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GAIA is available online at www.ingentaconnect.comwww.oekom.de | B 54649 | ISSN 0940-5550 |GAIAEA 14/3, 201–280 (2005)
3| 2005
ÖKOLOGISCHE PERSPEKTIVEN FÜR WISSENSCHAFT UND GESELLSCHAFT
ECOLOGICAL PERSPECTIVES FOR SCIENCE AND SOCIETY
ERNEUERBARE ENERGIENHALBTAGSGESELLSCHAFTNACHHALTIGKEIT IN DER VORMODERNE
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14
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005)
: 201
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000_Umschlag_Montage 22.08.2005 13:30 Uhr Seite 1
GAIA 14/3(2005): 229–239 | www.oekom.de/gaia
229229
Die Halbtagsgesellschaft – ein Konzept für nachhaltigere Produktions-
und Konsummuster
The Part-Time Society – a Concept for More Sustain-able Patterns of Production and ConsumptionGAIA 14/3 (2005): 229–239
Abstract
Achieving a sustainable development involves many challenges.
For Germany, this is true for ecological as well as social and eco-
nomic aspects of development. Unemployment, an ageing society,
national budget deficits, and environmental concerns are significant
problems that can hardly be solved by traditional concepts alone.
This study introduces a socio-economic input-output model
focused on human activity patterns. Time use, monetary value,
and CO2 emissions generated by the production and consumption
of goods and services relating to these activities are analyzed for
three age groups (i. e. youth, adults, senior citizens). Not only
paid work, but also non-paid activities such as household chores,
care for children and elderly people, and community services are
taken into consideration.
Based on the time patterns, monetary values, and CO2 emissions
in Germany 1998, the paper presents the concept of a part-time
society characterized by a reduction of paid work time and an
increase in social engagement. Initial model results suggest that
production and consumption patterns of the part-time society
fulfil the criteria of sustainable development for the social, eco-
logical, and economic dimensions as specified by the Agenda 21.
Keywords
activity patterns, part-time society, socio-economic input-output
modelling, sustainability, time use
Die Autoren schlagen vor, daß wir nur noch teilzeitlich einer Erwerbsarbeit nachgehen und uns in der gewonnenen Zeit
vermehrt sozial engagieren, etwa in der Kinder- und Altenbetreuung. Dies trägt dazu bei, Problemen wie Arbeitslosigkeit,
Alterung der Gesellschaft und Umweltbelastung entgegenzutreten.
Axel Schaffer, Carsten Stahmer
Kontakt: Dr. Axel Schaffer | Universität Karlsruhe | Institut fürWirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung | Postfach 6980 |D-76128 Karlsruhe | Tel.: +49/721/6084781 | Fax: +49/721/34613| E-Mail: schaffer@iww.uni-karlsruhe.de
Prof. Dr. Carsten Stahmer | Universität Bielefeld | Zentrum fürInterdisziplinäre Forschung | D-33501 Bielefeld | E-Mail:carsten.stahmer@uni-bielefeld.de >
m Juni 1992 verabschiedeten die Vereinten Nationen auf derKonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro die
Agenda 21, deren Ziel es ist, eine nachhaltige Entwicklung be-schleunigt zu erreichen. Eine besondere Bedeutung kommt da-bei nachhaltigen Konsummustern zu. Artikel 4 der Agenda 21betont die Notwendigkeit, neue Konzepte zu entwickeln, die ei-nen hohen Lebensstandard durch nachhaltige Produktions- undKonsummuster ermöglichen (UN 1992). Seither konzentrierensich die Bemühungen auf nachhaltige Produktionsprozesse. Demgegenüber steht die Schaffung von Anreizstrukturen, die denKonsum von nachhaltig produzierten und im Gebrauch umwelt-freundlichen Gütern unterstützen. Die verstärkte Nutzung rege-nerativer Energien und strengere Abgasnormen für Personen-kraftwagen sind Beispiele für diese Entwicklung, die allerdingsvon gegenläufigen Trends überlagert wird. So hat sich zwar derspezifische Energieverbrauch (Energieinput pro Outputeinheit)verbessert, aber absolut nehmen Output und Energieverbrauchin vielen Wirtschaftszweigen weiter zu. Aufgrund der strengerenAbgasnormen werden die Motoren zwar immer sauberer undsparsamer, aber Sicherheitsaspekte (höheres Gewicht) und Kom-fort (Klimaanlage) machen diese positiven Effekte weitgehend zu-nichte. In Zukunft sind daher stärkere Bemühungen notwendig,um eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten.
Es ist unstrittig, daß die mit der Produktion und dem Gebrauchvon Gütern einhergehende Umweltbeanspruchung zu reduzie-ren ist. Jedoch kann das Mandat aus Artikel 4 der Agenda 21 auchals Aufforderung verstanden werden, den Konsumstil nachhalti-ger zu gestalten. So können etwa neue Verhaltensmuster, die zueiner Reduzierung – oder zumindest zu einer gebremsten Zunah-me – der Fahrleistungen führen, ebenso stark ins Gewicht fallenwie emissionsärmere Fahrzeuge. Um nachhaltigere Konsummu-ster zu entwickeln, ist also sowohl auf produzierte beziehungs-weise konsumierte Güter und Dienstleistungen als auch auf ge-sellschaftliche Verhaltensmuster einzugehen.
Liegt, wie in dieser Arbeit, der Fokus auf gesellschaftlichenVerhaltensmustern, so ist eine Beschreibung anhand der Produk-tion und des Konsums von Gütern unvollständig. Vielmehr muß
I
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sich die Analyse an den menschlichen Aktivitäten orientieren.Dabei darf die Untersuchung nicht auf unmittelbar mit monetä-ren Vorgängen verbundene Aktivitäten begrenzt sein, sondernsollte das gesamte Tätigkeitsspektrum von Erwerbsarbeit überHausarbeit, Aus- und Weiterbildung und sozialem Engagementbis zu Freizeitaktivitäten und Regenerationsphasen berücksich-tigen. Dies hat eine Erweiterung des Produktions- und des Kon-sumbegriffs zur Folge: Jedem Mitglied der Gesellschaft kommtsowohl die Rolle des Erbringers (Produzenten) als auch des Nutz-nießers (Konsumenten) von Leistungen beziehungsweise derdamit verbundenen Aktivitäten zu.
Um erbrachte (produzierte) und empfangene (konsumierte)Leistungen respektive damit einhergehende Aktivitäten darzustel-len, basiert die vorliegende Studie auf einer sozioökonomischenInput-Output-Tabelle (SIOT) für Deutschland 19981. Die SIOTunterscheidet in der gegenwärtigen Fassung drei Altersgruppen– Kinder und Jugendliche (bis 18 Jahre), Erwachsene (18 bis 65Jahre) und Senioren (über 65 Jahre) – und zeigt nicht nur die Pro-duktions- und Konsummuster der drei Generationen, sondernauch intergenerationelle Verflechtungen. Beispielsweise leisten(produzieren) die Erwachsenen Betreuungsaktivitäten, die vonden Jüngeren empfangen (konsumiert) werden.
Manche Aktivitäten sind monetär nicht zu erfassen. Dagegenbeanspruchen alle Aktivitäten Zeit, so daß sich die für eine Akti-vität aufgewendeten Stunden als geeignete Darstellungseinheitanbieten. Die aus der SIOT resultierende Zeitbilanz bildet dasHerzstück der Analyse. Für die Abschätzung der Nachhaltigkeitberücksichtigt die vorliegende Studie auch die mit den Aktivitä-ten einhergehenden ökonomischen und ökologischen Effekteanhand einer monetären und einer CO2-Bilanz (Stahmer et al.2003a).
Die derzeitig schwierige Haushaltslage in Deutschland ge-währt nur einen kleinen Spielraum für eine aktive Sozialpolitik.Zur Etablierung nachhaltiger Produktions- und Konsummusterbedarf es deshalb neuer Konzepte, die den sozialen, ökonomischenund ökologischen Problemen wie Arbeitslosigkeit, Überalterungder Bevölkerung und damit verbundener Belastung von Gesund-heits- und Rentenkassen sowie zunehmender Umweltbelastunggerecht werden. Eine Schlüsselfunktion kommt der Verteilungvon bezahlter (formeller) und unbezahlter (informeller) Arbeit zu.Der vorgestellte Ansatz skizziert eine Halbtagsgesellschaft, die eineUmverteilung bezahlter Arbeit, verbunden mit einer reduziertenindividuellen Erwerbsarbeitszeit, mit sich bringt. Ziel der Halb-tagsgesellschaft ist es unter anderem, daß sich alle Erwerbsfähi-gen am Erwerbsprozeß beteiligen. Die Hoffnung, daß die Arbeits-losigkeit allein durch stärkeres Wirtschaftswachstum beseitigtwerden kann, ohne das Modell der Vollerwerbstätigkeit in Fragezu stellen, erscheint illusorisch.
Durch entsprechende Anreize erfährt die informelle Arbeitgleichzeitig eine Aufwertung. Dem sozialen Engagement kommtdabei eine wichtige Rolle zu. Vor dem Hintergrund einer zuneh-menden Alterung der Gesellschaft, die in vielfältiger Weise aufden sozialen Zusammenhalt und die Generationengerechtigkeiteinwirkt, stellt sich die Frage nach sozialpolitischen Konzepten,
die eine adäquate Betreuung älterer Menschen sowie die Kombi-nation von Beruf und Familie gewährleisten. Die Halbtagsgesell-schaft verändert in diesem Sinne die gesellschaftliche Aufgaben-verteilung zwischen Männern und Frauen ebenso wie zwischenJüngeren und Älteren. Die damit einhergehenden Produktions-und Konsummuster erfüllen in wesentlichen Punkten die Vorga-ben der Agenda 21 und erleichtern zudem die im Rahmen des Kyo-to-Protokolls vereinbarte Reduktion von Emissionen (UN 1997).
1 Sozioökonomische Input-Output-Tabellen(SIOT)
1.1 ZeitbilanzIm Gegensatz zur traditionellen Input-Output-Rechnung stehenbei den SIOT die Menschen als Produzenten und Konsumentenvon Leistungen beziehungsweise der damit verbundenen Aktivitä-ten im Vordergrund. Dabei werden sowohl marktliche Tätigkei-ten (formelle Arbeit) als auch nicht-marktliche Tätigkeiten (infor-melle Arbeit) erfaßt (Tabelle 1). Neben der für bezahlte Arbeitaufgewendeten Zeit sind auch die Fahrten zum Arbeitsplatz denmarktlichen Aktivitäten zugeordnet. Die nicht-marktlichen Akti-vitäten beinhalten unentgeltliche Tätigkeiten im Haushalt, priva-te Betreuungs- und Pflegeleistungen, ehrenamtliche Tätigkeiten,persönliche Aktivitäten (Freizeit und Regeneration) und die eige-ne Qualifikation (Aus- und Weiterbildung) (BMFSFJ und Statisti-sches Bundesamt 2003).
Informelle und formelle Arbeit kommen nicht nur den ausfüh-renden Akteuren, sondern in den meisten Fällen auch anderenPersonen zugute. Im Unterschied dazu sind bei persönlichenAktivitäten der Leistende und der Nutznießer identisch. Eine Son-derstellung nimmt die eigene Qualifikation ein. Individuell be-trachtet dient sie wie die persönlichen Aktivitäten eigenen Zwek-ken. Volkswirtschaftlich stellt sie als hohes Humankapital jedocheinen bedeutenden Produktionsfaktor dar.
Die Analyse schließt den gesamten 24-Stunden-Tag als proPerson verfügbare Zeit ein. Die gesamte in einem Jahr zur Ver-fügung stehende Zeit einer Bevölkerungsgruppe hängt von derPopulationsgröße ab. Die Altersgruppe der unter 18jährigenzählte 1998 in Deutschland rund 15,5 Millionen Mitglieder, sodaß dieser Gruppe in diesem Jahr insgesamt ein Zeitbudget von136 Milliarden Stunden zur Verfügung stand. Die mittlere Alters-gruppe (18 bis 65 Jahre) und die Altersgruppe der über 65jähri-gen mit rund 53,4 respektive 13 Millionen Mitgliedern verfüg-ten über ein Zeitbudget von rund 468 respektive 114 MilliardenStunden.
Tabelle 1 zeigt die Bevölkerungsgruppen als Produzenten undKonsumenten der verschiedenen Leistungen beziehungsweiseder dahinterstehenden Aktivitäten. In den Spalten 1 bis 3 weistdie Zeitbilanz das Produktionsmuster (geleistete Zeit), also dieZeitverwendung der Altersgruppen aus (Stahmer et al. 2004).2
Da die Tabelle das komplette Tätigkeitsspektrum der Menschenabbildet, ist die Summe der verwendeten Zeit (Zeile 15, Spalten1 bis 3) mit dem für die jeweilige Altersklasse verfügbaren Zeit-
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budget identisch. Die Spalten 4 bis 6 beschreiben das Konsum-muster der Altersgruppen (empfangene Zeit). Dabei werden diegeleisteten Aktivitäten auf die jeweiligen Nutznießer verteilt.3
Neben Konsumgütern stellen die Erwerbstätigen auch Inve-stitionsgüter her. Diese dienen der Zukunftsvorsorge. Umgekehrtkommen frühere Investionen heute zum Tragen, deren Kapital-nutzungswert sich anhand der Abschreibungen ermitteln läßt.Im vorliegenden Konzept findet nur die Differenz zwischen heu-te getätigten Investitionen und heutigen Abschreibungen – diesogenannten Netto-Investitionen – Berücksichtigung. Ist, wie imvorliegenden Fall, die Differenz positiv, tauchen die Netto-Inve-stitionen nur auf der Produktionsseite auf.4
Die zur Herstellung von Exportgütern aufgewendete Zeitkommt dem Ausland zugute. Die Importe ermöglichen anderer-seits, daß die inländische Bevölkerung Leistungen und Güter ausdem Ausland konsumieren kann, die ausländische Arbeitszeitbeanspruchen.
Bei allen drei Altersgruppen unterscheidet sich das Konsum-muster signifikant vom Produktionsmuster. Das damit verbun-dene Ungleichgewicht zwischen insgesamt geleisteter Zeit (Zeile15, Spalten 1 bis 3) und insgesamt empfangener Zeit (Zeile 15,
Spalten 4 bis 6) innerhalb einer Altersgruppe kann einen positi-ven oder negativen Saldo ergeben (Zeile 16, Spalten 4 bis 6). Diejüngste und die älteste Altersklasse weisen einen negativen Sal-do5 aus, sie haben also mehr Zeit von anderen Altersklassenempfangen als für andere aufgebracht.
Die Summe über alle drei Salden muß per Definition nullergeben. Dies gilt jedoch nur unter Einbezug der exportiertenund importierten Leistungen sowie der Zukunftsvorsorge. Einnegativer Saldo bei der Export-Import-Bilanz, wie er 1998 vorlag
1 Das entsprechende Datenwerk für 2000 ist zur Zeit in Vorbereitung.2 Die Zuordnung der Zeitgrößen erfolgte unter Verwendung der Zeitbudget-
erhebungen 1991/1992 und 2001/2002 sowie der Arbeitsstundenrechnungdes Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung.
3 Zu den verwendeten Input-Output-Modellen siehe Stahmer (2004).4 Eine positive Differenz ermöglicht mittelfristig ein Anwachsen der Produk-
tion. Wären die Abschreibungen größer als die Investitionen, so würde dieWirtschaft schrumpfen, da Ersatzinvestitionen fehlen.
5 Der Saldo von minus 26,1 Milliarden Stunden für die junge Altersklassebeispielsweise errechnet sich aus der insgesamt von ihr aufgewendeten Zeit (Zeile 15, Spalte 1) abzüglich der von ihr empfangenen Zeit (Zeile 15,Spalte 4).
Zeitbilanz in Millionen Stunden, Deutschland 1998. Aufgeteilt auf drei Altersgruppen listet die Tabelle alle Leistungen (bezogen auf die damitverbundenen Aktivitäten) auf, die die Bevölkerung erbringt (Spalten 1 bis 3) und empfängt (Spalten 4 bis 6). Der Saldo (Zeile 16) zeigt, daß die jüngste und die älteste Altersgruppe „Netto-Zeitempfänger“ sind, während die mittlere Altersgruppe als „Netto-Zeitgeber“ auftritt, deren Leistungen den beiden anderenAltersgruppen, der Zukunftsvorsorge und dem Ausland zugute kommen. Basierend auf Tabelle 3 in Stahmer et al. (2004).
TABELLE 1:
Nr.
1
23
4567
89
101112
1314
15
16
Altersgruppen
geleistete Zeit („produzierte Aktivitäten“) empfangene Zeit („konsumierte Aktivitäten“)
Senioren(ab 65
Jahren)
3
88730
180
22399460512850
1083
167112
114493
Kinder undJugendliche
(bis 18 Jahre)
4
116614
1460282
116729002
754
31522435
37525
1709
1651
162235
– 26 113
Erwachsene (18 bis 65
Jahre)
5
319791
4378827
58636
2591
180171139
29828475860
8721
423105
44 801
Senioren(ab 65
Jahren)
6
88730
180
22399
2239635
3932
8118861435
2003
123520
– 9 027
a Es verbleibt ein negativer Saldo von 9661 Millionen Stunden, d.h. die von der Gesamtbevölkerung insgesamt geleistete Zeit ist um diesen Betrag größer alsdie insgesamt empfangene Zeit. Davon sind 3787 Millionen Stunden dem Export ins Ausland und 5874 Millionen Stunden der Zukunftsvorsorge zuzuordnen.
Kinder undJugendliche
(bis 18 Jahre)
1
116614
1460282
32332045994
980
133
121
136122
Erwachsene (18 bis 65
Jahre)
2
319791
4378827
67075833816683036
230383574
41650918759
587416041
467906
Aktivitäten
persönliche Aktivitäten (inkl. Regeneration)
eigene Qualifikation (Aus- und Weiterbildung)schulische Qualifikationberufliche Qualifikation
informelle (unbezahlte) ArbeitHaushaltsarbeitKinderbetreuungAltenbetreuungEhrenamt, soziale Dienste
Erwerbsarbeitprivate Konsumgüterschulische Ausbildungberufliche WeiterbildungGesundheitsleistungensonstige Güter und Dienstleistungen
Investitionen, Export / ImportNetto-InvestitionenEx- bzw. Importe
total (Summe der Zeilen 1 bis 14)
Saldoa (total geleistete Zeit minus total empfangene Zeit)
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(siehe Fußnote zu Tabelle 1), bedeutet, daß das Ausland mehrLeistungen in Form von Exportgütern in Anspruch genommenals es dem Inland in Form von Importgütern geliefert hat. Derzuletzt noch verbleibende negative Saldo kann der Zukunftsvor-sorge zugeordnet werden. In Tabelle 1 bedeutet dies, daß derKapitalstock für zukünftiges Wirtschaften mehr Leistungen zu-rücklegt, als er in Form von Abschreibungen für die Berichtsperi-ode zur Verfügung stellt.
Der vorliegende Ansatz verdeutlicht die Relevanz der verfüg-baren Zeit für die sozioökonomische Entwicklung. Wegen derunterschiedlichen Größe der demographischen Gruppen müs-sen für einen Vergleich durchschnittlicher Mitglieder verschiede-ner Altersklassen personenbezogene Produktions- und Konsum-muster herangezogen werden (Abbildung 1). Das zur Verfügungstehende individuelle Zeitbudget beläuft sich auf 8760 Stundenpro Jahr. Die Skalierung beginnt bei 4000 Stunden; die nicht ge-zeigten 4000 Stunden sind den persönlichen Aktivitäten zuzu-ordnen.
Ein Mitglied der jungen Generation verwendet im Schnitt mehrals 7000 Stunden für persönliche Aktivitäten (inklusive regene-rative Phasen) und den Großteil der verbleibenden Zeit für dieeigene Qualifikation.6 An der Hausarbeit beteiligen sich die jun-gen Personen nur in geringem Maße. Umgekehrt konsumierensie durchschnittlich 750 Stunden an Haushaltsarbeit. In ähnli-cher Weise profitieren die Kinder und Jugendlichen auch in denBereichen des sozialen Engagements (etwa Kinderbetreuung)und der Erwerbsarbeit. Dadurch liegt die von der jungen Gene-ration insgesamt empfangene Zeit mit 10440 Stunden deutlichüber der von ihr aufgewendeten Zeit von 8760 Stunden (Stah-mer et al. 2003b).
Auch die Senioren verfügen über viel Zeit für persönlicheAktivitäten. Zudem verwenden sie von allen drei Altersklassenam meisten Zeit für hauswirtschaftliche und handwerkliche Ar-beiten. Die damit verbundenen Leistungen kommen zumeistihnen selbst oder ihrem ebenfalls älteren Partner zugute, so daßder Bereich Haushalt auf der Konsumseite einen gleich großenAnteil einnimmt wie auf der Produktionsseite. Auch das sozia-le Engagement der älteren Generation dient zum größeren Teilden Altersgenossen, ein kleinerer Teil kommt den anderen bei-den Generationen zugute. Umgekehrt erhält die ältere Genera-tion soziale Leistungen von der Altersklasse der Erwachsenen,so daß die Senioren beim sozialen Engagement insgesamt etwasmehr empfangen als leisten. Erwartungsgemäß besteht bei die-ser Altersgruppe hinsichtlich Gütern und Diensten aus der Er-werbsarbeit ein noch stärkeres Ungleichgewicht zwischen Pro-duktion und Konsum. Auch die Senioren empfangen mit 9450Stunden jährlich mehr Zeit als sie aufwenden.
Diesen beiden Gruppen der „Netto-Zeitempfänger“ stehendie Erwachsenen zwischen 18 und 65 Jahren als „Netto-Zeitge-ber“ gegenüber: Die von ihnen durchschnittlich empfangeneZeit beläuft sich nur auf 7 920 Stunden pro Jahr, also deutlichweniger als die von ihnen geleisteten Stunden. Von allen Alters-gruppen verfügen die Mitglieder dieser Gruppe über am wenig-sten Zeit für persönliche Aktivitäten, wenden aber für Erwerbs-
arbeit und soziales Engagement am meisten Zeit auf. Wie derSaldo zeigt, profitieren davon die jüngere und die ältere Gene-ration, aber auch die Zukunftsvorsorge und das Ausland.
1.2 Monetäre Bilanz und CO2-BilanzObwohl der soziale Aspekt in dieser Arbeit eine zentrale Rolleeinnimmt, integriert die Analyse die ökonomischen und ökolo-gischen Aspekte der Nachhaltigkeit anhand von monetären undphysischen Bilanzen. Wie die Zeitbilanz basieren auch diese aufden Aktivitäten der drei Altersgruppen.
Bei der monetären Analyse (Tabelle 2, oben) bleiben persönli-che Aktivitäten und eigene Qualifikation unbewertet.7 Währenddie Leistungen der informellen Arbeit gemäß dem Generalisten-satz für ausgebildete Hauswirtschafter(innen) mit einem relativgeringen Lohnsatz (siehe Schäfer 2004) bewertet wurden, bestim-men die bereichsweisen Einkommen aus unselbständiger Arbeit(Datenerhebungen des Statistischen Bundesamtes) die in der Er-werbsarbeit geschaffenen Werte.8 Analog zur Vorgehensweise inZeiteinheiten lassen sich die produzierten monetären Werte aufdie Nutznießer verteilen. Bei den Kategorien der Erwerbsarbeitbasiert die Zuordnung auf Modellrechnungen (Stahmer 2004).In den anderen Fällen erfolgt die Verteilung proportional zu denentsprechenden Zeitgrößen.
Zeitmuster durchschnittlicher Mitglieder dreier Alters-klassen in Deutschland 1998 als Erbringer (geleistete Zeit) und Nutznießer(empfangene Zeit) von Leistungen beziehungsweise der damit verbundenenAktivitäten. Ein durchschnittliches Mitglied der Altersklasse bis 18 Jahre ist mit MAK I, der Erwachsenen von 18 bis 65 Jahren mit MAK II und der Seniorenmit MAK III bezeichnet. Basierend auf Tabelle 3 in Stahmer et al. (2004).
ABBILDUNG 1:
6 Zur eigenen Qualifikation zählen die Schulstunden sowie die Vor- und Nach-bereitung. Die konsumierten Bildungsleistungen basieren auf der Verteilungder von den Lehrer(inne)n erbrachten Stunden über alle Schüler(innen).
7 Im Gegensatz zur eigenen Qualifikation sind Bildungsleistungen alsKategorie der Erwerbsarbeit auch in monetären Größen darstellbar.
8 Der Spezialisten- und der Opportunitätskostenansatz führen zu einer höheren Bewertung. Einen Überblick verschiedener Bewertungsmethodenliefern Schäfer und Schwarz (1994) und Schäfer (2004).
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Um die ökologischen Folgen der Aktivitäten zu untersuchen,wurden Materialbilanzen erstellt. Diese beinhalten den Einsatzvon Rohstoffen, die Verwendung von Vorleistungsgütern, dieWiederverwertung von Abfällen, die Güteroutputs sowie dieSchadstoffemissionen. Der vorliegende Beitrag beschränkt sichaber auf die mit den Aktivitäten verbundenen CO2-Emissionenals Indikator für deren ökologische Belastung (Tabelle 2, unten),zum Beispiel die durch Fahrten und die durch den Verbrauchbeziehungsweise die Nutzung privater Konsumgüter bedingtenCO2-Emissionen. Die bei der Produktion von Babywindeln undbei Fahrten im Rahmen der Kinderbetreuung anfallenden Emis-sionen etwa werden der jüngsten Generation zugeordnet.
Tabelle 2 zeigt, daß die mittlere Generation aufgrund ihres ho-hen Anteils an der Gesamtbevölkerung und der exponierten Stel-
lung der Erwerbsar-beit auf der Produk-tionsseite die mitAbstand höchstenmonetären Werteerarbeitet. Dadurchzeichnet sie auchfür den größten Teilan CO2-Emissionenverantwortlich. Inbeiden Bilanzen istauf der Konsumseite ein analoges Ungleichgewicht zwischen denBevölkerungsgruppen zu erkennen, jedoch in deutlich geringe-rem Ausmaß.
Monetäre Bilanz in Millionen Euro (oben), CO2-Bilanz in 1000 Tonnen CO2 (unten), Deutschland 1998. Aufgeteilt auf drei Altersgruppen zeigtder obere Tabellenteil in monetären Werten alle Leistungen (bezogen auf Aktivitäten), die die Bevölkerung erbringt (Spalten 1 bis 3) und empfängt (Spalten 4bis 6). Im unteren Tabellenteil sind die damit verbundenen CO2-Emissionen aufgeführt. Im Vergleich zu Tabelle 1 sind hier einzelne Aktivitäten aggregiert; dievollständige monetäre Bilanz ist in Tabelle 4 und die vollständige CO2-Bilanz in Tabelle 5 dargestellt. Basierend auf Tabellen 7 und 11 in Stahmer et al. (2004).
TABELLE 2:
Altersgruppen
a Es verbleibt ein negativer Saldo von rund 206 Milliarden Euro, d.h. die von der Gesamtbevölkerung insgesamt produzierten Werte sind um diesen Betraggrößer als die insgesamt konsumierten Werte. Dieser Betrag kommt dem Ausland (Exporte) und der Zukunftsvorsorge (Netto-Investitionen) zugute.
b Es verbleibt ein negativer Saldo von rund 46 Millionen Tonnen CO2, d.h. die von der Gesamtbevölkerung insgesamt durch erbrachte Leistungen verursachtenCO2-Emissionen sind um diesen Betrag größer als die insgesamt durch empfangene Leistungen verursachten CO2-Emissionen. Dieser Betrag ist dem Exportins Ausland und der Zukunftsvorsorge zuzuordnen.
durch erbrachte Leistungen verursachte CO2-Emissionen (1000 t)
durch empfangene Leistungen verursachte CO2-Emissionen (1000 t)
Aktivitäten
persönliche Aktivitäten (inkl. Regeneration)
eigene Qualifikation (Aus- und Weiterbildung)
informelle (unbezahlte) Arbeit
Erwerbsarbeit
Netto-Investitionen
Ex- bzw. Importe
total (Summe der Zeilen 1 bis 6)
Saldoa (total produzierte Werte minus total konsumierte Werte)
Aktivitäten
persönliche Aktivitäten (inkl. Regeneration)
eigene Qualifikation (Aus- und Weiterbildung)
informelle (unbezahlte) Arbeit
Erwerbsarbeit
Netto-Investitionen
Ex- bzw. Importe
total (Summe der Zeilen 1 bis 6)
Saldob (total durch erbrachte Leistungenverursachte minus total durch empfangeneLeistungen verursachte CO2-Emissionen)
Kinder undJugendliche
(bis 18 Jahre)
1
23886
31727
2924
58537
9419
2775
2542
14000
1631
30367
Erwachsene (18 bis 65
Jahre)
2
534664
1057508
131744
379566
2103481
83440
1328
62297
400077
45228
212106
804476
Senioren(ab 65
Jahren)
3
161157
39118
200275
18325
59
11785
16555
46724
Kinder undJugendliche
(bis 18 Jahre)
4
144708
184363
40255
369326
–310789
9419
2775
15188
61322
28193
116897
–86530
Erwachsene (18 bis 65
Jahre)
5
406789
761075
217825
1385689
717792
83440
1328
47814
301191
150278
584051
220425
Senioren(ab 65
Jahren)
6
168209
182915
49828
400952
–200677
18325
59
13622
68119
34281
134406
–87682
konsumierte Werte (Millionen Euro)produzierte Werte (Millionen Euro)Nr.
1
2
3
4
5
6
7
8
Nr.
1
2
3
4
5
6
7
8
TABELLEN 4 BIS 7
Die vollständige monetäre Bilanz (Ta-belle 4) und die vollständige CO2-Bilanz (Tabelle 5) von Deutschland 1998 sowie die Veränderungen dieser beiden Bilan-zen mit der Halbtagsgesellschaft gemäß Szenario Sozial 50 (Tabellen 6 und 7)sind abrufbar im Internet unter www.oekom.de/gaia/gaia_3_05_schaffer.
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234 Axel Schaffer, Carsten StahmerFORSCHUNG | RESEARCH
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2 Das Modell der Halbtagsgesellschaft
2.1 KonzeptionWie eingangs erwähnt, bedarf es angesichts der angespanntendeutschen Haushaltslage zur Lösung von Problemen wie Arbeits-losigkeit und Überalterung der Bevölkerung neuer Konzepte füreine nachhaltige Sicherung des Wohlstandsniveaus. Um die Stär-ken und Schwächen einer Strategie aufzuzeigen, ist es sinnvoll,zunächst die angestrebten Ziele einer nachhaltigen Entwicklungzu konkretisieren. Im vorliegenden Konzept soll sich eine nach-haltige Entwicklung durch eine Verteilung der verfügbaren Er-werbsarbeit auf alle Erwerbsfähigen, durch gleiche Teilhabe vonMännern und Frauen an Beruf und Familie, durch eine wesent-lich stärkere Unterstützung von Familien, durch eine Bildungs-offensive zur Steigerung des Qualifikationsniveaus der Bevölke-rung und durch verstärktes soziales Engagement auszeichnen.Dies bei verminderter Umweltbelastung und noch als akzeptabelangesehenen Einbußen beim materiellen Konsum.
Für die in diesem Beitrag konzeptualisierte Halbtagsgesell-schaft spielt eine Umverteilung und Neugestaltung bezahlter undinformeller Arbeit die Schlüsselrolle: Alle ausgebildeten Erwerbs-fähigen sollen im Durchschnitt die Hälfte der Werktage mit be-zahlter Arbeit verbringen. Die bisher Erwerbstätigen würden ihredurchschnittliche Arbeitszeit wesentlich einschränken. Dafürkönnten die Arbeitslosen und die große Zahl von Erwerbsfähigen– vor allem Frauen –, die nicht unmittelbar eine Erwerbsarbeitsuchen (stille und stillste Reserve9), wieder erwerbstätig werden.Dies bedeutet allerdings nicht, daß tatsächlich jeder Erwerbstäti-ge immer halbtags arbeitet, was weder unter ökologischen nochökonomischen Gesichtspunkten sinnvoll wäre: Ökologisch ge-sehen bliebe nicht nur die Anzahl der Fahrten zum Arbeitsplatzkonstant, sondern es wäre außerdem mit zusätzlichen Fahrtenin der frei gewordenen Zeit zu rechnen. Auch aus ökonomischerSicht sollte die Reduzierung der Arbeitszeit mit einer Flexibili-sierung gekoppelt werden, indem man bei Bedarf während Wo-chen oder Monaten über die normale Arbeitszeit hinaus arbeitetund dies durch längere Phasen der Regeneration kompensiert.
Die gewonnene freie Zeit eröffnet Freiräume, die für zusätz-liches soziales Engagement genutzt werden könnten und sollten,wenn das Modell der Halbtagsgesellschaft nachhaltig sein soll.Die zu erwartende Reduktion der materiellen Produktion in derHalbtagsgesellschaft und die absehbar niedrigeren Steuerein-nahmen würden dazu führen, daß der Staat und die Wohlfahrts-einrichtungen ihre sozialen Leistungen nicht mehr im bisherigenUmfang aufrechterhalten könnten. Diese Lücke müßte geschlos-sen werden, indem jeder aktive Erwachsene neben seiner bezahl-ten Erwerbsarbeit soziale Aufgaben übernimmt, beispielsweise:
die Erziehung und Betreuung von eigenen oder fremdenKindern, wobei Väter und Mütter sich gleichberechtigt betei-ligen können; die Betreuung und Pflege von älteren und kranken Menschenals „zweiter Job“ neben der Erwerbsarbeit (solche Leistungenkönnten auch ältere nicht mehr erwerbstätige Menschenübernehmen, die weiterhin einen aktiven Beitrag leisten wol-
len; die vorliegenden Beispiele von Seniorengenossenschaf-ten sind ermutigend, allerdings ist zu wünschen, daß diesesozialen Netzwerke der gegenseitigen Hilfe auch Jugendlicheund jüngere Erwachsene einschließen);ehrenamtliche Tätigkeiten und Mitwirkung an anderen infor-mellen Netzwerken (Rifkin 1995, Teichert 2000).
Eine starke Verminderung der Regelarbeitszeit (natürlich immerbezogen auf einen größeren Zeitraum) erscheint auch als viel-versprechender Weg zur Gleichberechtigung von Männern undFrauen. Solange die Betreuung der Kinder mehrheitlich Aufga-be der Mütter bleibt, während sich die Väter auf ihre beruflicheKarriere konzentrieren, sind die Chancen der Frauen, sich imErwerbsleben ebenso wie die Männer profilieren zu können,eingeschränkt. Die Befürchtung vieler Arbeitgeber, daß Frauenfür einen gewissen Zeitraum zu Hause bleiben könnten, eröffnetden Männern noch immer größere berufliche Chancen. Unterden gegenwärtigen Bedingungen ist deshalb der Anteil der Män-ner, die von der Möglichkeit der Elternzeit Gebrauch machen,ein zentraler Indikator sozialer Nachhaltigkeit. In der Praxiskönnte ein Elternteil jeweils zwei bis drei Jahre die Betreuung derKinder übernehmen, während der andere Elternteil berufstätigist. Für Alleinerziehende müßten allerdings andere Lösungengefunden werden.
Der häufigere Wechsel zwischen Erwerbsarbeit und sozialemEngagement in der Lebensbiographie ist in einer Halbtagsgesell-schaft nur möglich, wenn auch die bisher üblichen Bildungsver-läufe umgestaltet werden. Die schulische Ausbildung sollte ne-ben der Allgemeinbildung vermehrt soziale Kompetenz und dieFähigkeit zum selbständigen Lernen vermitteln. Im weiterenVerlauf sollten sich dann wiederholte Phasen der Weiterbildungund des learning by doing im Sinne des lebenslangen Lernensanschließen.
Die Verkürzung der Regelarbeitszeit könnte schließlich voneiner Verlängerung der Lebensarbeitszeit begleitet werden. Nurwenn die Erwerbsarbeitsbelastung auch für die Jüngeren vermin-dert und durch lebenslanges Lernen begleitet wird, erscheint esrealistisch, daß das durchschnittliche Ruhestandsalter von der-zeit etwa 60 Jahren wesentlich angehoben werden kann. Wichtigist auch, daß die Art der Arbeit den Bedürfnissen und Fähigkei-ten der entsprechenden Altersgruppen angepaßt ist.
2.2 AnreizeEine Halbtagsgesellschaft läßt sich nur realisieren, wenn Anrei-ze bestehen, auf eine Vollerwerbsstelle zu verzichten. Von denvielen denkbaren Formen gesellschaftlicher Steuerung sollenhier einige komplementäre Ansätze skizziert werden, die nochdurch weitere Diskussion konkretisiert werden müßten.
Auf jeden Fall erscheint es sinnvoll, einen schrittweisen Über-gang zur Halbtagsgesellschaft vorzusehen. Dieser könnte etwadarin bestehen, Arbeitnehmer zukünftig nicht mehr monetär,sondern in zeitlichen Einheiten an Produktivitätszuwächsen teil-haben zu lassen. So könnte den Arbeitnehmern anstelle einerLohnsteigerung eine entsprechende Verkürzung der Arbeitszeit
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bei gleichem Lohn gewährt werden. Sofern der Arbeitsmarkt qua-lifizierte Kräfte zur Verfügung stellt, könnten die Unternehmendurch Neueinstellungen zusätzlich von der höheren Produktivi-tät profitieren.
Da die Verkürzung der Arbeitszeit zu vermehrtem sozialemEngagement führen soll, sind auch diesbezügliche Anreize von-nöten. Vieles spricht dafür, die sozialen Aktivitäten nicht in Formvon Geldzahlungen zu honorieren, sondern eine Komplementär-währung, nämlich die „Zeit-Währung“, zu verwenden (Sikora undHoffmann 2001). Diese Zeitwährung kann allerdings nur für dieArbeitsleistungen gelten: Material- und Fahrtkosten müssen mo-netär entgolten werden. Die Arbeitsstunden könnten als Tausch-mittel Verwendung finden, wie es bereits für Arbeitsleistungenin sogenannten Tauschringen üblich ist, oder als Zeitgutschriftangesammelt und später bei Bedarf in Form von Leistungen an-derer in Anspruch genommen werden. Dies könnte zu einerzusätzlichen Form der sozialen Sicherung führen. Ein wichtigesBeispiel sind die erwähnten Seniorengenossenschaften, die mitsolchen „Zeitkonten“ bereits praktische Erfahrungen gesammelthaben. Die Betreuung von Kindern und älteren Menschen ließesich mit einem generellen Anrechnungsverfahren bei den Zeit-gutschriften berücksichtigen.
Für den monetären Bedarf von Familien wäre es ferner nötig,daß staatliche Zuschüsse zumindest die zusätzlichen Kosten vonKindern decken. Dazu müßte das gegenwärtige Kindergeld er-heblich aufgestockt werden. Ebenso wie es für Arbeitgeber unterökonomischen Gesichtspunkten kein Unterschied sein sollte, obsie bei gleicher Qualifikation Männer oder Frauen einstellen oderbefördern, dürfte es für Eltern keinen wirtschaftlichen Nachteilbedeuten, wenn sie Kinder aufziehen. Erst wenn diese Voraus-setzungen erfüllt sind, können wir erwarten, daß Eltern vermehrtihren Kinderwunsch erfüllen und die niedrigen Geburtenratenwieder ansteigen.
Zusätzlich zu den positiven Anreizen durch Zeitgutschriftenfür soziales Engagement ließe sich an Sanktionen für diejenigendenken, die sich nicht an sozialen Tätigkeiten beteiligen, etwaweil sie nicht bereit sind, ihre Erwerbsarbeitszeit entsprechendzu reduzieren. So wäre es denkbar, daß dieser Personenkreiswesentlich höhere Steuern zahlen müßte, damit der Staat die nö-tigen sozialen Leistungen erbringen kann. Natürlich wären hier-von diejenigen ausgenommen, die zu einem aktiven sozialenEngagement aus gesundheitlichen oder anderen zwingendenGründen nicht in der Lage sind.
Wirksamer noch als diese materiellen Anreize erscheint einZuwachs an gesellschaftlichem Prestige, das dem sozialen Enga-gement zukommen müßte. Ein Mann etwa, der sich an der Kin-derbetreuung oder der Pflege von kranken oder älteren Verwand-ten beteiligt, sollte nicht – wie es heutzutage noch oft geschieht –von seinen Geschlechtsgenossen belächelt oder – im besten Fall– bestaunt werden. Sein Einsatz sollte ihm vielmehr ein beson-ders hohes Ansehen verschaffen und sich auch positiv auf seineberufliche Karriere auswirken. Das ist heutzutage noch Utopie.Die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft wird aber entschei-dend von einem grundlegenden Meinungswandel im Hinblick
auf die Rolle der Männer abhängen. Hier stehen wir, so erstaun-lich das im „Zeitalter der Gleichberechtigung“ klingt, erst amAnfang.
2.3 ModellrechnungenGelingt die Etablierung eines entsprechenden Anreizsystems, sokönnte dies zu einer Reduzierung der jährlichen Erwerbsarbeits-zeit von derzeit durchschnittlich 1600 auf 1000 Stunden je Er-werbstätigen führen.10 Für die Volkswirtschaft hätte sich darausim Jahre 1998 eine Reduktion der insgesamt geleisteten Arbeits-zeit um etwa 37 Prozent ergeben. Aufgrund der Einstellung vonbisher nicht erwerbstätigen Erwerbsfähigen, ebenfalls mit redu-zierter Arbeitszeit, bliebe die volkswirtschaftlich relevante Netto-reduktion jedoch auf etwa neun Prozent oder 4,7 Milliarden Er-werbsarbeitsstunden begrenzt. Ein entsprechendes Absinken derEinkommen könnte zum Teil durch Produktivitätszuwächseausgeglichen werden. Zudem ist eine Verlängerung der Lebens-arbeitszeit aufgrund der über die Jahre geringeren Arbeitsbela-stung denkbar. Allerdings ist in einigen Fällen ein geringeresHaushaltseinkommen auch bei ansteigender Produktivität undLebensarbeitszeit wahrscheinlich. Dies sollte sich aber auf Bevöl-kerungsgruppen mit überdurchschnittlichem Einkommen kon-zentrieren, die dann als Ausgleich über mehr Zeit verfügen könn-ten (Scherhorn 2002).
Der wesentliche Anreiz für den Staat, das Konzept der Halb-tagsgesellschaft zu fördern, besteht in einer deutlichen Entlastungder Sozialkassen. Neben einem erheblichen Rückgang der Arbeits-losenzahl und der Übernahme sozialer Aufgaben durch die Be-völkerung würde sich auch die längere Lebensarbeitszeit positivauswirken. Bei entsprechenden Produktivitätszuwächsen müßteder Staat zudem nur mit geringen Einbußen bei der Einkommens-steuer rechnen. Diese ließen sich, zumindest zum Teil, durch dieoben genannte Sozialabgabe der weiterhin voll Erwerbstätigenkompensieren. Andererseits würde das erhöhte Kindergeld zu-sätzliche Ausgaben für den Staat bedingen.
Unter der Annahme, daß die Erwerbstätigen der Halbtags-gesellschaft ihre berufliche Arbeit in ganztägigen Blöcken verrich-ten, würde sich für die bisher Erwerbstätigen die Anzahl der Fahr-ten zum Arbeitsplatz verringern. Allerdings kommen für diezusätzlich Erwerbstätigen Fahrten hinzu. Im Saldo ergibt sichdaraus bei den Fahrten zum Arbeitsplatz eine Zeitersparnis inHöhe von etwa 0,8 Milliarden Stunden pro Jahr. Zusammen mitder Reduktion der Erwerbsarbeitsstunden von 4,7 Milliarden Stun-den entsteht somit ein freies Zeitpotential von 5,5 MilliardenStunden.
Um zum Ausgleich das zu geringe Ausbildungsniveau insbe-sondere der bisher nicht beschäftigten Erwerbsfähigen zu erhö-hen, sieht das Konzept der Halbtagsgesellschaft eine breit ange-
9 Zur Definition von stiller und stillster Reserve siehe Holst (2004).10 Diese Angaben beziehen sich auf die Nettoarbeitszeit, das heißt durch-
schnittliche Urlaubs- und Krankheitstage sind nicht enthalten. Für einigeBerufsgruppen scheint eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit nicht mög-lich, so daß im Modell die Stundenzahl etwas weniger als halbiert wurde.
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legte Bildungsoffensive vor (Stahmer et al. 2004). Diese basiertauf zwei Säulen: Zum einen sollen im Bereich der Erwerbsarbeitdie Zeitaufwendungen für institutionell angebotene Bildungslei-stungen, entgegen der allgemeinen Verkürzung der Arbeitszeit,von rund vier Milliarden auf etwa 4,7 Milliarden Stunden anstei-gen. Zum anderen – und dies wird dadurch ermöglicht – sollendie bisherigen und insbesondere die neu hinzukommenden Ar-beitskräfte zusätzlich etwa 2,1 Milliarden Stunden in ihre Qua-lifikation investieren. Diese Bildungsoffensive würde ein für dieUnternehmen attraktives allgemeines Ausbildungsniveau ge-währleisten.
Die zusätzlichen Zeitaufwendungen für die eigene Qualifika-tion im Rahmen der Bildungsoffensive lassen somit ein freiesZeitpotential von 3,4 Milliarden Stunden übrig. Wenn dieses fürsoziales Engagement genutzt würde, stiege die für soziale Aktivi-täten (Kinder- und Altenbetreuung, ehrenamtliche und sozialeDienste) aufgewendete Zeit im Vergleich zur aktuellen Situation(Zeilen 5 bis 7 in Tabelle 1) um 25 Prozent an. Die Zeitbudgets fürpersönliche Aktivitäten und Haushalt bleiben hier unverändert.
Um eine Steigerung der sozialen Aktivitäten um 50 Prozentzu erzielen, müßten die Bevölkerungsgruppen zusätzlich einenTeil der für persönliche Aktivitäten verfügbaren Zeit aufgeben.Da die mittlere Altersgruppe bereits vielfältige Leistungen erbringt,müßten die anderen Altersgruppen einen Teil dieser zusätzlichenLeistungen übernehmen, zumal beide über vergleichsweise vielZeit für persönliche Aktivitäten verfügen. Als wichtigster Anreiz
dafür ist die oben angesprochene Honorierung in Zeitwährungzu sehen. Dieses Szenario wird als Szenario Sozial 50 bezeichnet.
Unter Berücksichtigung obiger Annahmen läßt sich schließ-lich die Zeitbilanz für die Halbtagsgesellschaft ermitteln. Tabel-le 3 zeigt die Veränderungen gegenüber der aktuellen Situationfür das Szenario Sozial 50.
Die pro Altersklasse insgesamt verfügbare Zeit bleibt gegen-über der Ausgangssituation unverändert. Die summierten Än-derungen der geleisteten Zeit (Zeile 15, Spalten 1 bis 3) müssensomit für jede Altersklasse null ergeben. Im Gegensatz dazu kannsich die empfangene Zeit durchaus erhöhen oder vermindern.Insbesondere die jüngste und die älteste Altersklasse empfangenin Form von sozialem Engagement mehr Zeit als gegenwärtig(Zeile 15, Spalten 4 bis 6). Gleichzeitig verringert sich die empfan-gene Zeit für die mittlere Altersklasse, und es wird auch etwasweniger exportiert und in die Zukunftsvorsorge investiert. Im Hin-blick auf die Zukunftsvorsorge wird allerdings die zurückgehen-de Produktion materieller Investitionsgüter durch eine Erhöhungdes Humankapitals kompensiert.
Analog lassen sich die Veränderungen der monetären Bilanz(Tabelle 6) und der CO2-Bilanz (Tabelle 7) bestimmen. Wie obenbeschrieben, sinkt die Produktion aus der Erwerbsarbeit wert-mäßig um etwa neun Prozent, verbunden mit einer entsprechen-den Reduktion der Einkommen. Dafür werden höhere Werte inder informellen Arbeit geschaffen. Weil das Lohnniveau der Er-werbsarbeit aber deutlich höher liegt, sinken wahrscheinlich die
Veränderungen der Zeitbilanz durch die Halbtagsgesellschaft gemäß Szenario Sozial 50 gegenüber der in Tabelle 1 dargestellten gegenwärtigenSituation (Deutschland 1998), in Millionen Stunden. Basierend auf Tabelle 51 in Stahmer et al. (2004).TABELLE 3:
Nr.
1
23
4567
89
101112
1314
15
Altersgruppen
geleistete Zeit („produzierte Aktivitäten“) empfangene Zeit („konsumierte Aktivitäten“)
Senioren(ab 65
Jahren)
3
–1244
180
0299299597
–104
–16–11
0
Kinder undJugendliche
(bis 18 Jahre)
4
–1171
2982
01903
721
–3177
35–53
–172
–151
913
Erwachsene (18 bis 65
Jahre)
5
–1817
990827
0
2477
–1813287286
–286–587
–836
– 472
Senioren(ab 65
Jahren)
6
–1244
180
0
1903607
–396
78–189–144
–189
606
Kinder undJugendliche
(bis 18 Jahre)
1
–1171
2982
0295295590
–94
–13
–13
0
Erwachsene (18 bis 65
Jahre)
2
–1817
990827
0130913092618
–2328294399
–512–879
–592–1618
0
Aktivitäten
persönliche Aktivitäten (inkl. Regeneration)
eigene Qualifikation (Aus- und Weiterbildung)schulische Qualifikationberufliche Qualifikation
informelle (unbezahlte) ArbeitHaushaltsarbeitKinderbetreuungAltenbetreuungEhrenamt, soziale Dienste
Erwerbsarbeitprivate Konsumgüterschulische Ausbildungberufliche WeiterbildungGesundheitsleistungensonstige Güter und Dienstleistungen
Investitionen, Export / ImportNetto-InvestitionenEx- bzw. Importe
total (Summe der Zeilen 1 bis 14)
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Konsummuster (empfangene Zeit) durchschnittlicher Mit-glieder dreier Altersklassen als Nutznießer von Leistungen beziehungsweiseder damit verbundenen Aktivitäten in Deutschland 1998 (Basis) und gemäßHalbtagsgesellschaft Szenario Sozial 50. Ein durchschnittliches Mitglied derAltersklasse bis 18 Jahre ist mit MAK I, der Erwachsenen von 18 bis 65 Jahrenmit MAK II und der Senioren mit MAK III bezeichnet. Basierend auf Tabellen3 und 50 in Stahmer et al. (2004).
ABBILDUNG 2:
insgesamt empfangenen monetären Werte beim Übergang aufdie Halbtagsgesellschaft. Eine gedrosselte Produktion würde nichtnur die Einkommen, sondern auch die Schadstoffemissionenreduzieren. Bei gleicher Technologie wäre mit einem Absinkender CO2-Emissionen um etwas über sieben Prozent zu rechnen.
Die empfangenen Werte bestimmen mehr noch als die produ-zierten Werte den Wohlstand der Bevölkerung. Dies gilt für dieAltersgruppen ebenso wie für die einzelnen Personen. Zweifellosist deren Situation individuell unterschiedlich; dennoch ist dasKonsummuster eines durchschnittlichen Mitglieds einer Alters-gruppe aussagekräftig.
Abbildungen 2 bis 4 zeigen die Konsummuster in Zeiteinhei-ten und monetären Werten sowie die entsprechenden CO2-Emis-sionen gemäß Szenario Sozial 50 im Vergleich zur Ausgangssitua-tion 1998. Alle Werte beziehen sich, wie in Abbildung 1, auf denjährlichen Konsum von Leistungen (bezogen auf die damit ver-bundenen Aktivitäten) eines durchschnittlichen Mitglieds derjeweiligen Altersklasse. Abbildung 2 macht deutlich, daß diedurchschnittlich empfangene Zeit bei Kindern, Jugendlichen undSenioren im Szenario Sozial 50 leicht gestiegen und bei Erwachse-nen zwischen 18 und 65 Jahren leicht gesunken ist. In allen Fäl-len werden die Konsummuster noch immer von den persönlichenAktivitäten dominiert.
Bei der monetären Analyse (Abbildung 3) entfallen die persön-lichen Aktivitäten und die eigene Qualifikation, da beide Katego-rien unbewertet bleiben. Zwar nimmt der Konsum von markt-lichen Gütern erwartungsgemäß eine bedeutende Stellung ein,jedoch sind die empfangenen monetären Werte aus der infor-mellen Arbeit inbesondere in der Halbtagsgesellschaft durchausbeachtlich, obschon diese nur mit einem geringen Lohnsatz be-wertet wurde.
Abbildung 4 zeigt die mit den empfangenen Leistungen ein-hergehenden CO2-Emissionen. Aufgrund der zurückgehendenmateriellen Produktion der Halbtagsgesellschaft verursachen dieMitglieder aller Altersklassen geringere CO2-Emissionen. Falls esallerdings gelingen sollte, die Produktivität zu steigern, um Ein-kommensverluste auszugleichen, so wäre ein erneuter Anstiegder Pro-Kopf-Emissionen möglich. Die technologischen Anstren-gungen sollten daher auch zu einer höheren Materialproduktivitätführen.
Konsummuster (in monetären Werten) durchschnittlicherMitglieder dreier Altersklassen als Nutznießer von Leistungen beziehungs-weise der damit verbundenen Aktivitäten in Deutschland 1998 (Basis) undgemäß Halbtagsgesellschaft Szenario Sozial 50. Ein durchschnittliches Mit-glied der Altersklasse bis 18 Jahre ist mit MAK I, der Erwachsenen von 18 bis65 Jahren mit MAK II und der Senioren mit MAK III bezeichnet. Basierend auf Tabellen 6 und 52 in Stahmer et al. (2004).
ABBILDUNG 3:
CO2-Emissionen pro durchschnittliches Mitglied dreierAltersklassen, bedingt durch empfangene Leistungen beziehungsweise damitverbundene Aktivitäten in Deutschland 1998 (Basis) und gemäß Halbtagsge-sellschaft Szenario Sozial 50. Ein durchschnittliches Mitglied der Altersklassebis 18 Jahre ist mit MAK I, der Erwachsenen von 18 bis 65 Jahren mit MAK IIund der Senioren mit MAK III bezeichnet. Basierend auf Tabellen 9 und 54 in Stahmer et al. (2004).
ABBILDUNG 4:
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238 Axel Schaffer, Carsten StahmerFORSCHUNG | RESEARCH
Nach ersten Berechnungen würden sich mit dem vorgestell-ten Konzept nicht nur die produktionsbezogenen, sondern auf-grund einer geringeren Zahl von Fahrten zum Arbeitsplatz auchdie verkehrsbezogenen CO2-Emissionen reduzieren. Zwar erhö-hen sich die Fahrten für die sozialen Aktivitäten, die damit ver-bundenen Distanzen sind aber kürzer.11
3 Fazit
Die Anstrengungen, nachhaltige Produktions- und Konsummu-ster zu etablieren, konzentrierten sich in den letzten Jahren aufdie Fertigung von Gütern beziehungsweise die Produktpalette.Zweifellos ist die Sensibilisierung der Bevölkerung, umweltge-rechte Güter und Dienste zu konsumieren, wichtig, doch sie bleibtunvollständig, falls nicht gleichzeitig eine Veränderung der Ver-haltensmuster angestrebt wird.
Viele Probleme unserer heutigen Gesellschaft sind ohne Ver-haltensänderungen nicht lösbar. Dies gilt für private Haushalteebenso wie für Unternehmen und öffentliche Institutionen. Die-se Studie bietet ein Konzept – die Halbtagsgesellschaft – an, dasentgegen dem derzeitigen Trend eine signifikante Verkürzungder jährlichen Erwerbsarbeitszeit bei gleichzeitiger Verlängerungder Lebensarbeitszeit mit sich bringt.
Neben einer besseren Qualifikation der Erwerbsfähigen ist dieStärkung des sozialen Engagements die zweite wichtige Kompo-nente der Halbtagsgesellschaft.
Erwartungsgemäß resultiert die geringere materielle Produk-tion der Halbtagsgesellschaft in sinkenden Einkommen und CO2-Emissionen. Obwohl letztere unter zehn Prozent betragen, solltedie ökologische Komponente dieses Konzepts nicht unterschätztwerden. Steigerungen der Energieeffizienz, die sich unabhängigvon der Halbtagsgesellschaft ergeben, sind hier nicht berücksich-tigt. Zudem ist zu beachten, daß
a) die fehlende Dynamik des Modells sekundäre Effekte, die allenfalls zu weiteren Emissionsreduktionen führenkönnen, nicht sichtbar macht;
b) die CO2-Emissionen pro Beschäftigten deutlich sinken, da das Beschäftigungsniveau viel höher ist;
c) der gewählte Indikator – die CO2-Emissionen – durch dieProduktion und die Fahrten bestimmt wird. Es werdenzwar einige Fahrten zum Arbeitsplatz entfallen, dafürkommen Fahrten im Rahmen anderer Aktivitäten hinzu.Die Wahl eines anderen, weniger verkehrsabhängigenIndikators hätte unter Umständen zu einem deutlicherenRückgang der Umweltbelastung geführt.
Die individuellen Konsummuster zeigen, daß der in der Halbtags-gesellschaft mit den geringeren Einkommen zurückgehende Kon-sum von Gütern und Dienstleistungen aus der Erwerbsarbeitdurch einen steigenden Konsum sozialer Leistungen kompen-siert werden kann. Dies gilt insbesondere für die jüngste und dieälteste Altersgruppe.
Die mittlere Altersgruppe erfährt zwar eine Entlastung inner-halb der Erwerbsarbeit; durch vermehrte soziale Aktivitäten steigtaber die Summe aus Erwerbsarbeit und informeller Arbeit leicht.Die Aufwertung der informellen Arbeit, zu der auch die Kinder-betreuung zählt, eröffnet die Chance, ein vielseitigeres Leben imWechsel von Erwerbsarbeit, sozialem Engagement – etwa imFamilienleben – und Weiterbildung zu führen.
11 Zudem verfügen die Menschen über ein geringeres Einkommen und leisten sich somit weniger Mobilität. In diesem Fall würde sich die fürMobilität aufgewendete Zeit deutlich verringern. Dies widerspricht aberden langjährigen Beobachtungen, wonach das Zeitbudget für Mobilitätseit Jahrzehnten konstant geblieben ist. Siehe zu dieser Problematikbeispielsweise Schaffer (2004).
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Literatur
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sozio-ökonomischen Input-Output-Tabellen. In: Analyse von Lebenszyklen.Herausgegeben von S. Hartard, C. Stahmer. Wiesbaden: StatistischesBundesamt. 129–150.
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Eingegangen am 22. November 2004; überarbeitete Fassung angenommen am 1. Juli 2005.
Geboren 1942 in Berlin. Studium der Geschichteund der Volkswirtschaftslehre. Promotion bei
Carl Christian von Weizsäcker. 1973 bis 2004 beimDeutschen Statistischen Bundesamt in der
Abteilung „Volkswirtschaftliche Gesamt-rechnungen“, bis 2001 als Leiter der Gruppe
„Input-Output-Rechnung, Vermögensrechnung,Satellitensysteme“. Erstellung der Input-Output-
Tabelle und zahlreiche Input-Output-Analysen.1990 bis 2000 im wissenschaftlichen BeiratUmweltökonomische Gesamtrechnungen. Seit 1993 im wissenschaftlichen Beirat des
Ulmer Initiativkreises nachhaltige Wirtschafts-entwicklung. 1993 bis 2003 Lehrtätigkeit an derUniversität Heidelberg. Seit 2004 Forschungs-
tätigkeit am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld.
Carsten Stahmer
Geboren 1970 in Karlsruhe. 1990 bis 1996 Studium des Wirtschaftsingenieurwesens an derUniversität Karlsruhe. 2002 Promotion auf demGebiet der ökologischen Input-Output-Analyse.Seit 1996 Assistent am Institut für Wirtschafts-
politik und Wirtschaftsforschung (IWW) derUniversität Karlsruhe mit Lehrtätigkeit und
Projektaktivitäten sowie Habilitationsvorhaben.2003 Mitwirkung an der Erstellung eines
„Sozio-ökonomischen Berichtssystems für eine nachhaltige Gesellschaft“ beim
Deutschen Statistischen Bundesamt. 2005 Organisation des Weimarer Kolloquiums
zum Thema Halbtagsgesellschaft.
Axel Schaffer
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