Post on 29-Aug-2019
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Fachbereich 10: Sprach- und Litera-
turwissenschaften
Studiengang:
Transnationale Literaturwissenschaft: Literatur,
Theater, Film
Masterarbeit
SpurenLesen:
Das narrative Moment im
improvisierten Theater der
Gegenwart
vorgelegt von: Ina Schenker
Römerstraße 28
28203 Bremen
Telefon: 0176-84286568
Email: s_ikei4h@uni-bremen.de
Matrikelnummer: 255084 3
Gutachterin: Dr. Elke Richter
Zweitgutachterin: Prof. Dr. Elisabeth Arend
Abgabetermin: 27.01.2013
Vorgelegt.am: 31.12.2012
Inhalt
I Einleitung: Ausführung der Fragestellung 3
II Das narrative Moment im improvisierten Theater 5
1. Wichtige Grundlagen dieser Arbeit 5
2. Definition des Gegenstands und Forschungsüberblick 7
a) kurzer Blick in die Entstehungsgeschichte 7
b) Improvisationstheater heute: eine Definition 9
c) Forschungstand 11
3. „group mind“ und Emergenz als konstituierende Parameter improvisierter
Narrationen? 14
a) Del Close und der Mythos des „group mind“ 15
b) Emergenz in der Ästhetik des Performativen bei Erika Fischer-Lichte 16
c) soziale Emergenz und kollaborative Kreativität bei Robert K. Sawyer 19
d) systemtheoretische Emergenz bei Gunter Lösel und Zwischenfazit 21
III Spuren und SpurenLesen 24
1. Verwendung des Spurbegriffs 25
a) Der Spurbegriff bei Jacques Derrida 27
b) Der Spurbegriff bei Carlo Ginzburg 29
2. Attribute der Spur und Ebenen des Spurenlesens 31
3. Das narrative Moment der Spur im Forschungsüberblick 35
IV SpurenLesen als Erklärungsmodell improvisierter Narrationen 39
1. Improvisierte Narrationen als Semioseprozesse 41
2. Das abwesende Skript 42
3. Das Subjekt im Kollektiv 46
V Fazit und weiterführende Fragen 52
Bibliografie 57
Erklärung 62
Anhang: DVD
3
I Einleitung: Ausführung der Fragestellung
Ein Improvisations-Spieler muss wie ein Mensch sein, der
rückwärtsgeht: Er sieht, wo er gewesen ist, aber er achtet nicht
auf Zukünftiges. Seine Geschichte kann ihn überall hin führen,
doch er muss ihr ein „Gleichgewicht“ und Struktur geben, das
heißt sich an die vorangegangenen Episoden erinnern und sie
wieder in die Geschichte einführen.1
Pas des traces, pas d’histoires.2
Das moderne westliche Improvisationstheater wird oft in einer Schublade hinter Stand-Up-
Comedy versteckt, gilt als Laientheaterbewegung, gruppentherapeutische Theaterpädagogik-
übung oder wird als Vorform im Probenprozess einer Inszenierung verortet. All dies kann
improvisiertes Theater sein, es kann aber auch mehr. Neben den bereits erwähnten Erschei-
nungsformen wird improvisiertes Theater seit einiger Zeit verstärkt als eigenständiges ästheti-
sches Erlebnis wahrgenommen, dem so auch ein Platz in der wissenschaftlichen Forschung
eingeräumt werden muss.3 In den Vordergrund rücken dabei neben diachronen Fragen, die
eine historische Entwicklung des modernen Improvisationstheaters nachzeichnen, auch syn-
chrone Interessen. Diese orientieren sich vor allem am „Wie“ des theatralen Improvisations-
prozesses, für den theoretische Beschreibungs- und Erklärungsmodelle gesucht werden.
Auch in dieser Arbeit soll der Frage nach dem „Wie“ weiter auf den Grund gegangen werden.
Hauptanknüpfungspunkte bilden dabei die Grundpfeiler des improvisierten Theaters: Die un-
vorbereitete, momentgebundene Erzeugung narrativer Szenen in Gemeinschaft. Das Prozess-
hafte, Erlebnis- und Ereignisorientierte, das dieser hic et nunc-Situation eingeschrieben ist,
rückt das improvisierte Theater aus theaterwissenschaftlicher Perspektive in die Nähe eines
performanztheoretischen Ansatzes, der im deutschsprachigen Raum vor allem durch Erika
Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen aus dem Jahr 2004 geprägt ist. Als besonders re-
levant können dabei Fischer-Lichtes Überlegungen zur Entstehung von Bedeutung in einem
gemeinschaftlichen Prozess gelten, für die sie das Konzept der Emergenz anführt. Emergenz-
theorien werden auch von Robert Keith Sawyer in seinem Buch Improvised Dialogues.
Emergence and Creativity in Conversation von 2003 und Gunter Lösels 2011 verfasster und
bisher unveröffentlichter Dissertation „Das Spiel mit dem Chaos. Performativität und Sys-
temcharakter des Improvisationstheaters“4 herangezogen, um den Improvisationsprozess be-
schreiben zu können. Improvisationstheater wird in beiden letzteren Ansätzen als System ver-
1 Johnstone, Keith: Improvisation und Theater, S. 198. 2 Hard, Gerhard : Spuren und Spurenleser, S. 70. 3 Dörger, Dagmar/Nickel, Hans-Wolfgang: Improvisationstheater, S.8. 4 Die Dissertation ist vom Prüfungsausschuss bereits abgenommen und nach eigenen Angaben plant Gunter Lösel die Publikation für 2013.
4
standen, das im Laufe seiner Entwicklung eigenständige Dynamiken hervorbringt, die nicht
mehr auf die einzelnen Spielerindividuen reduzierbar sind und die eine eigene Rolle bei der
Erzeugung von Bedeutung spielen. Aus diesen Betrachtungen resultieren wichtige und
schlüssige Erkenntnisse, es bleiben aber auch Lücken im Beschreibungsmodell. Diese bezie-
hen sich vor allem auf die Rolle des Individuums im Kollektiv und das narrative Moment an
sich, welches doch eine ganz besondere Funktion im improvisierten Theater einnimmt, da im
Gegensatz zu anderen zeitgenössischen performativen Formen in erster Linie und ganz expli-
zit versucht wird, Geschichten zu erzählen.
An diesen Leerstellen soll hier vor allem anhand der Arbeit von Gunter Lösel angesetzt und
eine erweiternde Theorie vorgestellt werden. Es wird davon ausgegangen, dass das Spie-
lersubjekt eine ganz entscheidende Rolle bei der Erzeugung von Narration im Kollektiv spielt.
Um diese zu erklären, wird als emergenztheoretisch ergänzendes Modell vorgeschlagen, den
Prozess des Improvisierens als SpurenLesen zu verstehen. SpurenLesen5, hier gekennzeichnet
durch einen starken Fokus auf einen aktiven Lesebegriff, wird als ein Semioseprozess ver-
handelt, dem das Narration konstruierende Moment durch den interpretierenden Spurenleser
eingeschrieben ist und der so vor allem die Wahrnehmung und Deutung durch ein Individuum
in den Vordergrund rückt.
Folgende Fragen werden also in dieser Arbeit gestellt: Wie kann das Subjekt in einem als
emergent verstandenen, theatralen Improvisationsprozess gedacht werden? Wo verlaufen die
Grenzen eines emergenztheoretischen Zugriffs? Wie können die Spieler Narrationen im im-
provisierten Theater erschaffen? Kann die Denkfigur des SpurenLesens als Beschreibungs-
modell greifen und welche Rückwirkungen hat diese Anwendung dann auf das Paradigma des
SpurenLesens und der Spur selbst?
Für die Beantwortung dieser Fragen ist es notwendig, dass in einem ersten Schritt genau defi-
niert wird, was unter modernem, westlich geprägtem Improvisationstheater als Gegenstand
dieser Untersuchung verstanden wird und wie sich der Forschungsstand diesbezüglich verhält.
Anschließend werden das Konzept des Kollektiven, in der Improvisationstheaterfachsprache
als „group mind“ bekannt, und der daraus resultierende emergenztheoretische Zugriff auf sei-
ne Wirkung, Erklärungskraft und -schwäche untersucht. Schließlich gilt es, das weite Denkpa-
radigma der Spur und des SpurenLesens für den Analysezusammenhang dieser Arbeit zu de-
finieren und auf das Improvisationstheater anzuwenden. Dies soll über den theoretischen
5 Zur Verdeutlichung und Betonung der Tätigkeit des Lesens wird im Titel und in der Einleitung die Schreibung SpurenLesen verwendet. Im
weiteren Verlauf der Arbeit jedoch zur Kleinschreibung Spurenlesen zurückgekehrt, um den Lesefluss zu erleichtern.
5
Rahmen hinaus anhand von Beispielaufnahmen an realen Aufführungen6 verdeutlicht werden.
Exemplarisch werden die Überlegungen vor allem an zwei Formaten, zum einen der extrem
freien Form aka nichts muss des Bremer Improvisationstheaterduos die beiden und zum ande-
ren einer improvisierten Langform, dem sogenannten „Harold“ der Gruppe Jennifer‘s Elch
demonstriert.
II Das narrative Moment im improvisierten Theater
1. Wichtige Grundlagen dieser Arbeit
Es soll direkt zu Beginn darauf hingewiesen werden, dass die Schwerpunktsetzung auf ein
wissenschaftstheoretisches Beschreibungsmodell für den Produktionsmodus improvisierten
Theaters seitens der Spieler viele weitere höchst interessante Fragen nur am Rande, in Fußno-
ten streifen kann, oder sie ganz außer Acht lassen muss. Darunter fallen unter anderem for-
schungsrelevante Themen wie die Rolle der Rezeption oder Vergleiche mit anderen improvi-
satorischen Formen wie dem Tanz, der Musik oder auch dem Alltagshandeln. Des Weiteren
wird sich in dieser Arbeit einer Reihe von Begriffen bedient, die selbst immer wieder Gegen-
stand wissenschaftlicher Diskussionen sind, die im Folgenden jedoch nur knapp definiert
werden können, um gezielt der Frage nach der Erzeugung von Narration im improvisierten
Theater nachgehen zu können. Demnach gilt es, die Begriffe Text, Narration, Lesen und Sub-
jekt, für die Verwendung in dieser Arbeit, im Kontext des improvisierten Theaters und des
Spurenlesens einzugrenzen, da sie das begriffliche und konzeptuelle Werkszeug stellen.
Unter Text (lat. textus: Gewebe, Geflecht) wird ganz allgemein zunächst ein Kommunikati-
onsinstrument verstanden. Er ist Prozess und Ergebnis einer von Produzenten und Rezipienten
kooperativen Tätigkeit.7 Darüber hinaus gilt nach Mieke Bal als entscheidendes Textkriterium
das Vorhandensein von Grenzen, innerhalb derer sich der Text als kunstvoll vernetzte Zei-
chenverbindungen in einem strukturierten Ganzen konstituiert.
The finite ensemble of signs does not mean that the text itself is finite, for its meanings, effects,
functions, and background are not. It only means that there is a first and a last word, to be identi-
6 Es soll hier noch betont werden, dass die gewählten Aufführungen einer gewissen Willkür unterliegen, da auch jede andere Aufführung als Beispiel dienen könnte. Dieser Fakt soll aber nur das Potential des theoretischen Zugriffs verdeutlichen. 7 Thiele, Wolfgang: „Text“, S.706.
6
fied, a first and a last image of a film; a frame of a painting, even if those boundaries […] are
provisional and porous.8
Als Text wird hier im improvisierten Theater also die Gesamtheit der produzierten und rezi-
pierten Zeichen, die zur Kommunikation der Show innerhalb ihrer zeitlichen Begrenzung ge-
nutzt werden, betrachtet.9 Der Text ist so zugleich stets offen, in der individuellen Ausdeu-
tung mehrdeutig als auch zugleich operativ als strukturalistische Entität begrenzt.10
Während als Text also die Gesamtheit der im Laufe einer Show entstandenen Zeichenverbin-
dungen gilt, wird unter Narration, wesentlich enger gefasst, das verstanden, was in der struk-
turalistischen Auffassung Erzählungen von anderen Textarten unterscheidet: die zeitlich orga-
nisierte Handlungssequenz, in der es durch ein Ereignis zu einer Situationsveränderung
kommt.11
Es geht also um die Darstellung einer Handlung oder wie Martinez/Scheffel näher
definieren, um eine Geschichte, die neben einem chronologischen und kausalen Erklärungs-
zusammenhang auch motiviert ist, ein sinnvolles Ganzes zu ergeben.12
Dieses Charakteristi-
kum entspricht dem, was auch bei Genette eigentlich unter den Begriff der Geschichte, der
histoire, fällt. Nach Genette steht dann die Bezeichnung Narration oder Französisch narration
für den Akt der Narration selber.13
Beide Aspekte spielen im Kontext dieser Arbeit eine wich-
tige Rolle, wie auch Genette seine aufgefächerte Definition des Erzählungsbegriffs immer in
einem durchdringenden Wechselspiel der verschiedenen Funktionen denkt. Für den narrativen
Moment im improvisierten Theater und das Spurenlesen als Beschreibungsmodell ist zentral,
dass Geschichten, dass Veränderungen dargestellt werden, aber auch dass sie in diesem einen
Moment, im hic et nunc, im Akt des Erzählens selber überhaupt erst entstehen können. Die
Unterscheidung zwischen diesem engeren Narrationsbegriff und dem weiteren Textbegriff
eröffnet die analytische Möglichkeit, im Improvisationstheater innerhalb des großen Gesamt-
textes verschiedene narrative Einheiten und Momente zu denken und voneinander gelöst zu
untersuchen.
Von diesem Text- und Narrationsbegriff ist es kein weiter Weg zu einem aktiven Konzept des
Lesens. Hier ist vor allem bemerkenswert, dass Lesen, bevor es sich in einer Engführung auf
schriftlich fixierte Texte konzentrierte, auf das Auflesen, Sammeln und Auslesen bezog (ahd.
lesan; lat. legere). Vor allem Letzteres deutet so auch auf einen bewussten, subjektiven Selek-
8 Bal, Mieke: Narratology, S.5. 9 Von Mieke Bals Definition ausgehend hat Michel Büch ausführlich in seiner Masterarbeit zur Textualitität des improvisierten Theaters
gearbeitet und wird dies in einer geplanten Dissertation noch vertiefen. 10 Mit einem solchen Textbegriff arbeiten beispielsweise auch Elke Richter, Karen Struve und Natascha Ueckmann in Balzacs „Sarrasine“
und die Literaturtheorie, S. 58f. 11 Vgl. Nünning, Ansgar: „Narrativität“, S.528. 12 Vgl. Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie, S. 188,189. 13 Vgl. Genette, Gérard: Die Erzählung, S.15
7
tionsprozess hin. Diesem freieren, ursprünglicheren Konzept soll für das Spurenlesen im im-
provisierten Theater wieder gefolgt werden. Darüber hinaus steht die heute eng damit verbun-
dene „bewusst-intentionale und primär innere, d.h. geistige Handlung eines Individuums, in
der komplexe Prozesse der Aufnahme und Wahrnehmung […] zur Bedeutungsgenerierung
zusammenwirken“14
im Vordergrund. Ein weiter und aktiver Lesebegriff wird dieser Arbeit
also zugrunde gelegt, der in stimulierender Abhängigkeit des lesenden Individuums, des le-
senden Subjekts steht.
Auch die zuletzt genannten Begriffe, Individuum und Subjekt, sind basale Diskussions- und
Angelpunkte philosophischer Denkkonzepte und je nach Weltverständnis unterschiedlich de-
finiert worden. Für diese Arbeit werden beide Begriffe mehr oder weniger synonym verwen-
det, da hier nicht die psychoanalytische, postmoderne oder prozesshaft-diskursive Konstituti-
on des Individuums, des Subjekts im Vordergrund steht, sondern die damit verbundene Vor-
stellung eines aktiven Handelns und der damit einhergehenden Intentionalität15
eines nicht
vollständig abstrahierbaren und systematisierbaren, sondern einzigartigen Denken des Men-
schen in seiner Individualität.16
Ein solches Individuum ist das spurenlesende und szenisch
improvisierende Subjekt in dieser Arbeit, das durch selektive, aktive Rezeption überhaupt erst
produktiv tätig werden kann.
Diese Begriffe sind im Folgenden als zentral für meine Überlegungen zu erachten. Doch zu-
nächst gilt es noch, sich dem Untersuchungsgegenstand Improvisationstheater aus einer
Überblicksperspektive zu nähern, bevor detaillierte Betrachtungen angestellt werden können.
2. Definition des Gegenstandes und Forschungsüberblick
a) Kurzer Blick in die Entstehungsgeschichte
Auch wenn festgelegt wurde, dass es sich um eine synchrone Untersuchung handeln soll,
wirkt ein kurzer Blick in geschichtliche Zusammenhänge erhellend, um das Improvisations-
theater in seiner gegenwärtigen Ausrichtung und gesellschaftlichen, sowie wissenschaftlichen
Position zu verorten.
Die US-Amerikanischen Improvisationslehrer Tom Salinsky und Deborah Frances-White
führen in ihren historischen Durchgang mit einer etwas saloppen Aussage ein, die aber einen
wichtigen Faktor betont. 14 Müller-Oberhäuser, Gabriele: „Lesen/Lektüre“, S.417. 15 Vgl. Aczel, Richard: „Subjekt und Subjektivität“, S.691. 16 Vgl. Rudolph, Enno: Odyssee des Individuums, S.8.
8
Almost any book on improvisation will tell you that improvised theatre began with the
Commedia Dell’Arte – and for once, “any book“ is right, although possibly not for the
reasons supposed.17
Das Stegreifspiel der Commedia Dell’Arte wird häufig als Vorläufer des heutigen improvi-
sierten Theaters genannt, da es eine Gegenbewegung zu dem in der Renaissance entstandenen
National- und Literaturtheater darstellt und so als Gegenpol zu dramentextbasierten Inszenie-
rungen definiert werden kann. Improvisationstheater gibt es aber, wie auch Dörger und Nickel
in ihrem Überblick darstellen, der im Folgenden skizziert wird, nicht erst seit der Commedia
Dell’Arte, sondern begleitet, ja dominiert das Theater sogar seit seinen Anfängen.18
Allein die
Eigenständigkeit und Anerkennung der Improvisation als theatralem Erleben an sich unterlie-
gen verschiedenen Hochzeiten.
Einen großen Einfluss übte die Improvisation nach Aristoteles bereits bei der Entstehung von
Komödie und Tragödie aus, die ihren Ursprung vor jeder Verschriftlichung fand und auch im
Mittelalter spielte die Improvisation bei der festlichen Gestaltung von Ostermessen und ande-
ren Feiertagen eine große Rolle. Unterstützt wurden diese Veranstaltungen vor allem durch
fahrendes Volk, Gaukler und Akrobaten, die wie später die Commedia Dell’Arte durch die
Lande zogen und auf Marktplätzen und anderen öffentlichen Plätzen auftraten. Das universi-
täre, rekonstruierende Theater der Renaissance begann, wie bereits erwähnt, diese freien The-
aterformen zu überlagern, doch verschwanden sie nie ganz und erleben seit dem 20. Jahrhun-
dert sogar eine neue Hochkonjunktur. Diese lässt sich nach Dörger und Nickel in zwei grobe
Phasen einteilen.
Die erste Generation bis zum zweiten Weltkrieg entdeckte die Improvisation spätestens in den
1930ern und etablierte sie in drei festen Formen. Als Ausbildungsprozess in der Schau-
spielausbildung und als Vorbereitung im Probeprozess ist sie vor allem mit den Namen Sta-
nislawski, Wachtangow, Copeau und Boyd verbunden. Während sie über Jacob Moreno und
Viola Spolin hauptsächlich als eigene Theaterform etabliert wurde. Spolin gilt dabei als eine
Schlüsselfigur, die das Improvisationstheater durch ihre theaterpädagogischen Spiele für die
zweite Generation nach dem zweiten Weltkrieg entscheidend mitprägte. Diese Generation
differenzierte vor allem weiter aus, was bereits vor dem ersten Weltkrieg etabliert wurde und
betonte die Eigenständigkeit der szenischen Improvisation als theatraler Form. Spolin und ihr
Sohn Paul Sills gaben dazu von Chicago aus wichtige Impulse, die zur Gründung von The
Second City als erster professioneller Improvisationstheatergruppe führten. Weitere wichtige
17 Salinsky, Frances-White: The Improv Handbook, S.2. 18 Vgl. im Folgenden: Dörger, Dagmar/Nickel, Hans-Wolfgang: Improvisationstheater, S. 13-46.
9
Einflüsse kamen später aus dem britisch-kanadischen Raum über Keith Johnstone, der das
Konzept des Theatersports ausarbeitete und wieder aus den USA von Del Close und Charna
Halpern. Del Close wird als Erfinder des „Harolds“, der Spielstruktur der in der späteren Ana-
lyse dieser Arbeit die Aufmerksamkeit geschenkt wird, auch als Begründer der sogenannten
improvisierten Langformen gesehen. Diese Formen unterscheiden sich insofern von den so-
genannten Kurformen als sie sich nicht aus vielen verschiedenen Theaterspielen zusammen-
setzten, sondern ein eigenes abendfüllendes Format darstellen und so zu einem qualitativen
Sprung in der professionalisierten Improvisationstheaterszene führten.
b) Improvisationstheater heute: eine Definition
Aus dieser diachronen Sicht kann für ein Verständnis des heutigen Improvisationstheaters
erkannt werden, dass es eine sehr heterogene Landschaft gibt, in der verschiedenste Formen
nebeneinander bestehen. Darunter in sehr grober Einteilung diejenigen, die eher der Theater-
sportszene und ihren Kurzformen mit verschiedenen Spielen nachkommen und diejenigen, die
sich aus sogenannten Langformen unterschiedlichster Strukturen zusammensetzen. In dieser
Arbeit soll versucht werden, narrative Funktionsweisen des improvisierten Theaters zu be-
schreiben, die auf alle Formen gleichwertig anwendbar sind. So gilt es also eine Definition
des improvisierten Theaters zu geben, die auf strukturelle und funktionelle Gemeinsamkeiten
abstrahiert ist und mit der wissenschaftlich operativ gearbeitet werden kann.
Der Begriff Improvisationstheater ist so grundsätzlich in zwei Teile zerlegbar: Improvisation
und Theater. Beide stehen in keinerlei ursächlichem Zusammenhang, im Gegenteil. Improvi-
sation ist eigentlich ein Begriff, der sich in vielen anderen Künsten findet, wie dem Tanz oder
der Musik, aber vor allem auch im Alltag. „Improvisieren im Alltag ist Handeln aus dem
Stegreif, ist Tun im Moment – nicht unbedingt ohne Überlegung, aber jedenfalls ohne lang-
wierige Planung“19
, definieren Dörger und Nickel. Dieses Handeln erfordert vom ausführen-
den Subjekt stets ein gewisses Maß an Kreativität und ist dabei doch oft mit einer negativen
Konnotation der mangelnden Vorbereitung verbunden. Gerade dieser Mangel an Vorberei-
tung wird von der bewusst künstlerisch eingesetzten Improvisation als eigener Wert verstan-
den und umgesetzt. Es gilt also, dieser Alltagsdefinition noch weiter auf den Grund zu gehen
und sie für einen künstlerischen Prozess zu vertiefen. Was bedeutet Improvisation in der
Kunst, für das Theater und aus einer wissenschaftlichen Perspektive?
19 Dörger, Dagmar/Nickel, Hans-Wolfgang: Improvisationstheater, S.8.
10
Etymologisch ist das Substantiv *improvisatio in der gesamten Latinität nicht bekannt, son-
dern taucht erst als modernes Substantiv ital. improvvisazione und fr. improvisation im 19.
Jahrhundert auf. Das Verb improvisieren dagegen stammt schon von lateinisch improvisus –
unvorhergesehen, unvermutet im Gegensatz zu providere: vorhersehen, Vorkehrungen treffen
ab.20
Bereits an dieser Herleitung lässt sich erkennen, dass die Tätigkeit, der Prozess des Han-
delns, aus dem heraus die Improvisation entsteht, im Fokus liegt und dass es sich dabei um
eine Verhaltensweise handelt, die nicht auf Kontrolle und Planbarkeit des Handelns abzielt,
sondern Kontingenz und Unvorhersehbares als situationsbestimmend anerkennt und sich so
einem unwiederholbaren Prozess öffnet. Um jedoch als von Plänen und Regeln befreit aner-
kannt werden zu können, muss es Pläne und Regeln geben, von denen sich die Improvisation
absetzen kann. Die Improvisation bewegt sich also immer in einem Spannungsverhältnis von
Regeln und Regellosigkeit21
, von Ordnung und Unordnung in einer variablen Gradualität.22
Die Anerkennung des improvisierenden Handelns als ständig neu entstehender Ordnung
ergibt sich dabei stets durch eine daran anschließende an- und aufnehmende Reaktion und ist
so immer nur im Nachhinein fixierbar. Es entstehen Bindungen zwischen den einzelnen
Handlungen, die immer erst rückbezüglich verstanden werden können. Wichtig dabei ist, dass
der Spielraum zwischen Ausgangssituationen und Anschlussreaktionen dabei weder völlig
beliebig noch völlig bestimmt ist, sondern sich wechselseitig bedingt, denn auch die Aus-
gangssituationen können gewisse Anforderungen an das folgende improvisierte Handeln stel-
len. Damit diese Wechselseitigkeit aus Anspruch der Ausgangssituation und Anerkennung
über die Anschlussreaktion nebeneinanderbestehen können, ist die Kommentarfunktion der
Gemeinschaft über die Improvisation essentiell. „Improvisatorisches Tun steht dadurch in der
Alternative, zu gelingen oder zu misslingen, dass die Interaktionen von Ausgangs- und An-
schlussaktivität in Kommentaren thematisiert werden können.“23
Misslingen und Gelingen
sind in diesem Zusammenhang als (Nicht-)Anerkennung der Improvisation durch die folgen-
den Handlungen zu verstehen. Die Kommentarfunktion wird dabei auf einer Metaebene ge-
dacht, die es in jedem Medium ermöglicht, darzustellen, wer gerade was und wie improvi-
siert. Dafür braucht es in der künstlerischen Gemeinschaft ein „totales Bewusstsein“24
für die
20 Vgl. Ax, Wolfram: „Improvisation in der antiken Rhetorik“, S. 63. 21 Die Begriffe Regeln und Regellosigkeit rücken den Improvisationsprozess auch in die Nähe des Spiels. Ein Aspekt, auf den in dieser
Arbeit leider nicht mehr eingegangen werden kann, der aber viel Potential mit sich bringt. 22 Vgl. Bormann/Brandstetter/Matzke: „Improvisieren: Eine Eröffnung“, S.9. 23 Bertram, Georg W.: „Improvisation und Normativität“, S. 34. 24 Dell, Christopher: „Subjekte der Wiederverwertung, Remix“, S.225.
11
Selbstbeobachtung und die Auseinandersetzung mit den Anderen25
im improvisatorischen
Prozess.
In jeder Anschlussreaktion, die in ihrer Nachträglichkeit Handlungen fixiert, schwingt aber
auch immer mit, dass es Alternativen und andere Möglichkeiten gegeben hätte, die aber auf-
grund der Unwiederholbarkeit und Flüchtigkeit nicht mehr einzulösen sind. So kommt der
Improvisationsforscher Dell zu dem Schluss: „Improvisation ist ein Ordnungsverfahren, das
die maximale Mehrdeutigkeit einer Situation zulässt.“26
Um diese auf allgemeine künstlerische Handlungen bezogene Definition von Improvisation
vor einen narrativen Kontext zu setzen, lässt sich in einem ersten Schritt festhalten, dass die
verschiedenen neuen Ordnungen, die stets entstehen und die im vielskizzierten Beispiel des
Jazz dann einzelnen Stücken entsprechen würden, im improvisierten Theater als einzelne nar-
rative Szenen verstanden werden sollen. Die Narration setzt sich also immer durch die an-
schließende Reaktion fort und überhaupt erst fest, wobei immer Alternativen im Raum beste-
hen bleiben. Am zeitlichen Ende der Improvisation ergibt sich eine große Gesamtordnung, die
dann den improvisierten Text darstellt. Um aber zu erklären wie die einzelnen Narrationen
überhaupt erst entstehen können, werden in den folgenden Kapiteln das Modell der Emergenz
und des Spurenlesens herangezogen.
Zunächst gilt es jedoch, eine Definition zu finden, die Improvisation und Theater zusammen-
bringt, bevor auf diesen entscheidenden Punkt näher eingegangen wird. Für eine Definition
von Theater sollen hier Erika Fischer-Lichte, die ganz basal und formelhaft definiert „Theater,
reduziert auf seine minimalen Voraussetzungen, bedarf also einer Person A, welche X reprä-
sentiert, während S zuschaut“ und dem Performance-Theoretiker Richard Schechner gefolgt
werden, der unter Theater bzw. dem Theatralen „the event enacted by a specific group of per-
formers; what the performers actually do during production”27
versteht. Fügt man nun die
Charakteristiken der Improvisation mit denen der theatralen Situation zusammen und abstra-
hiert sie auf eine wissenschaftliche Definition kann unter Improvisationstheater wie folgt ver-
standen werden:
Improvisationstheater stellt in seiner Fiktionalität transitorische, unwiederholbare, fiktive28
Inhalte her und aus, die sich aus reaktiven, gemeinschaftlichen und jederzeit auf einer Me-
taebene kommentierbaren Prozessen ergeben. In diesen Prozess werden graduell unterschied- 25 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die spannende Frage nach der Möglichkeit der Einzelimprovisation in der theoretischen Forschung noch kaum behandelt wurde, aber aus der Praxis heraus wohl durchaus relevant scheint, in der Solo-Tanzimprovisation beispiels-
weise. 26 Dell, Christopher: „Subjekte der Wiederverwertung, Remix“, S.230. 27 Schechner, Richard: Performance Theory, S.71. 28 Vgl. für die Definition von fiktiv und fiktional Weidacher, Georg: Fiktionale Texte - fiktive Welten, S. 38, der nach Rühling als fiktiv in der
Wirklichkeit nicht existente Objekte und Personen und als fiktional eine Darstellungsweise fiktiver Welten betrachtet. Siehe dazu auch Martinez/Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, S. 188f. Der reale Autor im Erzähltext entspricht dann dem realen Spieler im Improvisa-
tionstheater, der erfundene Sprecher/Erzähler, der Figur.
12
lich kontingente beziehungsweise unvorhersehbare Elemente in eine stetig neu entstehende
narrative Ordnung integriert.
Improvisationstheater treibt das, was die theatrale Aufführung an sich bereits charakterisiert,
nämlich Flüchtigkeit, Ereignishaftigkeit und Unwiederholbarkeit noch auf die Spitze, da Pro-
duktion und Rezeption stets zur gleichen Zeit stattfinden und oft der improvisierende Prozess,
die Erzeugung von Narrationen und des Textes an sich, gegenüber der entstehenden fiktiven
Welt im Vordergrund steht.29
Christel Weiler sieht in dieser strukturellen Einzigartigkeit auch
die besondere Herausforderung durch die theatrale Improvisation an die Theaterwissenschaft,
rückt es durch seine Ereignishaftigkeit in die Nähe des Performativen und schlussfolgert: „Ei-
ne Theorie der Improvisation als Theorie schauspielerischen Handelns im Kontext der Erfor-
schung der performativen Dimension des Theaters steht noch aus.“30
Wie gestaltet sich sonst
die Forschungslandschaft zum improvisierten Theater?
c) Forschungsstand
Das Wenigste, was bisher zum Improvisationstheater geschrieben wurde, ist wissenschaftli-
cher Art, sondern lässt sich als sogenannte „Ratgeber-Literatur“ bezeichnen, die von Prakti-
kern an Praktiker gerichtet ist und sich vornehmlich mit der Qualität der Improvisation ausei-
nandersetzt. Diese „How to improvise“-Bücher stellen meist bestimmte Trainingspraktiken
vor, die den Spielern helfen sollen, Hemmungen abzubauen, sich auf die anderen Spieler ein-
zulassen und Unvorhergesehenes in Erzähleinheiten zu strukturieren. Neben diesen Übungen
finden sich noch Beschreibungen bestimmter Formate, wie beispielsweise bereits erwähntem
„Harold“, und Glossare einer Improvisationstheaterfachsprache, wie sie sich im Laufe der
Zeit entwickelt hat. Als die drei Klassiker dieser Ratgeber-Literatur gelten dabei Viola Spo-
lins Improvisation for the Theater aus dem Jahr 1963, Keith Johnstones Impro: Improvisation
and the Theater, 1979 erschienen, und das erstmals 1994 publizierte Truth in Comedy von
Charna Halpern, Del Close und Kim Johnson, das Del Closes Ansatz erklärt und als Grundla-
ge der meisten Langformen dient. Auf diesen drei „Bibeln“ bauen die meisten neueren pra-
xisorientierten Improvisationstheaterbücher auf, wie auch die bereits zitierten The Improv
Handbook von Salinsky und Frances-White und Improvisationstheater. Das Publikum als
Autor von Dörger und Nickel. Meist kommen noch eigene Spielformen oder Trainingsübun-
gen dazu, die sich aber nicht mehr grundsätzlich von den bereits entwickelten Ideen unter-
29 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die prozesshafte Offenheit im improvisierten Theater auch viele kunstästhetische Fragen
aufwirft. Wie ließe sich beispielsweise Improvisationstheater vor dem Hintergrund von Umberto Ecos Das offene Kunstwerk diskutieren und positionieren? 30 Weiler, Christel: „Improvisation“, S.146.
13
scheiden. Vieles, was mit der praktischen Umsetzung und Gestaltung von Improvisationsthea-
ter zu tun hat, wird auch kaum mehr über publizierte Literatur diskutiert, sondern über Inter-
netplattformen wie www.improwiki.de oder http://improvencyclopedia.org. Die praxisorien-
tierten Theorien verbreiten und vergrößern sich in zunehmendem Maße und speisen sich über
das Internet aus weltweiten Erfahrungen, wobei vor allem Beiträge aus den USA, Kanada und
Europa verhandelt werden. Häufig wird der rein praktische Teil durch einen historischen
Überblick über die Entwicklung des Improvisationstheaters ergänzt. Dies trägt größtenteils
zur eigenen Verortung bei, ist aber selten mit einem spezifisch wissenschaftlichen Anspruch
verbunden. Diese Bücher und Internetforen dienen jedoch selbst wiederum als Ausgangsma-
terial für wissenschaftliche Überlegungen, daneben werden hin und wieder transkribierte Sze-
nen verwendet, mit Videomaterial ist in Publikationen bis jetzt noch gar nicht gearbeitet wor-
den.
Unabhängig vom Theater wird der Begriff der Improvisation sonst gerade in den ver-
schiedensten Wissenschaften neu entdeckt und diskutiert, um Ansätze einer konzeptuellen
Verortung zu erlangen. Beispiele wären die beiden Tagungsbände Improvisation. Kultur- und
lebenswissenschaftliche Perspektiven aus dem Jahr 2009 und Improvisieren. Paradoxien des
Unvorhersehbaren aus dem Jahr 2010. Näher am bereits definierten Verständnis von improvi-
siertem Theater sind zwei Beiträge aus der englischsprachigen Community, von denen sich
der eine, Improvisation in Drama, von Anthony Frost und Ralph Yarrow neben einem histori-
schen Überblick auch mit der Semiotizität und Interkulturalität des improvisierten Theaters
beschäftigt. Der Begriff Improvisation wird allerdings sehr breit gefasst, so dass die Spezifizi-
tät des improvisierten Theaters als eigenständiger Kunstform aufgeweicht und sich verstärkt
auch auf Probenprozesse in Inszenierungen konzentriert wird. Der zweite Beitrag Improvised
Dialogues von Robert Keith Sawyer, einem Kommunikationswissenschaftler, versucht, an-
hand von improvisierten Dialogen das Entstehen kollaborativer Kreativität zu erklären.
Sawyer bettet seinen Ansatz dabei in die Gesprächsanalyse und Emergenztheorien ein. Letzte-
rer Ansatz in Verbindung mit Erika Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen, die ebenfalls
Emergenz von Bedeutung als einen wichtigen Aspekt für ereignishafte, prozessorientierte
Performances sieht, inspirierte einen Großteil der ersten spezifischen, noch nicht veröffent-
lichten, deutschsprachigen Dissertation zum Improvisationstheater „Das Spiel mit dem Chaos
– Performativität und Systemcharakter des Improvisationstheaters“ von Gunter Lösel. In letz-
teren drei Arbeiten wird der Emergenzbegriff aus den Naturwissenschaften und Systemtheo-
rien entlehnt, um Funktionsweisen von prozessorientierten, ästhetischen Erlebnissen erklären
zu können, doch hierbei bleiben bereits erwähnte Lücken. Im Folgenden soll versucht werden,
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diese Lücken über den Ansatz des Spurenlesens zu füllen. Dazu gilt es zunächst, den
Emergenzbegriff und seine für die gemeinschaftliche, theatrale Situation übertragene Rolle
darzustellen und als Erklärungsmodell für das Funktionieren und die Entstehung von Narrati-
on im improvisierten Theater zu prüfen.
3. „group mind“ und Emergenz als konstituierende Parameter improvisierter Narratio-
nen?
Das Improvisationstheater als wissenschaftlicher Gegenstand ist noch so wenig erforscht und
doch scheint bereits ein Bereich besonderes Interesse geweckt zu haben. Der gemeinschaftli-
che Schaffensprozess eines ästhetischen Erlebnisses steht bei den meisten Untersuchungen im
Vordergrund. Dabei geht es im improvisierten Theater neben einem Erlebnisprozess, der so
für alle performativen Künste gilt, um eine besondere narrative Ausrichtung, denn aus dieser
Gemeinschaft entstehen Erzählungen und das quasi von selbst und wie „aus dem Nichts“31
.
Dahinter steht dann die große Frage, wie diese Narrationen im improvisierten Theater entste-
hen können.
Innerhalb des Gesamttextes einer Improvisationstheatershow bilden sich oft bestimmte Struk-
turen, Muster und Patterns heraus, die dann als einzelne narrative Zusammenhänge nebenei-
nander stehen oder sich miteinander verweben können. Diese narrativen Muster werden ge-
meinsam von den Spielern zumeist auf Grundlage einer Publikumsvorgabe hervorgebracht
und scheinen dann aber ein Eigenleben zu führen. Dergleichen Dynamiken dienen for-
schungstheoretisch als Grundlage für emergenztheoretische Ansätze. Doch bevor dargelegt
werden soll, wie aus wissenschaftlicher Perspektive anhand des Emergenzbegriffs diese
Struktur-und Musterbildung erklärt wird, gilt es einen Blick in Truth in Comedy zu werfen,
denn dort sind in der Beschreibung und Anleitung des „Harold“, neben eigenen Spiel- und
Schauerfahrungen der Forschenden, die meisten Hinweise für einen solchen theoretischen
Zugriff zu finden.
a) Del Closes und der Mythos des “group mind”
31 Lösel, Gunter: „Das Spiel mit dem Chaos“, S.128.
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Del Close beeinflusste in den 70er und 80er Jahren als Direktor bei The Second City in Chica-
go die entstehende Improvisationstheaterszene in den USA und später auch in Europa nach-
haltig. Seine Langformen, darunter vor allem der „Harold“, zeichnen sich durch ein Spiel in
Gemeinschaft aus, das auf wiederkehrende Verbindungen zwischen Szenen und einzelnen
Momenten abzielt und so eigene narrative Dynamiken erzeugt, die sehr fein, subtil und asso-
ziativ, aber auch sehr klar und deutlich sein können.
Der klassische „Harold“ wird von mehreren Spielern, meist zwischen fünf und acht Personen,
performt. Er gibt eine grobe Struktur vor, die als Gerüst, an dem sich die einzelnen Szenen
entlanghangeln können, dient. Zuerst holt sich die Gruppe einen Themenvorschlag aus dem
Publikum, dieser wird dann in einem sogenannten „opening“ mit Ideen gefüllt. Diese können
sprachlicher oder körperlicher Natur sein und zeigen sich in Form von verbalen oder bewe-
gungsfokussierten Assoziationsketten, die die Spieler hervorbringen. Nach dem „opening“
werden drei Szenen gespielt, die sich aus den davor zusammengetragenen Ideen nähren, aber
nicht bereits miteinander verknüpft sein müssen. Anschließend entsteht ein „group game“, das
über viel körperliche Energie und Bewegung das Eröffnungsthema noch einmal weiter aus-
schöpft. Daraufhin folgen wieder drei Szenen, die Elemente aus den ersten Szenen, dem „o-
pening“ und dem „group game“ aufnehmen und miteinander verknüpfen. Ein zweites „group
game“, gefolgt von einer letzten großen, alles miteinander verbindenden Szene schließt den
„Harold“.32
Entscheidend für einen Ansatzpunkt der Emergenztheorie als wissenschaftlichem Erklä-
rungsmodell ist nun wie dieser kollaborative Schöpfungsprozess des „Harold“ beschrieben
wird. Das Konzept des „group mind“ ist bei Del Close allgegenwärtig, denn „the group intel-
ligence is much more than the sum of its parts“33
. Das individuelle Ego eines Spielers darf
dem gemeinschaftlichen Schaffensprozess nicht im Weg stehen, indem es versucht, herauszu-
stechen und gesehen zu werden. Die Spieler müssen eine genaue Aufmerksamkeit für einan-
der haben, ihr Spiel gegenseitig immer bejahen und so ihre jeweiligen Plätze im „Harold“
finden, dann kann es nach Close gelingen, „higher and greater powers oft the human being“
freizusetzen, „that is what we mean when we say that Harold appears‘“34
. Der „Harold“ wird
so fast zu etwas Mystischem, dem die Kraft zugeschrieben wird zu „erscheinen“. Dieser Ein-
druck entsteht vor allem über die Verbindungen, die als Muster und Patterns innerhalb des
„Harolds“ fungieren, ihn zusammenhalten und größer werden lassen, indem sie eine Konti-
nuität herstellen. Agiert die Gruppe so zusammen, kann es auch keine „Fehler“ geben, da sol- 32 Vgl. Halpern, Charna /Close, Del / Johnson, Kim: Truth in Comedy, S. 18f. 33 Ebd., S. 92. 34 Ebd., S.87.
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che immer nachträglich in die Gemeinschaftsarbeit integriert werden und keiner der Spielerb-
eiträge „stehen gelassen“ wird, was gleichbedeutend wäre mit einer Nichtaufnahme ins Narra-
tiv. Über diese besonderen, musterhaft-narrativen Verbindungen kann dann auch das Mehr
entstehen, was oft als eine Art Thema bezeichnet wird. Close und seine Mitautoren verwen-
den für dieses Entstehen oft das englische Verb to emerge: „As a theme emerges“35
, „we can
see a major theme emerge“36
, „five characters can easily emerge“37
. Das Englische to emerge
ist dabei zwar ein rein alltagssprachlicher Begriff und kann in diesem Kontext gut mit hervor-
gehen übersetzt werden38
, er legt so jedoch auf subtile Art auch bereits eine wissenschaftliche
Erklärung über den Emergenzbegriff nahe. Wie wird dieser nun bisher für das Performative
und das Improvisationstheater angewendet, um narrative Muster zu erklären?
b) Emergenz in der Ästhetik des Performativen bei Erika Fischer-Lichte
Auf den Emergenzbegriff bei Erika Fischer-Lichte soll im Folgenden näher eingegangen wer-
den, da sie mit ihrer Ästhetik des Performativen die Diskussion um prozessorientierte, ereig-
nishafte Aufführungserlebnisse, zumindest in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft,
weiter vorantrieb und entscheidend belebte. Gunter Lösel hat in seiner Dissertation bereits
Fischer-Lichtes Ästhetik in Anwendung auf das Improvisationstheater umfassend geprüft und
vor allem das Konzept der Emergenz als ein fruchtbares Feld zur Beschreibung von improvi-
siertem Theater befunden, welches aber noch einer Vertiefung durch Sawyers und andere sys-
temtheoretische Ansätze bedarf.39
Wie gestaltet sich nun Emergenz bei Fischer-Lichte und
welche Rolle nimmt sie in performativ-theatralen Prozessen ein?
Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass Fischer-Lichte den Begriff und das Konzept
der Emergenz nicht ausführlich definiert, sondern nur in einer knappen Fußnote auf drei Ar-
beiten von Achim Stephan, Michael Pauen/Gerhard Roth und Thomas Wägenbaur verweist
und damit ein sehr heterogenes und nicht unproblematisches Feld aus Philosophie, Evoluti-
onstheorie und Neurowissenschaften beschreitet. Die beiden charakteristischen Eigenschaften,
die sie dann für emergente Erscheinungen herausstreicht, sind Unvorhersehbarkeit und Un-
motiviertheit.40
35 Halpern, Charna /Close, Del / Johnson, Kim: Truth in Comedy, S.42. 36 Ebd., S.97. 37 Ebd., S.115. 38 Collins Langenscheidt: Großes Studienwörterbuch Englisch, S. 296. 39 Auf viele Aspekte des Performativen in Zusammenhang mit dem improvisierten Theater kann und muss deshalb in dieser Arbeit nicht
weiter eingegangen werden, stattdessen wird sich auf diesen einen Punkt beschränkt. Zur Vertiefung vgl. Lösel, Gunter: „Das Spiel mit dem Chaos“, Kapitel III. 40 Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, S. 186.
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Im weiteren Verlauf kommt den unmotivierten und unvorhersehbaren und somit emergenten
Phänomenen dann eine ganz entscheidende Rolle bei der Konstitution von Bedeutung in der
performativen Kunst zu. Nach Fischer-Lichte sind emergente Erscheinungen frei von kausaler
Verkettung, tauchen völlig unmotiviert in rhythmischen Pattern auf, stabilisieren sich und
verschwinden wieder. Dies zieht in der Folge eine Desemantisierung bestimmter materieller
Phänomene nach sich, die sich aus der Isolierung dieser einzelnen Elemente ergibt. Zugleich
jedoch können gerade diese isolierten, in ihrer Materialität wahrgenommenen Elemente eine
Pluralität von neuen Signifikaten hervorbringen, die durch Assoziationen und Gefühle im
wahrnehmenden Betrachter entstehen.41
Fischer-Lichte setzt die emergenten Phänomene so-
dann mit der Selbstreferentialität42
des Performativen in engste Verbindung, um dieses vor-
gebliche Paradox um Desemantisierung und Neusemantisierung zu lösen:
Indem Aufführungen der letzten dreißig Jahre immer wieder theatrale Elemente aus jeder
Art von übergeordneten Kontexten herauslösen, sie ohne Rückführung auf bzw. Eingliede-
rung in irgendwelche Kausalzusammenhänge erscheinen und verschwinden lassen – häufig
mit vielen Wiederholungen – und sie so nachdrücklich als emergente Phänomene hervortre-
ten lassen, die auf nichts anderes als sich selbst verweisen, haben sie für die Einsicht sensi-
bilisiert, daß Wahrnehmung und Bedeutungserzeugung der gleiche Prozeß sind.43
So spielt Emergenz nach Fischer-Lichte eine doppelte Rolle bei der Erzeugung von Bedeu-
tung in der performativen Kunst. Zum einen sind es die emergenten Phänomene an sich, die
aus konventionellen Zeichenkontexten gelöst, neu entstehen und die, zum anderen dann auf
einen nicht intentional nach Deutung suchenden Betrachter stoßen. Dessen Wahrnehmung
wird hauptsächlich von Assoziationen und Gefühlen geleitet, was wiederum emergente Be-
deutungen auch gegen seinen Willen und bar von Anstrengung entstehen lässt. Entscheidend
für Fischer-Lichte ist, dass keinerlei Intention im Spiel ist. Beide Prozesse stehen in enger
Verbindung miteinander und sind so Teil der autopoietischen Feedbackschleife, die in jeder
Aufführung wirksam ist und jede Aufführung zu einem einzigartigen Erlebnis macht, das von
den unterschiedlichen Reaktionen der beteiligten Subjekte gesteuert wird.44
Das wahrneh-
mende Subjekt oszilliert also mit seiner Aufmerksamkeit in jeder Aufführung zwischen einem
konventionellen Prozess von Zeichendeutung und interpretativer Bedeutungsgenerierung und
freien Assoziationen, deren Emergenz von den Bedingungen des Wahrnehmenden selbst ab-
41 Vgl. Ebd., S. 243ff. 42 Ein Begriff, der seine eigenen Schwierigkeiten und Komplexitäten birgt, da er die Aufspaltung des Zeichens in Signifikat und Signifikant wieder in sich und mit seiner Materialität zusammenfallen lässt, als hätte es Saussures Gedankenschritte nie gegeben. Auf diese Thematik
kann aber nicht weiter eingegangen werden, sie wäre aber eine eigene Untersuchung wert und findet erste Ansätze in der geplanten Disserta-
tion von Michel Büch. 43Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, S.247. 44 Vgl. Ebd., S. 249.
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hängen. Die Sprünge, die dabei entstehen, bezeichnet Fischer-Lichte selbst auch wiederum als
emergent, „da für das Umspringen der Wahrnehmung kein Grund angegeben werden kann“45
.
So kann zwar bewusst sein, dass soeben von der Ordnung der Repräsentation in die Ordnung
der Präsentation, der Selbstreferentialität und der emergenten Phänomene gewechselt wurde,
doch entzieht sich der Wechsel selbst der Kontrolle des Zuschauers. Das Subjekt hat Fischer-
Lichtes Argumentation zufolge so sowohl einen aktiven als auch einen passiven Anteil an der
Erzeugung von Bedeutung: es bestimmt sie mit und wird von ihr mitbestimmt, beides ist nicht
völlig kontrollierbar, nicht intendiert und somit emergent.46
Fischer-Lichte verwendet den Begriff der Emergenz als ein sehr zentrales Element in ihrer
Ästhetik und bindet ihn in unterschiedliche Prozesse bei der Hervorbringung und assoziativen
Verknüpfung von Bedeutung ein, dabei bleibt dennoch unklar, wie diese „geometrischen und
rhythmischen“ Phänomene genau aussehen sollen. Sie spricht von einer „kontemplativen Ver-
senkung in diese Geste, dieses Ding, diese Lautfolge, in der die wahrgenommenen Dinge sich
dem Subjekt als das zeigen, was sie sind“47
und eröffnet damit ein sehr weites und zerstreutes
Feld, das zeichentheoretisch sicherlich diskussionswürdig ist, hier aber nicht weiter erörtert
werden kann.
Für das Improvisationstheater bleibt zu Fischer-Lichte als entscheidend herauszustreichen,
dass der Modus der Bedeutungserzeugung durch emergente Phänomene und emergente
Wahrnehmung sich schlüssig auf einen sehr individuell rezipierten Text einer Show beziehen,
aber wenig über einen generellen Erzeugungsmodus von Narrationen seitens der Spieler aus-
sagen kann, was das Interesse dieser Arbeit ist. Dies liegt an ihrer Kontextualisierung des
Konzepts der Emergenz gerade in einem Bereich, wo der Zeichenbegriff zu schwimmen be-
ginnt und mehr oder weniger konventionalisierte, kausal-chronologisch motivierte Erzähl-
strukturen, wie sie im improvisierten Theater meist hervorgebracht werden, aufbrechen, denn
grundlegend ist ein emergentes Phänomen für sie unmotiviert und unvorhersehbar. Damit lädt
sie ihn mit einer eigenen Bedeutung auf, lässt ihn aber zugleich ohne ausführliche Rückkopp-
lung an seine systemtheoretische Herkunft stehen.
Achim Stephan, der wohl den umfassendsten Beitrag zum Emergenzbegriff im deutschspra-
chigen Raum geleistet hat und auf den Fischer-Lichte auch verweist, findet es grundsätzlich
spannend, diesen Begriff aus der naturwissenschaftlichen Philosophie hinausgetragen zu se-
hen, warnt aber zugleich vor einer inflationären Verwendung und damit einer Entleerung des
Begriffs, wie sie sich in einer Art „schwachem Emergentismus“, der für viele kollektive und
45Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, S.257. 46 Vgl. Ebd., S. 269. 47 Ebd., S.246.
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unvorhersehbare Phänomene verwendet wird, niederschlägt: „Der Sache nach angemessener
und weniger konnotativ belastet wäre es deshalb, hier nicht von emergenten, sondern – etwas
schlichter von systemischen oder kollektiven Eigenschaften zu sprechen.“48
Auch findet sich
nur das Charakteristikum der Unvorhersehbarkeit, das Fischer-Lichte als maßgeblich ansieht,
in Stephans Übersicht, das der Unmotiviertheit dagegen überhaupt nicht, stattdessen wird
noch von Irreduzibilität und einem abwärts gerichteten Einfluss auf die Systemteile als ge-
meinsamer Basis der Emergenztheorien gesprochen.49
Eine derartige Rückkopplung an die Systemtheorien und ihre Basiseigenschaften in Anwen-
dung auf das Improvisationstheater über einen performativen Ansatz hinaus, auch in seiner
Narrativität, finden sich dann bei Robert Keith Sawyer und Gunter Lösel. Da Lösel den Ver-
such anstellt, Fischer-Lichtes und Sawyers Theorien verbindend zu integrieren, soll hier zu-
nächst auf Sawyer eingegangen werden.
c) Soziale Emergenz und kollaborative Kreativität bei Robert K. Sawyer
Sawyers wissenschaftliches Interesse liegt vorwiegend auf einem kommunikationstheoreti-
schen Kontext des „framing“ nach Erving Goffman, den er durch einen Ansatz sozialer
Emergenz erweitert, um zu einer Außenperspektive auf soziale Systeme zu gelangen, die bis
dahin forschungstheoretisch von einer interpretativen Innenperspektive geprägt waren.
Sawyers Ansatz wird so vor allem in den Kommunikationswissenschaften als neuer Ausrich-
tungshorizont in der Forschungsgemeinschaft gesehen.
Sawyer proposes a more macro-sociological account in which the object of inquiry is the
interactional process, and the goal is to make statistical predictions about participants‘ be-
havior over a set of instances. Drawing on theories of sociological emergentism, Sawyer
claims that interactional frames arise out of a series of individual turns of dialogue, but are
not reducible to them.50
Das Improvisationstheater als Gegenstand dient in seiner Arbeit folglich eher dem Zweck, die
theoretische Perspektive auf Kommunikationsprozesse zu untermauern, als selbst in seinem
ganzen Umfang untersucht zu werden. So beschränkt Sawyer sich weitestgehend auf die Un-
tersuchung von transkribierten Dialoganfängen improvisierter Szenen, da diese ihm für das
Entstehen des Kommunikationsprozesses am meisten Material bieten.
48 Stephan, Achim: Emergenz, S.248. 49 Vgl. Ebd., S. XI. 50 Johnstone, Barbara: „Review“, S.440.
20
Nichtsdestotrotz ergeben sich in wechselseitigen Schlüssen auch Erkenntnisse über das Im-
provisationstheater im Allgemeinen, das Sawyer vor seinem Hintergrund des sozialen
Emergentismus als komplexes System versteht, was seine Rückbindung des Emergenzbegriffs
an die Systemtheorie herausstreicht. Dass sein Verständnisschwerpunkt in erster Linie auf der
Unvorhersehbarkeit und der Irreduzibilität liegt und in zweiter Konsequenz auf den Auswir-
kungen des Systems auf seine Bestandteile, lässt sich aus seinen Beschreibungen der improvi-
sierten Theatersituation ableiten. So setzt er fest:
a speaker’s action cannot be predicted by the other actors on stage because there are so many
potential creative acts, and the range of potential frames that might emerge multiplies from
turn to turn. […] Such moment-to-moment combinatories often result in analytically irreduc-
ible phenomena, as demonstrated by studies of complex dynamical systems. 51
Diese irreduziblen und unvorhersehbaren Phänomene, um die es Sawyer geht, sind die Kom-
munikationsrahmen und entstehen aus den Dialogen der Teilnehmer quasi von selbst. Sind sie
erst einmal entstanden üben sie, wie es emergenten Systemen auch nach Achim zugeschrie-
ben wird, einen entscheidenden Einfluss auf die Spielsituation aus. Es bilden sich also Wech-
selwirkungen aus Bottom-up und Top-Down-Kausalitäten, die ein zirkuläres Modell mit zwei
Ebenen begründen: Die Sprechakte der Spieler steigen bildlich gesprochen auf und bilden die
Rahmen, die dann als eigenständig gedachter Akteur wiederum abwärts wirkenden Einfluss
auf die Spielerhandlungen ausüben.52
“The emergent interactional frame must analytically be
considered to have its own causal force, which is both enabling and constraining”53
, so Saw-
yer. Dabei ist es jedoch keineswegs so, dass der einmal entstandene Rahmen eine fixierte En-
tität darstellt, sondern stets durch jede neue Spieleraktion bestätigt oder verändert werden
kann und so auch immer erst im Nachhinein als Rahmen etabliert wird.
Sawyers Anliegen ist es also die Wirkungskraft der Rahmen in diesen Prozessen zu beschrei-
ben und welche Auswirkungen sie auf die Kommunikatoren, in diesem Fall die Spieler bei
der Gestaltung von Szenen haben. Methodisch geht er dabei so vor, dass er unter anderem
Pausenlängen und Spielereinsätze zeitlich misst und feststellt, dass nach der Etablierung des
Rahmens, die Szenen schneller und die Pausen kürzer gespielt werden, da der Rahmen als
eigenständiger Akteur das Setting mitbestimmt und der Fortgang der Szenen dadurch für die
Spieler potentiell vereinfacht wird.54
Er bezieht sich dabei nicht explizit auf den Begriff des
Narrativen, doch könnte man aus Sawyers Analysen ableiten, dass der Kommunikationsrah-
51Sawyer, Robert Keith: Improvised Dialogues, S. 59. 52 Vgl. Ebd., S. 73. 53 Ebd., S.63. 54 Vgl. Sawyer, Robert Keith: Improvised Dialogues, Chapter 8.
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men seinen eigenen Beitrag zur Narration leistet, indem er, einmal entstanden, deren Verlauf
beeinflusst. Er kann dann Ausgangs- und Anschlussreaktionen bis zu einem gewissen Grad
beschränken und in einen narrativen Zusammenhang setzen.
So erklärt Sawyer den kollaborativen, kreativen Prozess der Schaffung einer gemeinsamen,
fiktiven Realität mit einem Emergenzbegriff, der auf Irreduzibilität, Unvorhersehbarkeit und
Einflussnahme des Systems auf seine Einzelteile beruht und bringt dabei erkenntnisgewin-
nend die Möglichkeit ein, einen aus einzelnen Dialogen entstandenen Mehrwert als analytisch
unabhängige Größe mitdenken zu können. Diese mögliche analytische Unabhängigkeit eines
metapragmatischen Elements als potentieller narrativer Stimme ist eine schlüssige Ableitung
aus den empirischen Daten. 55
Doch durch diesen Fokus wird die Rolle des Spielersubjekts bei
der Erzeugung der Rahmen als narrativem Element und der Narration an sich nicht tieferge-
hend analysiert. Gerade hier liegt nun der Punkt an dem diese Arbeit weiter denken möchte,
denn bei diesen nicht reduzierbaren Einzelteilen, auf die das System Improvisationstheater
seine Wirkung ausübt, handelt es sich um Menschen mit einer künstlerischen Intention. Dar-
über hinaus können viele Aspekte wie die Atmosphäre durch die Reaktionen des Publikums,
das Licht und eventuelle musikalische Begleitung, wie sie eher im Konzept von Fischer-
Lichtes performativem Raum56
mitgedacht werden, keinen Zugang in Sawyers theoretischen
Zugriff und das narrative Moment finden.
d) Systemtheoretische Emergenz bei Gunter Lösel und Zwischenfazit
Für Gunter Lösel stellt das Konzept der Emergenz einen ganz entscheidenden Schritt zur wis-
senschaftlichen Beschreibung des Improvisationstheaters dar, das die Phänomene des „group
mind“ und der „aus dem Nichts“-entstehenden Figuren, Szenerien und Narrationen, wie sie in
der Ratgeber-Literatur beschrieben werden, erklären kann.
Verbindungen emergieren während des Harold sowohl in der Wahrnehmung der Zuschauer als
auch in der Wahrnehmung der Akteure. Sie bilden dabei Muster (Patterns). Sowohl der Prozess
der Musterbildung als auch der Mustererkennung geschieht dabei ,von selbst‘. Die Verbindungen,
um die es Close geht, sind keine geplanten, gewollten Verbindungen, sondern solche, die sich er-
geben, indem Elemente auf der Bühne unverbunden improvisiert werden. Solche Verbindungen
sind mithin emergent, d.h. unvorhersehbar, irreduzibel und neu.57
55 Vgl. Ebd. S.67. 56 Vgl. Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, S.188ff. 57 Lösel, Gunter: „Das Spiel mit dem Chaos“, S.133.
22
Lösel gibt mit dieser Beschreibung des „Harold“ auch seine Definition von Emergenz wieder.
Er bezieht sich dabei neben Fischer-Lichte und Sawyer auch auf Systemtheoretiker wie
Luhman, die Gametheory und ein synergetisches Denken im Allgemeinen. Auf diesem Weg
findet er griffige Beschreibungsmodelle, die die Prozesse des improvisierten Theaters auf der
Makroebene theoretisch fundiert darstellen können.58
Die Makroebene entspricht den Phäno-
menen, die aus dem Kollektiv hervorgegangen sind und auf dieses zurückwirken, wie bereits
bei Sawyer skizziertem Gesprächsrahmen.
Es bleiben jedoch Spannungsmomente auf der Mikroebene, wo es um das künstlerische Indi-
viduum geht. So lässt sich das improvisierte Theater mit Luhmann nach Lösel als eine „Art
subjektloser Prozess von sich bedingenden Anschlussoperationen“59
verstehen und bei
Sawyer sieht Lösel, das „Ideal der Subjektlosigkeit“, wie es beispielsweise für das „group
mind“ gefordert ist wissenschaftstheoretisch unterlegt.
In diesem Kontext lässt sich das Ideal der Subjektlosigkeit sinnvoll interpretieren: Indem es
die Einmischung des Individuums in die Prozesse der kollaborativen Kreativität unterbindet,
schafft es die Bedingungen für emergente Phänomene, denn Alles, was von den Individuen
eingebracht wird, kann per definitionem nicht emergent sein (denn es wäre reduzibel).60
Lösel treibt das in der Ratgeber-Literatur geforderte Sich-Zurückhalten des Spielers zuguns-
ten eines gruppendynamischen Spiels hier auf die Spitze und versucht wissenschaftstheore-
tisch, das Subjekt fast völlig auszulöschen oder ihm nur kleine „spontane Fluktuationen“61
auf
der Mikroebene anzurechnen. Abgesehen davon, dass dies weder bei Fischer-Lichte noch bei
Sawyer der Ausgangspunkt war, da erstere nur von der Frage der Intentionalität des wahr-
nehmenden Subjekts geleitet wurde und letzterer den Individuen aus seiner Forschungsper-
spektive zwar keine große Aufmerksamkeit schenkt, sie aber doch als Ausgangspunkt ansetzt,
stößt Lösel hier auf ein Problem. In der Bestärkung eines starken Emergentismus, der Redu-
zibilität nicht zulässt, eröffnet er einen Widerspruch, denn gleichzeitig stellt er in seiner Ar-
beit die These auf, „dass das heutige Improvisationstheater […] ein Konzept der freien Im-
provisation zugrunde legt, das von der Vision eines freien, schöpferischen Individuums inspi-
riert ist“62
. Ein Widerspruch, der ihm bewusst zu sein scheint, denn er selbst stellt in diesem
Kontext die Frage, „wie die Spieler ihre Freiheit im Spiel zurückgewinnen [können] und wie
dies theoretisch fassbar ist“63
. Ein „Ideal der Subjektlosigkeit“ im Spielschein bedeutet
58 Vgl. Ebd., Kapitel IV. 59 Ebd., S.358. 60 Ebd., S. 369. 61 Ebd., S.401. 62 Lösel, Gunter: „Das Spiel mit dem Chaos“, S.69. 63 Ebd., S.397.
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schließlich nicht, dass keine künstlerischen Subjekte mehr vorhanden sind. Darüber hinaus
steckt im Begriff des Ideals auch nur ein Wunsch, der sich aus einer gewissen Bühnenästhetik
ergibt, in der Realität aber bei weitem nicht immer so umgesetzt wird. Es kann so aussehen,
als gäbe es nur die Gruppe, es kann aber eben auch ein einzelner Spieler besonders auffallen.
Beides ist für die Spielpraxis wohl relevant, spielt aber für die wissenschaftliche Argumenta-
tion eigentlich keine Rolle, denn in beiden Fällen sind künstlerische Subjekte vorhanden. So
stößt der Emergenzbegriff auf einige Ungereimtheiten.
Wolfgang Raible bezeichnet deshalb die durch Improvisation entstandenen Ordnungen, in
diesem Fall auch Narrationen, Muster oder Rahmen nur dann als emergent, sofern sie sozial
und ungeplant sind, nicht aber wenn sie individueller Kreativität geschuldet werden.64
Hier
zeigt sich eine Spaltung, die den Begriff der Improvisation im künstlerischen Bereich vom
Begriff der Improvisation als soziale, alltägliche Verhaltensweise unterscheidet und dieser
Scheidepunkt lässt sich scheinbar am Konzept der Emergenz festmachen. Der Unterschied
liegt dann gerade am Bewusstsein des schaffenden Individuums für sein improvisiertes Ver-
halten, ob es auf dieses zurückgeführt werden kann oder eher Handeln aus einer sozialen Dy-
namik entspricht, die nicht mehr auf die „Einzelteile“ reduzierbar ist.
Geht man mit Fischer-Lichte davon aus, dass Unvorhersehbarkeit und Unmotiviertheit
emergente Phänomene charakterisieren, kann der Begriff dann kaum noch greifen, da die Mo-
tiviertheit der Spieler im Improvisationstheater groß ist, aus den Vorlagen, die sie sagen, hö-
ren, wahrnehmen und selbst gestalten eine Szenerie, eine Narration zu schaffen, die kausal-
chronologisch motiviert ist. Auch wenn kontingente Elemente aufgenommen werden und zu
Beginn nicht vorhersehbar ist, was passiert, steckt ein Subjekt mit einer Intention in Verarbei-
tung und Ausführung dahinter. Sicher ist allerdings, dass Vieles, was nach Fischer-Lichte
emergent in den Beziehungen zwischen Publikum und Akteuren, Akteuren und Akteuren und
Publikum und Publikum auftaucht, Einfluss auf den Wahrnehmungsgrad und das Spielverhal-
ten der Spieler hat und auf diese subtile Weise in die Narrationen eingeht.
Möchte man Fischer-Lichtes, Sawyers und Lösels Überlegungen und Erkenntnisse im Zu-
sammenhang mit den Emergenztheorien für das improvisierte Theater fruchtbar halten,
kommt man bei einem „schwachen Emergentismus“ an, der von Achim zwar für eine Auf-
weichung gehalten wird, die dem Sinn des Konzepts gefährlich werden kann, aber doch be-
reits Gebrauch findet. Dann kann man auf Basis dieser Makrostrukturen, die dann als eigene
narrative Stimmen gewertet werden die Rolle des Subjekts für die Entstehung dieser Stimmen
und der Narrationen weiter verfolgen, denn das narrative Moment an sich, konnte durch diese
64 Raible, Wolfgang: „Adaptation aus kultur- und lebenswissenschaftlicher Perspektive“, S.24.
24
Modelle noch nicht erklärt werden. Von einem starken Emergentismus ist sich im künstleri-
schen Kontext des Improvisationstheater abzugrenzen, da dieser dem Gegenstand nicht ge-
recht werden kann beziehungsweise sogar seine wichtigsten Glieder ausschaltet, die Subjekte,
die das gemeinschaftliche Erlebnis überhaupt erst schaffen.
Wie geht man sonst mit diesen einerseits fruchtbaren Erkenntnissen aus dem Emergenzmodell
für das Improvisationstheater im Allgemeinen und dem andererseits widersprüchlichen Ein-
satzes des Individuums um? Man kann auch den Weg wählen und wie Gabrielle Brandstetter,
die sich mit Tanzimprovisation auseinandergesetzt hat, von der Improvisation im künstleri-
schen Bereich als einem Modell sprechen, dass „Effekte von Emergenz“65
entstehen lässt.
Wie können nun aber diese „Effekte von Emergenz“ mit der subjektiven Intention des Spie-
lers und einer daraus entstehenden gemeinschaftliche Narration in einem theoretischen Mo-
dell verbunden werden? Als auf der Mikroebene ergänzend soll im Folgenden vorgeschlagen
werden, das gemeinschaftliche narrative Moment im Improvisationstheater wissenschaftsthe-
oretisch als Spurenlesen zu verstehen. Was bedeutet das?
III Spuren und Spurenlesen
In einer ersten Assoziation werden Spuren wohl kaum mit dem Improvisationstheater ver-
knüpft, sondern eher mit Jägern, die der Fährte des Wildes folgen, um sich Nahrung zu be-
schaffen oder mit den Hinterlassenschaften des Täters am Ort seines Verbrechens. Das Spu-
renlesen in diesem Sinne versteht sich als eine der ganz grundlegenden Fähigkeiten des Men-
schen, sich in der Welt zu orientieren und zu handeln. Die Spur ist so von größter Bedeutung
für den menschlichen Alltag, sie erlangt in jüngster Zeit aber auch als vielschichtige Episteme
„verstärkt kulturtheoretische Relevanz“66
. In der Vielzahl der Konzepte bleiben den Spuren
gemeinsam, dass sie „gelesen bzw. konstruiert werden müssen und Kontextualisierung erfor-
dern, um Orientierungsbedürfnisse befriedigen zu können“67
. Genau um diese Konstruktions-
und Kontextualisierungsleistung als Orientierung für das Entstehen einer narrativen Szenerie
im Improvisationstheater soll es im Folgenden gehen. Wie kann dieser Transfer gelingen?
1. Verwendung des Spurbegriffs
65 Brandstetter, Gabriele: „Improvisation im Tanz“, S. 148. 66 Hengst, Lutz: „Spur“, S. 672. 67 Ebd., S.674.
25
Der Spurbegriff, wie er im Alltag gebraucht wird, leitet sich vom althochdeutschen spor ab
und bezieht sich in seiner ersten Wortbedeutung auf den hinterlassenen Fußabdruck. Das
Verb spüren steht etymologisch dazu in sehr engem Zusammenhang. Objekt und Tätigkeit
gehen eine elementare Beziehung ein, an der das Besondere ist, dass sich die Tätigkeit jedoch
nicht auf das Machen, sondern auf die Deutung und Verfolgung bezieht, was Sybille Krämer
zum Anlass nimmt, festzustellen und zu fragen:
Nicht also die Entstehung einer Spur, sondern der ihrer Genese nachträgliche Gebrauch ist die zur
Spur scheinbar >passende< Tätigkeitsform. Ist hier schon angelegt, dass erst der Gebrauch als Spur
etwas zu einer Spur macht?68
Mit der Reflexion, was eine Spur zur Spur macht und in welcher Beziehung Objekt und Tä-
tigkeit stehen, wird die alltägliche Verwendung des Begriffs überschritten und auf einen wis-
senschaftlichen Diskurs verwiesen, den Krämers Frage prägnant zusammenfasst und der im
Folgenden kurz skizziert und in seinem narrativen Potential dargestellt werden soll.
Spurdiskussionen finden sich in verschiedensten wissenschaftlichen Kontexten. So wird bei-
spielweise in naturwissenschaftlichen Messungen mit radioaktiven Spuren gearbeitet und in
der Geografie und Vegetationskunde werden Erkenntnisse aus materiellen Spurbefunden ge-
zogen, ähnlich in der Kriminologie, der Archäologie und den Geschichtswissenschaften. Da-
gegen werden Spuren in der Psychologie, Soziologie, in den Philologien und auch wissen-
schaftstheoretisch eher als immaterielle Denkfiguren benutzt. Ein Grenzfall bildet hierbei die
Semiotik69
, die sowohl materielle als auch immaterielle Spuren umfasst, insofern diese als
Zeichen verstanden werden. Die meisten dieser Diskurse bedienen sich dabei transdisziplinär
aus philosophischen Überlegungen und fließen wieder in diese ein. Denn vor allem die Philo-
sophie hat sich der „Spur (griech. ίχνος; lat. vestigium; engl. trace; frz. trace, vestige; ital.
traccia)“70
angenommen und sie von einer ersten metaphorischen Bedeutung eines Abdrucks
oder aufmerksam machenden Males, das auf etwas verweist, was selbst nicht mehr gegenwär-
tig ist zu einem begrifflichen Konzept weiterentwickelt.
Hans-Jürgen Gawoll streicht in einem überblicksartigen Aufsatz zur Spur in der Philosophie
zwei große Tendenzen heraus. Diese Unterscheidung macht er dabei in ihrem Verhältnis zur
zeitlichen Dimension fest, die einen wichtigen Stellenwert im Spurenparadigma einnimmt.
Die Spur „fokussiert gleichsam die drei Dimensionen der Zeit: Das Vorbeigehen des Vergan-
68 Krämer, Sybille: „Was also ist eine Spur“, S.13. 69 Die Diskussion um die Spur als Zeichen oder als Zugang zu einer Art Dingsemantik ist in den Kulturwissenschaften wieder neu entbrannt,
kann hier aber nicht weiter verfolgt werden. In dieser Arbeit wird nach Umberto Eco die Spur als ein Zeichen gedacht, wenn auch ein Zei-chen mit besonderen Eigenschaften, Vgl. Eco, Umberto: Zeichen, S. 67. 70 Gawoll, Hans-Jürgen: „Spur“, S.1550.
26
genen vermittelt sich durch die räumliche Gegenwart der Spur mit der Realisation eines Ziels,
das die Zukunft offenhält“71
. Nach Gawoll kristallisiert sich nun entweder der Fokus auf das
Verhältnis zur Vergangenheit oder auf das Verhältnis zur Zukunft und damit zu einer blei-
benden Trennung von Verursacher und Spur heraus. Selten werden beide Zeitdimensionen
gleichwertig berücksichtigt und die Spur als ein von beiden untrennbarer Prozess gedacht.72
Wird der Bezug zur Vergangenheit behandelt, ist der Begriff der Spur meist auch eng mit dem
der Erinnerung und des Gedächtnisses verknüpft, steht der Moment des Verweises und der
Trennung im Vordergrund, treten eher ontologische Fragestellungen auf.73
Eine tendenzielle Zweiteilung findet sich auch im epistemischen Spurüberblick der Berliner
Philosophin Sybille Krämer, die von Immanenz und Transzendenz spricht, um das „epistemo-
logische Doppelleben“74
der Spur zu beschreiben. Diese Verwendung umfasst die eben skiz-
zierte zeitliche Dimension bei Gawoll in dem Sinne als die Rekonstruktion von Spuren durch
Erinnerung oder Kontextualisierung einem positiven Wissensparadigma der Immanenz ent-
spricht, das versucht, durch Spuren Abwesendes oder Verborgenes in Erkenntnis zu transfor-
mieren. Zugleich schwingt aber auch immer eine Unmöglichkeit von gesichertem Wissen
durch Spurendeutung mit, was sich im dauerhaften und so auch zukunftsbezogenem Entzug
des Spurverursachers zeigt und durch diese Trennung eben erwähnte ontologische Fragen
aufwirft. Im Folgenden sollen nun beispielhaft anhand der Überlegungen Jacques Derridas
und Carlo Ginzburgs die beiden Extrempole des immanenten und dauerhaft entzogenen Spur-
begriffs dargestellt werden, bevor festgelegt wird, wie Spur und Spurenlesen im Laufe dieser
Arbeit verstanden werden soll und welche Rolle sie zur Beschreibung eines narrativen Pro-
zesses einnehmen können. 75
Dabei gilt es zu beachten, dass vor allem Derrida in der konse-
quenten, logischen Fortführung seines Denkens über die transzendentale Frage einer Meta-
physik hinausgeht und den Entzug durch die Spur zugleich mit dem Ende der Metaphysik
radikalisiert.76
a) Der Spurbegriff bei Jacques Derrida
Die Philosophie Jacques Derridas und dadurch auch sein Spurbegriff sind von seiner eklekti-
zistischen Weise zusammenzudenken und logisch konsequent fortzusetzen geprägt. So ver-
71 Gawoll, Hans-Jürgen: „Spur: Gedächtnis und Andersheit“, S.45. 72 An einem solchen prozesshaften Denken des Spurbegriffs arbeitet die bald erscheinende Habilitationsschrift von Dr. Elke Richter und ein
solches Verständnis soll auch im Folgenden mitgedacht werden. 73 Vgl. Gawoll, Hans-Jürgen: „Spur: Gedächtnis und Andersheit“, S.47. 74 Vgl. Krämer, Sybille: „Immanenz und Transzendez der Spur“, S.155ff. 75 Weitere wichtige Spur-Denker, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, wären für ein immanentes Spurverständnis Paul Ricoeur und Emmanuel Levinas für einen transzendenten Bezug. 76 Vgl. Gawoll, Hans-Jürgen: „Spur, Gedächtnis und Andersheit“, S.270.
27
knüpft er Überlegungen zur Phänomenologie Husserls mit der Psychoanalyse nach Freud und
Erkenntnissen aus der Saussureschen Semiotik.77
Für das Folgende ist vor allem der Bezug
zur Semiotik von Interesse. Christian Lavagno fasst Derridas Thesen für diesen Kontext präg-
nant zusammen:
(1) Ein Zeichen verdankt seinen Sinn nicht positiv der Referenz auf einen außersprachlichen Gegenstand,
sondern negativ der Abgrenzung gegen andere Zeichen.
(1‘) Ein Text-Äußeres gibt es nicht.78
Die Vorstellung, dass ein Zeichen sich neben seiner positiven Beziehung des Signifikanten
zum Signifikat auch durch die negative Abgrenzung der Signifikate zu anderen Signifikaten
und der Signifikanten zu anderen Signifikanten konstituiert, ist auf Saussure zurückzuführen,
der Zeichen nicht mehr in ihrer Individualität, sondern in ihrer strukturellen, systematischen
Funktion denkt. Das Zeichen befindet sich in einem ständigen Verweiszusammenhang auf
Oppositionen und erhält seine Identität, Saussure benutzt den Begriff des Werts, durch eine
relativ stabile Stellung im Netzwerk dieser Differenzen. Sprache wird so in einer holistischen
Sichtweise als Form verstanden, in der das System im Vordergrund steht und Zeichen sich
voneinander abgrenzen müssen, um Werte zu erlangen.
Derrida übernimmt nun diese Einsichten Saussures und übersetzt sie in philosophische Kon-
sequenzen. Der differentielle und formelle Charakter des Zeichens in seiner wechselseitigen
Verweisung bedeutet demnach, dass nichts einfach präsent ist. Ein Zeichen ist nie ganz bei
sich, weil es virtuell erst durch alle anderen Zeichen hindurch muss. Es ist also ursprünglich
bereits verspätet und trägt stets die Spuren der anderen Zeichen in sich, durch die es hindurch
gegangen ist und gegen die es sich abgrenzt. Diese ursprüngliche Verspätung setzt Derrida
nun absolut. Das bedeutet auch, dass es kein aus diesem Spiel der Verweise ausgelagertes,
letztes, transzendentes Signifikat mehr geben kann, keinen Ursprung und kein Prinzip, keine
Metaphysik mehr. Für dieses stetige Verweisen führt Derrida den Begriff der différance ein,
der für ihn kein neues Prinzip oder keinen neuen Ursprung darstellt, sondern die Bedeutungen
von frz. différence und différer mitträgt, die eine Differenz und darüber hinaus durch das Verb
eine Verzögerung einen Aufschub darstellen. Die Endung –ance ist dazu charakteristisch für
einen Zustand, der sowohl aktiv als auch passiv fungiert, denn das, was Derrida beschreibt
liegt vor einer Aufspaltung in diese abendländischen, dichotomischen Denkfiguren. Die dif-
férance ist so ein Denkraum ohne Zentrum und ohne Ursprung, erfüllt von einer grenzenlosen
Textur von Differenzen, in denen es kein Innen und kein Außen gibt, denn alles ist Text und
77 Vgl. Ebd., S. 295. 78 Vgl. auch im Folgenden: Lavagno, Christian: „Kleine Einleitung, in die Philosophie von Jacques Derrida“, S.1-11.
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die Welt ist unauslöschlich mit der Sprache verbunden. So erklärt sich auch die These, dass
kein Text-Äußeres in dieser Denkweise existiert: da es keine außersprachlichen Entitäten gibt,
wird auch der Referent hinfällig, weil alles in der Differenzbewegung entsteht und aufgeht.79
Es wurde nun bereits ein Zusammenhang zwischen dem Verweisungsmodus der Zeichen und
der Spur angedeutet. Doch welche Funktion kommt der Denkfigur der Spur genau zu?
Das Spiel von Differenzen setzt in der Tat Synthesen und Verweise voraus, die es verbieten,
daß zu irgendeinem Zeitpunkt, in irgendeinem Sinn, ein einfaches Element als solches prä-
sent wäre und nur auf sich selbst verwiese. Kein Element kann je die Funktion eines Zeichens
haben, ohne auf ein anderes Element, das selbst nicht einfach präsent ist, zu verweisen, sei es
auf dem Gebiet der gesprochenen oder dem der geschriebenen Sprache. Aus dieser Verket-
tung folgt, daß sich jedes ‚Element‘ – Phonem oder Graphem – aufgrund der in ihm vorhan-
denen Spur der anderen Elemente der Kette oder des Systems konstituiert. Diese Verkettung,
dieses Gewebe ist der Text, welcher nur aus der Transformation eines anderen Textes hervor-
geht. Es gibt nichts, weder in den Elementen noch im System, das irgendwann oder irgendwo
einfach anwesend oder abwesend wäre. Es gibt durch und durch nur Differenzen und Spuren
von Spuren.80
Die Spur ist also ein Signifikant, der durch Merkmale konstituiert wird, die andere Signifikan-
ten an ihm hinterlassen und drückt sich selbst auch wieder in andere Signifikanten ein. Die
Spur muss so immer den Umweg über alle Differenzen gehen, ist in dieser Bewegung gar der
Denkraum différance selbst. „Die (reine) Spur ist die *Differenz.“81
So wäre für Derrida die
Spur der absolute Ursprung des Sinnes im Allgemeinen, wenn es einen solchen gäbe, doch
durch ihre ursprüngliche Verspätung ist auch die gedachte Ur-Spur immer bereits verspätet
und durch keinen Begriff der Metaphysik beschreibbar.
Die Spur ist nicht nur das Verschwinden des Ursprungs, sondern besagt […], daß der Ur-
sprung nicht einmal verschwunden ist, daß die Spur immer nur im Rückgang auf einen Nicht-
Ursprung sich konstituiert hat und damit immer zum Ursprung des Ursprungs gerät. Folglich
muß man, um den Begriff der Spur dem klassischen Schema zu entreißen, welches ihn aus
einer Präsenz oder einer ursprünglichen Nicht-Spur ableitete und ihn zu einem empirischen
Datum abstempelte, von einer ursprünglichen Spur oder Ur-Spur sprechen. Und doch ist uns
bewußt, daß dieser Begriff seinen eigenen Namen zerstört und daß es, selbst wenn alles mit
der Spur beginnt, eine ursprüngliche Spur nicht geben kann.82
79 In einer weiteren Konsequenz wird nicht nur der Referent hinfällig, sondern auch ein Subjektbegriff, wie er dieser Arbeit zugrunde liegt,
wird neu beleuchtet. Das Subjekt selbst ist Zeichen, Text. So wären weitere spannende Forschungsfragen, welche Diskurse beispielsweise über das Improvisationstheater durch die Spieler als Text entstehen. Ein Zusammenhang, der hier nur kurz angerissen werden soll, da im
Folgenden ein immanent fokussierter Spurbegriff und damit bereits definiertes Subjektverständnis zum Tragen kommt. 80 Derrida, Jacques: Positionen, S.66. 81 Derrida, Jacques: Grammatologie, S.109. 82 Derrida, Jacques: Grammatologie, S.107f.
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Die Spur bei Derrida ist so Denkfigur für ein semiotisch durchdrungenes Weltverständnis, das
einer weiteren kopernikanischen Wende in der Philosophie gleicht und das auch im weiteren
Verlauf mitgedacht werden sollte.
Auf einer narrativen Ebene greifbarer kann dieser dauerhafte Entzug der Spur so vor allem
vor dem Hintergrund von Widersprüchen, Brüchen, Verschiebungen und polysemischen Nar-
rativen spannende Aspekte entfalten. Hans-Jürgen Gawoll sieht so auch in dieser Gleichset-
zung der différance mit der (reinen) Spur, eine beständige Polysemie verdeutlicht, die nur
dieses neologistische a in das Spiel der Bewegung und Differenzen bringen kann.83
Um dem
narrativen Potential der Spur nun noch auf einer immanenten Weise näher zu kommen, wie
sie dann auch für diese Arbeit operativ fruchtbar gemacht werden kann, ist nun der Zugang
zur Spur und dem Spurenlesen nach Carlo Ginzburg näher zu betrachten.
b) Der Spurbegriff bei Carlo Ginzburg
Der Kulturwissenschaftler und Historiker Carlo Ginzburg betrachtet das Spurenlesen vor al-
lem aus wissenschaftsphilosophischer Sicht als ein Paradigma der Humanwissenschaften, das
er „je nach seinem Kontext als Jäger-, Wahrsage-, Indizien- oder semiotisches Paradigma
bezeichnet“84
. Er verwendet diese Begriffe dabei keineswegs synonym, doch auf Basis einer
gemeinsamen Erkenntnisgrundlage. Er stellt drei Beispiele vor, um diese zu unterstreichen:
den Kunsthistoriker Morelli, der anhand winziger, unbeachteter Details wie Ohrläppchen oder
Fingernägeln Kopien von Originalen unterscheiden kann, den Detektiven Sherlock Holmes,
der aus Ascheresten und Fußabdrücken komplexe Tathergänge rekonstruiert und Sigmund
Freud, der sich von Morellis Methode bei der Entwicklung der Psychoanalyse inspirieren ließ
und aus unbewussten Details in den Erzählungen seiner Patienten Diagnosen stellte. Die Ana-
logie liegt darin, dass „in allen drei Fällen […] unendlich feine Spuren [es erlauben], eine
tiefere, sonst nicht erreichbare Realität einzufangen“85
.
Wissenschaftstheoretisch hat sich so ein Modell entwickelt, das in den Alltagshandlungen der
frühen, im Schlamm hockenden und Spuren suchenden Jäger fußt, dabei deren komplexe
geistige Operationen des Rekonstruierens und Deutens aufnimmt und mit den intellektuellen
Verfahren der Analyse, Konfrontation und Klassifikation auf andere Erkenntniszusammen-
hänge überträgt. Dabei sind vor allem zwei Qualitäten für den Kontext dieser Arbeit entschei-
dend, die Ginzburg bei dieser Art des Spurenlesens hervorhebt. Das ist neben dem Aspekt der
83 Gawoll, Hans-Jürgen: „Spur: Gedächtnis und Andersheit“, S.292. 84 Ginzburg, Carlo: „Spurensicherung“, S. 84. 85 Ginzburg, Carlo: „Spurensicherung“, S.68.
30
semiotischen Verankerung, vor allem der Gedanke des narrativen Moments, das diesem Er-
kenntnisgewinn innewohnt.
Charakteristisch für dieses Wissen ist die Fähigkeit, in scheinbar nebensächlichen empiri-
schen Daten eine komplexe Realität aufzuspüren, die nicht direkt erfahrbar ist. Man kann
hinzufügen: der Beobachter organisiert diese Daten so, daß Anlaß für eine erzählende Se-
quenz entsteht, deren einfachste Formulierung sein könnte: „Jemand ist dort vorbeigekom-
men“. Vielleicht entstand die Idee der Erzählung selbst (im Unterschied zu Zaubersprü-
chen, Beschwörungen und Anrufung) zuerst in einer Gesellschaft von Jägern aus der Erfah-
rung des Spurenlesens.86
Ginzburg selbst betont, dass er damit eine nicht beweisbare Hypothese aufstellt87
, aber allein,
dass sie plausibel aufgestellt werden kann, zeigt wie wichtig das narrative Moment für das
Spurenlesen ist (worauf noch im Zusammenhang mit dem Improvisationstheater zurück zu
kommen sein wird). Das narrative Moment ist dabei vor allem an zwei entscheidenden Punk-
ten verankert. Erstens ist dieses Wissen, das über Spuren zugänglich gemacht wird nie direkt
erfahrbar, sondern immer nur indirekt und meist über scheinbar Unbedeutendes und Neben-
sächliches und muss deshalb gedeutet werden und zweitens ist es nur indirekt erfahrbar, weil
es sich aus einem Ursachen-Wirkungszusammenhang ableitet, der sich auf Vergangenes be-
zieht, auch wenn dieses nur sekundenalt ist.88
Krämer hebt hierbei den Moment hervor, wo sich ein Verständnis von Spur als etwas immer
Entzogenem auch in die positive Wissenskunst, die mit dem Indizienparadigma eigentlich
beschrieben ist, einschleicht und sie sieht auch, wie gerade die individuelle Ausdeutung, die
Erzählung durch die Stimme desjenigen, der die Spur liest, diesen Entzug deutlich macht.89
Eine andere Stimme hätte eine andere Narration erzeugt und dies ist nur möglich, da keine
eindeutige Identifizierung stattfinden kann. In jeder Spur stecken so potentiell so viele Narra-
tionen wie es Spurenleser gibt.
Bei Ginzburg haben sich nun schon einige Charakteristiken der Spur angedeutet und auch wie
sich dieses Deutungsverfahren und damit die Erzeugung einer Narration gestalten können,
doch gerade diese zentralen Aspekte sollen im Folgenden noch griffiger herausgearbeitet
werden.
2) Attribute der Spur und Ebenen des Spurenlesens
86 Ebd., S.70. 87 Ebd., S.70. 88 Vgl. Ebd., S.75. 89 Vgl. Krämer, Sybille: „Immanenz und Transzendenz der Spur“, S. 173.
31
Sybille Krämer, Mitherausgeberin des Bandes Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik
und Wissenskunst, hat sich in ihrer Einleitung genau die Frage gestellt, was eine Spur vor dem
Hintergrund eines alltagsweltlichen Verständnisses und ihrer philosophischen Geschichte
eigentlich ist, und was eine Spur lesen bedeutet. Sie stellt zehn Attribute vor, die eine syste-
matische Herangehensweise nachzeichnen.90
Das entscheidendste Attribut der Spur ist, dass sie in ihrer Anwesenheit die Abwesenheit des-
sen, was sie hervorgerufen hat, bezeugt. Die Spur kann nicht das Abwesende selbst zeigen,
sondern immer nur dessen Nicht-Präsenz verdeutlichen. In der Spur kreuzen sich so Präsenz
und Absenz, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Auch wenn die Spur bestimmte Rückschlüsse
auf das Abwesende zulässt, entzieht sie sich doch der eindeutigen Abbildbarkeit und somit
der eindeutigen Identifikation. Die Abwesenheit ist eine Folge des Zeitenbruchs, denn die
Spur zeigt eben nur das an, was zur Zeit des Spurenlesens irreversibel vergangen ist. „Das
‚Sein‘ der Spur ist ihr ‚Gewordensein‘.“ Der Zeitenbruch verdeutlicht auch, dass Spuren eben
nicht repräsentieren, sondern präsentieren. Hier entziehen sie sich nach Krämer der Definition
eines Zeichens -was noch zu diskutieren sein wird- und es wird deutlich, dass Spuren, da sie
aus einer kausalen Beziehung entstehen, der Welt der Dinge angehören. In ihrer Materialität
sind sie stofflich und treten gegenständlich vor Augen. Dabei können sie sich nur zeigen und
nicht selbst reden. Spuren sind stumm und können nur durch narrative Deutung interpretiert
werden. Der Kommunikationsprozess ist ein einseitiger. Sender und Empfänger können ihre
Position nicht tauschen. Es liegt eine Eindimensionalität und Unumkehrbarkeit im Mittei-
lungsgeschehen vor. Dieser Stummheit schließt sich eine Fremdbestimmtheit der Spur an.
Heteronomie, Medialität und Passivität sind weitere Eigenschaften der Spur. Spuren werden
zum Sprechen gebracht, sie werden wie ein Medium in der Funktion eines Boten gebraucht.
Dabei sind sie abhängig vom Spurenleser, aber auch davon, dass das Material sie überhaupt in
sich einschreiben lässt. Krämers Beispiel, dass auf gefrorenem Sand keine Fußabdrücke blei-
ben können, unterstreicht diese passive Abhängigkeit der Spur von der „Weichheit“ des Mate-
rials.
Das Lesen von Spuren geht dabei immer einher mit einem Bedürfnis nach Orientierung des-
jenigen, der sich auf Spurensuche begibt. Situationen von Unsicherheit und Ungewissheit, in
denen eine Orientierung für das eigene, praktische oder theoretische Handeln erwünscht ist,
werden zum Ausgangspunkt der Spurensuche. Spurenleser verfolgen Spuren mit einer zielge-
richteten Aufmerksamkeit, was für die Spur eine Beobachter- und Handlungsabhängigkeit
90 Vgl. im Folgenden: Krämer, Sybille: „Was also ist eine Spur“, S.14-18.
32
ergibt, denn „etwas ist nicht Spur, sondern wird als Spur gelesen“. Das bedeutet, dass Spuren
erst durch die Wahrnehmung dessen, der sie als Spur liest, entstehen. Sie zeigen sich inner-
halb eines Kontexts gerichteter Aufmerksamkeit, wo nach Krämer durch Selektion zwischen
Spur und Nicht-Spur unterschieden wird. Der Motiviertheit seitens des Spurenlesers wird die
Unmotiviertheit der Spur selbst gegenüber gestellt. Wird eine Spur gewollt gelegt, handelt es
sich nicht mehr um eine Spur, Spuren können nur unabsichtlich hinterlassen werden. In der
Spur kann sich so gerade das Nicht-Intentionale, Unbewusste und Unkontrollierte zeigen. Die
Spur entzieht sich jeder Art von Steuerung. Um jedoch überhaupt wahrgenommen werden zu
können, muss sie aus einer bestimmten Ordnung herausfallen. Wird eine Spur gesehen, han-
delt es sich immer um eine Art Störung. Das bedeutet, dass etwas Unbekanntes in das Ge-
wohnte eindringt, oder etwas Erwartetes ausbleibt. Die Spur hat die Kraft, eine Ordnung zu
stören und Abweichungen hervorzurufen. Diese gestörte Ordnung gilt es dann, durch eine
neue Ordnung zu ersetzen, in die die Spur integriert werden kann. Dies kann nur dadurch ge-
schehen, dass das Ereignis, welches die Spur hervorgerufen hat, als eine neue Erzählung re-
konstruiert wird. Wie aber bereits festgestellt wurde, entzieht sich die Spur einer eindeutigen
Identifikation, daher ist eine Vielzahl solcher Erzählungen möglich. Spuren sind also polyse-
misch. Jede Interpretation bringt die Spur überhaupt erst hervor und kann ihr die unterschied-
lichsten Bedeutungen zuordnen. Somit gelten Interpretativität, Narrativität und Polysemie als
wichtige Attribute der Spur.
In diesen von Krämer aufgelisteten Attributen finden sich einige Dopplungen, Brüche und
Widersprüche zu vorherig skizzierten Spurverständnissen, die aber produktiv als Ausgangs-
punkt für einen hier zu findenden operationellen Begriff des Spurenlesens genutzt werden
können. Dabei werden Krämers zehn Attribute auf drei sich wechselseitig beeinflussende
Ebenen verteilt, die für einen prozessual gedachten Begriff des Spurenlesens entscheidend
sind.
Die erste und den beiden anderen zugrundeliegende, basale Ebene betrifft die Auseinander-
setzung mit dem Zeichencharakter der Spur. Krämer nutzt die Spur in ihrer physischen, ding-
lichen Materialität, um dem postmodernen „unbekümmerten und referenzlosen Flotieren der
Zeichen etwas entgegenzuhalten […], das seine Erdung in einer Art >Dingsemantik< fin-
det“91
. Diese Dinge fungieren dann aber gerade in ihrer essentiellen Verweiskraft auf die Ab-
wesenheit dessen, was vorüber gegangen ist als Zeichen. Auch ist die Zeichenfrage in beiden
skizzierten, wichtigen spurtheoretischen Denkweisen eindeutig beantwortet.
91 Krämer, Sybille: „Was also ist eine Spur“, S.12.
33
Nach Derrida als Repräsentant des postmodernen Weltverständnisses ist den Zeichen nicht zu
entkommen und es fehlt Krämer an durchschlagenden Argumenten, warum die Spur, nur weil
sie stofflich und materiell existiert, in der philosophischen Konsequenz nicht trotzdem als
Zeichen gedacht wird. Die Betonung der Materialität in ihrer eigenen Spezifizität ist in ihrem
Ansatz sehr zu begrüßen, da jede Spur so ihren ganz eigenen Abdruck schafft, doch negiert
dies nicht, dass Spuren als Zeichen gelesen werden können. Darüber hinaus kann mit Carlo
Ginzburg ein Verständnis von Spuren als Zeichen gedacht werden, das seinem Paradigma
sogar den Namen semiotisches Paradigma zugrunde legt und in seiner Wissensgenerierung in
die Nähe der medizinischen Semiotik rückt.92
Auch soll hier noch einmal auf die Semiotik
Umberto Ecos verwiesen werden, der, auch ohne die Spur an sich umfassend zu theoretisie-
ren, diese in seine Zeichenaufteilung integriert und dessen Zeichendefinition allgemein aner-
kannt wird. 93
So kann bereits festgehalten werden, dass die Betonung der Materialität und
Stofflichkeit der Spur bei Krämer in dieser Arbeit unter eine breite Definition des Zeichenbe-
griffs gelegt wird. Der Zeichencharakter wird, abgesehen von Derridas philosophischen
Grundannahmen, vor allem durch seinen Verweischarakter bestimmt. Spuren verweisen auf
etwas, was sie selbst nicht sind und das heißt sie sind in aller erster Linie Zeichen, wenn auch
sehr spezielle. Dieser besondere Charakter liegt im Verweis auf eine Abwesenheit begründet
und fußt somit in der zweiten wichtigen Ebene, die sich auf die besondere Zeitstruktur der
Spur und des Spurenlesens stützt.
Wie Gawoll schon dargelegt hat, verbindet die Spur die drei Dimensionen der Zeit. Sie
kommt aus der Vergangenheit, wird gegenwärtig94
entdeckt und zum Ausgangspunkt für zu-
künftiges Denken und Handeln. An diese Zeitstruktur ist ein bemerkenswertes Verhältnis von
Rezeption und Produktion gekoppelt, das erklärt werden kann, wenn man das Verursachen
der Spur, die Spur selbst und das Lesen der Spur als einen Prozess95
denkt, in dem diese Vor-
gänge in einem engen, nicht voneinander ablösbaren Zusammenhang stehen. Diese Verket-
tung wird auch für den Kontext des Improvisationstheaters im weiteren Verlauf dieser Arbeit
von Interesse sein. Kurz sei hier bereits auf das eingangs vorangestellte Zitat von Keith Johns-
tone verwiesen. Auch beim Improvisationstheater ist der Blick des Spielers stets rezipierend
in die Vergangenheit gerichtet und bezieht sich doch produzierend auf Gegenwart und mögli-
che Zukunftsversionen. 92 Vgl. Ginzburg, Carlo: „Spurensicherung“, S.69. 93 In dieser Arbeit wird für ein Verständnis der Spur als Zeichen und der Zeichendefinition, das ein Zeichen etwas ist, das für etwas anderes
steht, wie bereits erwähnt Umberto Eco gefolgt. Vgl. Eco, Umberto: Zeichen, S. 67 und S.166ff. 94 Der Gegenwartsbegriff wird in der philosophischen Diskussion von Aristoteles bis Sartre (Vgl. beispielsweise Aristoteles. Physik: Vorle-sung über Natur oder Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts) immer wieder diskutiert und auch von Bernhard Waldenfels vor dem
Hintergrund der Philosophie Derridas ausführlich problematisiert. Eine reine Gegenwart kann es demnach nicht geben, da sie immer schon
Spur eines anderen ist. Vgl. Waldenfels, Bernhard: Spiegel, Spur und Blick. Für diese Arbeit wird allerdings aus operationellen Gründen mit einem als existent angenommenen Gegenwartsbegriff gearbeitet. 95 Elke Richter forscht gerade ausführlich an Kategorisierungen der Spur in einem solchen Kontext.
34
Krämers Spur dagegen gleicht eher einer Medaille mit zwei Seiten. Auf der einen Seite gibt es
den Spurproduzenten, der völlig unmotiviert seine Spuren hinterlässt und auf der anderen Sei-
te den Rezipienten, der diese Spur wahrnimmt, sie liest, sie deutet und damit aber auch zum
Produzenten der Spur wird, nimmt man ernst, dass die Spur erst entsteht, wenn sie gelesen
wird. Dies scheint auf den ersten Blick ein dichotomischer Widerspruch. Wenn die Spur erst
entsteht, weil sie gedeutet und kontextualisiert wird, welche Rolle spielt dann der Verursacher
und vor allem die so stark betonte Unmotiviertheit des Verursachers? „Wo etwas als Spur
bewusst gelegt und inszeniert wird, da handelt es sich gerade nicht mehr um eine Spur. […]
Im Unterschied zum Zeichen, das wir erzeugen, ist das Bedeuten der Spur bar jeder Intention
seitens desjenigen, der sie verursacht.“96
Krämer versucht, das Nicht-Intentionale des Spur-
verursachers damit zu erklären, dass es sich bei der Spur nicht um ein Zeichen handelt, was
aber bereits für diese Arbeit als nicht tragbar gesetzt wurde. Es wird nun von der Prämisse
ausgegangen, dass jede Art von Zeichen hauptsächlich im Prozess der Rezeption zu seiner
Bedeutung gelangt. Wenn die Spur prozessual gedacht wird, kann nun zum einen die Seite
des Verursachers betrachtet werden. (Es wird im Folgenden nun auch immer von Verursacher
anstatt von Produzent gesprochen, da die Produzentenrolle beim Spurenlesen zugleich dem
Rezipienten zukommt). Der Verursacher kann nun bewusst Spuren legen97
oder wie in den
meisten Fällen, ein Verständnis, das aus der Jagd und der Kriminologie kommt, diese unbe-
wusst hinterlassen. Von Interesse ist dies nur, wenn der Prozess des Spurenlesens vom Verur-
sacher her gedacht wird. Liegt der Fokus aber auf der zeitlichen Ebene nach dem Aufspüren
der Spur als Spur steht der Prozess des Lesens und Deutens von etwas Abwesendem im Vor-
dergrund. Der Rezipient wird so zum Produzenten der Spur und deren Bedeutung. Diese Rol-
le kann er einnehmen, da ein zeitlicher Abstand zwischen dem Verursachen und dem deuten-
den, Narration erzeugenden Lesen liegt, der ihm diesen subjektiven Interpretationsraum er-
laubt. Somit zeigt sich bereits die dritte Ebene, die entscheidend für das Spurverständnis die-
ser Arbeit ist: die Subjektabhängigkeit des Spurenlesens.
Heteronomie, Medialität, Passivität, Störung, Eindimensionalität, Unumkehrbahrkeit, Be-
obachter-und Handlungsabhängigkeit, Orientierungsleistung, Interpretativität, Narrativität und
Polysemie sind so eine ganze Reihe von Krämers Attributen, die unter der Ebene der Subjek-
tabhängigkeit des Spurenlesens zusammengefasst werden können. Die Bedeutungsgenerie-
rung beim Spurenlesen hängt schließlich davon ab, dass etwas als Spur wahrgenommen wird -
was Krämer als Störung einer Ordnung bezeichnet– und dass sie wahrgenommen wird, weil
96 Krämer, Sybille: „Was also ist eine Spur“, S.16. 97 Ein gutes Beispiel aus der Literatur bietet hier Jorge Luis Borges in seinem Erzählband Fiktionen. Kommissar Lönnrot verfolgt die geleg-
ten Spuren seines Mörders und stirbt.
35
sie Orientierung für Handeln oder Denken geben soll. Die Spur wird also vom spurenlesenden
Subjekt ausgewählt, als Spur zu dienen. Die dafür auffällige Störung spielt nun eine entschei-
dende Rolle, weil der Leser in ihr ein Versprechen sieht. Ein Versprechen auf eine Narration,
die diese Spur nachträglich in eine neue Ordnung überführt. Diese Ebene des Spurprozesses
zeigt, dass der Verursacher nur mehr als Teil der Bedeutungsgenerierung des Lesers erscheint.
Die restlichen Attribute wiederholen genau diesen Blickwinkel, dass der Rezipient der eigent-
liche Produzent der Spur in Gegenwart und Zukunft ist, er aber zugleich durch seine subjekti-
ve Wahrnehmung auch eine Vergangenheit rekonstruiert. Dieser subjektive Aspekt ist der
Grund für den polysemen Charakter des Spurenlesens. Darüber hinaus wird die Polysemie
noch durch potentiell entstehende Spurnetze verstärkt. Jede weitere entdeckte und gelesene
Spur hat die Kraft, die narrative Ordnung zu verschieben und neu auszurichten.
Zusammengefasst lassen sich Krämers Attribute der Spur also in ein prozessuales Verständnis
von Spur einfüttern, das davon ausgeht, dass die Spur ein Zeichen ist. Ein Zeichen, das durch
eine besondere Einbettung in einen zeitlichen Zusammenhang markiert ist, wodurch eine hohe
Interpretationsleistung, geprägt durch dauerhafte Polysemie, seitens des Spurenlesers gefor-
dert ist. Diese Interpretationsanforderung ist das narrative Moment der Spur.
3) Das narrative Moment der Spur im Forschungsüberblick
Das narrative Moment des Spurenlesens nimmt sowohl bei Carlo Ginzburg als auch bei Sybil-
le Krämer eine zentrale Stelle ein und erscheint doch noch sehr abstrakt. Am anschaulichsten
präsentiert es sich bei Carlo Ginzburg, der auf die Humanwissenschaften verweisend, zeigt,
wie das narrative Moment der Spur Erkenntnisse und Wissen erzeugt. Auch hat er selbst als
Historiker Spurenlese betrieben und anhand der Narrativierung von Einzelschicksalen, die er
aus offiziellen Dokumenten herausgelesen hat, die italienische Volkskultur der frühen Neuzeit
rekonstruiert.98
Im Folgenden sollen noch einige andere Beispiele aufgezeigt werden, wie in
der Forschung und auch im performativ-künstlerischem Bereich mit dem narrativen Moment
der Spur bereits gearbeitet wurde und welchen Gewinn dies brachte. Zugleich ergibt sich so
ein kleiner, sehr fokussierter Forschungsüberblick zur Spur und dem produktiven Moment des
Spurenlesens, der dann für das Improvisationstheater zur Anwendung gebracht werden kann.
Im Zusammenhang mit Narrativität mag es so vielleicht seltsam anmuten, dass dieser
Überblick mit einer Arbeit aus der Geografie eingeleitet werden soll. Doch dies verdeutlicht
98 Siehe dazu Ginzburg, Carlo: Die Benandanti. Feldkulte und Hexenwesen im 16. Und 17. Jahrhundert & Der Käse und die Würmer. Die
Welt eines Müllers um 1600 & Hexensabbat.
36
nur die breite Spannweite des Spurenlesens und seiner lohnenden Anwendung auf ver-
schiedenste Gebiete. Gerhard Hard hat sich Erkenntnissen aus der Semiotik und den Ge-
schichtswissenschaften bedient, um das Spurenlesen für eine Theorie und Ästhetik in der Ve-
getation fruchtbar zu machen. Anhand der Untersuchungen von Spuren im Mäusegerste- und
Trittrasen leitete er gesellschaftliche Verhaltensweisen im öffentlichen Raum ab. Die Abdrü-
cke in der Vegetation erzählen so durch seine Wahrnehmung Geschichten über Sozialität in
und mit dieser Umwelt. Dabei geht er auch von der Grundannahme der Spur als Zeichen aus
und stellt das narrative Moment für den Erkenntnisgewinn in den Mittelpunkt. Spurenlesen
charakterisiert er so auch als „narrative Erklärung“ und bindet diese Erklärung an eine Verän-
derung. „Ein Gegenstand (etwas Physisch-Materielles, eine Person, ein Kollektiv, ein Be-
griff…) ist von einem Zustand S1 in einen Zustand S3 übergegangen. Das ist es, was es zu
erklären gibt.“99
Hard unterstreicht durch die in Klammern angeführten potentiellen Gegen-
stände auch sein weites Verständnis von Möglichkeiten, wo Spuren hinterlassen und gelesen
werden können. Die Entstehung der narrativen Erklärung bringt er methodisch sodann mit
einer kreativen Abduktion100
nach Peirce in Verbindung. Ein abduktiver Schluss ist ein
„Schluss von einer Regel und einem Ergebnis auf den zugrunde liegenden Fall“101
. Der As-
pekt des Kreativen bringt nun noch die Ergänzung, dass eine ganz neue Geschichte erfunden
wird, was einer Neu- oder Umkodierung gleichkommt. Zeichen die bereits einmal kodiert
sind, werden zweitkodiert und mit neuer Bedeutung aufgeladen, wobei die Leitfrage immer
bleibt: Ist das eine mögliche Welt? Passen die Dinge in dieser Welt zusammen?102
Letzte Fra-
ge führt zu einem weiteren wichtigen Punkt. Beim Spurenlesen wird ein gewisses Chaos in
eine neue, plausible Ordnung überführt und diese neue Ordnung ergibt sich erst aus der Kon-
textualisierung der Spur, wenn nicht gar der Spuren. Nach Hard erzeugt die narrative Erklä-
rung des Spurenlesens ein sehr komplexes Signifikat, das einer Makro-Spur aus vielen Mikro-
Spuren entspricht. Eine Spur allein sagt selten etwas aus, erst ein Netz von Spuren ermöglicht
eine Vertiefung der Geschichte.103
Mit der Plausibilität der Geschichte verbindet sich ein Er-
zähler, der dahinter steckt und dieser Erzählung selbst Kohärenz verleiht. Die narrative Erklä-
rung ist also immer höchst subjektiv, was im Bereich der Wissenschaft an eine Selbstreferen-
tialität des Spurenlesens gekoppelt ist. Der Spurenleser wird zu einem Beobachter zweier
Ordnungen. Der Beobachter 1. Ordnung sieht, was er sieht und sieht nicht, was er nicht sieht
99 Hard, Gerhard: Spuren und Spurenleser, S.74. 100 Ganz aktuell hat sich Andreas Frings mit der kreativen Abduktion als Methode des Spurenlesens auseinandergesetzt und diese in seinem Aufsatz „Entführung aus dem Detail“ problematisiert. Er kommt zu dem Schluss, dass die Abduktion nach Peirce eher einer Haltung als
einer Methode entspricht, weshalb sie in dieser Arbeit auch nicht als solche zum Tragen kommt. 101 Frings, Andreas: „Entführung aus dem Detail“, S. 121. 102 Vgl. Hard, Gerhard: Spuren und Spurenleser, S.78. 103 Vgl. Hard, Gerhard: Spuren und Spurenleser, S.123.
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und der Beobachter 2. Ordnung, der als Beobachter des Beobachters die Alternativen und die
Auswahl sieht, weiß, dass diese gerechtfertigt werden müssen.104
Spurenlesen, und davor das
Spurenerkennen, sind also immer aktive, selektive und konstruktive Prozesse, die von einem
Subjekt ausgehen und dieses als Erzähler mitdenken muss.
Auch Mirjam Schaub sieht im selbstreferentiellen Moment der Narrativität des Spurenlesens
einen wichtigen Aspekt, den sie vor allem im Zusammenhang mit Kunstwerken und Perfor-
mances betrachtet. Die Analyse dreier Arbeiten von Sophie Calle, Francis Alÿs und Janet
Cardiff zeigt das selbstreferentielle Moment, indem der Betrachter, der Spurenleser, sich nach
dem Betrachteten, der Spur, verbiegt und ihm dies bewusst wird. Es wird eine Art Zwang
ausgeübt, die Spur konsequent zu verfolgen, um eine Geschichte zu Ende bringen zu können.
Dabei sind besonders Momente relevant, in denen Spuren verdichtet oder verdrängt werden
und dabei jeweils andere Geschichten entstehen, was auch mit der potentiellen Schwäche von
Spuren zusammenhängt, dass sie jederzeit überschrieben werden können, aber auch mit ihrer
Kraft, sich neu einzuschreiben. Was besonders in der Kunst auffällig wird, ist dabei die Ver-
führungskraft der Spur. „Die allgemeinste Form dieser Verlockung besteht in dem Verspre-
chen, dass die Spur zu etwas Interessantem, Neuem, Noch-Unerkanntem führt.“105
In der
Kunst wird mit den Erwartungen gespielt, dass die künstlich angelegten Spuren tatsächlich
ihren Verursacher offenbaren, aber auch mit den Enttäuschungen, wenn sie es nicht tun. Der
Rahmen verändert sich hier im Vergleich zum realen Spurensuchen, da zumindest die Mög-
lichkeit auf eine eindeutige Identifizierung besteht. Auf diesen Punkt wird noch im Rahmen
des Improvisationstheaters zurückzukommen sein.
In einem weiteren künstlerischen Rahmen, nämlich der Literatur, hat Sonja Arnold106
die Rol-
le von Spuren untersucht. In den Romanen Der Mensch erscheint im Holozän von Max Frisch
und Johanna von Felicitas Happe geht es jeweils um die Rekonstruktion von Geschichte und
somit um die Erzeugung einer Narration auf Basis einer Spurensuche. Einen zentralen Stel-
lenwert in dieser Untersuchung nehmen dabei Leerstellen ein, die auf den stets vorhandenen
Rest an Unrekonstruierbarkeit sowohl der biografischen als auch der gesellschaftlichen Erzäh-
lung verweisen. Als ästhetische Technik, diese Leerstellen zu umschreiben und mit eigenen
Bedeutungsmöglichkeiten zu füllen, arbeitet Sonja Arnold Montage, Collage und Bricolage
heraus. Fragmente von Spuren werden in neue sinngebende Zusammenhänge gesetzt und
bauen so polysemische aber zugleich aufgrund des Materials nicht beliebige Interpretations-
möglichkeiten auf. Arnold streicht so einen weiteren wichtigen Punkt heraus und das ist ne-
104 Vgl. Ebd., S.128. 105 Schaub, Mirjam: „Die Kunst des Spurenlegens- und verfolgens“, S. 140. 106 Vgl. im Folgenden: Arnold, Sonja: „Geschichte als Spurensuche zwischen Transzendenz und Immanenz in Max Frischs Der Mensch
erscheint im Holozän und Felicitas Happes Johanna“, S.85-100.
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ben der Polysemie die Nicht-Beliebigkeit der Zusammensetzung der Spuren. Auch in einem
künstlerischen Kontext gilt es, die Spuren so miteinander zu verbinden, dass plausible Denk-
zusammenhänge, sinnvoll verwobene Spurennetze als narrative Sequenzen entstehen können.
Auf die Unmöglichkeit eine Spur als rein Gegebenes ohne jeden Kontext zu erzählen, geht
Barbara Hollendonner in ihrer Analyse der Krimiserie CSI ein. Sie untersucht das Verhältnis,
dass das betrachtende, erwartende und kontextualisierende Subjekt im Vergleich zur Materia-
lität der Spur einnimmt und kommt zu dem Schluss, dass „die Vermeidung der Trennung von
Subjekt und materieller Realität durch die Vermeidung der Benennung, der interpretativen
Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung […] dabei aber nur um den Preis der Bedeu-
tungslosigkeit erlangt werden [kann]“107
. Wird die Spur also als rein materiell vorhanden oh-
ne das interpretierende Subjekt gezeigt, kann keine Narration entstehen, da das Subjekt ent-
scheidend für die Entstehung der Spur als Spur ist. Gleichzeitig bedingt die Spur in ihrem
Sein, dass das Subjekt überhaupt narrativ tätig wird.
Die Frage, wie eine historische Narration dann überhaupt zustande kommen kann, wenn es
keinerlei Spuren gibt, beschäftigt Oliver Geisler in seiner Auseinandersetzung mit dem spu-
renüberwuchernden Gras als Leitmotiv des Shoah-Diskurses. Er stellt seiner Arbeit das Zitat
des Historiker Albert D’Haenens voran, das in der von Gerhard Hard abgewandelten, plurali-
sierten Form auch dieser Arbeit vorangestellt wurde: „pas de traces, pas d’histoire“108
. Hier
allein bezogen auf die Historie des Nationalsozialismus. Für Geisler ist das Spurenlesen eine
besondere Form der Lektüre, eines Sehens und Lesens im Raum und die Spur trägt das Ver-
sprechen, das diese Zeichen im Raum Geschichte lesbar machen. Die Erkenntnis der mögli-
chen Spurenlosigkeit durch zeitlichen oder räumlichen Abstand oder eines mangelnden Kon-
textwissens führen dann zu einer Krise des historischen Verstehens, die nicht die Technik des
Spurenlesens selbst betrifft, sondern dessen Möglichkeiten.109
Um eine Narration erzeugen zu
können, stehen Spur und Subjekt also in einer unabdingbaren Lektüre-Verbindung. Barbara
Hollendonner bezeichnet diese Verbindung auch als individual-historisches beziehungsweise
kultur-historisches Archiv.110
Wie Gisela Fehrmann, Erika Linz und Cornelia Epping-Jäger demnach auch betonen sind
„Spuren […] sowohl materielle Aufforderungen zu als auch Ergebnis von Lektüreprozes-
sen.“111
Lesen wird dabei als aktiver Denkprozess verstanden, der die Bedeutung und die Nar-
ration überhaupt erst erzeugt. In Verbindung mit der Spur ist Spurenlesen also ein höchst sub-
107 Hollendonner, Barbara: „Die Spur in CSI und in ausgewählten zeitgenössischen Theorien“, S.152. 108 Geisler, Oliver: „,Gras“-auseinandergeschrieben“, S.52. 109 Vgl. Ebd., S.52-69. 110 Vgl. Hollendonner, Barbara: „Die Spur in CSI und in ausgewählten zeitgenössischen Theorien“, S.143. 111 Fehrmann, Gisela / Linz, Erika / Epping-Jäger, Cornelia: „Vorwort“, S.9.
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jektiver, selektiver und Narrationen konstruierender Semioseprozess, bei dem von einer Auf-
fälligkeit ausgegangen wird, die auf die Abwesenheit eines einzigen klar definierten Signifi-
kats verweist. Die Wahrnehmung der Spur löst bei ihrem Rezipienten einen produktiv-
narrativen Deutungsprozess aus, der den Rezipienten zum Produzenten werden lässt. Einer-
seits bietet die entstehende Narration dann Orientierung für den Spurenleser, aber aufgrund
einer immer vorhandenen Polysemie andererseits kann die ausgehandelte, neue Ordnung stets
in Frage gestellt und der Möglichkeit ausgesetzt werden, nachträglichen Veränderungen zu
unterliegen.
Diese Definition von Spurenlesen wird nun im Folgenden als Grundlage für eine analytisch-
beschreibende Untersuchung des Improvisationstheaters gesetzt, genauer für den Produkti-
onsmodus narrativer Szenen seitens der improvisierenden Spieler. Dabei dienen die drei basa-
len Ebenen, die diesem Spurenleseprozess zugrunde liegen, das Zeichenverständnis, der Ver-
weis auf eine Abwesenheit und die Subjektabhängigkeit des Gelesenen, die aus Krämers At-
tributen systematisch abgeleitet wurden als Untersuchungsparameter. Dies bedeutet ein Vor-
gehen, das methodisch von Ginzburgs Indizienparadigma beeinflusst ist und sich darüber hin-
aus aus den eben dargestellten Forschungszusammenhängen zur Narrativität der Spur bedient,
um zur spezifischen Erzeugung von Narrationen im improvisierten Theater arbeiten zu kön-
nen.
IV SpurenLesen als Erklärungsmodell improvisierter Narrationen
Wie kann das Subjekt in einem als emergent verstandenen, theatralen Improvisationsprozess
gedacht werden? Wo verlaufen die Grenzen eines emergenztheoretischen Zugriffs? Wie kön-
nen die Spieler Narrationen im improvisierten Theater erschaffen? Kann die Denkfigur des
Spurenlesens als Beschreibungsmodell greifen und welche Rückwirkungen hat diese Anwen-
dung dann auf das Paradigma des Spurenlesens und der Spur selbst?
Dies sind die Fragen, die diese Arbeit stellt und für die bereits Antwortgrundlagen aufgezeigt
wurden, die hier nun aufgegriffen und zusammengedacht werden sollen. Der Gegenstand ist
definiert und auch der theoretische Zugang umrissen, nun geht es in einem letzten dritten
Schritt um den Transfer, die Anwendung des Spurenlesens auf das Improvisationstheater.
Dabei gilt es, besonders zu beachten, dass der Rahmen, vor dem diese Theoretisierung statt-
findet ein künstlerischer ist und sich dadurch in bestimmten Grundsätzen von der historischen
Rekonstruktion oder dem Tathergang eines Verbrechens unterscheidet. Es geht hier um einen
40
Gegenstand der als Kunstform gedacht wird und deshalb auch die Spur im Rahmen eines Pro-
zesses sieht, in dem sich alle Beteiligten dieser Form bewusst sind. Es bedeutet darüber hin-
aus aber auch, dass der Spurbegriff mit den Konzepten des Spurenfindens und –lesens sich in
einem sehr weitgefassten Denkraum bewegt und als ein wissenschaftliches Paradigma ver-
standen wird, das künstlerische Prozesse erklären und beschreiben kann. Dies scheint viel-
leicht auf den ersten Blick eine banale Unterscheidung zu sein, unterstreicht aber einen zent-
ralen Aspekt der Perspektive auf den Gegenstand. Während es dem Selbstverständnis des
Kriminalisten und wahrscheinlich auch dem des Historikers entspricht sich als Spurenleser zu
verstehen, trifft dies auf den Improvisationsspieler nicht zu. Die Spuren und das Spurenlesen,
die für das Beschreibungsmodell des Improvisationstheaters herangezogen werden, sind nicht
in einer solchen Binnenperspektive verankert. Es geht also nicht darum, dass Improvisations-
spieler selbst denken; sie legen, lesen oder folgen Spuren, auch wenn diese Begriffe im Fol-
genden so verwendet werden. Diese Verwendung erfolgt, um eine theoretisierende Außenper-
spektive, die das Spurenlesen als wissenschaftlich operatives Beschreibungsmodell nutzt,
durch eine Art Synonymisierung anzeigen zu können. Diesem Blinkwinkel ist auch geschul-
det, dass hier nicht mit Spuren in der Tradition der Gedächtnistheorie nach Platon oder Freud
gearbeitet wird, was den Fokus auf eine innersubjektive Perspektive legen würde.112
Es soll
nun zwar auch um das Subjekt gehen, aber um die beschreibungstheoretische Rolle des Sub-
jekts im Kollektiv bei der Erzeugung einer fiktiven Narration. Wie kann das funktionieren?
Im letzten Kapitel wurden bereits besagte drei Ebenen, die das Spurenlesen bedingen heraus-
gearbeitet, um einen operationellen Rahmen für diese theaterwissenschaftlichen Fragen zu
schaffen. Die allgemeinste Ebene und der erste Parameter ist dabei die der Zeichenhaftigkeit
der Spur
1. Improvisierte Narrationen als Semioseprozesse
Wie bereits definiert, wird das Spurenlesen als ein Narration erzeugender Semioseprozess
verstanden, der in ausgeprägtem Maße von Polysemie und Subjektabhängigkeit markiert ist.
Um diesen Ansatz auf das Improvisationstheater legen zu können, gilt es, auch den theatralen
Improvisationsprozess als einen Zeichenprozess zu denken. Bereits dieser Ansatz unterschei-
det sich von einem emergenztheoretischen Zugriff, der nicht an ein textwissenschaftliches
Denken113
rückgebunden ist.
112 Eine solche Perspektive könnte neben kognitionswissenschaftlichen Ansätzen auch für den Zugang zu einem Zweig des Improvisations-
theaters interessant sein, das sich vor allem therapeutisch versteht und versucht, Erfahrungen zu verarbeiten wie beispielsweise das Playback
Theater. 113 Ein Ansatz, der für einen Literaturwissenschaftler fast selbstverständlich erscheint, aber in anderen Disziplinen durchaus nicht üblich ist,
wie sich in einem Gespräch mit Gunter Lösel gezeigt hat, der sich selbst der Theaterwissenschaft und Psychologie zuordnet.
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Es wird also davon ausgegangen, dass am Ende der Improvisation ein Text entsteht. Dieser
Text kann in verschieden große, narrative Sinneinheiten gegliedert werden, was als Ergebnis
der Überführung wahrgenommener und gelesener Spuren in neue Ordnungen angesehen wird.
Es sind dabei stoffliche Spuren unterschiedlichster Materialität, die als konstituierende Ele-
mente dem Spieler als Anstoß dienen, narrativ tätig zu werden. Im Gegensatz zu Beschrei-
bungsmodi in der Ratgeber-Literatur wird also nicht davon ausgegangen, dass die Narrationen
„von selbst“ oder „aus dem Nichts“ entstehen, auch nicht wie in einem emergentistischem
Modell, dass die Aktivität der einzelnen Individuen kaum eine Rolle spielt, sondern das die
motivierten Spielersubjekte durch ausgewählte, materielle Spuren überhaupt erst angeregt
werden körperlich und verbal, Erzählungen zu konstruieren. Die Materialität bezieht sich da-
bei sowohl auf die sprachlichen Ausdrucksformen als auch die Körperlichkeit der Spieler so-
wie die des Publikums. Daneben kann aber auch alles, was nach Fischer-Lichte Teil der Kon-
stitution des „performativen Raumes“114
ist, als Spur und somit als Ausgangspunkt des narra-
tiven Semioseprozesses dienen. Neben dem Einsatz von Licht und Musik und der Beschaf-
fenheit der Bühnenräumlichkeiten sind das vor allem auch Elemente, die zur Einmaligkeit der
Show beitragen und die sie als emergent bezeichnet, wie die Atmosphäre oder die Geräusch-
kulisse.
Ein in der Spielpraxis des Improvisationstheaters häufig vorkommendes Beispiel hierfür wäre
ein Handy, das vergessen wurde, ausgeschaltet zu werden und dessen Klingeln von den Spie-
lern in die fiktive Welt der Narration übertragen wird. Wird das Klingeln nicht in die fiktive
Welt integriert, bleibt es eines der vielen Zeichen, das im Text dieser einen Show steht und
von jedem Individuum in einer höchst subjektiven Verbindung oder Nicht-Verbindung mit
anderen Zeichen registriert wird. Das entscheidende Moment in seiner Rolle als gelesener
Spur und seinem narrativen Potential für die Szenenproduktion ist nun seine Eingliederung
und damit die selektive Aufnahme dieses Elements in das Spiel und in die gerade entstehende
Narration. Es wird dann zu einem Zeichen, das eine Veränderung in der Szenerie hervorruft
und diese Veränderung verlangt nach einer narrativen Erklärung, wie sie bei Hard und Ginz-
burg bereits dargelegt wurde. Um beim Beispiel des klingelnden Handys zu bleiben, bleibt
nun noch zu klären, was dann eigentlich als abwesend gedacht wird. Denn das, was das Spu-
renlesen als besonderen Zeichenprozess charakterisiert, ist neben der Subjektivität seiner Aus-
legung der Verweis auf eine Abwesenheit, die mit einer besonderen zeitlichen Struktur ein-
hergeht. Das Handy und sein Klingeln aber sind ganz klar in diesem einen Moment der Show
vorhanden. Vor allem das kausal-zeitliche Verhältnis von Spur und Leser wird im Folgenden
114 Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, S.187ff.
42
vor dem Aspekt des Verweises auf eine Abwesenheit für das Improvisationstheater eine Revi-
sion unterzogen.
2. Das abwesende Skript
Was ist das Abwesende, das Vorübergegangene nach dem Modell des Spurenlesens im im-
provisierten Theater?
Im Gegenzug zum dramentextbasierten, inszenierten Theater zeichnet sich das improvisierte
Theater dadurch aus, das seinen Narrationen, die aus mal mehr mal weniger festgelegten
Formen hervorgehen, eine schriftlich fixierte, bereits zuvor bekannte Skriptgrundlage fehlt. In
Theatersportspielen ist die Erzählstruktur über die Spielform meist vordefiniert, was bei freie-
ren Langformen nicht oder nur stützend der Fall ist; aber trotz formeller Rahmung, der Inhalt,
die Geschichte bleibt eine unbekannte Variable. Der eigentliche Text und seine Erzählungen
entstehen erst im Laufe des Improvisationsprozesses selbst und können somit als das, was im
eigentlichen Sinne abwesend ist, definiert werden. Nun kann argumentiert werden, dass jede
theatrale Aufführung ihren Text mit ihren eigenen Bedeutungsnuancen immer erst im hic et
nunc hervorbringt, was auch gar nicht in Frage gestellt werden soll. Das improvisierte Theater
treibt jedoch neben dem allgemeinen Aspekt der Textproduktion vor allem die Erzeugung
narrativer Szenen signifikant in den Vordergrund und dieser narrative Fokus wird dabei von
dem Wissen um die Improvisation geradezu provoziert. Spieler und Publikum haben einen
hohen Erwartungsgrad an das Narration erzeugende Moment, da es bestimmend für das Ge-
lingen oder Misslingen der Improvisation ist.115
Wie bereits definiert, liegt es an den An-
schlussreaktionen eine ordnende, erklärende Erzählung zu ergeben, wie polysemisch sie auch
immer sein mag, und dabei liegt das spannende Moment gerade in der Abwesenheit jeder
skriptbasierten Vorarbeit, die eine wie auch immer geartete Ordnung bereits in Aussicht stellt.
Als permanente Verdeutlichung dieser Abwesenheit zeigt sich die allen Beteiligten bewusste
und potentielle Möglichkeit, kontingente und unvorhersehbare Elemente in den Produktions-
prozess zu integrieren. Als ein Beispiel, das die Abwesenheit, nicht nur des Skripts, sondern
jeglicher vorbereitender Arbeit besonders gut demonstriert, kann eine Show des Bremer Im-
provisationstheaterduos die beiden angeführt werden. Bei der ersten Alsomirschmeckts!-
Theater Impronacht wagten sie das Experiment, den Zuschauern die Möglichkeit einzuräu-
115 Ein Aspekt der noch weiter zu vertiefen wäre, wenn man mit Werner Wolf das Narrative als ein kognitives Schema menschlichen Den-kens sieht, wie auch das Spurenlesen und damit Narrationen erzeugen als Grundlage menschlicher Orientierung in der Welt betrachtet wer-
den kann. Vgl. Wolf, Werner: „Das Problem der Narrativität“, S. 32.
43
men, jederzeit in das Spiel einzugreifen und ebenfalls als Spieler mitzuwirken.116
Diese radi-
kale Offenheit wurde nur begrenzt durch ein Zeitlimit, das festlegte, dass egal, was passiert,
die Show nach einer Stunde beendet wird. Innerhalb dieser Stunde entstanden verschiedenste
narrative Einheiten, die dann am Ende einen Bühnentext ergaben. Dieses Beispiel verdeutlicht
auch besonders gut, die dauerhafte Anwesenheit von Alternativen zu den gewählten narrati-
ven Erklärungen. Es hätte auch sein können, dass niemand aus dem Publikum Lust und Mut
zum Mitspielen gezeigt hätte, dann wären sicherlich andere Erzählungen entstanden. Es hätte
auch sein können, das ein Chaos ausbricht mit vielen Menschen gleichzeitig auf der Bühne,
was ebenso einen starken Einfluss auf die entstehenden Geschichten gehabt hätte.
Das Skript ist also abwesend und so müssen die Geschichten von den Spielern selbst und vor
allem auch gemeinschaftlich gelegt, gelesen und gebaut werden. Doch um dieses gemein-
schaftliche Bauen weiterhin mit dem Spurenlesen als Denkfigur zu sehen, gilt es noch auf die
mit der Abwesenheitsverweisstruktur einhergehende zeitliche Dimension einzugehen.
Spuren im strengen Sinne gibt es nach Krämer nur, „wenn zwei Bedingungen – der >Zeiten-
bruch< und die >Unmotiviertheit< -erfüllt sind“117
. Der Aspekt der Unmotiviertheit wurde
bereits allgemein unter einem prozessualen Spurverständnis verhandelt und bekommt vor
allem durch die künstlerische Rahmung, in der sich der Untersuchungsgegenstand Improvisa-
tionstheater bewegt, eine nebensächliche Bedeutung. Es gilt das als Spur, was als solche gele-
sen wird, seien es nun unmotivierte Raumgeräusche, Körperbewegungen, Stimmlagen, Ver-
sprecher der Spieler oder bewusst ausgestellte Gegebenheiten.
Die zeitliche Dimension spielt nun aber sowohl für das Spurenlesen als auch für das improvi-
sierte Theater eine besondere Rolle. Spuren entstehen erst nachträglich durch das Lesen, so-
wie auch der Text im Improvisationstheater erst nachträglich aus den einzelnen narrativen
Sequenzen der gelesenen und gedeuteten Spuren entsteht. Die Nachträglichkeit der Spur ist
aber eine andere als sie für das Improvisationstheater gilt. „Jemand ist vorbeigekommen“ ist
nach Ginzburg die kürzest mögliche Erzählung, die durch eine Spur produziert wird, denn,
das was im Spurenlesen versucht wird, zu erzählen, ist eine Rekonstruktion. Eine Rekonstruk-
tion, die aber durch ihre Polysemie immer auch die Neukonstruktion einer Narration bedeutet.
Wenn nun das Skript im Improvisationstheater als das Abwesende gilt, müsste es hypothe-
tisch so gedacht werden, als wäre es „vorbeigekommen“. Das Skript wäre dann bereits ge-
schrieben und würde nur „wiederentdeckt“ werden. Diese Art Nachträglichkeit gilt nun aber
nicht für das improvisierte Theater. Die Zeitstruktur im improvisierten Theater zeichnet sich
durch eine sehr komplexe Gegenwart, in der durch fiktionale Aussagen fiktive Vergangenhei-
116 DVD: aka nichts muss. 117 Krämer, Sybille: „Immanenz und Transzendenz der Spur“, S. 164.
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ten, Gegenwarten und Zukunftsmodelle zugleich konstruiert werden, aus. Ginzburgs Satz
würde sich dann eher verhalten wie „ Jemand kommt eben vorbei.“ oder „Jemand kam jetzt
vorbei.“, da oft eine Gleichzeitigkeit des Legens und Lesens vorherrscht. Was ist nun aber
zeitlich gebrochen oder warum trotzdem das Spurmodell?
Das Spurenlesen soll trotzdem herangezogen werden, weil es die Besonderheit zulässt mit
narrativen Momenten aus einer Abwesenheit heraus zu arbeiten. Alle Zeichen, die beim Spie-
lersubjekt einen narrativen Moment auslösen, weil sie auffallen und dabei stets auf das abwe-
sende Skript verweisen werden wie Spuren gelesen, das ist der Ausgangspunkt dieser Arbeit.
Für die Analyse gilt hierbei noch zu beachten, dass einzelne Spieler sicherlich viele Dinge
wahrnehmen und in die Narration einfließen lassen, die der Analyst nicht unbedingt entdeckt,
so können im Folgenden nur beispielhaft körperliche, räumliche und atmosphärische Momen-
te herausgepickt werden, an denen diese Strukturen deutlich, auch durch die Videountersu-
chung sichtbar werden. Diese körperlichen, räumlichen, atmosphärischen Gegebenheiten, die
also von den Spielern als Spurenleser aufgegriffen und in die Narrationen der Szenen einge-
arbeitet werden, sind so Spuren einer Erzählung, die zwar abwesend ist, aber niemals zuvor
da war. Was da war oder ist, sind aber eben diese Gegebenheiten.
Diese können nun sekundenalt sein, dann ist eine zeitliche Verschiebung vorhanden wie bei-
spielsweise im „Harold“ von Jennifer’s Elch als in einer ersten Szene zwischen einem Ehe-
paar, der Mann davon spricht, das er gerne den Rücken gestärkt bekommen würde, was in
einer weiteren Szene die Frau dazu veranlasst, tatsächlich als Figur plastisch den Rücken der
Figur ihres Mannes zu stärken. Die sprachliche Aussage des Mannes wird so als Ausgangs-
punkt aufgefasst, der einer narrativen Erklärung in weiteren Szenen bedarf. Der Wunsch wird
als relevant für eine Erzählung angesehen, die dann aber eben nicht nur sprachlich interpre-
tiert, sondern auch körperlich ausgedeutet werden kann, wie dieses Beispiel sehr gut demons-
triert.118
Wird wie beim „Harold“ generell auf Grundlage einer Publikumsvorgabe gearbeitet
(was auch für die meisten Theatersportspiele gilt), die vor Spielbeginn den Spielern zugerufen
wird und auf deren Basis dann einzelne Assoziationsketten erschaffen werden, kann diese als
eine Art Makrospur gelesen werden, die zeitlich abgesetzt vor allem anderen steht und bei der
auch gewährleistet ist, dass sie zumindest in Teilen von allen Spielern wahrgenommen und so
in die folgenden Narrationen aufgenommen wird. Die Szenerien wurden so davon bestimmt,
was als vorangegangen und somit auch als vergangen wahrgenommen wurde, um darauf ei-
nen neuen narrativen Baustein zu legen. Um beim „Harold“ zu bleiben, bietet hierfür direkt
die erste Szene ein gutes Beispiel. Die Spielerin wird in ihrer Bewegung als irgendetwas es-
118 DVD: Jennifer’s Elch, 07:02 - 07:39.
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send definiert, das der anderen Figur nicht schmeckt. Aufgrund des vorangegangenen „ope-
nings“ muss diese Bewegung nicht sofort neu semantisch aufgeladen werden, da die Bewe-
gung selbst als eine narrative Erklärung der Publikumsvorgabe „Brausedrops“ gelesen werden
kann.119
Ohne diese Vorgabe hätte die Bewegung viel schneller Anlass gegeben selbst Aus-
gangspunkt einer narrativen Erklärung zu werden. Was wäre nun aber, wenn diese Bewegung
noch anhält und darauf schon narrativ aufgebaut wird?
Diese Rolle haben zum Beispiel das Licht und die Hintergrundgeräusche in der Schiffszene
im „Harold“, die die Spieler dazu stimulieren, eine unheimliche Szenerie zu entwerfen.120
Das
Skript ist immer noch abwesend, aber der zeitliche Bruch, der ja nur sekundenalt sein müsste,
ist nicht mehr vorhanden. So steht das Spurenlesen hier, vor allem mit Krämers strenger Defi-
nition, auf wackligen Füßen. Es soll aber trotzdem weiter vom Spurenlesen gesprochen wer-
den, da es in aller erster Linie um die Leseleistung und den narrativen Anspruch einer Spur
geht. Die Konstruktionsanforderung einer auf Kausalität beruhenden Erzählung durch die
Spur steht im Zentrum und lässt die Verursacherdimension und damit auch den Zeitenbruch
hintergründig werden. Die Spur ist das Zeichen, das auf eine Abwesenheit verweist und diese
durch narrative Erklärungen in etwas plausibles Anwesendes überführen will, was dann der
Vorgang des Spurlesens ist. Auf diesen Vorgang des Lesens bezieht sich das hier angewandte
Erklärungsmodell. An diesem Moment zeigt sich so zugleich auch, dass der theoretische Zu-
gang vom Gegenstand nicht unangetastet bleibt, sondern in eine Wechselbeziehung eintritt,
die wie im Folgenden erweiternd und verändernd eingreifen kann. Inwiefern eine solche
„Dehnung“ zulässig ist, bietet natürlich Raum für Diskussion.
Bei einer wie eben beschriebenen Gleichzeitigkeit rückt die Spur dann in die Nähe eines In-
dex, eines Anzeichens. Diese sind aber von einer Eindeutigkeit geprägt, die für das Improvi-
sationstheater nicht charakteristisch sein kann. „Für die Indices ist eine solche Polysemie ge-
rade nicht gegeben“121
, so Sybille Krämer und rückt die Spur dann doch wieder in die Nähe
des Index, denn die Spur trägt vor allem im Falle der Jagd und der Kriminologie, das Ver-
sprechen auf eine sich einstellende Gleichzeitigkeit in sich. „Die Spur wird somit gelesen, als
ob sie ein Index sei.“122
Wenn diese „Indexikalisierung der Spur“ möglich ist, dann kann um-
gekehrt doch auch eine „Spurisierung des Index“ möglich sein, indem etwas das zwar gleich-
zeitig stattfindet, doch auf eine Abwesenheit verweist und damit von Polysemie geprägt ist.
Andreas Frings hat sich auch mit der Frage des Index und seinem methodologischen Potentia-
le für die Rekonstruktion von Vergangenheit in den Kulturwissenschaften beschäftigt und
119 Ebd., 01:25 – 03:56. 120 Ebd., 07:46ff. 121 Krämer, Sybille: „Immanenz und Transzendenz der Spur“, S.164. 122 Ebd., S.165.
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folgt einer Verbindung von Spur und Index, die Krämers Trennschärfe nicht einbezieht. Ein
Index ist nach Frings das Zeichen, das auf einen kausalen Zusammenhang verweist und da-
runter fasst er auch historische Quellen, also auch Spuren.123
Die Erklärung dieser Zusam-
menhänge steht dann im Vordergrund. Er betont somit auch, dass es weniger wichtig ist, zu
benennen, um welche Art Zeichen es sich handelt als die daraus resultierende Tätigkeit des
lesenden Subjekts zu erfahren. Die Lesart steht im Vordergrund und diese kann dann einen
ganz eigenen ästhetischen Wert mit sich bringen.124
Ein solcher Wert entsteht im Improvisati-
onstheater dann durch die narrativen Sequenzen einer Show. Das Improvisationstheater stellt
in seiner kunsthaft narrativen Form diesen Prozess des Erklärens von motivierten, chronologi-
schen Kausalzusammenhängen szenisch dar. Hier kann man noch einmal auf das Schiffsbei-
spiel aus dem „Harold“ zurückgreifen. Es wurde eine unheimliche Atmosphäre geschaffen,
die dann auch begründet sein will, um eine plausible in sich kohärente Narration zu erzeugen.
So kommen dann der unheimliche Schiffsjunge und die verirrte Schiffscrew als narrative Er-
klärung dieser Atmosphäre einleuchtend zum Tragen. Es hätte aber stets auch andere plausib-
le Erklärungen geben können, was überleitet zur Subjektabhängigkeit der selbigen.
3. Das Subjekt im Kollektiv
Das Emergenzmodell nach Sawyer und Lösel betrachtet vorwiegend die Makrostrukturen des
improvisierten Theaters und stellt die Entstehung von Szenen als System dar, was bedeutet,
dass sie von kontingent entstehenden Sätzen, Körperlichkeiten, Atmosphären etc. ausgehen,
die dann einen Rahmen und Anschlussmöglichkeiten bieten, der sich wiederum auf die Fort-
setzung der Szenen auswirkt. Dadurch entstehen Muster, die solange gespielt werden bis ein
neues Muster auftaucht, das wiederum seine Strukturen ausschöpft und erneut abgelöst wird.
An dem Punkt der Entstehung dieser Muster, die hier auch als narrative Verbindungen be-
zeichnet werden sollen und der gemeinschaftlichen Fortführung dieser soll nun durch das
Spurenlesen das aktiv agierende künstlerische Subjekt gesetzt werden.
Das Besondere am improvisierten Theater ist die ständig aktualisierte Verbindung, die zwi-
schen seinen fiktionalen Aussagen und der fiktiven Welt besteht. Der Spieler, der Raum, das
Licht, die Musik sind die ganze Zeit in ihrem eigentlichen phänomenalen Sein vorhanden und
können auch jederzeit als diese wahrgenommen werden. Die Spieler als diejenigen, die die
123 Vgl. Frings, Andreas: „Denunzianten der Vergangenheit“, S.17. 124 Vgl. Ebd., S.25.
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fiktionalen Aussagen treffen sind dabei zugleich Rezipienten und Produzenten der fiktiven
Welt und werden darüber hinaus als Figur ein Teil davon.
Für die Erzeugung einer Narration durch die Spieleraktivität ist nun diese Verschränkung für
das Modell des Spurenlesens besonders ergiebig. Die Spieler selbst sind ständig auf der Suche
nach Orientierung für den weiteren Fortgang der Szene. Sie suchen Anhaltspunkte, um weite-
re Beiträge zur Narration liefern zu können. Man kann sie deshalb als überaus motiviert be-
schreiben, Spuren zu lesen und zu interpretieren. Spuren sind, wie Werner Stegmaier heraus-
gearbeitet hat, höchst attraktive Anhaltspunkte, denn neben einer annähernd sicheren Veror-
tung halten sie immer auch weitere Deutungsspielräume offen
und sofern Deutungsspielräume auch Handlungsspielräume sind, hält man sie sich in der Ori-
entierung auch möglichst offen. Das gilt für Spuren nicht nur, bevor sie nicht kohärent, kon-
sequent und konsistent gedeutet sind, sondern auch danach: sofern sich immer noch neue
Spuren, neue Indizien für eine vielleicht dann andere Logik herausstellen können.125
Diese Offenheit und zugleich aber auch Nicht-Beliebigkeit bilden die fruchtbare Grundlage
auf der das Spielersubjekt im Improvisationstheater agieren kann. Der Spieler ist also immer
mit seinem individual-historischen und kultur-historischem Archiv vorhanden und deutet sei-
ne Umgebung, um daraus narrativ etwas gestalten zu können. Welche Assoziationen ein Spur-
reiz genau in ihm weckt, würde nun wieder in ein psychologisches oder kognitionstheoreti-
sches Feld gehören. Wichtig für die Erzeugung einer Narration ist, dass der Spieler als Sub-
jekt nur das verarbeiten kann, was er gerade wahrnimmt und das Wahrgenommene muss ihm
wichtig genug erscheinen, um interpretiert und in einen narrativen Zusammenhang gesetzt zu
werden. Diese Auswahl und Selektion kann dabei bewusst oder unbewusst geschehen. Ist es
einmal ausgewählt, wird es so verarbeitet, dass der Spieler in seiner Figur einen Beitrag für
die fiktive Welt leistet. Dieser Vorgang wird rein praktisch beim Betrachten einer improvi-
sierten Theatershow nicht immer verfolgbar sein, da oft die Reaktionen und der Lese- und
Interpretationsvorgang sehr schnell gehen und teilweise auch Automatismen abgerufen wer-
den, die sich alltäglicher Handlungen bedienen. In der Theorie betont Helmut Pape neben den
konstitutiven Eigenschaften dieses Wahrnehmens, Auffindens und Erinnerns so auch den
stark reaktiven Aspekt, der in erster Linie auch ohne bewusste oder argumentative Anstren-
gung erfolgen kann. Ist die Aufmerksamkeit dann aber gelenkt, setzt der motivierte Prozess
der Bedeutungsgenerierung ein, der aus Verknüpfungen und Verbindungen resultiert. „Das
125 Stegmaier, Werner: „Anhaltspunkte. Spuren zur Orientierung“, S.87.
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Aufspüren eines veränderlichen Fragments der Welt in seiner Verbindung zu einem anderen
Teil dieser Welt ist das Entstehen eines Zeichens als Spur.“126
Dieser Vorgang kann aber auch besonders deutlich gesehen werden und zwar immer dann,
wenn in der Figur auch der suchende, interpretierende und überlegende Spieler sichtbar wird.
Dies ist zum Beispiel der Fall als in der Show aka nichts muss ein Spieler sich auf einen Stuhl
setzt und zunächst nach einer bestimmten Haltung für seine Figur sucht, der Blick dann an
seinem Fuß hängen bleibt, der sich ein bisschen im Kreis bewegt. Diese Bewegung dient so
dann als Anhalts- und Ausgangspunkt, den er verstärken und so deutlich herausstellen kann,
dass auch der zweite Spieler ihn registrieren muss. Dieser wiederum nimmt eine vorangegan-
gene Sprachspur, die er wiederholt, als ersten Anhaltspunkt. Beide zusammen ergeben wieder
einen neuen Anhaltspunkt für den ersten Spieler und so bildet sich dann nach und nach aus
einem Netz von Verbindungen eine narrative Sequenz.127
Dabei zeigt sich auch, dass die nar-
rative Erklärung für das Fußzucken zu Beginn noch völlig offen scheint, nur dass für diese
Auffälligkeit eine Erklärung gefunden werden muss, ist klar. Mit dem Satz „Ich sehe, es hat
gewirkt“ wird so dann geklärt, dass dieser Zustand durch etwas hervorgerufen wurde und
auch etwas hervorgerufen hat, was vorher nicht da war und ebenfalls Erklärungsbedarf ein-
fordert, um noch einmal an Hards Formel zu erinnern. Ab da bewegen sich die beiden Spieler
dann gemeinsam in einem Zusammenhang, der für diese fiktive Welt plausibel geklärt werden
muss. Auf dieser Ebene kann dann auch die Makroebene, mit der emergenztheoretisch be-
schrieben wird, erkannt werden. Man könnte die Aussage „es hat gewirkt“ als Rahmen ver-
stehen, der dann einen Einfluss auf diese narrative Erklärung hat, doch ist dieser Rahmen auf
das Zurückzuführen, was die Spielerindividuen als Spuren wahrgenommen und gelesen ha-
ben.
Dieses Beispiel zeigt auch, dass die gelesenen Spuren sich nicht nur auf einen anderen Spieler
oder sonstige andere Komponenten des performativen Raums beziehen müssen, sondern auch
der eigene Körper, die eigene Haltung oder Stimme als Anhaltspunkt genommen werden
können. Kleine Bewegungen oder auch Versprecher sind dabei oft kontingente Phänomene,
auf die sich dann gezielt bezogen wird.
Ein Beispiel für das Zusammenwirken von musikalischer und atmosphärischer Untermalung
und der spielereigenen Körperlichkeit als Anhaltspunkt der Narration wäre der Anfang von
aka nichts muss, wo auch von außen beobachtbar ist, wie der Rhythmus der Musik und das
bläuliche Licht sich auf die Körperhaltung, Stimmung und daraus wiederum auf den gespro-
chenen Szenenanteil übertragen. Die Szene ist von einer Schwere geprägt, die sich vor allem
126 Pape, Helmut: „Fußabdrücke und Eigennamen: Peirces Theorie des relationalen Kerns der Bedeutung indexikalischer Zeichen“, S.48. 127 DVD: aka nichts muss, 10:20ff.
49
in der gebeugten Figur darstellt. Die Narration liegt fast auf diesem Rücken, für den es eine
Erklärung zu suchen gilt. Die Szene streicht dann auch heraus, was das für ein Leben ist, das
diese beiden Figuren in der kanadischen Provinz führen.128
Die Sequenzen, die aus diesen Verbindungen oder bildlich-modellhaft gesprochen diesen
Spurennetzen entstehen, entsprechen dann im Idealfall einer konsistenten, kohärenten und
konsequenten narrativen Erklärung einer möglichen fiktiven Welt. Das sind Deutungen, die
aber durch eine neue gelesene Spur stets wieder veränderbar sind und dies zeigt auch, warum
trotz starker subjektiver Interpretationsabhängigkeit gemeinschaftlich eine Narration geschaf-
fen werden kann. Die Spur und ihr narratives Potential sind durch ihre polysemische Grund-
lage immer einer Offenheit verpflichtet, die sie zu einem besonders flexiblen Zeichen macht.
So kann dadurch auch gewährleistet werden, dass neue, scheinbar unpassende Elemente,
Spielerbeiträge oder sich überlagernde Erzählstränge in einer Narration zusammenfinden
können. Diese Vielfalt an Narrationssträngen, die sich dann manchmal überlagern, demons-
triert eine weitere Szene aus aka nichts muss, in der eine Figur, die ihr Baby im Arm einer
anderen Figur abgelegt hat, bereits die Bühne verlassen hatte, wo eine neue Szene beginnt.
Die Figur mit dem Baby im Arm verharrt in der gleichen Körperlichkeit, wird aber nun be-
reits ganz anders bespielt. Die Figur, die ihr das Baby hineingelegt hat, kann diese Körper-
lichkeit noch nicht mit der neuen Szene verbinden und fühlt sich veranlasst, ihr Baby noch
abzuholen, um die Kohärenz und Plausibilität der vorangegangenen Narration wieder herzu-
stellen, was dann wiederum in die neue narrative Sequenz eingegliedert werden muss, da die-
ser Vorgang eine deutlich wahrnehmbare Auffälligkeit darstellt.129
Dieses Beispiel veran-
schaulicht das Bedürfnis nach in sich logischen, Ordnungen, die durch die Gemeinschaft ge-
schaffen, getragen, aber auch stets aufs Neue herausgefordert werden.
So achtet zwar im Idealfall der eine Spieler auf die Beiträge des anderen und versucht mit
seinen eigenen Beiträgen, Konsistenz zu wahren und auch zu schaffen, wie es sich bereits in
der beschriebenen Szene mit dem zuckenden Fuß gezeigt hat, es kann aber auch eine Gleich-
zeitigkeit subjektiver Auslegung bestehen, die erst spät einen gemeinsamen Nenner findet.
Ein Beispiel bietet eine weitere Szene aus aka nichts muss, in der zwei Figuren, die sich im
Gefängnis befinden über einen Hintereingang sprechen und beide diesen Begriff mit ver-
schiedenen Bedeutungen aufladen.130
Die Lacher des Publikums zeigen dabei auch ganz deut-
lich, dass sie die Polysemie erkennen und streichen einen Moment der Unklarheit, aber auch
einen Moment der Möglichkeiten innerhalb der fiktiven Welt heraus. Bei beiden Figuren
128 DVD: aka nichts muss, 04:00. 129 Ebd., 31:35ff. 130 DVD:aka nichts muss: 24:00ff.
50
blitzt auch klar der Spieler im Moment des Erkennens der unterschiedlichen narrativen Aus-
deutung dieses Begriffs auf und dieses Moment, wird so auch zu einem Moment der Kommu-
nikation über den weiteren Verlauf der Narration. Der erste Spieler ergreift sodann die Initia-
tive und lässt seine Interpretation dominieren, doch die zweite Bedeutung und die damit ver-
bundenen Alternativen stehen deutlich im Raum. An diesem Punkt zeigt sich aber auch ein
potentielles Scheitern dieser gemeinsamen Narration, da der zweite Spieler zwar nicht so do-
minant, aber dennoch entschieden bei seiner Narration verharrt, worauf er mit der Aussage
über die tiefe Stimme anspielt. So entstehen kurzzeitig zwei parallele Erzählstränge, die dann
aber wieder mit einem gemeinsamen Bezug auf bereits vorher etabliertes verbunden werden,
wäre dies nicht geschehen, hätte die narrative Erklärung nicht gegriffen und wäre unbefriedi-
gend geblieben.
Die Gemeinschaft, oder um Del Closes Begriff zu verwenden, „group mind“ entsteht also
durch die potentielle Offenheit und gleichzeitige Nicht-Beliebigkeit des Spurenlesens, das
einen narrativen Erklärungszwang auferlegt, der durch höchst motivierte, Orientierung su-
chende Individuen zu befriedigen gesucht wird. Meist entstehen dabei mehrere narrative Ein-
heiten, die über verschiedene wiederhervorgeholte Spuren miteinander verbunden werden und
so das narrative Netz noch über den gesamten Bühnentext des Abends verdichten. Diese kön-
nen dann als Leitmotiv, Muster oder Patterns bezeichnet werden, wie beispielsweise das Mus-
ter der „neuen Mama“131
, welches im Verlauf der Show mehrmals auftritt, jeweils in andere
Kontexte eingebunden und doch Verbindungen schaffend. So können die jeweiligen Unterse-
quenzen, dann immer als narrative Erklärungen dafür verstanden werden, was dieser Umstand
eine „neue Mama“ zu haben oder nicht zu haben bedeutet.
Besonders diese großen Strukturen, die dann auffällig wieder in die kleinen Erzählsequenzen
zurückfallen bieten die Grundlage für emergenztheoretische Erklärungsmodelle und für Del
Closes „the harold emerges“. Das diese Verbindungen besonders im „Harold“ funktionieren
können, lässt sich mit dem Spurenlesen und dem Wunsch, diese Spuren in logisch immer
wieder neu funktionierende erzählerische Zusammenhänge zu setzen, ebenfalls plausibel er-
klären. Da der „Harold“ auf einer Vorgabe und einem dazugehörigen „opening“ beruht, das
noch nicht wirklich narrativ, sondern rein assoziativ potentielle Themengebiete ausschöpft,
wird den Spielern ein gemeinschaftliches Archiv neben ihrem kultur-historischen und indivi-
dual-historischen Archiv direkt vor Spielbeginn zur Seite gestellt. Ein Archiv, das sich in ei-
ner Show wie aka nichts muss erst bilden muss, dafür aber genauso tragkräftig sein kann, wie
oben analysiert. Dieses Archiv des „Harold“ bedeutet nicht, dass die Polysemie der gelesenen
131 Ebd., 21:20, 22:16, 51:44.
51
Spuren damit verschwindet. Es bedeutet nur, dass es wahrscheinlicher ist, dass die Erzähl-
stränge vor dem Hintergrund der Vorgabe und des „openings“ bereits einen Kontext haben,
der ihnen schneller kohärentere, konsistentere und konsequentere Deutungen erlaubt. Neben
den Vorgaben des „Harold“ wird jedoch auch jede Szene an sich bereits durch ihr eigenes
Fortschreiten klarer und weniger polysemisch, da meist auf eine bereits einmal definierte
Sachlage aufgebaut wird. Doch kann eben gerade, wenn diese Art von Narrationserzeugung
als Spurenlese verstanden wird, die potentielle immer nur im Nachhinein mögliche Veränder-
barkeit und Anpassung der Szenen durch die einzelnen Subjekte erklärt werden. Dass Muster
und Patterns immer wieder aufgegriffen werden, kann dann auch als gemeinsamer Anhalts-
punkt verstanden werden, der den Spielern hilft gemeinsam eine fiktive Welt zu schaffen,
denn das ist ihre Motivation. Wenn im Nachhinein oft der Eindruck entsteht, das man nicht
mehr genau aufzählen kann, was von wem kommt, ist dies der Motivation geschuldet, die
jeden einzelnen subjektiven Beitrag wiederum als Grundlage für den gemeinsamen Beitrag,
das gemeinsame Spurenlesen, sieht.
So lässt sich sagen, dass sowohl im „Harold“, dem eine vorgegebene Struktur zugrunde liegt,
also auch in einer so radikal wie möglich freien Show wie aka nichts muss der entscheidende,
auswählende und bedeutungserzeugende Moment beim Subjekt liegt. Zu Beginn dieser Sze-
nen ist natürlich die Freiheit der Deutung am größten, während alles, was folgt auf den bereits
angefangenen narrativen Strengen weitergesponnen wird, woraus dann der zusammenfassen-
de Text einer Show entsteht.
Der Text, der am Ende entstanden ist und der sich durch einzelne narrative Sequenzen durch
den Deutungsanspruch der Spur zusammensetzt, stellt so eine weitere Frage neu, die ebenfalls
in einem emergenztheoretischen Zugriff kein Interesse findet, nämlich die nach der Autor-
schaft dieses künstlerischen Produkts. Wie bereits für den künstlerischen Rahmen aufgezeigt,
ist das Improvisationstheater ein Spurenprozess, für den das Versprechen angelegt ist, das am
Ende die Spuren auf eindeutige narrative Erklärungen festgelegt werden können. Doch diese
Eindeutigkeit muss, wie gezeigt, verneint werden, was mit der Frage der Autorschaft zusam-
menhängt. Es ist in dem theoretisierten Feld nie nur ein Spieler, der diese Erklärungen abgibt.
Die Spieler als Spurenleser sind zwar in ihrer Subjektivität die entscheidenden und auswäh-
lenden Erzähler, doch wird ihre Erzählung, die sie sich für den einen Moment gebaut haben,
bereits im nächsten durch die Erzählung des nächsten Spielers verändert, auf der der nächste
oder der erste Spieler dann bereits wieder aufbaut und so gemeinschaftlich am Narrations-
strang gearbeitet wird. Wie bereits gezeigt wurde, können dabei immer Alternativen mit-
schwingen oder Parallelstränge entstehen. Die Frage der Autorschaft ist also, wie die der nar-
52
rativen Erklärung nicht eindeutig zu beantworten und wohl noch am ehesten im Kollektiv zu
verorten, sie bietet aber auf jeden Fall weitere spannende Ansätze. Es kommt schließlich noch
dazu, dass der Zuschauer, der manchmal Vorgaben geben kann und so einerseits tatsächlich
aktiv eingreift, andererseits auf jeden Fall aktiv rezipiert und vielleicht wieder andere Alterna-
tiven sieht, die am Ende einen neuen, vielleicht auch nur leicht anderen Erzählstrang ergeben.
Insgesamt entscheidend ist jedoch, dass gezeigt wurde, dass das emergenztheoretische Modell
mit den Makrostrukturen von Mustern und Patterns und deren Rückwirkungen arbeiten kann,
aber wie wichtig, die Funktion des deutenden Spielers ist, hat sich erst über das Modell das
Spurenlesens verdeutlicht.
V Fazit und weiterführende Fragen
Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass das Spurenlesen mit der Betonung auf der in-
terpretativen und narrativen Tätigkeit des Lesens zeigt, wie die Entstehung der narrativen Se-
quenzen im westlichen, zeitgenössischen Improvisationstheater von einem Subjekt ausgehend
gedacht werden kann. Das künstlerisch aktiv entscheidende Individuum ist der Ausgangs-
punkt der Narration, da es Spuren als Anhaltspunkte wahrnimmt, auswählt und versucht sie
konsistent, konsequent und kohärent in einer neuen dramatischen Logik zu verarbeiten. Dabei
entsteht das kollektive Erzählen durch die polysemische Flexibilität und ständig veränderbare
Nachträglichkeit dieses Spurenlesens, bei dem so stets jede neue Deutung körperlicher, atmo-
sphärischer oder sprachlicher Art der anderen Spieler mitverarbeitet wird. Es liegt im An-
spruch der Spur, dass sie, wenn sie einmal wahrgenommen wurde, auch gelesen und erklärt
werden muss. Diese Anforderung spielt im künstlerischen Produktionsprozess wie er für das
improvisierte Theater der Gegenwart als Rahmung gilt vor allem für die motivierten, nach
narrativer Orientierung suchenden Spieler als Spurenleser eine wichtige Rolle. Der Spieler
sucht nach Auffälligkeiten, die er interpretierend verarbeiten kann, dabei können diese Auffäl-
ligkeiten seitens anderer Akteure wie Zuschauer, Musiker, Spieler oder Lichtregisseure ge-
wollter Natur oder aber kontingenter Art und völlig unbewusst und unmotiviert sein. Es ist
immer der Spieler, dem die Definitionsmacht solange obliegt, bis ein weiterer Spieler als Spu-
renleser aktiv wird, die Spuren selbst stehen dabei in einem eindimensionalen Kommunikati-
onskontext. Dies gilt vor allem für die aktiv gewollte Produktionsleistung einer Narration.
Daneben greifen immer die bedeutungsgenerierenden Phänomene, die Erika Fischer-Lichte
mit ihrer autopoietischen Feedbackschleife beschreibt und die Anteil an der Textproduktion
53
einer Aufführung haben, aber nicht unbedingt bewusst seitens der Spieler in die narrative
Produktion einbezogen werden. Dazu zählen die positiven oder negativen Stimmungen, die
sich zwischen Spielern und Spielern und Publikum und Publikum und Spielern und Publikum
aufbauen und die sich dann auf die Aufführungsbeschaffenheit im Gesamten auswirken kön-
nen. Diese Stimmungen können auch aktiv von den spielenden Spurenlesern wahrgenommen
und verarbeitet werden, es kann aber eben auch sein, dass sie eher den Grundlagenteppich
bilden, auf denen dann die improvisierten, narrativen Szenen stattfinden.
Die Fragen, wie das Subjekt dann in einem als emergent verstandenden Prozess gedacht wer-
den kann und ob die Denkfigur der Spur das systemtheoretische Modell der Emergenz ergän-
zen oder gar ablösen kann oder sollte, lassen sich sodann zweigleisig beantworten, da auch
der Emergenzbegriff nicht einheitlich verwendet wird. Geht man von Fischer-Lichtes eher
schwachem Emergenzbegriff aus, der hauptsächlich das unmotivierte und damit unvorherseh-
bare Moment in der Bedeutungsgenerierung stützt, dann kann das Spurenlesen im Kontext
des improvisierten Theaters als ergänzend verstanden werden. Das Spurenlesen erlaubt, als
fein detailliertes Erklärungsmodell gedacht, zu beschreiben wie Kontingenz durch das wahr-
nehmende Subjekt in narrative Zusammenhänge übertragen wird. Das ständig entscheidende
Subjekt wählt aus, was aus den vielen angebotenen Reizen verarbeitet wird und dabei können
sowohl unmotivierte als auch motivierte Aktionen einfließen. Für den Betrachter wird es im-
mer unvorhersehbar bleiben, da aufgrund der Individualität jedes interpretierenden Subjekts
und des Zusammenspiels der Subjekte vielleicht Prognosen jedoch keine eindeutigen Vorher-
sagen möglich sind.
Geht man von einem starken Emergenzbegriff aus, den vor allem Lösel seinen Überlegungen
zugrunde legt, der von den Eigenschaften der Irreduzibilität, der Unvorhersehbarkeit und dem
Neuen geprägt ist und den er bei Sawyer entlehnt, dann greift das Erklärungsmodell des Spu-
renlesens vor allem den Punkt der Irreduzibilität an. Das Emergenzmodell wie Sawyer und,
noch verstärkt, Lösel es darlegt, kann vor allem auf einer Makroebene gut zeigen, wie einmal
bereits entstandene Muster und Patterns Rückwirkungen als Rahmung auf den weiteren Sze-
nenverlauf haben, es kann aber auf einer Mikroebene nicht gut erklären, wie diese dann tat-
sächlich entstehen können, da das entscheidende und aktive künstlerische Subjekt nur als rela-
tiver Faktor auf der Mikroebene gewertet wird. Das Spurenlesen mit seinem narrativen Mo-
ment setzt nun aber genau an diesem Punkt an und hat auch den Vorteil, das aus disziplinärer
Perspektive das Improvisationstheater naheliegend als ein aktiver Modus der Textproduktion
gedacht wird und keiner systemtheoretischen Rückkopplung, die auf einer eher fachfremden
Disziplin beruht, bedarf. Es soll nun nicht angezweifelt werden, dass transdisziplinäres Arbei-
54
ten generell nicht sehr ergiebig sein kann. Es hat schließlich auch wichtige Erkenntnisse ge-
bracht, die einen Diskussionsgrundstein offen legen. Man kann aber noch einmal Wolfgang
Raible zitieren, der davon ausgeht, dass alles Lebendige zusammen mehr als die Summe sei-
ner Teile ist, eine Paar oder eine Familie mehr als die einzelnen Menschen und es daher im-
mer einen systemischen Mehrwert gibt, der jedoch nicht immer gleich als emergent zu be-
zeichnen ist, vor allem nicht, wenn diese einzelnen Mitglieder auch noch künstlerisch agie-
ren.132
Damit soll jedoch auch nicht behauptet werden, dass das Beschreibungsmodell des Spurenle-
sens für das narrative Moment im improvisierten Theater der Gegenwart der Weisheit letzter
Schluss ist. Sicher gibt es hier noch viele Ansatzpunkte, die weitere Fragen aufwerfen. Das
Spurenlesen wurde hier gerade für das, was eben auch gemeinschaftlich an Narration entste-
hen kann herangezogen. Eine spannende Frage bleibt, wie es sich verhält, wenn ein einzelner
Spieler improvisiert. Er könnte wohl auch Spurenlesen, aber wo bedient er sich derer? Sein
eigener Körper im performativen Raum mit dem Publikum bliebe weiterhin bestehen, doch
als ein großer Fundus wurden bisher stets die Mitspieler betrachtet und die fielen dann weg.
Auch das systemtheoretische Erklärungsmodell wäre hiermit vor neue Herausforderungen
gestellt, denn es bleibt fraglich, ob die Aktionen eines einzelnen Spielers als System beschrie-
ben werden können.
Zur Frage, wie die fiktive Welt im improvisierten Theater entsteht, wurden durch das Spuren-
lesen bereits einige Anhaltspunkte gegeben, da davon ausgegangen wurde, das der Spieler als
Spurenleser permanent präsent ist und alles, was für ihn dienlich ist, auswählt und durch fikti-
onale Aussagen in die fiktive Welt einfüttert. Spannend und noch ausführlicher in weiteren
Arbeiten zu diskutieren bleiben dabei weiterhin aus kognitionstheoretischer und auch neuro-
wissenschaftlicher Sicht, welche Vorgänge dabei genau im Gehirn die Produktion der Narra-
tion auslösen. Aus semiotischer könnte Sicht könnte es reizvoll sein, die Textproduktion und
die Fragen der Autorschaft weiter zu erforschen. Im Zusammenhang mit der Textproduktion
und der Textfrage steht auch eng verknüpft eine potentielle Werkfrage. Was Werk vor dem
Hintergrund des improvisierten Theater alles bedeuten kann, ist noch ausführlich zu diskutie-
ren. Im Hinblick auf diesen Aspekt ließe sich beispielsweise die Frage stellen, ob das impro-
visierte Theater der Gegenwart mit Umberto Ecos Begriff des offenen Kunstwerks133
zu grei-
fen ist oder ob es vielleicht sogar das offene Kunstwerk, wie Eco es für die moderne Kunst an
sich beschreibt, schlechthin repräsentieren könnte.
132 Vgl. Wolfgang, Raible: „Adaptation aus kultur- und lebenswissenschaftlicher Perspektive“, S.24. 133 Vgl. Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk, Einleitung.
55
Darüber hinaus ist, wie bereits gezeigt wurde, das heutige Improvisationstheater ein noch sehr
unerforschter Gegenstand. So können neben rein semiotisch-ästhetischen Fragen auch sozio-
kulturelle Fragestellungen von Interesse sein. Wie kann das Improvisationstheater beispiels-
weise vor transnationalen oder transkulturellen Paradigmen verhandelt werden? Es handelt
sich hier um eine Kunstform, die sowohl von Amateuren als auch Profis ihren Austausch und
ihre Weiterentwicklung über das Internet, über Podcasts und Foren vorantreibt. Welche kultu-
rellen Einflüsse neben dem bekannten US-amerikanischen, kanadischen und europäischen
Engagement lassen sich hier festmachen? Inwiefern wird das Wissen aus Kulturen, die tradi-
tionell von jeher eher der Oralität und dem Theater ohne Skript verbunden waren, einbezogen,
genutzt oder „wiederentdeckt“? Diese Frage stellt sich unter anderem beim Betrachten von
Keith Johnstones Impro for Storytellers in der 1999er Ausgabe von Faber&Faber. Das Cover
zeigt eine Gruppe Kariben, die um einen Geschichtenerzähler versammelt ist, während das
Buch selbst keinen weiteren Bezug darauf nimmt. Neben diesem produktiven ist vor allem
auch der rezeptive Aspekt noch weitgehend unerforscht. Wer geht eigentlich ins Improvisati-
onstheater und warum? Welche Erwartungen werden damit verknüpft und was ist es, was
dieser Kunstform in den letzten Jahren einen solchen Auftrieb verleiht, das sie auch finanziell
auf einem eigenständigen Markt einen wichtigen Einfluss ausübt?
Neben dem noch sehr offenen Forschungsgebiet des improvisierten Theaters wurde aber auch
noch die Frage gestellt, welche Rückwirkungen die Anwendung der Denkfigur „SpurenLe-
sen“ auf diese selbst hat. Wie bereits in der Analyse geschehen, haben sich Gegenstand und
Theorie wechselseitig vielfach durchdrungen. Von einem engen Spurbegriff im Sinne Krä-
mers wurde sich durch den Fokus auf den Vorgang des Spurenlesens nach und nach entfernt.
Dadurch wurde die Spur teilweiser ihrer Spezifizität beraubt, die sie an historische Narratio-
nen und reine Rekonstruktionen bindet, was für viele Denkbewegungen ihre eigentliche Be-
sonderheit ausmacht. Es stellt sich so die Frage einer wissenschaftlichen Strenge. Darf man
die Spur und das Lesen von Spuren soweit dehnen, dass nur noch Teilaspekte beachtet wer-
den oder beschneidet man damit die Spur in ihrem eigenen Sein? Wie eklektisch darf vorge-
gangen werden, um die Möglichkeit zu haben, sich neuen und komplexen Gegenständen zu
nähern? Der Fokus auf einen prozessual gedachten Spurbegriff, der es erlaubt sich rein auf
den Vorgang des Lesens in seinen eigenen Besonderheiten für das narrative Moment zu be-
ziehen, könnte so schließlich für neue Gegenstandsbereiche fruchtbar gemacht werden. Das
narrative Moment des SpurenLesens noch vor anderen Hintergründen weiter zu erforschen,
bietet so ein weites Feld von Fragestellungen. Gerade wenn bedacht wird, das eine der Grund-
fragen im Umgang mit dem Spurkonzept für Literatur-, Theater- oder Filmwissenschaftler ist,
56
wie dieses operationell nutzbar gemacht werden kann. Sybille Krämer stellt die Frage, ob es
nicht sein kann,
dass das Spurenlesen nicht nur archaischer Restbestand eines >wilden Wissens<, Kinderstube
der Metaphysik, textloses Stadium einer Hermeneutik und instinkthafte Frühform symboli-
scher Grammatiken ist, sondern sich in allen entfalteten Zeichen-, Erkenntnis- und Interpreta-
tionspraktiken aufspüren lässt.134
Der Historiker D’Haenens schlägt mit „pas de trace, pas d’histoire“135
in dieselbe Kerbe und
auch Carlo Ginzburg stellt die Hypothese auf, dass alle Narration mit Spuren ihren Anfang
nahm. Auch vor dem Hintergrund postkolonialer Fragestellungen wird mit dem Literaten und
Philosophen Edouard Glissant136
die Spur bereits produktiv neben philosophischen auch in
narrativen Zusammenhängen gedacht. Die Spur und das Spurenlesen scheinen sich also gera-
dezu anzubieten von Fachrichtungen, die sich mit der Erzeugung von Narrationen beschäfti-
gen auch transdisziplinär weitererforscht und operationalisiert zu werden. Diese Arbeit wollte
neben anregenden Überlegungen zum Gegenstand des improvisierten Theaters einen kleinen
Beitrag zu diesem Schritt in dem ihr möglichen Rahmen leisten.
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134 Krämer, Sybille: „Was also ist eine Spur“, S.11 135 D’Haenens, Ward: Théorie de la trace, zitiert nach Hard, Gerhard: Spur und Spurenleser, S.70. 136 Vgl. hierzu Edouard Glissant: La case du commandeur als Roman oder Le discours antillais als philosophische Schrift.
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Erklärung nach § 6 Absatz 4 bzw. § 22 Absatz 9 des Allgemeinen Teils der Master-
Prüfungsordnung der Universität Bremen
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine ande-
ren als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die ich wört-
lich oder sinngemäß aus anderen Werken entnommen habe, habe ich unter Angabe der Quel-
len als solche kenntlich gemacht.
Bremen, ___________________
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