Post on 14-Dec-2016
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Cellulosederivate, von denen viele großindustriell hergestellt werden. An einem Kettenende trägt jedes Cellulosemolekül eine in Form eines cyclischen Halbacetals maskierte Al-dehydgruppe – man spricht vom re-duzierenden Ende. Das andere Ket-tenende ist nicht reduzierend.
Bei der Isolierung und Verarbei-tung von Cellulose und ebenso bei der natürlichen Alterung cellulosi-scher Materialien werden Cellulose-ketten geschädigt. Dies geschieht entweder durch Hydrolyse der gly-kosidischen Bindung und damit Ket-tenspaltung oder durch den Einbau oxidierter Funktionalitäten wie Ke-to- und Carboxylgruppen. Im wei-teren können Kettenspaltung und damit Molmasseabbau folgen. Alle Schädigungsformen an Cellulosen lassen sich auf die beiden Vorgänge Oxidation und Hydrolyse zurück-führen.
Celluloseanalytik
� Chemisch ideale Cellulose lässt sich durch ihre Molmasseverteilung eindeutig beschreiben. Zur Ermitt-lung dieses Parameters dient stan-dardmäßig die Größenausschluss-chromatographie (auch Gel-Permea-tions-Chromatographie, GPC) in N,N-Dimethylacetamid/LiCl als Lö-sungsmittel.
In der Praxis vorkommende Cel-lulosen enthalten geringe Mengen an oxidierten Gruppen, die ihr che-misches Verhalten, ihre Verarbeit-barkeit und auch die Eigenschaften der cellulosischen Produkte wesent-
� Cellulose ist die häufigste natürli-che Verbindung und der wichtigste nachwachsende Rohstoff überhaupt. Sie ist vor allem in den Zellwänden höherer Pflanzen enthalten, basiert auf der Photosynthese und wird jährlich in Mengen von 26,5·1010 Tonnen neu gebildet. Forst-, Möbel- und Teile der Bauindustrie sind ab-hängig von Holz, einem naturopti-mierten Verbundwerkstoff, der Cel-lulose zusammen mit Lignin und Hemicellulosen enthält.
Aber auch in reiner Form, durch Holzaufschluss und Bleiche von den Nebenprodukten befreit, ist Cellulo-se fester Bestandteil des mensch-lichen Alltags. Der Großteil heutiger Celluloseprodukte sind Papier und textile Bekleidung.
Funktionelle Gruppen der Cellulose
� Auf den ersten Blick ist Cellulose verblüffend einfach gebaut: Sie ist ein Polysaccharid, ein Homo-polymer aus D-Glucopyranose-Ein-heiten (Anhydroglucose, AGU), die durch b-1,4-glykosidische Bindun-gen zu einem streng linearen Makro-molekül verknüpft sind.
Wie alle natürlichen Polysaccha-ride liegt auch Cellulose als ein Ge-misch unterschiedlich langer Ketten vor. Die Verteilung der Kettenlängen und damit der Molmasse hängt stark von der Herkunft der Cellulose und den bei der Gewinnung angewand-ten Verfahren ab. Jede AGU der Cel-lulose trägt drei Hydroxylgruppen an den Positionen 2, 3 und 6. Deren Reaktionen sind die Grundlage für
Cellulose wird als Hauptbestandteil von Papier und Textilien seit Jahrtausenden
verwendet. Restaurierung und Konservierung wertvoller historischer cellulosischer
Objekte gehen mit Neuerungen in der Cellulosechemie und -analytik Hand in Hand.
Warum Papier löchrig wird
�Chemie und Kultur�
lich beeinflussen. Neben der Mol-masseverteilung bestimmt primär der Gehalt an Carbonyl- und Car-boxylgruppen Weiße und Weißgrad-stabilität von Papier, chemische Sta-bilität in Derivatisierungsreaktionen und mechanische Festigkeit sowie weitere Qualitätsparameter von Cel-
Abb. 1. Ein selektiver Fluoreszenzmarker macht die räumliche
Verteilung des oxidativen Schadens an historischen
Dokumenten sichtbar.
Insert oben: Schädigung an der Oberfläche des Papiers.
Insert unten: Schädigung im Papierquerschnitt (Dünnschliff) .
� QU ERGELESEN
�� Schäden an Cellulose entstehen durch Oxidation
und/oder Hydrolyse.
�� Ein typischer Schaden ist der Tintenfraß, eine
Kombination aus einem durch Metallionen indu-
zierten, oxidativen und einem säurekatalysierten,
hydrolytischen Abbau.
�� Die Molmasseverteilung, ein aussagekräftiger Pa-
rameter in der Celluloseanalytik, lässt sich durch
Größenausschlusschromatographie bestimmen.
�� Neue Methoden zur Bestimmung des Carbonyl-
und Carboxylgehalts von Cellulosen helfen Kon-
servatoren bei der Schadensbeurteilung.
Nachrichten aus der Chemie | 56 | Juni 2008 | www.gdch.de/nachrichten
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lulosefasern – obwohl der Gehalt an Carbonyl- und Carboxylgruppen mit Konzentrationen von meist un-ter 30 µmol·g–1 sehr gering ist. Be-reits eine einzige Carbonylgruppe in der Mitte einer Cellulosekette reicht aus, um diese bei Alkalibehandlung in zwei gleichlange Bruchstücke zu spalten.
Carbonylgruppen – das natürli-cherweise enthaltene reduzierende Ende und auch oxidativ eingeführte Keto- und Aldehydfunktionen – werden oft als „Kupferzahl“ quanti-fiziert. Der Terminus beruht auf ei-ner nur ungenügend untersuchten Redoxreaktion mit einem CuII-Kom-plex, ähnlich der Fehling-Reaktion.
Abb. 2. Der Erhaltungszustand dieser beiden südamerikanischen Textilien der Inkakultur unterscheidet sich äußerlich kaum. Dennoch zeigt die CCOA-Analyse, dass
das Objekt on1/2 einem deutlichen stärkeren Abbau unterworfen war. (Foto: Lena Bjerregaard)
Für die Analytik dieser Spuren an oxidierten Gruppen standen bisher nur unzureichende Verfahren zur Verfügung. Sie lieferten nur Sum-menparameter, weil die der Detekti-on zugrunde liegende chemische Re-aktion sehr schlecht definiert war und die Reproduzierbarkeit zu wün-schen übrig ließ.
� CCOA- und FDAM-Methode
Diese Oxidationsstellen sind che-
mische Instabilitäten entlang der
Celluloseketten – hier kommt es
leicht und bevorzugt zum Ketten-
bruch.
Ein Kettenbruch kann auch durch
Hydrolyse, also nichtoxidativ, er-
folgen. Dabei entsteht zusätzlich
ein reduzierendes Ende.
Mehrere natürliche oder künst-
liche Prozesse (Herstellung, Blei-
che, hochenergetische Strahlung,
natürliche Alterung, Kontakt mit
atmosphärischen Verunreinigun-
gen und anderen Chemikalien)
oxidieren cellulosische Hydroxyl-
gruppen zu Carbonylen und Car-
boxylen.
Carbonyle werden durch Fluores-
zenzmarkierung mit einem Carb -
azol-carbonyl-oxyamin (CCOA-Me-
thode) quantifiziert,1,2) C6-Carbox-
yle durch Fluorenyl diazomethan
(FDAM-Methode).3) Beide reagieren
sowohl selektiv als auch quantita-
tiv und sind unter den Bedingun-
gen der weiteren Analyse stabil.
Für die Analytik wird eine Größen-
ausschlusschromatographie mit
multipler Detektion (Vielwinkel-
Lichtstreuer, molmasseproportio-
nal; Brechungsindex (RI), konzen-
trationsproportional; Fluoreszenz,
markerproportional) benötigt. Sie
liefert als Ergebnis die Molmasse-
verteilung der Cellulose und die
Profile der funktionellen Gruppen
(als Degree of Substitution oder
DS-Kurve). Differenzbildung zwi-
schen DS-Kurven zweier Cellulo-
sen, z. B. von einem Material vor
und nach einer chemischen Be-
handlung, ermöglicht die Aufnah-
me von DDS-Kurven, die den Effekt
chemischer Einflüsse direkt und in
Relation zur Molmasseverteilung –
also für jeden Molmasseabschnitt –
sichtbar machen. Fluoreszenzmarkierung oxidierter Einheiten der Cellulose.
CHN
N
OO
HOOH
OH
OO
OH
OHHO
OH
O
HOOH
OH
OO
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OH
OCell
O
HOOH
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OO
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OH
O OH
OH
OH
O
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N
HN
O OO
OO
NH2
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HOOH
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OO
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O
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O
O
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R
OH
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OH
OH
O
O
OHO
O
OOH
RR
O
R´
R`Cell
Oxidation
" CCOA " " FDAM "
Proben on1 und on2 Probe on63 4 5 6
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Mw on1: 80 kg/molMw on2: 75 kg/mol
Diff
log
Mw
log Mw
Mw on6: 170 kg/mol
Nachrichten aus der Chemie | 56 | Juni 2008 | www.gdch.de/nachrichten
�Magazin� Cellulosechemie und -analytik 636
restauriert oder dem internationalen Leihverkehr zwischen Museen und Ausstellungen zur Verfügung ge-stellt. Die CCOA- und FDAM-Me-thode zeichnet sich nun dadurch aus, dass sie den Schädigungsgrad der Cellulose objektiv beurteilt und quantifiziert (Abbildung 2).
Sehr unterschiedliche Schadens-bilder zeigen sich bei Kupfer- und Tintenfraß auf Papier (s. Kasten S. 638). Beide Korrosionsphänome-ne beruhen auf einer Kombination aus einem durch Metallionen indu-zierten, oxidativen und einem säure-katalysierten, hydrolytischen Abbau der Cellulose durch metallhaltige historische Schreib- und Malme-dien. Der schädigende Einfluss die-ser beiden Medien beschränkt sich nicht nur auf den Bereich, auf dem sie aufgetragen wurden. Diffusion von niedermolekularen Verbindun-gen in benachbarte Areale schädigen auch dort die Cellulose.
Am Beispiel der Chroniken der Joseon-Dynastie aus Südkorea, die vom 15. bis zum 19. Jahrhundert hergestellt wurden, lässt sich der Einfluss einer damals vermutlich zum Schutz durchgeführten Oberflä-chenbehandlung des Papiers mit Bienenwachs beobachten (Abbil-dung 3). Im Laufe der Zeit entstan-den unregelmäßige Verfärbungen auf dem Papier. Dagegen sind jene Ausgaben der Chronik, die nicht be-handelt wurden, in einem deutlich besseren Erhaltungszustand.
schiedenster Bedingungen und Be-handlungen auf die Celluloseintegri-tät und der Gehalt an oxidierten Funktionalitäten lässt sich genau festhalten. Die Methode detektiert noch kleinste Mengen an oxidierten Einheiten und hat mit 2 bis 3 mg ei-nen relativ geringen Bedarf an Pro-benmaterial.
Die geringe Probenmenge und die Aussage über den Zustand und Anteil oxidierender und hydrolyti-scher Vorgänge macht die Methode neben Anwendungen in der Cellulo-se-, Polysaccharid- und Papierche-mie besonders auch für ein exo-tisches Fachgebiet interessant: die Zustandserfassung, Restaurierung und Konservierung historischer und oft sehr wertvoller cellulosischer Objekte.
Mit unseren Analysemethoden lassen sich einige in der restauratori-schen und konservatorischen Praxis häufig gestellte Fragen, etwa nach dem Schädigungsgrad und dem Ef-fekt von Behandlungen, erstmals eindeutig beantworten.
Schadensbilder historischer Papiere
� Die Beurteilung des Zustandes ei-nes historischen Celluloseobjektes beruht in erster Linie auf der visuel-len Betrachtung durch die Restaura-toren und deren Erfahrung. Basie-rend auf dieser subjektiven Ein-schätzung werden die Kunstwerke
Abb. 3. Während der Auftrag einer Schutzschicht aus Bienenwachs zu einer starken Verfärbung (linkes Papier) des südkoreanischen Hanji-Papiers und einem
Molmasseabbau geführt hat (links), ist eine erhöhte Oxidation nicht erkennbar (rechts). Die Bienenwachsbehandlung verursacht also einen rein hydrolytischen
Schaden. (Foto: Myung-Joon Jeong)
Carboxylgruppen lassen sich durch titrimetrische Methoden wie die Methylenblau-Methode erfassen; die Ergebnisse können aber je nach Titrant und Methode extrem schwanken.
In den letzten Jahren ist es gelun-gen, sowohl für Carbonylgruppen, als auch für Carboxyle, verlässliche und validierte Analysenmethoden zu entwickeln. Sie basieren auf einer selektiven Reaktion mit einem Fluo-reszenzmarker, der bei einer GPC-Analyse der Cellulose auch die Posi-tion der Oxidationsstelle im Poly-mermolekül preisgibt. Man erhält somit keine Summenparameter wie bei den bisherigen Verfahren, son-dern Profile der funktionellen Grup-pen, d. h. ihren Gehalt relativ zur Molmasseverteilung. Umfangreiche Untersuchungen und Optimierung haben beide Methoden – die CCOA-Methode für Carbonyle und die FDAM-Methode für C6-Carboxyle – zu wertvollen Verfahren der Cellulo-seanalytik werden lassen (s. Kasten links).
Der zusätzliche Informations-gewinn durch die Carbonyl- und Carboxylprofile im Vergleich mit der Molmasseverteilung oder bloßen Summenparametern ist gewaltig: Verschiedene Cellulosen lassen sich genau unterscheiden, Cellulosever-arbeitungsschritte werden im Hin-blick auf die Auswirkungen auf ein-zelne Molmassebereiche detailliert analysierbar, und der Einfluss ver-
150
300
450
600
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Mw
in k
g/m
ol
mit Bienenwachsohne Bienenwachs
unterschiedliche Proben 0
2
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6
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ohne Bienenwachs
Ket
ogru
ppen
in m
mol
/kg
mit Bienenwachs
Nachrichten aus der Chemie | 56 | Juni 2008 | www.gdch.de/nachrichten
Cellulosechemie und -analytik �Magazin� 637
�
Beschleunigte Alterung
� Um über konservatorische Be-handlungen entscheiden zu kön-nen, muss die Wirksamkeit der ge-wählten Technik nachweisbar sein. Hier erlaubt die CCOA-Methode genaue Aussagen über Vor- und Nachteile verschiedener Behand-lungsoptionen.
Der Erfolg einer konservatori-schen Behandlung lässt sich mit der Methode der beschleunigten Alte-rung testen. Sie simuliert natürlich auftretende Abbauprozesse und wird meist bei Temperaturen zwi-schen 60 und 90 °C, bei schwanken-den Luftfeuchtigkeiten von 35 bis 80 % rF und bei unterschiedlichen Beleuchtungsverhältnissen (UV, si-
muliertes Sonnenlicht) über mehre-re Tage bis zu mehreren Monaten durchgeführt.
Wir zeigten, dass natürlich geal-terte Cellulosen eine charakteristi-sche Schulter im niedermolekularen Bereich der Molmasseverteilung mit sehr hohem Gehalt an oxidierten Gruppen besitzen. Alle Verfahren der beschleunigten Alterung, die dieses Molmassebild nicht repro-duzieren, sind somit unzureichend (Abbildung 4). Mit der CCOA/FDAM-Methode besteht nun erst-mals die Möglichkeit, diese Verfah-ren, die als Entscheidungsgrundlage für konservatorische Behandlungen herangezogen werden, zu bewerten und gegebenenfalls als ungenügend zu verwerfen.
Tintenfraß und Massenentsäuerung
� Der Schaden durch Tintenfraß ist eine besondere Herausforderung bei der Entwicklung einer konservatori-schen Behandlungsmethode. Mit der CCOA/FDAM-Methode konnten wir nachweisen, dass eine kombinierte Behandlung mit Calciumphytat und Calciumhydrogencarbonat4) sowohl die säurehydrolytischen Prozesse als auch den weiteren oxidativen Abbau nachhaltig unterbindet. Ersteres ist auf die Neutralisation saurer Kom-ponenten und das Einbringen der neutralisierenden Reserve, letzteres durch die sehr effektive Komplexie-rung von Eisen und Kupfer durch Phytat zurückzuführen.
� Tintenfraß
nungen verwendet wurden,
waren Pigmente auf der Basis von
Kupferverbindungen seit der
Antike bis in das 19. Jahrhundert
hinein die einzigen erhältlichen
grünen Malmittel. Dementspre-
chend sind zahlreiche Buchmale-
reien, Miniaturen aber auch
Tapeten mit diesen Pigmenten
bemalt und bedruckt.
Die Autographen von Johann
Sebastian Bach, Zeichnungen von
Rembrandt und Briefe von Galileo
Galilei haben eines gemeinsam:
Sie wurden mit Eisengallustinte
geschrieben. Sie war bis zur Mitte
des 20. Jahrhunderts Bestandteil
dokumentenechter Tinten – und
ist es zum Teil noch heute.
Während Eisengallustinten vor
allem für Dokumente und Zeich-
Für Eisengallustinten gibt es viele
historische Rezepte; im Mittelalter
mischte man Eisengallustinte aus
dem Gallotannin der Galläpfel, Ei-
sen(II)sulfat, Wasser und Gummi
Arabicum. Die Tinten besitzen be-
reits zum Zeitpunkt ihrer Herstel-
lung einen sauren pH. Ursache ist
die zur Ausbildung des farbgeben-
den Tintenkomplexes freigesetzte
Schwefelsäure und das für die Ex-
traktion der Galläpfel verwendete
saure Extraktionsmittel. Eisengal-
lustinten enthalten häufig einen
Überschuss an Eisenionen, die an
verschiedenen oxidativen Reaktio-
nen (Fenton-Reaktion, Autoxidati-
on) beteiligt sind. Das Zusammen-
spiel aus saurer Hydrolyse und be-
reits in katalytischen Mengen oxi-
dativ wirksamen Übergangsmetal-
lionen führt zu einer verstärkten
Schädigung des Trägermaterials,
also der im Papier hauptsächlich
enthaltenen Cellulose. Dieser Ab-
bauprozess äußert sich zunächst
in Verfärbungen des Papiers und
einem Durchschlagen der Tinte
auf die Blattrückseite, in einem
späteren Abbaustadium entste-
hen Risse im Papier, die letztend-
lich zum vollständigen Verlust des
Dokumentes führen.
3 4 5 6 7 8
0,0
0,2
0,4
0,6
0,8
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1,2
0,00
0,01
0,02
0,03
0,04
0,05
diff
log
Mw
log Mw
Rand nebenTinte Tinte
DSC=O
Tinte
neben Tinte
Rand
An einem historischen Brief mit einer Beschriftung aus Eisengallustinte konnte der Abbau-
prozess untersucht werden. Eine dreifache Probenentnahme (Tinte, direkt neben der Tinte
und Papier) zeigte, dass die Cellulose auch einige Millimeter neben dem Tintenauftrag
geschädigt ist.
�Magazin� Cellulosechemie und -analytik 638
Nachrichten aus der Chemie | 56 | Juni 2008 | www.gdch.de/nachrichten
Abb. 4. Molmasseverteilungen eines natürlich gealterten Papiers mit und ohne Eisengallustintenauftrag (links).
Dieser typische Verlauf ist mit der beschleunigten Alterung an künstlich erzeugtem Probenmaterial nicht immer zu
simulieren: Die charakteristische niedermolekulare Schulter ließ sich im modernen Probenmaterial nicht erzeugen.
3 4 5 6 7
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0,2
0,4
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1,2
1,4 historisches Original mit Eisengallustinte historisches Original
Diff
log
Mw
log Mw3 4 5 6 7
0,0
0,2
0,4
0,6
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1,0
1,2
1,4
1,6 Modellpapier mit EisengallustinteModellpapier
Diff
log
Mw
log Mw
Die kombinierte Behandlung ver-hindert erfolgreich sowohl die wei-tere Oxidation der Cellulose – im di-rekt beschriebenen und im nicht be-schriebenen Bereich – als auch den weiteren Molmasseabbau. Der ein-deutige Nachweis der Wirksamkeit rechtfertigt nun den restauratori-schen Einsatz dieser handwerklich nicht ganz trivialen Behandlung an wertvollen Originalen.5)
Seit mit der Industrialisierung auch die Papierherstellung revolutio-niert und vermehrt holzschliffhaltiges Papier hergestellt wurde, nahm die durchschnittliche Papierqualität stark ab. Dies ist auf stark saure Leimungs-mittel auf Alaunbasis zurückzufüh-ren. Dadurch sind ganze Archiv- und Bibliotheksbestände gefährdet. Zahl-reiche Untersuchungen belegen, dass Papiere des 19. und des 20. Jahrhun-derts verstärkt unter saurer Hydrolyse leiden und über eine geringere me-chanische Festigkeit verfügen.
Als Gegenmaßnahme hat sich die Neutralisierung des Buchbestandes, die als „Mengen-“ oder „Massenent-säuerung“ bezeichnet wird, etabliert. Die CCOA-Methode konnte hier nicht nur den positiven Effekt der Massenentsäuerung belegen, sie ist auch exemplarisch geeignet, das Wechselspiel von Kettenabbau, Oxi-dation, Hydrolyse und Alterung ge-nau wiederzugeben und verstehen zu helfen. Bei der Massenentsäuerung neutralisieren Konservatoren im Pa-pier vorhandene Säuren und bringen eine alkalische Reserve zur Verhin-
derung zukünftiger Säurebildung ein. Zu hohe Alkalinität bewirkt jedoch das Gegenteil, nämlich die basenindu-zierte Kettenspaltung ausgehend von oxidierten Gruppen (�-Alkoxyelimi-nierung) und damit Celluloseabbau.
Die Entwicklung eines für den Konservator einfach und schnell – am besten als vor Ort in Form eines Test-Kits – anwendbaren Instru-mentariums zur Einschätzung des Schädigungsgrades von Cellulose ist ein Ziel in der konservatorischen Forschung. Dazu kommen Pro-tokolle zur beschleunigten Alte-rung, die natürliche Schadensbilder genau simulieren, und die Generali-sierung von Phytatbehandlung und Massenentsäuerung von Biblio-theks- und Archivgut. Für alle diese Aufgaben ist die moderne Cellulo-seanalytik das zentrale Werkzeug der Schadensbewertung, Behand-lungsauswahl und Wirkungsüber-prüfung.
Antje Potthast, Ute Henniges
Universität für Bodenkultur Wien
antje.potthast@boku.ac.at
ute.henniges@boku.ac.at
Gerhard Banik
Staatliche Akademie
der Bildenden Künste, Stuttgart
gbanik@sabk.de
1) J. Röhrling, A. Potthast, T. Rosenau, T.
Lange, G. Ebner, H. Sixta, P. Kosma, Bio-
macromolecules 2002, 3, 959–968.
2) J. Röhrling, A. Potthast, T. Rosenau, T. Lan-
ge, A. Borgards, H. Sixta, P. Kosma, Bioma-
cromolecules 2002, 3, 969–975.
3) Potthast, J. Röhrling T. Rosenau, A. Bor-
gards, H. Sixta, P. Kosma, Biomacromole-
cules 2003, 4, 743–749.
4) J. Neevel, Restaurator 1995, 16, 143-160.
5) Restaurierung der durch Tintenfraß geschä-
digten Handschriften des Savigny-Nachlas-
ses. Anwendung der Calciumphytat-Calci-
umhydrogencarbonat-Behandlung und
der partiellen Stabilisierung in der Praxis.
DFG-Projekt, Universitätsbibliothek Mar-
burg. http://www.uni-marburg.de/bis/ue
ber_uns/projekte/dfgtinte/Bericht
Antje Potthast, Jahr-
gang 1970, studierte
von 1989 bis 1994
Chemie an der TU
Dresden und pro-
movierte von 1995
bis 1998 an der
NCSU Raleigh, USA, und der TU Dres-
den. Von 1998 bis 2001 war sie wissen-
schaftliche Mitarbeiterin am Christian-
Doppler-Labor „Zellstoffreaktivität“ an
der Universität für Bodenkultur Wien,
wo sie sich 2003 im Fach Holzchemie
habilitierte. Seit 2003 ist sie Ao. Univ.-
Prof. am Department für Chemie, Uni-
versität für Bodenkultur Wien.
Ute Henniges, Jahr-
gang 1976, studierte
von 1999 bis 2003 an
der Staatlichen Aka-
demie der Bildenden
Künste, Stuttgart.
Ab dem Jahr 2003 bis
2005 arbeitete die Dipl.-Restauratorin
bei der Preservation Academy Leipzig.
Von 2005 bis 2008 promovierte sie an
der Universität für Bodenkultur, Wien
bei Antje Potthast über das Thema „An-
wendung der Fluoreszenzmarkierung in
der Restaurierung“.
Gerhard Banik, Jahr-
gang 1948, studierte
von 1967 bis 1973
technische Chemie
an der TH Wien. Er
promovierte 1976 an
der TU Wien, wo er
sich auch 1982 im Fach organische Roh-
stoffkunde habilitierte. 1986 –1990 lei -
tete er das Institut für Restaurierung an
der Österreichischen Nationalbibliothek.
1990 wurde er an die Staatliche Aka-
demie der Bildenden Künste in Stuttgart
berufen und ist seitdem Lehrstuhlinhaber
für „Restaurierung und Konservierung
von Graphik, Archiv- und Bibliotheksgut“
und Prof. am Institut für Museumskunde
an der Staatlichen Akademie.
Cellulosechemie und -analytik �Magazin� 639
Nachrichten aus der Chemie | 56 | Juni 2008 | www.gdch.de/nachrichten