Post on 06-Apr-2016
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Mietrecht in EuropaEin Rechtsvergleich aus sozioökonomischer Perspektive
PD Dr. Christoph U. Schmid, Ph.D.
Vorbemerkungen
Hintergrund Ergebnisse des vergleichenden Mietrechtsprojekts des
Europäischen Privatrechtsforums am EHI Florenz (2002-2004)
methodischer Ansatz Ziel: nicht nur wertneutraler funktionaler Vergleich von
rechtlichen Instituten und Regelungen (klassischer Ansatz)
sondern: Prüfung der Geeignetheit der nationalen Regelungsmodelle zur Erfüllung der sozioökonomi-schen Grundfunktionen des Mietrechts
auf dieser Grundlage zu untersuchen, welche Rolle die EU im Mietrecht spielen könnte
Übersicht
I. Rekonstruktion des sozioökonomischen Kontexts des Mietrechts in der modernen Marktwirtschaft
II.Vergleich zentraler nationaler Regelungen im Hinblick auf ihre Geeignetheit zur Erfüllung der sozioökonomischen Funktionen des Mietrechts
Vertragsdauer und Beendigung Höhe und Erhöhung des Mietzinses
III. Folgerungen für die Rolle der EU
Sozialer und ökonomischer Kontext (1)
soziale Funktion: öffentliche Wohnungspolitik und privates Mietrecht müssen für ein ausreichendes Angebot an Wohnraum zu fairen Bedingungen sorgen
ökonomische Vorbedingungen: Anreize für Investoren und Vermieter zur Schaffung eines ausreichenden Angebots, insbesondere: Gewinnerzielung bei Bau und Vermietung von Wohnraum
möglich keine übermäßige Beschränkung der Dispositionsfreiheit des
Vermieters über Mietobjekt (v.a. bei Eigenbedarf und wirtschaftlicher Verwertung)
Fazit: privates Mietrecht muß „liberal-sozialen“ Ausgleich herbeiführen
Sozialer und ökonomischer Kontext (2)
Interdependenz von sozialen und liberalen Zielsetzungen: nicht nur: übermäßiger Sozialschutz schafft negative
Anreize für die Herstellung und Vermietung von Wohnraum
sondern auch: mangelnder Sozialschutz kann gesamtwirtschaftlich ineffizient sein(Beispiel: Monopolrente des Vermieters durch Kündigung)
Übersicht
I. Rekonstruktion des sozioökonomischen Kontexts des Mietrechts in der modernen Marktwirtschaft
II.Vergleich zentraler nationaler Regelungen im Hinblick auf ihre Geeignetheit zur Erfüllung der sozioökonomischen Funktionen des Mietrechts
Vertragsdauer und Beendigung durch Vermieter Höhe und Erhöhung des Mietzinses
III. Folgerungen für die Rolle der EU
Mietdauer und Beendigung (1): Gemeinsamkeiten
Vermieter kann aus wichtigem Grund (zB längerem Zahlungsverzug oder Störung des Hausfriedens) meist mit kurzer Frist kündigen
Ausschluß der Vermieterkündigung bei Veräußerung der Wohnung allgemein anerkannt
für sozial-liberalen Ausgleich aber Vertrags-beendigung durch Vermieter in häufigeren Normalfällen zentral, insbesondere:
Zulässigkeit von Eigenbedarfs- und Verwertungskündigung bei unbefristeten Verträgen
Zulässigkeit von Befristungen und Kettenverträgen garantierte Vertragszeiten, sofern existent
Mietdauer und Beendigung (2): Einteilung nach Grad des Sozialschutzes (I)
1. Gruppe: Kein besonderer Sozialschutz Wohnraummiete unterfällt allgemeinem
Mietrecht ohne sozial motivierte Besonderheiten:
Bulgarien Rumänien
sehr kurze Vertragszeiten: Irland (idR 1 Woche oder 1 Monat, bis 2003)
Mietdauer und Beendigung (3): Einteilung nach Grad des Sozialschutzes (II)
2. Gruppe: Niedrige Kündigungsvoraus-setzungen oder kurze Befristungen Schweiz Finnland England („assured shorthold tenancy“)
Mietdauer und Beendigung (4): Einteilung nach Grad des Sozialschutzes (III)
3. Gruppe: hoher Kündigungsschutz bei unbefristeten Verträgen, aber Umgehung durch befristete Verträge zulässig Polen Slowenien
Mietdauer und Beendigung (5): Einteilung nach Grad des Sozialschutzes (IV)
4. Gruppe: Qualifizierter Kündigungsschutz bei unbefristeten Verträgen, vergleichbare Vorgaben auch für befristete Verträge Deutschland Dänemark
Mietdauer und Beendigung (6): Einteilung nach Grad des Sozialschutzes (V)
5. Gruppe: Garantierte Mietzeiten (unbefristete Verträge unzulässig oder unüblich)
Italien und Irland (nach 2003): 4 J. Spanien und Portugal: 5 J. Belgien: 3x3 J. Österreich, Griechenland und Frankreich: 3 J.
kürzere Befristungen idR nur aus besonderem Grund zulässig
Mietdauer und Beendigung (7): Einteilung nach Grad des Sozialschutzes (VI)
6. Gruppe: Vertragsbeendigung durch Vermieter aus Sozialschutzgründen stark erschwert Niederlande Schweden
Mietdauer und Beendigung (8): Bewertung
nur qualifizierter Kündigungsschutz und garantierte Mietzeiten (4. und 5. Gruppe) zur Erfüllung der sozioökonomischen Funktion des Mietrechts geeignet
aber: längere garantierte Mietzeiten unflexibel und damit wohl schlechter als dänisch-deutsches Modell des qualifizierten Kündigungsschutzes
Höhe und Erhöhung des Mietzinses (1):Einteilung nach Grad des Sozialschutzes (I)
1. Gruppe: Beschränkungen nur nach allgemeinem Zivilrecht (Wucher, Sittenwidrig-keit, unconscionability, laesio enormis ua): Bulgarien Rumänien Slowenien einige Länder mit festen Mietzeiten außerhalb
dieser Zeiten (zB Italien)
Höhe und Erhöhung des Mietzinses (2):Einteilung nach Grad des Sozialschutzes (II)
2. Gruppe: Kontrolle durch Gerichte oder besondere mietrechtliche Schiedsstellen auf Angemessenheit und Marktüblichkeit mittels Generalklauseln und/oder „statistische Markterfassung“ Dänemark, Finnland, Frankreich, England,
Deutschland Spanien und Portugal: außerhalb fester Mietzeiten grundsätzlich nur Kontrolle von Erhöhungen
(nicht der anfänglichen Miete)
Höhe und Erhöhung des Mietzinses (3):Einteilung nach Grad des Sozialschutzes (III)
3. Gruppe: Miethöhe staatlich (durch Gesetz oder Verwaltungsentscheidung) festgelegt innerhalb garantierter Mietzeiten: Erhöhung jährlich um
indiziellen Anstieg der Lebenshaltungskosten (alle Staaten mit garantierten Mietzeiten)
Bestimmung der zulässigen Miete per Gesetz (nach Größe, Ausstattung, Lage, Anteil an Herstellungs- und laufenden Kosten ua):
Niederlande Österreich Schweden Italien (bis 1998)
Höhe und Erhöhung des Mietzinses (4):Auswertung
Residualkontrolle durch allg. Zivilrecht ebenso ungeeignet wie marktwidrige staatliche Festsetzungen
nur 2. Gruppe zur Erfüllung der sozioökonomischen Funktion des Mietrechts tauglich
dabei entscheidend: Rechtssicherheit und effektive gerichtliche Durchsetzung (dabei große Unterschiede)
Übersicht
I. Rekonstruktion des sozioökonomischen Kontexts des Mietrechts in der modernen Marktwirtschaft
II.Vergleich zentraler nationalen (materiellen) Regelungen im Hinblick auf ihre Geeignetheit zur Erfüllung der sozioökonomischen Funktionen des Mietrechts
Vertragsdauer und Beendigung Höhe und Erhöhung des Mietzinses
III. Folgerungen für die Rolle der EU
Folgerungen für die EU (1)
Rechtsvergleich zeigt bedeutendes Verbesserungspotenzial der nationalen Mietrechte
Harmonisierung des Mietrechts nicht effektiv und legitim wegen unterschiedlicher sozioökonomischer Rahmenbedingungen, insbesondere Wohnungspolitiken
aber: europäische Mindeststandards denkbar zB Verbot der retaliatory eviction
Folgerungen für die EU (2)
europäischer Oktroi im Mietrecht qua Vereinheitlichung des allgemeinen Vertragsrechts zu vermeiden
Beispiel Minderung des Mietzinses bei Mängeln der Wohnung:Art. 9:401 der Lando-Prinzipien harmoniert nicht mit allen nationalen Systemen