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Prozesse II: Frieden1
FriedenFrieden ist mehr als kein Krieg
Ein Wert [wie Freiheit, Gerechtigkeit, Wohlfahrt] Ein Prozess [politisch-ökonomisch-
gesellschaftlich Reduzierung des gewaltsamen Konfliktaustrags, zunehmende Gleichverteilung menschlicher Entfaltungschancen]
Ein Zustand [gerechter und gewaltfreier Interessenausgleich zwischen Konfliktparteien]
Eine Vision [Gemeinsamkeit der Überlebensbedingungen im nuklearen Zeitalter Friede der Menschen mit sich selbst und mit der gesamten Schöpfung]
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Frieden …… bedeutet im alltäglichen Verständnis die Abwesenheit von Krieg. Die Friedens- und Konfliktforschung fasst den Begriff jedoch weiter. Sie unterscheidet zwischen dem negativen Frieden als der Abwesenheit direkter, personaler, durch ein Subjekt-Objekt-Verhältnis gekennzeichneter Gewaltanwendung und dem positiven Frieden als der Abwesenheit indirekter, struktureller, d.h. in politischen, ökonomischen oder gesellschaftlichen Verhältnissen wurzelnder Gewalt. In strukturellen Gewaltverhältnissen lassen sich zwar noch die Objekte, in aller Regel aber nicht mehr die (Einzel-) Subjekte der Gewaltausübung konkret benennen; Gewalt – als Macht der gesellschaftlichen Verhältnisse – zeigt sich in Abhängigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung.
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Die erweiterten Begriffe von Gewalt und Frieden nach Johann
Galtung
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GEWALTGEWALT GEWALTGEWALT
FRIEDEN FRIEDEN FRIEDEN FRIEDEN
personale (direkte)
Abwesenheit von personaler Gewalt oder negativer Frieden
strukturelle (indirekte)
Abwesenheit von struktureller Gewalt oder positiver Frieden
Grundbegriffe
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MACHT
DIREKTE GEWALT
HERRSCHAFT
EINFLUSS ABHÄNGIGKEIT
STRUKTURELLE GEWALT
militärische Gewaltanwendung
(insbesondere ökonomische) Vor- und Nachteile
Der Friedensbegriff – eine Dauerbaustelle!
Das Kennzeichen beider Friedensbegriffe ist zunächst ihre Orientierung auf einen
politisch-gesellschaftlichen (Ideal-) Zustand, der – ähnlich wie der Begriff der
Gesundheit in der Medizin – durch das Nichtvorhandensein wie auch immer im
einzelnen definierter Störfaktoren beschrieben wird. Über diese Störfaktoren – etwa Gewalt, Not, Unfreiheit – lässt sich in Politik wie Wissenschaft Konsens relativ
einfach herstellen. 6
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NEGATIVER / POSITIVER FRIEDE
Friede als Zustand der politischen Ordnung beendet den Krieg, wird aber zugleich seinerseits durch kriegerische Auseinandersetzungen beendet. Krieg stellt eine von Zeit zu Zeit unausweichliche und funktional auf das Ziel des Friedens bezogene Form politischer Auseinandersetzung dar.
NEGATION
Friede als Nicht-Krieg (oder als Zwischenzeit zweier Kriege)
Ordnung des internationalen Systems bestimmt durch die Abwesenheit direkter Gewaltanwendung
Zustand innerhalb eines Systems grösserer Gruppen von Menschen, besonders von Nationen, in dem keine organisierte kollektive Anwendung von oder Drohung mit Gewalt stattfindet
Friede: Gegenbegriff zu Krieg und organisierter Gewaltanwendung
Der Friedensbegriff – eine Dauerbaustelle (2)
Die positiv-inhaltliche Definition dessen, was den (Ideal-) Zustand des Friedens ausmacht, trifft hingegen auf erhebliche Schwierigkeiten. Sie
hängt ab von den moralisch-ethischen Grundannahmen und Normen, von den
gesellschaftlichen und politischen Wertvorstellungen des Einzelnen oder der
Gruppe, die sich mit dem Inhalt des Friedensbegriffs jeweils auseinandersetzen. Folglich gibt es im Prinzip so viele positiv-
inhaltlichen Umschreibungen von Frieden, wie es Gesellschafts- und Politikmodelle,
Weltanschauungen, Glaubensbekenntnisse – und natürlich auch Friedenstheorien – gibt.
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Globale/regionale Friedenssicherung
Akteure und Konzepte
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Literaturtipp Peter Imbusch / Ralf Zoll (Hrsg.): Friedens- und
Konfliktforschung. Eine Einführung. 4., überarbeitete Auflage Wiesbaden: VS-Verlag 2006.
Ernst-Otto Czempiel: Friedensstrategien. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage Opladen 1998.
David Cortright: Peace. A History of Movements and Ideas. Cambridge 2008.
Antony Adolf: Peace. A World History. Cambridge 2009.
Javier Perez de Cuellar / Young Seek Choue (Hrsg.): World Encyclopedia of Peace. 8 Bände, 2. Auflage New York: Oceana 1999.
Lester Kurtz / Jennifer Turpin (Hrsg.): Encyclopedia of Violence, Peace, Conflict . 3 Bände, San Diego: Academic Press 1999.
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Friedensbegriff: Probleme
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→ INHALTLICHE Füllung der Leerformeln in politischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht
→ Friede als ZUSTAND vs. Friede als PROZESS
Geschichtlichkeit des Friedens und Offenheit für die Zukunft
Grundbedingung: Überleben der Menschheit
Indikatoren friedensfördernder Prozesse
Abbau von Not Aufhebung von NOT
Minderung von NOT Bewahrung der Natur
Soziale Gerechtigkeit
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Vermeidung von Gewalt
Prinzipieller Gewaltverzicht: Gewalt kein Mittel zum Frieden
Lehre vom gerechten Krieg: unter bestimmten Bedingungen Gewaltanwendung zur Herstellung von Frieden nötig
Verminderung von Unfreiheit
Überwindung von Unterdrückung und Entrechtung, Menschenrechte
Grundbedingung: Überleben der Menschheit
Schon aus dieser elementaren Bedingung des Friedens lassen sich die Indikatoren ableiten, an denen wir friedensfördernde von friedenshemmenden oder friedensgefährdenden Prozessen unterscheiden. Frieden ist mehr und anderes als die Sicherung menschlichen Lebens. Diese Qualität beschreiben wir durch die drei Indikatoren: Abbau von Not, Vermeidung von Gewalt, Verminderung von Unfreiheit.
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Die Grundbedingung des Friedens ist mit dem Überleben der Menschheit gegeben. Von Frieden zu reden, ist sinnlos, wenn das Leben auf diesem Planeten zerstört wird. Unfrieden zeigt sich dann aber vor allem in denjenigen Vorgängen, in denen das Leben auf der Erde bedroht, zerstört oder aufs Spiel gesetzt wird. Dies geschieht vor allem in drei Formen: in der Ausbeutung und Zerstörung der außermenschlichen Natur, im täglichen und massenhaften Hungertod von Millionen von Menschen und in der Gefährdung des Lebens durch militärische Mittel. Naturzerstörung, Hunger und Krieg sind diejenigen Vorgänge, von denen gelten muss, dass sie mit der Grundbedingung des Friedens: dem Überleben der Menschheit unvereinbar sind.
Indikator 1: Abbau von Not
In der Menschengeschichte war Not immer wieder ein auslösender Faktor gewaltsamer Auseinandersetzungen. Der Streit um knappen Lebensraum und knappe Ressourcen ist eine der wichtigsten Wurzeln kriegerischer Konflikte. Sich am Frieden zu orientieren heisst, nach der Vermeidung solcher Konflikte und nach dem Abbau der Not zu fragen. Vielen Weltreligionen ist gemeinsam, dass sie die geschichtliche Wirklichkeit aus der Perspektive der Armen, der Hungernden, der Rechtlosen, also derer ansehen, die im massivsten Sinn von Not betroffen sind. Die Aufhebung ihrer Not ist der Inhalt messianischer Verheißungen; die Minderung von Not und Unterdrückung ist das deutlichste Zeichen für eine Veränderung, die den Namen des Friedens verdient.
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Indikator1 : Abbau von Not
Der Indikator „Abbau von Not“ enthält heute notwendigerweise zwei Momente in sich. Zum einen setzt er voraus, dass es gelingt, die natürlichen Ressourcen zu bewahren, auf die Menschen um ihres Lebens willen angewiesen sind. Die Bewahrung der Natur ist damit eine Voraussetzung für den Abbau von Not. Zum anderen kann dieser nur in dem Mass gelingen, in dem die Ungerechtigkeit in der Verteilung materieller Güter und des Zugangs zu ihnen verringert wird; soziale Gerechtigkeit ist damit ein notwendiger Maßstab des Friedens.
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Indikator 2: Vermeidung von Gewalt
Kann die Drohung mit Gewalt oder gar ihr Einsatz heute noch dem Frieden dienen? Das ist einer der wichtigsten Streitpunkte, mit denen sich jede Friedensethik auseinanderzusetzen hat. Die Tradition der christlichen Friedensethik lässt sich so beschreiben, dass ihre repräsentativen Grundpositionen genau an dieser Frage auseinander treten. Während die Position des prinzipiellen Gewaltverzichts behauptet, dass Gewalt nie als Mittel zum Frieden verantwortet werden kann, beruht die Lehre vom gerechten Krieg auf der Überzeugung, dass unter bestimmten Bedingungen die Gewaltanwendung um des Friedens willen unausweichlich und gerechtfertigt sein kann. Doch beide Positionen stimmen darin überein, dass die Vermeidung und die Verminderung von Gewalt einen entscheidenden Indikator des Friedens bilden. ...
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Literaturtipp
James Turner Johnson: The Quest for Peace. Three Moral Traditions in Western Cultural History. Princeton, N.J. 1987.
James Turner Johnson: Just War Tradition and the Restraint of War. A Moral and Historical Inquiry. Princeton, N.J. 1981.
Michael Walzer: Gibt es den gerechten Krieg ? Stuttgart 1982.
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Indikator 3: Verminderung von Unfreiheit
Die Verminderung von Unfreiheit bildet den dritten Indikator des Friedens. Er muss deshalb genannt werden, weil Frieden nicht nur das faktische Überleben, sondern eine bestimmte Qualität menschlich-mitmenschlichen Lebens meint. Das lässt sich schon sprachgeschichtlich zeigen. Im Indogermanischen gehen die Worte „Frieden“ und „Freiheit“ auf die gleiche Wurzel „ pri“ zurück; zu ihrem Bedeutungsumkreis gehört : lieben, schonen, freundsein. Beide Worte bezeichnen also die besondere Qualität gelingenden gemeinsamen Lebens. Freiheit hat in dieser engen sprachgeschichtlichen Verbindung mit Frieden nicht jenen abgrenzenden, auf das vereinzelte Individuum bezogenen Ton, der aus der neuzeitlichen Entwicklung vertraut ist. Freiheit meint ein gegen Gewalt und Unterdrückung geschütztes Leben, in dem Menschen von ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten kraft eigener Entscheidung gemeinschaftlichen Gebrauch machen können.
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Demgegenüber hat der neuzeitliche Freiheitsbegriff die Selbständigkeit der einzelnen wie der Staaten als nebeneinander, ja nullsummenspielartig gegeneinander existierender Einheiten hervorgehoben [Freiheit von etwas versus Freiheit zu etwas – ein altes Problem der politischen Philosophie]. Der gesellschaftlich-kommunikative Aspekt der Freiheit trat unter den Bedingungen des sich entwickelnden Kapitalismus und eines ihm entsprechenden Besitzindividualismus in den Hintergrund. Gerade der kommunikative Charakter der Freiheit aber wird in Erinnerung gerufen, wenn der enge Zusammenhang von Frieden und Freiheit in reflektierter Weise zum Thema wird.
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Die Verminderung von Unfreiheit als Indikator des Friedens meint nicht eine Relativierung der Friedensaufgabe, wie sie in vielen Verwendungsweisen der Formel „Frieden in Freiheit“ mitschwingt und in der Aussage, es gebe Wichtigeres als den Frieden, entlarvend zum Ausdruck kommt. Dass die Verminderung von Unfreiheit als Indikator des Friedens anzusehen ist, bedeutet vielmehr, dass an der Überwindung von Unterdrückung und Entrechtung der friedensfördernde Charakter politischer Prozesse abzulesen ist. Damit aber wird die Verwirklichung der politischen wie der sozialen Menschenrechte zu einem wichtigen Kriterium einer Friedensethik ebenso wie zu einem unverzichtbaren Prüfstein einer erfolgreichen Friedenspolitik
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Literaturtipp
Wolfgang Huber / Hans-Richard Reuter: Friedensethik. Stuttgart 1990.
Kurt von Raumer: Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance. Freiburg 1953.
Gert Sommer/Albert Fuchs (Hrsg.): Krieg und Frieden: Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim 2004
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Idealtypisierend-vereinfachend lassen sich in der Entwicklung des Friedensgedankens zwei Argumentationsstränge herausschälen.
Friede wird entweder begriffen als kosmisches Ordnungsprinzip, als überhistorischer, gleichsam konzentrierter Ausdruck einer Weltordnung. Diese findet ihren letzten Flucht- und Legitimationspunkt erst in Gott, dann als Folge der Säkularisation des politischen Denkens nach der Reformationszeit in der allen Menschen natürlich gegebenen Vernunft.
Oder Friede wird begriffen als Ausdruck der menschlichen Willensüberzeugung, als ein rational begründbares politisches Kulturprodukt. Dieses bedarf der ausdrücklichen Stiftung durch ver-tragliche Vereinbarungen (Landfriedenseinungen, Gesellschaftsvertrag) ebenso wie des Schutzes durch die öffentliche Gewalt.
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Friede als natürlicher Zustand
Gestifteter Friede als Kulturprodukt
PAX als kosmisches Ordnungsprinzip
Friede resultiert aus Teilhabe an der Gnade Gottes: pax
christiana universalis perpetua mit deutlich eschatologischem
Charakter
PAX SPIRITUALIS
Pax et justitia als gesellschaft-liches Ordnungsprinzip
Friede als Nichtstörung der Rechtsordnung, Waffenruhe in der Fehde (tranquillitas
pacis) oder Befriedung besonderer Rechtsbezirke
(securitas pacis)
PAX CIVILIS
Säkularisierung: Emanzipation der Politik von der Ethik
Mit dieser dualen Argumentationsstruktur verbunden ist die Frage nach dem Verhältnis von Frieden und Gerechtigkeit, pax und iustitia: Entweder ist die Gerechtigkeit dem Frieden vorgeordnet, gilt Friede als ihre naturwüchsige Frucht. Oder die gesellschaftlich-politische Friedensordnung ist durch die Herrschaft der öffentlichen Gewalt erst herzustellen und zu sichern. Dann ist die Gerechtigkeit als Legitimationsprinzip einer gegebenen gesellschaftlichen Ordnung, die jedem das Seine zuteilt, dem Frieden nachgeordnet, auch ohne Frieden nicht zu verwirklichen.
Schließlich: im Kontext des ersten Argumentationszuges erscheint der Krieg als Unterbrechung, als Störung des naturwüchsigen Friedens. In der zweiten Traditionslinie ist der Krieg – Folge menschlichen Verfehlens und sündhafter Willensfreiheit – gleichsam der inner- und zwischengesellschaftliche Normalzustand. Friede ist Nicht-Krieg. 24
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Friede als natürlicher vorgesellschaftsvertraglicher Zustand
BELLUM RUPTURA PACIS
rationalistisch-naturrechtliche Begründung aus der
Vernunftbegabung des Menschen
Friede als Ergebnis des gesellschaftsvertraglich begründeten
Gewaltmonopols des Staates; pax civilis effectiva als innere und Rechtssicherheit
PAX ABSENTIA BELLI
gesellschaftsvertragliche Stiftung
Schon diese unterschiedlichen Positionen in der dualen Argumentationskette zeigen, dass es eine geschichtliche Epochen übergreifende, vom jeweiligen ethisch - normativen und / oder politisch-philosophischen Kontext losgelöste Allgemeindefinition von Frieden nicht gibt. Wenn überhaupt, lässt sich der Positivgehalt von Frieden nur im Rückgriff auf ein je bestimmtes Politik- und Gesellschaftsverständnis festlegen. Statt allgemeinverbindlich, wird der Begriff Frieden damit notwendigerweise politisch, fordert den Benutzer zur Überprüfung der eigenen Position, zu Zustimmung oder Ablehnung heraus. 26
Die Ausdifferenzierung des Friedensbegriffs
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Kriegsverhütung gesellschftl. Strukturänderung
komplexe ganzheitliche Modelle
Gleichgewicht der Macht/der Mächte
Abwesenheit
struktureller
Gewalt
Geschlechterfrieden Interkultureller Friede
Friede mit der Natur
Spiritueller innerer Friede
Umwelt
Kultur
Transnational
Zwischenstaatlich
Innerstaatlich
Innergesellschaftlich
Familie/Individuum
Innerer Friede
FRIEDE
Abwesenheit militärischer Gewaltanwendung
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Friede als Prozess Dem Dilemma einer gleichsam konstruktivistischen, je epochenmässig inhaltlich differenten Verortung von Krieg und Frieden sucht die Friedens- und Konfliktforschung seit den 80er Jahren dadurch zu entgehen, daß sie Frieden weniger als (Ideal-) Ziel oder Zustand gesellschaftlichen Handelns begreift, sondern als einen in der Geschichte sich entwickelnden Prozess. In diesem Prozess geht es um die Institutionalisierung dauerhafter, gewaltfreier Formen der Konfliktbearbeitung, nicht allerdings - manch landläufigem Verständnis zuwider - um die Abschaffung des Konfliktes als einer gesellschaftlichen Verhaltensweise an sich.
Vielmehr soll die Bearbeitung von Konflikten durch kontinuierliche Verrechtlichung ihrer Austragungsweise zivilisiert werden. Durch zunehmende Gewaltfreiheit des Konfliktaustrags eröffnet sich die Chance zum Abbau von Gewaltsamkeit zunächst im Binnenverhältnis der Einzelgesellschaften, sodann aber auch in der internationalen Politik, im Verhältnis der staatlich verfassten Einzelgesellschaften untereinander.
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Entwicklungsphasen der Prädizierung des Friedensbegriffs
30
Entstehungszeit 50er / 60er Jahre70er / frühe 80er
JahreSpäte 80er / 90er
Jahre
negativer Friede positiver FriedeFriede als
Zivilisierungsprojekt
Friedensbegriff
Abwesenheit direk-ter,
insbesondere organisierter militärischer
Gewaltanwendung
Abwesenheit direkter und
struktureller Gewalt
institutionalisierte gewaltfreie
politische und soziale Interaktion
Merkmal raumzeitlicher Zustandgesellschaftlicher
Prozess
Ansatz-ebene
internationale Beziehungen in
der machtkonkurrenz-
geprägten Staatenwelt des
Ost-West-Konflikts
Individuen als Grundeinheit inner-
und zwischengesellschaft-licher Beziehungen
transnationale Vernet-zung
politischer, sozio-ökonomischer, kultu-
reller und ökologischer Beziehungen, interak-tive
Verflechtung inner- und
zwischengesellschaft-licher
Lebensbereiche
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Ansatz-schwerpunkt
national, regional;
Einhegung und Verhinderung militärischer
Konflikte
transnational, global;
Identifikation mit den Opfern
struktureller Gewalt
Transformation des Verhaltens von Kollektiven in
Konfliktsituationen in Richtung auf
zuneh-mend gewaltfreie
Konfliktbearbeitung
Gegenbegriff Krieg Gewaltgewaltförmiger Konfliktaustrag
Entstehungszeit 50er / 60er Jahre70er / frühe 80er
JahreSpäte 80er / 90er
Jahre
negativer Friede positiver FriedeFriede als
Zivilisierungsprojekt
Entwicklungsphasen der Prädizierung des Friedensbegriffs
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Nachhaltiger Friede•Gewaltfreiheit
•Selbsterhaltung
•Innere/Äussere Legitimation
•Konstruktive Konfliktransformation
politische Demokratisierung
Wirtschaftl. Wiederaufbau
Wiederherstellung des Rechtsstaats
Erziehung und Ausbildung, Gesundheitswesen/-vorsorge Ökologisches Gleichgewicht
Änderung des moralisch-politischen Klimas
Verheilung der Wunden der Vergangenheit
Engagement für die Zukunft
Versöhnung der Werte
Entwicklung eines Wir-Gefühls und multipler Loyalitäten
Mediation,
Verhandlung,
Schlichtung,
Streitbegleitung
Versöhnung
Sicherheit
Abrüstung
Rüstungskontrolle
PRÄVENTION
Wiederaufbau Versöhnung(Reconstruction) (Reconciliation)
Friedensschaffung (Peace Building)
Friedenswahrung (robustes)
Peace Keeping
Literaturtipp
Astrid Sahm u.a. (Hrsg.): Die Zukunft des Friedens. Eine Bilanz der Friedens- und Konfliktforschung. Wiesbaden 2002.
Egbert Jahn u.a. (Hrsg.): Die Zukunft des Friedens. Band 2: Die Friedens- und Konfliktforschung aus der Perspektive der jüngeren Generation. Wiesbaden 2005.
Ulrich Eckern u.a. (Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme. Wiesbaden 2004.
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Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden
I
35
Epoche Kriegsform Charakteristi
k Politische
Organisation Ökonomische Struktur
Friedensideen
Mittelalter Individua-
lisiert
Fehde, Ritterlicher Zweikampf
Lehnswesen, Feudalsystem Herrschaft im Personen-
verband
Grundherr-schaft,
Fernhandel, Zunft- und
Verlagswesen
Gottesfrieden, Landfrieden (als
personale, temporale, regionale
Exemptionen)
Renaissance
Kommerzia-lisiert
Söldnerheere,
Schusswaffen
Radizierung von
Herrschaft im Prozess
der Territoriums-
bildung
Frühkapita-lismus,
Mittelmeer- und
Orienthandel
Ausbildung eines verbindlichen
Rechtssystems im Innern und
Einschränkung des ius ad bellum
im Aussenverhältnis
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden
II
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Epoche Kriegsform Charakteristi
k
Politische Organisatio
n
Ökonomische Struktur
Friedensideen
Neuzeit Etatisiert,
systematisiert
Übergang zu stehenden
Heeren, Einheitlichkei
t von Uniformie-rung und
Ausbildung
Territorial-staat,
Ständestaat
Manufaktur, Entdeckun-
gen, Übersee-handel,
Kolonialismus
Zivilisierung des Krieges durch
Kodifizierung und Einhegung des
ius in bello
Absolutismus
Bürokra-tisiert
Staatsheere und
(dynastische) Kabinetts-
kriege
Anstaltlich-bürokratisch verfasster Flächenstaa
t
Steigerung der
staatlichen Wirtschafts- (und Militär-) Potenz durch Merkantilism
us
Rechtsstaat als Überwindung despotischer
Regierungsformen; Freihandel
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden
III
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Epoche Kriegsform Charakteristi
k
Politische Organisatio
n
Ökonomische Struktur
Friedensideen
Französische Revolution
(Radikal-) Demokra-
tisiert
Levée en Masse,
Völkerkriege Republik
Kriegswirt-schaft,
Kontinental-sperre,
merkantilisti-sche
Autarkie
Demokratisierung von Herrschaft als
Teilhabe der Bürger an Entscheidungen
über Krieg und Frieden
19. Jahrhundert
Industria-lisiert
Wehrpflicht-Armee;
generalstabs-mäßig
geplan-te Massen
mobilisierung;
Intensivierung der
Mobilität (Eisenbahn)
und der Kontrolle
(Telegraph)
Konstitu-tionalismus
Industriewirt-schaftlich geprägter liberaler
Kapitalismus
Förderung der internationalen Arbeitsteilung;
Freihandel
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden
IV
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Epoche Kriegsform Charakteristi
k
Politische Organisatio
n
Ökonomische Struktur
Friedensideen
20. Jahrhundert
Totalisiert
Volkskrieg unter
Einschluss der
Zivilbevöl-kerung
Parlamentarismus und Demokratie; Totalitäre
Regime
Finanzkapita-lismus mit
sozialstaat- lichen
Momenten
Individueller Widerstand gegen
den Krieg als Pazifismus
nach 1945
Nuklearisiert Bedrohung
der gesamten Schöpfung
Wie vorSozial- oder Daseinsvor-sorgestaat
Gesellschaftlicher Widerstand gegen
den Krieg: Anti-Atomtod/
Friedensbewegungen
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden
V Epoche: nach dem Ende des Ost-West-Konflikts Kriegsform: Neue Kriege Charakteristik: Entstaatlichung des Krieges,
Privatisierung der innergesellschaftlichen wie zwischengesellschaftlichen Gewaltanwendung
Politische Organisation: Vermischung staatlicher und substaatlicher, öffentlicher und privater Formen von Herrschaft und Machtausübung (Warlords, Mafiagang-Territorien, ethnische Mini-Republiken etc.)
Ökonomische Struktur: Bürgerkriegs- und Mafiaökonomien vermitteln zwischen lokaler/regionaler Ausbeutung von Ressourcen und prädatorischer Aneignung nicht selbst geschaffener (Mehr-) Werte und der Mobilisierung von Fluchtkapital oder (gewaschenem) Schwarzgeld und der Realisierung von Profiten im globalen Masstab
Friedensidee: Noch unbestimmte Entwicklung zwischen den Polen des Post Conflict Peace Building gestützt auf Zivilgesellschaft, Third Track Diplomacy, NGOs etc. und Global Governance andererseits
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Struktureller Friede Demokratischer Friede
System
Zivilisierung des Konfliktaustragsinstitutionalisiertes Netzwerk kooperativer, berechenbarer, transparenter, wechselseitig erwartungsverläßlicher Akteursbeziehungen als Voraus-setzung anhaltender friedlicher Koexistenz und konstruktiver Konfliktbearbeitung
Durch Interdependenz hochverdichtete Kooperation in internationalen Organisationen als Voraussetzung einer pluralistischen Sicherheits- bzw. Friedensgemeinschaft gekennzeichnet durch Vertrauen, Symmetrie, Gerechtigkeit als Voraussetzungen integrativer Regulierung von Konflikten zwischen liberalen Demokratien
Akteur
1. Entprivatisierung der Gewaltan-wendung: Gewaltmonopol
2. Kontrolle des Gewaltmonopols: Rechtsstaatlichkeit
3. Herausbildung großflächig angelegter Verflechtungen: Interdependenz und Affektkontrolle
1. Demokratisierung2. Gewaltenteilung3. Rechtsstaatlichkeit4. Pluralismus5. Demokratische politische Kultur
Indivi-duum
1. Demokratische Partizipation2. Soziale Gerechtigkeit3. Empathie,
kompromißorientierte Konfliktfähigkeit, Verinnerlichung von Spielregeln: konstruktive politische Konfliktkultur bzw. -bearbeitung
1. Integration2. Gemeinschaftssinn3. Lösung sozialer Probleme durch
Prozeduren friedlichen Wandels4. Gewaltfreiheit: Konfliktbearbeitung mit
Hilfe institutionalisierter Prozeduren im Geist gegenseitiger Kompromißbereitschaft
40
41
Krieg und Frieden im Lichte exemplarischer IB-
Großtheorien
42
(klassische) Völker-
rechtslehre
klassischer Liberalis-
mus
Demokrati-scher Libe-ralismus
MarxismusIdealismu
sRealismus
AkteurSouveräne Staaten
(wirtschaf-tende)
Individuen
(Staats-) Bürger und
Völker
sozioökono misch
definierte Klassen
Indivi-duen
National-staaten
Konflikt-natur
(quasi-) objektiv
subjektiv subjektiv objektiv subjektiv(quasi-) objektiv
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(klassische) Völker-rechtslehr
e
klassischer Liberalismus
Demokrati-scher Liebe-
ralismus
Marxismus Idealismus Realismus
Entschei-dende
Konflikt-gründe
jus ad bellum der Souveräne
, Erwägun-gen der Staats-raison
irrationale Verhaltens-weisen der
Regierungen, insbes.
Eingriffe in das freie Spiel der
Markt-kräfte und
Förderung partikularerInteressen
despotisch- undemokra
-tische Verfassung
der Staaten
private Verfügung
über Produk-
tionsmittel; Klassen-kampf
Unver-nunft,
Vorurteil, mangelnde Kennnis
der Absichten anderer
Machttrieb, Sicherheits-dilemma,
Sicht der iB als Null-
summen-spiel um Macht,
Ressourcen, Einfluss
Beziehung der
Akteure
(positiv-)völker-
rechtliche Gleich-
ordnung
Naturrecht-lich verbürgte Gleichheit bei
objektiver Interessen-harmonie
Vernunft-rechtlich
legitimierte Gleichheit
im jus cosmopo-
liticum
Abhängig-keit,
Ausbeutung
Asymmetrie
Gleichheit, assoziativ
e Symmetri
e
Völkerrecht-liche
Gleichheit,
dissoziative macht-
politische Schichtung
44
(klassische) Völker-
rechtslehre
klassischer Liberalism
us
Demokrati-scher Libe-ralismus
Marxismus Idealismus Realismus
Friedens-ziel
rechtliche Einhegung des Krieges
als legitimer Form des Verkehrs
der Souveräne
unterei-nander
(freie) Welt-
(Handels-) Gesell-schaft
rechtlich verfasste internatio-
nale Staaten-
gesellschaft mit genos-senschaft-
licher Orga-nisations-struktur
klassenlose Gesellschaft
Weltgesell-schaft als
kosmopoli-tische
Gemein-schaft aller Individuen
negativer Friede:
Abwesen-heit
militäri-scher
Gewalt-anwendung
zwischen Staaten
Mittel zum Frieden
Diplomatie, Interessen-ausgleich, friedlicher Wandel,
Weiterent-wicklung
des Kriegs-völkerrecht
s durch Konsens
und Usus
freie Marktwirt
schaft, Freihandel
, Internatio-
nale Arbeits-teilung,
Koopera-tion
Rechts-staatliche
und gewalten-
teilige Verfassung der Staaten,
Teilhabe der
Staatsbür-ger an
Entschei-dungen
über Krieg & Frieden
Aufhebung der Ausbeu-
tung und der privaten Ver-fügung
über Produktions-mittel; mit
dem Klassen-
gegensatz in den
Nationen fällt die
Feindschaft der
Nationen gegenei-nander
Aufklärung, Konflikt-
Schlichtung, Streit-
Beilegung, internatio-nale Orga-nisation, kollektive Sicherheit, Integration
Ab-schreckung, Gleichge-wicht der
Macht, kollektive Verteidi-
gung
45
(klassische) Völker-rechtslehr
e
klassischer Liberalis-
mus
Demokrati-scher Liebe-
ralismus
Marxismus Idealismus Realismus
Grundein- stellung
hinsichtlich der Verwirk-lichung des Friedens
(gemäßigt) optimis-
tisch
(determini- stisch)
optimistisch
(gemäßigt) optimistisc
h
determinis-tisch
optimistisch
optimistisch
Pessimis-tisch
Friede als Zustand – Friede als Prozess
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Frieden bedeutet im alltäglichen Verständnis die Abwesenheit von Krieg. Die Friedens- und Konfliktforschung fasst den Begriff jedoch weiter. Sie unterscheidet zwischen dem negativen Frieden als der Abwesenheit direkter, personaler, durch ein Subjekt-Objekt-Verhältnis gekennzeichneter Gewaltanwendung und dem positiven Frieden als der Abwesenheit indirekter, struktureller, d.h. in politischen, ökonomischen oder gesellschaftlichen Verhältnissen wur-zelnder Gewalt. In strukturellen Gewaltverhältnissen lassen sich zwar noch die Objekte, in aller Regel aber nicht mehr die (Einzel-) Subjekte der Gewaltausübung konkret benennen; Gewalt – als Macht der gesellschaft-lichen Verhältnisse – zeigt sich in Abhängigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung.
Das Kennzeichen beider Friedensbegriffe ist zunächst ihre Orientierung auf einen politisch-gesellschaftlichen (Ideal-) Zustand, der – ähnlich wie der Begriff der Gesundheit in der Medizin – durch das Nichtvorhandensein wie auch immer im einzelnen definierter Störfaktoren beschrieben wird. Über diese Störfaktoren lässt sich in Politik wie Wissenschaft Konsens relativ einfach herstellen. Die positiv-inhaltliche Definition dessen, was den (Ideal-) Zustand des Friedens ausmacht, trifft hingegen auf erhebliche Schwierigkeiten. Sie hängt ab von den moralisch-ethischen Grundannahmen und Normen, von den gesellschaftlichen und politischen Wertvorstellungen des Einzelnen oder der Gruppe, die sich mit dem Inhalt des Friedensbegriffs jeweils auseinandersetzen. Folglich gibt es im Prinzip so viele positiv-inhaltlichen Umschreibungen von Frieden, wie es Gesellschafts- und Politikmodelle gibt.
Gleichwohl lassen sich idealtypisierend-vereinfachend in der Entwicklung des Friedensgedankens zwei Argumentationsstränge herausschälen.
1.Friede wird entweder begriffen als kosmisches Ordnungsprinzip, als überhistorischer, gleichsam konzentrierter Ausdruck einer Weltordnung. Diese findet ihren letzten Flucht- und Legitimationspunkt erst in Gott, dann als Folge der Säkularisation des politischen Denkens nach der Reformationszeit in der allen Menschen natürlich gegebenen Vernunft.
2.Oder Friede wird begriffen als Ausdruck der menschlichen Willensüber-zeugung, als ein rational begründbares politisches Kulturprodukt. Dieses bedarf der ausdrücklichen Stiftung durch vertragliche Vereinba-rungen (Landfriedenseinungen, Gesellschaftsvertrag) ebenso wie des Schutzes durch die öffentliche Gewalt.
Mit dieser dualen Argumentationsstruktur verbunden ist die Frage nach dem Verhältnis von Frieden und Gerechtigkeit: Entweder ist Gerechtigkeit dem Frieden vorgeordnet, gilt Friede als ihre naturwüchsige Frucht. Oder die gesellschaftlich-politische Friedensordnung ist durch die Herrschaft der öffentlichen Gewalt erst herzustellen und zu sichern. Dann ist die Gerechtig-keit als Legitimationsprinzip einer gegebenen gesellschaftlichen Ordnung dem Frieden nachgeordnet, auch ohne Frieden nicht zu verwirklichen.
Schließlich: Im Kontext des ersten Argumentationszuges erscheint Krieg als Unterbrechung/Störung des naturwüchsigen Friedens. In der zweiten Tradi-tionslinie ist der Krieg – Folge menschlichen Verfehlens und sündhafter Willensfreiheit – gleichsam der inner- und zwischengesellschaftliche Normalzustand. Friede ist Nicht-Krieg.
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Schon diese unterschiedlichen Positionen in der dualen Argumentationskette
zeigen, daß es eine geschichtliche Epochen übergreifende, vom jeweiligen
ethisch-normativen und/oder politisch-philosophischen Kontext losgelöste
Allgemeindefi-nition von Frieden nicht gibt. Wenn überhaupt, läßt sich der
Positivgehalt von Frieden nur im Rückgriff auf ein je bestimmtes Politik- und
Gesellschaftsver-ständnis festlegen. Statt allgemeinverbindlich wird der
Begriff Frieden damit notwendigerweise politisch, fordert den Benutzer zur
Überprüfung der eigenen Position, zu Zustimmung oder Ablehnung heraus.
Diesem Dilemma sucht die Friedens- und Konfliktforschung neuerdings
dadurch zu entgehen, dass sie Frieden weniger als (Ideal-)Ziel oder Zustand
gesellschaftli-chen Handelns begreift, sondern als einen in der Geschichte sich
entwickelnden Prozess. In diesem Prozess geht es um die Institutionalisierung
dauerhafter, gewaltfreier Formen der Konfliktbearbeitung, nicht allerdings –
manch landläufigem Verständnis zuwider – um die Abschaffung des Konfliktes
als einer gesellschaftlichen Verhaltensweise an sich. Vielmehr soll die
Bearbeitung von Konflikten durch kontinuierliche Verrechtlichung ihrer
Austragungsweise zivili-siert werden. Durch zunehmende Gewaltfreiheit des
Konfliktaustrags eröffnet sich die Chance zum Abbau von Gewaltsamkeit
zunächst im Binnenverhältnis der Einzelgesellschaften, sodann aber auch in
der internationalen Politik, im Verhältnis der staatlich verfassten
Einzelgesellschaften untereinander.
48
Friede als Zivilisierung des Konfliktaustrags
Zumindest im europäisch-atlantischen Raum läßt sich der Prozess der Zivilisierung
des Konfliktaustrags zweifach beispielhaft fassen: Einmal in der Entwicklung des
Staates zum unbedingten Friedensverband. Zum anderen in der Entwicklung des
Völkerrechts als Mittel zur Einhegung und Verrechtlichung des Krieges:
Voraussetzung der Wandlung des Friedens von einem labilen Zustand
vorübergehend ruhender zwischenstaatlicher Gewalttätigkeit zum Ergebnis eines
Prozesses, in dem sich zunehmend von der Anwendung organisierter militärischer
Gewalt befreite Formen internationaler Konfliktbearbeitung durchsetzen.
Die Entwicklung des (früh-) neuzeitlichen Staates zum Friedensverband steht in
enger Verbindung zur gebietsrechtlichen Verfestigung politischer Herrschaft, wie sie
im Wandel des feudalen Personenverbandsstaates des hohen Mittelalters zum
institutionellen Flächenstaat der frühen Moderne greifbar wird. Mit der
Delegitimierung der mittelalterlichen Fehde als Mittel rechtlicher Selbsthilfe, dem
Aufbau eines landesherrlichen Gerichtswesens, dem Abschluß von
Landfriedenseinungen und der Durchsetzung der Verkehrswegesicherheit bilden die
Fürsten seit dem 14. / 15. Jahrhundert ihre Landesherrschaft als Friedensraum aus
und setzen in den Grenzen ihrer Territorien öffentliche Sicherheit und Rechtsfrieden
durch.
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Erst dieser innere Friede garantiert die Unverletzlichkeit der Person und des Eigentums,
damit aber auch die rationale Planbarkeit und Berechenbarkeit des Wirtschaftshandelns.
Territorialherrschaft und Sicherheitsgarantie, Rechtssicherheit und innerer Friede legiti-
mieren Existenz und Handeln des modernen Staates. Fassbar im Anspruch auf
Souveräni-tät und in der erfolgreichen Behauptung des Monopols legitimer physischer
Gewaltsamkeit im Staatsinnern, schließt sich der territoriale Friedensverband seit dem
17. Jahrhundert gegen andere gleichartige räumlich-politische Einheiten durch feste
Grenzen ab. Damit wird nicht nur die begriffliche Scheidung von ‚innen‘ und ‚außen‘, von
Innen- und Internationaler Politik ermöglicht. Vielmehr wird auch deutlich, dass der
innere Frieden mit dem äußeren Unfrieden notwendigerweise Hand in Hand geht: Denn
die Staaten erkennen aufgrund ihres Souveränitätsanspruchs im Außenverhältnis keine
ihnen übergeordnete, Recht, Ordnung und Frieden in der Staatengesellschaft vermittels
eines Gewaltmonopols durchsetzende Autorität an.
Für die internationale Politik wird damit zur Gestaltungsaufgabe, in Analogie das
nachzuholen, was die Staaten der Moderne im Binnenverhältnis bereits hinter sich
haben: die Entwicklung institutionalisierter Verfahren immer gewaltärmerer, schließlich
dann gewaltfreier Konfliktbearbeitung. Mit Blick auf das Kriegsvölkerrecht ist dieses
größten-teils gelungen: der Delegitimierung der Fehde als Mittel der Selbsthilfe
entspricht die Einschränkung der legitimen Gründe zum, dann die Kodifizierung des
Rechts im Kriege, schließlich das völlige Verbot zwischenstaatlicher Gewaltanwendung
durch Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta. Mit Blick auf die zentrale Leistung des territorialen
Friedensverbands jedoch – Garantie der (Rechts-) Sicherheit durch Behauptung des
Monopols legitimer physischer Gewaltsamkeit – wird zugleich deutlich, welch weiten
Weg die internationale Politik bis zur analogen Verwirklichung eines solchen (Friedens-)
Zieles noch zu gehen hat.
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Literaturhinweise(zur eingehenden Diskussion der inhaltlichen Bestimmungen von
‚Frieden‘) Ernst-Otto Czempiel: Friedensstrategien.
Systemwandel durch Internationale Organisationen, Demokratisierung und Wirtschaft, Paderborn 1986.
Reinhard Meyers: Begriff und Probleme des Friedens, Opladen 1994.
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