Wer bricht hier was ab? Tagung Drop-Outs? – Junge Menschen ohne (Berufs)Ausbildung 28.02.2013 in...

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Wer bricht hier was ab?Tagung „Drop-Outs? – Junge Menschen ohne (Berufs)Ausbildung“ 28.02.2013 in Innsbruck

Prof. Dr. Margrit StammProfessorin für Erziehungswissenschaft der Universität Fribourg

SWISSEducation (Swiss Institute for Educational Issues), Bern

Bejamin Lebert

Brad Pitt

Bushido

Bobby Fisher

Joschka Fischer

Kelly Osborne

Thesen1.Schulabbruch ist zwar ein spannendes, jedoch eher randständiges Phänomen.2.Schulabbruch hat mit Schulqualität zu tun.3.Schulabbrecher stammen aus schwierigen Familienverhältnissen.4.Schulabbrecher haben Leistungsprobleme.5.Schulschwänzen führt zu Schulabbruch.6.Schulabbrecher sind delinquent.7.Wenn der Gesetzgeber nichts tut, kann die einzelne Schule kaum einen Beitrag zum Schulabbruch leisten.8.Schulabbrecher werden meist zu Sozialfällen.9.Schulabbruch kann gar nicht möglich sein wegen der Schulpflicht.

Legitimation für die Beschäftigung mit DropoutsSchulabbrecher fehlen in CH-Statistikengesellschaftliches Ziel, junge Menschen in der Schule zu haltenunter Druck geratene Schule aufgrund ihrer widersprüchlichen Aufgaben

Aufbau des ReferatsWer sind die Dropouts?Welche Rolle spielt die Schule?Was kann man dagegen tun? Das STOP DROP

ProgrammBilanz

Wer sind die Dropouts?

Gründe AG AR GR LU ZG UR NW BS TG ZH FR Total

Freiwillige Abgänge 5 0 2 7 6 4 3 7 3 17 2 56

Unfreiwillige Abgänge (inkl. Timeout)

3 0 6 4 6 1 0 10 5 8 2 45

Total 8 0 8 11 12 5 3 17 8 25 4 101

Dropouts sind eine soziale Tatsache.GEBERT RÜF-Studie 2007/08: 2% (7./8. Kl.: N= ca. 5000, ganze CH)

Schulabbruch ist ein multifaktorieller Komplex.

Gründe und Motivlagen für den AusstiegProbleme mit Lehrkräften und Mitschülernfehlender SchulerfolgNegativgefühle der Schule gegenüberFamiliäre Probleme.

Klassenwiederholung, abweichendes Verhalten und Schulschwänzen sind die stärksten Prädiktoren für Schulabbruch.

Prädiktoren S.E. Wald Sig.

Geschlecht (Jungen=1, Mädchen=2)

-0.551 0.178 9.541 p<.01

Klassen-wiederholung (0=nein; 1=ja)

0.387 0.112 12.654 p<.001

Schulschwänzen(0=nein; 1=ja)

0.391 0.203 3.707 p<.01

Alkoholkonsum(0=nein; 1=ja)

0.372 0.101 13.642 p<.001

Fahrrad-/Mofadiebstahl (0=nein; 1=ja)

1.209 0.365 20.793 p<.001

Dropouts stammen aus allen Milieus.SES* mittel/hoch: 67%; SES niedrig/sehr niedrig: 33%: Schulabbruch ist kein sozio-strukturell bedingtes Phänomen.

Jugendliche aus privilegierten Milieus brechen die Schule aufgrund einer starken Leistungsorientierung, Leistungserwartung und Elternbindung ab.Jugendliche aus bildungsferner Milieus brechen die Schule aufgrund der klassischen multifaktoriellen Probleme ab.

*= Socio-economic Status

Den Dropout gibt es nicht (Typologie)Schulmüde (30%)Schulmüdigkeit, problematische Lehrer-Schüler-Beziehungen; twse. hohe elterliche Bildungserwartungen. Starker persönlicher Druck.Gemobbte (16%)Soziale Konflikte mit Gleichaltrigen. Schlechtes Schulklima, erschwerte Zusammenarbeit, Motivationsprobleme, schlechten Schulleistungen.Belastete (18%)Familiäre Probleme mit psychischen Auswirkungen auf die Schule; Zergliederung der Kernfamilie oder familiäre Gewalt. Delinquente (16%)Delinquentes Verhalten; hohes Aggressionspotential. Konsum/Verkauf illegaler Drogen, Körperverletzung, Diebstähle.Hänger (20%)Zeitvertreib bevorzugt mit Kollegen. Wortführer bei Peers, disziplinarische Schulprobleme. Starker Konsum von Alkohol und Cannabis, Schuleschwänzen.

Familie und Peers spielen eine wichtige Rolle.Familienkonstellationenpsychische Probleme der Eltern, chronische Krankheiten, finanzielle Probleme oder Alkoholismus. Erziehungsverhalten; allein erziehender Elternteil Peers «positive Bedeutung»Dropouts mit signifikant häufiger ähnlich gesinnten Dropout-Freunden; zurückgewiesene, wenig populäre Schüler; wenig Netzwerke; Schuleschwänzen als identitätsstiftende Gemeinsamkeit. Peers «negative Bedeutung»Ängste vor Mobbing und Gewalt als Auslöser von Schuleschwänzen und Schulabbruch. Als soziale Aussenseiter öfters Ziel verbaler und teils auch körperlicher Attacken.

Welche Rolle spielt die Schule?

Die Schule macht beim Schulabbruch einen Unterschied. Schulen können Schulabbrüche verhindern oder

provozieren. Pullouts (Freiwillige Dropouts) und Pushouts

(unfreiwillige Dropouts)Schulen mit Dropout-förderlichen Strategien und einer geringen HaltekraftPassive SchulenRepressive SchulenAktivistische Schulen

Schulen mit Haltekraftversuchen, Rückzugsprozesse und Verhaltensauffälligkeiten zu unterbrechensetzen Beziehungs-, Lern- und Schulangebote als Interventionsmassnahmen ein.

Schulabbruch ist in vielen Fällen kein plötzliches Ereignis.

Im Kindergarten

In der 1.-3. Klasse später

Erstmals Auffälligkeiten … 55% 35% 10%

Schulabbruch ist kein plötzliches Ereignis (Forts.).

Früh beginnender Entfremdungsprozess: Dropout als letzter Schritt einer langen Entwicklung.Jugendliche aus bildungsfernen MilieusVerhaltensprobleme ->Schuleschwänzen->Leistungsversagen->DAJugendliche aus bildungsnahen MilieusSchulerfolgreich -> Lernprobleme ->Externe Unterstützung->psychische Probleme->DA

Schulabbruch wird zuerst grossenteils als Befreiung vom Druck der Schule erlebt. Reue oder Bedauern setzen später ein.

Viele Dropouts werden zu Rückkehrern (mit zwischenzeitlich neuen Abbrüchen und Wiedereinstiegen).

Status (anfangs 2012) %

Schulabschluss nachgeholt 43In schulischer oder sonderpädagogischer Massnahme; Schulabschluss noch nicht nachgeholt

35

In Berufslehre oder Praktikum ohne Schulabschluss 16

Ohne Schulabschluss und Erfüllung der Schulpflicht 6

Total 100

Was kann man dagegen tun? Das STOP DROP Programm

Säule I: Diagnostik•Empfehlung 1: Erfassung von Schuldistanzierung und potenziellem SchulausstiegSäule II: Schüler-Interventionen•Empfehlung 2: Mentoren für Ausstiegsgefährdete Empfehlung 3: Unterstützung der SchulleistungenSäule III: Lehrer- und Unterrichtsinterventionen•Empfehlung 4: Optimierung des Unterrichtsverhaltens•Empfehlung 5: Personalisierung der Lernumgebung •Empfehlung 6: Unterricht zur LernmotivierungSäule IV: Vorschulische Förderarbeit•Empfehlung 7: Frühpädagogische Förder- und Integrationsprogramme

Präventions- und Interventionsmassnahmen müssen variabel sein.

Bilanz

Kernbotschaften– Schulabbruch ist kein ausschliesslich individuell verantwortetes

Problem eines Abweichlers oder einer erziehungsinkompetenten Familie. Auch die Schule trägt ihre Verantwortung.

– Den Dropout gibt es nicht. Es braucht unterschiedliche Massnahmen.

Schulabbrecher dürfen nicht per se als Risikogruppe dramatisiert werden. In Bezug auf ca. ein Drittel jedoch schon.

Bejamin Lebert

Brad Pitt

Bushido

Bobby Fisher

Joschka Fischer

Kelly Osborne

Literatur (www.margritstamm.ch) Stamm, M. (2005). Hochbegabung und Schulabsentismus. Theoretische Überlegungen und empirische

Befunde zu einer ungewohnten Liaison. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 1, 20-33. Stamm, M. (2006a). Schulabsentismus. Anmerkungen zu Theorie und Empirie einer vermeintlichen

Randerscheinung schulischer Bildung. Zeitschrift für Pädagogik, 2, 285-303. Stamm, M. (2006b). Schulabbrecher» oder: Wer bricht denn hier was ab? Unsere Jugend, 7+8, 323-332. Stamm, M. (2007a). Die Zukunft verlieren? Schulabbrecher in unserem Bildungssystem. Zeitschrift für

Sozialpädagogik, 1, 15-36. Stamm, M. (2007b). Schulabsentismus: eine unterschätzte pädagogische Herausforderung. Die

Deutsche Schule, 1, 50-61. Stamm, M., Ruckdäschel, C. & Templer, F. (2009). Facetten des Schulschwänzens: empirische Befunde

zu schulabsenten Verhaltensformen Jugendlicher. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, 1, 107-122. Stamm, M. (2008). Hoch begabt, aber Schulabbrecher? Eine empirische Studie zum Phänomen des

Dropouts bei überdurchschnittlich begabten Jugendlichen in der Schweiz. Zeitschrift für Sozialpädagogik, 3, 301-319.

Stamm, M. (2009). Typen von Schulabbrechern. Die Deutsche Schule, 2, 168-180. Stamm, M., Ruckdäschel, C., Templer, F. & Niederhauser, M. (2009). Schulabsentismus: Ein Phänomen

und seine Folgen. Wiesbaden: VS Fachverlag für Sozialwissenschaften. Stamm, M. (2010). Dropouts am Gymnasium. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 13, 2, 273-281. Stamm, M., Kost, J., Suter, P., Holzinger, M., & Stroezel, H. (2011). Dropout CH: Schulabbruch und

Absentismus in der Schweiz. Zeitschrift für Pädagogik, 57(2), S.187-202 Stamm, M. (2012). Schulabbrecher in unserem Bildungssystem. Wiesbaden: VS Fachverlag .