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Trauma Berufskrankh 2007 · 9 [Suppl 2]:S231–S236
DOI 10.1007/s10039-006-1166-3
Online publiziert: 28. Oktober 2006
© Springer Medizin Verlag 2006
J. Madert · C. Eggers
Chirurgisch-Traumatologisches Zentrum, AK St. Georg, Hamburg
Versorgungsstrategie bei BWS-Verletzungen (BWK1–11)
Wirbelsäule
Historie
Hippokrates (460–377 v. Chr.) riet, Defor-
mationen der Wirbelsäule durch Zug an
Schulter und Beinen mit gleichzeitigem
Druck z. B. durch das Gewicht des Chir-
urgen zu behandeln. Seine Anweisungen
wurden mehrere Jahrhunderte lang be-
folgt. Vidus Vidius (1509–1569) trat in sei-
nem bekannten Lehrbuch für genau die-
selbe Vorgehensweise ein, ersetzte jedoch
das Gewicht des Chirurgen durch kräftige
Hebel (also Streckbank).
Streift man durch die Geschichte, wird
an allen Orten und zu allen Zeiten die
Wirbelsäule gequält und gequengelt. Den-
noch – das Grundprinzip Reposition durch
Streckung, also Ligamentotaxis, hat seine
Gültigkeit nicht verloren [25].
Anatomie
Die Wirbelsäule besteht aus der Hals- ,
der Brust- und der Lendenwirbelsäu-
le sowie dem Os sacrum. Aufgrund der
Verletzungshäufigkeiten heben die Un-
fallchirurgen gerne den zervikothora-
kalen und den thorakolumbalen Über-
gang besonders hervor. Die Brustwir-
belsäule liegt zwischen beiden. Die Tat-
sache, dass von diesen Wirbeln die Rip-
pen abgehen und den Brustkorb bilden,
bedingt, dass die Steifigkeit im Brustwir-
belbereich 2,5- bis 4-fach höher ist als
die der übrigen Anteile der Wirbelsäu-
le [3, 29]. Die Verschwingung ist hier ky-
photisch, und so ist es nicht verwunder-
lich, dass bei Einleitung einer Kraft in die
Wirbelsäule, z. B. aufgrund eines Unfalls,
am Übergang von der Kyphose zur Lor-
dose bzw. vom mobileren zum steiferen
Segment deutlich mehr Verletzungen
auftreten. Die Segmente HWK6/7 und
BWK12/LWK1 sind daher am häufigsten
betroffen.
Weitere Besonderheiten der BWS
sind:
F Die Gelenke stehen in sagittaler Rich-
tung.
F Das hintere Längsband weist im Be-
reich der BWS den stärksten Durch-
messer auf.
F Im Bereich BWK4–8 sind die
schmalsten Pedikel zu finden.
F Im Bereich der BWS füllt das Rücken-
mark den Spinalkanal nahezu voll-
ständig aus [4].
F Beidseits seitlich sowie ventral der
BWS befinden sich stark luftgefüllte
Weichteile.
Aufgrund der zuletzt aufgeführten Beson-
derheit ist eine nativradiologische, scharfe
und kontrastreiche Abbildung häufig
nicht anzufertigen. Daher sollte bei BWS-
Verletzungen die Indikation für ein Com-
putertomogramm großzügig gestellt wer-
den.
Verletzungsmuster
Ätiologie und Typ. Spezifische Ursachen
für Verletzungen im Bereich der BWS
gibt es nicht. In Anbetracht der größeren
Steifigkeit aufgrund des Brustkorbs ist ei-
ne größere Gewalt nötig, sodass man bei
polytraumatisierten Patienten häufiger
BWS-Verletzungen finden dürfte.
Hauptursache jeder Wirbelsäulenver-
letzung ist die Einleitung einer groß-
en Kraft oder Gewalt in die Wirbelsäu-
le. Je nach deren Richtung und Größe re-
sultieren verschiedene Verletzungsmus-
ter: Verläuft die Kraftachse direkt entlang
der Wirbelsäule, kommt es in der Regel
zu Kompressionsfrakturen, einer Zerstö-
rung des ventralen Anteils der Wirbel-
säule (so genannte unidirektionale Insta-
bilität, Typ-A-Verletzung), ist die Kraft-
einleitung größer und erfolgt nicht direkt
entlang der Wirbelsäule, wie beim Auf-
fahrunfall oder einem Beschleunigungs-
trauma, sind eine Hyperflexion oder Hy-
perextension die Folge. Hier sind die dor-
salen und ventralen Strukturen betrof-
fen, es kommt zu einer bidirektionalen
Instabilität einer so genannten B-Ver-
letzung. Ursächlich für C-Verletzungen
sind Hochenergietraumen. Das Wirbel-
säulensegment wird völlig zerstört. Es ist
in alle Richtungen nahezu frei beweglich
(. Abb. 1).
Neurologische Schäden. Zwischen der
eingeleiteten Kraft, dem Frakturtyp und
den neurologischen Ausfällen besteht ei-
ne positive Korrelation. So findet man
nach Auswertungen von Knop et al. [15]
in der Gruppe der A-Verletzungen 12%,
in der Gruppe der B-Verletzungen 28%
und in der Gruppe der C-Verletzungen
51% Patienten mit neurologischen Aus-
fällen. Auch der Schweregrad der neuro-
logischen Verletzung steigt mit zuneh-
mender Krafteinwirkung. In der Gruppe
der reinen Kompressionsfrakturen (Typ
A) weisen 1%, in der Gruppe der höchst-
gradigen Instabilität (Typ C) 17% der Pa-
tienten eine komplette Para- oder Tetra-
parese auf.
S231Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2007 |
Ein oben bereits angeführtes beson-
deres anatomisches Merkmal ist, dass das
Rückenmark im Bereich der BWS den
Spinalkanal nahezu komplett ausfüllt, so-
dass nach thorakalen Verletzungen mehr
neurologische Defizite auftreten.
Häufigkeit. In der Literatur werden
die Raten der Brustwirbelsäulenverlet-
zungen zwischen 11 und 40% angegeben
[6, 7, 11, 19, 21].
Unter den im Chirurgisch-Trauma-
tologischen Zentrum des AK St. Georg
von 2000–2005 operierten, an der Wir-
belsäule verletzten 586 Patienten war die
Verletzung bei 90 Patienten (17%) zwi-
schen BWK2 und BWK11 (BWK12 wur-
de nicht miteinbezogen, er gehört zum
thorakolumbalen Übergang) gelegen.
Bei der Analyse nach dem BWS-Ver-
letzungstyp fand sich bei 47 Patienten ei-
ne Typ-A- und bei 43 Patienten eine Typ-
B- oder -C-Verletzung, d. h. die Hälf-
te der Patienten mit Frakturen zwischen
BWK1 und 11 erlitten – im Gegensatz zu
Patienten mit Verletzungen im thorako-
lumbalen Übergang – eine höhergradige
Verletzung (. Tab. 1).
Begleitverletzungen
In Analogie zum Verletzungsmuster be-
dingt die erhöhte Steifigkeit einen hohen
Anteil an Begleitverletzungen. So fanden
sich nach Blauth et al. [6] bei etwa 40%
der Patienten zusätzliche Thoraxverlet-
zungen, Rippenserienfrakturen traten
sehr häufig auf, die 1. und 2. Rippe wa-
ren in 10% betroffen, in 36% der Fälle
fand sich ein Hämatopneumothorax, in
fast 69% eine Mediastinalverbreiterung,
zusätzliche Klavikula- und Skapulafrak-
turen zeigten sich in 2–5%, und 42% der
Patienten hatten eine zusätzliche Kopf-
verletzung. Frakturen der 1. und 2. Rip-
pe sind immer ein Zeichen einer deutlich
höheren Gewalteinwirkung und stets als
Hinweis auf eine eventuelle zusätzliche
Wirbelsäulenverletzung zu sehen. Das
bedeuted im Umkehrschluss, bei Frak-
turen der 1. und 2. Rippe ist eine zusätz-
liche Wirbelsäulenfraktur auf jeden Fall
auszuschließen.
Der Brustkorb besteht aus einem ge-
schlossenen, stabilen Ring ähnlich wie
das Becken und wird durch die Wirbel-
säule, Rippenfortsätze, Rippen und das
Sternum gebildet. Die Stabilität wird
durch Verletzung der einzelnen Glieder
zunehmend geschwächt (Kettenverlet-
zung). Eine höhergradige Verletzung ist
nativradiologisch schwer auszumachen,
desweiteren sind eventuelle Begleitver-
letzungen abzuklären; somit sollte die In-
dikation für ein CT weit gestellt werden.
Spätfolgen
Bei Patienten mit einer Kontusion des
Rückenmarks oder traumatischer Ste-
nosierung des Rückenmarkkanals kann
mit einer sehr variablen Latenzzeit (et-
wa 8–9 Jahre) in 3–4% der Fälle eine Sy-
ringomyelie auftreten [6]. Ob dies eher
für BWS-Verletzungen zutrifft, ist nicht
bekannt.
Bezüglich des Beschwerdebilds wird
der BWS eine größere Kyphosetoleranz
zugebilligt. Es wird angenommen, dass
Gibbusbildungen im Bereich BWK1–9
bis 30° und ab BWK10 mit 15° tolerabel
sind [6]. Auf der anderen Seite ergab eine
Arbeit von Katscher et al. [13], dass BWS-
Frakturen zu einer erheblichen Kyphose-
bildung neigen, sie empfahlen daher eher
die operative Versorgung.
Versorgungsstrategie
Operationsindikation
Die absolute Indikation für die Versor-
gung einer BWS-Verletzung unterschei-
det sich nicht von der anderer Wirbelsäu-
lenregionen. Sie ist gegeben bei
F neurologischem Defizit nach freiem
Intervall,
F Progredienz der neurologischen Aus-
fälle,
F Distraktions- und Rotationstraumen
sowie
F offenen Verletzungen.
Eine relative Indikation besteht bei
F Wurzelläsion,
F Kompressionsfrakturen mit einem
Kyphosewinkel >20–30°,
F inkomplettem Transversalsyndrom
einschließlich motorischer kompletter
Lähmung mit sensibler Restfunktion.
Zudem ist die patientenbezogene oder
statische Indikation – zur besseren Reha-
bilitation und Pflegeerleichterung – zu be-
rücksichtigen.
Ebenso wie Extremitätenverletzungen
bei querschnittgelähmten Patienten sorg-
fältig versorgt sein sollten, da sie für den
Transfer wichtig sind, gehört die exakte
Rekonstruktion der Wirbelsäule zum
Standard, da der Patient ansonsten u. U.
nicht rollstuhlfähig ist.
Operation
Sie beinhaltet die Reposition – nicht mehr
so martialisch wie zu Zeiten von Hippo-
krates – die Dekompression des Spinal-
kanals und die Stabilisierung sowie evtl.
die Fusion der Wirbelsäule. Grundsätzlich
bietet sich im Bereich BWK1–2 die vent-
rale Spondylodese mit einer Spanimplan-
tation an, im Bereich BWK2–11 die dorsa-
le Spondylodese evtl. mit Span oder einem
Wirbelkörperersatz.
Die Reposition erfolgt im Prinzip ini-
tial durch lordosierende Lagerung. Sie ist
bei Verletzungen im BWS-Bereich auf-
grund der Enge des Spinalkanals vor-
sichtiger durchzuführen, da Verschie-
bungen von Knochenfragmenten, Band-
scheibenanteilen oder von Wirbelkör-
pern gegeneinander von nur einigen
Tab. 1 Anzahl der BWS-Verletzungen
Verletzungstyp Anzahl Summe
A A1 7 47
A2 3
A3 37
B B1 3 31
B2 27
B3 1
C C1 4 12
C2 4
C3 4
S232 | Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2007
Wirbelsäule
Millimetern eine erhebliche neurolo-
gische Verschlechterung nach sich zie-
hen können. Mit den heutigen moder-
nen Implantaten kann eine Reposition
über den Fixateur selbst durchgeführt
werden (. Abb. 2).
Zusammenfassung · Abstract
Trauma Berufskrankh 2007 · 9 [Suppl 2]:S231–S236 DOI 10.1007/s10039-006-1166-3
© Springer Medizin Verlag 2006
J. Madert · C. Eggers
Versorgungsstrategie bei BWS-Verletzungen (BWK1–11)
Zusammenfassung
Die Brustwirbelsäule (BWK1–11) unterschei-
det sich von den übrigen Wirbelsäulenregi-
onen durch eine deutlich erhöhte Steifigkeit,
einen mit Rückenmark vollständig ausge-
füllten Spinalkanal, schmale Pedikel und ei-
ne starke Weichteilüberlagerung. Um sie zu
verletzen, ist daher eine deutlich höhere Ge-
walteinleitung nötig. Daraus ergeben sich fol-
genden Konsequenzen: Bei der Diagnostik
sollte großzügig vom CT Gebrauch gemacht
werden. Wegen häufiger Begleitverletzungen
im Thorax im Sinne von Kettenverletzung
sollte eine möglichst frühe Versorgung erfol-
gen. Bei traumatisch bedingter Spinalkanals-
tenose ist auch bei fehlenden neurologischen
Ausfällen eine Spinalkanal-Clearance ange-
zeigt. Wegen geringer Folgen eventueller ra-
dikulärer neurologischer Ausfälle können al-
le Eingriffe von dorsal durchgeführt wer-
den. Aufgrund der Überlagerung im Röntgen
und der schmalen Pedikeldurchmesser ist die
operative Versorgung anspruchsvoll.
Schlüsselwörter
Brustwirbelsäulenregion · BWS-Steifigkeit ·
Begleitverletzung · Versorgungsstrategie ·
Spinalkanal-Clearance
Strategy for managing injuries of the thoracic spine (T1–11)
Abstract
The thoracic region of the spine (T1–11) is
different from the other parts of the vertebral
column due to the higher stiffness, the spinal
canal, which is completely filled with the spi-
nal cord, small pedicles, and strong interfer-
ence of soft tissue. Therefore, a much great-
er input force is necessary to induce an inju-
ry of the vertebral column, resulting in the
following consequences: computed tomog-
raphy should be used generously for diag-
nosis. Treatment should be initiated as ear-
ly as possible because of the often accompa-
nying injuries of the chest in the sense of a
chain injury. Even if neurological deficits are
absent, spinal canal clearance is indicated in
cases of traumatic spinal stenosis. All surgery
can be carried out from a posterior approach
since the effects that may result from possi-
ble neurological deficits of the spinal roots
are slight. Because of poor visualization by X-
ray and the narrow pedicle, the operation is
demanding.
Keywords
Thoracic region of the spine · Stiffness of tho-
racic column · Accompanying injury of the
thoracic spine · Treatment strategy · Spinal ca-
nal clearance
Abb. 1 8 Typ-C-Verletzung
Abb. 2 8 Wirbelsäulenfixateur (Reco Fa. Depuy Spine)
Abb. 3 8 Vollständige Reposition nach dorsaler Spondylodese
S233Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2007 |
Während für den thorakolumbalen
und lumbalen Bereich bei Patienten mit ei-
ner traumatischen Spinalkanalenge nach
wie vor gilt: „keine neurologischen Aus-
fälle, keine Spinalkanal-Clearance“, sollte
eine Dekompression im Bereich der BWS
aufgrund der Spinalkanalenge großzügiger
durchgeführt werden. Bei Patienten mit
Fragmenten im Spinalkanal oder Aufhe-
bung des Reserveraums sollte dekompri-
miert werden, sei es durch Ligamentota-
xis, eine Fensterotomie, Hemi- oder Lami-
nektomie oder aber auch Korporektomie
mit Wirbelkörperersatz. Da intraoperativ
die Kontrolle des Spinalkanals schwierig
ist, man aber auf der anderen Seite wegen
fehlender neurologische Ausfälle nicht un-
ter Zeitdruck steht, empfiehlt sich posto-
perativ die Durchführung eines MRT.
Outcome und eigene Strategie
Während die Indikation für die opera-
tive Behandlung bei zunehmenden neu-
rologischen Ausfällen usw. nicht kontro-
vers diskutiert wird, lassen sich trotz zahl-
reicher Studien keine evidenzbasierten Da-
ten bezüglich der Versorgung von Kom-
pressionsfrakturen ableiten, die ein festes
Therapieregime vorgeben. So zeigte nicht
nur die AO-Studie [15, 16, 17], dass der
Korrekturverlust bei ventral implantierten
Knochenspänen mit ventraler oder dorso-
ventraler Stabilisierung gering, jedoch mit
einem hohen Komplikationsgrad versehen
ist. Dem gegenüber steht die deutliche Re-
Abb. 6 8 Clinical Pathway bei Mehrfachverletzungen
Abb. 7 8 Clinical Pathway bei BWS-Verletzungen
Abb. 4 8 Dorsoventrale Spondylodese mit Span
Abb. 5 8 Dorsoventrale Spondylodese mit Spacer
S234 | Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2007
Wirbelsäule
kyphosierung bei kleinen Komplikations-
raten der mit einer alleinigen dorsalen
Spondylodese versorgten Patienten.
Des Weiteren ist kritisch zu sehen, wel-
che Outcome-Kriterien überhaupt ange-
legt werden sollen, v. a. welche Wertung sie
haben. So sind soziale Parameter wie Län-
ge der Krankschreibung, Arbeitplatzum-
setzung, Höhe und Dauer der Rente, Kün-
digung, Sportmöglichkeiten usw. mindes-
tens gleich- wenn nicht höherwertiger als
die korrigierte Kyphose.
Folgende Daten lassen sich einigerma-
ßen sicher aus der Literatur ableiten: Es be-
steht keine Korrelation zwischen Schmer-
zen und Gibbus [1, 10, 17, 27], wenn die-
ser <20° ist. Die transpedikuläre Spongio-
saplastik bietet keine Vorteile [2, 14, 17, 18,
27]. Sowohl bei dorsalen als auch bei vent-
ralen als auch bei kombinierten Verfah-
ren kommt es zu einem Korrekturverlust,
der sicherlich beim rein dorsalen Vorge-
hen am größten ausfällt [5, 8, 9, 12, 20, 22,
23, 24, 26, 28].
Bezüglich des Hannoveraner Wirbel-
säulenscore, der eine Wertung bezüglich
der persönlichen Belastbarkeit der Wir-
belsäule darstellt, schneidet die dorsa-
le Gruppe in Relation zur ventralen und
dorsoventralen Gruppe am besten ab (al-
lerdings nicht signifikant). Bezüglich Be-
ruf, Freizeit, subjektivem Zufriedenheits-
grad und Gesamturteil der Patienten ergab
sich kein Unterschied bezüglich der 3 ver-
schiedenen Operationsverfahren [17].
Daraus leitet sich für uns derzeit fol-
gende Versorgungsstrategie auch für den
thorakalen Bereich ab: Kommt es bei
der Versorgung von Kompressionsfrak-
turen mit Hilfe des Fixateurs zu einer voll-
ständigen Reposition des Wirbelkörpers
(. Abb. 3), vertrauen wir auf die knö-
cherne Ausheilung und nehmen die se-
kundäre Gibbusbildung im Bandschei-
benraum in Kauf. Gelingt dies nicht, wer-
den eine Diskektomie durchgeführt und
ein kortikospongiöser Span implantiert
(. Abb. 4). Bestehen zudem ein Defekt
und Instabilität, ist ein Wirbelkörperer-
satz (. Abb. 5), umlagert mit Spongiosa,
zu implantieren.
Versorgungszeitpunkt
Handelt es sich um eine Monoverletzung,
ergibt er sich aus der Indikation.
Im Rahmen einer Mehrfachverletzung
erfolgt die Versorgung aufgrund standar-
disierter Abläufe. Nach dem Check der
1. Minute, Legen von Zugängen, evtl. le-
bensrettenden Sofortoperationen (1. Ope-
rationsphase), Oxygenierung und Perfu-
sion werden die dringlichen Maßnahmen
wie klinische Untersuchung, Labor, Spiral-
CT usw. angeschlossen. Im Rahmen der 2.
Operationsphase folgt die dringliche The-
rapie. Dazu gehören – in der angegebenen
Reihenfolge – die Versorgung von
1. thorakalen und abdominalen Blu-
tungen,
2. Verletzungen großer Gefäße,
3. Schädel-Hirn-Traumen und
4. Wirbelsäulenverletzungen mit Rü-
ckenmarkläsion (. Abb. 6).
Letztere sollten vor offenen Frakturen und
großen Skelettinstabilitäten versorgt wer-
den.
Folgender Clinical Pathway (. Abb. 7)
bietet sich bei Patienten mit einer BWS-
Verletzung an: Zuerst ist zu klären, ob
neurologische Ausfälle, eine höhergradi-
ge Instabilität oder eine Einengung des
Spinalkanals vorliegen. Ist dies nicht der
Fall, können der Patient gelagert bzw. an-
dere Verletzungen versorgt werden. Lie-
gen jedoch die eben angeführten Krite-
rien vor und ist der Patient operabel, soll-
te wegen der eventuellen Kettenverletzung
im Bereich der BWS eine möglichst frü-
he dorsale Versorgung erfolgen, d. h. Re-
position, Dekompression und Spondylo-
dese. Später können – in der Sekundär-
phase – die Komplementierung bzw. end-
gültige Versorgung, z. B. die ventrale Fu-
sion mit einem Cage, erfolgen.
Zugänge
Im Bereich des 1. und 2. BWK bietet sich
sicherlich der rein ventrale Zugang an. Ei-
ne Platte am 3. BWK zu positionieren, ist
schwierig, und ein kurzer Hals kann eine
echte Herausforderung darstellen.
Für den Bereich BWK2–11 ist der dor-
sale Zugang für die Spondylodese Stan-
dard. Will oder muss man ventral agie-
ren, ist der kostotransversale Zugang bis
BWK3–4 geeignet. Ab BWK4–5 kann
auch transthorakal vorgegangen werden.
Die im Bereich BWK2 bis etwa 9–10 abge-
henden Nervenwurzeln sollten geschont
werden. Eine Durchtrennung derselben
hat jedoch keine großen Konsequenzen,
da das Innervationsgebiet klein ist und
muskuläre Ausfälle gering sind. Der Vor-
teil des kostotransversalen oder dorsolate-
ralen Zugangs ist, dass man die Dura mit
ihrem in diesem Bereich sehr empfind-
lichen Inhalt immer im Blick hat.
Fazit
Bei der Versorgung von Patienten mit
Verletzungen im Bereich der BWS soll-
te man in Anbetracht der schlechten
Sichtverhältnisse und der häufigen Be-
gleitverletzungen die Indikation für ein
Computertomogramm großzügig stel-
len. Wegen eventueller Kettenverlet-
zungen sollte eine möglichst frühe Ver-
sorgung angestrebt werden. Der en-
ge Spinalkanal in diesem Bereich sollte
Anlass sein, bei traumatischer Stenose
oder Fragmenten im Spinalkanal auch
bei Patienten ohne neurologische Aus-
fälle eine Spinalkanal-Clearance durch-
zuführen. Wegen der geringen Folgen
der radikulären neurologischen Ausfäl-
le der abgehenden Wurzeln in diesem
Bereich können alle Eingriffe einfach
und unter Sicht von dorsal durchgeführt
werden.
Wegen Überlagerung im Röntgenbild
und kleiner Pedikeldurchmesser ist die
Spondylodese anspruchsvoll und sicher-
lich das klassische Zielgebiet für die Na-
vigation.
Korrespondierender AutorDr. J. MadertChirurgisch-Traumatologisches Zentrum, AK St. GeorgLohmühlenstraße 5, 20099 Hamburgjuergen.madert@ak-stgeorg.lbk-hh.de
Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkon-
flikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass kei-
ne Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in
dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Kon-
kurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation
des Themas ist unabhängig und die Darstellung der In-
halte produktneutral.
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