Sozialgeographie: Räumliche Strukturen der Gesellschaft Sozgg02/02/01 Modul 02/02 Raum,...

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Sozialgeographie: Räumliche Strukturen der Gesellschaft

Sozgg02/02/01Sozgg02/02/01

Modul 02/02Modul 02/02Raum, Räumlichkeit, die „dreiRaum, Räumlichkeit, die „dreiWelten“ und der Zusammen-Welten“ und der Zusammen-

hang zwischen Sinn und Materiehang zwischen Sinn und Materie

© Peter Weichhart290118 VO

WS 2013/14WS 2013/14

3 Std., 4 ECTS-Punkte 3 Std., 4 ECTS-Punkte Dienstag, 17:00 –18:00 HS 4C und Mittwoch, 12:00 – 14:00; Hs. 5A, Dienstag, 17:00 –18:00 HS 4C und Mittwoch, 12:00 – 14:00; Hs. 5A,

Kapitel 29.01; 29.02; 29.05;  (B11-3.2) (B07-3.2) (L2-b2, L2-b3, L2-b-zLV)Kapitel 29.01; 29.02; 29.05;  (B11-3.2) (B07-3.2) (L2-b2, L2-b3, L2-b-zLV)

„Raumexorzismus“

Sozgg02/02/02Sozgg02/02/02

• „starke Form“:

Man geht davon aus, dass soziale Gegegeben-heiten von materiellen (und damit von räumlichen)Strukturen vollkommen unabhängig sind.

•„schwache Form“:

Unzulänglich reflektierte, elliptisch verkürzte und bloß metaphorische Redeweisen und deterministi-sche Fehldeutungen sind zu vermeiden.

Ontologische Probleme

Sozgg02/02/03Sozgg02/02/03

In der klassischen Geographie der Landschafts- und Länderkunde wurde die„Integrationsstufenlehre“ als Begründungfür die „Verschmelzung“ von „Natur“ und„Kultur“ herangezogen.

N A T U R K U L T U R

L A N D S C H A F T

Dichotomie

Sozgg02/02/04Sozgg02/02/04

Ontologische Probleme

In der „raumwissenschaftlichen“ Geogra-In der „raumwissenschaftlichen“ Geogra-phie (nach der „Kieler Wende“) verlager-phie (nach der „Kieler Wende“) verlager-te sich der Schwerpunkt der ontologi-te sich der Schwerpunkt der ontologi-schen Diskussion auf eine andere Ebene:schen Diskussion auf eine andere Ebene:

Dichtotomie

„Materie“ „Sinn“

Masse, Energie, ... Kommunikation, Information,Intention, ...

„Raum“

Wider die „ontologische Verslumung“ (G. HARD)“ (G. HARD)

Sozgg02/02/05Sozgg02/02/05

Suche nach einer Redeweise, bei der zwi-Suche nach einer Redeweise, bei der zwi-schen differenten Seinssphären präzise schen differenten Seinssphären präzise unterschieden wird: wird:

Bezug auf die „Drei-Welten-Theorie“Bezug auf die „Drei-Welten-Theorie“von K. R. POPPERvon K. R. POPPER

G. G. HARDs Argument: Argument:

Sozgg02/02/06Sozgg02/02/06

Verwenden wir doch die Drei-Welten Theorie POPPERs, um eine „übersichtli-che Kategorisierung“ der in der Geogra-phie vorfindbaren Raumbegriffe vorzu-nehmen.

1993, S. 56

physisch-materieller RaumMental Mapssoziale Raumkonstrukte

POPPERs „Drei Welten“

Sozgg02/02/07Sozgg02/02/07

WELT 2WELT 2subjektive subjektive Bewusst-Bewusst-

seins-seins-zuständezustände

WELT 3WELT 3objektive objektive

Ideen,Ideen,„„Intelligi-Intelligi-

bilia“bilia“

WELT 1WELT 1

physisch-physisch-materiellematerielle

DingeDinge

Die Welt besteht aus mindestens dreiDie Welt besteht aus mindestens dreiontologisch verschiedenen Teilwelten.ontologisch verschiedenen Teilwelten.

K. R. POPPER, 1973, S. 188

POPPERs POPPERs eigentliches Anliegen Anliegen

Sozgg02/02/08Sozgg02/02/08

Objektive Ideen (Welt 3) und subjektiveObjektive Ideen (Welt 3) und subjektiveDenkprozesse (Welt 2) können nicht Denkprozesse (Welt 2) können nicht

gleichgesetzt werden.gleichgesetzt werden.

Betonung der AutonomieBetonung der Autonomieder Welt 3der Welt 3

Die Interpretation der Drei-Welten Die Interpretation der Drei-Welten Theorie durch die RaumexorzistenTheorie durch die Raumexorzisten

Sozgg02/02/09Sozgg02/02/09

Strenge ontologische Unterscheidung: ontologische Unterscheidung:

Die drei Welten werden als grundsätzlich ver-Die drei Welten werden als grundsätzlich ver-schiedenartige Seinsbereiche aufgefasst. schiedenartige Seinsbereiche aufgefasst. Folgerung:Folgerung:

„„Bewohner“ einer dieser drei Welten dür-Bewohner“ einer dieser drei Welten dür-fen fen nichtnicht mit Elementen einer anderen mit Elementen einer anderenWelt in Beziehung gebracht werden.Welt in Beziehung gebracht werden.

Die Konsequenz: Konsequenz:

Sozgg02/02/10Sozgg02/02/10

Soziale Tatbestände (Ele-mente der Welt 3) könnennicht in der Welt 1 (im phy-

sisch-materiellen Raum)lokalisiert werden.

Das eigentliche Anliegen der Raumexorzisten

Sozgg02/02/11Sozgg02/02/11

... ist nicht der „Raum“, sondern ... ist nicht der „Raum“, sondern das Bemühen, jede Möglichkeit das Bemühen, jede Möglichkeit deterministischer „Kurzschlüsse“ deterministischer „Kurzschlüsse“ von der Welt 1 auf die Welten 2 von der Welt 1 auf die Welten 2 und 3 auszuschließen.und 3 auszuschließen.

Die Sicht POPPERs: Zwei Probleme

Sozgg02/02/12Sozgg02/02/12

1.) „COMPTONs Problem“:

Das Problem des Einflusses der Weltabstrakter Bedeutungen (Welt 3) aufdas menschliche Verhalten (und damitauf die physikalische Welt (1).

Sozgg02/02/13Sozgg02/02/13

Die Sicht POPPERs: Zwei Probleme

2.) „DESCARTEs Problem“ (Leib-Seele- Problem):

Das Problem des Einflusses von Be-wusstseinszuständen auf den Körper und umgekehrt.

Unsere Unsere Folgerung::

Sozgg02/02/14Sozgg02/02/14

Man kann sich nicht auf POPPERMan kann sich nicht auf POPPERals Kronzeugen berufen, um unterals Kronzeugen berufen, um unterVerweis auf den eigenständigenVerweis auf den eigenständigen

ontologischen Status der drei Wel-ontologischen Status der drei Wel-ten die Frage nach den Zusammen-ten die Frage nach den Zusammen-hängen zwischen ihnen als irrele-hängen zwischen ihnen als irrele-

vant abzulehnen.vant abzulehnen.

Das „Brot-Beispiel“ zeigt:Das „Brot-Beispiel“ zeigt:

Sozgg02/02/15Sozgg02/02/15

Die Welt ist von „hybriden“ Phänomenen be-völkert, die gleichzeitig in (mindestens) zwei der POPPERschen Welten beheimatet sind.

Brot

Zeichen

Nahrungsmittel

Materielle ArtefakteMaterielle Artefakte

Sozgg02/02/16Sozgg02/02/16

„„... können insgesamt weder der physisch-materiellen... können insgesamt weder der physisch-materiellen Welt noch der immateriellen sozialen Welt einseitig Welt noch der immateriellen sozialen Welt einseitig zugeordnet werden. Die einseitige Zuordnung zur phy-zugeordnet werden. Die einseitige Zuordnung zur phy-sischen Welt ist deshalb als unangemessen zu be-sischen Welt ist deshalb als unangemessen zu be-trachten, weil in Artefakten immer auch Sinnsetzun-trachten, weil in Artefakten immer auch Sinnsetzun-gen der Hervorbringungsakte aufgehoben sind ... Diegen der Hervorbringungsakte aufgehoben sind ... Dieeinseitige Zuordnung zur sozialen Welt ist deshalb un-einseitige Zuordnung zur sozialen Welt ist deshalb un-angebracht, weil diese Artefakte materieller Art sind angebracht, weil diese Artefakte materieller Art sind und somit einen anderen ontologischen Status aufwei-und somit einen anderen ontologischen Status aufwei-sen als reine Sinngehalte und Ideen.“ sen als reine Sinngehalte und Ideen.“

(B. WERLEN, 1987, 181).(B. WERLEN, 1987, 181).

Zwischenresümee

Sozgg02/02/17Sozgg02/02/17

Die „starke Form“ des Raumexorzismuskann nicht nachvollzogen werden und wird abgelehnt. Eine Begründung überdie Drei-Welten Theorie ist inkonsistentund widerspricht den zentralen Aussa-gen dieser Theorie.

Sozgg02/02/18Sozgg02/02/18

Zwischenresümee

Ontologischer Pluralismus der „starkenForm“ des Raumexorzismus:

Deterministische Interpretationenwerden verlässlich ausgeschlossen.

Wird der Evidenz „hybrider“ Phänomene nicht gerecht.

Sozgg02/02/19Sozgg02/02/19

Zwischenresümee

Besonders wichtig: materielle Artefakte wichtig: materielle Artefakte

„...sie strukturieren die physisch-materi-elle Welt und deren erdräumliche Di-mension in sozialer Hinsicht und die so-ziale Welt in erdräumlicher Hinsicht aufpersistente Weise.“

B. WERLEN, 1987, S. 182

Folgerung

Sozgg02/02/20Sozgg02/02/20

Wie könnte ein „sozialwissen-schaftlich verträgliches“ Raum-konzept aussehen?

Wir können nicht auf ein Raumkonzept ver-zichten, in dem sowohl physisch-materielle Dinge als auch soziale Sachverhalte darstell-bar sind.

Sozgg02/02/21Sozgg02/02/21

„Raum“ als Schlüsselbegriff der Geographie

„Was aber ist Landschaft? Das ist die ungelöste Grund-frage der Geographie.“

H. CAROL, 1956, Zur Diskussionum Landschaft und Geographie, S. 111.

Was aber ist Raum?

Das ist die ungelöste Grundfrage der

Geographie.

Sozgg02/02/22Sozgg02/02/22

Sozgg02/02/23Sozgg02/02/23

Die „ungelöste Grundfrage“ lösbar machen

„„Was ist Raum?“Was ist Raum?“ Sprach-Sprach-realistischerealistischeFragehaltungUmformulierung:Umformulierung:

Sprach-pragmatischeFragehaltung

„„In welcher In welcher BedeutungBedeutungwird das Wort „Raum“wird das Wort „Raum“

von von wemwemzu zu welchem Zweckwelchem Zweck ver- ver-

wendet?“wendet?“

Sozgg02/02/24Sozgg02/02/24

Raumkonzepte. Ein Inventarverzeichnis

Raum5

Raum als a priorider Wahrnehmung

RaumRaum1e1e

erlebter erlebter RaumRaum

RaumRaum44

Lagerungsqualität derLagerungsqualität derKörperweltKörperwelt

““RÄUMLICHKEIT”RÄUMLICHKEIT”als Attribut der Dingeals Attribut der Dinge

Raum3

Ordnungsstrukturz. B.

Karte, Gradnetz, GIS,aber auch Farbenraum,

sozialer Raum, Raum4 etc.

RaumRaum11

ErdraumausschnittErdraumausschnitt(Gebirgsraum, (Gebirgsraum,

Mittelmeerraum...)Mittelmeerraum...)

RaumRaum11

ErdraumausschnittErdraumausschnitt(Gebirgsraum, (Gebirgsraum,

Mittelmeerraum...)Mittelmeerraum...)

RaumRaum22

Raum als eigenständigeRaum als eigenständigeontologische Struktur, ontologische Struktur,

Containerraum, “Häferl”Containerraum, “Häferl”

RaumRaum22

Raum als eigenständigeRaum als eigenständigeontologische Struktur, ontologische Struktur,

Containerraum, “Häferl”Containerraum, “Häferl”

Raum1

Sozgg02/02/25Sozgg02/02/25

Vage und „abgekürzte“ Bezeichnungfür ein bestimmtes Gebiet der Erdober-fläche, dessen Grenzen nicht näher de-finiert oder pragmatisch festgelegt wer-den („Mittelmeerraum“).

Gebiete der Erdoberfläche, die durch dominante Gegebenheiten gekennzeich-net sind („Gebirgsraum“).

Raum2

Eigenständige ontologische Struktur,die unabhängig von ihrer dinglich-materiellen Erfülltheit existiert. „Raum“als unbegrenzte dreidimensionale Aus-dehnung, in der Objekte und Ereignissevorkommen, die eine relative Position und Richtung besitzen.

Sozgg02/02/26Sozgg02/02/26

Raum3

Sozgg02/02/27Sozgg02/02/27

Ordnungsstruktur, mit deren Hilfe manbeliebige „Gegenstände“ zueinanderoder zu Koordinatenursprüngen in Be-ziehung setzen kann („Begriffsraum“,„Merkmalsraum“).

Sozgg02/02/28Sozgg02/02/28

Raum4

Ordnung des Koexistierenden

G. W. LEIBNIZ: „spatium est ordo coexistendi“.

„Raum4“ wird durch die Relationalitätder Körper und Dinge konstituiert.

Sozgg02/02/29Sozgg02/02/29

Raum1e

Raum1, der mit subjektivem Sinn undsubjektiver Bedeutung aufgeladen ist.

Kognitive Konstrukte, in denen ein Ge-füge von Meinungen und Behauptungenüber einen Raum1 zum Ausdruck kommt.

SozggI/02/02/30SozggI/02/02/30

„Räume“ kann man auch küssen!

““Küssen” als Metapher für dasKüssen” als Metapher für dasHerstellen einer personalen Be-Herstellen einer personalen Be-

ziehung zwischen Individuum undziehung zwischen Individuum und

RaumRaum1e1e: :

emotionale Ortsbezogenheitemotionale Ortsbezogenheit

HEIMATHEIMAT

Raum1e

erlebter Raum

Raum1e

erlebter Raum

Ich-Identitätdes SubjektsIch-Identitätdes Subjekts

Sozgg02/02/31Sozgg02/02/31

Raum5

Bedingung oder Modus der Gegen-standswahrnehmung, epistemolo-gisches Konzept (I. KANT).

Sozgg02/02/32Sozgg02/02/32

ELLIPTISCH

ELLIPTISCH

VERKÜRZTE

VERKÜRZTE

PROJEKTION

PROJEKTION

Raum5

Raum als a priorider Wahrnehmung

RaumRaum22

Raum als eigenständigeRaum als eigenständigeontologische Struktur, ontologische Struktur,

Containerraum, “Häferl”Containerraum, “Häferl”

RaumRaum44

Lagerungsqualität derLagerungsqualität derKörperweltKörperwelt

““RÄUMLICHKEIT”RÄUMLICHKEIT”als Attribut der Dingeals Attribut der Dinge

RAUMRAUMals Metapherals Metapher

Reduktion von Komplexität,Reduktion von Komplexität,

darstellbar darstellbar inin

““Verwirrungs-Verwirrungs-zusammenhänge”zusammenhänge”

RaumRaum1e1e

erlebter Raum erlebter Raum

RaumRaum1e1e

erlebter Raum erlebter Raum

RaumRaum11

ErdraumausschnittErdraumausschnitt(Gebirgsraum, (Gebirgsraum,

Mittelmeerraum)Mittelmeerraum)

RaumRaum11

ErdraumausschnittErdraumausschnitt(Gebirgsraum, (Gebirgsraum,

Mittelmeerraum)Mittelmeerraum)

Raum3

Ordnungsstrukturz. B.

Karte, Gradnetz, GIS,aber auch Farbenraum,

sozialer Raum, Raum4 etc.

Herstellen von FachidentitätHerstellen von Fachidentität

Wohin „gehört“ Madeira?

Wohin „gehört“ Madeira?

Sozgg02/02/33Sozgg02/02/33

Die Frage impliziert, dass es so etwas wie eine objektive, „in der Natur der Sache“ lie-gende Abgrenzung von Europa geben müsse.

In Wahrheit ist „Europa“ ein kulturelles Konstrukt, in dem eine konventionelleNamensgebung zum Ausdruck kommt.

„Arbeitsmarktregionen“

Sozgg02/02/34Sozgg02/02/34

Sozgg02/02/35Sozgg02/02/35

Ein Beispiel für

„Räumlich-keit“

Quelle: Salzburger Nach-richten v. 1. 12. 2000, S. 24

Sozialwissenschaftlich „verträgliche“ Raumkonzepte

Sozgg02/02/36Sozgg02/02/36

• Raum1, soferne nur ein Lokalisierungs- hinweis gemeint ist:• Raum1e

• Raum3

• Raum4

Die „Raumblindheit“ derSozialwissenschaften

hat etwas mit ihrer „Ding-blindheit“ zu tun!• Raum6S

Der sozial konstituierte und konstruierte Raum6S

Sozgg02/02/37Sozgg02/02/37

… wird in Modul 6 besprochen.

Der Raum6S ist ein sehr komplexes Gebilde, das auf denRaum4, den Raum1 und den Raum1e bezogen ist und durch die Praxis sozialer Zuschreibungen, Aneignungenund Produktionen entsteht.

Raum4 ist für bestimmte Varianten von Raum6S gleichsamdie „Hardware“ oder die „Bezugsbasis“ in der physisch-materiellen Welt.