Post on 17-Sep-2018
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4. Bericht der Freiwilligen
Laura Durst
Projekt EIFODEC, Cochabamba, Bolivien
Februar - März 2017
Liebe Familie, Freunde, Unterstützer und Interessierte,
als Freiwillige, besonders in der Vorbereitungszeit, hört man immer wieder: „Nach einem halben Jahr
fängt das Leben im Dienst erst richtig an“. So richtig nachvollziehen konnte ich das nicht, denn ich
kannte mich in meiner Umgebung doch recht schnell aus, fand gut Kontakt zu anderen und konnte mich
schnell in die neue Kultur einfinden. Dachte ich. In gewisser Weise war das auch so, aber erst jetzt kann
ich von mir behaupten, dass ich voll und ganz hier bin. Ich konnte mir Vieles aufbauen und bin stolz auf
das, was ich mir erarbeitet habe. Das Leben hier, was mich von Anfang an schon begeistert hat, läuft
jetzt in seinen Bahnen.
FERIA DE ALACITAS
Das erste Wochenende im Februar ging es für mich nach La Paz, um die ‚Feria de Alacitas‘ zu besuchen.
Dies ist ein Markt in der Innenstadt, auf dem einmal im Jahr allerlei Dinge in Miniatur verkauft werden,
wie zum Beispiel Häuser, Tiere, Lebensmittel, Autos, Pässe und weiteres. Jedes dieser Dinge hat eine
symbolische Bedeutung und steht für etwas, das man sich in der Zukunft erhofft. Davon hatte ich vorher
schon viel gehört und freute mich deshalb sehr, als es klappte und ich ihn besuchen konnte.
Freitagnacht reiste ich mit dem Nachtbus von Cochabamba los und stieg morgens in El Alto aus, um
meine Mitfreiwillige Pauline zu treffen. Gemeinsam mit ihrer Gastfamilie frühstückten wir, bevor es mit
dem Teleférico runter nach La Paz ging. Erst schlenderten wir etwas durch die Stadt, bis wir gegen
Mittag auf den Markt kamen. Es
gab wirklich eine unglaubliche
Auswahl und alles Mögliche,
was man sich vorstellen kann,
in klein. Wir kauften uns
Uniabschlüsse für das, was wir
später mal studieren wollen
und beschenkten uns
gegenseitig mit Tieren. Jedes
Tier steht für etwas, aber man
darf es sich nicht selbst kaufen,
sondern muss es geschenkt
bekommen.
Der kurze, aber dennoch wirklich schöne Besuch machte mir wirklich Freude, auch weil ich Pauline
wieder sehen konnte und mir La Paz als Stadt unheimlich gut gefällt. Nach einem Abendessen ging es für
mich zurück ans Bus-Terminal, um wieder in einem der Nachtbusse zurück nach Cochabamba zu fahren,
somit war ich dann am Sonntagmorgen auch schon wieder zu Hause.
CARNAVAL
Der Carnaval gehört für mich jetzt zu einem meiner liebsten Highlights, von all dem, was ich hier in
Bolivien erleben durfte. Eine riesengroße Feier, die sich über mehrere Wochen zog und immer wieder
mehr bot. Dabei gab es viele kleine Ereignisse - und um nichts durcheinander zu bringen, alles auf
Anfang:
Anfang Februar begann schon in Cochabamba die Vorfreude auf den Carnaval. Für jeden Carnaval wird
nämlich eine ‚Reina de Carnaval‘ gesucht, das heißt: die Schönheitskönigin der Karnevals. Dafür wählt
jede Fraternidad, also jede Tanzgruppe, die auch an Carnaval selbst antreten wird, ein Mädchen aus.
Auch meine Fraternidad stellte ein Mädchen und somit fieberten wir lange auf die Wahl hin. Vor dieser
Wahl gab es natürlich etliche Präsentationen, bei der sich die Kandidatinnen schon einmal vorstellen
mussten. Eine dieser Präsentationen fand auf einem bekannten Platz in Cochabamba statt und wurde
auch vom bolivianischen Fernsehen begleitet. Es war eine riesen Ehre für mich, als meine Fraternidad
beschloss, dass ich sie gemeinsam mit weiteren Tänzern aus unserer Gruppe dabei begleiten sollte.
Ehrlich gesagt war ich dabei sehr nervös, aber es war ein wirklich tolles Gefühl, als dann sogar der
Bürgermeister aus Cochabamba mit uns auf die Bühne kam, um spontan mitzutanzen. Eine Woche
darauf gab es dann auch schon die Wahlen, die in einem großen Eventsaal stattfanden. Jede Gruppe
präsentierte sich von ihrer besten Seite und wirklich jede einzelne Reina gab voll und ganz ihr Bestes, um
den begehrten Titel zu erhalten. Es gab mehrere Durchläufe und das Ganze zog sich bis spät in die
Nacht. Am Ende gewann leider nicht die Kandidatin meiner Fraternidad, aber dennoch war es eine
unglaublich spannende Erfahrung, das ganze Spektakel miterlebt zu haben!
Die folgenden Wochen waren ganz besonders geprägt von den Donnerstagen. Am ersten Donnerstag
fand der ‚Tag der Compadres‘ statt und am folgenden Donnerstag der ‚Día de las Comadres‘. Dies sind
Tage, an denen es ganz legitim ist, am jeweiligen Tag als Mann oder Frau komplett durchzudrehen.
Dabei gibt es ganz spezielle Feste, auf die dann nur das jeweilige Geschlecht darf. Zudem bekommen
diejenigen an dem Tag auch noch (fast) alles was sie wollen.
Diese Abende verbrachte ich zusammen mit meiner Tanzgruppe. Am ‚Compadres‘, also dem Tag für die
Männer, schmückten wir
die Männer der Reihe
nach mit Luftschlangen,
Konfetti, Tröten und
kochten etwas für sie und
brachten auch die
Getränke mit. An dem
folgenden ‚Comadres‘
machten die Jungs
selbstverständlich
dasselbe auch für uns, und
so verbrachten wir
gemeinsam schöne
Abende.
Viel schneller als gedacht, kam dann auch schon der ‚Carnaval de Oruro‘. Oruro ist eine relativ kleine
Stadt, die aber für eins sehr bekannt ist: Ihren Carnaval! Ganz Bolivien (fast) kommt an diesen Tagen
dort zusammen, um den 48 Stunden
dauernden Carnaval miterleben zu
können. Nach dem Carnaval in Rio de
Janeiro ist der in Oruro der zweitgrößte
in ganz Südamerika, also wirklich riesig!
Sehen von den ganzen Paraden konnte
ich nur einzelne Stunden, denn
gemeinsam mit weiteren aus meiner
Gruppe tanzten wir sogar selbst dabei
mit. Noch nie habe ich so viele
Menschen bei einer Entrada gesehen.
Der komplette Weg ist mit Tribünen an
den Seiten ausgestattet, auf denen die
Menschen scharenweise sitzen. Mit etwas Pech, das durch viele Verzögerungen beim Einlass der
Gruppen passierte, wurden wir eine der Nachtgruppen. Das heißt, um 2.30 Uhr morgens fingen wir
schließlich erst an zu tanzen, und die kalten Temperaturen und der Nachtregen in Oruro machten es uns
wirklich nicht leicht. Deswegen waren wir auch sehr erleichtert, als wir gegen 6.30 Uhr den Endpunkt
erreichten. Dieser ist die Kathedrale von Oruro, in die man anschließend auf Knien eintreten muss, um
der Virgen de Socavón, der Schutzpatronin von Oruro, zu versprechen, im Laufe des Lebens mindestens
dreimal für sie zu tanzen. Aus der Kathedrale heraus gaben wir nochmal unsere besten Schritte vor dem
Publikum. Es war wirklich ein magischer Moment, als genau da die Sonne aufging.
Nach diesem Wochenende gab es bis Dienstag erst einmal frei. An diesen Tagen steht aber nichts still,
im Gegenteil. Der Montag war der Tag der ch’alla
der öffentlichen Plätze, Dienstag der der Häuser und
Mittwoch der Märkte. Dies hatte ich gar nicht so
wirklich mitbekommen, bis mein Gastvater am
Dienstagmorgen plötzlich kleine Raketen in unserem
Innenhof losließ, jede einzelne Tür mit Ballons und
Luftschlangen schmückte und überall, wirklich
überall, Konfetti und Blütenblätter verteilte. Dazu
gab es das spezielle Carnavalsgericht und so feierten
wir den ganzen Tag das Haus, in dem wir gemeinsam
wohnen.
Den folgenden Samstag ging es dann auch direkt
wieder weiter, der ‚Corso de Corso‘, der Carnaval
der alljährlich in Cochabamba stattfindet, stand an.
Auf eines sind die Cochabambinos dabei besonders
stolz: Oruro hat zwar die bekannteste Feier, die
Strecke in Cochabamba ist dafür aber länger. An
diesem Tag durfte ich gleich zweimal antreten.
Morgens tanzte ich gemeinsam mit meiner Schule
EIFODEC durch die Straßen, zu Liedern, die wir dafür
speziell einstudiert hatten und abends mit meiner
Tanzgruppe der Caporales. Dass mir an diesem
Abend wirklich alles weh tat und ich sehr schnell in mein Bett gefallen bin, muss ich wohl nicht
erwähnen…
Nach diesen aufregenden Wochen muss ich eins den Bolivianern wirklich lassen: Sie sind ein klein wenig
verrückt, haben unglaublich viel Energie und verstehen es, einfach ausgelassen zu sein und eine Menge
Spaß dabei zu haben! Ich bin unheimlich froh, es miterlebt zu haben, mit wirklich riesigem Vergnügen.
Ganz besonders, weil ich dabei so intensiv mittanzen durfte. Die Caporales sind eine Tanzart, die mich
von Anfang an in ihren Bann gezogen hat. Mit der Zeit habe ich die Schritte immer flüssiger zu
beherrschen gelernt, meine engsten Freunde in der Gruppe gefunden und fühle mich voll und ganz als
‚Macha‘ (Der Name meiner Tanzposition). Die größte Freude machte es mir dabei auch, als ich bei dem
Carnaval in Cochabamba dabei zweite ‚Guía‘ sein durfte, was hieß, ich durfte nach der ersten Person die
Schritte mit einer Trillerpfeife ansagen und die Gruppe dadurch führen.
EIFODEC
Nach den zweimonatigen Sommerferien in meinem Projekt freute ich mich auch umso mehr, als im
Februar der reguläre Unterricht wieder begann. Für mich gab es dabei auch neue Aufgaben. Neben den
unterschiedlichen Bereichen, die in EIFODEC vertreten sind, wie Sport und künstlerischer Ausdruck, gibt
es noch den Bereich Laboral, in dem die alltäglichen, praktischen und theoretischen Dinge vermittelt
werden. Noch in den Sommerferien schloss ich mich diesem Team an, und wir erarbeiteten gemeinsam,
wie es im neuen Schuljahr weitergehen wird und wie ich mich gezielt einbringen werde. Den Abschluss
der Sommerferien feierten wir noch gemeinsam in einem Park, in der Nähe von Cochabamba, wo wir
den ganzen Tag grillten und viel Spaß gemeinsam hatten, bevor es gut gestärkt in das neue Schuljahr
ging.
Die Wiedersehensfreude mit den Schülern war riesig, alle freuten sich sehr. In vielen kleinen Bereichen
habe ich mehr Verantwortung übertragen bekommen und konnte mich auch gut hineinfinden. Jede
Woche arbeite ich eine Planung für die folgende Woche aus, natürlich mit Hilfe, in der festgelegt wird,
inwieweit ich wo genau, was machen werde und damit meine Aufgaben speziell definiert sind.
Besonders Spaß machen mir die kleinen Unterrichtseinheiten, in denen ich jede Woche mit einer
anderen kleinen Gruppe von Schülern die Herstellung von verschiedenen Essensportionen erarbeiten,
wie zum Beispiel Obstsalate, Sandwiches, Limonade ....
Dazu hat sich ein anderer Teil in EIFODEC besonders stark entwickelt: Was mit Putztraining klein
angefangen hat, wurde über die Ferien zu einer selbständigen Putzfirma ‚ESSOL‘, die von der Schule
geleitet wird. Das heißt, sobald die Schüler soweit sind, können sie dort arbeiten, teilweise auch in
Teilzeit und weiterhin noch zur Schule gehen. Die Stellung von Menschen mit Behinderung ist in Bolivien
nach wie vor schwierig, aber damit haben die Schüler eine große Chance, Selbstständigkeit im Leben zu
erreichen und arbeiten zu können.
Viel von meiner Arbeit ist für mich in der
Zeit zur Routine geworden, daher gibt es
auch nicht allzu viel zu berichten. Doch
mit der Zeit kann ich eins sicher sagen: Ich
fühle mich sehr in das Team von EIFODEC
eingebunden und sicher, in dem was ich
tue.
Besonders macht mir eine Arbeit zurzeit
sehr viel Spaß. Cindy, eine der körperlich
Behinderten, bekommt eine extra
Förderung, da sie schon bald die Schule
verlassen soll. Beispielsweise macht sie
dafür spezielle Armübungen, damit sie
sich selbstständiger in ihrem Rollstuhl fortbewegen kann. Ich mache mit ihr viele Übungen zur
Feinmotorik, was jedes Mal unheimlich viel Spaß macht. Und das merke ich nicht nur in der intensiven
Arbeit mit ihr. Es ist das viele Vertrauen, was mir von den Schülern immer mehr zugetragen wird, was
mich in meiner Arbeit sehr bereichert. Das genieße ich sehr.
So meine Lieben, das war‘s mal wieder von mir. Nach wie vor freue ich mich über jede Reaktion, die ich
von euch erfahre und freue mich, dass ihr so an allem mit mir teilnehmt. Mit dem Schreiben des jetzigen
Berichts wurde mir aber auch eines deutlich klar: Ich habe nur noch 4 Monate in Cochabamba. Das
macht mich schon etwas traurig, da jetzt gerade alles so gut läuft und ich mich so gut eingelebt habe.
Die Zeit vergeht so unglaublich schnell, dass ich fast gar nicht mehr hinterherkomme. Anderseits muss
ich auch sagen, dass ich meine Familie und Freunde mit der Zeit schon immer ein Stückchen mehr
vermisse. Deshalb ist es besonders schön, dass meine Mama Ende März kommt, um mich hier zu
besuchen. Nicht nur, dass wir gemeinsam reisen werden, dabei kann ich ihr hier auch alles einfach mal
zeigen. Klar, kann ich ein Bild durch Erzählungen und Berichte vermitteln, doch alles selbst zu erleben,
wird sicher auch für sie besonders sein.
Ich bin so froh, in Bolivien und Cochabamba sein zu dürfen und jeden Tag wirklich dankbar für jede
Erfahrung, die ich hier machen kann. Ganz klar, es läuft nicht immer alles nach Schnürchen, doch für
mich ist es eine ganz eigene Definition von ‚perfekt‘. Vielen Dank, dass ihr mich alle so unterstützt!
Viele liebe Grüße und bis bald,
eure Cochabambina Laura