Post on 26-Jun-2015
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Globalisierung oder Denationalisierung?
Michael Beresin, Mirjam Ströhle, Romana Riegler
Literatur
• Beisheim, Marianne; Dreher, Sabine; Walter, Georg; Zangl, Bernhard; Zürn, Michael (1999): Im Zeitalter der Globalisierung? Thesen und Daten zur gesellschaftlichen und politischen Denationalisierung. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft. S. 15-38.
• Gerhards, Jürgen; Rössel, Jörg (1999): Zur Transnationalisierung der Gesellschaft der Bundesrepublik: Entwicklungen, Ursachen und mögliche Folgen für die europäische Integration. Zeitschrift für Soziologie 28. S. 325-344.
Plan
★Vorbemerkungen
➡Das Konzept der Denationalisierung
✓Nachweis: Methodologie, Resultate und Schlussfolgerungen v. Zürn et al.
➡Bestandsaufnahme der De-/Transnationalisierung in Deutschland.
✓Ursachen heterogener Transnationalisierung und Folgen in Deutschland.
➡Schlussfolgerungen und Resümee
➡Q&A
Vorbemerkungen
➡ Stand: späte 90er
➡ Zeitraum: 50er bis 2000
➡ Nationalstaat wird begriffen als: territorial-politische Einheit
Das Konzept der Denationalisierung
Konzept der Denationalisierung
• Wozu Denationalisierung?
➡ Denationalisierung als Gegenkonzept zur Globalisierung
• Aufschlüsselung des Konzepts
✓ Gesellschaftliche Denationalisierung
✓ Politische Denationlalisierung
✓ Individualisierung
• Rekapitulation
Wozu Denationalisierung?
• “Globalisierung” in regem Gebrauch, aber
✓kein neues Phänomen
✓undifferenziert
✓kein empirischer Bezug
Denationalisierung als Gegenkonzept
• Grundthese: “Globalisierung” ist nicht tatsächlich global, es kommt eher zu einer neuen Grenzziehung.
- Früher: Nationalstaaten als Räume verdichteter Interaktion.
- Seit den 70ern: Unschärfe: verdichtete Interaktionsräume folgen nicht länger politischen Grenzen
Aufschlüsselung
• Beschreibung von 3 Phänomenen
• Gesellschaftliche Denationalisierung: Ausdehnung der Grenzen sozialer Handlungszusammenhänge über die Grenzen des Nationalstaats hinaus.
• Politische Denationalisierung: Veränderung der Reichweite politischer Institutionen bzw. regulatorischer Frameworks.
• (Individualisierung: Wandel sozialer Lebenslagen und Wertewandel, der ein erhöhtes Maß an individueller Selbstbestimmung zum Ausdruck bringt.)
Nationalstaat
Nationalstaat
Vor Denationalisierung Denationalisiert
Gesellschaftliche Denationalisierung
Gesellschaftliche Denationalisierung
• Bezieht sich auf fünf Sachbereiche
‣ Kommunikation/Kultur; Mobilität; Sicherheit; Umwelt und Wirtschaft
• Bezieht sich auf zwei distinkte Interaktionsformen
‣ Austausch und Produktion
• Operationalisierung
➡ Relativer Bedeutungsgewinn des grenzüberschreitenden Austauschs und der grenzüberschreitenden Produktion in den 5 o.g. Sachbereichen.
Nationalstaat
Institutionell-regulatorische Reichweite
Nationalstaat Nationalstaat
Regul. Reichweite Regul. Reichweite
Institutionell-regulatorische Reichweite
Nationalstaat
Politische Denationalisierung
Politische Denationalisierung
• Reichweite einer Institution / Regelung kann
✓konstant bleiben == Konstanz
✓sich ausweiten == Integration
✓sich verkürzen = Fragmentierung
‣ Territoriale und personale Dimension
• Operationalisierung
➡ Integration / Fragmentierung territorialer/personaler Reichweite politischer Institutionen gegenüber status quo.
Individualisierung
alter prägender sozialer Bezugsrahmen
neuer sozialer
Bezugsrahmen
Ich
Individualisierung
Dimension
Individualisierung
• Prozess, bei dem die Bedeutung individueller Selbstbestimmung zunimmt.
• Soziales Handeln erfolgt mit Blick auf immer kleinere soziale Einheiten
• Konzept ist für die Denationalisierung ergänzend interessant:
✓Erklärungsfaktor für politische Denationalisierung
✓(vielleicht auch konkurrierender Erklärungsfaktor zu gesellschaftlicher Denationalisierung?)
Die Theorie at a glance
• Die Aufweichung der Grenzen sozialer Handlungs- bzw. Interaktionsräume und das entsprechende Entstehen neuer Grenzen...
• ...kumuliert mit zunehmendem Fokus auf Selbstbestimmung und immer kleinere soziale Einheiten...
• ...führt zur Relativierung der Bedeutung nationalstaatlicher Grenzen für die Verregelung gesellschaftlicher Interaktionen
• H1: Schubartige Beschleunigung seit Mitte der 70er
• H2: Neue Qualität der gesellschaftlichen Denationalisierung ggnü. Jahrhundertwende
• H3: Gesellschaftliche Denationalisierung und Individualisierung führen zeitversetzt zu politischer Denationalisierung
• H4: Politische Denationalisierung ist sowohl in Form von Fragmentierungs- als auch in Form von Integrationstendenzen zu beobachten
Nachweis:Methodologie, Resultate und Schlussfolgerungen
Methodologie, Ergebnisse, Schlussfolgerungen
• Wann/Wo/Wie
• Kurzüberblick Indikatorenraster
• gesellschaftliche Denationalisierung
• politische Denationalisierung
• Individualisierung
• Kritikpunkte u. Gegenargumente
• Ergebnisse
• Gesellschaftliche Denationalisierung
• Allgemein
• Nach Sachbereich
• Politische Denationalisierung
• Individualisierung
Wann, Wo, Wie?
• Zeit
✓Vom Ende des 2. WK bis 1996
✓Datenlage schwankt, daher Abweichung in Einzelfällen
• Raum
‣ BRD, Frankreich, Italien, Kanada, GB, USA
• Methode
‣ Theoriegeleitete Rasterung; Indikatorenwahl um Raster valide & repräsentativ zu erfassen
GESELLSCHAFTLICHE DENATIONALISIERUNG
Kommunikation & Kultur
Mobilität Sicherheit Umwelt Wirtschaft
Austausch
Produktion
Indikatoren gesellschaftlicher Denationalisierung
Indikatoren politischer Denationalisierung
TERRITORIALE INTEGRATION
Internationalen / Supranationalen Organisationen Regelungen
Reichweite von...
TERRITORIALE FRAGMENTIERUNG
Weniger Integration Mehr Autonomie
Forderung nach...
PERSONALE DENATIONALISIERUNG ∆ ±%
Anteil der Personen mit Staatsbürgerrechten
Indikatoren: Individualisierung
INDIVIDUALISIERUNGVeränderungen von Familien-
und Haushaltsstrukturen (objektiv)
Veränderung von Einstellungen (subjektiv)
Wandel von...
Kritik u. Gegenargumente
• Hohes Abstraktionsniveau?
➡ Auch notwendig, um umfassendes Bild zu liefern.
• Zuverlässigkeit / Vergleichbarkeit erhobener Daten?
➡ Eingesetzte Statistiken wurden simultan für mehrere Länder erhoben.
• Validität der Indikatoren?
➡ Indikatoren wurden systematisch und a priori festgelegt.
Ergebnisse:Gesellschaftliche Denationalisierung
• Denationalisierung findet statt
✓in jedem untersuchten Sachbereich.
✓in jedem untersuchten Land.
• Zeitlich und räumlich vielfach gebrochener, komplexer Prozess.
• In jedem Teilbereich wächst die Bedeutung denationalisierter Produktion ggnü. denationalisiertem Austausch.
Ergebnisse:Kommunikation/Kultur
✓Veränderung der Form (von Brief zu ICT)
✓Bis ICT: kontinuierliche Denationalisierung
✓Seit ICT: schubartige Denationalisierung
Ergebnisse:Mobilität
• Kurzfristige Aufenthalte / Reiseströme:
✓+∆ seit Mitte 70er
• Temporäre Zuwanderung
✓hohe Variabilität v. Land zu Land
• Permanente Zuwanderung
✓50er, 60er und 80er in Schüben
• Auch hier Denationalisierungtendenz
Ergebnisse:Sicherheit
• Kernkonzept: Bedrohungen
✓Langstreckenwaffen / Waffen grenzüberschreitender Wirkung
• Denationalisierung seit Beginn des kalten Kriegs
• Aktueller: nichtstaatliche Akteure, organisierte Kriminalität
Ergebnisse:Umwelt
• Umweltprobleme werden nicht länger als lokale Probleme begriffen
• Seit Mitte 60er: Umwelt als grenzüberschreitendes Problem
• Spürbare Verbesserungen (Reduktion von Verschmutzungsindikatoren) weisen damit auf starke Denationalisierung hin.
➡ Hier sogar genuine Globalisierung!
Ergebnisse:Wirtschaft
• Eindeutig identifizierbare Denationalisierungstendenzen
✓Außenhandelsquoten
✓Kapitalbewegungen / Direktinvestitionen
✓Transnationale Produktionsketten
• Bis 80er langsam u. linear, seitdem schubartig
Ergebnisse:Politische Denationalisierung
• Territoriale politische Denationalisierung
• Vor allem Integrativ
• Wechselhafte Entwicklung
• Oft lediglich (nicht umgesetzte) Richtlinien
•Personale politische Denationalisierung
• Seit den 80ern: Fragmentativ
• d.h. schwierigerer Zugang zu Staatsbürgerrechten
• “Integrationskraft des Wohlfahrtsstaats erschöpft”
• aber: sehr uneinheitlicher Prozess
Ergebnisse:Individualisierung
• Extrem heterogene Resultate
• Wesentliche Phänomene:
• Objektiv
✓Phasen des Alleinlebens
✓Neue Familienformen
✓Frauenrechte
• Subjektiv
✓Postmaterialismus
✓Autonomie als Erziehungsideal
✓Nachlassender Nationalstolz
• H1: Schubartige Beschleunigung seit Mitte der 70er
‣ Bewährt sich, aber: gebrochener, differenziert zu betrachtender Prozess
• H2: Neue Qualität der gesellschaftlichen Denationalisierung ggnü. Jahrhundertwende
‣ Bewährt sich.
• H3: Gesellschaftliche Denationalisierung und Individualisierung führen zeitversetzt zu politischer Denationalisierung
‣ Bewährt sich, aber: politische Denationalisierung ist diffus (Territorial-Integrativ, Personal-Fragmentativ) und so oder so kein zu markantes Phänomen.
• H4: Politische Denationalisierung ist sowohl in Form von Fragmentierungs- als auch in Form von Integrationstendenzen zu beobachten
‣ Bewährt sich, mit der Zuspitzung: politische Denationalisierung ist territorial integrativ, personal fragmentativ.
De-/Transnationalisierung in Deutschland
• Grundbegriffe
• Fragestellungen
• Indikatoren, Methoden, Befunde für
• Wissenschaft
• Kultur
• Wirtschaft
• Rekapitulation der Ergebnisse
Transnationalisierung in Deutschland
• Transnationalisierung: Verhältnis zwischen Binneninteraktion und Außeninteraktion eines Teilsystems der Gesellschaft
‣ Transnationalisierung ist analog zur Denationalisierung zu begreifen
• Teilsysteme mit je spezifischer Sinnrationalität: z.B. Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft.
✓Haben zwischen 1950 und 1996 Transnationalisierungsprozesse stattgefunden?
✓Wenn ja, wie stark?
✓Gibt es Unterschiede zwischen den Teilsystemen?
✓Welche Folgen haben die Transnationalisierungs-prozesse auf das politische System?
✓Rolle der EU?
Fragestellungen
Teilsystem Wissenschaft
• Indikatoren:
✓Anteil länderübergreifender Ko-Autorenschaft (Moed et al.: bei Naturwissenschaften viel stärker als bei GeWi oder SoWi)
✓Anteil ausländischer zitierter Literatur
• Methode:
✓Auswahl je einer Fachzeitschrift aus den Disziplinen Soziologie, Philosophie und Chemie
✓Zählung der „transnationalen“ Zitate in den Ausgaben eines Jahres (1996 bzw. 1997)
Teilsystem Wissenschaft
• Befunde:
✓Chemie: 70 % ausländische Zitate
✓Soziologie und Philosophie: jeweils ca. 45 %
✓Hypothese: Naturwissenschaften stärker transnationalisiert
✓Begründung: „weniger Sprachbarrieren“
✓Ausgaben/Artikel unbekannt
Teilsystem Kultur
• Indikatoren:
✓Subsystem Bildende Kunst:Anteil der ausländischen Aussteller auf Kunstmessen
✓Subsystem Literatur:Anteil übersetzter Belletristik an der gesamten Belletristik
✓Subsystem Theater:Anteil ausländischer Autoren an den 10 am häufigsten aufgeführten Stücken
Zahlenmäßige Entwicklung der beschriebenen Indikatoren zwischen ca. 1950/‘60 und 1995
Teilsystem Wirtschaft
• Indikatoren:
✓Subsystem Arbeitsmarkt: Anteil der ausländischen Beschäftigen
✓Subsystem Markt für Güter und DL: Anteil der Importe am BSP
✓Subsystem Finanzmarkt: Anteil ausländischer Aktien
✓Subsystem Produktion: Anteil ausländischer Direktinvestitionen
Zahlenmäßige Entwicklung der beschriebenen Indikatoren zwischen ca. 1950 bzw. ‘70 und 1995
Zusammenfassung
• Teilsysteme in sehr unterschiedlichem Ausmaß transnationalisiert
• Manche waren schon seit langem stark transnationalisiert (Wissenschaft, Kunst)
• Nur selten lineare Entwicklung
Ursachen heterogener Transnationalisierung und Folgen in Deutschland
• Ursachen für Heterogenität
• Konsequenzen in Deutschland
• politischer Natur
• sozialintegrativer Natur
Ursachen für Heterogenität und Folgen in Deutschland
Ursachen heterogener Transnationalisierung
• Erklärungsfaktoren
• Kommunikationsinfrastruktur: beschränkt bzw. erweitert die Möglichkeit von Transnationalisierungsprozessen
• Politisches Framework: v.a. Einfluss auf Transaktionskosten
• Spezifika einzelner Teilbereiche: Bilder sind universeller verständlich als Kunst
Politische Konsequenzen
• Wahrgenommene Problematik:
• politische Steuerungsmöglichkeiten gehen nicht über nationalstaatliche Grenzen hinaus
• Andere Teilsysteme überschreiten diese Grenzen aber regelmäßig
★ Sonderstatus der Wirtschaft
‣ Steuerungsdefizit des politischen Systems
✓Politische Transnationalisierung, z.B. EU-isierung.
✓EU-isierung als messbares Phänomen?
Konsequenzen für soziale Integration der Gesellschaft
• Zunehmende Kluft zwischen supranationalen politischen Akteuren und Bürgern
✓Institutionen “laufen davon”
✓keine Ausbildung europäischer Identität
✓Indirekte demokratische Legitimation
➡ Resultat: kein europäischer Vergeinschaftungsprozess
Fazit
• Denationalisierung in Deutschland findet statt, genauer in Form der Europäisierung
• Inkongruenz zwischen politischen / systembezogenen und sozialintegrativen Konsequenzen der Transnationalisierung
hängt zusammen mit...
• ...Fehlen einer gemeinsamen Identität
Resümee
✓Kernthese ist, dass das Bild global ausgedehnter Zusammenhänge empirisch nicht gestützt ist, und daher nicht a priori von einer globalen Weltordnung auszugehen ist
✓Der Begriff “Globalisierung” wird in diesem Sinne inflationär und unreflektiert genutzt: uns wird die Notwendigkeit empirischer Untermauerung des Globalisierungskonzepts einsichtig.
✓Beide Arbeiten versuchen entsprechend, das Modell der De-/Transnationalisierung empirisch zu stützen und lassen zunächst offen, ob wir es mit einerEU-isiertenOECD-isierten...Ordnung zu tun haben, oder gar doch mit globalen Interaktionsräumen.
✓Letztendlich kommen beide Erhebungen zu dem Schluss, dass Trans-/Denationalisierung vorliegt
• wobei viele gewählte Indikatoren da nonspezifisch sind: sie könnten auch zum Nachweis “allgemeiner” Globalisierung genutzt werden
• In einigen Fällen wird die Globalisierung auch explizit als solche erkannt - z.B. Umwelt bei Zürn et al.
✓Gerhard/Rössels weisen auf einen zentralen Zwiespalt bei politischer Denationalisierung hin, welcher abstrahiert auch bei Zürch et al. thematisiert wird
✓Zürn et al. sehen die politische Denationalisierung indes noch als einen jungen Prozess mit vergleichsweise geringer praktischer Tragweite
✓Beiden Versuchen merkt man ihr Alter eindeutig an
‣ Einerseits freilich beim Bewerten der Rolle von ICT / Kommunikation
• (Gerhards/Rössel erkennen aber bereits die Carrier-Rolle von ICT an)
‣ Andererseits beim Umgang mit Sicherheitsthemen (Terrorismus als Nischenphänomen)
• Bild multipolarer Weltordnung samt entsprechender Konflikte noch nicht wirklich etabliert
✓Beide Texte gehen immer noch von einem tripolaren Weltbild (Triade) bzw. von einem (in seinen Ausbreitungsformen und - dimensionen heterogenen) Norden aus
• a) De facto wird der Süden ausgeschlossen
• b) Das Konzept scheint inadäquat, um Sonderfälle wie z.B. die Tigerstaaten oder die neue Rolle Chinas zu beschreiben.
✓Die Wahl der Methoden von Gerhards/Rössels ist diskutabel
• Bei der Diskussion wissenschaftlicher Artikel:
✓Jeweils nur eine einzige Fachzeitschrift
✓n unbekannt
• Indikatoren scheinen tlw. eher anekdotischen Charakter zu haben
• Zahlenmaterial war auch nicht nachvollziehbar
✓EU ändert regelmäßig Erhebungsmethode für EU-Identität (Zugehörigkeitsgefühl vs. Identifikation; generell vs. in Proportion zu lokal/nationalem Zugehörigkeitsgefühl)
✓Zuletzt 2006
✓Sinnhaftigkeit v. ∆-Bildung?
❖ Handout, alle Folien, Grafiken und Outlines auf http://www.unet.univie.ac.at/~a0651012/php/wordpress/index.php
❖ Q&A
❖ Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!