Post on 05-Apr-2015
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Psychiatrische Rehabilitation:das Beispiel Schizophrenie
Priv.-Doz. Dr. med. Jürgen Zielasek
Wintersemester 2010
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf
Lernziele
• Bio-Psycho-soziales Modell psychischer Störungen
• Psychiatrie-spezifische Rehabilitationsverfahren, Rehabilitationseinrichtungen und Erfolgsaussichten
• Einordnung psychopathologischer Symptome in die ICF als neues Klassifikations-System im Reha-Bereich
• Besondere Bedeutung der Antipsychotika-Therapie im Bereich der Rehabilitation bei Schizophrenie
• Bereiche der Rehabilitation und individuelle Ziele einer Rehabilitation bei Schizophrenie: Gesamtbehandlungsplan
Patientenanteil Schizophrenie in psychiatrischen Versorgungsbereichen
100%
50%
26%
Stationär TK InstAmb Wohnheime SPD betr.Wohnen berufl. Reha stat. Reha
26%17%
80%
40%
66%
34%
Gesundheitsamt Stadt Düsseldorf, 2006
86%75/87
Gesundheitsbericht der Stadt Düsseldorf
Leistungen zur Teilhabe nach SGB IX
• Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Kostenträger: Krankenkasse)– Arzneimittel, Psychotherapie– „Leitlinien zur Rehabilitationsbedürftigkeit bei
psychischen Störungen“, DRV Bund
• Stufenweise Wiedereingliederung • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben • Leistungen zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft
Rehabilitationmaßnahmen und Rehabilitationseinrichtungen für Menschen mit psychischen Erkrankungen (I)
Reha-Beratung und Reha-OrganisationSozialpsychiatrische DiensteServicestellen für RehabilitationPersönliches Budget
Medizinische Rehabilitation Psychosomatisch-psychotherapeutische Reha-Kliniken Rehabilitationseinrichtungen für psychisch kranke und behinderte Menschen (RPK)Ambulante Maßnahmen
Teilhabe am ArbeitslebenBerufliche TrainingszentrenBerufsbildungs- und BerufsförderungswerkeWerkstätten für behinderte MenschenIntegrationsfachdienste
Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft Psychosoziale Kontakt- und BeratungsstellenTagesstättenAmbulante betreute WohnformenÜbergangseinrichtungenWohnheime
Rehabilitationmaßnahmen und Rehabilitationseinrichtungen für Menschen mit
psychischen Erkrankungen (II)
Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft Psychosoziale Kontakt- und BeratungsstellenTagesstättenAmbulante betreute WohnformenÜbergangseinrichtungenWohnheime
Teilhabe am ArbeitslebenBerufliche TrainingszentrenBerufsbildungs- und BerufsförderungswerkeWerkstätten für behinderte MenschenIntegrationsfachdienste
Psychiatrische Rehabilitation: Skalen (I)
GAF = Global Assessment of Functioning
Skala zur Erfassung des allgemeinen Funktionsniveaus einer Person, unabhängig von der Diagnose
www.wikipedia.org
Psychiatrische Rehabilitation: Skalen (II)
PANSS = Positive and Negative Syndrome Scale
Erfasst die Symptomschwere bei Schizophrenie (nicht bei anderen psychischen Störungen!) und besteht aus drei Bereichen:
Positivsyndrom-Skalaz.B. Wahn, Halluzinationen etc.
Negativsyndrom-Skalaz.B. mangelndes Abstraktionsvermögen, Antriebsmangel etc.
Generelle Psychopathologie Skalez.B. sozialer Rückzug, Ängstlichkeit etc.
www.wikipedia.org
Rehabilitationseinrichtungen• Bundesweit 49 Reha-Einrichtungen für psychisch Kranke• Platzzahl stieg von 995 (1990) auf 1533 (2000)
• In Düsseldorf 169 Plätze berufliche Reha plus 326 Plätze Werkstätten für angepasste Arbeit
• 2004 372 Rehabilitanden in beruflicher Reha für psychisch Kranke (AWO Vita, Renatec, Arbeit & Integration)
• Schizophrenie 34%• Neurosen 19%• Depressionen 17%• Abhängigkeitserkr. 15%• Altersgipfel 30-40 Jahre
• Betreutes Wohnen 253 Plätze, Wohnheime 267 Plätze
Gesundheitsamt der Stadt Düsseldorf, 2006
Reha-Therapie im Bereich des LVR-Klinikums Düsseldorf
34 Plätze soziale Rehabilitation (Haus 3a und Haus 16)
10 Plätze medizinische Rehabilitation (Haus 43)
29 Plätze soziale Rehabilitation in Aussenwohngruppen (Limburgstr. und Im Schlank)
Leiter der Abteilung: Dipl.-Psychol. R. Greis-Maibach
Nur eine EpisodeKein Residuum
Mehrere Episoden mitkeinem oder minimalemResiduum
Residuum nach der ersten Episode mitExacerbationen undohne Rückkehr zurNormalität
Mit jeder Episodezunehmendes Residuum undohne Rückkehr zur Normalität
A(%)
16
32
9
43
B(%)
23
35
8
33
Watt et al (1983)
VERLAUFSTYPEN SCHIZOPHRENER STÖRUNGEN
Therapie mit Antipsychotika als Basis einer Rehabilitation
• Kontrolle der akuten Symptomatik und Rückfallprophylaxe; Positivsymptome sind meist besser medikamentös zu beeinflussen als Negativsymptome
• Rezidivprophylaxe bei Ersterkrankung 2 Jahre, bei Wiedererkrankung mindestens 5 Jahre bzw. lebenslang; Probleme: Nebenwirkungen und Compliance!
• Nebenwirkungen der Antipsychotika verschlechtern die Compliance und können ein zusätzliches Problem bei der Rehabilitation darstellen, insbesondere extrapyramidal-motorische Symptome, Sedierung oder Gewichtszunahme
JENSEITS DER „COUCH“ – SOZIOTHERAPIE UND REHABILITATION
Sozio- und Rehabilitationstherapie
Wiedereingliederung am Arbeitsplatz
Training der Aktivitäten des täglichen Lebens
Wohnungssicherung
Ergotherapie
Beratung und Hilfen in Fragen der sozialen Hilfen und Wieder- eingliederungsmaßnahmen
PharmakotherapiePsychotherapie
Soziotherapie
Gesamtbehandlungsplanunter Vermeidung des„Gießkannenprinzips“
Somatotherapie Psychotherapie Soziotherapie u.a.
Antipsychotikum Entspannungsverfahren Tagesplan Einzelgespräche Krankengymnastik Psychoedukation Wiedereingliederung am Arbeitsplatz
Therapiealltag: Individueller Therapieplan mit Bausteinen aus allen Säulen der Therapie
Voraussetzungen der Rehabilitation bei Schizophrenie
Korrekte Diagnosestellung
Optimale kausale oder zumindest Symptom- reduzierende medikamentöse Behandlung unter Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen
Motivation des Patienten
Richtiger Zeitpunkt
Bereiche der Rehabilitation bei Schizophrenie
Medizinisch Krankheitsbewältigung, Rückfallprophylaxe, Symptomkontrolle
Beruflich Wiedereingliederung in den Beruf
Sozial AlltagsbewältigungAufbau und Erhalt sozialer Kontakte
Rehabilitationsziele
Nicht optimale Symptomreduktion, sondern Krankheitsbewältigung und bestmögliche Anpassung an die gegebenen Bedingungen, Erfüllung sozialer Rollenerwartungen, optimale Lebensqualität
ICF dient zur Beschreibung des negativen und positiven Funktions- und Strukturbild sowie Aktivitäts- und Teilhabebild einer Person mit einem Gesundheitsproblem
ICF =
Internationale Klassifikation der
Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit
(WHO, 2001)
Verwendung der ICF bei
Antragstellung
Antragsbegutachtung durch Reha-Kostenträger
Reha-Planung
Ergebnis-Darstellung
Qualitätsmanagement
Gesundheitsproblem(Krankheit wie in ICD-10)
Umweltfaktoren Persönliche Faktoren
KörperfunktionenKörperstrukturen
Aktivitäten Teilhabe
Bio-psycho-soziales Modell der ICF
modifiziert nach Schuntermann, vdr
Klassifikationskategorien der ICF
b = Körperfunktionen
c = Körperstrukturen
d = Aktivitäten/Teilhabe
e = Umweltaspekte
Personenbezogene Aspekte werden explizit erwähnt, nicht klassifiziert
Psychische Erkrankung/Behinderung
Funktion Aktivität Partizipation
Antrieb ADL sozialeAufmerksamkeit Kommunikation KontakteDenken AusbildungAffekt Arbeit
Wohnen
Persönliche und Umwelt-bezogene Kontextfaktoren
Auswirkungen und Folgen auf verschiedene Ebenender „funktionalen Gesundheit“ nach ICF durch
psychischeStörungen
Klassifikationsbeispiele ICF
b168.3 = stark ausgeprägte akustische Halluzinationend160.3 = starke Störung der
Aufmerksamkeitsfokussierung im Gespräch, als Folge der Ablenkung durch akustische Halluzinationen
e570+4 = Patient bezieht Arbeitslosengeld
Personenbezogene Aspekte werden nur erwähnt, nicht klassifiziert; z.B. Pat. ist zu einer Reha-Behandlung zur Zeit gut motiviert
Hibbeler B: Dt. Ärzteblatt 103;A512, 2006
„Rehabilitations-Richtlinie“: Qualifikation für Verordnung
www.g-ba.de
Dt. Ärzteblatt 102:A530-A532, 2005
Hibbeler B: Dt. Ärzteblatt 104;B612, 2007
Rehabilitations-Richtlinie
• ist ab 1. April 2007 verbindlich• gilt nur für medizinische Reha zu Lasten der
GKV• gilt nicht für DRV, AHB, Früh-Reha• Kosten für Kurs (8 Std.) ca. 120 EUR• verordnender Arzt muss auf dem aktuellen
Stand der Rehabilitationswissenschaft sein und über Kenntnisse der ICF verfügen
Methoden der Rehabilitation in der Psychiatrie
Psychoedukation
Bestandteil jeder psychotherapeutischen Intervention
Vermittlung von krankheits- und behandlungsrelevantem Wissen an Betroffene und Angehörige
„Psychose-Gruppe“
Familieninterventionen
Verhaltensanalyse
Kommunikationstraining
Problemlösestrategien
Verhaltensstrategien bei
spezifischen Problemen
Training sozialer Fertigkeiten
Konversationsfertigkeiten Berufliche Rehabilitation Wohnungssuche und Haushaltsführung Umgang mit Medikamenten Freizeitaktivitäten und Erholung Selbstversorgung und persönliche Hygiene Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel Zubereitung von Mahlzeiten Umgang mit Geld Umgang mit Behörden, Nutzung von Gemeindeeinrichtungen
Coping Skills-Training
Symptom-kontrollierende und
behinderungskompensierende
Bewältigungsstrategien
Spezifische Bewältigungsreaktionen im
Umgang mit der Krankheit
Sensibilisierung für individuelle Reaktionen
auf Stressoren
Kognitives Training
Einüben eingeschränkter kognitiver
Funktionen (Gedächtnis, Aufmerksamkeit)
Erlernen von Kompensations-
strategien (z.B. Gedankenstop)
Verbesserung der verbalen Kommunikation
Einüben sozialer Fertigkeiten
Interpersonelles Problemlösen
(z.B. Stress-Bewältigungs-Training)
kognitives Training verbessert
das Ergebnis von Arbeitsrehabilitation
R. Vauth et al., Schizophr. Bull.2005;31:55-66
Beispiel:
PC-gestütztes Trainingsprogramm
„Cogpack“
• Medizinische Angebote zur Arbeitsrehabilitation
• Angebote zur beruflichen Bildung
• Angebote zur beruflichen Eingliederung
• Langfristige Beschäftigungsangebote des
besonderen Arbeitsmarkts
Arbeitsrehabilitation (II)
• bisher meist „Train-and-Place“
• zukünftig „Place-and-Train“ mit Job Coach
• „supported employment“
• „individual placement and support“
• in kontrollierten Studien waren „supported
employment“ Ansätze erfolgreicher
(Twamley et al., J Nerv Ment Dis 2003;191:515)
• Übersicht bei Eikelmann et al.,
Dt. Ärzteblatt 2005;102:B929-B932
Arbeitsrehabilitation (III)
Arbeitsrehabilitation (IV): Prinzipien des „Supported Employment“
Grundprinzip Place – and –Train
Kompetitive Arbeit (mind. 20 Std./Woche, unter normalen Wettbewerbsbedingungen, die Anstellung ist kein Akt der Wohlfahrt!)
wenigstens Mindestlohn
Arbeitsort ist ein Betrieb des allgemeinen Arbeitsmarktes
zeitlich unbefristetes Arbeitsverhältnis
Langfristige Begleitung durch Job Coach
Quelle: H. Hoffmann, „Berufliche Rehabilitation“, in Rössler, Psychiatrische Rehabilitation, Springer Verlag 2004, S.333
Kognitives Training und Supported Employment
McGurk et al., Am J Psychiatr
2007;164:437-441
Intervention:24 Std. Cogpack-
Training
Kognitives Training und Supported Employment
McGurk et al., Schizophr Bull
2009;35:319-335
0
2550
75100
125
150175
200
nur Reha
Reha+CogPack
Ergebnisvergleich nacheinem Jahr
100%=nur Rehasignifikant für Teilnahme
an Praktika
Erfolgsdeterminanten der beruflichen Rehabilitation bei Schizophrenie
• Patientenvariablen (10% der Varianz)– Fehlen komorbider somatischer Störungen– Ausmaß kognitiver Einschränkungen– Ausmaß der Psychopathologie– Kein Einfluss: Abhängigkeitserkrankungen, Alter oder Geschlecht
• Umgebungsfaktoren (50% der Varianz) - Verfügbarkeit von Reha-Angeboten - Implementierung von effektiven Reha-Angeboten - Anreiz nach Berentung, an der Arbeitssituation etwas zu ändern
• Interventionen (40% der Varianz) - Supported Employment mit weitgehender Umsetzung der Prinzipien des Supported Employment („single best predictor of employment“) - Kognitives Training (insbes. in Verbindung mit Supported Employment) - Kein Einfluss: Verwendung atypischer Antipsychotika vs. typischer Antipsychotika
ERFOLGSRATEN (langfristige Beschäftigung im regulären Arbeitsmarkt): Supported Employment ca. 61% vs. Kontrollgruppe ca. 23%
Bond and Drake, Curr Opin Psychiatr 2008; 21: 362-369
Besonderheiten der Rehabilitation von Schizophrenie-Patienten
Fluktuierende Symptomatik im zeitlichen Verlauf
häufig lange Therapiedauer, z.B. 6-24 Monate
viele junge chronisch Kranke
medikamentöse Rückfallprophylaxe mit Antipsychotika
Negativsymptomatik und kognitive Funktionsstörungen
„Empowerment“ zur schrittweisen Überwindung von Selbt-Stigmatisierung und „gelernter Hilflosigkeit“ hin zu mehr Selbstwirksamkeitserwartung
Arbeitshilfe Reha psychisch Kranke
http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/Versorgung/2010-Arbeitshilfe-BAR.pdf
Weiterführende LiteraturArbeitshilfe für die Rehabilitation und Teilhabe psychisch kranker und behinderter
Menschen (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation)http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/Versorgung/
2010-Arbeitshilfe-BAR.pdf
ICF-Praxisleitfaden (mit Ausfüllbeispiel für Reha-Antrag) www.bar-frankfurt.de (Bereiche „Publikationen“, dann „Arbeitshilfen“)
W. Rössler (Hg.): Psychiatrische Rehabilitation; Springer Verlag, 2004; 914 S., EUR 119,95
Hilfe-Plan-Verfahren für psychisch Kranke inkl. Patientenvideos www.ibrp-online.de
ICF und Begleitdokumente www.deutscher-rentenversicherung.de (Bereich „Reha“) und www.dimdi.de
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Zusammenfassung I
Schizophrene Psychosen sind Erkrankungen mit relativ hohem Rückfallrisiko und der Gefahr einer Chronifizierung affektiver und kognitiver Defizite
Grundlage der Rehabilitation ist eine zumindest teilweise Remission oder Stabilisierung der Symptomatik durch Behandlung mit Antipsychotika
Nebenwirkungen der Antipsychotika-Therapie (EPS, Sedierung und Gewichtszunahme) können den Reha-Erfolg gefährden
Wichtig für die Rückfallprophylaxe ist die medikamentöse Compliance
Zusammenfassung II
Rehabilitation soll die Krankheitsbewältigung verbessern und zur weitgehenden Integration in das Arbeitsleben bei höchstmöglicher Lebensqualität und sozialer Stabilität führen
Zu den Rehabilitationsverfahren zählen u.a. Psychoedukation, Familienintervention, Coping Skills Therapie, Training sozialer Fertigkeiten, kognitives Training, Arbeitsrehabilitation und Massnahmen der sozialen Wiedereingliederung
Kognitive Trainingsverfahren verbessern den Reha-Erfolg nachweislich
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!