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UNTERSUCHUNG EINER GEEIGNETEN STADT-
ERNEUERUNGSKULISSE ZUM SCHUTZ DER MIETER VOR
VERDRÄNGUNG IM QUARTIERSMANAGEMENT-GEBIET
KOSMOSVIERTEL (ALTGLIENICKE)
Kurzgutachten Kosmosviertel | Endbericht | 25.09.2018 2
Auftraggeber
Bezirksamt Treptow-Köpenick Abteilung für Bauen, Stadtentwicklung und Umwelt Stadtentwicklungsamt Fachbereich Stadtplanung Durchführung der Planung und Stadterneuerung Alt-Köpenick 21 12555 Berlin
Auftragnehmer
LPG Landesweite Planungsgesellschaft mbH Geschäftsführer Roland Schröder Gaudystraße 12 10437 Berlin Tel.: 030 – 816 16 03 90 Fax: 030 – 816 16 03 91 www.LPGmbH.de
Bearbeitung: Dipl.-Ing. Sören Drescher Dipl.-Ing. Roland Schröder
Stand: 25.09.2018
Kurzgutachten Kosmosviertel | Endbericht | 25.09.2018 3
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung .................................................................................................................... 4
1.1 Anlass und Zielstellung des Kurzgutachtens........................................................................................... 4
1.2 Methodik ...................................................................................................................................................... 5
2. Ausgangssituation ...................................................................................................... 7
2.1 Übersicht über die öffentlichen und privaten Maßnahmen im Kosmosviertel ................................ 7
2.2 Ausgangssituation im Gebäudebestand der Schönefeld Wohnen ................................................... 9
3. Analyse der Instrumente des Besonderen Städtebaurechts ....................................... 11
3.1 Instrumente im Zuständigkeitsbereich der Senatsverwaltung .......................................................... 11
3.1.1 Städtebauliche Sanierungsmaßnahme (§ 136 BauGB) ........................................................... 11
3.1.2 Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme ..................................................................................... 13
3.1.3 Stadtumbaumaßnahme.................................................................................................................. 15
3.2 Instrumente im Zuständigkeitsbereich des Bezirks .............................................................................. 17
3.2.1 Städtebauliche Erhaltungsverordnung ........................................................................................ 18
3.2.2 Soziale Erhaltungsverordnung ...................................................................................................... 19
3.2.3 Umstrukturierungsverordnung ....................................................................................................... 21
3.3 Öffentlich-rechtliche Verträge über sozialverträgliche Durchführung von Sanierungen gemäß § 11 BauGB ......................................................................................................... 27
4. Zusammenfassung und Empfehlungen .................................................................... 28
5. Verzeichnisse ............................................................................................................ 30
5.1 Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................................. 30
5.2 Tabellenverzeichnis .................................................................................................................................. 30
6. Quellenverzeichnis .................................................................................................... 31
Kurzgutachten Kosmosviertel | Endbericht | 25.09.2018 4
1. Einleitung
1.1 Anlass und Zielstellung des Kurzgutachtens
Die in den Jahren 1987 bis 1991 entstandene Großwohnsiedlung Kosmosviertel im Ortsteil Altglienicke
in der rund 6.000 Menschen leben, ist durch drei- bis elfgeschossige Wohngebäude, die überwiegend
in Plattenbauweise errichtet wurden, gekennzeichnet. Der größte Teil der Wohneinheiten wird durch
das private Wohnungsunternehmen Schönefeld Wohnen bewirtschaftet. Auch die Wohnungsgenossen-
schaft Altglienicke und das kommunale Wohnungsunternehmen Stadt und Land sowie zukünftig das
kommunale Wohnungsunternehmen degewo stellen Mietwohnungen im Kosmosviertel bereit. Die Woh-
nungsgenossenschaft Altglienicke hat ihren Wohnungsbestand in den vergangen Jahren instandgesetzt
und modernisiert. Gegenwärtig wird der Gebäudebestand der Schönefeld Wohnen schrittweise mit
einer Fassadendämmung ausgestattet, was sich durch die Modernisierungsumlage stark auf die Mieter-
schaft auswirken kann. Notwendige Instandsetzungsmaßnahmen wurden jedoch nicht durchgeführt bzw.
sind auch nicht geplant. „Die Mieter*innen dieser Gebäude klagen über zum Teil erhebliche Mängel in
den Wohnungen und an den Balkonen (u.a. Schimmelbefall, nicht schließende Fenster, ständiger Ausfall
der Heizungsanlage, Rattenbefall).“1 Die Bevölkerung im Kosmosviertel ist durch einen im gesamtstädti-
schen Vergleich erhöhten Anteil an Personen in Arbeitslosigkeit und mit Transferleistungsbezug gekenn-
zeichnet. Die Kinderarmutsquote und der Anteil an Alleinerziehenden sind hoch. Es besteht ein hoher
Unterstützungsbedarf für Alleinerziehende und Familien.2 Soziale Problemlagen und eine erhöhte Fluk-
tuation konzentrieren sich insbesondere im privaten Wohnungsbestand, wohingegen sich mittlere Ein-
kommensgruppen mit einer höheren Wohndauer eher im genossenschaftlichen Wohnungsbestand befin-
den.3 Aufgrund bestehender Instandsetzungsrückstände und der Modernisierungstätigkeit der Schöne-
feld Wohnen hat sich der Mieterprotest Kosmosviertel im Jahr 2016 gegründet.
Ein zentraler Grünzug durchzieht das Gebiet von Nord nach Süd, an den sich Sport- und Spielflächen
anschließen. Der Grünzug weist erhebliche gestalterische Mängel, fehlende Aufenthaltsqualität und eine
Vielzahl an Barrieren sowie Pflege- und Instandsetzungsrückstände auf. Die Nahversorgung wird im
„Ortsteilzentrum Siriusstraße“ nur teilweise durch eine zentral gelegene Ladenzeile sichergestellt, die
jedoch gestalterische Mängel aufweist und nur ein eingeschränktes Angebot bereitstellt. Der ursprüng-
lich im Großsiedlungskonzept geplante „Dienstleistungswürfel“ wurde nicht realisiert4, daher klafft in
zentraler Lage eine städtebauliche Lücke. Dieser städtebauliche Missstand soll durch die Errichtung ei-
nes Einkaufszentrums mit Büros, Praxen, Kanzleien und eines Pkw-Parkplatzes im Jahr 2018 behoben
werden, wodurch auch die Versorgungsfunktion mit Einzelhandel und Dienstleistungen verbessert wird.
Aufgrund der sozialen Problemlagen im Quartier und der bestehenden Potenziale im Bereich der öf-
fentlichen Infrastruktur ist das Kosmosviertel seit dem Jahr 2016 eine Kulisse des Quartiersmanage-
mentverfahrens, in dessen Rahmen Städtebaufördermittel in die Weiterentwicklung des Quartiers inves-
tiert werden. Neben der Verbesserung der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum und des Wohnum-
feldes, werden Investitionen für die Stärkung nachbarschaftlicher Strukturen und Netzwerke und in den
Aufbau von bedarfsgerechten Infrastrukturen wie dem Bürgerhaus sowie in sozio-integrative Projekte
1 Quartiersmanagement Kosmosviertel, Integriertes Handlungs- und Entwicklungskonzept 2017-2019, S. 23. 2 Quartiersmanagement Kosmosviertel, Integriertes Handlungs- und Entwicklungskonzept 2017-2019, S. 5. 3 Quartiersmanagement Kosmosviertel, Integriertes Handlungs- und Entwicklungskonzept 2017-2019, S. 23 f. 4 Quartiersmanagement Kosmosviertel, Integriertes Handlungs- und Entwicklungskonzept 2017-2019, S. 4.
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gezielt getätigt. Damit ergänzen die geförderten Projekte und Maßnahmen die Regelangebote von
Kitas und Schulen und orientieren sich sehr stark an den Bedarfen und Problemlagen des Quartiers und
der Wohnbevölkerung.
Aufgrund der Vielzahl an geplanten und sich in der Umsetzung befindlichen öffentlichen und privaten
Maßnahmen im Kosmosviertel soll im Rahmen des Kurzgutachtens geprüft werden, mit welchen Instru-
menten des besonderen Städtebaurechts eine aufeinander abgestimmte, sozial- und gebietsverträgli-
che Koordination der Maßnahmen gewährleistet werden kann.
Ein wesentlicher Anlass für das vorliegende Kurzgutachten sind die geplanten und sich in Umsetzung
befindlichen öffentlichen und privaten Maßnahmen im Kosmosviertel. Die Wohnbevölkerung im
Kosmosviertel steht aufgrund der berlinweiten Mietentwicklung und insbesondere im Hinblick auf die
bereits durchgeführten und zu erwartenden baulichen Veränderungen am Wohnungsbestand unter ei-
nem konkreten Verdrängungsdruck. Eine Verdrängung der gebietsansässigen Wohnbevölkerung würde
die Arbeit und die Erfolge des Quartiersmanagementverfahrens konterkarieren. Auf diese Entwicklun-
gen wurde mit der Drucksache VIII/0362 „Umstrukturierungssatzung und Sozialplan für das
Kosmosviertel“ der BVV Treptow-Köpenick reagiert. Es soll geprüft werden, mit welchen städtebauli-
chen Instrumenten die Verdrängung der Mieterschaft aus dem Kosmosviertel verhindert bzw. vermindert
und eine sozialverträgliche und behutsame Modernisierung des Wohnbestandes gewährleistet werden
kann.
1.2 Methodik
Zentraler Baustein des Kurzgutachtens ist die Analyse der Instrumente des Besonderen Städtebaurechtes
auf ihre Anwendbarkeit im Kosmosviertel. Die Kernfragestellung ist dabei, ob und wie ein verbindliches
Sozialplanverfahren (analog) zu § 180 BauGB erreicht bzw. durchgesetzt werden kann. Folgende In-
strumente werden gemäß der Kriterien der Tabelle 1geprüft:
Städtebauliche Sanierungsmaßname (§ 136 BauGB)
Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (§ 165 BauGB)
Stadtumbaumaßnahmen (§ 171a BauGB)
Erhaltungssatzungen
o Städtebauliche Erhaltungssatzung (§ 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 BauGB)
o Soziale Erhaltungssatzung (§ 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 BauGB)
o Umstrukturierungssatzung (§ 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 BauGB)
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Tabelle 1: Analyseschema der Instrumente des Besonderen Städtebaurechts
Kriterien/Fragestellungen Anwendbarkeit im Kosmosviertel
Welche Anwendungsvoraussetzun-gen müssen erfüllt werden?
Sind die Anwendungsvoraussetzungen erfüllt?
Welche Ziele werden mit dem Instrument verfolgt?
Stimmen die Ziele des Instrumentes mit der Zielstellung im Kosmosviertel überein?
Wie wirkt das Instrument?
Welche Eingriffs- und Steuerungs-möglichkeiten entstehen?
Können die Ziele mit den Eingriffsmöglichkeiten erreicht werden?
Ist ein effektiver, zielgerichteter Einsatz des Instrumentes ge-währleistet?
Wie wird die Gebietskulisse defi-niert?
Wie ist eine Gebietskulisse festzulegen, die im Einklang mit der Zielerreichung und den vorhandenen Planung steht?
Ergeben sich dadurch gegenläufige oder einander ergänzende Rechtsbereiche?
Welche zusätzlichen Instrumente können angewendet werden?
Sozialplanverfahren, Vorkaufsrecht, Umwandlungsverordnung, weitere
Wie wird das Instrument formal eingesetzt?
Wie wird das Instrument eingesetzt? Aufstellung oder Festset-zung? Bedarf es weiterer, vorhergehender Untersuchungen?
Anwendung im Bezirksamt: Umset-zung, Personal
Wie wird das Instrument in der Praxis angewandt?
Wer übernimmt die Umsetzung?
Schlussprüfung und Empfehlung Ist das Instrument geeignet, die aufgestellten Ziele zu erreichen?
Welche Vor- und Nachteile ergeben sich durch die Anwendung?
Quelle: Eigene Darstellung LPG mbH
Im Rahmen der Untersuchung wurde eine Ortsbegehung unter Beteiligung des Bezirksamtes Treptow-
Köpenick, des QM Kosmosviertel und dem Bündnis Mieterprotest Kosmosviertel durchgeführt und es
fand ein Austausch mit der Wohnungsgenossenschaft Altglienicke statt.
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2. Ausgangssituation
2.1 Übersicht über die öffentlichen und privaten Maßnahmen im Kosmosviertel
Im Untersuchungsgebiet Kosmosviertel überlagern sich verschiedene öffentliche und private Maßnah-
men, die sowohl den Wohnungsbestand, als auch die soziale und grüne Infrastruktur sowie die Versor-
gungsfunktion des Quartiers betreffen. In der Abbildung 1 sind die Maßnahmen innerhalb des Quar-
tiers dargestellt und in der Tabelle 2 stichpunktartig aufgelistet.
Abbildung 1: Öffentliche und private Maßnahmen innerhalb des QM-Gebietes Kosmosviertel
Quelle: Eigene Darstellung LPG mbH, Kartengrundlage: Bezirksamt Treptow-Köpenick, Freiflächen
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Tabelle 2: Öffentliche und private Maßnahmen im Kosmosviertel und der Umgebung
Maßnahme Akteur Finanzierung Fertigstellung
Öffentliche Maßnahmen
Sanierung der Kindertagesstätten Kita Ortolfstraße und Kita An der Milchstraße
Bezirk/ JAO e. V./CJD
abgeschlossen
Umgestaltung eines Sportplatzes Schöne-felder Chaussee 189/Ecke Venusstraße
QM/Schönefeld Wohnen
Soziale Stadt: Projektfonds
2018
Ersatzneubau Hauptgebäude Abenteuer-spielplatz „Waslala“, Venustraße 88
Bezirk/FIPP e.V. Investitionspakt:
Soziale Integration im Quartier
2018
Aufwertung und Erweiterung Kinder- und Jugendzirkus Cabuwazi (1. BA)
Bezirk/ Grenzkultur e.V.
Investitionspakt: Soziale Integration
im Quartier 2019
Neugestaltung der Fußgängerzone zwi-schen neuem E-Center und der Schönefel-der Chaussee 233 – 239
QM/Land Berlin/Bezirk
Bezirk/ Zukunft Stadtgrün
(Noch in interner Klärung)
2019/20 (voraussichtlich,
vorbehaltlich inter-ner Abstimmung)
Sanierung und Qualifizierung der Grund-schule am Pegasuseck
QM Soziale Stadt: Pro-jekt- und Baufonds
2022
(voraussichtlich)
Neugestaltung des zentralen Grünzuges (30.000 qm)
QM Zukunft Stadtgrün
(angemeldet) 2023
(voraussichtlich)
Anlage eines zentralen Platzes als neuer Mittelpunkt im Quartier
QM/Land Berlin/Bezirk
Zukunft Stadtgrün (angemeldet)
2023 (voraussichtlich)
Private Maßnahmen
Ersatzneubau eines Wohngebäudes (Seni-orenwohnhaus und Wohngemeinschaften für betreutes Wohnen, 127 WE) am zent-ralen Grünzugs (Venusstraße 28)
degewo Land Berlin Baubeginn:
2019
Errichtung eines Einkaufszentrums mit Büros, Praxen, Kanzleien (Gesamtverkaufsfläche von bis zu 4.100 qm) und eines Parkplat-zes (189 Stellplätze), Kreuzungspunkt vom zentralen Grünzug und der Siriusstraße 1
EDEKA Privat 2018
Neubau eines Verwaltungsgebäudes WG Altglienicke Genossenschaft 2018
Fassadendämmung der Wohngebäude der Schönefeld Wohnen
Schönefeld Wohnen
Privat in schrittweiser
Umsetzung
In der Umgebung
Neubau Reihenhäuser (112 WE) Schöne-felder Chaussee/Wegedornstraße
Bonova Privat 2017/2018
Wohnungsbauvorhaben Schönefelder Chaussee/Brunolfweg (406 WE und 4 gewerbliche Einheiten (darunter eine Kin-dertagespflegestelle)
Stadt und Land Land Berlin 2019
Wohnungsbauvorhaben Schönefelder Chaussee/Wegedornstraße (163 WE, (inkl. WE für geflüchtete Menschen mit Bleiberecht) sowie eine KITA für 110 Kin-der und Gemeinschaftsräume
degewo Land Berlin 2020
Errichtung des Großflughafens (BER) in Schönefeld
Land Berlin/Land Brandenburg/ Bundesrepublik Deutschland
N.N.
in Realisierung
Quelle: Eigene Darstellung LPG mbH nach Informationen Bezirksamt Treptow-Köpenick und Quartiersmanage-
ment Kosmosviertel
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Abbildung 2: Grünzug mit Trampelpfaden Abbildung 3: Ladenzeile ohne Struktur
Quelle: Eigene Aufnahme der LPG mbH Quelle: Eigene Aufnahme der LPG mbH
Abbildung 4: Fassadendämmung Abbildung 5: Brunnen ohne Wasser
Quelle: Eigene Aufnahme der LPG mbH Quelle: Eigene Aufnahme der LPG mbH
Nicht absehbar oder quantifizierbar sind mögliche Ausstrahleffekte, die von der Fertigstellung des
Flughafens BER ausgehen – sowohl aus der Gemeinde Schönefeld, als auch in Bezug auf die Bereitstel-
lung von Wohnraum im Kosmosviertel für Angestellte des Flughafens bzw. die Bereitstellung von ge-
werblich vermieteten Wohnungen für mit dem Flughafen bzw. dort angebotenen Dienstleistungen ver-
bundenen Personen (z. B. Pilotenwohnungen). Es ist jedoch von erheblichen Auswirkungen auf das in
direkter Nachbarschaft gelegene Kosmosviertel auszugehen. Schließlich werden sich auch zahlreiche
Gewerbebetriebe im Umfeld des BER ansiedeln.
2.2 Ausgangssituation im Gebäudebestand der Schönefeld Wohnen
Rund 1.900 Wohneinheiten mit etwa 3.500 Mieterinnen und Mietern befinden sich im Eigentum des
privaten Wohnungsunternehmens Schönefeld Wohnen, das den größten Anteil der Wohnungen im
Kosmosviertel bewirtschaftet. Im Wohnungsbestand der Schönefeld Wohnen konzentrieren sich insbe-
sondere Haushalte mit geringen Einkommen und Transferleistungsbezug. Der Gebäudebestand der
Schönefeld Wohnen wird flächendeckend mit einer Fassadendämmung ausgestattet. Die energetische
Modernisierung konzentriert sich ausschließlich auf das Anbringen einer Wärmedämmung an die Fassa-
de. Die Dämmung der Fassaden unterliegt zwar einer Genehmigungspflicht, doch kann im normalen
bauordnungsrechtlichen Verfahren nicht auf die Sozialverträglichkeit einer Maßnahme eingewirkt wer-
den. Aufgrund der Modernisierungsumlage werden die entstehenden Kosten gemäß § 559 BauGB auf
die Miete umgelegt, so dass es zu erheblichen Mietsteigerungen im Wohnungsbestand kommt. Davon
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geht eine konkrete Verdrängungsgefahr für die Mieterschaft aus. Belegt wird die Verdrängungsgefahr
durch eine vom Mieterprotest Kosmosviertel durchgeführte Haustürbefragung im von der Fassaden-
dämmung betroffenen Wohnblock in der Ortolfstraße: Diese hat ergeben, dass von 112 angetroffenen
Mieterinnen und Mietern, 75 einen Antrag auf Härtefallprüfung entgegengenommen haben.5
Die Mieterinnen und Mieter der Schönefeld Wohnen beklagen neben der durch die Fassadendämmung
ansteigenden Mietkosten erhebliche Instandsetzungsrückstände in den Wohnungen und Gebäuden, die
u. a. Schimmelbefall, nicht schließende Fenster, Ausfall der Heizungsanlage, Rattenbefall, Wasserschä-
den, Schäden an Leitungen und Rohren und defekte Fahrstühle umfassen.6 Die Behebung der Instandset-
zungsrückstände ist nicht Bestandteil der baulichen Maßnahmen und ist gegenwärtig auch nicht vom
Eigentümer angekündigt. Hinzu kommen erhebliche Missstände im Wohnumfeld, die Instandsetzungs-
und Pflegerückstand der Grünflächen sowie die fehlende Barrierefreiheit auf den Wegen und der Ein-
gangsbereiche zu den Wohngebäuden umfassen (vgl. nachfolgende Abbildungen).
Abbildung 6: nicht barrierefreier Hauseingang Abbildung 7: Fassade und Außenanlage
Quelle: Eigene Aufnahme der LPG mbH Quelle: Eigene Aufnahme der LPG mbH
Abbildung 8: Missstände im Wohnumfeld Abbildung 9: Missstände im Wohnumfeld
Quelle: Eigene Aufnahme der LPG mbH Quelle: Eigene Aufnahme der LPG mbH
5 Mieterprotest Kosmosviertel, Ergebnisse der Haustürbefragung, 2018. 6 Quartiersmanagement Kosmosviertel, Integriertes Handlungs- und Entwicklungskonzept 2017-2019, S. 23 und Auskünfte
Mieterprotest Kosmosviertel.
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3. Analyse der Instrumente des Besonderen Städtebaurechts
3.1 Instrumente im Zuständigkeitsbereich der Senatsverwaltung
3.1.1 Städtebauliche Sanierungsmaßnahme (§ 136 BauGB)
Ziele
Maßnahmen, durch die ein Gebiet zur Behebung städtebaulicher Missstände wesentlich verbessert
oder umgestaltet wird. Es handelt sich um eine komplexe Gesamtmaßnahme, die die Koordination von
sehr unterschiedlichen Einzelmaßnahmen erfordert und dessen Sanierungsziel nicht durch Einzelmaßnah-
men erreichbar ist (vgl. BGH, DVBl 1981, 90.)
Anwendungsvoraussetzungen
Es müssen städtebauliche Missstände vorliegen und die zügige Behebung und Durchführung (in der Re-
gel innerhalb von 15 Jahren) im öffentlichen Interesse liegen. Dabei sind öffentliche und private Belan-
ge gerecht gegeneinander abzuwägen. Städtebauliche Missstände können sein:
Substanzschwäche: den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnis-
se oder an die Sicherheit der in ihm wohnenden oder arbeitenden Menschen auch unter Berück-
sichtigung der Belange des Klimaschutzes und der Klimaanpassung werden nicht entsprochen
Funktionsschwäche: das Gebiet kann die aufgrund seiner Lage und Funktion zugeordneten
Aufgaben (fließender/ruhender Verkehr, Versorgungsfunktion, Ausstattung mit Grün-, Spiel-,
Sportflächen oder Gemeinbedarf) nicht erfüllen oder ist in der Erfüllung beeinträchtigt
Formale Anwendung des Instrumentes und Gebietskulisse
Das Sanierungsgebiet wird förmlich durch den Erlass einer Rechtsverordnung durch die Senatsverwal-
tung festgesetzt. Das Sanierungsgebiet ist zweckmäßig zu begrenzen. Einzelne Grundstücke, die von
der Sanierung nicht betroffen sind, können ganz oder teilweise herausgenommen werden. Vor der Fest-
setzung sind vorbereitende Untersuchungen durchzuführen, um darauf aufbauend ein Sanierungskon-
zept und Sanierungsziele zu entwickeln. Die vorbereitenden Untersuchungen nehmen inklusive Ausschrei-
bung, Erstellung und Schlusspräsentation ca. ein Jahr in Anspruch. Mit der Bekanntgabe über den Be-
schluss zum Beginn von vorbereitenden Untersuchungen können Baugesuche gemäß § 15 BauGB für bis
zu zwölf Monate zurückgestellt werden, wenn zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung
durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Die Aufstellung eines
Sozialplans gemäß § 180 BauGB ist möglich. Die Durchführung des Sanierungsverfahrens obliegt dem
Bezirk bzw. einem eingesetzten Sanierungsträger.
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Wirkungsweise, Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten sowie zusätzliche Instrumente
Mit Festsetzung des Sanierungsgebietes wird eine Genehmigungspflicht von baulichen Vorhaben (Errich-
tung, Änderung, Nutzungsänderung; gemäß § 29 BauGB) eingeführt, die auch die Veräußerung von
Grundstücken sowie die Versagung erheblich wertsteigernde Veränderungen von baulichen Anlagen
umfasst. Bei der Festsetzung ist zu prüfen, ob das umfassende (Beschränkung auf sanierungsunabhängi-
gen Bodenwert, Abschöpfung von sanierungsbedingten Bodenwertsteigerungen) oder das vereinfachtes
Sanierungsverfahren angewendet werden soll. Die Durchführung erfolgt entsprechend der aufgestellten
Sanierungsziele. Ordnungsmaßnahmen durch die Gemeinde und Baumaßnahmen durch die Eigentümer
müssen diesen Zielen entsprechen bzw. sich daraus ableiten. Bei der Umsetzung können Städtebauför-
dermitteln eingesetzt werden.
Folgende zusätzlichen Instrumente können angewendet werden:
Verfügungs- und Veränderungssperre (§§ 14 ff. BauGB),
Zahlung von Ausgleichsbeträgen (§§ 152 ff. BauGB),
Sozialplanverfahren (§ 180 BauGB),
Ausübung Vorkaufsrecht (§ 24 BauGB) und Enteignungsrecht (§ 87 BauGB),
Einsatz von Städtebaufördermitteln (§ 164 BauGB),
Verkehrswertermittlung (§ 194 BauGB),
Kombination mit § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 BauGB möglich
Anwendbarkeit im Kosmosviertel
Die beschriebenen Ziele des Sanierungsverfahrens sind auch auf das Kosmosviertel übertragbar: bauli-
che Struktur den Anforderungen an den Klimaschutz und nach den sozialen, hygienischen, wirtschaftli-
chen und kulturellen Erfordernissen entwickeln, gesunde Lebens- und Arbeitsbedingungen, Gestaltung
Orts- und Landschaftsbild. Städtebauliche Missstände liegen teilweise vor:
Substanzschwäche: erhebliche Instandsetzungsruckstände im Bestand der Schönefeld Wohnen,
umfassendes energetisches Modernisierungspotenzial, fehlende Barrierefreiheit Hauseingänge
und im öffentlichen Raum
Funktionsschwäche: Wohnfunktion wird weiterhin erfüllt, Nahversorgung ist gewährleistet und
wird durch das Einkaufszentrum verbessert, aber das Wohnumfeld und der öffentliche Raum
(Grünzug) weisen hohe Defizite und große Umgestaltungspotenziale auf.
Die Zielerreichung kann durch die Formulierung der Sanierungsziele gewährleistet werden, z. B.
behutsame und sozialverträgliche Modernisierung und Instandsetzung von Gebäuden durch
Aufstellung eines Sozialplans möglich,
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Vermeidung von Bevölkerungsverdrängung,
Anpassung der Wohnungsausstattung an zeitgemäße Standards,
Umgestaltung der Frei- und Grünflächen, Neugestaltung der Wegebeziehungen und barrieref-
reie Umgestaltung (Zugänge, Wohnumfeld, Wege)
Der Einsatz der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme im Kosmosviertel ist nicht auszuschließen, da die
Zielsetzung mit den Bedarfen im Kosmosviertel vereinbar, die Zielerreichung über das Instrument mög-
lich ist und die Anwendungsvoraussetzungen teilweise vorliegen. Die Vielzahl an verschiedenen öffentli-
chen und privaten Maßnahmen im Gebiet erfordert den Einsatz einer aufeinander abgestimmten Koor-
dination der Einzelmaßnahmen. Aufgrund der Bevölkerungsstruktur ist die Aufstellung eines Sozialplans
für die Zielerreichung elementar, da durch die öffentlichen und insbesondere privaten Maßnahmen
erhebliche Auswirkungen auf die Mieterschaft zu befürchten sind. Diese Folgen können mit dem Sozial-
plan abgefedert werden.
Die Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten des Sanierungsverfahrens sind umfassend, jedoch benötigt
der Einsatz des Instrumentes Zeit, da zuerst eine Abstimmung mit der zuständigen Senatsverwaltung
erfolgen und eine vorbereitende Untersuchung durchgeführt werden muss.
3.1.2 Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme
Ziele
Entsprechend ihrer besonderen Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung sollen Ge-
biete erstmalig entwickelt oder im Rahmen einer städtebaulichen Neuordnung einer neuen Entwick-
lung zugeführt werden. Die Entwicklungsmaßnahme hat demnach etwas „qualitativ Neues zum Ziel.“7
Bei den so genannten Entwicklungsgebieten handelt es sich in der Regel um Konversionsflächen oder
Brachflächen wie die Wasserstadt Spandau, die ehemalige Industriebrache Rummelsburger Bucht, das
ehemalige Flugfeld und Grenzgebiet Johannisthal/Adlershof oder den ehemaligen Güterbahnhof Kö-
penick (gegenwärtig in Prüfung).
Anwendungsvoraussetzungen
Das Gebiet muss eine besondere Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde haben
und eine Entwicklung dem Wohl der Allgemeinheit dienen, also z. B. zur Deckung eines erhöhten Be-
darfs an Wohn- und Arbeitsstätten oder zur Wiedernutzung brachgefallener Flächen.8 Zentrale Vo-
raussetzungen zur Anwendung sind zum einen die erstmalige oder neue Entwicklung des Gebietes (z. B.
eine städtebauliche Neuordnung) und zum anderen, dass es sich um eine Gesamtmaßnahme handelt.
Die Zielerreichung ist ferner nicht mit anderen Instrumenten des Städtebaurechts zu erreichen. Eine zügi-
ge Durchführung und eine gesicherte Finanzierung sind zu gewährleisten.
7 Schmidt-Eichstaedt, Städtebaurecht, 4. Auflage, S. 460. 8 Schmidt-Eichstaedt, Städtebaurecht, 4. Auflage, S. 460.
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Formale Anwendung des Instrumentes und Gebietskulisse
Das städtebauliche Entwicklungsgebiet wird förmlich durch den Erlass einer Rechtsverordnung (Entwick-
lungsverordnung) durch die zuständige Senatsverwaltung festgesetzt. Das Entwicklungsgebiet ist
zweckmäßig zu begrenzen. Einzelne Grundstücke, die von der Maßnahme nicht betroffen sind, können
ganz oder teilweise herausgenommen werden. Der Charakter der Gesamtmaßnahme muss aber erhal-
ten bleiben. Die Entwicklungsmaßnahme darf sich auch auf ein baulich genutztes Gebiet erstrecken
(z. B. Wohngebäude), wenn dieses „neu“ entwickelt, umstrukturiert oder auch nur im größeren Zusam-
menhang saniert werden soll.9 Vor der Festsetzung sind vorbereitende Untersuchungen durchzuführen,
auf deren Grundlage Entwicklungsziele für das Gebiet erarbeitet werden. Die vorbereitenden Untersu-
chungen nehmen inklusive Ausschreibung, Erstellung und Schlusspräsentation ca. ein Jahr in Anspruch. Mit
der Bekanntgabe über den Beschluss zum Beginn von vorbereitenden Untersuchungen können Baugesu-
che gemäß § 15 BauGB für bis zu zwölf Monate zurückgestellt werden, wenn zu befürchten ist, dass die
Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden
würde. Die Aufstellung eines Sozialplans gemäß § 180 BauGB ist möglich. Die Durchführung des Sanie-
rungsverfahrens obliegt dem Bezirk bzw. einem eingesetzten Entwicklungsträger.
Wirkungsweise, Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten sowie zusätzliche Instrumente
Mit Festsetzung des Entwicklungsgebietes wird eine Genehmigungspflicht von baulichen Vorhaben (Er-
richtung, Änderung, Nutzungsänderung gemäß § 29) eingeführt. Grundsätzlich geht mit der Festsetzung
eines Entwicklungsbereiches der Erwerb aller Grundstücke durch die Gemeinde einher (außer die Eigen-
tümer verpflichten sich zur plangemäßen Nutzung des Grundstücks), um die Neuordnung bzw. Entwick-
lung des Gebietes zu ermöglichen. Es besteht die Möglichkeit der Enteignung ohne B-Plan und ohne
Prüfung der Gründe des Allgemeinwohls, somit ist die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme das
„schärfstes Schwert“ des Bodenrechts. Nach Abschluss der Entwicklungsmaßnahme werden die erworbe-
nen Grundstücke wieder veräußert und die Maßnahme refinanziert. Die Refinanzierung steht und fällt
mit Entwicklung der Bodenwerte.
Folgende zusätzlichen Instrumente können angewendet werden:
Ausübung Vorkaufsrecht (§ 24 BauGB) und Enteignungsrecht (§ 87 BauGB),
Zahlung von Ausgleichsbeträgen (§§ 152 ff. BauGB),
Einsatz von Städtebaufördermitteln (§ 164 BauGB),
Zurückstellungen von Baugesuchen (§ 15 BauGB),
Sozialplanverfahren (§ 180 BauGB)
9 Schmidt-Eichstaedt, Städtebaurecht, 4. Auflage, S. 462.
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Anwendbarkeit im Kosmosviertel
Die Anwendungsvoraussetzungen der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme werden im Kosmosviertel
nicht erfüllt, da das Quartier weder erstmalig entwickelt, noch einer neuen Nutzung zugeführt wird.
3.1.3 Stadtumbaumaßnahme
Ziele
Stadtumbaumaßnahmen sind Maßnahmen, durch die in von erheblichen städtebaulichen Funktionsver-
lusten betroffenen Gebieten Anpassungen zur Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen vor-
genommen werden. Die Stadtumbaustrategie Berlin konkretisiert die gesetzliche Regelung des Bauge-
setzbuches und listet u. a. folgende Ziele von Stadtumbaumaßnahmen auf:
nachhaltige Aufwertungsstrategie von Großwohnsiedlungen,
Verbesserung der sozialen Infrastruktureinrichtungen,
Aufwertung von öffentlichen Freiflächen, Plätzen und Wegen sowie
die Erhöhung der Wohnqualität.10
Anwendungsvoraussetzungen
Erhebliche städtebauliche Funktionsverluste liegen insbesondere dann vor, wenn ein dauerhaftes Über-
angebot an baulichen Anlagen für bestimmte Nutzungen – namentlich für Wohnzwecke – besteht oder
zu erwarten ist oder wenn die allgemeinen Anforderungen an den Klimaschutz und die Klimaan-
passung nicht erfüllt werden. Aus den oben benannten vielfältigen Zielstellungen ergibt sich für das
Stadtumbauquartier das Erfordernis einer städtebaulichen Gesamtmaßnahme, die aus verschiedenen
aufeinander abgestimmten Einzelmaßnahmen besteht. Im Kern geht es damit um eine gesteuerte städ-
tebauliche Neu- bzw. Umstrukturierung des Gebietes.
Formale Anwendung des Instrumentes und Gebietskulisse
Voraussetzung zur Festsetzung eines Stadtumbauquartiers durch die Senatsverwaltung ist die Erarbei-
tung eines informellen städtebaulichen Entwicklungskonzeptes unter Abwägung der öffentlichen und
privaten Belange. Die Erstellung eines Entwicklungskonzeptes nimmt inklusive Ausschreibung, Erstellung
und Schlusspräsentation ca. ein Jahr in Anspruch. Die Festsetzung des Stadtumbaugebietes kann durch
einfachen Beschluss oder durch Rechtsverordnung erfolgen. Die Festsetzung per Rechtsverordnung er-
möglicht es gemäß § 171d, die sozialverträgliche Durchführung sicherzustellen, indem das Sozialplan-
verfahren sowie die Veränderungssperre angewendet werden können. Das Gebiet ist so festzulegen,
dass die Maßnahmen zweckmäßig durchgeführt werden können. Die Durchführung des Stadtumbauver-
fahrens obliegt dem Bezirk bzw. einem eingesetzten Durchführungsträger.
10 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Stadtumbau Berlin Programmleitfaden, S. 9.
Kurzgutachten Kosmosviertel | Endbericht | 25.09.2018 16
Wirkungsweise, Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten sowie zusätzliche Instrumente
Wenn das Stadtumbaugebiet als Rechtsverordnung festgesetzt ist (= Durchführungssicherungsver-
ordnung), dann besteht eine Genehmigungspflicht bei baulichen Vorhaben (Errichtung, Änderung, Nut-
zungsänderung, § 29 BauGB), der Beseitigung baulicher Anlagen und es können erheblich wertstei-
gernde Veränderungen von baulichen Anlagen versagt werden, um die sozialverträgliche Durchführung
der Maßnahme sicherzustellen (unter Wahrung der Wirtschaftlichkeit). In der Regel werden Stadtum-
bauverträge mit den Eigentümern abgeschlossen, um die Durchführung der Maßnahmen entsprechend
der aufgestellten Entwicklungsziele sicherzustellen. Wird der den städtebaulichen und sozialen Belan-
gen Rechnung tragende Ablauf von Stadtumbaumaßnahmen nicht ermöglicht, besteht die Möglichkeit
der Enteignung (= Drohpotenzial).
Folgende zusätzlichen Instrumente können angewendet werden:
Verfügungs- und Veränderungssperre (§§ 14 ff. BauGB),
Sozialplanverfahren (§ 180 BauGB),
Einsatz von Städtebaufördermitteln (§ 164 BauGB),
Abschluss städtebaulicher Verträge (§ 11 BauGB),
Ausübung Vorkaufsrecht (§ 24 BauGB) und Enteignung zur Erhaltung oder zum Abriss im Stadt-
umbausicherungsgebiet (§ 85 BauGB);
Kombination mit Sanierungsgebiet, städtebaulichem Entwicklungsgebiet und Erhaltungsverord-
nung möglich
Anwendbarkeit im Kosmosviertel
Die Vielzahl an verschiedenen öffentlichen und privaten Maßnahmen im Kosmosviertel weisen eine hohe
Übereinstimmung mit den Zielen des Stadtumbauverfahrens auf: der Wohnungsbestand wird in Teilen
aufgewertet und aus Sicht eines Eigentümers den Anforderungen an den Klimaschutz angepasst, die
soziale Infrastruktur wird saniert, insbesondere die grüne Infrastruktur und das Wohnumfeld erfahren
eine tiefgreifende Umstrukturierung und Neuordnung, die gewerbliche Infrastruktur wird verbessert und
äußere Einflussfaktoren wirken auf das Gebiet ein (Wohnungsneubau, Flughafen BER). Die Wohnquali-
tät im Kosmosviertel wird erhöht. Das hohe Maßnahmevolumen erfordert eine aufeinander abgestimmte
Gesamtplanung. Von den Veränderungen im Kosmosviertel sind Auswirkungen auf die Wohnbevölke-
rung zu erwarten, so dass die Festsetzung eines Stadtumbauquartiers als Rechtsverordnung gerechtfer-
tigt und ein Sozialplanverfahren begründet werden kann. Damit kann die sozialverträgliche Durchfüh-
rung der Gesamtmaßnahme sichergestellt werden.
Bereits im Wettbewerbsverfahren zum Programm „Stadtumbau Ost Berlin“ im Jahr 2002 war das
Kosmosviertel eine mögliche Stadtumbaukulisse. Das Quartier wurde als „inaktive Stadtumbaukulisse
(Beobachtungsgebiet)“ eingestuft.
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Aufgrund der Handlungsbedarfe im Quartier, der damit verbundenen Zielstellung und der Möglichkeit
der Zielerreichung durch das Stadtumbauverfahren, bietet sich das Instrument für eine Anwendung im
Kosmosviertel an. Problematisch kann jedoch sein, dass insbesondere die öffentlichen Maßnahmen be-
reits überwiegend in anderen Programmen der Städtebauförderung angemeldet sind und deren Durch-
führung auch ohne eine Stadtumbaukulisse möglich ist. Die Koordinierung der Einzelmaßnahmen im
Kosmosviertel ist zwar wünschenswert, jedoch ist deren Durchführung nicht an ein mögliches Stadtum-
bauverfahren gebunden. Es müssten darüber hinausgehende Maßnahmen im Rahmen der Erarbeitung
eines informellen städtebaulichen Entwicklungskonzeptes entwickelt werden, die ein Stadtumbauverfah-
ren rechtfertigen.
3.2 Instrumente im Zuständigkeitsbereich des Bezirks
Im alleinigen Zuständigkeitsbereich des Bezirks befinden sich die Erhaltungsverordnungen. Die Systema-
tik der drei Erhaltungsverordnungen ist in der Tabelle 3 vereinfacht dargestellt.
Tabelle 3: Systematik der Erhaltungsverordnungen
Städtebauliches
Erhaltungsgebiet
Soziales
Erhaltungsgebiet
Umstrukturierungs-
gebiet
Schutzziel
Bestand und Struktur von Gebäuden
Bestand und Struktur der Bewohner und Nutzer be-stimmter Gebäude
– auf Dauer – – auf Dauer –* – auf Zeit –
Schutz-
argumente
Prägung des Ortsbildes, der Stadtgestalt, des Landschaftsbildes, sonsti-ge städtebauliche Bedeu-tung
Städtebauliche Gründe sprechen für die Erhal-tung der Zusammenset-zung der Wohnbevölke-rung
Sicherung des Ablaufs einer städtebaulichen Umstrukturierung nach Maßgabe eines Sozial-plans
Vorbereitung
Städtebauliche Untersu-chung des Stadt- und Ortsbildes
Vertiefende Untersuchung (Sozialstudie mit Haus-haltsbefragung)
Einfacher Aufstellungsbe-schluss ohne Voruntersu-chung
Gemeinsame
Methode
1. Schritt:
Gebietskennzeichnung durch Rechtsverordnung oder durch B-Plan
2. Schritt:
Prüfung aller Anträge auf Vereinbarkeit mit Erhaltungszielen bzw. Sozialplan: Abbruch,
bauliche Änderung, Errichtung baulicher Anlagen (nur Nummer 1), Nutzungsänderung,
Bildung von Wohnungseigentum (nur Nummer 2)
3. Schritt:
Versagung oder Erteilung der Genehmigung durch Bezirksamt
Quelle: Angepasste Darstellung nach Schmidt-Eichstaedt, Städtebaurecht, 4. Auflage, S. 485; *=in der Regel
fünf Jahre, dann erfolgt eine Überprüfung. Die Verordnung kann – sofern die Anwendungsvoraussetzun-
gen vorliegen – immer wieder verlängert werden.
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3.2.1 Städtebauliche Erhaltungsverordnung
Ziele
Mit einer städtebaulichen Erhaltungsverordnung soll die Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des
Gebiets aufgrund seiner städtebaulichen Gestalt, der Prägung des Ortsbildes, der Stadtgestalt, des
Landschaftsbildes oder seiner sonstigen städtebauliche Bedeutung gewährleistet werden. Das Schutzziel
ist ein auf Dauer angelegter Schutz der äußerlichen Struktur von Gebäuden.
Anwendungsvoraussetzungen
Das potenzielle städtebauliche Erhaltungsgebiet muss einen besonderen städtebaulichen Erhaltungswert
von Gebäuden, Gestaltungsmerkmalen und der Stadtgestalt aufweisen. Die städtebauliche Eigenart
muss noch vorhanden sein, d. h. die Gebäude und anderen baulichen Anlagen dürfen noch nicht soweit
verändert sein, dass das Gebietstypische verloren gegangen ist.
Formale Anwendung des Instrumentes und Gebietskulisse
Ein städtebauliches Erhaltungsgebiet wird förmlich vom Bezirk durch den Erlass einer Rechtsverordnung
festgesetzt. Wird ein Aufstellungsbeschluss gefasst, können Baugesuche gemäß § 15 BauGB für ein Jahr
zurückgestellt werden. Um die Anwendungsvoraussetzungen zu überprüfen und die Schutzwürdigkeit
des Gebiets zu begründen, ist die Erstellung eines städtebaulichen Gutachtens erforderlich. Darauf
aufbauend werden die Erhaltungsziele entwickelt. Die Erstellung des städtebaulichen Gutachtens nimmt
inklusive Ausschreibung, Erstellung und Schlusspräsentation ca. ein Jahr in Anspruch. Für die festzulegen-
de Gebietskulisse gilt, dass die aufgestellten Erhaltungsziele im Gebiet zu erreichen sein müssen, d. h.
nicht jedes schutzwürdige Gebäude muss Bestandteil bzw. nicht jedes Gebäude muss schutzwürdig sein.
Es geht um die räumliche Erfassung des Gebietscharakters. Die Grenzziehung ist praktikabel gestaltbar
und liegt im planerischen Ermessen.
Wirkungsweise, Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten sowie zusätzliche Instrumente
Die Wirkungsweise des Instruments ist zweistufig: Mit der Festsetzung eines städtebaulichen Erhaltungs-
gebietes wird ein Genehmigungsvorbehalt (1. Stufe) für den Abbruch, die Änderung, die Neuerrich-
tung und die Nutzungsänderung baulicher Anlagen eingeführt. Für diese Vorhaben ist eine erhaltungs-
rechtliche Genehmigung erforderlich. Die konkrete Abwägung erfolgt in der Antragsprüfung (2. Stufe)
mit Hilfe von Prüfkriterien. Es wird geprüft, ob der Antrag den aufgestellten Erhaltungszielen entspricht
und anschließend eine Genehmigung oder Versagung ausgesprochen. Dabei besteht ein gewisser Er-
messensspielraum des Bezirks. Die wirtschaftliche Zumutbarkeit muss ebenfalls in die Beurteilung einflie-
ßen.
Das Schutzziel der städtebaulichen Erhaltungsverordnung zielt allein auf die Erhaltung der äußerlich
erkennbaren Struktur von Wohngebäuden im Erhaltungsgebiet ab (z. B. Fenster, Türen, Fassade, Dach
im Hinblick auf Material, Form und Gestaltung). Bauliche Veränderungen innerhalb der Wohngebäude
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und oftmals auch im rückwärtigen Bereich entfallen nicht in den Regelungsbereich dieser Verordnung.
Die städtebauliche Erhaltungsverordnung entfaltet keinen Schutz für die Mieterinnen und Mieter.
Folgende zusätzlichen Instrumente können angewendet werden:
Zurückstellung von Baugesuchen (§ 15 BauGB),
Vorkaufsrecht (§ 24 BauGB),
Kombination § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und Nummer 2 BauGB möglich
Anwendbarkeit im Kosmosviertel
Die Anwendungsvoraussetzungen für den Erlass einer städtebaulichen Erhaltungsverordnung liegen im
Kosmosviertel nicht vor: Zum einen lässt sich der Begründungszusammenhang für den besonderen Erhal-
tungswert der Wohngebäude nicht herstellen und zum anderen trägt die Wirkungsweise des Instrumen-
tes nicht zur Zielerreichung – einen den sozialen Belangen Rechnung tragenden Ablauf von Modernisie-
rungen – bei.
3.2.2 Soziale Erhaltungsverordnung
Ziele
Mit einer sozialen Erhaltungsverordnung soll die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonde-
ren städtebaulichen Gründen erhalten werden. Es sollen negative Folgen für die Gemeinde abgewen-
det werden, z. B. der Verlust preiswerten Wohnraums, die Unter- oder Überauslastung von sozialen
Infrastrukturen wie Schulen und Kitas oder Folgeprobleme in anderen Stadtteilen, die durch eine Ver-
drängung bestimmter Bevölkerungsgruppen entstehen können. Das Schutzziel ist auf den Bestand und
die Struktur der Gebäude und Bewohner angelegt.
Anwendungsvoraussetzungen
Um ein soziales Erhaltungsgebiet festsetzen zu können, müssen ein bauliches Aufwertungspotenzial, ein
wohnungswirtschaftlicher Aufwertungsdruck und ein soziales Verdrängungspotenzial im Quartier nach-
gewiesen werden. Auf dieser Grundlage sind negative städtebauliche Folgen zu ermitteln, die sich aus
einer Veränderung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ergeben können.
Formale Anwendung des Instrumentes und Gebietskulisse
Ein soziales Erhaltungsgebiet wird förmlich vom Bezirk durch den Erlass einer Rechtsverordnung festge-
setzt. Wird ein Aufstellungsbeschluss gefasst, können Baugesuche gemäß § 15 BauGB für ein Jahr zu-
rückgestellt werden. Um die Anwendungsvoraussetzungen zu überprüfen und die Schutzwürdigkeit des
Gebiets zu begründen, ist eine vertiefende Untersuchung samt Haushaltsbefragung, Sekundärdatenana-
lyse und Ortsbildanalyse erforderlich. Darauf aufbauend werden die Erhaltungsziele definiert. Die
Erstellung der vertiefenden Untersuchung nimmt inklusive Ausschreibung, Erstellung und Schlusspräsenta-
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tion ca. neun Monate in Anspruch. Für die festzulegende Gebietskulisse gilt, dass die aufgestellten Er-
haltungsziele im Gebiet zu erreichen sein müssen, d. h. nicht jedes schutzwürdige Gebäude muss Be-
standteil bzw. nicht jedes Gebäude muss schutzwürdig sein. Es geht um die räumliche Erfassung des
Gebietscharakters. Die Grenzziehung ist praktikabel gestaltbar und liegt im planerischen Ermessen.
Wirkungsweise, Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten sowie zusätzliche Instrumente
Die Wirkungsweise des Instruments ist zweistufig: Mit der Festsetzung eines sozialen Erhaltungsgebietes
wird ein Genehmigungsvorbehalt (1. Stufe) für den Abbruch, die Änderung und die Nutzungsände-
rung baulicher Anlagen eingeführt. Für diese Vorhaben ist eine erhaltungsrechtliche Genehmigung er-
forderlich. Die konkrete Abwägung erfolgt in der Antragsprüfung (2. Stufe) mit Hilfe von Prüfkriterien.
Es wird geprüft, ob der Antrag den aufgestellten Erhaltungszielen entspricht und anschließend eine
Genehmigung oder Versagung ausgesprochen. Dabei besteht ein gewisser Ermessensspielraum des
Bezirks. Die wirtschaftliche Zumutbarkeit muss ebenfalls in die Beurteilung einfließen. Mit dem Instrument
können folgende Maßnahmen beeinflusst werden:
Abriss von Wohngebäuden
Zusammenlegung oder Teilung von Wohnungen
Anbau von Balkonen oder eines Aufzugs
Einbau eines zweiten Bades oder WCs
Hochwertige Wohnungsausstattung: Kamin, Fußbodenheizung, Videosprechanlage, etc.
energetische Maßnahmen, die die Mindestanforderungen der EnEV übersteigen
Nutzungsänderung von Wohnen in Gewerbe
Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen
Die Herstellung eines zeitgemäßen Ausstattungszustandes ist zu genehmigen. Die Miete kann nur indi-
rekt über die Versagung oder die Reduzierung des Umfangs von Maßnahmen beeinflusst werden. Das
Instrument begründet keinen individuellen Mieterschutz. Folgende zusätzlichen Instrumente können an-
gewendet werden:
Zurückstellung von Baugesuchen (§ 15 BauGB),
Vorkaufsrecht (§ 24 BauGB),
Umwandlungsverordnung (§ 172 Absatz 1 Satz 4 BauGB)
Kombination mit § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 BauGB und Sanierungsgebiet gemäß
§ 136 BauGB möglich
Einrichtung einer bezirklichen Mieterberatung
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Anwendbarkeit im Kosmosviertel
Die Anwendungsvoraussetzungen des sozialen Erhaltungsrechts können im Kosmosviertel grundsätzlich
vorliegen, da zum einen bauliche Aufwertungspotenziale im Hinblick auf Instandsetzung und energeti-
sche Modernisierung vorliegen, das Mietniveau im privaten Wohnungsbestand ansteigt und ein hohes
Verdrängungspotenzial aufgrund der Bevölkerungsstruktur (z. B. geringes Einkommen, hoher Arbeitslo-
sen- und Transferleistungsempfängeranteil) vorliegt. Für diese Bewohnerschaft steht im Gemeindegebiet
kein Ersatzwohnraum zur Verfügung und eine Verdrängung würde die Investitionen des QM konterka-
rieren, d. h. negative städtebauliche Folgen sind ebenfalls zu erwarten.
Die Anwendungsvoraussetzungen können demnach durchaus vorliegen, jedoch ist die Zielerreichung
– der individuelle Mieterschutz – mit diesem Instrument nicht zu erreichen. Der Wirkungsweise des In-
strumentes folgend, geht es nicht um die einzelnen Mieter, sondern um die Zusammensetzung im Gan-
zen. Zieht ein einkommensschwacher Haushalt aus dem Gebiet weg und wird durch einen einkommens-
schwachen Haushalt ersetzt, ist das Erhaltungsziel erreicht. Im Kosmosviertel erfordert die Bevölkerungs-
struktur aber einen individuellen Lösungsansatz. Die derzeitig einzige Steuerungsmöglichkeit mit dem
sozialen Erhaltungsrecht im Kosmosviertel bezieht sich auf die mögliche Begrenzung der Fassadendäm-
mung auf die Mindestanforderungen der EnEV, d. h. eine Versagung der Fassadendämmung ist vermut-
lich nicht möglich. Hierbei kommt es auf weitere Gutachten hinsichtlich der Energieeinsparung an. Das
eigentliche Schutzziel wird mit dem sozialen Erhaltungsrecht voraussichtlich jedoch verfehlt.
3.2.3 Umstrukturierungsverordnung
Ziele
Mit einer Umstrukturierungsverordnung soll ein den sozialen Belangen Rechnung tragender Ablauf einer
städtebaulichen Umstrukturierung auf der Grundlage eines Sozialplans gemäß § 180 BauGB sicherge-
stellt werden. Das Schutzziel ist auf den Bestand und die Struktur der Gebäude und Bewohner ange-
legt. Anders als bei der sozialen Erhaltungsverordnung geht es um die individuellen Mieterinnen und
Mieter, die von Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen sind.
Anwendungsvoraussetzungen
Um eine Umstrukturierungsverordnung festsetzen zu können, muss nachgewiesen werden, dass in dem
potenziellen Umstrukturierungsgebiet eine städtebauliche Umstrukturierung stattfindet. Der Begriff
„städtebauliche Umstrukturierung“ ist in der Rechtsprechung bzw. Kommentarliteratur jedoch nicht ein-
deutig definiert.11
Es muss geprüft werden, ob eine städtebauliche Erforderlichkeit der Maßnahme vorliegt. Die Gemein-
de muss sich selbst zu einer Veränderung im Gebiet verständigt haben oder diese befürworten und nun
gewährleisten, dass diese Umstrukturierung sozial gerecht abläuft. Entspricht die Maßnahme eines Pri-
vaten der planerischen Konzeption der Gemeinde, ist diese als „städtebaulich“ einzustufen und kann
11 Beckmann, Rechtliche Voraussetzungen für die Ausweisung eines Gebietes als städtebauliches Umstrukturierungsgebiet
gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB, 2017, S. 7.
Kurzgutachten Kosmosviertel | Endbericht | 25.09.2018 22
eine Umstrukturierung begründen.12 Die Initiative zur Veränderung muss demnach nicht nur allein von
der Gemeinde ausgehen bzw. die Veränderung muss nicht von der Gemeinde selbst ausgelöst worden
sein.
Der Begriff „Umstrukturierung“ ist ebenfalls nicht eindeutig geklärt. Gemäß Beckmann muss sich durch
eine Umstrukturierung „der Gebietscharakter“ verändern.13 Nach Lammek muss eine „Veränderung des
städtebaulichen Gefüges“ bevorstehen, die eine strukturelle Veränderung mit „einigem Gewicht“ nach
sich zieht.14 Ferner führt Lammek aus, dass „der Anwendungsbereich für die Festsetzung einer Umstruk-
turierungsverordnung auf die Sachverhalte eingeschränkt ist, in denen die Gemeinde nach Abwägung
durchaus divergierender städtebaulicher Belange zu der Erkenntnis gelangt, daß eine städtebaulich
relevante Neugestaltung notwendig und daher auch gewollt ist“.15
Formale Anwendung des Instrumentes und Gebietskulisse
Wie bei dem Erlass einer sozialen Erhaltungsverordnung kann die Umstrukturierungsverordnung in ei-
nem Bebauungsplan oder als „normale“ Rechtsverordnung festgesetzt werden. „Auch bezüglich des zu
veröffentlichenden Satzungstextes gelten für die Umstrukturierungsverordnung keine Besonderheiten. Es
muß lediglich kenntlich gemacht werden, auf welchen Erhaltungsgrund die Gemeinde die Verordnung
stützt und welches Gebiets betroffen ist.“16 Das Instrument kann ohne städtebauliches Gutachten oder
eine vertiefende Untersuchung eigenständig vom Bezirk angewendet werden. In der Praxis hat sich
folgendes Vorgehen bewährt:
1. Aufstellungsbeschluss für die Umstrukturierungsverordnung und die Aufstellung eines Gebietsso-
zialplans Möglichkeit der Zurückstellung von Baugesuchen gemäß § 15 BauGB.
2. Erstellung eines Gebietssozialplans durch eingesetzte Mieterberatung und ggf. Abschluss einer
Abwendungsvereinbarung mit dem/den betroffenen Eigentümer/n.
3. Umsetzung des Gebietssozialplans durch individuelle Modernisierungsvereinbarungen und Ge-
nehmigung der Maßnahmen ggf. mit einer Reduzierung des Maßnahmeumfangs.
Für die festzulegende Gebietskulisse gilt, dass die aufgestellten Erhaltungsziele im Gebiet erreichbar
sein müssen, d. h. nicht jedes schutzwürdige Gebäude muss Bestandteil bzw. nicht jedes Gebäude muss
schutzwürdig sein. Es geht um die räumliche Erfassung des Gebietscharakters. Die Grenzziehung ist
praktikabel gestaltbar und liegt im planerischen Ermessen.
12 Beckmann, Rechtliche Voraussetzungen für die Ausweisung eines Gebietes als städtebauliches Umstrukturierungsgebiet
gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB, 2017, S. 14 f.. 13 Beckmann, Rechtliche Voraussetzungen für die Ausweisung eines Gebietes als städtebauliches Umstrukturierungsgebiet
gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB, 2017, S. 16. 14 Lammek, Gutachten im Auftrag des Landes Berlin zur Anwendbarkeit von Umstrukturierungsverordnungen gemäß § 172
Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB in den Milieuschutzgebieten in Berlin-Pankow (Ortsteil Prenzlauer Berg), 2002, S. 4. 15 Lammek, Gutachten im Auftrag des Landes Berlin zur Anwendbarkeit von Umstrukturierungsverordnungen gemäß § 172
Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB in den Milieuschutzgebieten in Berlin-Pankow (Ortsteil Prenzlauer Berg), 2002, S. 5. 16 Lammek, Gutachten im Auftrag des Landes Berlin zur Anwendbarkeit von Umstrukturierungsverordnungen gemäß § 172
Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB in den Milieuschutzgebieten in Berlin-Pankow (Ortsteil Prenzlauer Berg), 2002, S. 3.
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Wirkungsweise, Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten sowie zusätzliche Instrumente
Die Wirkungsweise des Instruments ist zweistufig: Mit der Festsetzung eines Umstrukturierungsgebietes
wird ein Genehmigungsvorbehalt (1. Stufe) für den Abbruch, die Änderung und die Nutzungsände-
rung baulicher Anlagen eingeführt. Für diese Vorhaben ist eine erhaltungsrechtliche Genehmigung er-
forderlich. Die konkrete Abwägung erfolgt in der Antragsprüfung (2. Stufe). Es wird geprüft, ob der
Antrag dem aufgestellten Gebietssozialplan entspricht und anschließend eine Genehmigung oder Ver-
sagung ausgesprochen. Dabei besteht ein Ermessensspielraum des Bezirks. Die wirtschaftliche Zumut-
barkeit muss ebenfalls in die Beurteilung einfließen: „Danach muss eine beantragte Maßnahme geneh-
migt werden, wenn ihre Unterlassung dem Eigentümer unter Berücksichtigung des Allgemeinwohls wirt-
schaftlich nicht zumutbar ist. Umgekehrt heißt das: Was wirtschaftlich zumutbar ist, darf verlangt wer-
den.“17
Die Wirkung des Instrumentes geht vom parallel zum Aufstellungsbeschluss zu erarbeitenden Gebietsso-
zialplan aus und hat somit einen direkten Einfluss auf die einzelnen Mieter bzw. eine Gruppe betroffe-
ner Mieter. Der aufzustellende Gebietssozialplan sollte gemäß Schmidt-Eichstaedt/Weyrauch/Zemke
folgende Inhalte umfassen:
Beschreibung der voraussichtlichen nachteiligen Auswirkungen der Maßnahmen und/oder Pläne
auf die persönlichen Lebensumstände der Betroffenen,
Beschreibung des Prüfergebnisses zu möglichen Unterstützungsmaßnahmen zur Vermeidung oder
zum Mildern der Auswirkungen (z. B. Formen der Hilfe bei Wohnungs- oder Arbeitsplatzwech-
sel) und
Schlussfolgerungen im Ergebnis der geprüften grundsätzlichen Möglichkeiten: Darstellung der in
Betracht zu ziehenden gemeindlichen Maßnahmen und Erläuterungen der Realisierungschan-
cen.18
Enthält der aufgestellte Sozialplan Aussagen zu den genannten Aspekten, entspricht dieser den Anfor-
derungen des § 180 BauGB und ist als „Gebietssozialplan“ zu bezeichnen. Mit einem „Gebietssozial-
plan“ verfügt die Gemeinde über eine „schlussfolgernde Gesamtstrategie zum Einsatz der zur Verfü-
gung stehenden Mittel“19. Darin kann beschrieben werden, „welche Maßnahmen unter welchen bedin-
gungen als sozialverträglich zu betrachten sind. In die Beschreibung eines sozial verträglichen Sanie-
rungsablaufs können auch Vorstellungen darüber eingehen, welche Mietbelastungen und welche Miet-
erhöhungen in welchem Zeitablauf als zumutbar angesehen werden.“20 Folgende Ziele können bei-
spielsweise im Gebietssozialplan berücksichtigt werden21:
Die Mietspiegelwerte werden (ohne Berücksichtigung von Sondermerkmalen) nach Modernisie-
rung eingehalten.
17 Schmidt-Eichstaedt, Städtebaurecht, 2005 (4. Auflage), S. 491. 18 Schmidt-Eichstaedt, Weyrauch, Zemke, Städtebaurecht: Einführung und Handbuch, 2014 (5. Auflage), S. 503. 19 Schmidt-Eichstaedt, Weyrauch, Zemke, Städtebaurecht: Einführung und Handbuch, 2014 (5. Auflage), S. 503. 20 Schmidt-Eichstaedt, Städtebaurecht, 2005 (4. Auflage), S. 491. 21 Beckmann, Rechtliche Voraussetzungen für die Ausweisung eines Gebietes als städtebauliches Umstrukturierungsgebiet
gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB, 2017, S. 4.
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In Wohnungen von Empfängern nach SBG II und SGB XII dürfen die Mietkosten nach der Mo-
dernisierung die Werte der Wohnkostenrichtlinie der genannten Leistungsempfänger nicht über-
steigen.
Bei sonstigen finanziellen und sozialen Härtefällen werden die Mieterhöhungen gekappt, um
den Mietern den Verbleib in ihren Wohnungen zu ermöglichen. Von einer sozialen Härte ist
(auch) auszugehen, wenn die Brutto-Warm-Mietkosten ein Drittel des verfügbaren Haushaltsein-
kommens übersteigen. Andere Lösungen können durch eine zu beauftragende eigentümerunab-
hängige Mieterberatung erarbeitet werden.
Folgende zusätzlichen Instrumente können angewendet werden:
Zurückstellung von Baugesuchen (§ 15 BauGB),
Vorkaufsrecht (§ 24 BauGB),
Kombination § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 unter bestimmten Voraussetzungen möglich,
Wenn das Wohl der Allgemeinheit es erfordert, kann das Gebäude zur Verhinderung der be-
antragten Maßnahme enteignet werden (§ 85 Abs. 1 Nr. 6 BauGB).
Anwendbarkeit im Kosmosviertel
Wie in Kapitel 2.2 ausführlich dargestellt, wird der gesamte Gebäudebestand der Schönefeld Woh-
nen, der 1.900 Wohnungen und 3.500 Mieterinnen und Mieter umfasst, schrittweise mit einer Fassa-
dendämmung ausgestattet. Das Ausmaß der Maßnahme entspricht sowohl räumlich, als auch im Hinblick
auf die Vielzahl an betroffenen Mieterinnen und Mietern, einer flächenhaften, energetischen Moderni-
sierung des Gebäudebestandes und ist somit einer städtebaulichen Umstrukturierung gleichzusetzen.
Aufgrund der Modernisierungsumlage werden die entstehenden Kosten auf die Miete umgelegt, so dass
es zu erheblichen Mietsteigerungen im Wohnungsbestand kommt. Zur Sicherung eines den sozialen Be-
langen Rechnung tragenden Ablaufs dieser Maßnahmen ist die Aufstellung eines Gebietssozialplans als
Gesamtstrategie für das Quartier Kosmosviertel notwendig. Auf der Grundlage des Gebietssozialplans
kann die Zielerreichung – der individuelle Mieterschutz – gewährleistet werden.
Hinzu kommen eine Vielzahl an geplanten und sich in der Umsetzung befindlichen öffentlichen und pri-
vaten Maßnahmen, die eine „städtebauliche Kette“ begründen: Die Aufwertung des Wohnungsbestan-
des durch die energetische Modernisierung als Auslöser für strukturelle Veränderungen, die umfangrei-
che Um- und Neugestaltung des zentralen Grünzugs, der Neubau eines Einkaufszentrums und die Umge-
staltung der Ladenzeile sowie punktuelle Maßnahmen in der sozialen Infrastruktur und dem Wohnum-
feld führen zu einer Steigerung der Wohnqualität, einer Veränderung des Aussehens des
Kosmosviertels und somit zu einer Veränderung des Gebietscharakters. Der Tatbestand der Umstruktu-
rierung ist erfüllt, da gemäß Lammek, „eine gezielte Neugestaltung einer zur Zeit überkommenen Struk-
tur nach Abwägung der mit der Umstrukturierung verbundenen Vor- und Nachteile erforderlich ist.“22
22 Lammek, Gutachten im Auftrag des Landes Berlin zur Anwendbarkeit von Umstrukturierungsverordnungen gemäß § 172
Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB in den Milieuschutzgebieten in Berlin-Pankow (Ortsteil Prenzlauer Berg), 2002, S. 7.
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Das Bezirksamt Treptow-Köpenick befürwortet und unterstützt diese städtebaulichen Verbesserungen
des Quartiers. Diese Verbesserungen sind jedoch zugleich auch Aufwertungsmaßnahmen, die – insbe-
sondere im Fall der energetischen Modernisierungen – zu erheblichen Mietsteigerungen führen können,
so dass ein besonderes Steuerungsbedürfnis besteht. Es ist zu befürchten, dass es zu einer Verdrängung
von Mieterinnen und Mietern kommt (vgl. Sozialstruktur) und somit die Erfolge des QM-Verfahrens kon-
terkariert werden. Nach Schmidt-Eichstaedt ist „die einzig verbliebene Rechtsgrundlage für ein aus
sozialen Gründen abgemildertes und kooperatives Vorgehen bei der Sanierung und Umstrukturierung
von erneuerungsbedürftigen Gebieten die Sozialplanung.“23
Darüber hinaus konzentriert sich die energetische Modernisierung auf das Anbringen einer Wärme-
dämmung an die Fassade. Die von den Mieterinnen und Mietern der Schönefeld Wohnen beklagten
erheblichen Instandsetzungsrückstände in den Wohnungen und Gebäuden, die u. a. Schimmelbefall,
nicht schließende Fenster, Ausfall der Heizungsanlage, Rattenbefall, Wasserschäden, Schäden an Lei-
tungen und Rohren und defekte Fahrstühle umfassen, werden vom Eigentümer jedoch nicht behoben
bzw. sind nicht Bestandteil der baulichen Maßnahmen und sind gegenwärtig auch nicht vom Eigentümer
angekündigt.24 Das Vorgehen zeigt, dass der Eigentümer in der Lage ist, in den Wohnungs- und Ge-
bäudebestand zu investieren, jedoch nur solche Maßnahmen durchführt, deren Kosten auf die Mieterin-
nen und Mieter umgelegt werden können. Diese Maßnahmen führen zu keiner Verbesserung der Wohn-
qualität, da die notwendigen Instandsetzungen ausbleiben. Aus diesem Grund ist die Anwendung des
Instandsetzungsgebotes gemäß § 177 BauGB zu empfehlen, um den Eigentümer zu einem sinnvollen
Umgang mit seinem Wohnbestand zu bringen. Auch dies erfordert einen bezirklichen Eingriff bzw. das
Einwirken auf den Eigentümer, damit dieser seinen normalen Pflichten – zu der die Instandhaltung seiner
Gebäude zählt – nachkommt.25
Die Vielzahl an Maßnahmen sowie die umfangreichen Bedarfe im Hinblick auf die notwendige Innen-
und Außensanierung des Gebäudebestandes unterstreicht zum einen die Notwendigkeit einer aufei-
nander abgestimmten Gesamtstrategie und zum anderen ein Steuerungserfordernis im Hinblick auf den
Umgang des Eigentümers der Schönefeld Wohnen mit seinem Wohnungsbestand im Bezug auf durchzu-
führende Maßnahmen und die entstehenden Kosten.
Als Anwendungsbeispiel aus der Verwaltungspraxis Berliner Bezirke kann die Aufstellung der Umstruk-
turierungsverordnung Wartenberger Straße/Gehrenseestraße aus dem Jahr 2013 angeführt werden:
Auf Initiative des Bezirksamtes Lichtenberg wurde die Umstrukturierungsverordnung im Wohngebiet
Wartenberger Straße/Gehrenseestraße – einer Plattenbausiedlung der 1970er Jahre mit 6 bis 11-
geschossigen Plattenbauten in Insellage am Rand von Einfamilienhäusern und gegenüber von Kleingar-
tenanlagen – angewendet. Anlass dafür waren angekündigte umfangreiche energetische Modernisie-
rungs-, Sanierungs- sowie Instandsetzungsmaßnahmen im Gebäudebestand der IWG GmbH & Co. KG,
die zu erheblichen Mieterhöhungen in Folge der Modernisierungsumlage geführt hätten.26 Aufgrund der
fehlenden bzw. stark eingeschränkten Möglichkeiten zur Begrenzung von Mieten nach der Modernisie-
23 Schmidt-Eichstaedt, Städtebaurecht, 2005 (4. Auflage), S. 491. 24 Quartiersmanagement Kosmosviertel, Integriertes Handlungs- und Entwicklungskonzept 2017-2019, S. 23 und Auskünfte
Mieterprotest Kosmosviertel. 25 Schmidt-Eichstaedt, Städtebaurecht, 2005 (4. Auflage), S. 494. 26 Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg, Aufstellung einer Erhaltungsverordnung Arbeitstitel: Umstrukturierungsverord-
nung Wartenberger Straße/Gehrenseestraße, DS/0850/VII, 22.08.2013.
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rung war die Aufstellung einer Umstrukturierungsverordnung in Kombination mit der Erarbeitung eines
Gebietssozialplanes „eines der noch verbliebenen Instrumente“27, um die sich voraussichtlich nachteilig
auf die Lebensumstände der betroffenen Mieterinnen und Mieter auswirkenden Maßnahmen zu vermei-
den bzw. zu mildern.28 Von der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zum sozialverträglichen Ablauf der
geplanten Modernisierung waren 696 Mietparteien sowie weitere 294 nicht vermietete Wohnungen
betroffen.29 U. a. folgende Inhalte wurden mit dem Eigentümer vereinbart30:
Die Modernisierung im Wohngebiet wird für die Mieterinnen und Mieter sozialverträglich ge-
staltet.
Für Zeitraum von drei Jahren dürfen die Mieten um nicht mehr als 20 Prozent in Bezug auf den
dort geltenden Werten aus dem Berliner Mietspiegel steigen, zudem wurden Mietobergrenzen
vereinbart.
Die Mietkosten von Haushalten mit geringem Einkommen werden die zulässigen Werte nach der
Wohnaufwendungenverordnung für den Zeitraum von drei Jahren nicht übersteigen.
Für Mietparteien, die innerhalb des Wohnbestandes umziehen, werden keine Neuvertragsmie-
ten fällig, sondern eine Miete in bisheriger Höhe unter Berücksichtigung der Modernisierungskos-
ten.
Während der Durchführung der Modernisierungsvereinbarungen wird ggf. ein Ausweichquartier
bereitgestellt; zudem gibt es weitere Regelungen für die Zeit der Modernisierungsumsetzung.
Der Eigentümer sichert zu, dass innerhalb der nächsten 10 Jahre keine Umwandlung von Miet-
wohnungen zu Eigentumswohnungen durchgeführt wird.
Der Eigentümer trägt die Kosten für eine unabhängige Mieterberatung.
Das Beispiel aus Lichtenberg zeigt, dass der Einsatz einer Umstrukturierungsverordnung auch bei einem
geringeren Maßnahmeumfang als im Kosmosviertel möglich war.
Die Umstrukturierungsverordnung kann selbstständig und unmittelbar vom Bezirk angewendet werden
und bedarf keiner städtebaulichen Voruntersuchung. Ferner stellt die Umstrukturierungsverordnung „le-
diglich ein vorübergehendes Steuerungsinstrument während des Ablaufs einer Umstrukturierung dar“.31
Auch diese Voraussetzung ist im Kosmosviertel erfüllt.
27 Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg, Aufstellung einer Erhaltungsverordnung Arbeitstitel: Umstrukturierungsverord-
nung Wartenberger Straße/Gehrenseestraße, DS/0850/VII, 22.08.2013. 28 Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg, Aufstellung einer Erhaltungsverordnung Arbeitstitel: Umstrukturierungsverord-
nung Wartenberger Straße/Gehrenseestraße, DS/0850/VII, 22.08.2013. 29 Bezirksamt Lichtenberg von Berlin, Vereinbarung zur sozialverträglichen Sanierung - Für das Wohngebiet Wartenberger
Straße/Gehrenseestraße abgeschlossen, Pressemitteilung, 2014. 30 Bezirksamt Lichtenberg von Berlin, Vereinbarung zur sozialverträglichen Sanierung - Für das Wohngebiet Wartenberger
Straße/Gehrenseestraße abgeschlossen, Pressemitteilung, 2014. 31 Lammek, Gutachten im Auftrag des Landes Berlin zur Anwendbarkeit von Umstrukturierungsverordnungen gemäß § 172
Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB in den Milieuschutzgebieten in Berlin-Pankow (Ortsteil Prenzlauer Berg), 2002, S. 7.
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3.3 Öffentlich-rechtliche Verträge über sozialverträgliche Durchführung von Sanierungen ge-
mäß § 11 BauGB
Neben den Instrumenten des Besonderen Städtebaurechts ist auch der Abschluss öffentlich-rechtlicher
Verträge möglich. Der Abschluss von öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen stellt eine Möglichkeit dar,
Wohnungsunternehmen zu einer sozialverträglichen Sanierung zu verpflichten. Das Bezirksamt Pankow
hat z. B. mit den landeseigenen Wohnungsunternehmen GEWOBAG und GESOBAU sowie der Mieter-
beratung Prenzlauer Berg GmbH öffentlich-rechtliche Verträge für Modernisierung von im Bezirk gele-
genen Objekten der Unternehmen geschlossen. Diese Rahmenvereinbarung regelt sämtliche Modernisie-
rungsvorhaben bis zum Jahr 2015. Vertragsinhalte sind u. a. die Durchführung eines Sozialplanverfah-
rens, die Beauftragung einer Mieterberatung als Koordinator der Maßnahmen (z. B. Beratung, Haus-
haltsbefragung und Information, Sozialplanerstellung), das Festlegen von Kappungsgrenzen und Rege-
lungen zu Härtefällen.
Allerdings ist der Abschluss von öffentlich-rechtlichen Verträgen sehr stark an die Freiwilligkeit zur Zu-
stimmung durch das jeweilige Wohnungsunternehmen gebunden und daher in der Praxis nur sehr schwer
zu realisieren.
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4. Zusammenfassung und Empfehlungen
Die Ergebnisse der Analyse der Instrumente des Besonderen Städtebaurechts sind vereinfacht in der
Tabelle 4 dargestellt.
Tabelle 4: Zusammenfassende Bewertung der Analyseergebnisse
Instrument
Anwendungs-
voraussetzungen
Zielerreichung
möglich
Sozialplan-
verfahren
Anwendungs-
empfehlung
Sena
t
Sanierungsgebiet teilweise erfüllt ja ja (ja)
Entwicklungsgebiet nicht erfüllt nein ja nein
Stadtumbaugebiet teilweise erfüllt ja ja ja
Bezi
rk
Städtebauliches Erhaltungsgebiet nicht erfüllt nein nein nein
Soziales Erhaltungsgebiet erfüllt teilweise nein nein
Umstrukturierungs-gebiet erfüllt ja ja ja
Quelle: Eigene Darstellung LPG mbH
Daraus ergeben sich zwei Handlungsoptionen für den Bezirk:
Option 1: aufeinander abgestimmte Gesamtmaßnahme durch Festsetzung eines Sanierungs-
oder Stadtumbaugebietes mit dem zusätzlichen Nutzen des Mieterschutzes durch die Aufstellung
eines Gebietssozialplans oder
Option 2: Festsetzung einer Umstrukturierungsverordnung für den zielgerichteten Schutz der
Mieterinnen und Mieter durch die Aufstellung eines Gebietssozialplans.
Der wesentliche Unterschied im Verfahren ist, dass der Aufstellungsbeschluss für eine Umstrukturierungs-
verordnung unverzüglich durch den Bezirk erfolgen kann und auf dieser Grundlage Zurückstellungen
möglich sind. Bei den Verfahren Sanierung und Stadtumbau ist hingegen zuerst eine Abstimmung mit
der zuständigen Senatsverwaltung erforderlich. Aufgrund der aktuellen stadtpolitischen Debatte wird
eine „Aufstockung“ des QM-Gebietes in ein Sanierungs- oder Stadtumbaugebiet kaum möglich sein, vor
allem nicht kurzfristig, da hierfür umfangreiche Voruntersuchungen notwendig sind.
Die Vor- und Nachteile der beiden Handlungsoptionen sind in der Tabelle 5 gegenübergestellt.
Kurzgutachten Kosmosviertel | Endbericht | 25.09.2018 29
Tabelle 5: Vor- und Nachteile der Handlungsoptionen im Vergleich
Option 1:
Sanierungsgebiet/Stadtumbaugebiet
Option 2:
Umstrukturierungsverordnung
Vort
eile
Gesamtmaßnahme: aufeinander abge-
stimmte Koordination der Einzelmaßnah-
men möglich langfristige Gebietsent-
wicklung
Einsatz von Städtebaufördermittel
Aufstellung eines Gebietssozialplans
Individueller Mieterschutz (zielgerichtet)
Aufstellung eines Gebietssozialplans
Zuständigkeit: Bezirk
Anwendung unmittelbar, ohne Voruntersu-
chung oder städtebauliches Gutach-
ten/Konzept möglich
Vorübergehende Steuerung des Gesamt-
prozesses
Na
chte
ile
Liegt nicht im Zuständigkeitsbereich des
Bezirks Senat muss Rechtsverordnung
erlassen
Vorbereitende Untersuchung bzw. städ-
tebauliches Entwicklungskonzept notwen-
dig (Zeitfaktor)
Öffentliche Einzelmaßnahmen sind bereits
in anderen Städtebauförderprogrammen
angemeldet Notwendigkeit für deren
Realisierung nicht an Stadtumbau- oder
Sanierungsgebietskulisse geknüpft
Aufwändiges Verfahren: Gebietssozial-
plan und individuelle Vereinbarungen
Erfolgreiche Anwendungsbeispiele garan-
tieren dennoch keine Rechtssicherheit
Quelle: Eigene Darstellung LPG mbH
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5. Verzeichnisse
5.1 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Öffentliche und private Maßnahmen innerhalb des QM-Gebietes Kosmosviertel ........ 7
Abbildung 2: Grünzug mit Trampelpfaden ..................................................................................................... 9
Abbildung 3: Ladenzeile ohne Struktur ............................................................................................................ 9
Abbildung 4: Fassadendämmung ...................................................................................................................... 9
Abbildung 5: Brunnen ohne Wasser .................................................................................................................. 9
Abbildung 6: nicht barrierefreier Hauseingang ........................................................................................... 10
Abbildung 7: Fassade und Außenanlage ...................................................................................................... 10
Abbildung 8: Missstände im Wohnumfeld ..................................................................................................... 10
Abbildung 9: Missstände im Wohnumfeld ..................................................................................................... 10
5.2 Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Analyseschema der Instrumente des Besonderen Städtebaurechts ........................................ 6
Tabelle 2: Öffentliche und private Maßnahmen im Kosmosviertel und der Umgebung ........................ 8
Tabelle 3: Systematik der Erhaltungsverordnungen .................................................................................... 17
Tabelle 4: Zusammenfassende Bewertung der Analyseergebnisse ......................................................... 28
Tabelle 5: Vor- und Nachteile der Handlungsoptionen im Vergleich ...................................................... 29
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6. Quellenverzeichnis
Beckmann, Dr. Jörg: Rechtliche Voraussetzungen für die Ausweisung eines Gebietes als städtebauliches
Umstrukturierungsgebiet gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB, 2017
Bezirksamt Lichtenberg von Berlin, Vereinbarung zur sozialverträglichen Sanierung - Für das Wohnge-
biet Wartenberger Straße/Gehrenseestraße abgeschlossen, Pressemitteilung, 2014
Lammek, Clemens, Gutachten im Auftrag des Landes Berlin zur Anwendbarkeit von Umstrukturierungs-
verordnungen gemäß § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB in den Milieuschutzgebieten in Berlin-Pankow
(Ortsteil Prenzlauer Berg), 2002
Mieterprotest Kosmosviertel, Ergebnisse der Haustürbefragung, 2018
Quartiersmanagement Kosmosviertel: Integriertes Handlungs- und Entwicklungskonzept 2017-2019
Schmidt-Eichstaedt, Dr. Gerd, Weyrauch, Dr. Bernd, Zemke, Dr. Reinhold, Städtebaurecht: Einführung
und Handbuch, 5. Auflage, 2014
Schmidt-Eichstaedt, Gerd: Städtebaurecht, 4. Auflage, 2005
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt: Stadtumbau Berlin Programmleitfaden, 2016
Im Rahmen der Untersuchung wurde am 15.06.2018 eine Ortsbegehung im Kosmosviertel unter Beteili-
gung von Vertreterinnen und Vertretern des Bezirksamtes Treptow-Köpenick, des QM Kosmosviertel und
des Bündnisses Mieterprotest Kosmosviertel durchgeführt.