergabe redetLeicht quartalsmäßig mit seinen Hausban-ken über die Entwicklung des Unterneh-mens und hält diese auf dem Laufenden.Stangohr betont im Verhältnis zwischen
Banken und mittelständischen Firmen-kunden die Bedeutung des kooperativenUmgangs miteinander. „Man sollte sichauch mal frühzeitig warnen, bevor etwasanbrennt – so wie in einer Ehe“, sagt er. Dazuzählten eben auch mal unangenehme The-men. Wenn man aber offen darüber rede,würde dies nur wieder die Vertrauens-bildung stärken, so sein Resümee. spe
bisherige Investitionsvolumen in der Di-mension von jährlich drei bis vier MillionenEuro gelegen hatte. Bei einem Umsatz in derGrößenordnung von 99 Millionen Euro imJahr 2014 stelle eine Investition von elf Mil-lionen Euro doch einen kräftigen Schluckaus der Pulle dar, wie Waldenmaier sagt. Imselben Zeitraum folgte der Bau eines neuenAusstellungs- und Schulungszentrums inHöhe von sechs Millionen Euro.„Da ist es wichtig, dass die Banken einen
gut kennen, damit man sich rasch verstän-digen kann“, sagt er, der die frühzeitigeIntegration der Finanzierungspartner in dieStrategieüberlegungen von Leicht als Basisfür eine zügige Realisierung eines solchenProjekts ansieht. „Die Abstimmung des ma-ximalen Volumens, die Klärung alternativerFinanzierungsmodelleund die Klärung dergenerellen Bereitschaft,sich zu engagieren“,zählt der Leicht-Chef indiesem Kontext auf. Als Nächstes folgten Ge-spräche mit Banken und Wirtschaftsprüfernüber die steuerlichen Aspekte.Als Erfolgsfaktoren für eine gelungene
Investition nennt Waldenmaier seitens desMittelständlers die Einbeziehung erfahrenerGesprächspartner mit Kenntnis des Marktesund Kreativität im Umgang mit Finanzie-rungsmodulen. Außerdem gelte es, steuer-liche Klarheit über das Vorhaben zu gewin-nen. Darüber hinaus müsse ein zuverlässigerFinanzplan ausgearbeitet und Klarheit überdie Finanzierungskosten gewonnen werden.Und schließlich sei es nützlich, langjährigeBeziehungen und Mandate mit kompeten-ten Gesprächspartnern aufzubauen.
zurückhaltend. Die gewachsenen Verbin-dungen zu den angestammten Hausbankenund die damit verbundene Verlässlichkeitwiegen eben doch schwerer als ein paarBasispunkte weniger bei den Kreditkondi-tionen.Hinzu kommt, dass man bei Leicht einen
Informationsaustausch mit den Bankpart-nern pflegt, der häufig über das reine Finan-zierungsgespräch hinausgeht – etwa überdie Zinsentwicklung oder neue Produkte.Und gerade weil die Banker aufgrund derlangjährigen Geschäftsbeziehung wüssten,wie das Unternehmen aufgestellt sei, kämendiese von sich aus immer wieder auf eigeneLösungsvorschläge, sagt Waldenmaier. „Au-ßerdem“, betont er, „brauchen wir Sicherheitvon Anfang an. Sprich, wir müssen uns aufdie mündlichen Zusagen der Banker verlas-sen können.“Das heißt für ihn, die Gesprächspartner
seitens der Bank müssen nach seinen Erwar-tungen fachlich kompetent und mit Hand-lungsvollmacht ausgestattet sein, so dass siedie gemachten Zusagen auch im eigenenHaus durchsetzen können. „Es muss dasgesprochene Wort gelten“, macht Walden-maier klar, auch wenn dieses Motto im Ge-schäftsleben vielfach an Bedeutung verlorenhabe. Leicht versuche sich daran zu halten,weshalb das Unternehmen auch wenigRechtsstreitigkeiten habe.So hat der Küchenhersteller auch seine
jüngste Wachstumsfinanzierung mit dembewährten Trio aus Großbank, Kreisspar-kasse und Genossenschaftsbank unter Dachund Fach gebracht. Elf Millionen Euro galtes 2013 und 2014 für eine automatische Bau-teilefertigung zu stemmen, nachdem das
I n aller Regel pflegen die baden-würt-tembergischen Mittelständler enge Be-ziehungen zu mehr als einer Hausbank.
Aufgrund der globalen Ausrichtung derUnternehmen ist darunter immer auchmindestens ein ebenfalls international aus-gerichteter Bankpartner zu finden. Darüberhinaus aber bleiben die Unternehmen gerneauch den Instituten treu, mit denen sie großgeworden sind: Genossenschaftsbanken undSparkassen.Exemplarisch dafür steht die Leicht
Küchen AG in Waldstetten im Ostalbkreis,die bereits seit 20 Jahren mit einem festen
Stamm von drei Kre-ditinstituten zusam-menarbeitet – „unddas auf Augenhöhe“,wie der Vorstands-vorsitzende StefanWaldenmaier be-tont. Als internatio-naler Partner agiertbei der Firma Leicht,die einen Export-anteil von 60 Pro-zent aufweist, die
Commerzbank. Des Weiteren hat sich Leichtauf die Kreissparkasse Ost-Alb und dieVolks- und Raiffeisenbank SchwäbischGmünd als Hausbanken festgelegt. „Ent-scheidend ist, dass man sich gut kennt undeine langjährige Vertrauensbasis aufgebauthat“, sagt Waldenmaier.Und auch wenn hin und wieder andere
Institute versuchen würden, sich mit Dum-pingpreisen für den Hersteller hochwertigerKüchen schön zu machen, ist dieser ge-genüber solchen Lockvogelangeboten sehr
WACHSTUM FINANZIERUNG
UMSATZ HAUSBANK KREDIT
MITTELSTAND INVESTITION
PROJEKT FREMDKAPITALVOLLMACHT EXPORT
BASISPUNKTE VERTRAUEN
ZEITGLEICH WACHSENUND INVESTIEREN
KLEINSTBETEILIGUNGENALS OPTION
FINANZWIRTSCHAFT IM SÜDWESTEN30 November 2014
Es gilt dasgesprocheneWortD i e L e i c h t K ü c h e n A G a r b e i t e t e n g m i t d r e iH a u s b a n k e n z u s a m m e n . S t a t t d e r s t ä n d i g e nS u c h e n a c h e t w a s b e s s e r e n K r e d i t k o n d i t i o n e ns i n d d e m M i t t e l s t ä n d l e r d e r l a n g j ä h r i g eK o n t a k t u n d d i e V e r l ä s s l i c h k e i t w i c h t i g e r .
Nachfrage auf hohem NiveauF ö r d e r a n g e b o t e g i b t e s i n B a d e n - W ü r t t e m b e r g f ü r j e d e U n t e r n e h m e n s g r ö ß e
Foto: N-Media-Images/Fotolia
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W ertbeständig und zeitlos: Goldhat schon seit jeher eine beson-dere Faszination auf die Men-
schen ausgeübt. Seit mehr als 3000 Jahrenwird das Edelmetall als Wertaufbewah-rungsmittel genutzt. Als einzige Währung,die seitdem noch Bestand hat, konnte Goldsämtlichen politischen und wirtschaftlichenKrisen trotzen und ist nicht von inflatio-närer Geldpolitik betroffen.„Allein die Tatsache, dass Gold ein selte-
ner Rohstoff und nicht beliebig reproduzier-bar ist, macht ihn kostbar und wertvoll“, er-läutert Patrick Scheerer, Niederlassungs-leiter der Degussa Goldhandel mit Sitz inStuttgart. In vielen Kul-turen sei Gold vor al-lem ein Zeichen vonMacht und schon alleindadurch heiß begehrtgewesen. Gold ist einesder ersten Metalle, dasdurch die Menschenbearbeitet worden ist.Denn dies geht mitmechanischen Hilfs-mitteln einfach von-statten, und außerdemkorrodiert das Edelmetall mit der warmenAusstrahlung nicht.Die Gewinnung des Goldes, das zusam-
men mit Kupfer eines der wenigen farbigen
Metalle ist, haben Wissenschaftler seit derfrühen Kupferzeit entwickelt. Zunächst istGold unter anderem zur Herstellung vonSchmuck verwendet worden. Der bislang äl-teste dokumentierte Fund von Goldschmuckist auf das Jahr 4600 vor Christus datiert. Imbulgarischen Warna wurden mehrere Tau-send Objekte aus dem glänzenden Metall ineinem Gräberfeld als entsprechende Grab-beigabe gefunden.Sowohl die Ägypter als auch die Römer
waren von Gold fasziniert. Seine Bedeutungals Zahlungsmittel ist natürlich auch nichtzu unterschätzen. In der Neuzeit trieb dieGier nach dem gelben Rohstoff die euro-
päischen Seemächtewie England, Spanienoder Portugal an, ihrenBedarf zu decken, in-dem sie in Mittel- undSüdamerika wütetenund dann das Edel-metall nach Europabrachten.Als Seefahrer das
Edelmetall mitbrach-ten, spielten auchAbenteuerlust und das
Streben nach Reichtum eine große Rolle.„Nicht umsonst hat der Begriff Goldgräber-stimmung Eingang in den allgemeinenSprachgebrauch gefunden“, erklärt Scheererweiter. Auch große Funde lockten immerwieder große Menschenmassen an. In die-sem Zusammenhang ist beispielsweise derkalifornische Goldrausch im Jahre 1849 undder Goldrausch des Jahres 1897 am FlussKlondike in Alaska zu nennen.Auch viele Währungen waren in der Ver-
gangenheit aus Goldmünzen oder an dasEdelmetall gebunden. Die Bindung des US-Dollar wurde erst 1971 aufgehoben. Auch inder Industrie ist der Stoff seit jeher gefragtund zu einem unverzichtbaren Rohstoffgeworden: Mobilfunk, Computertechnik,Raumfahrt, Medizin. Das sind Bereiche desLebens, die für den modernen Menschen mitam wichtigsten sind. Auch bei Zukunftstech-nologien spielt Gold eine wichtige Rolle:Die Nanotechnologie kann nicht auf diesesMaterial verzichten. Oliver Schmale
Faszination GoldN i c h t n u r a l s G e l d a n l a g e g e e i g n e t
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Wertvolles Edelmetall Foto: Bundesbank
Start. Einen weiteren Lehrstuhl mit demSchwerpunkt Unternehmensfinanzierunggibt es an der Uni Stuttgart. Hinzu kommenAngebote an der Uni Tübingen sowie denFachhochschulen Nürtingen, Reutlingenund Pforzheim sowie die Akademien derSparkassen-Gruppe und der Genossen-schaftsbankenin Baden-Würt-temberg.Dass es so
manche Absol-venten dieserKeimzellen fürjunge Finanz-experten in ihrerfrühen, ambitio-nierten Lebens-phase eher indie Finanzzent-ren der Welt als nach Stuttgart ziehe? Ge-schenkt, meint Burghof. Das sei ja auch keinFehler, sondern bilde vielmehr die Grund-lage für eine weitere Vernetzung von Stutt-gart aus in alle Welt. Die Region könnte da-gegen mit ihrer hohen Lebensqualität derOrt sein, wo man seine Kinder aufwachsensehen will. „Denn Stuttgart ist nicht unbe-dingt der Ort, von dem man zwingend wie-der wegwill“, sagt Burghof und verweist aufeine sehr hohe Lebensqualität mit einem im-mer noch „fantastischen Preis-Leistungs-Verhältnis“. Bankern müssten hier allerdingsauch Karriereperspektiven geboten werden –sowohl finanziell als auch mit Blick auf dieMöglichkeiten zur Weiterentwicklung. „Einelebendige Finanz-Community kann dazubeitragen, dass ein Spitzenbanker, der vonaußerhalb kommt, nicht den Eindruck ge-winnt, in der Wüste gelandet zu sein“, machtBurghof klar. Thomas Spengler
tur im Land“, fügt er hinzu. Außerdem ist inder Region eine Reihe sehr agiler Vermö-gensberater und -verwalter aktiv. Als „nochsteigerungsfähig“ bezeichnet Burghof indes-sen die Sichtbarkeit der Versicherungswirt-schaft, die am Finanzplatz auch eine sehr be-deutende Rolle spielt.Den Finanzplatz selbst charakterisiert
der Professor als klein, aber sehr lebendig.Es werde extrem viel kommuniziert, unteranderem über die Plattformen, die StuttgartFinancial geschaffen habe. „Die Börse ist si-cher ein Kulminationspunkt, die als neutraleInstanz ihre Rolle als Diskussionsforumwahrnimmt. Auch die Bausparkassen ent-wickeln derzeit ihre ganz eigene Kultur inStuttgart. All das wirkt gemeinschaftsbil-dend“, sagt Burghof, der genügend Expertiseauf beiden Seiten, der Finanz- und der Real-wirtschaft, in der Region Stuttgart erkennenkann. Während Frankfurt vor allem durchdas Geschäft zwischen Finanzintermediärencharakterisiert werde, sei es in Stuttgart dieenge Verbindung zwischen Finanz- undRealwirtschaft, die den hiesigen Finanzplatzpräge. „Daher sind unsere Banker in Stutt-gart näher dran am Kunden“, so BurghofsÜberzeugung.Dass sich die Institute am FinanzplatzStuttgart dennoch ständig neu erfinden,davon ist Burghof überzeugt, „so wie esdie Stuttgarter Börse immer wiedergetan hat, weil es schwer ist, neuesGeschäft nach Stuttgart zu holen“.Das sei kaum planbar. „Daher soll-
ten wir in erster Linie versuchen, dasvorhandene Geschäft in Stuttgart zu hal-ten und gleichzeitig eine große Offenheitfür Innovationen zu schaffen“, macht er klar.So diene die Arbeit der Initiative StuttgartFinancial auch der Bestandssicherung gegenalle Zentralisierungstendenzen. „Aber im-merhin, im Gegensatz zu früher reden dieSchwaben seit geraumer Zeit darüber, wassie zu bieten haben“, so Burghofs Resümee.Im Gegensatz zu früher ist Burghof in-
zwischen mit dem Angebot an finanzwirt-schaftlichen Lehrstühlen in der Region zu-frieden. „Das kann sich mittlerweile sehenlassen“, sagt er und verweist allein für dieUniversität Hohenheim auf sechs Lehrstüh-le, die sich im engeren Sinne mit Finanzwirt-schaft beschäftigen. Ein siebter ist derzeitausgeschrieben – eine von der Sparkas-sen-Gruppe geförderte Stiftungspro-fessur zum Retail-Banking. Außer-dem geht mit dem „Master in Fi-nance“ der Uni Hohenheim indiesem Wintersemesterder erste berufsbeglei-tende universitäreMasterstudiengang indiesem Bereich an den
nanzszene spiele in einer anderen Liga, den-noch gibt es laut Burghof am FinanzplatzStuttgart eine agile lokale Szene, in der dieAkteure ständig gemeinsame Projekte undnicht zuletzt Karrieren entwickelten. Hinzukommt in seinen Augen das Engagementzahlreicher Funktionsträger, die dem Fi-nanzplatz ein Gesicht geben.Gerade weil der Platz nicht eine solche
Größe wie Frankfurt oder London aufweist,liegt nach Burghofs Überzeugung eine derStärken in seiner Überschaubarkeit. Durchdie Arbeit, die die Initiative Stuttgart Finan-cial leiste, seien die Akteure gut vernetzt,sagt er, der selbst im Beirat dieser Initiativesitzt. „Ansonsten haben wir hier eine ganzeReihe von Perlen zu bieten – wie etwa einelebendige Börse, die immer innovativ gewe-sen ist und ein Schaufenster für den Finanz-platz darstellt“, so Burghof. Und auch wennsie eine schwierige Phase durchschreite, seiimmer noch die größte Landesbank der Re-publik in Stuttgart beheimatet. Darüber hi-naus gibt es mit der L-Bank das größtedeutsche Förderinstitut, das in den Au-gen Burghofs ein sehr stimmiges Kon-zept verfolgt. „Und nicht zu verges-sen die ausgeprägteBausparkul-
D ie Region Stuttgart ist für ihrenSchwerpunkt in der gewerblichenIndustrie wohlbekannt. Aber ist
Stuttgart denn auch ein Finanzplatz?„Selbstverständlich, schließlich gibt eshier eine lebhafte Finanz-Communi-ty“, konstatiert Hans-Peter Burg-hof, Professor und Inhaber desLehrstuhls für Bankwirtschaftund Finanzdienstleistun-gen an der UniversitätHohenheim. Klar,Frankfurt sei zwarviel größer alsStuttgart unddie europäi-sche Fi-
Agile lokale SzeneB a n k e r d e r R e g i o n p u n k t e n m i t g r o ß e r N ä h e z u m K u n d e n
NETZWERK LEBENSQUALITÄT
COMMUNITY REALWIRTSCHAFTKARRIERE LEHRSTUHLFINANZPLATZ SCHAUFENSTERINNOVATION HOCHSCHULENBAUSPAREN AKADEMIENSPITZENKRÄFTE OFFENHEIT
Prof. Dr. Hans-Peter Burghof istInhaber des Lehr-stuhls für Bank-wirtschaft undFinanzdienstleis-tungen an derUniversität Ho-henheim. Außer-dem ist er Ge-schäftsführer der
Stiftung Kreditwirtschaft an der Univer-sität Hohenheim, Leiter und Mitglied inführenden akademischen Vereinigungenund Börsenrat der Börse Stuttgart. red
Prof. Dr. Hans-Peter Burghof
ZUR PERSON
FINANZWIRTSCHAFT IM SÜDWESTEN 31November 2014
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