Post on 20-Jun-2020
transcript
Sozialpädagogische Anamnese
Verfahren für BewohnerInnen des Trainings- und Teilzeitbetreuten
Wohnens
Masterarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Master of Arts
an der Karl-Franzens-Universität Graz
vorgelegt von
Roland SCHÖGLER, bakk.phil.
am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften
Begutachter: Univ.-Prof. Dr.phil. Arno Heimgartner
Graz, 2017
Eidesstattliche Erklärung
Ich versichere hiermit,
dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen
und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfe bedient habe
und dass ich diese Masterarbeit bisher weder im Inland noch im Ausland in irgendeiner
Form als Prüfungsarbeit vorlegt habe.
Graz, ……………………………….
Zusammenfassung
Sozialpädagogische Anamnese dient der Datenerfassung, der Beurteilung von
Entwicklungsständen und der Beobachtung von Potentialen von Menschen. Zu Beginn
einer sozialpädagogischen Betreuung angewandt, stellt die Anamnese einen zentralen
Baustein in der Diagnostik dar und ist Grundlage für die Auswahl individuell passender
pädagogischer Interventionen. Aufgrund unzureichender anamnestischer Verfahren für
die Arbeit mit Menschen mit Behinderung im Wohnbereich, wird der Frage
nachgegangen, wie sich aktuelle sozialpädagogische Methoden der Anamnese auf dieses
besondere Handlungsfeld adaptieren lassen. Ziel dieser Arbeit ist die Entwicklung eines
speziell kreierten anamnestischen Verfahrens, das anhand unterschiedlicher Methoden
auf die Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung im Trainingswohnen und
Teilzeitbetreuten Wohnen zugeschnitten ist. Basis für die inhaltlichen Schwerpunkte des
Anamnesekonzepts bildet die Leistungsverordnung des steirischen Behindertengesetzes
und ihren darin beschriebenen pädagogischen Zielsetzungen. Der in dieser Arbeit
vorgestellte Anamneseprozess zeichnet sich durch das methodische Vorgehen mittels
Fragebögen für BewohnerInnen sowie für Angehörige, speziellen
Beobachtungsverfahren und einem eigens entworfenen Auswertungsbogen aus. Als
Ergebnis liegt eine strukturierte Anleitung für ein anamnestisches Verfahren vor, das
anhand der erstellten Vorlagen von MitarbeiterInnen von Wohneinrichtungen für
Menschen mit Behinderung als methodisches Werkzeug angewandt werden kann.
Abstract
Social pedagogical anamnesis serves to gather data, evaluate developments and observe
potentials of individuals. These case histories are assembled at the beginning of social
pedagogical support and represent a core element of diagnosis used to determine
individualized pedagogical interventions. Current anamnestic procedures in supported
housing are not adapted to people with mental disabilities. This thesis thus investigates
pathways to adapt current social pedagogical methods of anamnesis to this specific area.
The aim is to develop a multi-methodical procedure tailored to working with people with
disabilities in supporting living residences. The suggested anamnestic procedure is based
on foci and pedagogic aims set in the Ordinance of the Styrian Law for People with
Disabilities (Leistungsverordnung des steirischen Behindertengesetzes). The anamnestic
procedure developed in this thesis stands out by combining data from a questionnaire for
residents and relatives, specific observational methods and a custom-developed
evaluation sheet. The results of the thesis offer a structured methodological guide to
perform anamnesis, which is directed to social pedagogical professionals working with
people with disabilities in supported living residences.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ................................................................................................................... 1
2 Behinderung ............................................................................................................... 3
2.1 Behindertenpädagogik ........................................................................................ 5
2.2 Heilpädagogik ..................................................................................................... 6
2.3 Sonderpädagogik ................................................................................................ 7
2.4 Rehabilitationspädagogik .................................................................................... 8
2.5 Integrationspädagogik/Inklusive Pädagogik ....................................................... 9
2.6 Geistigbehindertenpädagogik ........................................................................... 11
3 Normalisierungsprinzip ............................................................................................ 12
4 Wohnen und Behinderung ........................................................................................ 16
4.1 Leistungsverordnung des Landes Steiermark ................................................... 20
4.2 Trainingswohnen und Teilzeitbetreutes Wohnen ............................................. 21
4.2.1 Zielgruppe .................................................................................................... 22
4.2.2 Grundsätze und Prinzipien ........................................................................... 22
4.2.3 Konzeptionelle Grundlagen.......................................................................... 24
5 Der sozialpädagogische Fall ..................................................................................... 26
6 Sozialpädagogische Diagnostik ................................................................................ 29
6.1 Medizinische Diagnostik .................................................................................. 31
6.2 Psychologische-pädagogische Diagnostik ........................................................ 33
6.3 Diagnostik in der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit .................................. 37
6.4 Systemische Diagnostik .................................................................................... 39
6.5 Klassifikationssysteme in der Sozialen Diagnostik .......................................... 42
6.6 Person in Environment (PIE) ............................................................................ 42
6.7 Interntational Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) ....... 47
6.8 Fallrekonstruktive Diagnostik in der Sozialen Arbeit ...................................... 53
6.8.1 Biographische Diagnostik ............................................................................ 53
6.9 Heilpädagogische Diagnostik ........................................................................... 58
6.10 Beobachtung ..................................................................................................... 63
7 Die Anamnese .......................................................................................................... 68
7.1 Arbeitsregeln nach Müller (2008) ..................................................................... 71
7.2 Assessment ........................................................................................................ 79
7.3 Das anamnestische Interview ............................................................................ 82
7.3.1 Interview-Führung ........................................................................................ 83
7.3.2 Art der Kommunikation ............................................................................... 84
7.3.3 Aufbau des Fragebogens .............................................................................. 86
7.3.4 Art des Interviews ........................................................................................ 89
7.3.5 Vorbereitung auf das BewohnerInnen-Gespräch ......................................... 90
7.3.6 Raumgestaltung ............................................................................................ 91
7.3.7 Das Gespräch................................................................................................ 91
7.4 Explorationsgespräch Eltern ............................................................................. 92
7.4.1 Angehörigen-Anamnesebogen ..................................................................... 93
7.5 Einschätzungen des lebenspraktischen Betreuungsbedarfs .............................. 96
7.6 Einschätzungen der persönlichkeitsbezogenen Aspekte ................................... 99
7.7 Einschätzungen der personellen Ressourcen .................................................. 101
8 Resümee ................................................................................................................. 104
Literaturverzeichnis ....................................................................................................... 105
Abbildungsverzeichnis .................................................................................................. 110
Anhang I – Checkliste der Dokumente/Nachweise/Gutachten ..................................... 111
Anhang II – Notfallblatt ................................................................................................ 112
Anhang III – Gesundheitsblatt ....................................................................................... 113
Anhang IV – BewohnerInnen-Anamnesebogen ............................................................ 114
Anhang V – Angehörigen-Anamnesebogen .................................................................. 130
Anhang VI – Assessementblatt ..................................................................................... 148
1
1 Einleitung
Die vorliegende Masterarbeit befasst sich mit der Entwicklung eines sozialpädagogischen
Anamneseverfahrens, das gezielt darauf ausgerichtet ist, seine Anwendung in der vom
Steiermärkischen Behindertengesetz festgeschriebenen Leistung des Trainingswohnens
und Teilzeitbetreuten Wohnens für Menschen mit Behinderung zu finden. Das Wissen
über eine Person, das im Zuge der Anamnese gewonnen wird, dient als Grundlage für
viele Bereiche der pädagogischen Arbeit mit den BewohnerInnen und stellt die Basis dar,
auf der Ziele entwickelt, Bedürfnisse in Erfahrung gebracht und Ressourcen entdeckt
werden. Die zur Anwendung gebrachten Verfahren werden sowohl direkt mit den
BewohnerInnen der betreuten Wohnformen, als auch mit Angehörigen durchgeführt.
Das Anamneseverfahren besteht aus einem BewohnerInnen- und einem Angehörigen-
Fragebogen. Beide anamnestischen Gespräche richten den Fokus auf das Erfragen von
biographischen Fakten und Ereignissen des/der BewohnerIn. Anhand der daraus
gewonnenen Informationen und in Kombination mit kontrollierten und bewussten
Beobachtungen in den ersten Wochen nach dem Einzug ins Trainings- und
Teilzeitbetreute Wohnen, kann mit Hilfe eines entwickelten Assessmentblattes
eingeschätzt werden, in welchen Lebensbereichen der/die BewohnerIn professionelle
Unterstützung benötigt. Auf Grundlage dieser Erhebung können konkrete pädagogische
Maßnahmen, die individuell auf die Bedürfnisse der KlientInnen abgestimmt sind,
entworfen werden.
Der theoretische Teil zu Beginn der Arbeit gliedert sich in zwei größere Kapitel: Im ersten
Kapitel wird neben allgemeinen Begriffen und Ansätzen der Behindertenarbeit genauer
auf die Leistungen Trainings- und Teilzeitbetreutes Wohnen, deren Zweck, Ziele und
Richtlinien Bezug genommen. Für die Anamnese ist die Klärung des Aufgabenbereichs
der Maßnahmen deshalb wichtig, weil durch das Wissen über den pädagogischen
Auftrag, Informationen gezielt eingeholt werden können und den gesamten
Anamneseprozess eine Richtung vorgeben.
Der zweite Teil erörtert die Theorie sozialpädagogischer Diagnoseverfahren. Die
Anamnese wird grundsätzlich als Teil eines gesamten Diagnoseverfahrens betrachtet,
2
trotzdem ist eine gänzliche Abkoppelung zu den anderen diagnostischen Schritten
(Diagnoseerstellung, Maßnahmensetzung und deren Evaluierung) auf Grund der
Prozesshaftigkeit und Zirkularität sozialpädagogischer Diagnoseverfahren nicht möglich.
Dementsprechend bedarf es einer Klärung dieses sehr umfassenden Gebietes dieses
sozialpädagogischen Handlungsfeldes.
Der letzte Teil der Arbeit beschreibt den gesamten Anamneseprozess und deren
methodischen Instrumente zur Erhebung wesentlicher Informationen sowie die
Darstellung der Auswertung.
Auf Grund meiner Tätigkeit als Betreuer im Trainings- und Teilzeitbetreuten Wohnen
konnte ich die hier vorgestellten Verfahren zur Anwendung und Testung bringen. Aus
diesem beruflichen Kontext heraus speist sich auch mein Interesse an diesem Thema und
begründet sich das Wissen um die Wichtigkeit einer sorgfältigen Anamnese in der
Einzugsphase, als Grundlage für nachhaltige pädagogische Interventionsmaßnahmen und
Lernfelder. Nach eingehender Recherche zum Thema Anamnese im betreuten
Wohnbereich von Menschen mit Behinderung wurde für mich ersichtlich, dass konkrete,
auf die Maßnahme ausgerichtete und in der Praxis anwendbare, methodische Werkzeuge
in der Literatur weitgehend unbehandelt sind. Dieser Umstand motivierte mich zur
Erarbeitung eines solchen Verfahrens.
3
2 Behinderung
Behinderung gilt als ein mehrdimensionaler Begriff, der sich in den Disziplinen der
Pädagogik, Soziologie, Psychologie und Medizin etabliert hat. Allerdings sind weder
Sinn noch Grenzen des Begriffs genau geklärt (Bundschuh/Heimlich 2007, S. 34). In der
Alltagsvorstellung wird Behinderung mit feststellbaren organischen Faktoren verbunden,
die sich durch ihre Sichtbarkeit nach außen zeigen (vgl. Biewer 2013, S. 28). Eine
einheitliche Definition in einem wissenschaftlichen Kontext ist aber nicht gegeben, da die
verschiedenen Disziplinen (Medizin, Pädagogik, Psychologie, Soziologie) den Begriff im
Kontext ihrer eigenen wissenschaftstheoretischen Grundlagen und Funktionen jeweils
unterschiedlich fassen (vgl. Dederich 2016, S. 107). Die Definition, entstanden aus einem
bildungstheoretischen Kontext, konzentriert sich auf die Bedeutung von Behinderung
bezogen auf Bildungsprozesse und Bildungsinstitutionen (vgl. Biewer 2013, S. 28),
während die medizinische Definition kausal und klassifikatorisch angelegt ist.
Behinderung im Kontext von soziologischen Theorien orientiert sich unter anderem an
Ausgrenzungs- und Benachteiligungsmechanismen und die Begriffsdefinition aus einer
sozialrechtlichen Perspektive dient verteilungspolitischen Zwecken (vgl. Dederich 2016,
S. 107). Auf Grund der unterschiedlichen Ausrichtungen des Begriffs in den
verschiedenen Disziplinen „ist Behinderung als kontextbedingtes Figur-Hintergrund-
Phänomen zu fassen, das an verschiedenen Deutungs- und Handlungsmuster gebunden
ist und immer nur im Licht der jeweiligen „Optik“ und der mit ihr gekoppelten sozialen
Praktiken erscheint.“ (Dederich 2016, S. 107)
Ganz allgemein erfasst der Behinderungsbegriff immer eine Einschränkung oder ein
Hemmnis, das in der Medizin ein Synonym für angeborene oder erworbene, langfristige
bzw. dauerhafte Schädigung bezeichnet. Einen, aus einem sozialwissenschaftlichen
Kontext, entscheidenden Faktor in der Definition von Behinderung, spielte die
Weltgesundheitsorganisation (WHO), die 1980 zwischen impairment (Beeinträchtigung),
disability (Behinderung) und handicap (Benachteiligung) unterschieden hat. Im Jahr
1997 wurde die Definition abgeändert und disability durch activity (Aktivität) und
handicap durch participation (Teilhabe) ersetzt. Hierin verdeutlich sich die Wende hin
zur Fokussierung auf gesellschaftliche Auswirkungen und Selbstbestimmungsrechte von
Menschen mit Behinderung (vgl. Bundschuh/Heimlich 2007, S. 34).
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Die Folgeerscheinungen von Behinderung müssen dabei relativ betrachtet werden (vgl.
Bleidick 1998, zit. n. Bundschuh/Heimlich 2007, S. 34), da sie immer abhängig von den
gegebenen Normvorstellungen einer Gesellschaft sind (vgl. Bundschuh 1994, zit. n.
Bundschuh/Heimlich 2007, S. 34). Behinderung erhält dadurch eine mehrdimensionale
Bedeutung, die sich aus einem Geflecht von Beziehungen und Relationen zusammensetzt
(vgl. Dederich 2016, S. 109).
Dieser vielschichtige Ansatz von Behinderung findet sich auch in der Definition der
Behindertenrechtskonvention (BRK) der Vereinten Nationen (UN), die 2008 von den
Mitgliedsländern ratifiziert wurde. Diese Begriffsdefinition vom Terminus Menschen mit
Behinderung bezieht sich auf Personen „die langfristige körperliche, seelische, geistige
oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen
Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft
hindern können.“ (Sozialministerium Österreich 2016, S. 6)
Die UN- Behindertenrechtskonvention verfolgt das Ziel, dass Menschen mit Behinderung
die Menschenrechte in gleicher Form genießen können, um damit voll in der Gesellschaft
teilhaben zu können. Die BRK bezieht sich auf die Menschenrechte aus Sicht von
Menschen mit Behinderung und vereint somit das soziale Modell von Behinderung mit
dem Menschenrechtsansatz. Demnach wurde die Wechselwirkung aus einer
längerfristigen Einschränkung einer Person und den Umweltfaktoren definitorisch als
Behinderung festgelegt. Das bedeutet, dass eine Behinderung nicht der Person selbst
zugeschrieben wird. Vielmehr entsteht Behinderung auf Grund der gesellschaftlichen
Auswirkungen einer Beeinträchtigung (vgl. Aichele 2016, S. 456). Die UN-BRK ist ein
internationales Übereinkommen der UN und findet ihren Ausgangspunkt in der Wahrung
der Freiheit und dem Schutz vor Diskriminierung für Menschen mit Behinderung. Für die
Gewährleistung des gleichberechtigen Rechtsgenusses ist eine Verbesserung der
bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen für Menschen mit Behinderung
erforderlich. Daher sind die Begriffe der Partizipation und Inklusion zentraler Bestandteil
der UN-BRK. Aus juristischer Sicht gibt es keinen Rechtsanspruch auf Inklusion oder
Partizipation, da diese Begriffe als Rechtsgrundsatz aufgefasst werden. Schlagend wird
5
ein Grundsatz erst, wenn die tatsächlichen Rechte, wie etwa das Recht auf Bildung, auf
Grund von inklusionsfernen Bedingungen nicht bestehen (vgl. Aichele 2016, S. 456-457).
In der fachspezifischen Literatur, aber auch in der Alltagssprache, finden sich
verschiedene Begriffe für das Tätigkeitsfeld der Arbeit mit Menschen mit Behinderung,
die zwar meist synonym verwendet werden, sich aber in gewisser Weise voneinander
unterscheiden. Im Zuge dieser Arbeit, die pädagogische Maßnahmen für Menschen mit
Behinderung in den Fokus nimmt, ist eine genauere Klärung der Termini erforderlich. In
der Folge werden die, für die Pädagogik relevanten, Begriffe Behindertenpädagogik,
Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Rehabilitationspädagogik, Inklusionspädagogik
sowie Geistigbehindertenpädagogik, als Spezialgebiet erörtert und verglichen.
2.1 Behindertenpädagogik
Behindertenpädagogik wird allgemein als Überbegriff für die Pädagogik für Menschen
mit Behinderung verwendet. Der Begriff wurde nach dem zweiten Weltkrieg im
deutschsprachigen Raum eingeführt, mit dem Motiv der Allgemeinverständlichkeit und
auf Grund der Verbreitung des Begriffs „Behinderung“ in sozialrechtlichen und
politischen Bereichen (Behindertengesetz) (vgl. Bleidick 2016 (1), S. 103-104).
Außerdem wurde damit versucht einen gemeinsamen Begriff für die verschiedenen
bereits verwendenden Bezeichnung wie Heilpädagogik, Sonderpädagogik oder
Rehabilitationspädagogik zu finden (vgl. Biewer 2009, S. 30). Der Begriff Behinderung
ist kein rein pädagogischer Ausdruck, sondern findet sich auch im Sozialrecht oder der
Medizin wieder und muss daher aus einer pädagogischen Perspektive spezifiziert werden.
Behinderung ist für die Pädagogik deswegen relevant, weil sie den üblichen, normalen
Bildungsverlauf beinträchtig, stört, hemmt und/oder unterbricht. Behinderung im
pädagogisch/erziehungswissenschaftlichen Kontext wird somit zu einer intervenierenden
Variable. Dies bedeutet, dass ein spezifisches Eingehen auf das Individuum unter
Berücksichtigung der Behinderung notwendig ist. Beispielsweise erlernen blinde
Menschen die Brailleschrift oder gehörlose Personen die Gebärdensprache.
Einwände zur Verwendung des Begriffs begründen sich damit, dass Behinderung nicht
klar von Nicht-Behinderung abzugrenzen ist. Zudem ist der Terminus durch die
6
sozialrechtliche Sonderstellung von Menschen mit Behinderung mit einer
Stigmatisierung verbunden (vgl. Bleidick 2016 (1), S. 105).
2.2 Heilpädagogik
Der Begriff Heilpädagogik ist die älteste Bezeichnung in der Literatur für Menschen mit
Behinderung, aus einem pädagogischen Blickwinkel. Der Begriff stammt aus dem
Theorie- und Praxisbereich, „der sich auf Erziehung, Unterreicht und Therapie von
Menschen bezieht, die wegen individueller und sozialer Lern- und
Entwicklungshindernisse einer besonderen Unterstützung und Hilfe bedürfen, um ein
menschenwürdiges Leben führen zu können.“ (Speck 2016, S. 124).
Heilpädagogik lässt sich aber auch aus einem medizinischen Kontext betrachten. Auf
Grund der medizinischen Assoziation des Heilens („gesund“, vollständig“, „gerettet“)
kann der Begriff den Erziehungsprozess, der zur Verbesserung der Situation von
Menschen mit Behinderung beitragen soll, in den Hintergrund rücken lassen. Der
Terminus Heilpädagogik verdeutlicht vor allem den, aus dem 19. und frühen 20.
Jahrhundert ausgehenden, Einfluss der Medizin auf die PädagogInnen, die die Disziplin
der Heilpädagogik als eine von der Medizin angeleitete Tätigkeit betrachteten. Die Kritik
des Begriffs der Heilpädagogik richtet sich demnach an die starke medizinische
Verortung. Wendet man sich aber von diesem Begriff völlig ab, so müsste man
konsequenterweise den medizinischen Einfluss, der aber eine wichtige Rolle in der Arbeit
mit Menschen mit Behinderung einnimmt, aus der pädagogischen Arbeit ausschließen
(vgl. Biewer 2009, S. 30). Biewer (2009) argumentiert für die Verwendung des
Heilpädagogik-Terminus, in dem er sich auf Georgens und Deinhardt bezieht, die den
Begriff Mitte des 19. Jahrhunderts aus einem pädagogischen Kontext gewählt haben. Der
Begriff wurde im Zuge der Ausarbeitungen zur Erziehung von Kindern mit einer
Behinderung verwendet und sprach sich bereits sehr früh für eine koedukative und
integrative Erziehungsform aus (vgl. ebd., S. 32).
Heute definiert sich Heilpädagogik als eine Disziplin, die sich in der Theorie und Praxis
mit dem Zustand von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit einer Behinderung
auseinandersetzt und sich mit der personalen Entwicklung, als auch dem sozialen Leben
7
der Betroffenen und Angehörigen befasst. Die Heilpädagogik schließt eine Fülle von
verschiedenen erzieherischen, therapeutischen, didaktischen und rehabilitativen
Arbeitsgebieten ein. Konkret bezieht sich die Heilpädagogik auf folgende Formen von
Behinderung:
Geistige Behinderung
Körperbehinderung
Lernbehinderung
Sprachbehinderung
Hörschädigung
Sehschädigung
Erziehungsschwierigkeiten (vgl. Fornefeld 2000, S. 14).
Relevant für diese Arbeit sind vor allem die Bereiche der geistigen Behinderung und
Lernbehinderung, da die Maßnahmen Trainingswohnen und Teilzeitbetreutes Wohnen
hauptsächlich von jenen Menschen in Anspruch genommen werden.
Bezogen auf die Verwendung des Begriffs Heilpädagogik hebt Speck (2016) hervor, dass
sich der Begriff zwar von der medizinischen Akzentuierung abgelöst habe, in
Deutschland jedoch als Überbegriff nur eine geringe Verwendung findet. Anders ist dies
in Österreich und der Schweiz, wo sich die Bezeichnung Heilpädagogik etablieren
konnte. Als alternative Bezeichnung hat allen voran in Deutschland, aber auch in den
anderen deutschsprachigen Ländern, der Begriff Sonderpädagogik Einzug gefunden (vgl.
Speck 2016, S. 125).
2.3 Sonderpädagogik
Gegenwärtig wird der Begriff der Sonderpädagogik am häufigsten in der
deutschsprachigen, fachspezifischen Literatur verwendet. Die Bezeichnung hat ihren
Ursprung in der Sonderschulpädagogik und die Etablierung des Begriffs ging mit dem
8
Ausbau der Sonderschulen im deutschsprachigen Raum einher. Auf Grund der
Ausbildungen zu SonderschullehrerInnen auf Hochschulen und den Gebrauch des
Begriffs in Dokumenten der Bildungspolitik und Schuladministration Mitte des 20.
Jahrhunderts, setzte sich Sonderpädagogik als Oberbegriff für die Arbeit mit Menschen
mit Behinderung durch. Allerdings ist der Ausdruck wegen der jüngeren Entwicklungen
hin zu integrativen Schulmodellen und einem Abbau von Sonderschulen in Kritik geraten.
Mit dem Verweis auf Sondereinrichtungen, die sich mit partizipativen Grundsätzen
inklusiver Erziehungsformen widersprechen könnten, wurde Sonderpädagogik mit dem
Stichwort „Absonderungspädagogik“ in Verbindung gebracht (vgl. Biewer 2009, S. 29).
Die Bezugnahme auf Absonderung bzw. Aussonderung widerspricht dem
Gleichheitsgrundsatz und führt dazu, dass Menschen mit Behinderung als besondere
Menschen betrachtet werden und nicht als Ausprägungsform menschlichen Daseins (vgl.
Bleidick 2016, S. 173). Außerdem kann das Besondere mit den Euthanasieprogrammen
der Nationalsozialisten in Verbindung gebracht werden, deren Anstalten sich als
Sonderbehandlung oder Sonderbetreuung verstanden (vgl. Rudnick 1990, zit. n. Bleidick
2016, S. 173). Ein weiterer Kritikpunkt im Terminus bezieht sich auf die Tatsache, dass
die universitäre Disziplin der Sonderpädagogik nicht mehr allein im Kontext schulischer
Pädagogik forscht, sondern alle Lebensbereiche und –alter mit ein bezieht (vgl. Biewer
2009, S. 29). Der außerschulische Bereich wollte sich mit der Berufsbezeichnung
HeilpädagogInnen vom sonderschulischen Berufsfeld abgrenzen, wodurch in weiterer
Folge der Oberbegriff Sonder- und Heilpädagogik eingeführt wurde (vgl. Speck 2016, S.
125). Für den Begriff der Sonderpädagogik spricht nach Biewer (2009), dass der Begriff
nicht zwingend negativ konnotiert sein muss. Er stellt fest, dass Sonderpädagogik das
Besondere eines Menschen hervorhebt und eine, in einem positiven Sinne, besondere
Aufmerksamkeit einen Menschen gegenüber entgegenbringt (vgl. Biewer 2009, S. 30).
2.4 Rehabilitationspädagogik
Eine andere, in der deutschsprachigen Literatur häufig zu findende Bezeichnung, ist die
Rehabilitationspädagogik. Dieser Begriff stammt aus dem ehemaligen Ostdeutschland
und ist anfangs auch nur in dieser Region verwendet worden (vgl. Biewer 2009, S. 30).
Rehabilitation galt ursprünglich als Prozess in die Wiedereingliederung von
9
Erkrankten/Verletzten in Arbeit und Beruf. Später wurde der Begriff auf Behinderung
ausgeweitet, mit dem Ziel der gesellschaftlichen Eingliederung in allen Bereichen und
Lebensalter. Der Begriff Rehabilitation ist dabei ein weitgefasster und beinhaltet
unterschiedliche Disziplinen, einschließlich der Pädagogik, die sich dem Thema der
Wiedereingliederung von Menschen mit Behinderung oder von Behinderung bedrohten
Menschen, widmet. Darunter fallen etwa die medizinische Rehabilitation bei
Gesundheitsstörungen mit langfristigen Auswirkungen oder sozial-berufliche
Rehabilitation, die das Ziel der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt von Menschen
mit Behinderung verfolgt (vgl. Ellger-Rüttgardt 2001, S. 88).
Aus pädagogischer Sicht wird die Bezeichnung der Rehabilitation insofern kritisiert, als
dass der Begriff einen technokratischen Anpassungsprozess suggeriert, der Menschen mit
Behinderung zu einem bestimmten Zweck behandelt. In der Pädagogik lehnt man die
Anpassung jedoch ab und verfolgt das Ziel, Menschen mit Behinderung durch Bildung
zu mehr Autonomie zu führen (vgl. ebd., S. 90). Im pädagogischen Kontext ist der
Rehabilitationsbegriff so weit gefächert, dass er nicht unbedingt pädagogische Inhalte
mitinbegriffen haben muss. Jedoch wird durch die Verwendung auf die verschiedenen
Fachgebiete hingewiesen und kann so neue und vielfältige Zugänge öffnen (vgl. Biewer
2009, S. 31).
Als Überbegriffe verwende ich in dieser Arbeit, wie es in der fachspezifischen Literatur
ebenfalls üblich ist, Behindertenpädagogik, Heilpädagogik und Rehabilitationspädagogik
als synonyme Oberbegriffe. Zwar sind alle Bezeichnungen, wie in der Erörterung
beschrieben, mit negativen Konnotationen verbunden, mangels eines „korrekten“
Begriffs ist eine Verwendung jedoch unvermeidlich.
2.5 Integrationspädagogik/Inklusive Pädagogik
Der Ausdruck Integrationspädagogik steht als Gegenbegriff zur Sonderpädagogik. Er
bezeichnet die Nichtaussonderung von Kindern aus dem normalen Regelschulsystem und
kennzeichnet sich durch heterogene Gruppen, mit der Möglichkeit von gemeinsamen
Lern- und Entwicklungsprozessen.
10
Sowohl Kinder mit Behinderung als auch jene ohne sollen die Gelegenheit vorfinden,
voneinander zu lernen und eine Chance haben, in ihrer Unterschiedlichkeit
Entwicklungsprozesse anzuregen (vgl. Bundschuh/Heimlich/Krawitz 2007, S. 141).
Historisch betrachtet gibt es vier Phasen des Umgangs mit Menschen mit Behinderung:
Exklusion, Separation, Integration und Inklusion. Exklusion bedeutete, dass Kinder mit
Behinderung als bildungsunfähig betrachtet und daher vollständig aus dem
Bildungssystem ausgeschlossen wurden. Die Phase der Separation erfolgte in den 60er
Jahren des letzten Jahrhunderts und zeichnete sich durch eine Teilung des Schulsystems
aus, indem Sonderschuleinrichtungen für Menschen mit Behinderung entstanden. Etwa
ein Jahrzehnt später setzte der Trend ein zu einer Vernetzung zwischen den geteilten
Schulsystemen, was zur Integration von behinderten Menschen in das Regelschulsystem
führte. Parallel dazu, erfolgte eine radikale Schulreform, in der gefordert wurde, dass die
gesamte SchülerInnenschaft in ihrer Vielfalt im gleichen Schulsystem unterrichtet wird.
Damit wurde die Inklusive Pädagogik ins Leben gerufen (vgl. Bürli 2016, S. 126-132).
Im Mittelpunkt des pädagogischen Handlungsfeldes der Integrationspädagogik steht die
Förderung der Lern- und Entwicklungsprozesse von Menschen mit Behinderung
innerhalb heterogener Gruppen. Von der Tatsache ausgehend, dass unterschiedliche
Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen gegeben sind, werden im Rahmen
integrationspädagogischer Arbeit Handlungskonzepte reflektiert, die das gegenseitige
Lernen von Personen innerhalb heterogener Gruppen erlaubt. Die Inklusive Pädagogik
verfolgt die gleichen Ziele wie die Integrationspädagogik. Sie gilt aber als
Weiterentwicklung, da sie ein Bildungssystem fordert, in dem alle Kinder und
Jugendlichen von Anfang an gemeinsam in den Kindergarten und die Schule gehen.
Letztendlich soll damit Aussonderung in einem strukturellen Kontext überflüssig werden
(vgl. vgl. Bundschuh/Heimlich/Krawitz 2007, S. 143-145)
Zwar stellt die Schule den Ausgangspunkt inklusiver Pädagogik dar, jedoch geht
Inklusion über diese Belange hinaus. Sie erstreckt sich über die gesamte Lebensspanne
und setzt sich das Ziel, ein wert- und würdevolles Leben zu führen. Sie strebt also nach
Verbesserung der Lebenssituation aller Menschen und im Speziellen für Menschen mit
Behinderung (vgl. Bundschuh 2012, S. 102).
11
2.6 Geistigbehindertenpädagogik
Die Maßnahmenbeschreibung von Trainingswohnen und Teilzeitbetreutem Wohnen
richtet sich nicht explizit an Personen mit geistiger Behinderung, jedoch konnte ich durch
meine Erfahrungen in der mehrjährigen Tätigkeit als Betreuer feststellen, dass das
Angebot hauptsächlich von Menschen in Anspruch genommen wurde, bei denen eine
geistige Behinderung im Vordergrund steht. Dementsprechend lässt sich die Arbeit mit
den BewohnerInnen in die Geistigbehindertenpädagogik einordnen.
Die Geistigbehindertenpädagogik stellt sich die Frage, wie das Leben von Menschen mit
einer geistigen Behinderung durch Erziehung und Förderung entwickelt werden kann.
Diesem Ziel nähert sie sich, indem sie das Leben dieser Menschen erforscht und
entsprechende pädagogische Konzepte entwirft. Diese sind spezifisch ausgerichtet und
abhängig vom Alter und dem Grad der Behinderung der jeweiligen Person. Der
Ausgangspunkt jeder pädagogischen und didaktischen Maßnahme ist die Person mit ihren
spezifischen Bedürfnissen, weshalb aus konzeptionell-didaktischer Sicht von einer
Subjektorientierung gesprochen wird. Außerdem bietet die Geistigbehindertenpädagogik
Spezialeinrichtungen (Wohnheime, Werkstätten etc.), die nicht dem Zwecke der Isolation
dienen sollen, sondern der Förderung der gesellschaftlichen Integration in allen
Lebensbereichen (vgl. Fornefeld 2000, S. 16-17).
Das Aufgabenspektrum der Geistigbehindertenpädagogik ist weitläufig und
interdisziplinär ausgerichtet. Auf Grund der Tatsache, dass mit Menschen in allen
Lebensaltern gearbeitet wird, unterscheiden sich die pädagogischen Maßnahmen je nach
Lebensphase der KlientInnen. Sie deckt aber nicht nur alle Lebensalter ab, sondern auch
alle Lebensbereiche, woraus folgende konkrete Aufgabenbereiche der
Geistigbehindertenpädagogik abgeleitet werden:
Humangenetische Beratung/Pränatale Diagnostik
Frühdiagnose und Therapie
Medizinische Therapien und Versorgung
Juristische Hilfen (Behindertenrecht)
12
Soziale Hilfen/Hilfen zur Eingliederung
Psychologische Hilfen (Krisenintervention und Therapien)
Schulische Erziehung und Bildung
Berufsvorbereitung und Arbeit
Hilfen zur Freizeitgestaltung
Weiterbildung/Erwachsenenbildung
Wohnen in unterschiedlichen Institutionen
Assistenz im Alter/Sterbebegleitung (vgl. Fornefeld 2000, S. 18-19).
Wie die Heilpädagogik allgemein ist auch die Geistigbehindertenpädagogik abhängig von
den Einflüssen und Erkenntnissen anderer Disziplinen. Die Medizin gibt Antworten auf
behindertenspezifische medizinische Fragen (z.B. Ursachen von Hirnschädigungen), die
Psychologie erklärt innerpsychische und zwischenmenschliche Prozesse (Wahrnehmung,
Denken, Handeln etc.), während die Einflüsse der Soziologie auf die wechselseitigen
Zusammenhänge von geistiger Behinderung und Gesellschaft verweisen. Außerdem
fließen die Bereiche der Rechtswissenschaften, Philosophie und Allgemeine Pädagogik
in die pädagogische Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung ein (vgl. ebd., S. 23-
24).
3 Normalisierungsprinzip
Das Normalisierungsprinzip geht auf den Dänen Bank-Mikkel aus dem Jahr 1959 zurück,
das Menschen mit Behinderung dazu verhelfen sollte, ein möglichst normales Dasein
führen zu können (vgl. Fornefeld 2000, S. 136) und ist Grundlage für integrative Modelle,
wie zum Beispiel das gemeindenahe Wohnen, offene Hilfen, integrative Arbeitsgruppen
oder Erwachsenbildung für Menschen mit Behinderung (vgl. Beck 2016, S. 154-155).
Nirje hat diesen Gedanken in den 1970er Jahren aufgegriffen und durch acht Forderungen
und Grundprinzipien konkretisiert:
13
„Ein normaler Tagesrhythmus: Schlafen, Aufstehen, Anziehen, Mahlzeiten,
Wechsel von Arbeit und Freizeit – der gesamte Tagesrhythmus ist dem
altersgleicher Nichtbehinderter anzupassen.
Trennung von Arbeit-Freizeit-Wohnen: Klare Trennung dieser Bereiche, wie
das bei den meisten Menschen der Fall ist. Das bedeutet auch: Ortswechsel und
Wechsel der Kontaktpersonen. Es bedeutet ferner, täglich Phasen von Arbeit zu
haben und nicht nur einmal wöchentlich eine Stunde Beschäftigungstherapie. Bei
Heimaufenthalt: Verlagerung der Aktivitäten nach außen.
Normaler Jahresrhythmus: Ferien, Verreisen, Besuche, Familienfeiern; auch
bei Behinderten haben solche, im Jahresverlauf wiederkehrenden Ereignisse,
stattzufinden.
Normaler Lebenslauf: Angebot und Behandlung sollen klar auf das jeweilige
Lebensalter bezogen sein (auch der geistig Behinderte ist Kind, Jugendlicher,
junger Erwachsener usw.).
Respektierung von Bedürfnissen: Behinderte sollen soweit wie möglich in die
Bedürfnisermittlung einbezogen werden. Wünsche, Entscheidungen und
Willensäußerungen Behinderter sind nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern
auch stark zu berücksichtigen.
Angemessene Kontakte zwischen den Geschlechtern: Geistig Behinderte sind
Jungen und Mädchen, Männer und Frauen mit Bedürfnissen nach
(anders)geschlechtlichen Kontakten. Diese sind ihnen zu ermöglichen.
Normaler wirtschaftlicher Standard: Dieser ist im Rahmen der sozialen
Gesetzgebung sicherzustellen.
Standards von Einrichtungen: Im Hinblick auf Größe, Lage, Ausstattung usw.
sind in Einrichtungen für geistig Behinderte solche Maßstäbe anzuwenden, wie
14
man sie für uns „Normale“ für angemessen hält.“ (Thimm 1984, zit. n. Thesing
1989, S. 47-48)
Ausgangspunkt für diese Prinzipien war die Forderung nach einer grundlegenden,
nachvollziehbaren Alternative in der Betreuung von Menschen mit Behinderung. Zuvor
herrschte das Dogma des Ver- und Bewahrens in Form von Segregation und
Diskriminierung in zentralisierten Anstaltsunterbringungen und dem Paradigma des
biologischen Menschenbilds von Personen mit Behinderung, das keine pädagogische
Perspektive bot (vgl. Ferber 1986, zit. n. Beck 2016, S. 154). Das Verständnis von
Normalisierung, auf dem das Normalisierungsprinzip basiert, ist auf zwei Ebenen zu
betrachten: Auf der Ebene des Lebensstandards bedeutet Normalität anerkannte und
gleichberechtigte Lebensbedingungen, sowie Wahl- und Partizipationsmöglichkeiten.
Die Ebene der Individualität bezieht sich auf den Respekt gegenüber dem Individuum,
den Grad der Selbstwirksamkeit, die soziale Zugehörigkeit und das Ausmaß der Kontrolle
des eigenen Lebens (vgl. Beck 2016, S. 157).
Wolfensberger hat das Konzept der Normalisierung in den 1980er Jahren
weiterentwickelt und vollzieht eine Namensänderung hin zu Aufwertung sozialer Rollen.
Dieses Konzept richtet sich an die persönlichen Eigenschaften eines Menschen mit
Behinderung, mit dem Ziel Verhaltensweisen und Merkmale zu entwickeln, die einer
gesellschaftlichen Norm entsprechen. Hierin wird ersichtlich, dass sich dieses Konzept
nicht nur auf die Mittel der Betreuung bezieht, sondern auf die persönlichen
Verhaltensweisen und das Erscheinungsbild von Menschen mit Behinderung abzielt. Sein
Ansatz zur Zielerreichung einer Normalisierung lag in der Aufwertung der sozialen Rolle
von Menschen mit Behinderung (vgl. Thimm 1990, zit. n. Biewer 2009, S. 119).
Für diese Annahme entwickelte Wolfensberger ein Modell, das verschiedene
Handlungsebenen der Interaktion und Interpretation in den verschiedenen Systemen
einschloss.
Wolfensbergers Weiterentwicklung des Normalisierungsprinzips (1983)
Grundannahme: Die Aufwertung (Valorisation) der sozialen Rolle kann erfolgen durch die tatsächliche
Kompetenz und das soziale Image einer Person oder Gruppe.
15
Handlungsebenen
(horizontal); Personen
und Systemebenen
(vertikal)
Interaktion
(Handlungen gegenüber
Menschen mit Behinderung)
Interpretation
(Darstellung von Menschen mit
Behinderung nach außen)
Person Erlernen gesellschaftlich
akzeptierter Verhaltensweisen
(z.B. selbstständiges Essen,
Beherrschen von
Umgangsformen)
Bezeichnung von Personen in der
Öffentlichkeit (z.B. Anrede mit dem
Nachnamen statt dem Vornamen)
Primäre
soziale Systeme
Gestaltung des Lebens, Familien
und Heimen (Entwicklung von
Fähigkeiten und Gewohnheiten als
liege keine Behinderung vor)
Namensgebung von Institutionen
(Verwendung neutraler oder positiv
besetzter Namen statt z.B.
„Wohnheim für Behinderte“)
Gesellschaftssysteme Gestaltung des gesetzlichen
Rahmens (z.B. Einbeziehung von
Werkstätten in das System der
Sozialversicherung)
Beeinflussung gesellschaftlicher
Wertvorstellungen zur Anerkennung
von Abweichungen
Abbildung 1: Wolfensbergers Weiterentwicklung des Normalisierungsprinzips (1983) (Biewer 2009, S. 120)
Dieser Tabelle nach entsteht die Aufwertung der sozialen Rolle in einer Interaktions- und
einer Interpretationsdimension. Interaktion richtet sich an Handlungen gegenüber
Menschen mit Behinderung, mit Interpretation ist die Darstellung von Menschen mit
Behinderung nach außen gemeint. Diese beiden Dimensionen werden auf drei Ebenen
behandelt: der Ebene der Person, der Ebene primärer sozialer Systeme und der Ebene der
Gesellschaftssysteme.
Konkret bedeutet das, dass auf der Ebene der Person Fähigkeiten entwickelt werden, die
einer gesellschaftlichen Norm entsprechen, z.B. selbstständiges Essen, Grüßen, um etwas
Bitten etc., (Dimension der Interaktion). Gleichzeitig ist ein Umgang mit Menschen mit
Behinderung von den Mitgliedern einer Gesellschaft in gleicher Form zu pflegen, wie mit
Menschen ohne Behinderung bzw. einem höheren sozialen Status. Das beinhaltet den
gleichen respektvollen Umgang und zeigt sich beispielweise darin, dass man Menschen
mit Behinderung mit dem Nachnamen anspricht. Die Ebene der primären sozialen
Systeme verfolgt das gleiche Ziel wie die erste Ebene. Es sollen Gewohnheiten und
Fähigkeiten innerhalb der Familie oder den Wohnheimen in einem Ausmaß entwickelt
werden, als ob keine Behinderung vorhanden wäre. Auf der Dimension der Interpretation
meint man beispielsweise, dass Wohngemeinschaften nicht offensichtlich mit Schildern
gekennzeichnet werden sollen, die die Behinderung eines Menschen in den Vordergrund
16
rücken. Stattdessen sollen positiv behafte Namensgebungen gefunden werden (wenn
überhaupt ein Schild notwendig ist). Die dritte Ebene der Gesellschaftssysteme schließt
eine bessere Einbeziehung der Menschen mit Behinderung in das Sozialsystem ein
(Interaktionsdimension) und fordert die Organe der Gesellschaft dazu auf, die
Anerkennung von Abweichungen zu beeinflussen. Etwa können Medienkampanien
positiv über Sportereignisse (z.B. Special Olympics) berichten (vgl. Biewer 2009, S.
121).
Das Normalisierungsprinzip und deren Weiterentwicklung ist auch Grundlage für das
Trainings- und Teilzeitbetreute Wohnen. Beide Formen sind konzeptionell so ausgelegt,
dass ein selbstbestimmtes Leben, das Arbeit, Freizeit und Wohnen voneinander
(räumlich) trennt, ermöglicht. Es fördert die De-Institutionalisierung indem die
Wohnungen innerhalb normaler Wohnkomplexe gemietet werden und nicht als Betreute
Wohngemeinschaften gekennzeichnet sind und zudem normalen wirtschaftlichen
Standards entsprechen. Ein normaler Tages- und Jahresrhythmus wird forciert, indem der
Arbeitsbereich ausgelagert ist und Freizeitaktivitäten bewusst nach außen verlegt werden.
4 Wohnen und Behinderung
Grundsätzlich gilt Wohnen als Zentrum des privaten Lebens und ist einer der wichtigsten
Bausteine von Lebensführung und Lebensqualität. Die Wohnung wirkt zudem
identitätsstiftend: Sie ist Wohnsitz (Adresse), Lebensmittelpunkt (soziale Einbindung,
Heimat) sowie Statussymbol und symbolischer Ausdruck von Lebenshaltung. Eine
Wohnung bietet emotionale Räume für Selbstbestimmung (Privatsphäre, Individualität
und Intimität), gewährt Sicherheit (Eigentum und Person) und Schutz vor Witterung und
Gewalt. Die Wohnung wird für das soziale Miteinander mit der Familie oder mit
MitbewohnerInnen oder anderen Personen des sozialen Umfelds genutzt (vgl. Wacker
2016, S. 305).
Thesing (1998) beschreibt ähnliche Punkte als Grundbedürfnisse menschlichen
Wohnens:
17
„Streben nach Sicherheit, Schutz und Geborgenheit,
Wunsch nach Beständigkeit und Vertrautheit,
Suche nach einem räumlichen Rahmen, der die Möglichkeit der
Selbstverwirklichung bietet,
Bedürfnis der Kommunikation,
Der Wunsch nach Selbstdarstellung (Demonstration von sozialem Status).“
(Thesing 1998, S. 32, zit. n. Andritzky 1987).
Bis in die 1970er Jahre lebten Menschen mit Behinderung hauptsächlich in Institutionen,
die sich aus den Anstaltsgründungen des 19. Jahrhunderts entwickelt haben (vgl.
Faulstich 1993, zit. n. Wacker 2016, S. 306) und deren Aufgabenbereiche in der
Wohnplatzschaffung, der Versorgung und der Erziehung lagen. Gleichzeitig wurden
durch diese Anstalten die Defizitzuschreibungen von Menschen mit Behinderung sichtbar
(vgl. Wacker 2016, S. 307). In den 1970er Jahren wurden Anstalten skandalisiert und im
Zuge der Normalisierungsdebatte eine De-Institutionalisierung gefordert. In diesem
Zeitraum entstanden neue Formen des Wohnens für Menschen mit Behinderung, wie
betreute Wohngruppen, mobile Wohnbetreuung oder Trainingswohnen. Ein
grundlegender Wandel im institutionellen und gruppenbezogenen Wohnen fand jedoch
nicht statt und nach wie vor werden Menschen mit Behinderung als HilfsempfängerInnen
und nicht AkteuerInnen ihres eigenen Lebens betrachtet (vgl. Wacker 2016, S. 307).
Die UN-Behindertenrechtskonvention, auf die bereits im Kapitel Behinderung näher
eingegangen wurde, fordert unter anderem die völlige Gleichstellung in der Möglichkeit
der Wahl des Wohnortes und der Wohnform von Menschen mit Behinderung und
beschreibt dies konkret im „Artikel 19 - Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung
in die Gemeinschaft“ der UN-BRK folgend:
„Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens anerkennen das gleiche Recht aller
Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in
der Gemeinschaft zu leben, und treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um
Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle
18
Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern,
indem sie unter anderem gewährleisten, dass
a. Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren
Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht
verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben;
b. Menschen mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen
Unterstützungsdiensten zu Hause und in Einrichtungen sowie zu sonstigen
gemeindenahen Unterstützungsdiensten haben, einschließlich der persönlichen
Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der
Einbeziehung in die Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und
Absonderung von der Gemeinschaft notwendig ist;
c. gemeindenahe Dienstleistungen und Einrichtungen für die Allgemeinheit
Menschen mit Behinderungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung zur
Verfügung stehen und ihren Bedürfnissen Rechnung tragen.“
(Sozialministerium Österreich 2016, S. 16)
Grundsätzlich sollen Menschen mit Behinderung frei über die Art ihrer Wohnform
entscheiden. Die Maßnahmen des Steirischen Behindertengesetzes bieten verschiedene
Formen der Wohnbetreuung an, aus denen Menschen mit Behinderung wählen können.
Problematisch ist die unvollständige Umsetzung des Artikels 19 der UN-BRK, da vor
allem ländliche Gebiete in ihrer Angebotsdichte unterversorgt sind. Menschen mit
Behinderung sind daher mitunter gezwungen Wohnbetreuungsformen in Anspruch zu
nehmen, die nicht ihren exakten Wünschen entsprechen. Außerdem sind lange
Wartezeiten in Kauf zu nehmen bis Wohnplätze in den gewünschten Angeboten zur
Verfügung stehen. Durch die regional unterschiedliche Angebotslandschaft an
Maßnahmen müssen Menschen mit Behinderung einen ungewollten Ortswechsel
vollziehen um passende Leistungen beziehen zu können. Außerdem ist es Menschen in
Wohngemeinschaften meist nicht möglich zu entscheiden mit wem sie zusammen in einer
Wohnung leben (vgl. MonitoringAusschuss.at 2016, S. 11).
Der Monitoring-Ausschuss, der als unabhängiges Kontrollorgan in der Umsetzung der
UN-BRK fungiert, stellt in der Stellungnahme zur Situation der De-
Institutionalisierungsentwicklung zudem fest, dass die Unterstützung von Menschen mit
19
einem hohen Betreuungsbedarf fast ausschließlich in Wohnheimen, Wohnhäusern oder
zumindest größeren Wohngemeinschaften angeboten wird. Damit sind, mangels
alternativer Angebote, Menschen mit hohem Betreuungsbedarf nach wie vor dazu
gezwungen, in Einrichtungen zu leben. Diese Art der strukturellen Diskriminierung
widerspricht klar mit dem Artikel 19 UN-BRK (vgl. MonitoringAusschuss.at 2016, S.
12).
20
4.1 Leistungsverordnung des Landes Steiermark
Das steirische Behindertengesetz beschreibt in der Leistungsverordnung (LEVO) die
verschiedenen Maßnahmen, die für Menschen mit Behinderung angeboten werden. Diese
gliedern sich in Leistungsarten der klassischen Behindertenhilfe, sozialpsychiatrische
Leistungen und Geldleistungen. Für die vorliegende Arbeit sind die Leistungsarten der
klassischen Behindertenhilfe relevant und im Speziellen jene der
Wohnbetreuungsformen. Zur Gewährung einer Leistung ist eine Antragstellung bei der
zuständigen Bezirksbehörde notwendig. Die Zuständigkeit der Bezirksbehörde ist immer
abhängig vom Hauptwohnsitz der antragstellenden Person. Ob eine beantragte Leistung
als passgenau eingeschätzt werden kann und in welchen Stundenausmaß eine Betreuung
notwendig erscheint, wird in einem Clearinggespräch des Vereins Individueller
Hilfebedarf (IHB) geklärt. Der unabhängig agierende Verein IHB erstellt danach einen
Bericht und spricht der zuständigen Bezirksbehörde eine Empfehlung für die passende
Leistung und deren Betreuungsausmaß aus. Diese gilt als fachliche Grundlage für die
Bescheiderstellung. Nach Erhalt des Bescheides kann die gewünschte Leistung, sofern
freie Plätze zu Verfügung stehen, bei einem anbietenden Träger in Anspruch genommen
werden.
Das Steirische Behindertengesetz hat in seiner Leistungsverordnung drei verschiedene
Grundformen der Wohnbetreuung verschriftlicht:
1. Vollzeitbetreutes Wohnen
2. Teilzeitbetreutes Wohnen
3. Mobile Wohnbetreuung
Die hier erarbeiteten Methoden zu Anamneseverfahren richten sich an das Setting des
Teilzeitbetreuten Wohnens und Trainingswohnens, die unter dem Punkt 2
Teilzeitbetreutes Wohnen genauer beschrieben werden. Teilzeitbetreute Wohnformen
unterscheiden sich grundsätzlich von vollzeitbetreuten Wohnformen, da nicht 24 Stunden
betreut wird. Außerdem ist der Betreuungsschlüssel geringer bemessen, weil der
Betreuungsaufwand für Menschen im Vollzeitbetreuten Wohnen höher eingeschätzt wird
als in Teilzeitbetreuten Wohnformen. Gemein haben die beiden ersten Wohnformen, dass
21
Wohnungen für Menschen mit Behinderung von Institutionen zur Verfügung gestellt
werden. In der mobilen Betreuung sind Menschen mit Behinderung selbst MieterInnen
einer Wohnung, in der sie unterstützt werden. Das Ausmaß der Unterstützung von
mobilen Betreuungsformen, wie beispielsweise Wohnassistenz, ist davon abhängig, wie
viele Betreuungsstunden Menschen mit Behinderung für die Leistung von der
zuständigen Bezirksbehörde zugesprochen bekommen.
4.2 Trainingswohnen und Teilzeitbetreutes Wohnen
Beide Wohnformen fallen unter den Punkt 2 der teilzeitbetreuten Wohnformen und
unterscheiden sich hauptsächlich im Ausmaß des zugesprochenen Betreuungsausmaßes.
Das Trainingswohnen gilt als Wohnform für Menschen, die mehr Unterstützung
benötigen und ist damit mit einem höheren Betreuungsschlüssel konzipiert. Der
wesentliche Unterschied der beiden Wohnformen liegt darin, dass im Trainingswohnen
eine Nachtbereitschaft vorgesehen ist. Dies bedeutet, dass ein/e BetreuerIn in der Nacht
vor Ort sein muss.
Für das Teilzeitbetreute Wohnen benötigt es zwischen 22:00 und 06:00 Uhr eine
Rufbereitschaft. Der/die BetreuerIn braucht hier nicht vor Ort sein, muss aber in der Nacht
telefonisch erreichbar sein und gegebenenfalls in den Dienst treten können.
Einige Einrichtungen bieten sowohl Trainingswohnen als auch Teilzeitbetreutes Wohnen
an einem Standort an, um unkomplizierter von einer Betreuungsform zur nächsten
wechseln zu können. Die Anamneseverfahren sind daher auf beide Betreuungsformen
ausgerichtet. Die Leistung Trainingswohnen wird grundsätzlich nur für zwei Jahre, in
Ausnahmefällen für drei Jahre, gewährt. Ist nach diesem Zeitraum der/die BewohnerIn
noch nicht bereit in eine eigene Wohnung zu ziehen, kann Teilzeitbetreutes Wohnen in
Anspruch genommen werden, ohne dabei einen Wohnungswechsel vollziehen zu müssen.
Grundsätzlich gilt für beide Maßnahmen, dass Menschen mit Behinderung auf eine
autonomere Form der Betreuung vorbereitet werden.
22
4.2.1 Zielgruppe
Prinzipiell müssen Menschen, die das Trainingswohnen bzw. Teilzeitbetreute Wohnen in
Anspruch nehmen wollen, sich „aus eigener Überzeugung bzw. freiem Willen“ (LEVO
2013, S. 8) für diese Leistung entscheiden. Als Zielgruppe gelten sowohl Jugendliche
(nach Beendigung der Schulpflicht), als auch erwachsene Personen mit einer
intellektuellen/kognitiven, körperlichen, Sinnes- bzw. mehrfacher Behinderung. Die
Leistung wird für Personen angeboten, die noch zu Hause leben und von der Familie bzw.
dem Elternhaus ausziehen wollen oder bereits in einer betreuten Wohnform leben und
ihre Wohnsituation verändern möchten (vgl. LEVO 2013, S. 8).
Folgende Umstände werden als Ausschlusskriterien für die Leistung beschrieben:
Bei einer Suchterkrankung;
Bei einem überwiegenden Pflegebedarf;
Bei einer notwendigen dauerhaften medizinischen Versorgung;
Wenn eine psychische Erkrankung (und nicht die Behinderung) im Vordergrund
steht;
Wenn Personen in der Lage sind, in einer geringer betreuten Wohnform zu leben
(vgl. LEVO 2013, S. 8).
4.2.2 Grundsätze und Prinzipien
Die Leistungsverordnung verschriftlich generelle Grundsätze der Integration und
Teilhabe, an die sich die Organisationen halten müssen:
„Normalisierung: Gleichberechtigte Teilhabe und Teilnahme am Leben der nicht
behinderten Menschen. Die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung
entsprechen weitgehend denen von Menschen ohne Behinderung.
Inklusion und Partizipation: Inklusion ist die untrennbare Einheit von sozialer
Gemeinschaft und einer am einzelnen Menschen orientierten Erziehung, Bildung und
Lebensgestaltung aller ihrer Mitglieder. Menschen mit Behinderung erhalten das
23
notwendige Maß an Unterstützung für eine aktive Partizipation am gesellschaftlichen
Leben.
Unteilbarkeit: Grundsätzlich kann jeder Mensch mit Behinderung, unabhängig von Art,
Ausmaß und Schweregrad der Behinderung, integriert werden. Alle an konkreten
Hilfeplanungen und Maßnahmen beteiligten Personen arbeiten freiwillig mit.
Ganzheitlichkeit: Die jeweilige Lebenswirklichkeit ist angemessen zu berücksichtigen
und in alle Maßnahmen von Förderung und Lebensbewältigung einzubeziehen.
Individualisierung: Alle Unternehmungen, die Lebensqualität erhalten und verbessern
sowie Handlungskompetenzen zur Lebensbewältigung betreffen, müssen auf den
einzelnen Menschen ausgerichtet sein und Wünsche, Bedürfnisse und Besonderheiten
einbeziehen.
Wahlrecht und Selbstbestimmung: Integrative Prozesse sollen in adäquater Form
miteinander geplant, durchgeführt und reflektiert werden.
Empowerment: Menschen mit Behinderung treffen Entscheidungen, die ihre Person
betreffen selbst bzw. sie sind zumindest maßgeblich an den Entscheidungsprozessen
beteiligt. Die Selbstständigkeit dient der Förderung und Stärkung des persönlichen
Handlungsspielraums und der Eigenverantwortung und somit der Gleichstellung mit
Menschen ohne Behinderung.
Verstehbarkeit: Vereinbarungen sind sowohl mit den Menschen mit Behinderung zu
erarbeiten als auch in einer leicht verständlichen Version aufzulegen.
Mitgestaltung der Dienstleistung: Die Leistungserbringung wird durch/von NutzerInnen
mitgestaltet und in ihrer Erbringungsqualität bewertet. Der Einrichtungsträger hat die
Bildung einer Interessensvertretung der KlientInnen (BewohnerInnenbeirat) in
geeigneter Weise anzuregen und zu unterstützen. Bei allen wichtigen Fragen (z.B.
Hausordnung oder Änderung des Leistungsangebots) ist die gewählte
Interessensvertretung zu hören und hat Mitwirkungsrecht.“ (LEVO 2013, S. 3-4)
24
4.2.3 Konzeptionelle Grundlagen
Wie die Prinzipien der Zusammenarbeit und die Einhaltung der pädagogischen Aufträge
im Zuge des Trainingswohnens und Teilzeitbetreuten Wohnens umgesetzt werden,
entscheiden die anbietenden Einrichtungen. Aus den Erfahrungen meiner mehrjährigen
Arbeit als Betreuer hat sich das System der Bezugsbetreuung, das eine individuell
abgestimmte pädagogische Arbeit mit den BewohnerInnen sichern soll, gut bewährt.
Dabei richtet sich der Schwerpunkt der Betreuungsarbeit auf BewohnerInnen, die den
BetreuerInnen als BezugsklientInnen zugewiesen werden. Damit sollen die inhaltliche
Betreuungsarbeit, die Dokumentation sowie Nachbereitungsarbeiten auf die einzelnen
BewohnerInnen besser abgestimmt werden. Co-BetreuerInnen vertreten die
BezugsbetreuerInnen, wenn diese abwesend sind und stehen in einem regelmäßigen
Austausch über Veränderungen, Entwicklungen und Zielplanungen.
Daneben sind Einrichtungen dazu verpflichtet, die in der LEVO festgeschrieben Auflagen
zur Dokumentation einzuhalten. Diese erfolgt soweit wie möglich in Kooperation mit den
BewohnerInnen und beinhaltet Folgendes:
„Vorgeschichte/Erstkontakt (z.B. Anfragen von Menschen mit Behinderung, bei
Bedarf Warteliste, Ersterhebung, Anamnesebogen, Zuweisungsdiagnose,
Interessensabklärung und dergleichen)
Aufnahme in Form einer Stammdatenerhebung (allgemein, medizinisch) des
Unterstützungsbedarfes, des Pflegebedarfes, der Kompetenzen und Ressourcen,
weitere therapeutisch-psychologische Maßnahmen, zusätzliche
Betreuungsvereinbarung, Erfassen von Wünschen und Zielen des Menschen mit
Behinderung, zusätzliche Vereinbarungen mit Personen aus dem Herkunftssystem
(Eltern, Angehörige und SachwalterInnen), Notfallblatt, Gesundheitsblatt
(Medikamente und Befunde) und dergleichen
Verlaufs- und Maßnahmendokumentation (Aktualisierung persönlicher
Stammdaten, Ziel- und Entwicklungsplanung (individueller Hilfeplan) auf Basis
des konkreten Leistungszuerkennungsbescheides und der
25
Betreuungsvereinbarung, regelmäßige Evaluierung der gesetzten Maßnahmen
und Ziele)
Abschlussdokumentation der Betreuungsleistung inklusive Maßnahmenerfolg“
(LEVO 2013, S. 12)
Das vom Autor entwickelte Anamneseverfahren bezieht sich auf die Kriterien der ersten
beiden Punkte. Es werden biographische Informationen über den/die BewohnerIn
eingeholt, Unterstützungsbedürfnisse abgeklärt, Notfall- und Gesundheitsblätter
erarbeitet, sowie Kompetenzen und Ressourcen eingeschätzt und in Form eines
Ergebnisblattes dargestellt. Arbeiten Einrichtungen nach einem Bezugsbetreuungs-
System, ist es vorgesehen, dass der gesamte Anamneseprozess von dem/der
BezugsbetreuerIn durchgeführt wird.
Anamnese (als Teil sozialer Diagnostik) nimmt einen bedeutenden Stellenwert in der
sozialpädagogischen Praxis ein. Sie bildet die Basis für pädagogische Interventionen und
methodische Herangehensweisen. Im folgenden Kapitel gehe ich detailliert auf
sozialpädagogische Diagnoseverfahren allgemein ein und beschreibe unterschiedliche
Konzepte, die als theoretische Grundlagen für meinen entwickelten Anamneseprozess
dienen.
26
5 Der sozialpädagogische Fall
Soziale Diagnostik findet dann ihre Anwendung, wenn mit sozialarbeiterischen bzw.
sozialpädagogischen Fällen gearbeitet wird. Bevor der Fokus auf die theoretischen
Ansätze der Sozialen Diagnostik gerichtet wird, muss geklärt werden, welche Merkmale
einen Fall im Kontext der Sozialen Arbeit auszeichnen. Hierfür bedarf es zuerst der
Unterscheidung zwischen den traditionellen Theorieansätzen der Sozialarbeit und
Sozialpädagogik.
Die Sozialarbeit entstammt historisch aus der sozialen Fürsorge, Armenpflege und
Wohlfahrtspflege. Sie richtet sich in erster Linie an in Not geratene Menschen und bietet
Hilfeleistungen an. Die Sozialpädagogik dagegen entwickelte sich aus der
Jugendfürsorge und unterscheidet sich von der Sozialarbeit primär darin, dass sie eine
erzieherische Dimension beinhaltet (vgl. Braun/Graßhoff/Schweppe 2011, S. 15). Aus
dieser Entstehungsgeschichte resultiert ein unterschiedliches Verständnis sozialer
Fallarbeit. So rückt in der sozialpädagogischen Tradition die Erforschung der
Entwicklungsprozesse von Kindern und Jugendlichen in den Vordergrund. Zur
Umsetzung der Erforschung arbeitet die Sozialpädagogik individuums- und
einzelfallorientiert und bezieht dabei Materialien wie Tagebücher,
Einzelfallbeschreibungen oder autobiographische Quellen in die Forschung mit ein. Aus
dieser Tradition des Interesses allgemeiner Entwicklungsprozesse setzt ein
sozialpädagogischer Fall nicht zwingend einen konkreten oder spezifischen Hilfebedarf
voraus. In der Sozialarbeit hingegen ist der Hilfebedarf vordergründig. Somit liegt die
Hauptaufgabe der sozialarbeiterischen Fallarbeit in der Klärung, ob und in welchem
Ausmaß ein Hilfebedarf erforderlich ist. Mit der Entscheidung eines Hilfebedarfs entsteht
jedoch das Problem der Stigmatisierung, da ab dem Zeitpunkt, an dem eine Person zu
einem sozialarbeiterischen Fall wird und damit einen Hilfebedarf benötig, der Fall einer
spezifischen Problemgruppe angehört (z.B. Arme, Arbeitslose, Verschuldete etc.) (vgl.
ebd., S. 15-16).
In vielen praktischen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit ist eine Trennung zwischen
Sozialarbeit und Sozialpädagogik nicht möglich. Gerade im Bereich des
Trainingswohnens zeigt sich diese Tatsache. So kann die Leistung nur in Anspruch
genommen werden, wenn ein konkreter Hilfebedarf behördlich erhoben wird. In der
Steiermark wird dieses Verfahren vom Verein IHB-Team (Individueller Hilfebedarf)
27
durchgeführt, deren Gutachten als Voraussetzung für die Finanzierung der Leistung
gelten. Das Trainingswohnen selbst sieht vor, erzieherische Handlungen zu setzen, die
darauf abzielen, die Selbstständigkeit der BewohnerInnen zu fördern. Aber auch im
Betreuungsalltag verschwimmen die Grenzen zwischen Sozialarbeit und
Sozialpädagogik. So ist neben dem Erkennen der Entwicklungspotentiale der einzelnen
Personen und die darauf folgende pädagogische Maßnahmenfindung
(sozialpädagogischer Aufgabenbereich) auch die Hilfe bei Notlagen (z.B. bei
Verschuldung), das Wissen über Leistungsansprüche (öffentliche Gelder) und die Hilfe
in der Einholung dieser (sozialarbeiterischer Aufgabenbereich), im Tätigkeitsfeld der
BeteuerInnen des Trainingswohnens mitinbegriffen. Demzufolge können im Falle des
Diagnostizierens im Trainingswohnen (wie auch in vielen anderen sozialpädagogischen
Maßnahmen) sozialarbeiterische und sozialpädagogische Verfahren einander nicht
ausschließen.
Als eine bekannte Beschreibung des Fallverstehens zeigt Müller (1997) sein System des
Fall von, Fall für und Fall mit auf. Diese von ihm benannte multiperspektivische
Fallarbeit beschreibt Personen, die sozialpädagogisch/sozialarbeiterisch betreut werden,
anhand drei Typen von Fällen:
Beim „Fall von“ geht es darum, „Allgemeines, in konkretes, auf den Einzelfall bezogenes
Handeln sinnvoll umzusetzen.“ (Müller 1997, S. 32). Mit „Allgemeines“ ist
beispielsweise eine Gesetzgebung gemeint, wie etwa die Maßnahme Trainingswohnen,
die gewährt werden kann, wenn eine geistige Behinderung bei einem Menschen vorliegt.
BewohnerInnen des Trainingswohnens sind daher Fälle vom BHG (Behindertengesetz).
Der „Fall von“ bezieht sich aber nicht ausschließlich auf die Verwaltungs- und
Rechtsebene. „Allgemeines“ kann auch bedeuten, dass es sich um eine bestimmte
Theorie, eine Norm oder ein Phänomen handelt. So kann eine Person ein Fall von
Kindesmissbrauch sein und daher von einer Wohneinrichtung der Jugendwohlfahrt
betreut werden (vgl. Müller 1997, S. 32-33). Auf das Trainingswohnen bezogen bedeutet
dies, mit Fällen von geistiger Behinderung zu arbeiten.
Der Typ Fall für meint das Wissen über das passende Verweisen zu anderen
Zuständigkeiten. Der Beruf des/der SozialpädagogIn hat eine ganzheitliche Zuständigkeit
für das Klientel, da es in alle Lebensbereiche eingreift. Damit sind SozialpädagogInnen
28
abhängig von anderen Kompetenzen. Entscheidend ist die Handlungskompetenz zu
wissen, an welche anderen Fachkräfte in bestimmten Fällen verwiesen werden muss (vgl.
Müller 1997, S. 38-39). Wenn im Trainingswohnen bei einem/r KlientIn beispielsweise
Schnittspuren an den Unterarmen zu sehen sind und sich nach einem Gespräch
herausstellt, dass sich die/der BewohnerIn regelmäßig ritzt, so liegt es außerhalb des
Kompetenzbereichs des/der SozialpädagogIn eine psychologische Behandlung
durchzuführen. Die Aufgabe der SozialpädagogIn ist es, die Problematik zu erkennen und
den/die BewohnerIn entsprechend zu vermitteln. In dem angesprochenen Beispiel würde
die Person zu einem Fall für eine/n PsychotherapeutIn. Daneben ist die Person
beispielsweise auch ein Fall für eine Tageswerkstätte, wenn die Fähigkeiten nicht
ausreichend sind, um am ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Für SozialpädagogInnen
innerhalb des Trainingswohnens ist daher das Wissen über Angebote anderer Disziplinen
im Allgemeinen, aber auch Wissen über die Angebotslandschaft im Sozialraum wichtig.
Daneben sind sozialarbeiterische Kenntnisse vonseiten der BetreuerInnen erforderlich.
Zum Beispiel muss ein/e BetreuerIn wissen, dass bei einer hohen Verschuldung eines/r
KlientIn und bei gleichzeitiger Aussichtslosigkeit einer Besserung der finanziellen
Situation, ein Sachwalterschaftsverfahren beim Bezirksgericht eingeleitet werden kann,
um zu prüfen, ob eine externe Person die Verwaltung der finanziellen Angelegenheiten
übernehmen muss und die betreute Person zu einem Fall für die Sachwalterschaft wird.
Im Typus Fall mit geht es schließlich um die konkrete sozialpädagogische Arbeit
zwischen KlientInnen und SozialpädagogInnen (vgl. Müller 1997, S. 41-42). Im
Trainingswohnen handelt es sich meistens um einen Fall mit Lernschwäche, dessen Ziel
es beispielsweise ist, eine Anzahl an Koch-Rezepten zu üben und zu merken, um eine
eigenständige Zubereitung seiner Mahlzeiten zu erlernen. Die Aufgabe der
SozialpädagogInnen liegt darin, die individuell notwendigen didaktischen
Vorbereitungen zu treffen, sowie mit passenden Methoden der Erreichung von gesetzten
Zielen näher zu kommen.
Das in dieser Arbeit zu entwickelnde Anamneseverfahren schließt alle drei Ebenen des
Fallverstehens mit ein. Es soll als Informationsgrundlage dienen, um zu verstehen um
welchen Fall es sich handelt (Fall von), was außerhalb des Trainingswohnens benötig
wird (Fall für), was im Zuge der pädagogischen Arbeit notwendig ist und wie dies
bestmöglich umgesetzt werden kann (Fall mit).
29
6 Sozialpädagogische Diagnostik
Der Begriff Diagnose stammt aus dem Griechischen und bedeutet „unterscheiden“,
„durch und durch erkennen“, „durchblicken“ (vgl. Heiner 2005, S. 253/Schrapper 2008,
S. 197). Diagnostizieren in einem sozialpädagogischen Kontext heißt demnach,
herauszufinden, was Menschen prägt und was Situationen ausmacht. Dies soll unter der
Beurteilung von Lebensumständen, Entwicklungspotentialen oder Problemverhalten
erkundet werden, mit dem Ziel, geeignete pädagogische Interventionsmaßnahmen zu
finden und anzubieten (vgl. Schrapper 2008, S. 198). Der Ursprung der diagnostischen
Arbeit im Berufsfeld der Sozialen Arbeit liegt in der Jahrhundertwende (19. auf 20. Jhd.),
im Entstehen der ersten Jugendfürsorgebehörden die begannen, Gutachten und
Beurteilungen zu erstellen, vorwiegend von LeherInnen und ÄrztInnen. Diese gingen der
Frage nach, wie sich Lebensschwierigkeiten von Menschen beschreiben ließen und was
fürsorgerisch unternommen werden könnte. Die Erstellung dieser Diagnosen verfolgte
zwei Ziele: Einerseits ging es darum die Hilfsbedürftigkeit von Personen zu bestimmen,
anderseits erfüllten Gutachten den Zweck, öffentliche finanzielle Mittel für die Fürsorge
zu legitimieren (vgl. Uhlendorff 1999, S. 128). Aus theoretischer Sicht beginnt die
Diskussion in der professionellen Sozialen Arbeit im deutschsprachigen Raum mit Alice
Salamon und ihrem, im Jahr 1926 erschienenen Werk „Soziale Diagnose“, in dem sie von
pädagogischen Fachkräften für das Diagnostizieren verlangt, „Material zu sammeln
(eigene Beobachtungen und Aussagen anderer), das beschaffte Material zu prüfen und zu
vergleichen, es zu bewerten, Schlüsse daraus zu ziehen – schließlich ein Gesamtbild zu
erstellen, das erlaubt, einen Plan für die Abhilfe (Behandlung) zu schaffen.“ (Salomon
1926, zit. n. Heiner 2005, S. 254) Sozialpädagogische Diagnosen dienen somit als eine
Form der Vorbereitung und der begleitenden Reflexion des Interventionsprozesses (vgl.
Heiner 2005, S. 254).
Buttner (2008) beschreibt die Notwendigkeit der sozialen Diagnose auf Grund des
entstanden Legitimationsdrucks und der Personenzentrierung im Berufsfeld der Sozialen
Arbeit. Die Legitimationsentwicklungen, die wegen eintretender Ökonomisierung des
Sozialbereichs einhergehen, erfordern Qualitätssicherung, Outputorientierung und
Transparenz sowie Effizienz und Effektivität. Diese Punkte nachvollziehbar und
nachweislich zu machen, geschieht mit Hilfe diagnostischer Verfahren (vgl. Buttner
2008, S. 345).
30
Der zweite wesentliche Grund für die Notwendigkeit Sozialer Diagnostik liegt in der
Entwicklung hin zu einer personenzentrierten KlientInnenarbeit. Hierfür bedarf es an
individuellen und differenzierten Hilfestellungen und Interventionen, die begründet
werden müssen. Soziale Diagnostik versucht spezielle Merkmale, also Symptome, wie
Bedürfnisse, Defizite, Stärken etc. zu bestimmen und zu erheben, damit Intervention
nachvollziehbar werden bzw. Interventionen überhaupt bestimmt werden können (vgl.
ebd., S. 345-346).
Für die konkrete Umsetzung einer Sozialen Diagnose beschreibt Pantucek (2012)
folgende allgemeine Merkmale Sozialer Diagnostik:
1. „erhebt den Problemkontext
2. ‚verhandelt‘ die Problemdefinition mit den Beteiligten
3. versucht Ressourcen aufzuspüren
4. sucht nach Bearbeitungs- und Lösungsmöglichkeiten
5. veranschaulicht problemrelevante Zusammenhänge
6. ermöglicht Entscheidungen zur Problembearbeitung für die KlientInnen und zur
Interventionsplanung“ (Pantucek 2012, S. 81)
In der Theorie erfolgt aufbauend auf diese Merkmale eine soziale Diagnose in folgenden
drei Schritten: Erstens die Anamnese, zweitens die Diagnose und drittens die
Intervention. Bei der Anamnese geht man der Frage nach: Was war und was ist los? Mit
dieser Frage will man im Anamnese-Prozess fallbezogene Informationen sammeln und
soziale Phänomene der KlientInnen beschreiben (Punkt 1 nach Pantuceks Merkmalen).
Im zweiten Schritt, der Diagnose, wird anhand der Informationen aus der Anamnese der
Frage nachgegangen: Warum ist das so? Damit will man die sozialen Phänomene der
KlientInnen verstehen (Punkte 2-5). Bei der Intervention, also dem dritten Schritt, wird
mit den Informationen aus der Anamnese und dem daraus resultierenden
Erkenntnisgewinn über die Situation der KlientInnen, der im Zuge der Diagnose
erworben wurde, der Frage nachgegangen: "Was ist zu tun?" Hierin besteht nun die
Aufgabe, geeignete pädagogische Maßnahmen zu formulieren und umzusetzen, die zur
Verbesserung des Falles beitragen sollen (Punkt 6) (vgl. Galuske 1998, S. 64, zit. n.
Müller 2010, S. 221).
31
Das Erkennen und Verstehen einer bestimmten Lebenssituation/eines bestimmten
Verhaltens und die darauffolgende Einschätzung der Förderpotentiale ist grundsätzlich
Teil jeder sozialpädagogischen Arbeit. Eine förderorientierte Sozialdiagnostik ist aber
auch abhängig von anderen Diagnosen aus humanwissenschaftlichen Disziplinen, und
lässt medizinische und psychologische Gutachten miteinfließen. Zudem werden in
sonderpädagogischen Betreuungseinrichtungen die sozialarbeiterischen und
sozialpädagogischen Gutachten von hilfebedarfsermittelnden Institutionen (in der
Steiermark vollzieht dies der Verein IHB) miteinbezogen, wie es im konkreten Fall des
Trainingswohnen in Einrichtungen von der Steirischen Leistungsverordnung
vorgeschrieben wird (vgl. LEVO 2013, S. 9).
Bevor die sonderpädagogische und förderorientierte Diagnostik genauer erarbeitet wird,
will ich im folgenden Kapitel die verschieden diagnostischen Zugänge in den
Humanwissenschaften erörtern und deren Bedeutung für die Sonderpädagogik im
Allgemeinen und das Trainingswohnen im Speziellen diskutieren.
6.1 Medizinische Diagnostik
In der medizinischen Diagnostik konzentriert man sich auf die bestimmten Symptome
einer Krankheit. Mittels der Suche nach Störfaktoren bzw. Symptomen will man die
Krankheit und deren Ursache erklären und mit passenden Maßnahmen entgegenwirken
(Therapie). Dabei gilt, dass die Chancen einer passenden und hilfreichen Therapie höher
sind, je genauer die Informationen über Störfaktoren und Ursachen der Krankheit
eingebracht wurden (vgl. Ondracek 2007, S. 24). Die Diagnose stellt somit die
Voraussetzung für jede Therapie dar. Sowie in allen verwandten Teilbereichen der
Sonder- und Sozialpädagogik erfolgt auch in der Medizin die Diagnostik in den drei
Schritten der Anamnese, Diagnose und Intervention bzw. Therapie. Ähnlich wie in der
Sozialpädagogik unterscheiden sich innerhalb des breiten Feldes der Medizin, je nach
Fachrichtung, die Diagnostikverfahren. Als Beispiel: Die Untersuchung und
Diagnoseerstellung bei einem Oberschenkelbruch weichen in der Intensität und Methodik
von jenen einer Einweisung eines Kindes in die Kinder- und Jugendpsychiatrie ab.
Während bei einer Fraktur der Fokus auf das klar sichtbare Symptom (Schmerzen im
32
Oberschenkel) gelegt und eingeschränkt wird, richtet sich die Diagnostik im zweiten Fall
verstärkt auf den bio-medizinischen Bereich und schließt andere Personen, Beziehungen
und die Lebenswelt des/der PatientIn mit ein (vgl. Seidel 2005, S. 300).
Medizinische Diagnosen haben für die Behindertenarbeit auf mehreren Ebenen eine
wesentliche Bedeutung. Besonders wirkmächtig sind medizinische Diagnosen wenn es
um finanzielle Unterstützungsangebote geht. Die Gewährung von Leistungen der
Krankenkassen, Sozialämter, Pensionsversicherungsanstalten setzen medizinische
Gutachten für die jeweilige Inanspruchnahme voraus (vgl. Seidel 2005, S. 298).
Medizinische Diagnosen gelten vor allem bei Leistungen für Menschen mit Behinderung
als wesentlich und dienen zum Beispiel als Grundlage für die Entscheidung ob ein
Erhöhungsbetrag für die Familienbeihilfe genehmigt wird oder nicht. Aus Sicht der
öffentlichen Geldgeber entscheidet letztendlich die medizinische Diagnose ob ein
Mensch Zugang zu den verschiedenen Unterstützungs- und Betreuungsleistungen (Sach-
oder Geldleistung) aus der Behindertenhilfe erhält. Das wiederum spiegelt den hohen
Stellenwert der Medizin und deren Erhebungsmethoden wider.
Medizinische Diagnosen spielen zudem eine wichtige Rolle in der pädagogischen Arbeit
mit KlientInnen. So werden auf Grundlage der ICD-10-Diagnosen passgenaue
Unterstützungsmaßnahmen aufgebaut. Das ICD-10 (International Statistical
Classification of Diseases and Related Health Problems) ist ein im deutschsprachigen
Raum anerkanntes und angewandtes Klassifizierungssystem von Krankheiten und
benennt unter dem „Kapitel F: Psychische Störungen“ geistige Behinderung als
Intelligenzminderung (vgl. Seidel 2005, S. 306). Hierin wird zwischen dem Schweregrad
der Intelligenzminderung, der anhand standardisierter Verfahren festgestellt wird,
unterschieden und jeweils eigens kodiert (z.B. F 70 - Leichte Intelligenzminderung). Die
Intelligenzstörung kann zwar allein auftreten, bei den meisten BewohnerInnen des
Trainingswohnens ist sie jedoch mit anderen psychischen oder körperlichen Störungen
verbunden. Häufig finden sich Störungen des Sozialverhaltens, psychische Krankheiten
wie Persönlichkeitsstörungen oder auch Autismus. Der ICD-10 ist darauf ausgerichtet
solche Fälle mit zusätzlichen Schlüsselnummern zu erweitern. Beispielsweise wird eine
leichte Intelligenzminderung mit sonstigen Verhaltensauffälligkeiten als F 70.8 kodiert.
Wichtig dabei ist, dass die erstellte Diagnose immer das aktuelle Funktionsniveau zeigt.
Denn der ICD-10 erwähnt ausdrücklich, dass die Intelligenzminderung und das
33
Sozialverhalten veränderbar sind und sich durch Übung und Rehabilitation (zumindest in
einem leichten Ausmaß) verbessern können (vgl. ICD-10 2017, Kapitel V).
Für das Arbeiten im Trainingswohnen stellen ICD-10 Diagnosen einen wichtigen
Informationsteil der Anamnesephase dar. Sie geben Auskünfte über Krankheiten,
Verhaltensauffälligkeiten und Intelligenzniveau und ermöglichen es, die pädagogische
Betreuungsarbeit darauf auszurichten. Sollten keine Diagnosen vorhanden sein und
lehnen KlientInnen zudem eine Untersuchung bei einem/r PsychiaterIn ab, erschwert
dies die pädagogische Arbeit. Symptome werden vom jeweiligen Personal eingestuft und
auf auffälliges Verhalten nach dem Prinzip „Versuch-Irrtum“ reagiert, anstatt adäquate
Interventionen entsprechend der psychiatrischen Krankheit setzten zu können. Bei
Fallbesprechungen und Supervisionen könnte dadurch wesentlich effizienter eine
entsprechende Vorgehensweise erarbeitet werden. Im Rahmen der Anamnesephase
werden bereits bestehende Diagnosen und Gutachten aufgenommen und dokumentiert.
Sollten keine aktuellen vorhanden sein, wird dem/der KlientIn eine Untersuchung, im
Sinne einer optimaleren Betreuungsarbeit, empfohlen.
6.2 Psychologische-pädagogische Diagnostik
In der psychologischen Diagnostik, ausgehend von der Differenzialdiagnostik in der man
die menschlichen Unterschiede im Verhalten untersucht, versucht man relativ stabile
Persönlichkeitsmerkmale zu erkennen, um davon ausgehend eine Prognose für das
Verhalten erstellen zu können. In der Psychologie werden vor allem über Tests und
standardisierten, vergleichbaren Erhebungsmethoden die weitgehend zeit- und
situationsunabhängigen Eigenschaften eines Menschen erfasst. Die Einholung der
Informationen, die eine Auswertung über die Persönlichkeit eines Menschen erlauben,
wird in der psychologischen Diagnostik auf verschiedene Arten durchgeführt: Gespräch,
Beobachtung, Interview, Tests, Fragebögen oder auch projektive Techniken wie etwa
Zeichentests. Die Interpretation der Informationen ist dabei abhängig von der
Ausrichtung des Diagnoseverfahrens und kann beispielsweise psychoanalytisch,
sozialpsychologisch oder lerntheoretisch erfolgen. Dabei bezieht sich die Psychologie in
der Regel auf die Emotionalität, Identität und Verhaltenssteuerung der Menschen (vgl.
Hornáková/Ondracek 2007, S. 25-26). In der psychologischen Differenzialdiagnostik
34
stellen die Ergebnisse der spezifischen Verfahren einen Vergleich zwischen der
diagnostizierten Personen und einer Norm dar.
Nach Nußbeck (2008) unterscheidet man zwischen zwei Arten des Vergleichs:
1. Normen im sozialen Vergleich:
Bei den Normen im sozialen Vergleich geht es darum, die diagnostizierte Person in ihrem
Verhalten, ihren Fähigkeiten oder Fertigkeiten mit einer Bezugsgruppe beschreibend zu
vergleichen. Diese Bezugsgruppe kann die Altersgruppe, eine Gruppe mit einem
bestimmten Merkmal (z.B. geistige Behinderung) oder eine Berufsgruppe etc. sein. Die
diagnostische Beschreibung resultiert aus der Abweichung des Mittelwerts von der
Bezugsgruppe. Psychologische Tests richten sich mehrheitlich nach dieser Art des
Normvergleichs und basieren zumeist auf Grundlage der statistischen Normalverteilung
(vgl. Nußbeck 2008, S. 229).
2. Normen im Vergleich mit einem Kriterium:
Beim Normvergleich von Kriterien beurteilt die psychologisch-pädagogische Diagnostik
Fertigkeiten und Fähigkeiten (etwa Lese- und Schreibfähigkeit, soziale Kompetenz etc.)
von Personen, ohne diese dabei mit Fähigkeiten von anderen Personen zu vergleichen.
Vielmehr werden definierte Kriterien erstellt, die von Personen erreicht werden sollen
und bereits auf das Verhaltensrepertoire der zu diagnostizierenden Menschen abgestimmt
sind. Diese Art des Normvergleichs ermöglicht somit ein individuumsorientiertes
Vorgehen und kann das Erreichen von Lern- und Förderzielen überprüfen (vgl. ebd., S.
229).
Die Psychologie, als naturwissenschaftlich ausgelegte Disziplin, orientiert sich bei ihren
Testungen stark an standardisierten Verfahren und den dazugehörigen Gütekriterien der
Objektivität, Reliabilität und Validität. Unter Einhaltung dieser Kriterien erhält man einen
möglichst objektiven Eindruck der zu diagnostizierenden Person, um unabhängige,
zuverlässige und zutreffende diagnostische Analysen zu erzielen. Objektivität meint, dass
die Ergebnisse der Diagnose, unabhängig von der untersuchenden Person, gleich sind.
Ein und dieselbe Person sollte von verschiedenen diagnostizierenden Personen die
gleiche Diagnose erhalten. Reliabilität gilt als Kriterium der Zuverlässigkeit und
35
bedeutet, dass die gleiche Diagnose unter gleichen Umständen, aber zu einem anderen
Zeitpunkt, erstellt wird. Sie ist also zeitunabhängig und situationsüberdauernd. Unter
Validität versteht man die Tauglichkeit einer Untersuchung und will damit gewährleisten,
ob die Diagnose das gemessen hat, was es messen sollte. Je valider eine Messung ist,
desto aussagekräftiger sind die Ergebnisse (vgl. Bundschuh 2010, S 83-93).
Mittels standardisierter Verfahren versucht man das zu beurteilende Verhalten, unter im
Vorfeld festgelegten Bedingungen, zu provozieren, mit dem Ziel, auf diese Art und Weise
möglichst unabhängige, objektive Ergebnisse zu generieren. Ein Test untersucht in der
Regel eine Stichprobe, etwa richtet er den Fokus auf ein bestimmtes Verhaltensmerkmal
einer Person (z.B. Intelligenz, Konzentration, Wahrnehmungsleistung usw.), die
innerhalb der Vergleichsgruppe differenziert werden. Die Vergleichsgruppe wiederum ist
eine repräsentative Gruppe für die untersuchte Person und muss streng genommen die
gleichen Merkmale aufweisen, wie die getestete Person. Das heißt, die getestete Person
müsste theoretisch die Eigenschaften aufweisen um in der Vergleichsgruppe sein zu
können. Wie bei den zwei Arten der Normen bereits angesprochen, muss eine Person
nicht zwingend mit einer Vergleichsgruppe getestet werden, sondern die Tests können
auch kriterienorientiert sein, indem beispielsweise mit bestimmten Verfahren bestimmte
Lern- und Entwicklungsziele überprüft werden. Der Vorteil der standardisierten Tests
liegt in der Einhaltung (bzw. bestmögliche Annährung) der wissenschaftstheoretischen
Gütekriterien von Objektivität, Reliabilität und Validität (vgl. Nußbeck 2008, S. 238).
Beispielsweise werden in der Entwicklungsdiagnostik Tests zur Erfassung von senso- und
psychomotorischen Aspekten durchgeführt. Anhand dieser Tests werden aktuelle
Verhaltensmerkmale erfasst und mit „wünschenswerten“ Merkmalen, die sich nach
empirisch erforschten Entwicklungsnormen richten, verglichen. Die zu klärenden Fragen
in den Verfahren sind: „Wie ist die bisherige Entwicklung gelaufen? Wie wird es in
Zukunft? Was ist der Grund für den Entwicklungszustand?“ Die Fragen sind entweder
auf einen Gesamtzustand der Entwicklung eines Menschen gerichtet oder auf spezielle
Teilbereiche wie etwa der Motorik, der Wahrnehmung, der Sprache etc. (vgl.
Hornáková/Ondracek 2007, S. 26).
36
Als charakteristisches und bekanntestes Beispiel der psychologischen Diagnostik gelten
standardisierte Test zu Fähigkeiten von Menschen, etwa Tests zur Intelligenz. Die
Psychologie unterscheidet dabei zwischen:
Der Fähigkeit (ability) als eine Voraussetzung für bestimmtes Handeln,
der Befähigung (capability) als eingeübte Fähigkeit und
der Fertigkeit (skill) als spezielle, einzigartige Fähigkeit (vgl.
Hornáková/Ondracek 2007, S. 26).
Eine strenge Einhaltung der wissenschaftstheoretischen Kriterien von Objektivität,
Reliabilität und Validität in pädagogisch-diagnostischem Kontext gilt schwer umsetzbare
Idealvorstellung, der man sich lediglich annähern kann. Menschliches Verhalten oder
Interaktionen zwischen Menschen sind nie vollkommen kontrollierbar. Die Qualität von
diagnostischen Erhebungsmethoden lässt sich trotzdem an der Orientierung der
Gütekriterien beurteilen und so den Grad der Brauchbarkeit von Ergebnissen aus der
Diagnose bestimmen (vgl. Nußbeck 2008, S. 230).
In der Sonder- und Heilpädagogik kommt zudem erschwerend hinzu, dass Menschen mit
geistiger Behinderung mit der unnatürlichen Situation, die ein Testverfahren mit sich
bringt, nicht gut zurechtkommen und die Ergebnisse daher verfälscht oder völlig
unbrauchbar werden können. Zudem sind viele übliche Testverfahren, die mit Menschen
ohne Intelligenzminderung durchgeführt werden können, schwer für geistig behinderte
Menschen zu adaptieren, da etwa Kommunikationsprobleme, das fehlende
Aufgabenverständnis, nicht vorhandene Motivation für die Testverfahren oder
Verhaltensprobleme eine angemessene Testung unmöglich machen (vgl. Nußbeck 2008,
S. 238).
Im Speziellen für die Betreuung von Menschen mit Behinderung sind Intelligenz-,
Konzentrations-, entwicklungspsychologische- und Persönlichkeitstests für die
pädagogische Arbeit von Wichtigkeit und dienen als Grundlage der Methodenauswahl
für die Begleitung und Betreuung. Ähnlich wie die medizinischen Diagnosen werden
psychologische Gutachten, wie sie zum Beispiel Clearing Stellen erarbeiten, als wichtige
Informationsquelle herangezogen. Liegen keine Diagnosen vor oder liegen vorhandene
37
Diagnosen in ihrer Erstellung bereits viele Jahre zurück, so werden dementsprechende
Empfehlungen zur Einholung aktueller Gutachten ausgesprochen. Aussagekräftige, in
ihrer Ausarbeitung zeitintensive, psychologische Diagnosen sind mit einem hohen
finanziellen Aufwand verbunden, das vor allem bei KlientInnen aus
einkommensschwachen Familien bzw. bei KlientInnen die nur über ein geringes
eigenständiges Einkommen verfügen, dazu führt, meist keine Gutachten einholen zu
können. Doch gerade die Erstellung psychologischer Gutachten kann neben dem
Erkenntnisgewinn über die Diagnostik den BetreuerInnen interdisziplinären Austausch
mit PsychiaterInnen und klinischen PsychologInnen ermöglichen, um gemeinsam
Interventionsmaßnahmen zu planen und abzustimmen.
Psychologische und medizinische Diagnoseverfahren haben gemein,
naturwissenschaftlich ausgerichtet zu sein und in Form von standardisierten Verfahren
durchgeführt zu werden, um bestimmte Merkmale eines Menschen zu bestimmen
(Krankheiten, Intelligenz, etc.). Im nächsten Unterpunkt wende ich mich an
sozialpädagogische und sozialarbeiterische Herangehensweisen in der sozialen
Diagnostik. Hierin wird sich zeigen, dass zwar standardisierte Verfahren genauso ihre
Anwendung finden, allerdings der Versuch einen Menschen in Einbezug seines gesamten
Systems (der Lebenswelt) zu diagnostizieren, an seine Grenzen stößt. Insofern bedarf es
in der sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Diagnostik zusätzlicher Methoden
und theoretischer Konzepte, abseits rein quantitativer Forschungsansätze.
6.3 Diagnostik in der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit
Wie in der Überleitung bereits erwähnt, unterscheiden sich die sozialpädagogische
Diagnostik von jenen der Medizin und Psychologie. Grundsätzlich kann man drei Punkte
herausstreichen, die eine soziale Diagnose auszeichnen und deren Abgrenzung zu
anderen Disziplinen beschreiben:
Sozialpädagogische Besonderheiten sind zumal die Ausrichtung, subjektive
Zusammenhänge zu verstehen. Die Frage in der sozialpädagogischen Diagnostik richtet
sich nicht danach welche Defizite oder wie auffällig jemand ist, sondern fragt sich, welche
subjektive Logik bestimmte Handlungen in der Lebensgeschichte von KlientInnen hatten
oder haben. Man will herausfinden, welche subjektive Funktion etwa Stehlen, Weglaufen
oder Aggressivität für den oder den/die KlientIn haben. Denn nur durch dieses Verstehen
38
können realisierbare und passende Angebote geschnürt werden, die zum Um- und
Neulernen erfolgreicher und sozial respektierter Überlebensstrategien/Verhaltensweisen
führen (vgl. Schrapper 2008, S. 201).
Die zweite Besonderheit ist, dass sich sozialpädagogische Diagnostik nicht nur auf die
individuelle Biographie oder Familiengeschichte bzw. der gesamten Lebensumstände der
KlientInnen bezieht, sondern auch auf deren Hilfesysteme. Denn sobald eine Person zu
einem pädagogischen Fall wird, wirken dabei immer das Hilfesystem bzw. die
PädagogInnen ein. Deswegen ist es aus Sicht der SozialpädagogInnen wichtig, dass ihr
Agieren reflektiert wird und mit welchen Werten und Normen sie ihren Fällen begegnen
bzw. wie sich diese voneinander unterscheiden (vgl. ebd., S. 203).
Und zuletzt ist eine Besonderheit der sozialpädagogischen Diagnostik jene, dass die
Diagnoseverfahren nicht immer linear, sondern auch zirkulär erfolgen können. Das
bedeutet, dass nicht immer der Reihenfolge Anamnese, Diagnose, Intervention gefolgt
werden muss bzw. kann, sondern oftmals eine Intervention getätigt werden muss, bevor
eine Diagnose überhaupt möglich ist. Zudem besteht die Möglichkeit, dass die drei
Phasen der Diagnose miteinander verschmelzen können (vgl. ebd., S. 204). Damit ist
gemeint, dass zum Beispiel ein Anamnesegespräch, in dem einem Menschen die
Möglichkeit geboten wird über seine Probleme zu sprechen, allein schon eine hilfreiche
Intervention für ihn sein kann (vgl. Pantucek 2008, S. 97).
Vor allem der letzte Punkt führt die Notwendigkeit über das allgemeine Wissen sozialer
Diagnostik für die Entwicklung eines Anamneseverfahrens vor Augen, da die jeweiligen
Schritte eines gesamten Diagnoseverfahrens ineinander verschwimmen und durch die
Prozesshaftigkeit sozialer Diagnosen nicht abgekoppelt voneinander bearbeitet werden
können. Ein Anamneseverfahren kann gleichzeitig eine Diagnose darstellen,
Interventionen beinhalten und als Evaluation pädagogischer Maßnahmen verwendet
werden.
Die Soziale Arbeit hat hinsichtlich dieser Ausgangslage von sozialer Diagnostik eine
Vielzahl an Verfahren entwickelt. Diese sind abhängig von Klientel, der pädagogischen
Zielsetzungen, der Ressourcen von sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen
Einrichtungen und der bestimmten Zielsetzungen. Ziel aller Verfahren ist es aber, nicht
allein bei der zu diagnostizierenden Person zu verweilen, sondern die gesamte Lebenswelt
zu berücksichtigen. Dahingehend spielen systemische Ansätze in Diagnoseverfahren und
39
die Beziehungsmuster innerhalb der Umwelt des/der KlientIn eine wichtige Rolle und
sollen folgend genauer betrachtet werden.
6.4 Systemische Diagnostik
Soziale Systeme nach Ritscher (2004) sind Ereignisse, Dinge oder Personen, die unter
einer bestimmten Sinnbestimmung über einen längeren Zeitraum miteinander in
Verbindung stehen. Die Familie einer Person ist Teil eines Systems. Die Familie, wie sie
bei uns gegenwärtig in Erscheinung tritt, ist ein Resultat gesellschaftlicher Normen
bezugnehmend auf Sozialisations- oder Erziehungssysteme. Die Personen innerhalb der
Familie unterliegen dieser gesellschaftlichen Aufgabe und passen sich entsprechend ihrer
Handlungsmöglichkeiten an. Aus diesen Handlungen und der gleichzeitigen Abgrenzung
zu anderen Systemen, betreffend deren Werte, Mythen, Traditionen, etc., entsteht die
Identität des Systems. Die Mitglieder des Systems stehen in einem wechselseitigen
Verhältnis, das durch kommunikative Prozesse Regeln entwirft und erhält, die innerhalb
des eigenen Systems, als auch außerhalb Anwendung finden. Systeme ergeben somit die
soziale Wirklichkeit von Menschen (vgl. Ritscher 2004, S. 69). Die systemische Diagnose
diagnostiziert die Wechselseitigkeit der Beziehungen und Beziehungsereignisse und
versucht Muster und Strukturen eines Systemprozesses zu rekonstruieren, um so ein
bestimmtes Verhalten einer bestimmten Person in einen sinnvollen Zusammenhang zu
bringen (vgl. Ritscher 2004, S. 75-76).
Folgende Aspekte sind wesentlich für eine systemische Diagnose:
„Rollen, Rollenbeziehungen und- verteilungen: Wer hat wann und welche
Aufgaben zu erfüllen;
Regeln und Metaregeln (Regeln zur Veränderung von Regeln): Welche
Verhaltensvorschriften gibt es;
Statusbestimmungen: Wer verfügt über welche Informationen und
Durchsetzungsmöglichkeiten für eigene Ansprüche (Macht);
die kognitiv-affektive Landkarte: Zentrale Themen, Mythen, Geschichten,
Botschaften, Ideen, Werte, Aufgaben und Bewältigungsstrategien als
40
Bezugspunkte und Messlatten für die Handlungen der Mitglieder des Systems.“
(Ritscher 2004, S. 76)
Das systemische Diagnostizieren findet sich in vielen Methoden wieder. Prinzipiell wird
dabei versucht ein bestimmtes Verhalten auf Grund von Beziehungskonstellationen
nachvollziehen zu können und zu beschreiben, mit dem Ziel der „Entdeckung des Sinns
und der systemerhaltenden Funktion von Symptomen, Störungen, Entwicklungsblockaden
und sozialen Auffälligkeiten“ (ebd., S. 76). Daneben geben Diagnoseverfahren im Blick
auf systemische Konstellationen Aufschluss über die generellen
Sozialisationsbedingungen unter denen eine Person aufgewachsen ist. Diese wiederum
sind, bezogen auf Menschen mit Lernbehinderung, wesentlich, wenn man davon ausgeht,
dass erlernte Hilflosigkeit als Erklärungsmuster für die Genese geistiger Behinderung,
vor allem bei einer verminderten Form davon, herangezogen wird (vgl. Werning/Lütje-
Klose 2012, zit. n. Tillmann 2016, S. 94). Um die systemischen Konstellationen zu
verstehen, diagnostiziert man, wie konkrete Beziehungen auf einen Menschen wirken,
also ob sie eine Person negativ oder positiv beeinflussen. Aber auch welche Stellung eine
Person innerhalb ihres Systems hat, wie sie wahrgenommen wird, welche Stellung ihr
zugeteilt wird und wie sie sich selbst darin fühlt (vgl. Wolfendale, 1992, zit. n. Vojtová
2007, S. 94).
Der systemische Ansatz stellt keine lineare Betrachtungsweise dar. Damit ist gemeint,
dass das Verhalten einer Person, Ursache für das Verhalten einer anderer Person ist
(Ursache-Wirkungsprinzip). Vielmehr wird der Kontext betrachtet, in dem
Kommunikation erfolgt und aus welchem ein bestimmtes Verhalten entspringt. Ein
Problem wird dabei nicht im Individuum, sondern zwischen den Individuen gesucht. Das
Verhalten von Personen innerhalb eines Systems (beispielsweise in der Familie) resultiert
nicht ausschließlich aus den Beziehungen innerhalb eines Systems, sondern wird vom
erweiterten Umfeld mitbeeinflusst (z.B. Schule, Freunde, Nachbarschaft etc.) (vgl. Rothe
2011, S. 29). Als methodische Werkzeuge zur Darstellung der beeinflussenden
Beziehungskonstellationen fungieren unter anderem Netzwerkarten oder Genogramme.
Für die Arbeit im Trainingswohnen haben Systeme die gleiche Bedeutung wie für andere
sozialpädagogische Maßnahmen. Neben dem besseren Verständnis über
Verhaltensmuster dienen sie vor allem dazu, herauszufinden, welche Personen im Leben
41
eines/einer BewohnerInnen von Bedeutung sind, welche Bezugspersonen bekannt sind
und zu welchen Menschen ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht, immer den Blick
darauf gerichtet, diese Personen als wichtige Ressource für die Weiterentwicklung für
den/die BewohnerIn heranziehen zu können.
Für den diagnostischen Prozess der Erfassung der Lebenssituation eines Menschen sind
vier Systemebenen wichtig: Ebene der Einheit vom System und seiner Umwelt; Ebene
der systembildenden Komponenten; Ebene der systembildenden Beziehungen, Ebene der
Entwicklungsgesetzmäßigkeiten des Systems (vgl. Porkornà, 1997, zit. n. Vojtová 2007,
S. 93). Die Ebene der Einheit vom System und seiner Umwelt klärt die Funktionsfähigkeit
von Systemen. Es stellen sich hierfür die Fragen, wie das System von der Außenwelt
abgegrenzt ist (offen oder geschlossen), wie das System Impulse von außen aufnimmt
und auf diese reagiert oder wie das System Impulse in die Außenwelt sendet. Die zweite
Ebene der systembildenden Komponenten klärt die Anordnung der einzelnen Elemente
innerhalb eines Systems, sowie die speziellen Eigenschaften und Funktionen. Die dazu
gestellten Fragen richten sich an die spezifischen Rollen von Elementen im Funktionieren
von Systemen und an die Offenheit der Elemente gegenüber Einflüssen anderer
Systemelemente. Die dritte Ebene erforscht die systembildenden Beziehungen, also den
Charakter der Systemstruktur, die Wechselwirkung der Innen- und Außensysteme, sowie
die Kommunikation der einzelnen Elemente innerhalb des Systems. Hierin geht man der
Frage nach der Stabilität und Dynamik der Systemstruktur nach. Die letzte Ebene der
Entwicklungsgesetzmäßigkeiten des Systems hängt von der Aktivität der Komponenten
ab, die innere Widersprüche im System auszugleichen versucht. In welcher Form dies
stattfindet, entscheidet über den Charakter des Verhaltens innerhalb eines System. Ist es
statisch oder dynamisch und können Abweichungen und Spannungen ausgleichen
werden, um sich in einem Gleichgewicht zu halten? (vgl. ebd., S. 93-94). Das
Hinterfragen dieser vier Ebenen kann in jedem System eines Menschen erfolgen. Die
wesentlichen Systeme für die sozialpädagogische Diagnostik sind die Familie, die Schule,
der Freundeskreis und die Arbeit. Auch für das Trainingswohnen sind diese
Systembereiche entscheidend für diagnostische Verfahren und das Herausfinden von
möglichen Ressourcen und Hemmnissen. Diagnostiziert man das System Familie und
geht man systematisch den Fragen der oben beschriebenen Ebenen nach, so stellt man
sich beispielsweise bezogen auf die dritte Ebene (Ebene der systembildenden
42
Beziehungen) folgende Fragen: Wie verhalten sich die Eltern? Vermittelt die Familie
ihren Mitgliedern das Gefühl der Geborgenheit? Bietet die Familie Raum für die freie
Entfaltung? (vgl. ebd., S. 97).
6.5 Klassifikationssysteme in der Sozialen Diagnostik
In der Sozialen Arbeit gab es bereits mehrere Versuche Klassifikationssysteme in die
verschiedenen Handlungsfelder zu integrieren. Ähnlich wie der ICD sollen diese Systeme
anhand von Codierungen die Möglichkeit geben, eine gemeinsame Sprache unter
professionellen SozialpädaogInnen bzw. SozialarbeiterInnen zu ermöglichen. In der
Folge werde ich sowohl das PIE-System (Person-In-Environment), als auch die ICF
(International Classification of Functioning, Disability and Health) genauer erörtern,
dabei auf die positiven Ansätze für die soziale Diagnostik eingehen aber auch die Grenzen
der Umsetzbarkeit der Klassifikationssysteme in sozialpädagogischen und
sozialarbeiterischen Handlungsfeldern aufzeigen. Neben der allgemeinen Aufarbeitung
sozialer Diagnostik sollen diese Modelle als theoretische Basis für die Entwicklung der
Anamneseverfahren für das Trainingswohnen für Menschen mit Behinderung dienen, da
sie darauf abzielen die Gesamtheit einer Person systematisch zu diagnostizieren.
6.6 Person in Environment (PIE)
Das Person-In-Environment-System (PIE), das in den 1990er Jahren von den
Amerikanern Karls und Wandrei entwickelt wurde (vgl. Pantucek 2008, S. 294), gilt als
eines der bekanntesten Klassifikationssysteme in der sozialen Diagnostik. Das PIE setzt
sich das Ziel, soziale Funktionen bzw. soziale Probleme zu erfassen und dient der
Diagnostik sozialer Funktionsstörungen. Zudem ist im Verfahren das Einbeziehen
anderer Klassifikationssysteme bzw. anderer Diagnosen aus der Medizin und Psychologie
inkludiert. Zur Erfassung der Funktionsstörungen besteht das PIE aus vier Faktoren, aus
denen sich das Codierungssystem zusammensetzt. Es klassifiziert dabei neben den
sozialen Funktionen bzw. Störungen von KlientInnen, die Probleme und Defizite im
Versorgungsangebot ihrer Umwelt (vgl. Adler 2004, S. 166-167). Das PIE-System ist
43
rein deskriptiv, sie beschreibt also lediglich die Situation und die Problembereiche einer
Person und beinhaltet keine vorgegebenen Interventionsmaßnahmen.
Die vier Faktoren, auf denen das System aufgebaut ist, bestehen aus:
Faktor 1: Soziale Rollen
Faktor 2: Umwelt und Umgebungsprobleme im Kontext kommunaler
Versorgungssysteme
Faktor 3: Psychische Probleme
Faktor 4: Körperliche Erkrankungen
Die Faktoren 3 und 4 erschließen sich aus Diagnosen anderer Disziplinen (z.B.
medizinische oder psychiatrische ICD-10 Diagnosen). Von SozialpädagogInnen werden
tatsächlich die Faktoren 1 und 2 gemessen, um im Anschluss eine abschließende
Diagnose unter Berücksichtigung aller vier Faktoren zu erstellen.
Der Faktor 1, „Soziale Rollen“, erschließt mit einem standardisierten Erhebungsbogen
die Problemfelder, die sich aus dem Austausch zwischen Individuum und Umwelt
ergeben. Zusätzlich werden auch Probleme erhoben, welche aus Erwartungshaltungen
anderer Personen oder der Gesellschaft entstehen. Die sozialen Rollen sind im
Erhebungsbogen in vier Gruppen unterteilt:
Familienrollen: Rolle als Eltern, als Kind, als Geschwister oder andere
familienbezogene Rollen;
Interpersonelle Rollen: Rolle als FreundIn, NachbarIn, BeziehungspartnerIn etc.;
Berufliche Rollen: Rolle als ArbeitnehmerIn, SchülerIn, StudentIn etc.;
Rolle spezieller Lebenssituationen: Rolle als stationärer KlientIn,
BewährungskanditatIn, Flüchtling, zugehöriger einer Minderheit, etc. (vgl. Adler
2004, S.167-168).
Die sozialen Rollen sollen in der Diagnose Beziehungsverhältnisse aufzeigen und das
spezielle/problemhafte Verhalten nachvollziehbar machen. Mit dem Hinterfragen der vier
Gruppen versucht man ein möglichst umfassendes Bild von den sozialen Beziehungen
und deren Zusammenwirken innerhalb der gesamten Lebenswelt eines/r KlientIn zu
44
erhalten. Einerseits zielt man darauf ab ein Verständnis dafür zu bekommen, weshalb
problematisches Verhalten durch soziale Beziehungen entsteht. Anderseits können
soziale Beziehungen als wichtige Ressourcen für Veränderungsprozesse herangezogen
werden und positiv auf eine Person einwirken.
Faktor 2, „Umwelt- und Umgebungsprobleme im Kontext kommunaler
Versorgungssysteme“, umfasst „die Summe aller natürlichen und durch den Menschen
geschaffenen Umstände außerhalb der Person“ (Adler 2004, S. 168). Wie Faktor 1 wird
auch der Faktor 2 in Untersysteme gegliedert:
System der ökonomischen und basalen Bedürfnisse: Ernährung, Unterkunft,
ökonomische Ressourcen, Arbeit etc.;
Erziehungs- und Bildungswesen: Erziehung und Bildung sowie Diskriminierung
auf Grund des Alters oder der Religion;
Justizwesen und Rechtssystem: öffentliche Sicherheit, Diskriminierung im
Rechtssystem (z.B. auf Grund von Sexualität);
Gesundheits- und Sozialsystem: Soziale Dienste in der Umgebung,
Diskriminierung im Gesundheitswesen;
System freiwilliger Zusammenschlüsse: Religionsgruppierungen, Vereine,
Diskriminierung im System freiwilliger Zusammenschlüsse (z.B. wegen
ethnischer Zugehörigkeit);
System der affektiven Unterstützung: Diskriminierung der affektiven
Unterstützung aufgrund des Alters, Hautfarbe oder einer Behinderung (vgl. Adler
2004, S. 168-169).
Jedes einzelne System wird im PIE hinterfragt und bei einem auftretenden Problem
codiert. Im Faktor 1 wird die jeweilige Rolle der Person mit den folgenden vier
Dimensionen klassifiziert: Typen von sozialen Interaktionsproblemen, Intensitätsindex,
Dauer Index und Coping Index. Jeder dieser Dimensionen hat eine unterschiedliche
Anzahl an Ausprägungen. So kann beispielsweise die Rolle des Bruders (Code 13), den
Typus Abhängigkeit (Code 40) hervorrufen, mit einem Intensivitätsindex „hoch“ (Code
4) bei einer Dauer von mehr als fünf Jahren (Code 1) und einem Coping Index „teilweise
inadäquat“ (Code 4). Im PIE-Assessmentblatt wird dann der jeweils entstandene Code
eingetragen. Der Faktor 2 diagnostiziert nach dem gleichen System, lediglich die
45
Dimensionen ändern sich. Zudem sieht das System vor eine erforderliche Intervention zu
nennen (vgl. Pantucek 2012, S. 296-299). Zur Veranschaulichung zeigt die folgende
Grafik einen Erhebungsbogen für die Familienrollen mit den dazugehörigen
Dimensionen:
Faktor I: 1. – 4. Probleme in Rollen
Name KlientIn
Gesprächsdatum
SozialarbeiterIn
1. FAMILIENROLLEN
Code
Typus
Inte
nsität
Dauer
Copin
g
erforderliche Intervention
Vater/Mutter 11
PartnerIn 12
Kind 13
Bruder/Schwester 14
anderes Familienmitglied
15
wichtiger Anderer 16
Abbildung 2: Person In Environment (PIE): Faktor 1-4 Probleme in Rollen (Pantucek 2008, S. 296-297)
TYPEN VON SOZIALEN INTERAKTIONSPROBLEMEN 10 Macht 20 Ambivalenz 30 Verantwortung 40 Abhängigkeit 50 Verlust 60 Isolation 70 Viktimisierung 80 gemischt 90 andere: …
INTENSITÄTS INDEX 1 kein Problem 2 gering 3 mäßig 4 hoch 5 sehr hoch 6 katastrophal
DAUER INDEX 1 > 5 Jahre 2 ein bis 5 Jahre 3 sechs Mo bis ein Jahr 4 ein bis sechs Monate 5 zwei Wo bis ein Monat 6 < 2 Wochen
COPING INDEX 1 hervorragend 2 überdurchschnittlich 3 adäquat 4 teilweise inadäquat 5 inadäquat 6 keine Coping-Fähigkeiten
46
Wie bereits erwähnt ist der PIE eine deskriptive Methode und beinhaltet keine
vorgegebenen Interventionsmaßnahmen für jeweilige Diagnosen, sondern überlässt diese
Entscheidung den SozialpädagogInnen bzw. –arbeiterInnen. Außerdem beinhaltet das
System nicht die Entstehung von Problembereichen, sondern beschreibt lediglich die
momentane Situation eines/r KlientIn. Zudem ist das System in seiner Komplexität mit
einem hohen zeitlichen Arbeitsaufwand (sowie einer längeren Einschulungsphase)
verbunden, sodass es in sozialpädagogischen Handlungsfeldern durchaus abschreckend
wirken kann. Trotzdem lassen sich folgende, für die Anwendung des PIE-Systems
sprechende, Punkte zusammenfassen:
Das PIE-System ist nicht nur für einen speziellen Bereich der Sozialen Arbeit
ausgelegt, sondern kann überall angewandt werden. Damit kann es zu einer
einheitlichen Erfassung von Problembereichen aller individuumsorientierten
Teilbereiche der Sozialen Arbeit beitragen.
Da das System nicht einer speziellen Theorie der sozialen Arbeit unterliegt,
vermeidet es Widersprüchlichkeiten die durch verschiedene theoretische Ansätze
entstehen können. Das PIE-System lässt Raum für viele verschiedene theoretische
Ansätze, wie die Lebenswelttheorie, unterschiedliche systemische Ansätze, als
auch Theorien zum Sozialraum.
Mit den Begriffsrastern stellt es eine einheitliche Sprache zur Verfügung. Das
ermöglicht eine leichtere Nachvollziehbarkeit der Arbeit und bietet, durch die
Codierung von den Lebenssituationen der KlientInnen eine einfachere statistische
Bearbeitung, insbesondere hinsichtlich der Forschungszwecke.
Mit dem Einbezug von Diagnosen aus der Medizin und der Psychologie schlägt
das System eine Brücke zu verwandten Disziplinen der Sozialen Arbeit (vgl.
Adler 2004, S. 172-173).
Der Nachteil des Systems, wie generell der Nachteil eines Klassifikationssystems, liegt
in der Tatsache, dass die Lebenssituationen zu unspezifisch benannt sind und die reale
Lebenswelt einer Person komplexer ist, als eine vereinheitlichtes System sie beschreiben
47
kann. Daneben bietet der PIE, ähnlich wie die im nächsten Unterkapitel vorgestellte ICF,
eine gemeinsame Sprache für Lebenssituationen an, jedoch keine konkreten Methoden,
wie diese eruiert werden können. Zwar kann das PIE-System in allen Handlungsfeldern
der klientenorientierten Sozialen Arbeit angewandt werden, die konkrete Durchführung
muss aber individuell abgestimmt sein (vgl. ebd., S. 170).
6.7 Interntational Classification of Functioning, Disability and Health (ICF)
Das System des „International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF),
zu Deutsch „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und
Gesundheit“, ist ein von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickeltes, bio-
psycho-soziales Klassifizierungssystem, das auf die Zielgruppe behinderter Menschen
ausgerichtet ist. Der ICF wurde 2001 veröffentlich, ist die Weiterentwicklung des ICIDH
(International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps) und verfolgt das
Ziel, die Lebenswirklichkeit betroffener Menschen besser zu erfassen. Zwischen den
beiden Modellen des ICF und ICIDH gibt es eine Vielzahl an Unterschieden. Als die
wichtigsten gelten folgende:
Das Grundmodell des ICF ist bio-psycho-sozial ausgerichtet und kein reines
Krankheitsfolgenmodell. Es diagnostiziert somit nicht nur die Behinderung als ein
Defizitmerkmal, sondern zielt darauf ab, Ressourcen zu erkennen. Es werden Bereiche
klassifiziert, in denen Behinderung auftreten können, sowohl mit deren negativen als auch
positiven Folgen. Der entscheidendste Unterschied und gleichzeitig der Faktor, der eine
Umsetzung schwierig macht, ist jener der Kontextfaktoren. So definierte der ICIDH
Behinderung als einen formalen Überbegriff für Fähigkeitsstörungen und sozialen
Beeinträchtigungen. Der ICD bestimmt Behinderung mit der Tatsache der
Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit in allen Lebensbereichen und mit der expliziten
Einbeziehung der Kontextfaktoren einer Person (vgl. WHO 2005, S. 4-5). Unter
Kontextfaktoren versucht man den gesamten Lebenshintergrund einer Person
miteinzubeziehen und unterscheidet dabei Umweltfaktoren und personenbezogene
Faktoren.
Umweltfaktoren bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der
ein Mensch lebt. Diese Faktoren liegen außerhalb des Individuums.
48
Personenbezogene Faktoren sind „der spezielle Hintergrund des Lebens und der
Lebensführung eines Menschen und umfassen Gegebenheiten des Menschen, die nicht
Teil ihres Gesundheitsproblems sind.“ (WHO 2001, S. 20 f., zit. n. Bigger/Strasser 2005,
S. 248-249) Die Kontextfaktoren beziehen somit die soziale und lokale Umgebung und
deren Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit einer Person mit ein.
Der ICF misst also wie funktional gesund ein Mensch ist. Laut Definition ist eine Person
dann funktional gesund, „wenn
1. ihre körperlichen Funktionen (einschließlich des mentalen Bereichs) und
Körperstrukturen denen eines gesunden Menschen entsprechen (Konzepte der
Köperfunktionen und -strukturen),
2. sie all das tut oder kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsprobleme
erwartet wird (Konzept der Aktivitäten),
3. sie ihr Dasein in allen Lebensbereichen, die ihr wichtig sind, in der Weise und
Umfang entfalten kann, wie es von einem Menschen ohne gesundheitsbedingte
Beeinträchtigung der Körperfunktionen oder -strukturen oder Aktivitäten
erwartet wird (Konzept der Partizipation an Lebensbereichen).“ (WHO 2005, S.
4)
Die Beeinträchtigung der funktionellen Gesundheit ist der ICF nach kein Merkmal einer
Person, sondern entsteht aus einem Geflecht von vielen Bedingungen, die nicht von der
Person selbst geschaffen, sondern vom Umfeld einer Person beeinflusst werden (vgl.
Gramp 2005, S. 275).
Der ICF ist dazu entwickelt worden die Abweichungen der funktionalen Gesundheit in
ihren unterschiedlichen Ausprägungen zu klassifizieren.
Der Aufbau der ICF basiert dabei auf zwei Teilen, mit jeweils zwei Komponenten. Der
erste Teil betrifft die Funktionsfähigkeit und Behinderung, mit den Komponenten des
Körpers, der sich in Körperfunktionen und Körperstrukturen unterscheidet. Mit
Körperfunktionen sind die physiologischen, einschließlich der psychologischen
Funktionen gemeint. Die Körperstrukturen definieren sich als anatomische Teile des
Körpers, also Organe, Gliedmaßen und deren Bestandteile. Die zweite Komponente
erfasst die Aktivitäten und Partizipation eines Menschen. Sie misst dabei inwieweit eine
Person am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Im Konkreten bezieht es sich dabei
49
etwa auf die Bereiche Kommunikation, Mobilität oder Selbstversorgung. Der zweite Teil
besteht aus den Kontextfaktoren mit den oben bereits erklärten Komponenten der
Umweltfaktoren und personenbezogenen Faktoren (vgl. ICF 2005, S. 16-17).
Folgende Tabelle gibt einen Überblick über den Aufbau der Komponenten:
Teil 1: Funktionsfähigkeit und
Behinderung Teil 2: Kontextfaktoren
Komponenten Körperfunktionen
und -strukturen
Aktivitäten und
Partizipation
(Teilhabe)
Umweltfaktoren personenbezogene
Faktoren
Domänen Körperfunktionen,
Körperstrukturen
Lebensbereiche
(Aufgabe,
Handlungen)
Äußere Einflüsse
auf
Funktionsfähigkeit
und Behinderung
Innere ‚Einflüsse
auf
Funktionsfähigkeit
und Behinderung
Konstrukte
Veränderung in
Körperfunktionen
(physiologisch)
Veränderung in
Körperstrukturen
(anatomisch)
Leistungsfähigkeit
(Durchführung von
Aufgaben in einer
standardisierten
Umwelt)
Leistung
(Durchführung von
Aufgaben in der
gegenwärtigen
Umwelt)
fördernde oder
beeinträchtigende
Einflüsse von
Merkmalen der
materiellen,
sozialen und
einstellungsbezoge
nen Welt
Einflüsse von
Merkmalen der
Person
Positiver
Aspekt
Funktionale und
strukturelle Integrität
Aktivitäten
Partizipation
(Teilhabe) positiv wirkende
Faktoren nicht anwendbar
Funktionsfähigkeit
Negativer
Aspekt
Schädigung
Beeinträchtigung
der Aktivität
Beeinträchtigung
der Partizipation
(Teilhabe)
negativ wirkende
Faktoren
(Barrieren,
Hindernisse)
nicht anwendbar
Behinderung
Abbildung 3: ICF: Komponentenaufteilung (ICF 2005, S. 17)
Der ICF betrachtet, als Konsequenz der funktionalen Behinderung, die Auswirkung auf
das Ausmaß der Aktivität einer Person. Alle Komponenten wirken sich auf den Grad der
Aktivität einer Person aus (siehe Tabelle). Anhand eines Codierungssystems wird die Art
der Ausprägung klassifiziert.
50
Abbildung 4: ICF: Wechselwirkung der Aktivitäten (WHO 2005, S. 23)
Der ICF umfasst knapp 200 Seiten, ein Großteil davon besteht aus Codierungen, die
innerhalb dieser Arbeit nicht alle präsentiert werden können. Trotzdem möchte ich zu
Veranschaulichungszwecken zeigen, wie dieses Codierungssystem aufgebaut ist und
folgendes Beispiel aus der Komponente „Teilhabe“ vorstellen.
Die Komponente gliedert sich in neun sogenannte Kapitel:
Kapitel 1: Lernen und Wissensanwendung
Kapitel 2: Allgemeine Aufgaben und Anforderungen
Kapitel 3: Kommunikation
Kapitel 4: Mobilität
Kapitel 5: Selbstversorgung
Kapitel 6: Häusliches Leben
Kapitel 7: Interpersonale Interaktionen und Beziehungen
Kapitel 8: Bedeutende Lebensbereiche
Kapitel 9: Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben (vgl. WHO
2005, S. 42-46)
Jedes einzelne Kapitel ist in weitere Unterkapitel unterteilt. Innerhalb der Unterkapitel
werden die verschiedenen Ausprägungen aufgezeigt und mit Codes versehen, die am
51
Ende zur Klassifizierung der funktionalen Behinderung herangezogen werden. Als
Beispiel soll hier das Kapitel „Kapitel 6: Häusliches leben“ dienen, deren Unterkapitel
inklusive der Codierungen wie folgt gegliedert sind:
„Beschaffung von Lebensnotwendigkeiten (d610-d629)
d610 Wohnraum schaffen
d620 Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs schaffen
d629 Beschaffung von Lebensnotwendigkeiten, anders oder nicht näher
bezeichnet
Haushaltsaufgaben (d630-d649)
d630 Mahlzeiten vorbereiten
d640 Hausarbeiten erledigen
d649 Haushaltsaufgaben, anders oder nicht näher bezeichnet
Haushaltsgegenstände pflegen und anderen helfen (d650-d669)
D650 Haushaltsgegenstände pflegen
D660 anderen helfen
D669 Haushaltsgegenstände pflegen und anderen helfen, anders oder
nicht näher bezeichnet“ (WHO 2005, S. 44)
Die jeweiligen Codierungen haben eine genaue Definition. So lautet jene des Codes
d630: „Mahlzeiten vorbereiten“:
„Einfache und komplexe Mahlzeiten für sich selbst planen, zu organisieren, zu
kochen und anzurichten, wie ein Menü zubereiten, genießbare Lebensmittel und
Getränke auszuwählen, Zutaten für die Vorbereitung der Mahlzeit zusammen zu
stellen, mit Wärme kochen, sowie kalte Speisen und Getränke vorbereiten und die
Speisen servieren.“ (WHO 2005, S. 113)
Meistens gliedern sich die oben aufgeführten Codes in weitere Untercodierungen. Im
Beispiel des gerade definierten Codes d630 untergliedert sich dieser noch in die Codes
52
„d6300 Einfache Mahlzeiten“ und „d6301 Komplexe Mahlzeiten“, mit jeweils einer
weiteren genauen Definition.
Sollte sich nun herausstellen, dass eine Person Schwierigkeiten in der Zubereitung einer
Mahlzeit hat und noch nie warm gekocht hat, würde der entsprechende Code, inklusive
der Ausprägung, angegeben werden. Die Ausprägung, also wie hoch das Problem
einzuschätzen ist, hat vier Stufen und reicht von 1 (Problem nicht vorhanden) bis 4
(Problem voll ausgeprägt). Das angegebene Beispiel würde also mit d6300.4 codiert
werden und erhielte damit eine gemeinsame Sprache.
Wichtig dabei ist die Tatsache, dass der ICF kein konkurrierendes Modell zum ICD ist.
Vielmehr liefert der ICF eine Ergänzung dazu. Die Funktionsfähigkeit und die
Behinderung, in Verbindung mit dem im ICD festgelegten Gesundheitsproblem, werden
im ICF klassifiziert. Erforderlich ist das, da der ICD defizitorientiert ausgerichtet ist und
lediglich die Krankheit einer Person anhand eines Codierungssystems klassifiziert. Dabei
sind aber nicht die Auswirkungen auf die Lebenswelt einer Person, die durch eine
Krankheit entstehen, mitinbegriffen. Funktionale Probleme zu klassifizieren, die mit einer
Krankheit bzw. Behinderung miteinhergehen, soll durch das bio-psycho-soziale Modell
des ICF erfolgen (vgl. Göttgens/Schröder 2014, S. 32). Außerdem ist der ICF kein
Diagnoseinstrument an sich. Es handelt sich um keine bestimmte Methode, sondern
versucht eine einheitliche Terminologie zur Klassifikation von
Funktionseinschränkungen zu entwickeln (vgl. Bigger/Strasser 2005, S. 246).
Wie gut zu erkennen ist, unterliegt die Klassifizierung funktionaler Gesundheit bzw.
Behinderung einem sehr komplexen und aufwendigen System. Zudem besteht das
Problem, dass selbst mit diesem, in die tiefe gehenden Aufbau, keine Vollständigkeit
erreicht werden kann, da die personenbezogenen Faktoren in ihrer Ausprägung nicht
klassifiziert werden können. Aufgrund der individuellen Ausprägungen
personenbezogener Merkmale lassen sich Kategorien schwer bis kaum erstellen. Die hier
erarbeitete Anamnesemethode wird nicht darauf ausgelegt sein, Informationen für ein
Codierungssystem zu generieren, da die beschriebenen Grenzen der Umsetzung der ICF
auch im Bereich des Trainingswohnens gelten. Vielmehr gibt dieses System einen
Überblick über relevante Bereiche des Lebens eines Menschen mit Behinderung und zeigt
die Wechselwirkungen zwischen Behinderung aus einer medizinischen Perspektive und
53
den Einflüssen aus der Umwelt einer Person auf. Außerdem gibt der ICF eine
Orientierung darüber, in welche Richtung die Fragestellungen der Anamnese gehen
müssen, um ein gesamtheitliches Bild einer Person zu erhalten.
Die bisher vorgestellten Ansätze diagnostischer Verfahren beschreiben aktuelle Lebens-
und Gesundheitslagen einer Person. Der nächste Abschnitt bezieht sich auf
fallrekonstruktive Verfahren, deren Fokus auf die Biographie einer Person gerichtet ist.
6.8 Fallrekonstruktive Diagnostik in der Sozialen Arbeit
Unter Fallrekonstruktionen in der Sozialpädagogik versteht man den Versuch der
Herstellung sozialer Sinnstrukturen, so wie sozialen und kommunikativen Regeln, mit
denen Menschen ihre Wirklichkeit leben und erleben. Dabei richtet sich der Fokus auf
die Analyse der sozialen Räume, der sozialen Handlungen (Verhalten) und sozialer
Prozesse hinsichtlich sozialpädagogischer Handlungsfelder (vgl. Wensierski, 2010 S.
175). Als wichtigstes Werkzeug zur Ermittlung dieser Punkte dient die biographische
Diagnostik. Ausgehend von einem qualitativen Forschungsansatz, versucht die
handlungsorientierte Sozialpädagogik dieses Verfahren in die verschiedenen Berufsfelder
zu integrieren. Wie Biographie-Arbeit funktioniert, wie sich Theorie und Praxis
unterscheiden und welche Beispiele es in der Praxis gibt, erörtert das folgende Kapitel.
6.8.1 Biographische Diagnostik
Für die Soziale Arbeit spielt die Biographie des/der KlientIn eine wesentliche Rolle. Sie
kann Auskunft über das Verständnis und das Selbstverständnis von KlientInnen geben
aber auch aufschlussreich im Verstehen des Verhaltens sein, wenn man weiß, auf welche
Erfahrungen Personen zurückgreifen können und inwieweit das Verhalten dadurch
beeinflusst wird. Gleichzeitig sollen die Informationen als Ausgangslage zum Erlernen
neuer Verhaltensweisen dienen und darauf aufgebaut und abgestimmt werden (vgl.
Pantucek 2012, S. 226). Als Biographie bezeichnet man im Wesentlichen die „geronnene
Erfahrung aus Erlebenssituationen im bisherigen Leben eines Menschen.“ (Glinka 2005,
S. 207) Diese Erfahrungen werden in Form von Erinnerungen im Gedächtnis eines
54
Menschen abgelagert. Diese zunächst statischen Erinnerungsmomente können in Form
von Erzählen einen mehr oder weniger geordneten Ablauf einnehmen, in dem der Mensch
dazu in der Lage ist, in autobiographischer Form seine Handlungssituationen zu erklären.
Dabei gilt jede einzelne Person als alleinige/r ExpertIn seiner/ihrer eigenen
Vergangenheit (vgl. ebd., S. 207). Für die Fähigkeit in Form von Kommunikation die
eigene Biographie für andere erfahrbar zu machen, ist das wichtigste Werkzeug der
biographischen Arbeit, sowohl in einem wissenschaftlichen Kontext, als auch in der
sozialpädagogischen Praxis, das Führen und Analysieren narrativer Interviews. Diese
Methode der qualitativen Sozialforschung gibt den Raum, durch subjektive Erinnerungen
Lebenssituationen und -entscheidungen einen Sinn zu geben und daher nachvollziehbar
für den/die InterviewerIn zu machen. Die Analyse, also die Auswertung des Erzählten,
ist dem System der hermeneutischen Textanalyse zuzuordnen. Daher werden narrative
Interviews in der wissenschaftlichen Arbeit aufgenommen und transkribiert. In
pädagogischen Handlungsfeldern ist diese Art der Analyse aus mehreren Gründen selten
und schwer umsetzbar. Einerseits ist die Auswertung biographischer Interviews mit
hermeneutischen Textanalysen nicht inbegriffen in die Ausbildung vieler, in der Praxis
stehenden PädagogInnen und meist fehlen die zeitlichen Ressourcen für diese aufwendige
Analyseform. Zum anderen ist allein das Aufnehmen eines Interviews bereits
problematisch. Die Sichtbarkeit eines Aufnahmegeräts innerhalb eines
sozialpädagogischen Gesprächs kann etwas Kontrollierendes suggerieren und daher
hemmend auf die interviewte Person wirken. Weitere Gründe, die das
Spannungsverhältnis von Theorie und Praxis aufzeigen, werden später in diesem Kapitel
bearbeitet.
In der Fallrekonstruktion unterscheidet man zwischen der gelebten, erzählten und
erlebten Lebensgeschichte eines Menschen. Die Auswertung erfolgt in Form von
Hypothesenbildungen und darauffolgenden Hypothesenausschlüssen. Als die gelebte
Lebensgeschichte bezeichnet man die „objektive“ Abfolge von Lebensereignissen aus
Sicht des/der BeobachterIn, ohne dabei subjektive Ansichten der befragten Person zu
berücksichtigen. Bei den erzählten Lebensereignissen richtet sich der Fokus der
beobachtenden Person auf die Art und Weise der Selbstpräsentation des/der Interviewten.
Die erzählten Lebensereignisse verstehen sich als die subjektive Wahrnehmung von
bestimmten Ereignissen in der Biographie der befragten Person. Die Unterscheidung
55
dieser drei Ebenen der Lebensereignisse begründet sich damit, dass sie sich voneinander
unterscheiden können. So müssen bestimmte Erfahrungen oder Phasen im Leben einer
Person nicht gleich präsentiert werden, wie sie erlebt wurden. Es kann auch sein, dass die
reale zeitliche Abfolge von Erlebnissen nicht übereinstimmend mit den subjektiv
wahrgenommen Erzählungen sind (vgl. Fischer/Goblirsch 2004, S. 134-135).
Bei der hermeneutischen Textanalyse wird der Fokus vor allem auf die Struktur der
erzählten Lebensgeschichte gerichtet und in weiterer Folg rekonstruiert. Die Struktur des
Erzählten ist deswegen von Bedeutung, da die erzählende Person diese Themen anspricht,
die für ihre eigene Biographie wichtig erscheinen. So erzählt man von Ereignissen, die
entweder besonders positiv oder negativ hervorstechen oder aber neue biographische
Phasen einleiten. Durch die Struktur der Erzählung ist es möglich, viele Informationen
aus der Biographie eines Menschen zu erhalten. So lässt sich etwa erfahren, welche
Erfahrungen besonders relevant für den/die Befragte/n in ihrem/seinem Leben war, vor
welchen Schwierigkeiten die Personen stand oder worauf sie stolz ist (vgl.
Fischer/Goblirsch 2004, S. 135). Außerdem können besondere Lebensereignisse, die
etwa traumatisierend wirkten, in Erfahrung gebracht werden und im Sinne der
Ressourcenarbeit Informationen über Personen enthalten, die eine besondere Bedeutung
für die befragte Person einnehmen.
Die wissenschaftstheoretische Herangehensweise unterscheidet sich jedoch von jener in
der praktischen Arbeit im sozialpädagogischen Handlungsfeld. Wie, zeigt folgende
tabellarische Gegenüberstellung:
56
Biographische Forschung Biographische Diagnostik
Analytisches Interesse Praktisches Handlungsinteresse: Pädagogische
Interventionen
Handlungsentlastender Raum Alltags- und Verwertungszwänge: Erfolg,
Wirtschaftlichkeit, Ressourcenabhängigkeit usw.
Extensives Zeitbudget Institutioneller Zeitdruck
Falldefinition: selbstbestimmt Falldefinition: Externe Setzung
Fallauswahl: selbstbestimmt durch Prämissen Fallauswahl: extern bestimmt
Verantwortung des Wissenschaftler:
Wissenschaftslehrgemeinschaft
Verantwortung des Professionellen: Recht, Klient,
Institution
Anonymität des Klienten Keine Anonymität
Freiwilligkeit des Interviewten Eigeninteresse des Klienten: Rechtfertigung,
Leistungserwartung
Latenter bis manifester Zwang (Problem durch bis
Rechtspflicht)
Zugzwänge des Erzählens Erzählhemmungen; Kontrollierte Erzählung;
Zugzwänge des Erfolgs
Wissenschaftliche Disziplinarität Professionelle Interdisziplinarität
Validität: wissenschaftliche Methode Validität: Praktischer Erfolg
Objektstellung der Untersuchungsperson Subjektorientierung und Betroffenenbeteiligung
Verzicht auf Perspektiventriangulation der
handelnden Personen
Einbeziehung aller signifikanten Bezugspersonen
Zeitperspektive: Retrospektiv Zeitperspektive: Retrospektiv,
gegenwartsorientiert, Prospektiv
Beschränkung auf Biographiedimensionen Biographieanalyse immer eingebettet in
umfassende Interaktions- und Handlungsanalyse
und –Planung
Abbildung 5: Vergleich: Biographische Forschung vs. Biographische Diagnostik (Wensierski 2010, S. 178)
Die Gegenüberstellung zeigt nicht nur die Unterschiede zwischen den beiden Logiken,
sie wirft auch die Frage auf, ob sich theoretische Konzepte der Diagnostik in praktizierter
Sozialpädagogik überhaupt umsetzen lassen. Laut Wensierski (2010) sind intersubjektiv
gültige Wahrheitsaussagen, die wissenschaftlichen Theorien unterliegen, in
sozialpädagogischen Handlungsfeldern wegen verschiedener strukturellen
Gegebenheiten nicht möglich. So ist ein/e SozialpädagogIn mit seinen/ihren Fällen nicht
57
daran gebunden wissenschaftlichen Logiken zu folgen, sondern sozialpädagogische
Maßnahmen zu setzen, die eine Verbesserung der Lebenssituation eines Menschen
herbeiführen sollen. Dies gelingt unter Berücksichtigung ethnischer Prinzipien,
struktureller und zeitlicher Zwänge, hoher Fallzahlen und/oder (lokal)-politischer
Rahmenbedingungen. Diese Umstände lassen Diagnosen nach strengen
wissenschaftstheoretischen Kriterien nicht zu, da etwa in der Biographie-Arbeit die
Textanalyse in der wissenschaftlichen Forschung unbegrenzte Zeit voraussetzt. Zudem
sieht die Wissenschaft in der Fallbearbeitung vor, den Fall lediglich zu analysieren aber
nicht handlungsorientiert einzugreifen. Sie grenzt sich somit von der Verantwortung der
Auswirkungen des Eingriffs eines/r SozialpädagogIn in die Lebenswelt des/der KlientIn
klar ab. Für die Praxis kommt erschwerend hinzu, dass ein Erfolgsdruck von Seiten der
KlientInnen und den Trägern vorherrscht, von dem die rein wissenschaftliche Analyse
befreit ist. Der wesentliche Unterschied liegt aber in der Freiwilligkeit bzw. Nicht-
Freiwilligkeit der befragten Person. Während für die wissenschaftliche
Biographieforschung die ProbantInnen ihre Interviews freiwillig führen und sich
gleichzeitig auf ihre Anonymität verlassen können, finden sich in der Sozialpädagogik
selten kooperative InterviewpartnerInnen, da eine sozialpädagogische
Interventionsmaßnahme oftmals fremdbestimmt eingeleitet wird (vgl. Wensierski 2010,
S. 179). Das führt dazu, dass die interviewten Personen nicht das Eigeninteresse an den
Ergebnissen aufbringen, das in dialogischen Diagnoseverfahren theoretisch vorausgesetzt
wird (vgl. Jakobs 2005, S. 284-285).
Will man im Zuge des Trainingswohnens Informationen erhalten, die dem besseren
Verstehen der BewohnerInnen entgegenkommen, müssen persönliche Dinge erfragt
werden, die nur dann erzählt werden, wenn ein Vertrauensverhältnis besteht. Ein
wesentlicher Teil des hier vorgestellten Anamneseverfahrens wird sich auf die
Aufarbeitung biographischer Erzählungen beziehen. Hierzu wird ein Fragebogen
entwickelt, der nach allen wichtigen Lebensbereichen in der Biographie einer/s
BewohnerIn fragt. Der Anamnesebogen teilt sich dabei auf in einen Elternfragebogen und
einen Fragebogen für den Menschen mit Behinderung. Hervorzuheben ist dabei, dass
Interviews nicht am ersten Tag des Einzugs stattfinden, sondern nach einer gewissen
Phase des Einlebens, Kennenlernens und Beziehungsaufbaus zwischen BetreuerInnen
und BewohnerInnen.
58
Mit den Informationen sowie dem Gespräch selbst über die Biographie der
BewohnerInnen können deren Bedürfnisse besser und schneller verstanden, die
Beziehung zwischen BetreuerIn und BewohernIn verbessert, Ressourcen entdeckt,
Geborgenheit und Sicherheit durch das Bewahren alter Gewohnheiten geschaffen und die
Identität der Menschen gestärkt werden (vgl. Lindmeier 2004, S. 26-27).
Das nächste Unterkapitel erörtert heilpädagogische Diagnoseverfahren, mit dem
Schwerpunkt auf förderdiagnostischen Prinzipien.
6.9 Heilpädagogische Diagnostik
Die heilpädagogische Diagnostik findet ihren Ursprung im Gebiet der angewandten
Psychologie, mit dem Ziel das Verhalten und die psychischen Prozesse von Menschen
mit geistiger Behinderung zu erforschen. Die Anfänge machten dabei Binet und Simon,
deren Namen in Verbindung mit der Entwicklung von Intelligenztests stehen. In den
Anfängen der heilpädagogischen Diagnostik wurden hauptsächlich Testverfahren
angewandt, die sich als statische Diagnostik, Selektions-, Merkmals- und
Eigenschaftsdiagnostik bezeichnen lassen können. Durch die daraus resultierenden
Zuschreibungen und defizitären Beschreibungen von Menschen mit Behinderung ist
diese Art der Testverfahren in Kritik geraten. Diese, als lineare Diagnostik benannte Art,
führte zu einseitigen Defizitzuschreibungen. Zwar werden Abweichungen zu einer
„Norm“ verdeutlicht, die jedoch zu keiner Hilfestellung für den Menschen mit
Behinderung führen. Als alternative Herangehensweise wurde mehr und mehr die
Entwicklung förderdiagnostischer Modelle fokussiert, mit der Intention den
Herausbildung die Persönlichkeit und die Erweiterung der Handlungskompetenzen zu
fördern. Diese Differenzmodelle (im Gegensatz zu Defizitmodellen) basieren auf dem
Konzept der Einbeziehung soziologisch-gesellschaftsspezifischer Theorien, sowie auf
der Orientierung an pädagogischen und didaktischen Ansätzen. Zur Umsetzung
förderdiagnostischer Modelle ist der Blick allein auf den Menschen mit Behinderung
nicht ausreichend, sondern erfordert zudem das Kennenlernen äußerer Umstände (vgl.
Bundschuh 2007, S. 49).
59
Als Voraussetzung für das Beurteilen heilpädagogischer Diagnoseverfahren bedarf es
von Seiten der BeurteilerInnen, in meinem speziellen Fall der BetreuerInnnen des
Trainingswohnens, fachliche Kompetenz, die sich in Kompetenzwissen,
Bedingungswissen, Verfahrenswissen, Änderungswissen und pädagogisch-
psychologischem Wissen ausdrückt. Das Wissen über die eigenen Kompetenzen braucht
man für die Einschätzung, ob Fragestellungen in Diagnoseverfahren selbst oder nur unter
Einbeziehung anderer Fachleute, wie SupervisorInnen, PsychologInnen, ÄrztInnen,
TherapeutInnen, beantwortet werden können. Unter Bedingungswissen versteht man die
Kompetenz, kausale Zusammenhänge zwischen den Verhaltensweisen und
Lernleistungen und den früheren, sowie gegenwärtigen Bedingungen (z.B. der familiären
Veränderungen in der Biographie) der KlientInnen zu erkennen. Das Verfahrenswissen
bezieht sich auf die Anwendungsfähigkeiten und das Wissen von Anwendungsmethoden
der sozialen Diagnostik allgemein und deren Gütekriterien. Vor allem in der Arbeit mit
Menschen mit Behinderung, deren Beeinträchtigungsformen sehr unterschiedlich sein
können, muss man über ein Repertoire verschiedener Methoden verfügen, um für den/die
KlientIn passende Verfahren auswählen zu können.
Die Grundlage für das Änderungswissen ist das aus der Diagnose generierte Wissen,
woraus pädagogische Maßnahmen für die KlientInnen abgeleitet werden. Unumgänglich
im sonderpädagogischen Berufsfeld ist das Wissen über Teilbereiche der Psychologie,
die in einem engen Zusammenhang mit der Heilpädagogik stehen. Hervorzuheben dabei
besonders die Persönlichkeitspsychologie, Entwicklungspsychologie oder
Sozialpsychologie (vgl. Kurth 1999, S. 254).
Der inklusive Ansatz in der Heil- und Sonderpädagogik geht von dem grundsätzlichen
Paradigmenwechsel aus, der Behinderung nicht als eine Eigenschaft einer bestimmten
Person betrachtet, sondern die Behinderung als eine sozial bedingte Folge von
individuellen Schädigungen, Leistungsminderungen und Funktionsbeeinträchtigungen
sieht. Das bedeutet, „Selektion und Separation werden nicht die logische Folge von
Behinderung, sondern als die Behinderung selbst gesehen.“ (Feyerer 2013, S. 69)
Demnach gilt eine Behinderung nicht als ein unveränderbarer, vorgegebener oder
genetischer Defekt, sondern wird als veränderbarer Zustand angesehen, unter der
Voraussetzung dass Menschen mit Behinderung in ihr Lebensumfeld integriert werden.
60
Dies gelingt indem soziales Handeln und Erleben ermöglicht werden um Anregungen und
Auseinandersetzungen für das Entfalten und Entwickeln in ihrer Lebenswelt
gewährleistet werden (vgl. Feyerer 2013, S. 69). Dieser Paradigmenwechsel in der Heil-
und Sonderpädagogik wirkt sich auf das Diagnostizieren aus, indem der Fokus auf die
Potentiale und Ressourcen gerichtet wird und defizitorientierte Konzepte in den
Hintergrund rücken. Demnach ist in der Heil- und Sonderpädagogik der Ansatz der
Förderdiagnostik wesentlicher Bestandteil der pädagogischen Arbeit.
Der inklusive, förderorientierte Ansatz folgt dem menschrechtlichen Grundsatz der
Gleichwertigkeit, in dem man menschliche Vielfalt anerkennt und fördert und jedem
Menschen die gleiche Würde und das gleiche Recht entgegenbringt (vgl. Feyerer 2013,
S. 69-70).
Die heilpädagogische Förderdiagnostik zielt allen voran darauf ab Ressourcen bei
Menschen mit Behinderung zu finden und anhand dieses Wissens über die
Entfaltungsmöglichkeiten der Personen, passende und entwicklungsfördernde
Maßnahmen zu setzen. Vor allem in der heilpädagogischen Diagnostik stellt das
Miteinbeziehen von Diagnosen aus anderen Disziplinen (medizinische Diagnosen,
psychologische Gutachten) einen wichtigen Faktor dar, da das Wissen über physische und
psychische Gegebenheiten der betreuten Personen als hilfreiche Ergänzung zur
pädagogischen Arbeit genutzt werden kann. Heilpädagogische Prozesse verfolgen die
Intention des Verstehens und Lernens über die Lebenswelt und der Lebensumstände der
betroffenen Personen. Dabei gilt die Situationsabklärung des Individuums als primäres
Ziel, das mit Abklärung folgender Punkte herausgefunden werden soll:
Klärung der Lebensgeschichte des betroffenen Menschen;
Klärung der Behinderung vom Blickwinkel ihrer Entstehungsgeschichte;
Klärung über den bisherigen Entwicklungsverlauf der Person;
Klärung der Veränderungen in den Lebensumständen (vgl.
Horňaková/Ondracek 2007, S. 30).
Anhand des Erklärens der Lebenssituation der Menschen soll deren subjektive Erlebnis-
Denk- und Handlungsweisen besser verstanden werden.
61
Folgende Tabelle zeigt die Unterschiede zur traditionellen Diagnostik auf:
Standardisierte Verfahren bzw.
normierte Verfahren (Tests)
Informelle Verfahren (wie
Verhaltensbeobachtung,
Befragung)
Vorteile
Testaussagen für bestimmte
Bezugsgruppen (z.B. für
Verhaltensauffällige) möglich
Vorhandene Testgütekriterien:
Objektivität, Reliabilität,
Validität
Unter der Annahme
normalverteilter Merkmale: klares
theoretisches Konzept
Individuelle Aussagen über
Lernprozesse
Suche nach veränderbaren
individuellen Merkmalen und
schulischen Bedingungen
Bezug zwischen Diagnose und
Förderung angenommen
Nachteile
Suche nach überdauernden
(statt veränderten)
Persönlichkeitsmerkmalen
Aufgrund einmaliger
Untersuchung:
Beschulungsvorschlag
Defizitorientierung
Umfangreiches
Veränderungswissen zu möglichst
vielen Störungsbildern
Weil individualisierend:
diffuse theoretische Konzepte
(bzw. theorieloser
Sammelbegriff)
Fehlende förderdiagnostische
Messinstrumente
= Status- oder Selektionsdiagnostik
= Förder- oder Prozessdiagnostik
Abbildung 6: Status- oder Selektionsdiagnostik vs. Förder- oder Prozessdiagnostik (Bochert 2007, S. 15)
Für die Heil- und Sonderpädagogik ist die Statusdiagnose der Behinderung in der
pädagogischen Arbeit weniger wichtig, da die Förderung und Planung der Entwicklung
des betreuten Menschen viel mehr vom Verhalten der Person, als etwa von der
Intelligenzleistung abhängig ist. Die medizinische/psychologische Diagnose „geistige
Behinderung“ ist lediglich Grundlage für die Entscheidung, dass spezielle pädagogische
Maßnahmen gesetzt werden (müssen). Diese Zustandsdiagnose gibt aber keine Auskunft
über individuell passende Maßnahmen. Die Erkenntnisse über fördernde Maßnahmen und
deren Überprüfungen werden mittels Methoden aus der Prozessdiagnostik gewonnen
(vgl. Nußbeck 2008, S. 233). Wie aber bereits im Punkt „Psychologische Diagnostik“
erwähnt, sind Methoden und Ergebnisse die der Status- und Selektionsdiagnostik
62
zuzuschreiben sind, auch in den förderdiagnostischen Ansätzen nicht auszuschließen.
Vielmehr sind sie ein wichtiger Teil des Gesamtbildes eines/r KlientIn, worauf
pädagogische Handlungsmethoden begründet werden. Für die Förderdiagnostik ist die
eine Statusdiagnose aber nichts Immerwährendes, sondern sie sucht Wege, eine
Verbesserung im Sinne eines selbstbestimmteren Lebens zu erreichen.
Die methodische Herangehensweise der diagnostischen Prozesse liegt in der
verstehenden Erfahrungsannäherung. Bei der Erkundung der subjektiven Lebenssituation
der beeinträchtigten Menschen ist ein Beziehungsaufbau mit jenen Personen
unumgänglich, der mit einem begegnenden und vertrauensvollen Umgang, in der Regel
im gemeinsamen Tun, entsteht. Die betreuende bzw. diagnostizierende Person muss dabei
das Verhältnis zwischen KlientIn und BetreuerIn als ein Verhältnis betrachten, in dem
zwei Personen gemeinsam an einem Problem arbeiten. Die Behinderung wird in
heilpädagogischen Prozessen nicht als eine Ansammlung von Symptomen betrachtet,
sondern als systemhaften Zusammenhang verstanden. Um verstehen zu können, ist es
notwendig in die Lebenswelt und die subjektiven Wahrnehmungen des Individuums
einzutauchen und nicht nur die behinderte Person selbst, sondern auch das soziale,
ökonomische und ökologische Umfeld miteinzubeziehen (vgl. Horňaková/Ondracek
2007, S. 29).
Der diagnostische Prozess verläuft in vier Schritten:
1. Den Anlass für eine diagnostische Untersuchung benennen (i.d.R. sind es unklare
Aspekte der beeinträchtigen Lebenslage des/der KlientIn) und Bedingungen für
die Zusammenarbeit schaffen.
2. Anamnestische Daten sammeln (Vor- und Krankengeschichte, bisherige
Untersuchungen, Gutachten). Vom Blickwinkel der möglichen Zusammenarbeit
mit dem o.g. Anlass auswerten.
3. Die Informationen und Daten in einer Beschreibung des Ist-Zustands
interpretieren, den anzustrebenden Soll-Zustand samt vorläufiger Prognose seiner
Erreichung beschreiben sowie die dafür erforderlichen Aufgaben und
Maßnahmen vorschlagen und planen.
63
4. Die geplanten Handlungen, Vorgänge und Prozesse durchführen, wobei der
Umsetzungsprozess fortwährend reflektiert, gegebenenfalls präzisiert und
anschließend als Ganzes evaluiert werden muss (vgl. ebd., S. 31).
6.10 Beobachtung
Als ein wesentlicher Bestandteil des Anamneseverfahrens im Trainingswohnen gilt die
gezielte Beobachtung des/der KlientIn innerhalb des Wohnbereichs. Eine Beobachtung
bietet sich im Zuge der Betreuung innerhalb einer stationären Einrichtung dadurch gut
an, da ein täglicher und enger Kontakt zu den BetreuerInnen besteht und die Betreuung
hauptsächlich innerhalb des Wohnraums des/der BewohnerIn stattfindet. Bestimmte
Fähigkeiten, Routinen und Entwicklungsstände werden den BetreuerInnen somit gut vor
Augen geführt.
Die Beobachtung als bewusste Wahrnehmung einer Personen trägt zur Sondierung der
aktuellen Lage einer Person bei und hilft in der Entscheidungsfindung von Fördermaßen
und pädagogischen Interventionen, da sich durch die gezielte Beobachtung ein genaues
und umfassendes Bild des/der BewohnerIn einholen lässt (vgl. Klenoský/Ondracek 2007,
S. 102).
Grundsätzlich unterliegt, aus einer wissenschaftlichen Perspektive, die Beobachtung drei
Bedingungen:
1. Zielgerichtetheit: Die Beobachtung ist nicht zufällig oder beiläufig, sondern
richtet sich auf ein konkretes Beobachtungsfeld oder Beobachtungsobjekt.
2. Differenziertheit: Es darf in der Beurteilung keine Einsichtigkeit und
Vergröberung entstehen, sondern Äußerungsmerkmale müssen originalgetreu und
umfassend registriert und eingeordnet werden, sowie gegebenenfalls in bestimmte
Kontexte der zu beobachtenden Person gestellt werden (z.B. aggressives
Verhalten im Kontext des sozialen Umfelds).
3. Objektivität: Objektiv beobachten bedeutet, persönliche Erwartungen,
Einstellungen und Interessen des/der BeobachterIn nicht in die Beurteilung
64
einfließen zu lassen. Im besten Fall untersuchen mehrere BeobachterInnen den
gleichen „Beobachtungsgegenstand“ (vgl. Bundschuh 2010, S. 147).
Die folgende Auflistung zeigt einen Überblick über die verschiedenen
Beobachtungsarten, die ihre Anwendung entweder in Reinform oder in Kombination
miteinander finden können. Dies gilt sowohl in einem wissenschaftlichen, als auch in
einem praxisorientierten Kontext:
Zufalls-, Gelegenheitsbeobachtung: Diese Art der Beobachtung ergibt sich aus einer nicht
geplanten, also zufälligen Situation heraus (vgl. Bundschuh 2010, S. 147-148). Diese
Beobachtungsart kann man zwar in der pädagogischen Arbeit mit Menschen mit
Behinderung innerhalb des Trainingswohnens nicht systematisieren (wie man das
generell nicht machen kann), trotzdem werden viele Erkenntnisse über eine Person durch
das zufällige Erkennen bzw. Beobachten gewonnen, die Einfluss auf die Diagnose sowie,
die pädagogische Arbeit nehmen.
Systematische Beobachtung: Die beobachtende Person stellt sich genau auf die
Durchführungsbedingungen ein und bestimmt bereits im Vorfeld den Beginn, die Dauer,
das Beobachtungssystem etc. (vgl. ebd., S. 148). Die systematische Beobachtung ist ein
wichtiger Bestandteil meines Anamneseverfahrens. So werden viele lebenspraktische
Bereiche durch bewusst eingeleitete Situationen beobachtet und beurteilt. Siehe dazu
Kapitel…, wo ich genauer auf die systemische Beobachtung im Rahmen der Anamnese
eingehen werde.
Freie Beobachtung: Die freie Beobachtung ist eine nichtstandardisierte Beobachtung, in
der dem/der Beobachterin frei überlassen ist, auf welche Verhaltensmerkmale man seinen
Fokus gerichtet wird.
Gebundene Beobachtung: Die gebundene Beobachtung gilt als eine standardisierte
Beobachtung, in der Beobachtungsziel und -zweck, sowie die relevanten
Merkmalsbereiche überschaubar angeordnet sind (vgl. ebd., S. 148). Die gebundene
Beobachtung ist vor allem für das Trainingswohnen die geeignete Form zur Einschätzung
65
bestimmter Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmerkmalen. Durch die
Leistungsverordnung des Steiermärkischen Behindertengesetzes sind pädagogische
Zielsetzungen genau beschrieben und geben somit den Beobachtungszielen einen
Rahmen.
Beobachtung in natürlichen Situationen: Diese Beobachtungsform wird als
unkontrollierte Beobachtung bezeichnet und findet in Situationen statt, die von den
beobachtenden Personen weder beeinflusst, noch verändert werden. Eine natürliche
Situation kann auch eingeleitet werden, in dem man beispielsweise Materialen bereitstellt
(Spielsachen, Situationen in der freien Natur, in der Wohnung etc.).
Beobachtung in künstlichen Situationen: In dieser kontrollierten Beobachtungsform
werden Situationen absichtlich hergestellt, um den Einfluss bestimmter Variablen auf die
beobachtende Person einschätzen zu können. Als extremste Form dieser Beobachtungsart
gilt das Experiment (vgl. ebd., S. 148).
Die BetreuerInnen des Trainingswohnens werden im Zuge der Anamnesephase meistens
eine Mischform aus den oben beschrieben Arten wählen. So kann etwa eine systematische
Beobachtung eine natürliche Situation einleiten und Elemente einer gebundenen
Beobachtung einfließen lassen.
Laut Klenoský/Ondracek (2007) hat sich in der sozialpädagogischen Arbeit die aktiv
teilnehmende Beobachtung etabliert. Sie ist ein Resultat aus der Erkenntnis, dass durch
das Einhalten streng wissenschaftlicher Beobachtungskriterien zwar die Feststellung von
bestimmten Fähigkeiten, Reaktionen und Kompetenzen erfasst werden konnte, ohne aber
ein Problemverständnis im Kontext der Lage eines/r KlientIn zu erhalten. In der
sozialpädagogischen Arbeit will man herausfinden, was KlientInnen belastet oder freut,
welche Werte für sie wichtig sind, welche subjektive Bedeutung ein bestimmtes
Verhalten hat oder wie geholfen werden kann. Dementsprechend setzt sich die aktiv
teilnehmende Beobachtung folgende Ziele:
66
Einen Einblick in die Dynamik der Beziehungen und Gruppenprozesse
gewinnen.
Den Lebenswandel der beobachteten Personen kennen lernen.
Informationen über konkrete Probleme und Bedürfnisse gewinnen
(vgl. Klenoský/Ondracek 2007, S. 103).
Aus Sicht der BetreuerInnen ist es wichtig, ein möglichst hohes Maß an Objektivität
beizubehalten und sich nicht von subjektiven Eindrücken vereinnahmen zu lassen. Trotz
Empathie bzw. Antipathie muss der/die BetreuerIn in der Lage sein, systematisch zu
beobachten und neben der korrekten Anwendung von methodischen Mitteln und der
ordentlichen Dokumentation auch seine/ihre persönlichen Eindrücke zu hinterfragen,
indem er/sie
„die eignen Gefühle und Gedanken reflektiert, die seine Beobachtung
beeinflussen,
empathisch ist und dadurch den Beziehungsaufbau zum Klienten fördert,
sich im gemeinsamen Tun bemüht zu begreifen, wie der/die Klient seine/ Lage
erlebt,
bemüht ist, die Welt und die Kultur, in der der Klient lebt, zu verstehen,
die Welt des Klienten nicht nur als die Fachperson, sondern auch als
empfindender, denkender und handelnder Mensch betritt.“ (Klenoský/Ondracek
2007, S. 104)
Bundschuh (2010) erwähnt die Unmöglichkeit einer vollkommenen Objektivität der
BeobachterInnen, vor allem dann, wenn nur eine Person, so wie es im Trainingswohnen
meistens der Fall ist, beobachtet. Um der Problematik der Objektivität entgegenzuwirken
führt er oft vorkommende Fehlerquellen an, deren man sich als beobachtende Person
bewusst sein muss, um sie zu vermeiden:
Halo-Effekt: Diese Fehlerquelle in der Beobachtung besagt, dass man auf Grund von
besonders hervortretenden Einzelmerkmalen (z.B. besondere Mimik, Erscheinungsbild,
schwerfällige Motorik, etc.) dazu neigt, voreilig verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen.
67
Generosity error: Dieser, die Objektivität mindernde Effekt, ist auf die falsche
Beurteilung auf Grund von Sympathiegefühlen (positive wie negative) zurückzuführen.
Die Sympathiegefühle können beispielsweise aus eigenen Vorerlebnissen, aus
Assoziationen (beispielsweise wegen Ähnlichkeiten zu einer bekannten Person) oder
wegen Mitleids mit dem/der KlientIn entstehen. Vor allem aus einem Gefühl des Mitleids
neigt man dazu, besonders wohlwollend zu urteilen. Paradoxerweise entsteht aber durch
das Wissen über denen Generosity error das Problem, dass falsche Einschätzungen
getroffen werden, weil bewusst versucht wird, diese Fehlerquelle zu vermeiden.
Central tendency: Diese Fehler in der Beobachtung entsteht durch die Vermeidung
extremer Urteile. So neigt der/die BeobachterIn dazu, Personen in ihrem Verhalten oder
ihrer Entwicklung als „mittelmäßig“ einzuschätzen, aus der Furcht heraus, bei extremen
Beurteilungen, die mit wesentlich stärkeren Konsequenzen verbunden sind, falsch liegen
zu können (vgl. Bundschuh 2010, S. 155-156).
68
7 Die Anamnese
Der Begriff Anamnese leitet sich aus dem griechischen „Erinnerung“ ab und wurde als
Bestandteil der medizinischen Diagnose in den Tätigkeitsbereich der Sozialpädagogik
übernommen. In der Medizin versteht man unter Anamnese die Erhebung der
Krankheitsgeschichte der PatientInnen. Es geht darum, mit dem wirklichen oder
vermeintlichen Wissen, Informationen zur Entstehung der Krankheit zu erhalten (vgl.
Kemmler 1980, S. 9). Die systematische Informationseinholung der körperlichen und
seelischen Vorgeschichte erfolgt in der Regel durch bestimmte Befragungsverfahren,
wobei nicht nur die Betroffenen befragt werden können, sondern auch Dritte (vgl.
Stimmer 2000, S. 31). In der Rekonstruktion der Vorgeschichte eines Falles, also der
Anamnese, ist die Durchführung immer kontextabhängig. So werden bei der Anamnese
eines/r PatientIn mit Herzleiden andere Schwerpunkte in der Vergangenheit des/der
PatientIn in den Fokus gerückt, als dies bei der Aufnahme eines/r KlientIn mit einer
Mehrfachbehinderung im Trainingswohnen der Fall sein wird. Während es in
medizinischen Untersuchungen noch einfacher ist Relevanzbereiche für die sinnvolle
Informationssammlung zur Erhebung eines Krankheitsbildes und deren Entstehung
einzugrenzen, steht die Sozial- als auch die Sonderpädagogik vor dem Problem, nicht klar
vorgegeben zu haben, welche Informationen in der Vorgeschichte eines Falles oder
eines/r KlientIn wichtig sind. Es ist möglich, eine Unmenge an Informationen zu erheben,
die für die sozialpädagogische Arbeit überflüssig sind, während gleichzeitig
Informationen enthalten bleiben, die wichtig für die Hilfeleistungen und
Unterstützungsmaßnahme des Falles sind. Die Anamnese in einem sozialpädagogischen
Kontext hat somit eine doppelte Aufgabe: Sie muss einerseits Relevanzbereiche für die
Arbeit mit den KlientInnen abstecken, um ein Übermaß an Informationen, deren Inhalte
keiner Wichtigkeit entsprechen, zu vermeiden. Anderseits muss die Anamnese
verhindern, dass die Relevanzbereiche zu schnell eingeengt werden, um den Blick für
andere Möglichkeiten offenzuhalten (vgl. Müller 1997, S. 55). Ein Anamneseverfahren
bietet die Möglichkeit, den/die KlientIn mit dem sozialen Umfeld begegnen zu können,
um auf diesem Weg die Schwierigkeiten und Symptome eines Falles besser zu verstehen,
dabei ein detailliertes Bild von der Entwicklung und Persönlichkeitsstruktur zu erhalten
und in weiterer Folge die Lebenswelt und Umwelt des/der KlientIn kennenzulernen. Im
69
Idealfall könnte die Anamnese eine lückenlose Erklärung für die Verursachung
bestimmter Probleme eines Menschen geben (vgl. Kemmler 1980, S. 9-10).
Der Idealfall ist in der praktischen Arbeit mit KlientInnen schwer möglich. Neben der
Tatsache, dass es aus verschiedenen Gründen unrealistisch ist, alle relevanten
Informationen zu erhalten (nicht vorhandene Zeitressourcen, Ereignisse sind in
Vergessenheit geraten oder in falscher Erinnerung, Dokumente gehen verloren,
KlientInnen sind nicht gewollt von bestimmten Ereignissen zu erzählen, etc.), ist das
Verstehen einer anderen Person generell nur in einem begrenzten Ausmaß möglich.
Grenzen des Verstehens
In sozialpädagogischen Anamnese- und Diagnoseverfahren bestehen gewisse Grenzen
des Verstehens. Verstehen bedeutet in einem allgemeinen Sinn die Verständigung über
etwas, das zwischen zwei Personen kommuniziert wird. Ziel des Verstehens ist das
Einverständnis zwischen den beiden Personen über ein Drittes. Herrscht ein
Missverständnis vor, so versucht man in Form von Argumentation, Einwendungen oder
durch Hinterfragen und Widerlegen zu einem Einverständnis zu gelangen (vgl. Mührel
2005, S. 32). In einem sozialpädagogischen Kontext versucht der/die SozialpädagogIn
den/die KlientIn und deren Lebenssituation und das Verhalten zu verstehen. Eine
bestimmte, meist problematische Lebenssituation ist das Resultat einer Wechselwirkung
zwischen Individualität und Lebensumständen, also der beeinflussenden Umwelt einer
Person. In der sozialpädagogischen Arbeit geht es darum, diese Umstände zu erkennen
(diagnostizieren) und in Interaktion mit den KlientInnen Lösungswege zu suchen, die zu
einer Verbesserung der Lebenssituation führen. Verstehen bezieht sich in diesem
Zusammenhang auf die Lebensweise des/der KlientIn, also die Lebensgestaltung in
Wechselwirkung zur Umwelt (vgl. ebd., S. 33). Die Unmöglichkeit des grenzenlosen
Verstehens resultiert aus der Unterschiedlichkeit der Lebenswelten und Lebensumstände
von SozialpädagogInnen und KlientInnen, die Müller (2008) mit der Schwierigkeit des
Verstehens anderer Kulturen vergleicht (vgl. Müller 2008, S. 99). Gleichzeitig liefert er
einen Ansatz, wie in anamnestischen Verfahren, als grundsätzlich erste Phase der
Diagnostik, mit der Verstehens-Problematik umgegangen werden kann und verbindet es
mit der Haltung professioneller SozialpädagogInnen. Er unterscheidet zwischen
PädagogInnen, deren Standpunkt jener sei, besser irgendetwas zu tun, als gar nichts und
70
meint damit, dass diese Art der KlientInnenarbeit ohne Anamnese auskommt. Die
gegensätzliche, zweite Haltung entspricht einer ängstlichen, abwartenden
Herangehensweise, die nur vermeintlich fehlerfreie pädagogische Schritte setzen kann,
wenn ausreichend Informationen eingeholt wurden. Diese zweite Haltung erfordert ein
Übermaß an Anamnese (vgl. Müller 2008, S. 99). Beide Extreme in ihre Reinform sind
in professionellen pädagogischen Handlungsfeldern ungeeignet. Die erste Haltung stützt
sich demnach auf die erstbeste zu Verfügung stehende Lösung eines pädagogischen
Problems, mit der Begründung, dass zu viel Wissen nur mehr Ungewissheit herbeiführe.
Die zweite Haltung hingegen steht vor dem Problem, lange keine Lösungen anbieten zu
können, da zuerst die Ursache des Problems in investigativen Verfahren gefunden werden
müsse. Sollte das tatsächlich gelingen, stehen PädagogInnen oftmals vor dem Problem
trotzdem nichts daran ändern zu können (vgl. ebd., S. 99).
Müller bezeichnet Anamnese, im Sinne einer alternativen (dritten) Haltung, als
„aufmerksamen Umgang mit Nichtwissen“ (ebd., S. 100). Sie zielt darauf ab,
Problemverhalten von Menschen nicht systematisch nachzuspüren, da tatsächliche
Ursachen durch den Versuch des reinen Erfragens ohnehin im Verborgenen bleiben.
Vielmehr stellt sein Ansatz eines Anamneseverfahrens den Versuch dar, sein Gegenüber
zunächst einfach zuzuhören, ohne sofort konkret wissen zu wollen, was ein
problematischen Verhalten oder eine schwierige Lebenssituation verursacht hat. Dieser
Ansatz hat den Vorteil, dass er den Umgang mit der Ungewissheit, die jeder
sozialpädagogische Fall mit sich bringt, für SozialpädagogInnen erträglich erscheinen
lässt. Mit dieser Haltung lässt sich zudem die Notwendigkeit der vorurteilsfreien
Bewertung anderer Sichtweisen, Kulturen, Lebensstrategien usw. aufnehmen, ohne dabei
den Blick für notwendige Handlungen und Handlungsstrategien zu verlieren (vgl. Müller
2008, S. 100). Für die Phase der Anamnese ist es somit nicht zwingend notwendig, den
KlientIn und deren Verhalten, Lebensweisen und Problemfelder zu verstehen. Vielmehr
ist die Einsammlung von Informationen, denen man wert- und vorurteilsfrei
gegenübersteht, das eigentliche Ziel anamnestischer Verfahrensweisen. Sich dem
Verstehen der Lebensumstände und Verhaltensweisen der KlientInnen bestmöglich
anzunähern, auf deren Grundlage pädagogische Interventionen gesetzt werden, ist
Aufgabe der Diagnoseerstellung. Anamnestische Verfahrensmethoden müssen aber auf
dieses Ziel abgestimmt sein und müssen in ihrer Entwicklung der Frage nachgehen, was
71
eigentlich erfragt werden muss. Diese Frage wiederum ist abhängig davon, in welchem
Rahmen und Setting eine Betreuung stattfindet, bzw. welchen Zweck und welches Ziel
eine pädagogische Maßnahme innerhalb eines institutionellen Rahmens verfolgt. Zudem
sind die Methoden klientel- und ressourcenabhängig (z.B. der Faktor Zeit). Da das
sozialpädagogische Feld weit gestreut ist, gibt es keine anamnestischen
Standardverfahren, die überall gleich eingesetzt werden können. Arbeitet man mit
Jugendlichen mit deviantem Verhalten, wird die Informationseinholungsphase in einem
pädagogischen Beratungsprozess methodisch anders aufgebaut sein, als mit Menschen
mit Lernbehinderung im betreuten Wohnen.
7.1 Arbeitsregeln nach Müller (2008)
Burkhart Müller (2008) formuliert insgesamt sieben Arbeitsregeln zur
sozialpädagogischen Anamnese, die im Folgenden zusammengefasst werden.
Arbeitsregel 1: Anamnese heißt, einen Fall wie einen unbekannten Menschen kennen
lernen.
Die Erschließung eines Falles kann nie ohne das Kennenlernen der Person, mit der
gearbeitet wird, geschehen. Nach Müller bedeutet das, zuerst ein Gespräch zu führen und
den Menschen auf diesem Wege kennen lernen, statt mit Fallaktenstudien oder mit dem
Klären frühkindlicher Erfahrungen zu beginnen. Das Ziel der Anamnese allgemein ist
nicht den Fallhintergrund aufzudecken, sondern die Chancen zu erhöhen, dass sich durch
das Einholen der notwendigen Informationen der Fall von selbst erschließt. Dabei ist
wichtig, dass es ganz normal ist, zu Beginn einer Fallarbeit nicht gleich alles zu wissen
bzw. den Fall sofort zu lösen (vgl. Müller 2008, S. 109). Um Informationen, die für die
spätere notwendige Aufklärung bestimmter Fallhintergründe zu erhalten, muss ein
gewisses Maß an Vertrauen zwischen PädagogIn und KlientIn herrschen, das es erlaubt,
auch über persönliche Erlebnisse und Gedanken zu sprechen. Ein solches Vertrauen
entsteht aber erst, wenn man einen Menschen unvoreingenommen kennenlernt. Für das
Trainingswohnen und den dazugehörigen Methoden der Anamnese soll diese Regel
insofern umgesetzt werden, in dem die Anamneseverfahren erst nach einer kurzen
Eingewöhnungsphase und dem Kennenlernen der BetreuerInnen sowie der Umgebung
72
stattfinden. Das gleiche gilt für den Elternfragebogen, der erst dann durchgeführt wird,
wenn die angehörige Person bereits eine Eingewöhnungsphase hinter sich hat. Hält man
sich nicht daran und führt das Interview zu früh aus, könnten dadurch wichtige
Informationen vorenthalten bleiben.
Arbeitsregel 2: Anamnese bedeutet, einen Problemfall erst umsichtig wahrzunehmen,
ehe man versucht seine Hintergründe zu erkunden.
Die zweite Arbeitsregel beschreibt die Wichtigkeit der Zuordnung der Art des Falles. Mit
den eingeholten Informationen will man allgemein klarstellen, ob es ich um einen Fall
für, Fall von oder Fall mit handelt (vgl. Müller 2008, S. 109-110). Bezogen auf das
Trainingswohnen sind gewisse Kenntnisse bereits vorhanden. So ist es klar, dass es sich
um einen Fall von geistiger Behinderung handelt, da dies als Voraussetzung für die
Inanspruchnahme der Leistung gilt. Im Zuge des Anamneseverfahrens soll zusätzlich
festgestellt werden, ob es sich um andere Ausprägungen des Falls von (z.B. Fall von
Verwahrlosung) handelt. Außerdem kann man nicht davon ausgehen, dass ein/e
BewohnerIn ausschließlich ein Fall für Trainingswohnen allein ist, sodass im
Anamneseprozess festgestellt werden soll, ob externe Unterstützungen benötigt werden.
Zuletzt ist sie Grundlage für die persönliche Zielplanung und die pädagogische Arbeit mit
den BewohnerInnnen. Das Hinterfragen dieser Punkte erfordert die Einholung
persönlicher Daten, Erlebnisse und Gedanken. Das Wissen darüber ist wichtig für eine
gute Zusammenarbeit, kann aber ins Gegenteil umschlagen, wenn die, wie in Regel 1
beschriebene, Wichtigkeit eines Vertrauensverhältnisses nicht gegeben ist (vgl. Müller
2008, S. 110).
Arbeitsregel 3: Anamnese heißt, sensibel mit Hintergrundwissen umzugehen und mit
schnellen Einordnungen in bekannte Raster vorsichtig sein.
Diese Regel ist dann zu beachten, wenn Vermutungen über Ursachen bestimmter
Verhaltensweisen, Entwicklungen oder Situationen einer Person bestehen und in der
Anamnesephase bereits versucht wird, diese zu beweisen. Das vorschnelle Einordnen in
bekannte Raster kann dazu führen, dass andere Möglichkeiten von Umständen und
Ursachen bestimmter Verhaltensweisen oder Lebenssituationen ausgeschlossen werden
(vgl. Müller 2008, S. 110).
73
Arbeitsregel 4: Anamnese heißt, den eigenen Zugang zum Fall besser zu verstehen.
Diese Regel weist auf die Wichtigkeit der distanzierten Betrachtung der eingeholten
Informationen hin. Damit soll das „Immer-Schon-Bescheid-Wissen“ über einen Fall in
Frage gestellt werden, um somit den für sich selbstverständlichen Unterstellungen über
eine Person und deren Lebenssituation entgegenwirken zu können (vgl. Müller 2008, S.
111).
Arbeitsregel 5: Anamnese heißt, sich eine Reihe von Fragen zu stellen.
Diese Arbeitsregel beschreibt die Bedeutung des Hinterfragens von eingeholten
Informationen.
Abbildung 7: Chronologie der anamnestischen Fragestellung (Müller 2008, S. 11)
74
Beim Stellen dieser Fragen geht es ähnlich wie in Regel 4 darum, wie der eigene Zugang
zum Fall ist. Mit diesen Fragen soll die Sache und die Zuständigkeit hinterfragt und
geklärt werden. Dabei unterscheidet man zwischen der Klärung von Tatbeständen und
Geschichten. Tatbestände sind Fakten und müssen von den Geschichten, die subjektiv
sind, unterschieden werden. Beides ist gleichermaßen wichtig. Bezogen auf die drei
Fallebenen dienen die Fakten zur Klärung des Falls von und des Falls für. Die
sozialpädagogische Arbeit besteht nicht aus dem reinen Klären der Fakten, sondern
bezieht immer die subjektiven Geschichten dahinter mit ein (vgl. Müller 2008, S. 112).
Die BetreuerInnen im Trainingswohnen, die das in dieser Arbeit vorgestellte
Anamneseverfahren durchführen werden, müssen sich die gleichen Fragen stellen und
zwischen Fakten und deren Geschichten dahinter unterscheiden. Was man genau weiß,
wird im Assessmentblatt aufgelistet und dargestellt. Etwa werden die Fähigkeiten für die
Zubereitung von Mahlzeiten oder die Anwendung der Kulturtechniken eingeschätzt.
Daneben gelten als Fakten die Diagnosen aus medizinischen und psychologischen
Gutachten, der Grad der Mobilität, Freizeitgestaltung und vieles mehr. Außerdem werden
alle wichtigen Informationen wie Versicherungsnummer, Kontaktpersonen, ÄrztInnen
etc. in einem Notfallblatt aufgeschrieben. Die Überschneidungen von Geschichten und
Fakten werden in den Interviews, sowohl mit dem/der BewohnerIn als auch mit
Bezugspersonen, erfragt. So ist es zum Beispiel ein Faktum, dass es in der Vergangenheit
des/der KlientIn einen Wohnungswechsel nach einer Scheidung gab. Die Geschichte
dahinter, also wie sich dieses Ereignis auf die Person ausgewirkt hat, wird direkt im
Fragebogen verschriftlicht.
Arbeitsregel 6: Anamnese heißt, verschiedene Sichtweisen und Ebenen des Falles
nebeneinander zu stellen.
Beobachtete Verhaltensweisen und von betroffenen Personen dargestellte
Fallgeschichten sollen kritisch auf ihre Inhalte und Zusammenhänge überprüft werden.
Es gilt zu beachten, dass immer unterschiedliche Sichtweisen und unterschiedliche
Fallebenen vorhanden sind, welche ebenfalls gleichwertig zu betrachten sind. Nur so
lassen sich selbsterfüllte Prophezeiungen und Fehlinterpretationen vermeiden (vgl.
Müller 2008, S. 112-114).
75
Zum Beispiel kann Verschuldung auf unterschiedlichen Ebenen analysiert werden: Als
mögliche Hintergründe können vom unzureichenden Zahlenverständnis der Person bis zu
Suchterkrankungen eine Vielzahl an Ursachen überprüft werden. Genauso vielfältig
können auch die Interventionen ausfallen. Diese können bei pädagogischen Maßnahmen
ansetzen, über psychiatrische Behandlungen führen und bis zur Installation einer
Sachwalterschaft reichen.
Arbeitsregel 7: Anamnese ist nie vollständig. Sie muss es auch nicht sein. Sie beginnt
immer wieder von vorne.
Wie bereits mehrmals erwähnt, kann die Anamnese nicht isoliert von den anderen
Schritten der gesamten Diagnostik sowie KlientInnenarbeit betrachtet werden. Sie muss
immer wieder neu herangezogen werden und ändert sich im Laufe der Betreuung mit den
KlientInnen. So kommen Ereignisse erst nach längerer, intensiver Betreuung zum
Vorschein, die vorher etwa auf Grund eines nicht ausreichend gegebenen
Vertrauensverhältnisses zwischen PädagogIn und KlientIn im Verborgenen blieben.
Auch die Lebenssituationen und persönlichen Entwicklungen von KlientInnen ändern
sich laufend und damit auch die Anamnese (vgl. Müller 2008, S.114). Vor allem im
Trainingswohnen ist dies der Fall, da mit der Leistung im Normalfall eine enge, über
mehrere Jahre dauernde Betreuungsarbeit verbunden ist. Das Anamneseverfahren muss
also so ausgerichtet sein, dass es Veränderungen über das Wissen über den/der KlientIn
erlaubt.
Die Auswertung der Anamnesedaten ist von Fall zu Fall unterschiedlich und unterliegt
einer individuellen Gewichtung der Problembereiche. Um dem Problem der großen
Anzahl an unterschiedlichen Informationen strukturiert entgegenzuwirken, bedarf es bei
der Analyse und Auswertung der Daten eines Bezugsrahmens, der bei der Gewichtung
der Daten hilfreich sein soll. Nach Köhn (1998) bezieht sich der Bezugsrahmen immer
auf den Kontext der weiteren Behandlung bzw. Betreuung des Menschen mit
Behinderung. Wenn der medizinische Aspekt im Vordergrund steht, wird der/die
HeilpädagogIn den Fokus der Datenanalyse auf die Informationen der funktionellen
Schädigungen, Beeinträchtigungen, Störungen und Anlagebedingungen richten. Stehen
im Betreuungsalltag psychodynamische Ansätze im Vordergrund, so werden die Daten
aus den Angaben zu familiären Strukturbedingungen oder traumatisierenden Erfahrungen
76
in den Mittelpunkt rücken. Bedeutsam für die Auswertung werden jene Punkte der
Lerngeschichte des Individuums, wenn sich die Arbeit an lerntheoretischen Ansätzen
orientiert, um herauszufinden, welche spezifischen und situativen Bedingungen gegeben
sein müssen, bzw. wie diese verändert werden müssen, um Entwicklungsfortschritte bei
definierten Problemverhaltensweisen erzielen zu können. Aus System- und
kommunikationstheoretischer Sicht werden die Kommunikationsebenen im
Zusammenspiel der Umweltsysteme des Menschen mit Behinderung genauer betrachtet
(vgl. Köhn 1998, S. 148-149).
Unter Berücksichtigung dieser Arbeitsregeln für BetreuerInnen in sozialpädagogischen
Handlungsfeldern werden im Folgenden, die für das Trainingswohnen angepassten
Anamneseverfahren chronologisch vorgestellt.
Wenn man Informationen über eine/n BewohnerIn sammeln will, dann ist ein
systematisches Vorgehen erforderlich. Das Anamneseverfahren für das Trainingswohnen
umfasst mehrere Schritte und verschiedene Methoden. Grundstock bilden die, mit dem
Einzug des/der KlientIn eingeholten, Fremddiagnosen, Dokumente,
Sozialleistungsnachweise, Zeugnisse, etc. Diese Informationen sind nicht nur
Informationen die in den gesamten Diagnoseprozess miteinfließen, sondern stellen auch
eine Voraussetzung dar, um weitere Leistungen zu beantragen oder zu verlängern (z.B.
Therapiekostenzuschuss). Um der Dokumentationspflicht nachzukommen, werden die
Unterlagen im BetreuerInnenbüro in den dort aufbewahrten BewohnerInnenmappen
eingeordnet. Für den Überblick, welche Unterlagen gebraucht werden und ob diese
bereits in der Mappe sind oder nicht, kann eine folgende Checkliste1 dienen:
Dokumente
(Staatsbürgerschaftsnachweis, Geburtsurkunde, Meldezettel, Passfotos,
Reisepass/Personalausweis, Behindertenausweis etc.)
Finanzielle Unterlagen
(Bestätigung Familienbeihilfe, Einkommensnachweis/Lehrlingsentschädigung,
Nachweis Werkstätten-Entgelte bzw. Taschengeld, Lebensunterhalt-Bescheid,
Bedarfsorientierte Mindestsicherung, AMS-Bezug/Notstandsnachweis (bei
1 Checkliste Formular siehe Anhang 1.
77
arbeitsmarktintegrativen Maßnahmen oder Arbeitslosigkeit), Nachweis
Waisenpension, Pensionsnachweis inkl. Ausgleichszulage, Pflegegeldnachweis
etc.)
Gutachten/Diagnosen
(Psychologisch/psychiatrische Gutachten/Diagnosen, Clearing Bericht etc.)
Andere Unterlagen
(Nachweis Sachwalterschaft etc.)
Es ist vorgesehen, dass sich die Checkliste auf der ersten Seite der BewohnerInnenmappe
befindet und die Punkte sollen zeitnah nach dem Einzug abgehakt werden. Neben der
ausgedruckten Form ist die Checkliste auch in digitaler Form zu aktualisieren, da alle
Dokumente/Gutachten und wichtigen Unterlagen gescannt und digital abgespeichert
werden. Wenn wichtige Unterlagen nicht mehr auffindbar oder verloren gegangen sind,
dann sind neue bei den jeweils zuständigen Behörden, ÄrztInnen, Vereinen etc. zu
beantragen.
Ein Notfallblatt dient zur Übersicht über die wichtigsten Informationen (Fakten) des/der
BewohnerIn. Der Großteil der Stammdaten ist meist schon vor dem tatsächlichen Einzug
bekannt und wird im Zuge eines Erstgesprächs aktualisiert.
Ein Notfallblatt2 soll Folgendes beinhalten und immer aktuell am PC und im
KundInnenordner abgelegt werden:
Name
Anschrift
Telefonnummer
Geburtsdatum
Versicherungsnummer (selbstversichert/mitversichert – mit wem, Name,
Anschrift)
Pflegegeldbezug (Pflegestufe, bis wann genehmigt)
2 Notfallblatt Formular siehe Anhang 2.
78
Mobilität (ohne Einschränkung, Rollstuhl, Krücken, andere Gehilfen)
Sachwalterschaft (ja, nein, wenn ja: Name, Anschrift, Telefonnummer, e-mail)
Wichtige Kontakte (wer darf im Notfall verständigt werden, Name, Anschrift,
Telefonnummer)
Diagnosen (medizinisch, psychiatrisch, Datum, wer hat Diagnose erstellt)
Medikation (was, wofür, Zeitpunkt der Einnahme, von wem verordnet, Datum)
79
Neben dem Notfallblatt bedarf es, für einen strukturierten Betreuungsablauf, ein weiteres
Übersichtblatt betreffend der behandelnden ÄrztInnen und TherapeutInnen. Beide
Übersichtsblätter werden von der Leistungsverordnung vorgeschrieben (vgl. LEVO
2013, S. 12) und erleichtern zudem die Dokumentation für den/die jeweilige KlientIn.
Am Gesundheitsblatt3 werden die jeweils behandelnden ÄrztInnen (HausärztIn,
ZahnärztIn, PsychiaterIn, NeurologIn, FrauenärztIn etc.) und TherapeutInnen
(PhysiotherapeutIn, PsychotherapeutIn, PsychologIn, LogopädIn etc.) samt Kontaktdaten
aufgelistet. Besonders wichtig sind die Dokumentation der Besuchshäufigkeit und der
Grund des Besuchs bei der jeweiligen ÄrztIn. Ebenso unerlässlich sind die
Verlaufsdokumentation der Medikation der KlientInnen, sowie ambulante und stationäre
Aufenthalte in Kliniken und Reha-Einrichtungen.
Diese beiden Formulare ermöglichen im Notfall das schnelle Zugreifen auf wichtige
Daten und Fakten der KlientInnen. Verändert sich etwa die Medikation eines/r
BewohnerIn, ist eine Änderung im Formular problemlos möglich. Es ist ratsam, neben
einer digitalen Version auch eine aktuelle Version der Datenblätter in ausgedruckter Form
im KundInnenordner abzulegen.
7.2 Assessment
Das Assessment ist aus sozialpädagogischer Sicht ein Verfahren, das sich aus dem Case
Management entwickelt hat und dessen Ziel in der Analyse der Lebenssituation des/der
KlientIn und den daraus ersichtlichen Hilfeerfordernissen liegt. Der Fokus liegt dabei in
der Informationsbeschaffung, mit dem Hauptaugenmerk auf die Stärken des/der KlientIn,
der Analyse des sozialen Umfelds und dem notwendigen Interventionsbedarf (vgl.
Löcherbach, S. 71-72).
Im Zuge eines Assessmentverfahrens wird zwischen drei Aspekten unterschieden:
1. Gegenstand des Assessments: Was möchte ich wissen?
2. Ziele des Assessments: Warum möchte ich es wissen?
3 Gesundheitsblatt Formular siehe Anhang 3.
80
3. Verfahren und Prozesse des Assessments: Wie komme ich zu dem Wissen? (vgl.
ebd., S. 72).
Bezogen auf das Trainingswohnen muss zuerst eingegrenzt werden, welche
Lebensbereiche erhoben werden sollen und wie sich diese Bereiche darstellen lassen. Das
hier vorgestellte Assessmentblatt beinhaltet alle, für das Trainingswohnen in der
Leistungsverordnung vorgeschrieben, pädagogischen Aufgabenbereiche.
Das Ziel des Assessments besteht darin, eine erste Analyse überschaubar darzustellen,
auf der basierend die pädagogischen Maßnahmen gesetzt werden.
Die Informationen zur Erfassung des Assessments werden mittels verschiedener
Methoden erfragt. Die zwei wichtigsten Verfahren sind dabei der BewohnerInnen und
Angehörigen-Anamnesebogen, sowie verschiedene, individuell auf den/die BewohnerIn
ausgerichtete, Beobachtungsverfahren. Diese beiden Verfahren sind bei allen neu
eingezogenen Personen im Wohnbereich durchzuführen. Zusätzlich können, je nach
Fähigkeiten, Erinnerungsvermögen und motorischem Entwicklungsstand, verschiedene,
aus der Sozialen Arbeit bekannte projektive Diagnoseverfahren, wie etwa eine
Netzwerkarte, Biographischer Zeitbalken, Genogramme etc., durchgeführt und
angewandt werden.
Assessment der pädagogischen Aufgabenbereiche
Das Assessmentblatt dient zur Übersicht der benötigten pädagogischen
Unterstützungsbereiche. Diese Bereiche richten sich grundsätzlich nach, der in der
Leistungsverordnung festgelegten, pädagogischen Aufgabenbereiche des
Trainingswohnens, die folgende zu fördernde pädagogische Betreuungsbereiche nennt:
Wohnraumgestaltung und das Wohnen
Haushaltsführung und Haushaltsorganisation
Organisation finanzieller Angelegenheiten und der Umgang mit Geld
Teilnahme am gesellschaftlichen Leben
Auseinandersetzung mit der aktuellen Beschäftigungs- und Arbeitssituation
alle Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung
Erhalt und Entwicklung sozialer Kompetenzen
81
Gestaltung von Freizeit
Fragen der Gesundheit und Hygiene
Zudem sollen die KlientInnen gefördert und unterstützt werden in den Bereichen:
Vermittlung von Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein
Entwicklung von Selbstständigkeit und Selbstorganisation
Unterstützung bei individuellen und sozialen Reifungsprozessen
Förderung von Planungsfähigkeiten
Training von Kulturtechniken
Der Sicherstellung therapeutischer und fachärztlicher Betreuung (vgl. LEVO
2013, S. 10).
Das Ziel des Assessments liegt darin, den Status Quo der Lebensbereiche einzuschätzen
und zu erkennen. Das Assessmentblatt lehnt sich an das von Pantucek (2005) entwickelte
Inklusionschart, das den Inkludierungsgrad der Funktionssysteme (Arbeitsmarkt,
Sozialversicherung, Geldverkehr, Mobilität etc.), der Existenzsicherung (Wohnen,
Lebensmittel, Sicherheit) und der Funktionsfähigkeiten (Gesundheit, Kompetenzen,
Sorgepflicht) einschätzt, die Tendenz einstuft, Fakten zu den einzelnen Lebensbereichen
aufschreibt und Interventionen zur Besserung der Situation vorschlägt (vgl. Panutcek
2005, S. 181). Das hier vorgestellte Assessmentblatt orientiert sich an diesem Schema, ist
aber bezüglich der zu beurteilenden Kategorien auf die Maßnahme Trainingswohnen
adaptiert4.
4 Die vollständige Vorlage des Assessmentblattes findet sich in Anhang VI
82
7.3 Das anamnestische Interview
Das Erfassen von anamnestischen Daten erfordert eine behutsame und
verantwortungsbewusste Vorgehensweise, da es um die Erfassung von sensiblen,
privaten und oftmals belastenden Lebensereignissen geht. Demnach muss sich die
interviewende Person im Vorfeld eines Anamnesegesprächs folgende Fragen stellen:
„Wird von dem/der BewohnerIn bzw. von den Angehörigen das anamnestische
Gespräch bewusst erwartet?
Wird das anamnestische Gespräch als lästige Verpflichtung oder sogar als
Schuldzuweisung empfunden?
Bestimmen positive oder negative Vorerfahrungen in früheren anamnestischen
Gesprächen die Einstellung (spontane Äußerungsbereitschaft; abwartende
Skepsis)?
Stört bzw. fördert die Übertragung auf die Heilpädagogin bzw. deren
Gegenübertragung das anamnestische Gespräch?“ (Köhn 1998, S. 141)
Um eine Aktivierung der Bezugspersonen, sowie die Bereitschaft der Zusammenarbeit
besser erreichen zu können, muss sich der/die InterviewerIn gut darauf vorbereiten.
Mitunter muss damit gerechnet werden, dass von Seiten der befragten Personen eine
anfängliche Abwehrhaltung eingenommen wird. Am besten entgegnet man dieser, indem
klar und nachvollziehbar die Notwendigkeit einer Anamnese und inwiefern diese die
weitere Betreuung beeinflussen kann, erklärt wird. Beim Gespräch selbst sind die
Schaffung einer angenehmen Atmosphäre und eine wertfreie Betrachtung der Aussagen
der befragten Personen wichtig. Die BetreuerInnen sehen sich dabei hauptsächlich als
EmpfängerInnen von Informationen (vgl. Köhn 1998, S. 142). Das Ziel des Leitfaden-
Interviews, das nur sehr bedingt auf Fakten eingeht, sondern durch die Fragestellungen
die Möglichkeit bieten soll, BewohnerInnen möglichst frei und offen über Erlebnisse,
Eindrücke und Sinnzusammenhänge ihres Lebens erzählen zu lassen, ist die einfache
Anwendung und Dokumentation bei möglichst hoher Informationsgewinnung.
83
Voraussetzungen einer qualitativen Interviewführung sind das Wissen um die Methode
und ausreichend zeitliche Ressourcen. Da letztere meist fehlen, ist eine Strukturierung
des Interviewleitfadens besonders wichtig. Von einer Audio-Aufzeichnung ist abzuraten,
vielmehr soll der Gesprächsbogen eine Nachvollziehbarkeit durch eine übersichtliche
Gestaltung für das gesamte BetreuerInnen-Team leicht machen.
7.3.1 Interview-Führung
Eine gute Interview-Führung erfordert einige Vorbereitungen von Seiten der
BetreuerInnen: Zuerst ist es wichtig den Fragebogen genau zu kennen und zu wissen, wie
die Fragen angeordnet sind. Dies erlaubt, in passenden Momenten, das spontane Einhaken
und Nachfragen bei bestimmten Lebensbereichen, auch wenn diese nach dem Leitfaden
erst später besprochen werden sollten. So wird der/die BewohnerIn nicht aus den
Gedankengängen und Erzählsträngen herausgerissen bzw. muss diese nicht zu einem
späteren Zeitpunkt neu aufnehmen und ein schnelles Mitschreiben in den entsprechenden
Feldern ist trotzdem möglich.
Ziel des Interviews ist es, den/die BewohnerIn möglichst viel erzählen zu lassen und
dabei selbst möglichst wenig zu sprechen. Das bedeutet aber keineswegs ein regloses
Dasitzen und Abwarten. Der Zeigen von bestimmter Mimik und Gestik ist von großer
Bedeutung und muss richtig eingesetzt werden. So ist es weniger empfehlenswert seinem
Gegenüber durch Nicken oder Lächeln Verstehens-Signale zu senden („Ich verstehe was
du meinst.“) sondern durch entsprechende Ausdrucksformen zu zeigen, dass weitere
Informationen benötigt werden, um besser zu verstehen (fragender Blick,
Erstaunensausrufe, zugewandte Körperhaltung) (vgl. Schütze 1977, zit. n. Niediek 2014,
S. 102). Weitere Interview-Techniken, die erzählverlängernd wirken, sind jene des
Paraphrasierens und Reflektierens. Diese folgen dem Zweck der kommunikativen
Absicherung, sowohl des explizit Gesagten als auch der emotionalen Bedeutung der
Erzählung. Dabei ist hervorzuheben, dass die Unterbrechung, die mit einer Paraphrase
einhergeht, sich nicht negativ auf den Redefluss auswirken muss. Vielmehr fühlt sich die
befragte Person verstanden und es zeigt auf, dass genügend Zeit zum Erzählen zur
Verfügung steht. Des Weiteren hilft die Wiederholung des Gesagten dem/der
84
Interviewten dabei, seine/ihre eigenen Gedanken zu strukturieren (vgl. Helfereich
2009/Witzel 1982, zit. n. Niediek 2014, S. 102).
Der Interviewleitfaden gibt weniger die konkreten Fragen vor, als vielmehr die
Lebensbereiche, nach denen zuerst mit einer offenen Frage gefragt wird. Danach bietet
der Leitfaden Raum für weiterführende, erzählanregende Fragen. Dieses sogenannte
narrative Nachfragen ist gekennzeichnet von drei verschiedenen Fragetypen:
Fragen nach einer bestimmten Lebensphase: Können Sie genauer darüber
erzählen, wie Sie diese Zeit (z.B. nach dem Tod des Vaters) erlebt haben?
Fragen nach Situationen, die in der Einstiegserzählung erwähnt wurden: Sie haben
vorher erwähnt, dass… Können Sie mir darüber mehr erzählen? Wie ist es dazu
gekommen?
Fragen nach einem Beispiel zu einem Argument: Können Sie sich noch an eine
Situation erinnern, in der das so war? Wie ist das passiert? (vgl. Rosenthal 1997,
zit. n. Niediek 2014, S. s102-103)
7.3.2 Art der Kommunikation
In der qualitativen Sozialforschung unterscheidet man zwischen zwei Stilen der
Interviewart: das weiche und das harte Interview. Ein weiches Interview zeichnet sich
dadurch aus, indem die interviewende Person versucht, ein Vertrauensverhältnis zum/r
Befragten zu entwickeln um der befragten Person Sympathie entgegenzubringen. Dabei
nehmen InterviewerInnen eine passive Rolle ein und wollen nur bei Themenwechsel
eingreifen (vgl. Koolwijk 1974/Grunow 1978, zit. n. Lamnek 1995, S. 57). Ein hartes
Interview ähnelt einem Verhör, bei dem die fragende Person Druck ausübt um Antworten
zu erhalten. Diese Art der Befragung ist generell in der qualitativen Forschung
auszuschließen, da gerade das Einfühlen in die Situation des Gegenübers und das
Schaffen eines Vertrauensverhältnisses als entscheidende Voraussetzung für die
Einholung verlässlicher Informationen gilt. Doch auch die Reinform einer weichen
85
Interviewführung ist nach den Kriterien qualitativer Sozialforschung nicht zulässig, weil
hierin, wie auch beim harten Interview, eine intersubjektive Nachprüfbarkeit der Daten
nicht möglich ist (vgl. Lamnek 1995, S. 58). Die Lösung liegt in der Mitte und nennt sich
„neutrale Interviewführung“, welche „den unpersönlich-sachlichen Charakter der
Befragung, die Einmaligkeit der Kommunikation und die soziale Distanz zwischen den
Befragungspartnern betont“ (Koolwijk 1974, zit. n. Lamnek 1995, S. 58).
Ein weiteres Merkmal von Befragungen in der qualitativen Sozialforschung liegt in der
Art der Frage. Man unterscheidet generell zwischen zwei Arten der Fragestellung:
geschlossene und offene Fragen. Eine geschlossene Frage kann entweder implizit oder
explizit gestellt werden. Bei implizit gestellten Fragen sind die Antwortmöglichkeiten
bereits in der Frageformulierung mitinbegriffen (Haben Sie sich in der Schule gut oder
schlecht mit Ihren MitschülerInnen verstanden?). Bei den explizit geschlossenen Fragen
sind Antwortkategorien außerhalb der Fragestellung vorgegeben (Wie haben Sie sich mit
Ihren MitschülerInnen verstanden? Antwortmöglichkeiten: gut bzw. schlecht.). Die
antwortende Person entscheidet sich für jene Antwortmöglichkeit, die seiner/ihrer
tatsächlichen Einstellung, Meinung, Verhalten etc. entspricht bzw. dieser am nächsten
kommt. Im Gegensatz dazu zeichnet sich eine offene Frage dadurch aus, indem die
Antwortmöglichkeiten des/der Interviewten nicht vorgegeben sind, sondern mit eigenen
Worten formuliert werden sollen (Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihren
MitschülerInnen gemacht?). Der Vorteil von offenen Fragen liegt darin, dass die
erwähnten Fakten, Erlebnisse, Erinnerungen etc. in ihrer Bedeutung für die befragte
Person strukturiert werden (vgl. Lamnek 1995, S. 59).
Die im Explorationsgespräch gestellten Fragen sind nicht ausschließlich offen. Es handelt
sich um eine Mischung aus offenen und geschlossenen Fragen, sowie Fragen zu
konkreten Ereignissen in der Vergangenheit des/der KlientIn. Jeder zu erfragende
Lebensbereich beinhaltet offene Fragen, die entweder bereits ausformuliert am
Fragebogen stehen oder bezugnehmend auf konkrete Lebensereignisse gestellt werden.
Das tritt beispielsweise dann ein, wenn sich nach dem Fragen der Veränderungen in der
Familienkonstellation herausstellt, dass der leibliche Vater verstorben ist. Hierauf kann
und soll die offene Frage „Wie haben Sie die Zeit nach dem Tod des Vater in
Erinnerung?“ gestellt werden. Der Fragebogen ermöglicht somit, wie in diesem Beispiel
86
ersichtlich, das Einfügen von Ad-Hoc Fragen, die sich aus Antworten auf vorgefertigte
Fragengestellungen ergeben können.
7.3.3 Aufbau des Fragebogens
Der Fragebogen orientiert sich einerseits an Fragen, die in der Literatur zur
sozialpädagogischen Anamneseverfahren zu finden sind. Anderseits fragt er nach
Lebensbereichen, die speziell auf die Betreuung im Trainingswohnen ausgerichtet sind
und zu einem großen Teil jene Lebensbereiche abdeckt, die in der Leistungsverordnung
als wesentliche pädagogische Aufgabenbereiche angeführt sind.
Einstiegsfrage:
Das Explorationsgespräch beginnt mit zwei Eingangsfragen: Die erste Frage bezieht sich
auf das Wohlbefinden und die Eindrücke nach den ersten Wochen im Trainingswohnen.
Die zweite Frage zielt auf das Zusammenleben in der Wohngemeinschaft und an das
Beziehungsverhältnis zu den MitbewohnerInnen ab:
Erzählen Sie mir davon, wie es Ihnen hier nach den ersten Wochen im
Trainingswohnen gefällt! Was gefällt Ihnen gut, was gefällt Ihnen dir weniger
gut?
Wie verstehen Sie sich mit deinen MitbewohnerInnen?
Im Anschluss behandelt der Fragebogen folgende Themenblöcke:
Vorherige Wohnsituation/Wohnbiographie:
o Wo haben Sie zuletzt gewohnt?
o Wer hat in diesem Haushalt noch gelebt?
o Gab es eine Betreuung/Unterstützung in der Familie?
o Wie hat Ihr Zimmer ausgesehen? Mit wem haben Sie Ihr Zimmer geteilt?
o Was hat Ihnen zu Hause gefallen und was weniger?
87
o Wie war Ihr Kontakt zu den Nachbarn und anderen Leuten, die in der Nähe
wohnten?
o Warum wollen Sie jetzt hier wohnen? Erzählen Sie mir, wie es zur
Entscheidung gekommen ist, bei uns einzuziehen!
Familienanamnese:
o Mit welchen Personen aus der Familie hatten Sie engeren Kontakt?
o Wie würden Sie die Art der Beziehung zu den einzelnen Personen
beschreiben?
o Ist es einmal vorgekommen, dass jemand in der Familie sehr krank war
oder gestorben ist?
o Welche Veränderungen in der Familienkonstellation gab es im Laufe
deines Ihres Lebens?
o Wie haben sich diese Veränderungen für Sie angefühlt?
o Hat es noch andere Leute in der Familie gegeben, von denen Sie erzählen
möchten?
o Welche gemeinsamen Aktivitäten und Spiele haben Sie in der Familie
unternommen/gespielt?
Krankheitsanamnese des/der BewohnerIn:
o Mussten Sie schon einmal operiert werden? Wenn ja: Wissen Sie wann
das war? Was hat sich danach verändert?
o Erzählen Sie mir, wer sich um Sie gesorgt hat, als Sie krank waren!
Schule und Ausbildung:
o Wo sind Sie in den Kindergarten und Schule gegangen? (Volksschule/
Hauptschule/ Sonderschule/ Gymnasium/ Polytchnikum)
o Haben Sie eine abgeschlossene Lehre/ Berufsausbildung?
o Wie haben Sie Ihre Schulzeit in Erinnerung?
o Wie kamen Sie mit Ihren MitschülerInnen zurecht?
o Welche Freundschaftsverhältnisse sind während der Schulzeit entstanden?
88
o Was waren Ihre Lieblingsfächer und welche haben Ihnen weniger
gefallen?
Freizeit:
o Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit? Wie haben Sie Ihre Freizeit bisher
gestaltet?
o Sind Sie Mitglied in einem Verein?
o Erzählen Sie mir etwas über Ihre Freunde und Freundinnen! (Wie oft
treffen Sie sie? Welche Aktivitäten unternehmen Sie mit ihnen?
o Haben Sie eine Partnerin oder einen Partner?
o Gibt es etwas, dass Sie unbedingt einmal unternehmen möchten? (Reise,
Ausflug, sportliche Aktivitäten etc.)
Ernährung:
o Was können Sie bereits selber kochen?
o Was ist Ihr Lieblingsessen?
o Gibt es Speisen, die Sie gar nicht mögen? Und gibt es Speisen die nicht
vertragen?
o Was möchten Sie bezüglich der Ernährung/des Kochens noch lernen?
Soziales Verhalten:
o Wie gut kommen Sie mit anderen Menschen zurecht?
o Was müssen andere tun, damit Sie sich ärgern?
o Hatten Sie schon einmal BetreuerInnen (zu Hause, in der Arbeit, Freizeit)?
Wenn ja: Wie gut kommen Sie mit BetreuerInnen zurecht? Verstehen Sie
sich besser mit männlichen oder mit weiblichen BetreuerInnen?
Finanzielles:
o Wie sind Sie bisher mit Ihrem (Taschen)-Geld ausgekommen? Borgen
Sie manchmal anderen Leuten Geld?
o Haben Sie eine/n Sachwalter/in? Wenn ja: Wie verstehen Sie sich mit
ihm/ihr? Wie bekommen Sie Ihr Geld?
89
o Worin hätten Sie gerne Unterstützung von den BetreuerInnen?
Arbeit und Beschäftigung:
o Was sind Ihre bisherigen Berufserfahrungen?
o Welche Arbeit würden Sie gerne machen? Oder sind Sie zufrieden mit
Ihrer jetzigen Tätigkeit?
o Was können Sie gut in der Arbeit?
o Was glauben Sie nicht so gut zu können?
o Wie verstehen/verstanden Sie sich mit Ihren ArbeitskollegInnen?
Abschluss:
Gibt es noch etwas, dass Sie erzählen möchten?
7.3.4 Art des Interviews
Der hier entwickelte Explorationsbogen lässt sich aus forschungstheoretischer Sicht in
die qualitative Sozialforschung einordnen, obwohl Elemente aus der quantitativen
Forschung miteinbezogen wurden. Die bekannteste und wichtigste Form des Interviews
in der Sozialforschung ist das narrative Interview, das aus sozialpädagogischer Sicht
meist für fallrekonstruktives Fallverstehen eingesetzt wird.
Diese Form der Befragung setzt eine offene Gesprächsführung voraus, in der die fragende
Person zurückhaltend agiert und in der der/die Befragte zum Erzählen angeregt wird. Die
Interviewführung ist als weich bis neutral zu beschreiben und der Detaillierungsgrad der
Erzählung wird im Wesentlichen von dem/der Interviewten bestimmt. Ziel dieser
Interviewform ist es, durch den Zugzwang des Erzählens eine realitätsgerechte
Rekonstruktion früheren Handelns zu erreichen. Voraussetzung dafür ist eine nicht
autoritäre, dafür kollegial-freundschaftliche Vertrauensatmosphäre. Das narrative
Interview erfordert aber auch die Aktivität (Nachfragen, Wiederholen, Verständnis
ausdrücken, etc.) des/der InterviewerIn. Zum Beispiel sollen Interpretationen zum
Zwecke der Kontrolle über das richtige Verständnis wiedergegeben werden (vgl. Lamnek
1995, S. 74). Im Zuge der hier erarbeitenden Explorationsphase ist eine rein narrative
Interviewform, auf Grund von zeitlichen Ressourcen (lange Interpretationsverfahren),
90
schwieriger Vergleichbarkeit und nicht immer vollständig ausgeprägter Fähigkeiten
narrativer Kompetenzen der BewohnerInnen, nicht geeignet. Vielmehr lässt sich das
Explorationsgespräch (sowohl mit BewohnerInnen als auch mit Angehörigen) mit einem
problemzentrierten Interview vergleichen. Im Vergleich zum narrativen Interview, in
dem der/die InterviewerIn die Befragung ohne wissenschaftliches Konzept über die zu
fragenden Themenbereiche durchführt, also einer streng induktiven Herangehensweise
folgt, zeichnet sich das problemzentrierte Interview durch eine Kombination aus
Deduktion und Induktion aus. Die InterviewerInnen gehen mit einem theoretischen
Vorverständnis in die Befragung und können anhand der Aussagen dieses modifizieren,
die Dominanz der Konzeptgenerierung bleibt aber bei der befragten Person (vgl. Lamnek
1995, S. 74). Bezogen auf den Explorationsbogen für das Trainingswohnen besteht ein
Wissen über Lebenswelttheorien, Lebensbewältigungsstrategien, Resilienz,
Empowerment, inklusionstheoretische Konzeptionen und vieles mehr, auf das sich die
Fragen beziehen und das „Problem“ somit eingrenzt werden kann. Zudem sind die
betreuungsrelevanten Lebensbereiche in der Maßnahmenbeschreibung vorgegeben und
werden somit in den Fokus der Befragung gestellt. Welche Lebensbereiche jedoch von
besonderer Bedeutung sind und wie die subjektiven Einstellungen, Betrachtungen und
Verhaltensweisen, sowie Erinnerungen und Erfahrungen dargestellt und rekonstruiert
werden, ist allein abhängig von den BewohnerInnen. Die Aussagen der BewohnerInnen
werden dann mit theoretischen Konzepten rückgekoppelt. So kann beispielsweise ein
Mangel an sozialen Beziehungen eine Reihe von Ursachen haben (soziale Verwahrlosung
in der Kindheit, nicht erworbene soziale Kompetenzen, Mobbing in Schule, traumatische
Erlebnisse, Gewalt in der Familie, soziale Marginalisierung, sozioökonomische
Benachteiligungen), welche unterschiedliche Maßnahmen erfordern. Geht man diesen,
ausgehend von den Informationen vom Anamneseverfahren, auf den Grund, können
Maßnahmen zur Resilienzförderung, dem Training sozialer Kompetenzen, therapeutische
Zugangsweisen in der Traumafolgebehandlung oder Ähnliches gesetzt werden.
7.3.5 Vorbereitung auf das BewohnerInnen-Gespräch
Das Gespräch findet etwa einen Monat nach Einzug des/der BewohnerIn statt und wird
in groben Zügen vorbesprochen. Es wird angekündigt, dass es sich um ein längeres
91
Gespräch handelt, in dem der/die BewohnerIn über seine/ihre Vergangenheit, Erlebnisse,
Familie, Schule etc. zu erzählen aufgefordert wird. Für das Gespräch wird eine Woche
im Vorfeld ein genauer Termin mit genauer Uhrzeit vereinbart. Zudem soll man für das
gegebenenfalls anstrengende Gespräch einen angenehmen Ausklang anstreben, indem
beispielsweise im Vorfeld vereinbart wird, gemeinsam eine Pizza zu bestellen. Für das
Anamnesegespräch an sich müssen in etwa zwei Stunden eingeplant werden. Um Störung
zu vermeiden empfiehlt sich, die Termine gut mit dem ArbeitskollegInnen und den
anderen BewohnerInnen gut abzusprechen. Wo das Gespräch stattfindet, wird mit
dem/der BewohnerIn gemeinsam ausgemacht, wobei das Büro oder Besprechungsräume
zu empfehlen sind, da hier die Möglichkeit besteht, dass der/die InterviewerIn den Raum
unmittelbar vor dem Gespräch für die Förderung einer besseren Atmosphäre gestaltet.
7.3.6 Raumgestaltung
Einige Vorbereitungen sind vor dem Gesprächsbeginn zu treffen: Es muss dafür gesorgt
sein, dass der Raum hell beleuchtet (am besten mit Tageslicht) und gut gelüftet ist. Für
den/die BewohnerIn wird ein Sessel so gerichtet, dass er/sie rechts bzw. links des/der
BetreuerIn sitzt und nicht gegenüber, da die Suggestion einer Konfrontation vermieden
werden soll. Der Tisch soll frei von Unterlagen, Akten, Büroutensilien etc. sein.
Stattdessen empfiehlt es sich, Getränke aufzutischen (man kann im Vorfeld bereits
nachfragen, welche Getränke von dem/der BewohnerIn präferiert werden). Außerdem
trägt es zur positiven Stimmung bei, wenn kleine Snacks oder Kuchen angeboten werden.
7.3.7 Das Gespräch
Nachdem alle Vorbereitungen getroffen wurden, beginnt das Interview zum vereinbarten
Zeitpunkt. Vor Beginn der ersten Fragen wird geklärt, dass die Informationen vertraulich
behandelt werden und lediglich die BetreuerInnen Zugriff darauf haben. Es wird erklärt
weshalb das Gespräch stattfindet und welchen Zweck die Informationseinholung für die
Betreuung hat. Hier ist anzumerken, dass es sich nicht empfiehlt, das Interview mit einem
Diktiergerät aufzunehmen. Erstens suggeriert ein Diktiergerät für viele Menschen ein
Verhör, zweitens kann es hemmend wirken, da Gesagtes nicht mehr zurückgenommen
92
werden kann. Außerdem muss das Gefühl einer Testsituation vermieden werden. Vor
Beginn des Gesprächs soll festgestellt werden, dass es keine falschen Antworten gibt.
Außerdem muss verständlich gemacht werden, dass das Nicht-Beantworten einer Frage
völlig legitim ist und nur erzählt werden soll, worüber man erzählen will.
7.4 Explorationsgespräch Eltern
Der Explorationsfragebogen für Angehörige, in der Regel sind es die Eltern oder ein
Elternteil, ist ähnlich aufgebaut wie jener für die BewohnerInnen und unterscheidet sich
nicht von der Art der Fragestellungen und Interviewführung. Es finden gleiche oder
ähnliche Fragen wieder, die aber durch die Perspektive der Angehörigen andere
Antworten, aus anderen Blickwinkeln, hervorbringen können. Die Vorbereitung des
Gesprächs erfolgt durch eine Vereinbarung eines Termins und einer kurzen Erklärung
über die Inhalte des Gesprächs. Der Ort des Interviews soll in einem der Büros bzw.
Besprechungsräume der Einrichtung erfolgen. Dies schafft allen voran einen
professionellen Rahmen, der das Sprechen über persönliche Empfindungen und
Ereignisse aus der Vergangenheit fördert. Aus diesem Grund ist ein öffentlicher Ort, wie
etwa ein Café oder bei den Angehörigen zu Hause zu vermeiden, da eine professionelle
Distanz gewahrt bleiben soll. Förderlich für die Bereitschaft eines Gesprächs mit
Angehörigen ist ein regelmäßiger Kontakt in den ersten Wochen nach Einzug des/der
BewohnerIn. Dieser Kontakt kann entweder telefonisch erfolgen oder durch Besuche in
der Trainingswohnung. Dabei sollten positive Beobachtung über den/die BewohnerIn
angesprochen werden. Die BetreuerInnen zeigen Offenheit den Fragen und Anregungen
der Angehörigen gegenüber. Hierzu gehört auch das Nachfragen über die Befindlichkeit
der Angehörigen bezüglich der neuen Wohnsituation der Kinder. Wurde ein Termin
festgelegt (zwei bis vier Wochen nach Einzug ins Trainingswohnen), so ist im Vorfeld,
ähnlich dem BewohnerInnen-Gespräch, der Gesprächsraum so zu gestalten, dass eine
angenehme, gesprächsfördernde Atmosphäre besteht. Dazu zählen ein ausreichender
zeitlicher Rahmen sowie die Garantie eines ungestörten Gesprächsverlaufs ohne
Unterbrechungen von außen. Selbstverständlich ist das Zeigen von ehrlichem Interesse
gegenüber der Biographie des/der BewohnerIn wie auch jene der Angehörigen.
93
Inhaltlich setzt sich der Fragebogen aus einer Mischung aus der Einholung von
biographischen Fakten und offenen Fragen zu Entwicklungen, Erfahrungen, Erlebnissen
und Empfindungen der Angehörigen aus dem Leben des/der BewohnerIn zusammen.
Verglichen mit dem BewohnerInnen-Fragebogen werden die biographischen Fakten
genauer erfragt, da in der Regel die exakte genaue zeitliche Einordnung von Angehörigen
besser in Erinnerung ist, als jene von den BewohnerInnen. Die offenen Fragen dienen
dazu, über Lebensereignisse aus der Perspektive der Angehörigen zu erfahren um diese
mit den subjektiven Erfahrungen der BewohnerInnen zu vergleichen.
7.4.1 Angehörigen-Anamnesebogen
Einstieg:
o Schildern Sie Ihren Eindruck von Ihrem Kind nach den ersten Wochen des
Trainingswohnens!
o Erzählen Sie mir aus Ihrer Sicht den Grund oder die Gründe, weshalb
er/sie sich für das Trainingswohnen entschieden hat!
Gesundheitsanamnese:
o Welche Diagnosen liegen vor?
o Frage nach den ÄrztInnen (HausärztIn, NeurologIn/ PsychiaterIn,
ZahnärztIn, AugenärztIn, FrauenärztIn, andere wichtige ÄrztInnen).
o Welche Operationen wurden bisher durchgeführt?
o Seit wann wird ihr/e Sohn/Tochter medikamentös eingestellt?
o Gab es im Laufe des Lebens Umstellungen in der Medikation? Wann
waren diese und welche Gründe gab es dafür?
o Wie haben sich die Medikamentenumstellungen auf den gesundheitlichen
Zustand ausgewirkt?
o Wie war der gesundheitliche Entwicklungsverlauf von der
Schwangerschaft bis zur Einschulung?
o Wie war der gesundheitliche Entwicklungsverlauf von der Einschulung
bis jetzt?
94
o Gibt es Familienangehörige mit schweren/chronischen Krankheiten oder
Behinderungen?
o Gab es Unfälle, Operationen oder andere einschneidende Erlebnisse in der
Familie? Wie haben sich diese Ereignisse auf den/die BewohnerIn
ausgewirkt?
Wohnsituation:
o Wo war der letzte Wohnsitz vor dem Einzug ins Trainingswohnen?
o Wer hat im gleichen Haushalt gelebt?
o Bitte beschreiben Sie mir die Wohnverhältnisse (Haus/Wohnung, Größe,
eigenes Zimmer, Privatsphäre etc.)!
o Wie würden Sie den Kontakt zu den NachbarInnen beschreiben?
o Wie wurden die Dienstleistungen und Angebote in der Umgebung genutzt
(Einkaufen, Veranstaltungen, Jugendzentren, Vereine etc.)?
o Gab es Umzüge im Laufe der Zeit?
Wenn ja, wie haben sich die Umzüge ausgewirkt (gesundheitlicher
Zustand, Beziehungsabbrüche, Verhalten etc.)?
Familienanamnese:
o Mit welchen Familienmitgliedern hatte der/die BewohnerIn einen engeren
Kontakt?
o Gab es wichtige Bezugspersonen außerhalb der Familie? Wenn ja, wie
würden Sie diese Beziehung beschreiben und ist sie immer noch aufrecht?
o Beschreiben Sie die Beziehung zwischen dem/der BewohnerIn und der
Mutter!
o Beschreiben Sie die Beziehung zwischen dem/der BewohnerIn und dem
Vater!
o Beschreiben Sie die Beziehung zwischen dem/der BewohnerIn und den
Großeltern!
o Beschreiben Sie die Beziehung zwischen dem/der BewohnerIn und den
Geschwistern!
95
o Welche gemeinsamen Aktivitäten und Spiele wurden innerhalb der
Familie unternommen/gespielt?
o Wann kam es vermehrt zu Konfliktsituationen?
Schule und Ausbildung:
o Wie würden Sie aus Ihrer Sicht das Verhältnis zu den MitschülerInnen
beschreiben?
o Wie haben sich Freundschaftsbeziehungen entwickelt?
o Welche Probleme gab es in der Schule?
o Von welchen positiven Schulerfahrungen können Sie erzählen?
Persönliche Entwicklung:
o Was sind mögliche Auslöser, Reaktionen und passende Interventionen bei
folgenden Gefühlslagen: Wut, Überforderung, Angst, Aggressivität,
Trauer.
o Wie verhält sie der/die BewohnerIn in einer Gruppe?
o Wie würden Sie sein/ihr Konfliktlösungspotential einschätzen?
o Wie würden Sie das Verhalten gegenüber unbekannten Personen
beschreiben?
o Erzählen Sie von Erfahrungen in Beziehungsverhältnissen zu
BetreuerInnen (Arbeit, Freizeit, Familienentlastung etc.)!
o Können Sie etwas über seine/ihre FreundInnen erzählen?
o Gab/gibt es Liebesbeziehungen?
Lebenspraktisches:
o Wie ausgeprägt war die bisherige Unterstützung in Hygiene-
Angelegenheiten? (Erinnerung ans Duschen/Zähne putzen; Wäsche
waschen; Hygiene am WC etc.)
o Wie würden Sie die Fähigkeiten im Umgang mit Geld einschätzen?
(Einteilung vom Taschengeld, Geld borgen, Verschuldung, Kaufsucht
etc.)
96
o Beschreiben Sie die Alltagsroutinen und deren Bewältigung (Aufstehen,
Frühstück richten, pünktliches Erscheinen in der Arbeit, Abendhygiene,
Mahlzeiten einnehmen, Schlafen gehen etc.)!
o Wie schätzen Sie seine/ihre Orientierung im öffentlichen Raum und den
Grad der Mobilität ein?
o Wo würde er/sie aus Ihrer Sicht Unterstützung in alltäglichen Aufgaben
brauchen?
Arbeit und Beschäftigung:
o Erzählen Sie mir von den bisherigen beruflichen Erfahrungen? Wo hat
er/sie bereits gearbeitet? Gibt es eine abgeschlossene Ausbildung?
o Wie würden Sie seine/ihre Motivation einer Arbeit nachzugehen
einschätzen?
o Wie schätzen Sie seine/ihre Stärken und Schwächen ein?
o Welche Erfahrungen wurden im Umgang mit ArbeitskollegInnen
gemacht?
Abschluss:
o Welche Wünsche, Anregungen oder Fragen an uns haben Sie noch?
7.5 Einschätzungen des lebenspraktischen Betreuungsbedarfs
Durch die beiden Interviews kann bereits ein Großteil der im Assessmentblatt
beinhaltenden Lebensbereiche eingeschätzt werden. Beobachtungen, die methodisch auf
verschiedene Arten durchgeführt werden, dienen als wichtige Ergänzung und
Überprüfung der Selbst- und Fremdeinschätzung. Besonders die lebenspraktischen
Fähigkeiten werden durch Beobachtungen sehr gut ersichtlich. Sehr oft sind es zufällige
Beobachtungen die aufschlussreich sein können und deshalb genau dokumentiert werden
müssen. Durch die intensive und nahe Betreuung im Zuge der Maßnahme bieten sich die
Methode der kontrollierten Beobachtung sehr gut an, da viele Fähigkeiten und
Entwicklungsstände zeitgleich überprüft werden können. Der große Vorteil darin liegt in
der Tatsache, dass durch Beobachtungen eine Testsituation vermieden wird. Meist sind
97
Tests zur Überprüfung jeglicher Leistungen und Fähigkeiten für Menschen mit
Behinderung negativ behaftet und Ergebnisse können so auf Grund von Lustlosigkeit
oder Nervosität verzerrt sein. Will man etwa die Kulturtechniken überprüfen, empfiehlt
es sich meiner Meinung nach nicht, dies anhand eines Diktats und Rechenbeispielen zu
tun, sondern in Form einer konstruierten Situation, die gleichzeitig natürlich wirkt. Zum
Beispiel wird mit dem/der BewohnerIn vereinbart, gemeinsam Lebensmittel für das
Abendessen einzukaufen. Aus dieser alltäglichen Handlung kann eine Situation
konstruiert werden, die die Beobachtung vieler Fähigkeiten zulässt. Neben der
Planungsfähigkeit (Was will ich essen und was brauche ich dafür?), das sehr oft das Lesen
eines Rezeptes erfordert (Lesetest), muss ein Einkaufszettel geschrieben werden
(Schreibtest) und es bedarf einer Einschätzung der Kosten (Rechentest, Einschätzung von
Geldbeträgen). Das Einkaufen selbst kann Auskunft über die Orientierungsfähigkeit
geben (Finde ich allein zum Lebensmittelgeschäft? Kann ich mich im Geschäft
orientieren?) und die Planungsumsetzung (Kaufe ich auch alles ein, was am
Einkaufszettel steht?). Durch das gemeinsame Kochen lassen sich die Fähigkeiten in der
Zubereitung von Mahlzeiten ablesen.
Andere Einschätzungen erfordern keine konstruierte Beobachtung, sondern lassen sich
mit einfachen Beobachtungen feststellen. Betritt man das Zimmer eines/r BewohnerIn,
gibt dies in der Regel schnell Aufschluss darüber, ob eine Person in der Lage ist, das
Zimmer in einem akzeptablen hygienischen Zustand führen zu können. Auch die
Fähigkeiten der Raumgestaltung lassen sich dadurch einschätzen. Die auf die körperliche
Hygiene bezogenen Einschätzungen lassen sich auch durch bewusstes Beobachten der
Alltagsroutinen feststellen. Beispielsweise kann der/die diensthabende BetreuerIn
gemeinsam mit dem/der BewohnerIn Zähne putzen, um festzustellen, ob es hierin
Training bedarf oder nicht. Bei einer längeren, bereits vertrauten Beziehung zum/r
BewohnerIn können intime Hygieneprobleme besprochen und eingeschätzt werden.
98
Abbildung 8: Einschätzung der alltagsbezogenen Aspekte
Die Abbildung 8 zeigt einen Ausschnitt der Einschätzung lebenspraktischer Fähigkeiten
einer anonymisierten Person. Grundsätzlich zielt das Assessmentblatt darauf ab, die Höhe
des Betreuungsbedarfs in den jeweiligen Lebensbereichen einzuschätzen. Die Skala
reicht von einem sehr hohen bis zu einem sehr geringen Betreuungsbedarf. Die Tendenz
spiegelt die Einschätzung wider, ob eine Verbesserung bzw. Verschlechterung zu
erwarten ist. Außerdem gibt sie Auskunft darüber, wenn akut Interventionen gesetzt
werden müssen. Wie in diesem Beispiel ersichtlich benötigt die Person eine rasche
Unterstützung in ihren finanziellen Angelegenheiten, um einer weiteren Verschuldung
entgegenzuwirken. Im Feld der Information wird kurz das Problem beschrieben. Wichtig
dabei ist, dass darin auch die Möglichkeit geboten wird, den Fokus nicht ausschließlich
auf Problembereiche zu richten, indem Raum für die Beschreibung positiver Merkmale
geboten wird (siehe Körperhygiene). Das Feld der Intervention beschreibt welche
Maßnahmen gesetzt werden müssen um eine Verbesserung herbeizuführen. Verknüpft
man diesen Punkt mit der Theorie zu den verschieden Fallebenen wird ersichtlich, dass
etwa beim Punkt Finanzielle Angelegenheiten die Interventionsmaßnahem auf den Eben
des Fall für und Fall mit angelegt werden. Die Person wird in diesem Beispiel ein Fall
für die Schuldnerberatung. Der Fall mit bezieht sich auf die unmittelbare
99
Betreuungsarbeit indem die Möglichkeit angeboten wird, ein gemeinsames Kassensystem
zu installieren, das es den BetreuerInnen erlaubt, unterstützend in der Einteilung des
Geldes einzugreifen. Zudem kann ein Plan erstellt werden, wie die vorhandenen Schulden
bestmöglich in Raten abbezahlt werden können. Sollten diese oder ähnliche
Interventionen zu keiner Verbesserung führen, wird der/die BewohnerIn durch die
Anregung eines Sachwalterschaftsverfahrens zu einem Fall für eine Sachwalterschaft.
7.6 Einschätzungen der persönlichkeitsbezogenen Aspekte
Unter den Bereich der persönlichkeitsbezogenen Aspekte fallen im Assessmentblatt die
Punkte: Selbstvertrauen, Selbstdisziplin, Motivation, Konfliktfähigkeit, Kritikfähigkeit
und Kooperationsbereitschaft. Eine erste Einschätzung dieser Persönlichkeitsbereiche
trifft der/die Betreuerin bereits während der Interviewsituation. Dabei obliegt es den
Beobachtungsfähigkeiten des/der SozialpädagogIn, „zwischen“ den Fragen und
Antworten diese sensiblen Bereiche zu erforschen. Antworten auf konkrete Fragen nach
diesen Persönlichkeitsbereichen werden vom/von der InterviewführerIn auf ihre
Kongruenz mit körpersprachlichen, nonverbalen Ausdrucksformen überprüft.
Konfliktfähigkeit, Kritikfähigkeit und Kooperationsfähigkeit lassen sich gut im
Fragekomplex der sozialen Kontakte in Schule und Freizeit abfragen. Motivation,
Selbstdisziplin und Selbstvertrauen können über die Frage nach den Gründen für einen
Wohnungswechsel ins Trainingswohnen oder zukunftsperspektivische Fragen
beantwortet werden. Es sei hier jedoch explizit darauf hingewiesen, dass sich eine
Einschätzung über Persönlichkeitsmerkmale aus dem Gesamteindruck über die Person
ergibt: Auftreten, Körpersprache, verbale und nonverbale Ausdrucksweisen, sowie
inhaltliche Aspekte sollen in diese Charakterisierung miteinbezogen werden. Zur
Überprüfung der eigenen Einschätzung des/der KlientIn soll die Fremdeinschätzung
des/der Angehörigen herangezogen werden. Diese kann Aufschluss geben über Potentiale
und Schwächen einer Person und gegebenenfalls eine überzogene Selbstdarstellung
des/der KlientIn relativieren.
Durch Beobachtungen in Alltagssituationen können persönlichkeitsbezogene
Eigenschaften gezielt extrahiert und überprüft werden. Möglichkeiten dafür ergeben sich
im Wohnalltag beispielsweise bei der Findung von Gruppenentscheidungen (Welchen
100
Film wollen wir sehen?). Die BewohnerInnen sind gefordert eine Entscheidung zu
treffen, Meinungen zu vertreten, Argumente zu finden, Niederlagen auszuhalten,
Nachzugeben etc. Kooperationsfähigkeit, Selbstvertrauen, Konfliktfähigkeit und
Kritikfähigkeit der einzelnen BewohnerInnen werden ersichtlich und für den/die
BeobachterIn einschätzbar.
Gerade die Einschätzung von persönlichkeitsbezogenen Aspekten bedarf eines
längerfristigen zeitlichen Rahmens und einer regelmäßigen Überprüfung. Die
Eingewöhnungsphase von Menschen mit Behinderung in einer stationären Einrichtung
stellt eine massive Ausnahmesituation dar und offenbart mitunter nicht bekannte
Persönlichkeitszüge (ängstliches Verhalten, Zurückhaltung, Unsicherheit, Ablehnung,
Aufmüpfigkeit, Selbstüberschätzung, Übermotivation etc.). Erst nach einiger Zeit des
Einlebens und der Gewöhnung an die neue Wohnumgebung mit den neuen
MitbewohnerInnen stabilisiert sich erfahrungsgemäß das Verhalten der Personen und
eine bessere Einschätzung der persönlichkeitsbezogenen Eigenschaften wird möglich.
Abbildung 9: Einschätzung der persönlichkeitsbezogenen Aspekte
Der im Assessmentblatt beinhaltete Abschnitt zur Einschätzung der
persönlichkeitsbezogenen Aspekte protokoliert den Grad der Persönlichkeitsmerkmale
Selbstvertrauen, Selbstdisziplin, Motivation, Konfliktfähigkeit, Kritikfähigkeit und
101
Kooperationsbereitschaft. Die Einstufungen reichen dabei von sehr hoch bis sehr niedrig.
Relevante Merkmalsbeschreibungen werden im Informationsfeld eingetragen und dienen
als Grundlage für geplante und benötigte Interventionen.
7.7 Einschätzungen der personellen Ressourcen
Aus den gewonnen Daten und Informationen aus den Interviews und den Beobachtungen
lässt sich eine erste Einschätzung über die benötigten personellen Ressourcen, für eine
adäquate Betreuung der Person mit Behinderung, ableiten. Gegebenenfalls müssen
zusätzliche Leistungen beantragt werden (Hauskrankenpflege, PsychotherapeutIn,
Behindertentaxi, Sachwalterschaft etc.).
Bestehende soziale Ressourcen sollen weiter gelebt und im Sinne eines behutsamen
Übergangs ins Trainingswohnen gefördert werden. So sollen beispielsweise tägliche
Routinen wie Telefonkontakte oder wöchentliche Termine wie Besuche bei den
Großeltern oder anderen Bezugspersonen unbedingt beibehalten werden. Dazu zählen
auch Heimfahrten am Wochenende und Freizeitaktivitäten in Vereinen oder kirchlichen
Gemeinschaften.
Entscheidend für die Förderung der bestehenden personellen Ressourcen ist der Einfluss
der Personen auf den/die Klientin. Reflexive Gespräche mit den BewohnerInnen
offenbaren eine fördernde bzw. hemmende Wirkung der sozialen Einflussgrößen
(FreundInnen, Familienmitglieder, Bekannte etc.) auf Menschen mit Behinderung. Dabei
sind Kontakte im virtuellen Raum wie Facebook oder anderen sozialen Netzwerken nicht
zu unterschätzen.
Durch einen längeren Beobachtungszeitraum können Tendenzen in Beziehungen
offenbart werden, die sich am Beginn der Betreuung anders präsentierten. Eine als positiv
eingeschätzte Beziehung zu einem/einer FreundIn kann sich beispielsweise nach einiger
Zeit als Belastung für den/die KlientIn herausstellen. Dasselbe lässt sich bei
professionellen Beziehungen und bei familiären Kontakten beobachten. Hier wird, neben
der Evaluierung von methodischen Zugängen und unterstützenden Maßnahmen, die
Notwendigkeit einer regelmäßigen Überprüfung und Neuerstellung der anamnestisch
erhobenen Daten und Informationen ersichtlich.
102
Abbildung 10: Einschätzung der familiären Ressourcen
Abbildung 11: Einschätzung der personellen Ressourcen (Freunde/professionelle Beziehungen)
103
Als personelle Ressourcen werden wichtige soziale AkteurInnen im Umfeld einer Person
festgehalten. Hier werden Kontakthäufigkeit (intensiv bis kein Kontakt) und die
Einflusswirkung auf den/die BewohnerIn eingeschätzt. Es wird beurteilt ob eine
Bezugsperson fördernd oder hemmend auf den/die BewohnerIn wirkt oder ob die
Einflussgröße unklar ist. Zur Konkretisierung der Einflusswirkung können zusätzlich die
jeweiligen Beziehungen beschrieben und mögliche Interventionen geplant werden.
Das Assessmentblatt stellt den Abschluss dieses Anamneseverfahrens dar. Nach
Beendigung der Eingewöhnungsphase im Trainings- oder Teilzeitbetreuten Wohnen
dient das Ergebnisblatt, mit den inkludierten Erstanalysen, der weiteren pädagogischen
Maßnahmensetzung. So wird das Assessmentblatt neben laufenden Evaluierungen auch
für die Erstellung von Zielplanungen, Stellungnahmen und Berichten herangezogen.
Gleichzeitig dokumentiert und ordnet es die wesentlichen Daten und Fakten der
KlientInnen. Nicht zuletzt ergibt sich durch die intensive Betreuungsphase am Anfang
der Zusammenarbeit von BetreuerIn und BewohnerIn, die gekennzeichnet ist von ehrlich
gezeigtem Interesse, die Möglichkeit in eine vertrauensvolle und wertschätzende
Beziehung zu starten.
104
8 Resümee
Nach der intensiven Beschäftigung mit dem Thema wurde mir erneut die Wichtigkeit der
ersten Zeit in einer Wohneinrichtung bewusst. Nicht nur seitens des/der BewohnerIn,
sondern auch für das BetreuerInnen-Team eröffnet sich eine Situation mit vielen
Neuerungen und Herausforderungen. Eine gelungene Anamnesephase bietet den
PädagogInnen die Möglichkeit professionelle Arbeit zu leisten und die Basis für eine
vertrauensvolle Beziehung zu den KlientInnen zu schaffen. Ein verantwortungsvoller und
wertschätzender Umgang mit den Geschichten und Daten der Frauen und Männer ist
dafür die Voraussetzung. Anamnese löst weder Probleme noch ersetzt sie
Beziehungsarbeit. Es soll somit hier erneut eindrücklich darauf hingewiesen werden, dass
das erstellte Anamneseverfahren lediglich den Ausgangspunkt für eine weitere
Fallbeschreibung und Fallbearbeitung markiert.
Der positive Verlauf meiner ersten Testung des Verfahrens in der Praxis bestärkte mich,
die erstellten Anleitungen und Vorlagen dem gesamten BetreuerInnen-Team meiner
Einrichtung in Zukunft zur Verfügung zu stellen. Unter Berücksichtigung der Erfahrung
und des Wissens der KollegInnenschaft kann der Anamneseprozess um weitere Methoden
ergänzt und je nach Anforderung auf die speziellen Bedürfnisse der KlientInnen adaptiert
werden. So bildet meine Arbeit lediglich den Anstoß für einen Prozess der Evaluierung
und Weiterentwicklung der Eingangsphase im Trainingswohnen und Teilzeitbetreuten
Wohnen, mit ihren speziellen Methoden und Erfordernissen. Alle zur Durchführung des
gesamten Verfahrens benötigten Formulare finden sich im Anhang dieser Arbeit.
105
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110
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Wolfensbergers Weiterentwicklung des Normalisierungsprinzips ...................................... 15
Abbildung 2: Person In Environment (PIE): Faktor 1-4 Probleme in Rollen ............................................. 45
Abbildung 3: ICF: Komponentenaufteilung ............................................................................................... 49
Abbildung 4: ICF: Wechselwirkung der Aktivitäten .................................................................................. 50
Abbildung 5: Vergleich: Biographische Forschung vs. Biographische Diagnostik ................................... 56
Abbildung 6: Status- oder Selektionsdiagnostik vs. Förder- oder Prozessdiagnostik ................................ 61
Abbildung 7: Chronologie der anamnestischen Fragestellung ................................................................... 73
Abbildung 8: Einschätzung der alltagsbezogenen Aspekte ........................................................................ 98
Abbildung 9: Einschätzung der persönlichkeitsbezogenen Aspekte ........................................................ 100
Abbildung 10: Einschätzung der familiären Ressourcen .......................................................................... 102
Abbildung 11: Einschätzung der personellen Ressourcen ........................................................................ 102
111
Anhang I – Checkliste der Dokumente/Nachweise/Gutachten
Checkliste der Dokumente/Nachweise/Gutachten
Grundsätzlich werden alle Unterlagen kopiert und gescannt. Die Kopie muss in die
BewohnerInnenmappe eingeordnet und als Scann digital gespeichert werden.
Dokumente
☐ Staatsbürgerschaftsnachweis
☐ Geburtsurkund
☐ Meldezettel
☐ Passfotos
☐ Reisepass/Personalausweis
☐ Behindertenausweis
Finanzielle Unterlagen
☐ Bestätigung Familienbeihilfe
☐ Einkommensnachweis/Lehrlingsentschädigung
☐ Nachweis Werkstätten-Entgelte bzw. Taschengeld
☐ Lebensunterhalt-Bescheid
☐ Bedarfsorientierte Mindestsicherung
☐ AMS-Bezug/Notstandsnachweis (bei arbeitsmarktintegrativen Maßnahmen oder
Arbeitslosigkeit)
☐ Nachweis Waisenpension
☐ Pensionsnachweis inkl. Ausgleichszulage
☐ Pflegegeldnachweis
Gutachten/Diagnosen
☐ Psychologisch/psychiatrische Gutachten/Diagnosen
☐ Clearing Bericht
Andere Unterlagen
☐ Nachweis Sachwalterschaft
112
Anhang II – Notfallblatt
Notfallblatt
Name Telefonnr.
Anschrift
Geburtsdatum
Versicherungsnr.
Krankenkasse
☐ selbstversichert ☐ mitversichert
mitversichert mit: Anschrift:
Pflegestufe
genehmigt bis
Mobilität
☐ Ohne Hilfe ☐ Rollstuhl ☐ Krücken
☐ Andere Gehhilfen:
Sachwalterschaft ☐ ja ☐ nein
Name des/der SW:
Anschrift Telefonnr.
Wichtige Kontakte
Name Anschrift Telefon
Diagnosen
(medizinische,
psychiatrische)
erstellt von Datum
erstellt von Datum
erstellt von Datum
erstellt von Datum
Aktuelle
Medikation
Medikament in mg Einnahmezeitpunkt
________________________________ o-o-o-o
________________________________ o-o-o-o
________________________________ o-o-o-o
________________________________ o-o-o-o
________________________________ o-o-o-o
________________________________ o-o-o-o
113
Anhang III – Gesundheitsblatt
Gesundheitsblatt
HausärztIn
Name
Anschrift
letzter Besuch am Grund des
Besuchs
NeurologIn/
PsychiaterIn
Name
Anschrift
letzter Besuch am Grund des
Besuchs
ZahnärztIn
Name
Anschrift
letzter Besuch am Grund des
Besuchs
FrauenärztIn
Name
Anschrift
letzter Besuch am Grund des
Besuchs
Andere wichtige ÄrztInnen/TherapeutInnen
Name
Anschrift
letzter Besuch am Grund des
Besuchs
Name
Anschrift
letzter Besuch am Grund des
Besuchs
Stationäre Aufenthalte
Einrichtung/Klinik Grund des Aufenthalts Zeitraum des Aufenthalts
114
Anhang IV – BewohnerInnen-Anamnesebogen
BewohnerInnen-Anamnesebogen
Datum: _____________ Ort: _______________
BewohnerIn: _________________________________________
BetreuerIn: ___________________________________________
Einstieg
Erzählen Sie mir davon, wie es Ihnen hier nach den ersten Wochen im
Trainingswohnen gefällt! Was gefällt Ihnen gut, was gefällt Ihnen dir
weniger gut?
Wie verstehen Sie sich mit deinen MitbewohnerInnen?
115
Vorherige Wohnsituation
Wo haben Sie zuletzt gewohnt?
☐ bei den Eltern ☐ in einer eigenen Wohnung
☐ in einer WG
☐ in einer Einrichtung: _____________________
Art der Wohnform: ☐ Vollzeitbetreutes Wohnen
☐ Trainingswohnen
☐ Teilzeitbetreutes Wohnen
☐ sonstige Wohnform: ________________________
Wer hat in diesem Haushalt noch gelebt?
Name d. Person
Verwandtschafts-/
Beziehungsverhältnis
Name d. Person
Verwandtschafts-/
Beziehungsverhältnis
Name d. Person
Verwandtschafts-/
Beziehungsverhältnis
Name d. Person
Verwandtschafts-/
Beziehungsverhältnis
Gab es eine Betreuung/Unterstützung in der
Familie?
In welchem Stundenausmaß wurde die
Wohnbetreuung in Anspruch genommen?
☐ Pflegedienst ☐ WASS ☐ FED ☐ Persönliche Assistenz ☐ FZA
☐ MSB ☐ andere: ________________________
Stundenausmaß:
BetreuerInnen:
116
Wie hat Ihr Zimmer ausgesehen? Mit wem haben Sie
Ihr Zimmer geteilt?
Was hat Ihnen zu Hause gefallen und was weniger?
Wie war Ihr Kontakt zu den Nachbarn und anderen
Leuten, die in der Nähe wohnten?
Warum wollen Sie jetzt hier wohnen?
Erzählen Sie mir, wie es zur Entscheidung
gekommen ist, bei uns einzuziehen!
117
Familienanamnese
Mit welchen Personen aus der Familie hatten Sie engeren Kontakt?
☐ Mutter ☐ Vater ☐ Großeltern: ________________________
☐ Urgroßeltern: _________________
☐ andere Verwandte: __________________________________________________________
☐Geschwister
Anzahl der Geschwister: ______
Name und Geburtsdatum: ___________________________
___________________________
___________________________
___________________________
Wie würden Sie die Art der Beziehung zu den einzelnen Personen beschreiben?
118
Gesundheit und Krankheit in der Familie
Ist es einmal vorgekommen, dass jemand in der Familie sehr krank war oder
gestorben ist?
☐ nein
☐ ja Wer: _______________________________
Was ist passiert und wie ist es dir danach ergangen?
Welche Veränderungen in der Familienkonstellation gab es im Laufe deines Ihres
Lebens?
Wie haben sich diese
Veränderungen für
Sie angefühlt?
119
Hat es noch andere Leute in der Familie gegeben, von denen
Sie erzählen möchten?
Welche gemeinsamen Aktivitäten und Spiele
haben Sie in der Familie unternommen/gespielt?
120
Krankheitsanamnese
Mussten Sie schon einmal operiert
werden? Wenn ja: Wissen Sie wann
das war? Was hat sich danach
verändert?
Erzählen Sie mir, wer sich um Sie
gesorgt hat, als Sie krank waren!
121
Schule und Ausbildung
Art/Form
Name/Ort der Schule
Zeitraum
Kindergarten
Volksschule
Sonderschule
Polytechnikum
Lehre/Berufsschule/TQL
Wie haben Sie Ihre Schulzeit in Erinnerung?
Wie kamen Sie mit Ihren MitschülerInnen zurecht?
122
Welche Freundschaftsverhältnisse sind während der
Schulzeit entstanden?
Was waren Ihre Lieblingsfächer und welche haben Ihnen
weniger gefallen?
Freizeit
Was machen Sie gerne in Ihrer Freizeit? Wie
haben Sie Ihre Freizeit bisher gestaltet?
Sind Sie Mitglied in einem Verein?
123
Erzählen Sie mir etwas über Ihre Freunde und
Freundinnen! (Wie oft treffen Sie sie? Welche
Aktivitäten unternehmen Sie mit ihnen?
Haben Sie eine Partnerin oder einen Partner?
Gibt es etwas, dass Sie unbedingt einmal unternehmen
möchten? (Reise, Ausflug, sportliche Aktivitäten etc.)
124
Ernährung
Was können Sie bereits selber kochen?
Was ist Ihr Lieblingsessen?
Gibt es Speisen, die Sie gar nicht mögen? Und
gibt es Speisen die nicht vertragen?
Was möchten Sie bezüglich der Ernährung/des Kochens noch lernen?
125
Soziales Verhalten
Wie gut kommen Sie mit anderen Menschen zurecht?
Was müssen andere tun, damit Sie sich ärgern?
Hatten Sie schon einmal BetreuerInnen (zu Hause, in
der Arbeit, Freizeit)? Wenn ja: Wie gut kommen Sie
mit BetreuerInnen zurecht? Verstehen Sie sich besser
mit männlichen oder mit weiblichen BetreuerInnen?
126
Finanzen
Wie sind Sie bisher mit Ihrem (Taschen)-Geld ausgekommen?
Borgen Sie manchmal anderen Leuten Geld?
Haben Sie eine/n Sachwalter/in? Wenn ja: Wie
verstehen Sie sich mit ihm/ihr? Wie bekommen Sie
Ihr Geld?
Worin hätten Sie gerne Unterstützung von den
BetreuerInnen?
127
Arbeit und Beschäftigung
Bisherige Berufs- oder Beschäftigungserfahrungen
Einrichtung + Ort Maßnahme Tätigkeitsfeld Zeitraum
☐ noch keine Erfahrungen
Welche Arbeit würden Sie gerne machen?
Oder sind Sie zufrieden mit Ihrer jetzigen
Tätigkeit?
Was können Sie gut in der Arbeit?
128
Was glauben Sie nicht so gut zu können?
Wie verstehen/verstanden Sie sich mit Ihren
ArbeitskollegInnen?
129
Abschluss
Gibt es noch etwas, dass Sie erzählen
möchten?
130
Anhang V – Angehörigen-Anamnesebogen
Angehörigen-Anamnesebogen
Datum: _____________ Ort: _______________
Durchführende Personen: _________________________________________
Betrifft BewohnerIn: __________________________
Einstieg
Schildern Sie Ihren Eindruck von Ihrem Kind nach den ersten
Wochen des Trainingswohnens!
Erzählen Sie mir aus Ihrer Sicht den Grund oder die Gründe, weshalb
er/sie sich für das Trainingswohnen entschieden hat!
131
Gesundheitsanamnese
Operationen
Art der Operation Zeitpunkt/Alter d. KlientIn
Veränderung im
gesundheitlichen Zustands
und/oder im Verhalten
132
Seit wann wurde der/die KlientIn medikamentös eingestellt?
Gab es im Laufe des Lebens Umstellungen in der Medikation? Wann waren diese
und welche Gründe gab es dafür?
Medikament Zeitpunkt Grund Art der Veränderung
☐ Neueinführung
☐ Absetzung
☐ Änderung der Dosierung
☐ Neueinführung
☐ Absetzung
☐ Änderung der Dosierung
☐ Neueinführung
☐ Absetzung
☐ Änderung der Dosierung
☐ Neueinführung
☐ Absetzung
☐ Änderung der Dosierung
Wie haben sich die
Medikamentenumstellungen auf den
gesundheitlichen Zustand ausgewirkt?
133
Wie war der gesundheitliche Entwicklungsverlauf von der
Schwangerschaft bis zur Einschulung?
Wie war der gesundheitliche Entwicklungsverlauf von der
Einschulung bis jetzt?
Gesundheit und Krankheit in der Familie
Gibt es Familienangehörige mit schweren/chronischen Krankheiten oder
Behinderungen?
☐ nein
☐ ja Wer: _______________________________
Krankheit/Behinderung: _____________________________
Wer: _______________________________
Krankheit/Behinderung: _____________________________
Wer: _______________________________
Krankheit/Behinderung: _____________________________
134
Gab es Unfälle, Operationen oder andere einschneidende Erlebnisse in der Familie?
Wie haben sich diese Ereignisse auf den/die BewohnerIn ausgewirkt?
Wohnsituation
Wo war der letzte Wohnsitz vor dem Einzug ins Trainingswohnen?
☐ bei den Eltern ☐ in einer eigenen Wohnung
☐ in einer WG
☐ in einer Einrichtung: _____________________
Art der Wohnform: ☐ Vollzeitbetreutes Wohnen
☐ Trainingswohnen
☐ Teilzeitbetreutes Wohnen
☐ sonstige Wohnform: ________________________
135
Wer hat im gleichen Haushalt gelebt?
Name d. Person
Verwandtschafts-/
Beziehungsverhältnis
Name d. Person
Verwandtschafts-/
Beziehungsverhältnis
Name d. Person
Verwandtschafts-/
Beziehungsverhältnis
Name d. Person
Verwandtschafts-/
Beziehungsverhältnis
Bitte beschreiben Sie mir die Wohnverhältnisse
(Haus/Wohnung, Größe, eigenes Zimmer,
Privatsphäre etc.)!
Wie würden Sie den Kontakt zu den NachbarInnen
beschreiben?
136
Wie wurden die Dienstleistungen und Angebote
in der Umgebung genutzt (Einkaufen,
Veranstaltungen, Jugendzentren, Vereine etc.)?
Gab es Umzüge im Laufe der Zeit?
Wenn ja, wie haben sich die Umzüge ausgewirkt
(gesundheitlicher Zustand, Beziehungsabbrüche,
Verhalten etc.)?
137
Familienanamnese
Mit welchen Familienmitgliedern hatte der/die BewohnerIn einen engeren
Kontakt?
☐ Mutter ☐ Vater ☐ Großeltern: ________________________
☐ Urgroßeltern: _________________
☐ andere Verwandte: __________________________________________________________
☐Geschwister
Anzahl der Geschwister: ______
Name und Geburtsdatum: ___________________________
___________________________
___________________________
___________________________
Gab es wichtige Bezugspersonen außerhalb der Familie? Wenn ja, wie würden Sie
diese Beziehung beschreiben und ist sie immer noch aufrecht?
138
Beziehungen in der Familie
Beschreiben Sie die Beziehung zwischen dem/der
BewohnerIn und der Mutter!
Beschreiben Sie die Beziehung zwischen dem/der
BewohnerIn und dem Vater!
Beschreiben Sie die Beziehung zwischen dem/der
BewohnerIn und den Großeltern!
139
Beschreiben Sie die Beziehung zwischen dem/der BewohnerIn und
den Geschwistern!
Welche gemeinsamen Aktivitäten und Spiele wurden innerhalb der Familie
unternommen/gespielt?
Wann kam es vermehrt zu Konfliktsituationen?
140
Schule/Ausbildung
Wie würden Sie aus Ihrer Sicht das Verhältnis zu den
MitschülerInnen beschreiben?
Wie haben sich Freundschaftsbeziehungen entwickelt?
Welche Probleme gab es in der Schule?
Von welchen positiven Schulerfahrungen können Sie
erzählen?
141
Persönliche Entwicklung
Gefühle
Gefühlsage Mögliche Auslöser Reaktion Intervention
Wut
Überforderung
Angst
Wohlbefinden
Soziales Verhalten
Wie verhält sie der/die BewohnerIn in einer Gruppe?
Wie würden Sie sein/ihr Konfliktlösungspotential
einschätzen?
142
Wie würden Sie das Verhalten gegenüber
unbekannten Personen beschreiben?
Erzählen Sie von Erfahrungen in Beziehungsverhältnissen zu BetreuerInnen
(Arbeit, Freizeit, Familienentlastung etc.)!
Können Sie etwas über seine/ihre FreundInnen erzählen?
143
Gab/gibt es Liebesbeziehungen?
144
Lebenspraktisches
Wie ausgeprägt war die bisherige Unterstützung in Hygiene-
Angelegenheiten? (Erinnerung ans Duschen/Zähne putzen;
Wäsche waschen; Hygiene am WC etc.)
Wie würden Sie die Fähigkeiten im Umgang mit Geld
einschätzen? (Einteilung vom Taschengeld, Geld borgen,
Verschuldung, Kaufsucht etc.)
Beschreiben Sie die Alltagsroutinen und deren
Bewältigung (Aufstehen, Frühstück richten,
pünktliches Erscheinen in der Arbeit, Abendhygiene,
Mahlzeiten einnehmen, Schlafen gehen etc.)!
145
Wie schätzen Sie seine/ihre Orientierung im öffentlichen Raum und den
Grad der Mobilität ein?
Wo würde er/sie aus Ihrer Sicht Unterstützung in alltäglichen
Aufgaben brauchen?
146
Arbeit und Beschäftigung
Bisherige Berufs- oder Beschäftigungserfahrungen
Einrichtung + Ort Maßnahme Tätigkeitsfeld Zeitraum
☐ noch keine Erfahrungen
Wie würden Sie seine/ihre Motivation einer
Arbeit nachzugehen einschätzen?
Wie schätzen Sie seine/ihre Stärken und Schwächen ein?
147
Welche Erfahrungen wurden im Umgang mit
ArbeitskollegInnen gemacht?
Abschluss
Welche Wünsche, Anregungen oder
Fragen an uns haben Sie noch?
148
Anhang VI – Assessementblatt
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