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1 1 0 D a s G o l D e n e Z e i ta lt e r 1 1 1D a s r ä t s e l i s t G e l ö s t – D i e n a Z c a - l i n i e n
##091_Altiplano_Unwetter## (AUFMACHER)##
ab 500 n. chr. haben sich die regionalen Klein-
königtümer überlebt. Die Herrscher aus Huari,
tiwanaku und chimor formen große territorial-
reiche. ob mit Gewalt oder Diplomatie – darüber
streiten die Gelehrten. Jedenfalls forcieren sie
Kolonie- und straßenbau, exportieren ihre archi-
tektur und religion und herrschen über viele
Völker, alles wird von einer Zentrale aus gesteuert:
Die idee des imperialismus ist geboren.
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Wegbereiter der inka
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|
tiwanaku und Huari – die ersten
imperialisten?
Die Grenzbeamten sind unwillig, wenn der Besucher
aus Peru kommend nur für einen Tag nach Bolivien
einreisen will, manchmal verweigern sie sogar die
Ein reise. Moderne Grenzziehungen vertragen sich
nicht mit antiken Kulturen. Das Ziel, die große ar
chäologische Stätte Tiwanaku (auch Tihuanaco),
liegt nur rund 50 km hinter der Grenze auf heute bo
livianischem Boden. Vor 1500 Jahren aber bestimm
ten die Herrscher im Hochland (Altiplano) des Titi
cacasees die altperuanischen Geschicke. Zumindest
hatten sie erheblichen Einfluss auf die Entwicklun
gen nach dem Niedergang der glänzenden Regional
kulturen, die mit den Namen ParacasNazca im Sü
den und Moche im Norden verbunden sind.
Im gleichen Atemzug mit Tiwanaku wird stets
Huari (auch Wari) genannt. Beide sollen expansive
Reiche mit imperialem Anspruch gewesen sein. In
der Zeitspanne zwischen etwa 500 und 1000 n. Chr.
dominierten die beiden Aufsteiger das Andengebiet
vom äußersten Norden über Cuzco bis Nazca (Hua
ri) und Südperu mit Teilen Boliviens bis Nordchile
(Tiwanaku). Sie werden als zentralistische Staaten
gekennzeichnet, die ihren imperialen Anspruch via
Religion mit Waffengewalt durchsetzten, Kolonien
gründeten, Straßen bauten und missliebige Stämme
umsiedelten. Die imperiale Ideologie, das Straßen
netz, die monumentalen Bildwerke und die zentra
le Verwaltung der beiden Großmächte übernahmen
später die Inka. Katalysator für den Aufstieg von Hu
ari und Tiwanaku waren vermutlich mehrere Klima
stürze an der Küste zwischen 500 und 600 n. Chr.
Eine lang anhaltende Dürre zerbrach dort die religiös
motivierte Übereinkunft zwischen Eliten und Volk;
die theokratischen Systeme kollabierten.
Das HuariReich begann um 800 n. Chr. zu schwä
cheln und ist um 900 n. Chr. nicht mehr fassbar. Die
Gründe für den Niedergang sind noch ungeklärt. Ti
wanaku hielt sich länger, bis etwa 1100 n. Chr., und
wurde ebenfalls aus bislang ungeklärtem Anlass um
1300 n. Chr. endgültig aufgegeben. Die Inka glorifi
zierten Tiwanaku Jahrhunderte später als die Heimat
ihrer Ahnen.
So weit im Schnelldurchgang ein paar Eckpunk
te, die jedoch nicht felsenfest wie die Monolithen in
Tiwanaku verankert sind. Denn über die Huari und
die Leute von Tiwanaku weiß man heute so viel,
besser: so wenig, wie über die Nazca und Moche vor
30 Jahren. Nach den ersten Forschungen zu Beginn
des vorigen Jahrhunderts folgte lange Zeit gar nichts,
andere Themen und Aufstandsbewegungen (Der
Leuch tende Pfad) lenkten die Wissenschaftler in an
dere Ecken der Andenregion. Seit etwa zehn Jahren
sind Archäologen verstärkt, aber sehr punktuell in
den Huari und TiwanakuGebieten unterwegs; hier
sind in den nächsten Jahren neue Erkenntnisse zu er
warten. Bis jetzt aber gilt: Nicht einmal die landläufi
ge Chronologie ist ausreichend gesichert – sie beruht
weitgehend auf kunsthistorischen Stilvergleichen von
Keramiksequenzen. Schauen wir nach den archäolo
gischen Tatsächlichkeiten.
tiwanaku – Zentrum am titicacasee
Das weltberühmte „Sonnentor“ in Tiwanaku ist groß,
wirkt aber trotz seiner 3 m × 3,75 m in der Gesamtan
lage des Kultkomplexes Kalasasaya zu klein. Es steht
ziemlich verloren in der Nordwestecke der umfriede
ten Plattform, vermutlich stand das aus einem Stück
Stein gemeißelte 12TonnenMonument ursprüng
lich an anderer Stelle. Es ist mit mysteriösen Flach
reliefs geschmückt, deren Hauptfigur, den „Stabgott“,
wir bereits aus der ChavínKultur kennen: Nach 1000
| Der Titicacasee besticht durch die Schönheit seiner
Land schaft. Aber die Luft ist dünn hier auf 4000 m Höhe –
und das Leben hart.
| Das „Sonnentor“ in Tiwanaku vor der malerischen Kulisse der umgebenden
Berglandschaft.
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Jahren ist er in Tiwanaku angekommen. In der an
deren Ecke steht seit einiger Zeit der sogenannte
Mönch, eine blockartige Menschenstatue mit etwas
derangierten Gesichtszügen. Im Zentrum der Zere
monialanlage hat diese kantige Figur in dem nach
seinem bolivianischen Entdecker genannten „Ponce
Monolithen“ ihr Pendant. Die fast 4 m hohe Statue
empfing die durch das große Tor hereinkommenden,
die Stufen emporsteigenden Pilger. Die Gestalt trägt
über den ganzen steinernen Körper verwirrende Or
namente, in denen sich neugierige Blicke leicht ver
irren.
Die gewaltigste Stele von Tiwanaku, der „Ben
nettMonolith“, lässt sich im örtlichen Museum be
wundern. Sie stand in dem vertieften Hof außerhalb
der Kultplattform. Nach 70 Jahren Exil in La Paz ist
der über 7 m große Koloss 2002 in seine Heimat zu
rückgekehrt. Ihren Namen hat die Figur vom amerika
nischen Entdecker; die Bolivianer nennen sie lie ber
„Pachamama“, die „Große Mutter“. Ob die beiden
Schwergewichte – massig, eckig, einschüchternd –
Götter, Herrscher oder Würdenträger darstellten, ist
unbekannt. Die tonnenschweren Blöcke stammen
aus einem 300 km entfernten Steinbruch.
Die gesamte erhöhte Zeremonialplattform misst
rund 130 m im Quadrat und ist von einer beeindru
ckenden Steinmauer umgeben, die in regelmäßigen
Abständen von 5 m hohen Monolithen akzentuiert
wird. Da müssen einmal mehr Giganten oder Außer
irdische am Werk gewesen sein. Ein grandioser Blick
ergibt sich, wenn man über den vertieften Hof hin
weg Richtung Kalasasaya schaut: Dann grüßt oder
droht Pachamama durch das Eingangstor.
Den besten Blick auf das riesige Geviert hat man
von der angrenzenden Tempelpyramide Akapana.
Vor einigen Jahren war sie noch das, was sie symbo
lisieren sollte – ein Berg, ein völlig konturloser, ero
dierter Sand und Lehmhaufen, in dem man nicht
einmal mit viel Fantasie irgendwelche menschlichen
Aktivitäten erkennen konnte. Jetzt macht die freige
legte dunkelbraune Flanke Steinstrukturen und Ter
rassen sichtbar und lässt allmählich ein Bauwerk mit
meterhohen und dicken Sandsteingrundmauern er
stehen. Man kann gespannt sein, was sich dort in den
kommenden Jahren herausschält. Ein Soldat wacht
auf der Kuppe des halb ausgegrabenen, immer noch
17 m hohen Pyramidenhügels darüber, dass der Be
sucher nicht vom Pfad der touristischen Tugend ab
weicht und wegen erhoffter besserer Einsicht an die
Kante tritt.
Von hier oben erfasst man auch die Gesamtanla
ge des Kultbereichs – die Terrassierung der Pyramide,
die große Ritualplattform mit ihrer gigantischen
Mauer und dem eingetieften viereckigen Platz davor.
Dessen Innenmauern sind mit Steinköpfen gespickt,
die zum Großteil bis zur Unkenntlichkeit verwittert
sind. Sie erinnern an Chavín de Huántar. Und so weit
das Laienauge blicken kann, erkennt man noch viel
fältige Strukturen in der Landschaft, die mehr sind als
formlose natürliche Hügel. In die ser schönen, aber
menschenunfreundlichen 4000mHoch ebene ist erst
ein einziffriger Bruchteil des an tiken Erbes ausgegra
ben. Tiwanaku soll für das bit ter arme Bolivien das
werden, was die Inka für Peru sind – Identifikations
punkt und Touristenmagnet. Die UNESCO hat den
Gesamtkomplex im Jahr 2000 zum Weltkulturerbe
geadelt.
Bis zu blauen Bergen weit im Hintergrund soll
sich die Siedlung erstreckt haben. An den Kultbezirk
schlossen sich weiträumig landwirtschaftliche Flä
chen an, aus denen die TiwanakuBauern den Über
schuss erwirtschafteten, ohne den eine komplexe
Gesellschaft mit Arbeitsteilung, Eliten und Expansi
onsgelüsten nicht entstehen kann. 500 000 Menschen
sollen sie ernährt haben können. Ein ausgeklügeltes
Bewässerungssystem war dazu unerlässlich. Dieses
Wassernetz hatte einen weiteren Zweck: Es spei
cher te die Sonnenwärme und gab sie nachts wieder
ab. Dadurch entstand ein Mikroklima über den
Feldern, das ein Erfrieren der Pflanzen in der ei sigen
Höhe verhinderte. Den anderen Teil des Wohlstands
lieferten die Händler, die mit riesigen LamaKarawa
nen das schon bestehende Fernhandelsnetz an die
Küste, ins östliche Tiefland Amazoniens, nach Cuzco
und Chile nutzten und ausbauten. Über Herrscher
und Volk, Kultur und Sozialgefüge aber weiß man
kaum etwas. Die Archäologen fanden bislang nur ein
unberaubtes Grab, in dem eine Edelfrau mit Kupfer
schmuck, einer TürkisLapislazuliHalskette, einer
| Herrscher, Priester,
Gott? – die heute
„Ponce-Monolith“ ge-
nannte Figur begrüßte
vor über 1000 Jahren
die Pilger am Eingang
des zentralen Heilig-
tums von Tiwanaku.
| „Der Mönch“, die
zweite Großskulptur
im Hauptheiligtum
von Tiwanaku, scheint
die jetzt angelaufene
Ausgrabung der Tem-
pelpyramide Akapana
hinter sich zu über-
wachen.
Goldmaske, einem Spiegel und einem Duftfläsch
chen aus Blei beigesetzt war.
Ein Zentrum wie Tiwanaku belegt ohne Zweifel
eine entwickelte Gesellschaft. Eine solche Gemein
schaft braucht eine Ideologie, eine allgemeinverbind
liche Religion, ein Selbstverständnis oder wie immer
man gemeinschaftsstärkende Aktivitäten bezeichnen
will – aber muss sich ein solches Reich quasi naturge
geben durch Expansionswut auszeichnen? Die ar
chäologischen Belege für eine kriegerische Ausbrei
tung Tiwanakus gibt es – zumindest bislang – nicht.
Und die anderen Indizien sind auch nicht gerade be
tonhart: Der Fernhandel war überaus erfolgreich – er
muss nicht zwingend militärisch abgestützt worden
sein. Der „Stabgott“ taucht plötzlich in weiten Berei
chen Perus auf – die Verbreitung einer einheitlichen
Religion muss aber ebenfalls nicht kriegerisch durch
setzt worden sein.
Huari – das Diktat des rechten Winkels
Forsche Formulierungen machen misstrauisch, wie
diese: „In etwa demselben Zeitraum, in dem das
TiwanakuReich die südlichen Anden dominierte,
setzte sich in der Bergregion Mittel und Südperus
ein rück sichtslos auf Expansion ausgerichteter Staat
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durch. […] Die Ausdehnung erfolgte mit Waffen
gewalt […]. Die drastische Entwicklung des Huari
Imperialismus war eng verbunden mit den neuen
wirtschaftlichen Bedingungen, die durch das sprung
hafte Wachstum der Hauptstadt zustande kamen.“
Das behauptet ohne näheren Beleg Claudio Cavat
runci in dem optisch prächtigen Band „Peru. Die Inka
und ihre Vorläufer“ (s. „Mehr zum Thema“). Anita
Cook von der Katholischen Universität in Lima arbei
tet archäologisch in Cerro Baúl, einer HuariEnklave
mitten im TiwanakuGebiet, und ist sich nicht so
sicher wie ihr italienischer Kollege: „Wir laufen wie
auf Eierschalen wegen der vielen neuen Fakten, die
so allmählich zutage treten.“
„Wir haben doch immer noch nicht die geringste
Idee über das Alltagsleben in der HuariZeit“, sekun
diert Donna Nash, Archäologin am Field Museum in
Chicago. Seit zwei Jahren sucht sie in Cerro Baúl da
nach und setzt der CavatrunciMeinung ein buntes
Puzzlesteinchen entgegen: Sie fand ausgeraubte Grä
ber und einen Palast, zwei ethnisch verschiedene
Gruppen von Bewohnern und eine riesige Bierbraue
rei, eine der ältesten der Andenregion – mitten in der
Fremde. Sie glaubt nicht an eine militärische Erobe
rung und Unterdrückung in den HuariKolonien. Die
Huari waren ihrer Meinung nach viel flexibler und
banden die örtlichen Notablen mit einem Gemisch
aus Einschüchterung, sanfter Nötigung und Charme
in ihr Herrschaftsgebiet ein. Zu den GoodwillGesten
gehörten Gelage mit Bier und Rauschmitteln. Ein
letztes derartiges Fest fand offenbar direkt im Sud
haus statt. Nachdem dort Unmengen Festbier produ
ziert worden waren, trafen sich mindestens zwei
Dutzend einheimische und HuariHerren. Jeder trank
aus einem eigenen kostbar bemalten Becher, mit der
letzten Neige wurden die Gefäße auf dem Boden
zerschmettert und die Brauerei angezündet. Kurz da
nach wurde die ganze Stadt verlassen. So lesen die
Archäologen aus den Ruinen.
Die angeblichen Imperialisten hatten ihre Wur
zeln im Ort Huari im Gebiet von Ayacucho. Die Stät
te ist zwar archäologisch dokumentiert, steht aber
selten auf einem Besuchsprogramm, da sie nicht
mehr sehr anschaulich ist. Die antike Stadt platzte,
das lässt sich archäologisch nachweisen, zu einem
bestimmten Zeitpunkt aus allen Nähten, das Bevöl
kerungswachstum erforderte neue Strategien für
Nahrungserwerb und Zusammenleben.
Im Handwerk laborierten die Huari erfolgreich
mit Innovationen in der Metallurgie, was sie zu den
besten Metallwerkern ihrer Zeit werden ließ. Sie pla
nierten Straßen und waren Meister in der Anlage von
Terrassen und Bewässerungssystemen. Die Religion
übernahmen die Huari mit lokalen Attributen von
den Tiwanaku, mit denen sie eine Koexistenz aufgrund
einer gleich berechtigten Machtposition pflegten.
An der Architektur sind sie eindeutig dingfest
zu machen: Sie bauten grundsätzlich und strikt im
rechten Winkel. Dieses Baudogma finden die Archäo
logen nun tatsächlich im 6./7. Jahrhundert n. Chr.
über all im mittleren und nördlichen Peru. Die Pyra
midenarchitektur der Moche hatte ausgedient. Pikil
lacta bei Cuzco, Viracochapampa in den Nordanden,
Chimú Capac im zentralandinen SupeTal und Cerro
Baúl im südlichen MoqueguaTal sind archäologisch
eindeutig HuariSiedlungen. Da wohnten, handelten,
verwalteten und herrschten ganz ohne Zweifel Leu
te aus Huari, sie prägten die Landstriche mit ihrer
Wirtschaft, Administration, Religion und Lebensart.
Daraus ist aber nicht abzulesen, dass dafür Krieger
kolonnen unterwegs waren. Nur die Niederlassung
im SupeTal war befestigt.
Dies bleibt ein Mysterium der andinen Archäo
logie: Es gibt Unmengen blutrünstiger Darstellungen
auf Keramik, Plastik, Wandgemälden und reliefs von
Tod, Opfer und Gewalt, aber es gibt bislang keinen
einzigen archäologischen Fingerzeig auf eine tatsäch
liche kriegerische Konfrontation. Schlachtfelder sind
schwer zu finden. Richtig – aber Brandschichten in
Siedlungen wären klar nachzuweisen. Jeweils gegen
Ende einer Epoche wurden im Andengebiet wehr
hafte Siedlungen gebaut. Richtig – aber eine Festung,
wie etwa Chanquillo (s. S.143), auf einer Anhöhe,
ohne Hinterland und Wasserversorgung war eher ein
virtuelles denn ein wirkliches Wehrwerk und hatte
vielleicht doch eine andere Funktion?
Bei den Tiwanaku und Huari sind noch zu viele
Fragen offen, um zu einer einigermaßen einver
nehmlichen Darstellung ihres Lebens und Wirkens
zu kommen. Und wie rasant sich in der Archäologie
Kenntnisstand und damit Interpretationsmöglichkei
ten ändern, lässt sich sehr schön am Beispiel Huari
ablesen: Die Spanier notierten zwar Tiwanaku, weil
die Inka ihnen von dem Ort im Altiplano als ihrem
mythischen Ursprungsplatz erzählt hatten. Huari
aber kam bei den Inka nicht vor, also auch nicht bei
den Spaniern. Bis in die vierziger Jahre des letzten
Jahrhunderts gab es Huari in der wissenschaftlichen
Diskussion nicht, das Phänomen lief unter dem Be
griff „KüstenTiwanaku“ mit.
| Wo Technik nicht
viel gegen Natur aus-
richten kann, um die
Lebensbedingungen
zu verbessern, sind
Traditionen besonders
langlebig.
| Blick über den vertieften Hof von Tiwanaku mit seinen Stelen und Kopfplastiken
in der Wand hinauf auf den Eingang des Zentralheiligtums Kalasasaya mit dem
„Ponce-Monolithen“. Auch vor über 1000 Jahren wurde auf Wirkung hin gebaut.
1 1 8 W e G b e r e i t e r D e r i n K a 1 1 9s i c á n u n D c H i m ú – e i n e G l a n Z V o l l e r e n a i s s a n c e
|sicán und chimú –
eine glanzvolle renaissance
Der Niedergang der Tiwanaku und Huari als Hege
monialmächte brachte – ähnlich wie beim Zerfall der
ChavínKultur – eine regionale Aufsplit terung, ein
hergehend mit einer wirtschaftlichen und kulturellen
Stagnation vor allem im Süden und im Hochland, die
Urbanität ging verloren. Im Norden kam es mit der
SicánLambayequeKultur zu einer kurzen, heftig
auflodernden Renaissance glanzvol ler Zeiten. Die
neue Idee von einem völkerübergrei fenden Imperi
um, regiert von einer Zentrale, wurde zwar zunächst
verdrängt und verdeckt, aber sie war geboren und
nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Das bleibt das
Verdienst der Leute von Tiwanaku und Huari.
Einige Elemente der Huari übernahmen die
Kunst handwerker von Sicán; gepaart mit Motiven
der untergangenen MocheKultur schufen sie mit lo
kalen Ideen und eigenem Stilempfinden eine unver
wechselbare Ausdrucksform. Vor allem in der Metall
verarbeitung erreichten sie einsame Meisterschaft.
Fast alles, was bei uns unter „InkaGold“ firmiert,
stammt von den SicánKunsthandwerkern. Das wird
erst mit den fortschreiten den archäologischen Aus
grabungen deutlich, die die Kostbarkeiten in und mit
ihrem Umfeld aufdecken. Die bisher bekannten Stü
cke in Museen und aus dem Kunsthandel stammten
alle aus kontextlosen Raubgrabungen und wurden
mangels besseren Wissens den Inka zugeschlagen.
Die SicánGoldschmiede beherrschten verschiedene
Legierungen aus Gold, Silber und Kupfer und konn
ten das Gold zu 0,07 mm dünnen Blechen hämmern,
die sie zu dreidimensional figural verzierten Masken
und Schmuckstücken verarbeiteten. Keramik war ih
nen dagegen nicht so wichtig.
Der Beginn der SicánKultur (nicht zu verwech
seln mit der weiter südlich ansässigen und älteren
SipánKultur!) wird um 750 n. Chr. angesetzt, ihm
folgt ab 900 n. Chr. die mittlere Periode, die Klassik.
Obwohl sich die SicánKultur hauptsächlich im La
LecheTal manifestiert, wird sie – nach dem benach
barten Flusstal – auch LambayequeKultur genannt.
Im heutigen „Archäologischen und Ökologischen
Reservat von Poma“ in der Region Batán Grande
klotzten die SicánLeute weit über 30 Plattformpyra
miden ins Tal. Von Erosion und 50 Jahren Raubgräbe
rei mit Bulldozern verunstaltet, bieten die künstli
chen Berge heute einen traurigen Anblick, wenn sie
denn überhaupt noch als Bauwerke zu erkennen
sind. Die archäologische Stätte Sicán selbst zählt ein
Dutzend Pyramiden und war das Kultzentrum der
Region.
An der einst 40 m hohen Pyramide Huaca Loro
im SicánKomplex grub sich der japanische Archäo
loge Izumi Shimada von der Southern Illinois Uni
versity jahrelang durch Lehm und Sand; 20 „normale“
Gräber hatte er bis 1991 schon freigelegt. Auf der
Suche nach einer unberaubten Elitebestattung stu
dierte er die Löcher der Grabräuber genau, redete mit
vielen der weiterhin tätigen „Huaqueros“ und kreiste
einen strategischen Punkt neben einem alten Raub
schacht für seinen Versuch ein. Das sensationelle Er
gebnis beschreibt er lapidar im Ausstellungskatalog
„Sicán – Ein Fürstengrab in AltPeru“ (s. „Mehr zum
Thema“): „Das Grab entging den huaqueros lediglich
um einen knappen Meter. […] Als Hauptbestattung
fand sich eine erwachsene männliche Person von ho
hem Rang, die fast zwölf Meter unter dem heutigen
Gehhorizont niedergelegt worden war. Der Körper
lag ungefähr in der Mitte des vertikalen Schachts […].
Das Skelett war von rund 1,2 Tonnen Grabbeigaben
[…] umgeben.“ Izumi Shimada hatte den „Lord von
Sicán“ gefunden. 1,2 Tonnen sind 1200 Kilogramm,
so viel wie ein großes Mittelklasseauto.
Der Mann war etwa 50 Jahre alt, wurde von
zwei Frauen und zwei Knaben in die andere Welt be
gleitet und lag in einer seltsamen Haltung in der Gru
be: mit angezogenen Beinen, dem Kopf nach unten,
aber einem um 180 Grad wieder nach oben gedreh
ten Gesicht mit Goldmaske. Auf den Mantel, in den
er eingehüllt wurde, waren 2000 kleine Goldplätt
chen aufgenäht – eine nervenaufreibende Fummelar
beit, die zu bergen. Die Aufzählung der Grabbei
gaben geht über mehrere Seiten, hier nur noch ein
Detail: Die Brust des Toten war bedeckt mit einer
10 cm dicken Schicht kleiner Perlen. Der daraus ab
zuleitende Brustschmuck bestand aus Türkis, So
dalit, Amethyst, Quarzkristall, rosafarbenem Kalzit,
weißem und blassgrünem Fluorit, rötlich braunem
Achat, Bernstein und Spondylusmuscheln – welch
ein Anblick bei Lebzeiten!
Seither hat der mit einer peruanischen Verdienst
medaille geehrte ArchäologieProfessor weitere Grä
ber, darunter auch weibliche Elitebestattungen, frei
gelegt und unter anderem erstmals mehrere mit der
SicánGottheit geschmückte Opfermesser (tumi) ans
Licht der Neuzeit gefördert. Vor allem aber glaubt er
mit seinen Funden an der Huaca Loro nachweisen
zu können, dass die Pyramide nachträglich über al
len Gräbern errichtet wurde. In Walter Alvas Huaca
Rajada in Sipán sind die verschiedenen Be stattungen
vermutlich nachträglich in die bestehende Lehmzie
gelplattform eingetieft worden. Hier, bei der Huaca
Loro, wurde die AdobePyramide wie ein riesiger
Grabstein über die Beerdigungsschächte gebaut – ein
Hinweis auf einen starken Ahnenkult, so Izumi
Shimada. Mindestens 20mal kamen Einwohner und
Pilger hierher, feierten mit ihren Ahnen und brachten
Opfergaben.
Irgendwann während oder nach einer 30jähri
gen Dürreperiode, die 1020 n. Chr. begann, wurden
die Tempel auf den Huacas in Sicán niedergebrannt.
Der „Lord von Sicán“ und seine Gefolgsleute hat
ten ihre Aufgabe, Übel abzuwehren, nicht erfüllt.
Die Wohnsiedlungen blieben bestehen. Abrupt ver
schwand auch die Darstellung des zentralen Sicán
Gottes. Mehrere verheerende El Niños besorgten
dann wohl den Rest. Um 1100 n. Chr. verlagerten
sich die Aktivitäten der SicánKultur ins 5 km west
lich gelegene Túcume. Dort sind insgesamt über zwei
Dutzend heilige Pyramiden angesiedelt, die größte
Dichte in der Region. Doch auch hier haben Wind,
Wetter und Schatzsucher gewütet. Die einst sicher
| Rückgriff auf glanzvolle Zeiten: Die Sicán-Künstler mischten wie bei dieser pracht-
vollen Maske mit aufwendigem Kopfputz Moche-Elemente mit eigenem Stilempfinden.
| Die Kunst der
Goldschmiede erreich-
te bei den Sicán und
Chimú einen ein-
samen Höhepunkt,
fast alles was unter
„Inka-Gold“ firmiert,
stammt von ihnen.
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imposanten Gebäude sind nur noch riesige, aber
klägliche Haufen.
Am Cerro La Raya, dem Hausberg von Túcume,
liegt die zerfließende Ruine Huaca Larga. Mit ihren
700 m × 280 m ist sie der größte Lehmziegelkomplex
Nordperus – doppelt so lang wie die Huaca del Sol
und auch noch um einiges breiter. Der Besucher kann
sie sich von ferne ansehen, näherer Zutritt ist verbo
ten. Auch Nachrichten über archäologische Arbeiten
dringen nicht an die Öffentlichkeit, offizielle Infor
mationen im Internet oder zum Mitnehmen in Form
von Broschüren oder Berichten gibt es ebenfalls nicht.
Seit 2004 soll es einen privaten Sponsor für die Stätte
geben, was in Peru immer ein Hoffnungsschimmer
dafür ist, dass sich tatsächlich etwas tut. Aber ein
Masterplan zur Rettung der Anlage ist bislang nicht
bekannt geworden. Es ist für den neugierigen Besu
cher überaus frustrierend zu sehen, wie hier ein gro
ßes Erbe schmählich vertan wird. Man möchte doch
wissen, was es mit diesem nun wirklich gigantischen
„Gebäude“ auf sich hat, welchen Zweck erfüllte es,
was passierte dort? Und was soll mit dem antiken
Erbstück geschehen?
Nach den SicánLeuten nutzten die ChimúEr
oberer das TúcumeGelände und bauten es um. Auch
die Inka waren da. Und die Spanier sollen auf den
Plattformen riesige Feuer entfacht haben, um die
heidnischen Tempel zu zerstören und den Anwoh
nern klarzumachen, dass sich hier tatsächlich der
Eingang zum Fegefeuer befand, wie der indigene Na
me „Purgutario“ nahelegte.
Die aktuellen archäologischen Nachrichten kom
men aus dem Nachbartal Lambayeque. Dafür sprin
gen wir auch noch einmal rund 300 Jahre, zum Be
ginn der SicánKultur, zurück. Denn im Kultkomplex
Huaca Chotuna, dem ältesten im SicánHerzland,
so meldet Carlos Wester, gibt es nicht nur farbige
Wandgemälde von Opferungen und neuerdings eine
reale Opferstätte von 33 Frauen, sondern auch den
heiligen Tempel des Naymlab. Der peruanische Ar
chäologe und Direktor des BrüningMuseums in
Lam beyeque: „Rund 100 Jahre hatten Archäologen
das Ziel, die mögliche Verbindung zwischen Legende
und archäologischem Befund zu finden.“ Er ist über
zeugt, mit seiner Ausgrabung diesen direkten Bezug
zur mythischen Gründerfigur der SicánKultur her
gestellt zu haben. Nach dem Mythos kam am Ende
der MochePeriode ein überaus prächtig gekleideter
Fremder auf einem Floß, mit viel Gefolge übers Meer
an die Gestade und errichtete das Reich von Sicán. Er
und seine Söhne bauten viele Pyramiden und mach
ten Landstrich und Leute reich und mächtig. Die Fi
gur auf dem tumi, dem Opfermesser aus den Sicán
Elitegräbern, soll nicht nur den obersten Gott Sicáns,
sondern auch den ersten König darstellen.
Die schon in den achtziger Jahren des letzten
Jahr hunderts teilweise freigelegten frappierenden
Fres ken in der Huaca Chotuna waren für Carlos Wes
ter und seine 50 Männer der Wegweiser, dem sie
während ihrer achtmonatigen Grabung folgten. Mit
nur kleinem Grabungsgerät schaufelten sie vorsich
tig den Dünensand fort und stießen schon bald auf
klare Mauerstrukturen und Holzbalken. „Einige Me
ter darunter“, berichtet Wester, „fanden wir einen
Thron in allerbestem Zustand, ganz dicht an der
Pyramide. Der wurde mit Sicherheit benutzt von je
mandem, der die politische, religiöse oder militäri
sche Macht seiner Zeit verkörperte.“ Bernd Schmelz,
Wissenschaftlicher Leiter im Museum für Völkerkun
de Hamburg, ist vor Jahren für das ZDF dem Mythos
nachgegangen (s. „Mehr zum Thema“) und bekräf
tigt auf Nachfrage: „Der Mythos hat sicher einen real
historischen Hintergrund. Und die archäologischen
Nachrichten dazu verdichten sich ja zusehends.“
Jetzt fehlt nur noch das Grab des Naymlab – und
Peru steht Kopf.
chimú – die letzten vor den inka
Einen mythischen Urkönig hatten auch die Chimú.
Der hieß Taycanamo, kam auf einem BalsaFloß
übers Meer und begründete in Chimor im MocheTal
eine stolze Dynastie. Das Grundmuster ist also das
gleiche: Edler Mann von außerhalb bringt Kultur in
unterentwickeltes Land. So schildern es auch die spa
nischen Quellen. Allerdings beruhen diese einige
Jahrhunderte später aufgezeichneten Beschreibungen
allein auf den Berichten der Inka, die sich ja ei
nen ähnlichen Kulturauftrag gezimmert hatten. Wie
weit hier dynastische Selbstüberhöhungspropaganda
das gewollte Bild prägt, kann nicht abschließend
| Ein typisches
Sicán-Ritualmesser
mit dem Abbild eines
Gottes oder des
Herrschers.
| Der Riesenkom-
plex von Túcume mit
zwei Dutzend Tempel-
pyramiden war das
Rückzugsgebiet der
Sicán-Kultur. Dem
Areal droht der aber-
malige Untergang
durch moderne Bebau-
ung und fehlende
Schutz maßnahmen.
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entschieden werden. Viele Wissenschaftler weisen
zum Beispiel auf die kulturelle Kontinuität im Mo
cheTal hin: In Keramik, Ikonographie und Architek
tur gibt es nach den archäologischen Funden so viele
Ähnlichkeiten, dass manche das „späte Moche“ als
„frühes Chimú“ bezeichnen. Die ChimúKultur wäre
demnach eine zeitverzögerte Anknüpfung an die
glanzvollen MocheZeiten. Ein möglicher, ebenfalls
diskutierter Einfluss der expansiven HuariKultur auf
die Chimú wird nach der momentanen Lesart als
eher marginal angesehen.
Wie dem auch sei: Um 1250 n. Chr. etablierte
sich an der Nordküste mit den Chimú – zunächst auf
den Raum Trujillo beschränkt – eine neue Macht.
Ihre beiden heute unübersehbaren Manifestationen
sind die Festung Paramonga und die Hauptstadt Chan
Chan. Beide gehören zum touristischen Muss und
lohnen durchaus einen Besuch. Paramonga markiert
den südlichsten Punkt des ChimúReiches, im Nor
den reichte das Einflussgebiet weit über Chan Chan
hinaus bis nach Ecuador.
Die etwas zu glatt restaurierte, hoch aufragende
Lehmziegelfestung Paramonga liegt 140 km nördlich
von Lima und besticht nicht nur durch die Wucht des
Baukörpers, sondern auch – wenn man denn hinauf
gestiegen ist – durch den Blick auf das nahe Meer,
beinahe scheint es den Fuß der Festung zu um
spülen.
Die wichtigere und größere Anlage ist das eben
falls am Meer gelegene Konglomerat Chan Chan im
Norden. Das ganze Ausmaß der Stadt erschließt sich
allein im Luftbild – 6 km2 lassen sich am Boden nicht
verifizieren, zumal bis zu 10 m hohe Mauern den
Blick einengen. Die Stadt besteht aus zehn ummau
erten und in sich abgeschlossenen Arealen. Diese
„Palast“ oder auch „Zitadelle“ genannten Komplexe
dehnen sich jeweils auf 300 bis 600 m Länge und 200
bis 500 m Breite. Sie haben einen großen repräsen
tativen Eingangshof, in dem man sich gut offizielle Empfänge und Zeremonien vorstellen kann. Ein Ge
wirr von Straßen führt labyrinthartig ins Palast innere
mit Brunnen, Höfen, Wasserreservoir, Küchenhöfen,
„Vorratskammern“, Audienzräumen und Bestat
tungsplattform. Verengte Gänge, schmal wie Ein
bahngassen, verbinden die einzelnen Teile. Sie sind
offensichtlich so angelegt, dass Unberufene in die Ir
re geführt werden, manche enden blind vor einer
Mauer.
Diese Anlage kann man sich fußermüdend und
staubig im für den Tourismus hergerichteten „Tschu
diPalast“ erlaufen; die flächigen Lehmreliefs und die
windfangenden Lochmauern lockern das gelbbraune
Einerlei der Mauern und Podeste auf. Die Lehm reliefs
in Chan Chan dienten hauptsächlich als Baudekora
tion und hatten nicht mehr die dämonischrituelle
Bedeutung wie in der MocheZeit. Ihre Motive sind
kühl und geometrisch oder entstammen dem mari
nen Umfeld – also Fische, Krebse, Spondylusmu
scheln und Vögel. Es macht Spaß, die kleinen Figuren
in den Winkeln des Mauerwerks aufzuspüren.
Ein Teil der Residenz ist inzwischen unter
Schutz dächern gesichert, die Lehmarchitektur aber
bleibt höchst anfällig. Vermutlich ist das 6 km2 um
fassende Chan Chan, seit 1986 Weltkulturerbe, auf
Dauer nicht zu retten, die Stätte steht auf der Roten
Liste des gefährdeten Welterbes. Der El Niño von
2009 hat wieder so viel zerstört, dass die Restaurie
rungstrupps trotz beträchtlicher finanzieller Mittel
nicht Schritt halten können. Dabei stellte ein zufälli
ger Fund – durch El Niño freigelegt – handfest unter
Beweis, dass Chan Chan noch lange nicht erforscht
ist: In einer Mauer kamen mehrere gut erhaltene
Holzfiguren zum Vorschein, die in ihrer Art einzig
artig sind. Sie sind knapp 1 m groß, mehrfarbig be
malt und hielten Spondylusmuscheln in den Händen.
Damit heben sie sich von den sonst üblichen, waf
fentragenden Wächterfiguren der Anlage ab. Ihre
Nasen und die Muscheln wurden bewusst zerschla
gen, sicherlich ein angeordneter Akt der Zerstörung
und Verdammnis.
Die Paläste wurden zeitlich nacheinander und
aneinander gebaut, was der Interpretation entspricht,
dass sie Residenz jeweils eines Königs gewesen sind.
Nach dem Tod des Herrschers ließ sich der Nachfol
ger sein eigenes Palastareal einrichten, die alte Resi
denz blieb als Gesamtkomplex und Wirtschaftsein
heit erhalten und wurde als gigantischer Ahnenschrein
gepflegt. Ähnliches finden wir später bei den Inka in
Cuzco wieder.
| Kurz vor den Toren Limas errichteten die Chimú ihre Festung Paramonga als
südlichsten Punkt ihrer Expansion; im Norden reichte ihr Reichsgebiet bis nach Süd-
ecuador. Die Inka griffen auf viele Errungenschaften der Chimú zurück, etwa auf
deren Straßennetz.
| Die ausgedehnte
Chimú-Hauptstadt
Chan Chan mit ihrer
Lehmziegelarchitektur
ist trotz neuer Schutz-
dächer kaum zu ret-
ten. Letztens hat El
Niño wieder schwere
Schäden angerichtet.
1 2 4 W e G b e r e i t e r D e r i n K a 1 2 5s i c á n u n D c H i m ú – e i n e G l a n Z V o l l e r e n a i s s a n c e
Generell wandelt sich die ChimúArchitektur
von der hoch aufstrebenden Bauweise der Moche
Kultur zu flächig ausgedehnten Anlagen. Die Moche
Pyramiden dienten dem Kult, die ChimúPaläste
offensichtlich administrativherrschaftlichen Zwe
cken. Die Umfassungsmauern in Chan Chan ver
sperrten den Blick auf wichtige Bauten und die Akti
vitäten, die dort zelebriert wurden: „Die da unten“
hatten keinen Einblick mehr in das, was „die da
oben“ ta ten – eine Absonderung, wie wir sie schon
beim Umbau in Sechín Bajo zweieinhalbtausend
Jahre zuvor kennengelernt haben.
Nach den SpanierInkaBerichten gab es bis zur
Eroberung durch die Inka elf ChimúKönige, danach
bis in die spanische Zeit noch einmal zehn. Die Wis
senschaft hat diese 21 Herrscher noch nicht eindeu
tig nachweisen können. Der Chronist Cieza de León
charakterisiert sie unvorteilhaft: „Die Herren waren
sehr lasterhaft und Freunde des Vergnügens; sie lie
ßen sich auf den Schultern ihrer Vasallen tragen. Sie
besaßen viele Frauen und waren reich an Gold, Sil
ber, Edelsteinen, Kleidung und Vieh. Sie umgaben
sich mit Pomp; ihnen gingen Gaukler und Spaßma
cher voran. Sie hatten viele Religionen.“ Den immen
sen Reichtum der ChanChanKönige illustriert der
Bericht des Spaniers GarciGutiérrez de Toledo, der
aus einer kleinen ChanChanPyramide immense
Schätze holte, allein das Gold brachte 500 Kilo
gramm auf die Waage. Die ChimúKönige wurden
innerhalb ihres Palastareals bestattet. Da die Gräber
allesamt ausgeraubt sind, kann über die Ausstattung
nichts mehr gesagt werden. Übrig ließen die Grab
räuber die Überreste der mitbestatteten jungen Frau
en, die dem Toten reichgeschmückt ins andere Leben
folgen mussten.
Im weiteren Umkreis der Palastanlagen lebte
und arbeitete das Volk in schlichten Behausungen,
die mühsam nachzuweisen sind. Durch den Anbau
von Mais, Kürbis, Erdnuss, Obst und Bohnen sorgte
es für die landwirtschaftlichen Grundlagen des Staa
tes. Die ausgedehnten Anbauflächen wurden durch
ein weitverzweigtes Bewässerungssystem fruchtbar
gehalten. Die Kanäle waren bis zu 4 m tief und 6 m
breit, Bodensenken wurden mit bis zu 18 m hohen
Aufschüttungen überbrückt. Ein Kanal leitete über
70 km Wasser aus dem Chicama ins MocheTal. In
der Metallurgie waren die ChimúHandwerker offen
bar so herausragend, dass zum Beispiel ihre Gold
schmiede um 1470 nach der Eroberung durch die
Inka nach Cuzco deportiert wurden. In den Zitadel
len legten nun Bauern ihre Gärten an, die pflege
in tensiven Bewässerungskanäle verfielen, Chan Chan
wurde kurz nach Ankunft der Spanier endgültig auf
gegeben, die Region versandete.
Rund 200 Jahre zuvor hatten die Chimú nach der
Stabilisierung ihrer Herrschaft in Chan Chan mit der
Eroberung der umliegenden Täler begonnen. Da es
aus dieser Zeit keine schriftlichen Nachrichten gibt,
rekonstruieren die Wissenschaftler die imperiale Aus
dehnung der Chimú aus einer Zusammenschau frü
her spanischer Aufzeichnungen und archäologischer
Befunde. Demnach gab es zwei Expansionswellen:
eine nach Norden bis an die ecuadorianische Gren
ze und eine nach Süden bis vor die Tore Limas. Die
erste Welle soll militärisch, die zweite eher mit
Droh gebärden erfolgt sein. Die Zentralgewalt lag in
Chan Chan. Mit einem Netz von Verwaltungszent
ren wurden die einverleibten Regionen kontrolliert.
Dort über nahmen Chimú„Beamte“ die Administra
tion oder lokale Fürsten als Vasallen Chan Chans.
Für die „diplomatische Eroberung“ zumindest des
Südens spricht, dass die dortigen Völker die Chimú
in ihrem späteren Kampf gegen die Inka unterstütz
ten. Für fast 200 Jahre war das ChimúImperium
das größte frühgeschichtliche Staatswesen Perus und
Chan Chan mit geschätzten 60 000 Einwohnern die
größte Stadt ihrer Zeit.
Über Gründe der ChimúExpansion wird an
haltend diskutiert, zwei Theorien stehen nebenein
an der: Zum einen sollen heftige El Niños die Land
wirt schaft und ihre (Bewässerungs)Installationen
mehrfach und so schwer geschädigt haben, dass eine
Reparatur nicht mehr möglich war. Dadurch seien
die Chimú gezwungen worden, neues Land, neue
Ressourcen und zusätzliche Arbeitskräfte zu gewin
nen – wie auch immer. Die andere Fraktion sieht
die Erbteilung als Ursache: Die Schätze des verstor
be nen Königs blieben weiterhin sein Eigentum und
wurden für Kult und Unterhalt in seinem Palast ver
wahrt. Deshalb musste sich der neue Herrscher durch
Kriegs züge seinen eigenen Reichtum schaffen – oh
ne den auch er keine Gefolgsleute um sich scharen
konnte. Eine erfolgreiche Expansionspolitik war da
für das einzige Mittel.
Auch bei den Chimú gilt wie bei den Huari und
TiwanakuLeuten: Es gibt keine eindeutigen archäo
logischen Belege für Kriege, auch wenn die meisten
Chronisten von grausamen Kämpfen berichten. Er
bittert waren die Kämpfe zwischen den Chimú und
den aufstrebenden Inka. Die Leute aus dem Hoch
land um Cuzco siegten, 1470 wurde der letzte Chi
múHerrscher nach Cuzco gebracht, wo er mit einer
Tochter des Inka verheiratet wurde. Die Inka plün
derten Stadt und Land und siedelten viele der Be
wohner in andere Regionen ihres Reiches um – der
Imperialismus war tatsächlich in den Anden ange
kommen. Das letzte Kapitel der vorspanischen Ge
schichte Perus begann.
| Chan Chan ist für Überraschungen gut: Kürzlich spülten
heftige Regenfälle bislang völlig unbekannte Holzfiguren in
Wandnischen frei.
| Gefällig rekonstruierte Torsituation in Chan Chan mit Wächterfiguren.
| Die Motive der
Wandreliefs und Bau-
dekorationen in Chan
Chan stammen aus
dem marinen Umfeld:
Vögel, Fische, Krebse,
Muscheln – es wird
fleißig restauriert.