Scherz und Schmerz - Thomas Gsella€¦ · „Claudia Schiffer war von ih-rer Zeit als...

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?*? Donnerstag, 28. Juni 2012 LITERATUR AM WOCHENENDE

SACHBÜCHER 1 Sarrazin:

Europa brauchtden Euro nichtDVA;22,99 Euro

2 Dobelli:Die Kunst desklaren DenkensHanser;14,90 Euro

3 Di Borgo:Ziemlich beste FreundeHanser; 14,90 Euro

4 Möller:Expedition zuden PolenMalik;14,99 Euro

5 Graeber: SchuldenKlett-Cotta;26,95 Euro

6 Kahnemann: Schnelles Denken,langsames DenkenSiedler; 26,99 Euro

7 Koch:Zwei Lebenadeo;17,99 Euro

8 Grimm:Vom Verzehrwird abgeratenDroemer; 18 Euro

9 Gauck: FreiheitKösel; 10 Euro

10 Zamoyski:1812. NapoleonsFeldzug in RusslandC.H. Beck; 29,95 Euro

(Quelle: Der Spiegel)

BELLETRISTIK 1 Jonasson:

Der Hundertjährige,der aus dem Fensterstieg und verschwandCarl’s Books; 14,99 Euro

2 Leon:Reiches ErbeDiogenes; 22,90 Euro

3 Bannalec:BretonischeVerhältnisseKiepenheuer & Witsch;14,99 Euro

4 Cast / Cast:BestimmtFischer FJB;16,99 Euro

5 Collins: Die Tribute von Panem. Gefährliche LiebeOetinger; 17,95 Euro

6 Collins:Die Tributevon Panem.Flammender ZornOetinger; 18,95 Euro

7 Joyce:Die unwahrscheinli-che Pilgerreise desHarold FryKrüger; 18,99 Euro

8 Collins: Die Tribute von Panem: Tödliche SpieleOetinger; 17,90 Euro

9 Rose: TodesherzKnaur; 16,99 Euro

10 Adler-Olsen: Das Alphabethausdtv premium;15,90 Euro

BESTSELLERpräsentiert von

Zumindest nicht den der an-deren. In seinem neuen Buch„Komische Deutsche“ teilt derehemalige Titanic-Chefredak-teur wieder lustvoll aus. Undvor den fein gedrechselten Ti-raden des in Aschaffenburglebenden Satirikers kommtkaum ein Mitglied der SpeziesDeutscher davon.

Das Land ist groß, seine Be-wohner sind bisweilen kauzi-ge Zeitgenossen. LebendigesAnschauungsmaterial für sei-ne erstmals in verschiedenen

Tageszeitungen und Magazi-nen erschienenen Porträts,Glossen und Gedichte findetGsella im Übermaß. Von denüblichen Verdächtigen wieder Bundeskanzlerin und Thi-lo Sarrazin über die wirrköpfi-ge linksautonome BerlinerSzene und den Neonazi Hol-ger „Superbirne“ Apfel bis hinzum durchschnittlichen Leserder Abo-Zeitschrift „ADACMotorwelt“ – es gibt so vielelohnende Ziele.

Entscheidend ist es aller-dings, sie möglichst da zutreffen, wo es wehtut. Gsellajedenfalls erweist sich seit je-her als furchtloser Humorist,der keinem verbalen Zwei-kampf aus dem Weg geht. ImWortsinne verscherzte er essich schließlich schon vorJahren mit Lokalpatrioten ausder gesamten Republik, als erauf „Spiegel online“ begann,„Ihre Stadt im Schmähge-dicht“ ebenso boshaft wiepräzise niederzureimen. Undals Chefredakteur der ziem-

lich schmerzfreien „Titanic“durfte er sich regelmäßigauch juristisch für das Frank-furter Blatt verantworten.Gsella weiß also, was in Sa-chen Satire geht – und kostetdie reichen Möglichkeiten ge-nussvoll aus.

Atemlos liest man da etwadie Biografie eines gewissenGuido Westerwolle, ein „Knit-terpickel und Atomschlumpf,dessen greuelhaftes Lebenhier mit Abscheu und Getreu-lichkeit beschrieben wird“.Und tatsächlich, es folgt einsplatterhartes „Schauermär-chen mit Guido“ – nichts fürLeser unter 18.

Auch in den KategorienWitz, Klamauk und Zote fühltsich Gsella zuhause. GroßeFreude entwickelt er etwa,wenn in Köln laut „Stadtan-zeiger“ ein Predigtstreit zwi-schen den Theologen PfarrerKurt-Werner Pick, Weihbi-schof Klaus Dick und Stadtsu-perintendent Karl Schick aus-bricht. Zum Schlichten der

Posse wurde übrigens PräsesManfred Kock bestellt. Kock,Schick, Pick, Dick: Denschönsten Schabernack treibtimmer noch das Leben –wenn man ihn wie ThomasGsella in die entsprechendeForm zu gießen weiß.

Auch schön böse: WennEva Padberg und ClaudiaSchiffer in die Elendsregionender Welt reisen, um fürUnicef wehrlosen Kindern dieKöpfe zu tätscheln, fühlt sichder Mann herausgefordert.Unter einem Bild des blondendeutschen Ex-Models mit ei-ner Kindergruppe findet sichfolgende schöne Sentenz:„Claudia Schiffer war von ih-rer Zeit als Unicef-Botschafte-rin eher von bengalischenWaisen angetan. ,Von wegenWaisen – das sind alles Anal-phabeten‘“. Wenn Witze,dann bitte genau solche.

Thomas Gsella: KomischeDeutsche. 224 Seiten. Carl’sBooks. 14,99 Euro.

THOMAS GSELLA geht gerne dahin, wo es weh tut

Scherz und SchmerzVon Björn Gauges

Humorist: Diese Berufs-bezeichnung klingt in et-wa so gefährlich wie ei-ne lauwarme Tasse Ka-millentee. Wer je einBuch von Thomas Gsellain der Hand gehaltenhat, wird allerdings fest-stellen: Ein wahrer Hu-morist kennt Scherznicht ohne Schmerz.

Thomas Gsella – hier hat er schon sein nächstes Opfer im Visier. Foto: dpa

René El Khazraje, Jahrgang1976, galt in den 90er Jahrenals einer der talentiertestenHipHopper Deutschlands –doch dann kam der Bruch.Die Karriere floppte und derBraunschweiger führte fortanein bürgerliches Leben. DieErfüllung war das nicht. Dasist die Vorgeschichte seinesBuches.

Doch dann verschenkt MCRené sein Hab und Gut undmacht sich auf den langenWeg, um auf die Bühne zu-rückzukommen. Das ist derKern seiner auf Papier ge-brachten Geschichte. Und esist die fixe Idee, der neue Le-bensplan von MC René. He-

rausgekommen ist dabei einschnell zu lesender, unterhalt-samer Reiseroman des Neu-Comedians.

Klar: Hier und da hätte essicher mehr Wortwitz seindürfen. Vielleicht hätte dasden Fluss der Erzählung aberauch gestört. Allerdings: Auchwenn MC René quer durchdie Republik reist, viele Städteentdeckt, nimmt der Autorden Leser nicht wirklich mitdorthin. Denn er beschreibtund analysiert in den kurzen,oft lustigen selten groteskenEpisoden zu wenig, was undwen er sieht.

Das ist schade. Denn hierlässt der Ex-Rapper viel Poten-zial seiner Erzählung brachliegen, schreibt mehr im Stileeines Blogs, eines Tagebuchsfür ein großes Publikum. Einliterarisches Werk ist seinBuch daher nicht. Für den Ur-laub am Strand aber schon.Oder für Fahrten mit derDeutschen Bahn – mit oderohne Bahncard.

MC René: Alles auf eineKarte. Wir sehen uns imZug. 272 Seiten. rororo. 9,99Euro.

Von Thomas Bertz

MC RENÉ fährt als Comedian quer durchs Land

Ein Rapper schult um

Er hat im wahrsten Sinnedes Wortes alles auf ei-ne Karte gesetzt: MC Re-né hat sich eine Bahn-card 100 gekauft, istdurch die Republik ge-tingelt, um Comedian zuwerden und hat ein kurz-weiliges Buch darübergeschrieben.

MC René setzte alles auf eine Karte, gab seine Wohnungauf und fuhr mit dem Zug. Foto: Fabian Stürtz

Der Historiker und PublizistKarl Schlögel ist in Wolfsburgmit dem Hoffmann-von-Fal-lersleben-Preis für zeitkriti-sche Literatur ausgezeichnetworden. Der alle zwei Jahrevergebene Preis ist mit 15 000Euro dotiert. Die Jury erklärte,Schlögel sei durch die Verbin-dung von erzählter Geschich-

te und zeithistorischer Diag-nose einem großen Leserkreisbekanntgeworden. Sein jüngs-tes Buch „Terror und Traum –Moskau 1937“, das russischenMenschenrechtsaktivisten ge-widmet ist, sei „ein großerWurf“. Schlögel ist Professorfür osteuropäische Geschichtein Frankfurt/Oder.

Geschichte als „großer Wurf“

„Mister Aufziehvogel“von Haruki Murakamifinde ich sensationell.Und kürzlich habe ichvon Elfriede Jelinek„Die Winterreise“ ge-lesen. Auch sehr gut.

Jan Plewka (41) ist Sän-ger von Selig.

DAS LESEICH

JANPLEWKA

„Winterreise“

Sehr gut

Das Museum für ModerneKunst (MMK) und das Litera-turhaus Frankfurt gehen eineKooperation ein. Unter demTitel „Acht Betrachtungen“planen sie eine gemeinsameVeranstaltungsreihe: An vierAbenden sprechen acht Auto-ren über acht Kunstwerke ausder Sammlung des MMK. Mitder Aktion sollen „Schnittstel-len zwischen Kunst und Lite-ratur, zwischen jüngeren Au-toren und Bildender Kunst,zwischen Text und Werk, zwi-schen Zuschauer und Betrach-ter“ geschaffen werden, er-klärten die Organisatoren.

Konkret entscheiden sichdie Literaten aus den über4500 Werken der Kunst-sammlung für jeweils einesund schreiben ihre Eindrückeauf. Die Texte sollen einerVortragslänge von etwa 20Minuten entsprechen. Die Artdes Vortrags bleibt den Auto-ren überlassen. Zu den vierLesungen im Zeitraum vonOktober diesen und Mainächsten Jahres kommen je-weils zwei Autoren. Die achtLiteraten sind: Helene Hege-mann, Peggy Mädler, ThomasPletzinger, Leif Randt, JudithSchalansky, Annika Scheffel,Sasa Stanicic und Thomasvon Steinaecker.

Acht Literaten –acht Kunstwerke