Post on 06-Apr-2016
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Prof. Dr. Johannes Eurich
Das Subsidiaritätsprinzip aus kirchlich/diakonischer Sicht
Prof. Dr. Johannes EurichBerlin, 10.11.15
Prof. Dr. Johannes Eurich
Was wird unter Subsidiarität verstanden?
• lat. subsidium = Hilfe• Wohlfahrtstaatlicher Zshg.: Maxime der
Zuständigkeitsverteilung zwischen Einzelnen, intermediären Gruppen und Staat
• Doppelte normative Orientierung: 1) kein Entziehen der
Handlungsmöglichkeiten und -fähigkeiten2) Herstellung von gesellschaftlichen Bedingungen (eigenständige Lebenspraxis, Intervention)
Prof. Dr. Johannes Eurich
Wie wird Subsidiarität begründet?• Gemeinschaftsbezüge des Einzelnen für ein
gelingendes Leben• Nicht ausgehend vom Einzelmenschen!• ≠ homo oeconomicus Zentral bei Subsidiarität vielmehr: Realisierung
eines eigenständigen Lebens für die Bewertung sozialer Strukturen
• Subsidiaritätsgedanke ist im Ethos der Menschenrechte begründet
• Vgl.: Kommunitarismus (Bewegung 20. Jh. USA)
Prof. Dr. Johannes Eurich
Was wird in der katholischen Soziallehre unter Subsidiarität
verstanden? • Subsidiarität = Kennzeichen der
katholischen Soziallehre• Idee kam in der zweiten Hälfte des 19. Jh.
auf• Bischof von Ketteler, Gründer der
Katholischen Arbeitnehmerbewegung und der späteren Zentrumspartei
• Einsatz für: • soziale Belange der Arbeiter • Autonomie und Macht der kath. Kirche
• Gegner der Trennung von Kirche und Staat
Prof. Dr. Johannes Eurich
• Wegbereiter für die Hinwendung der kath. Kirche zur Sozialtätigkeit zum Wohle der Arbeiterschaft (z.B. Bau eines Krankenhauses)
• Mitbegründer der Katholischen Soziallehre
Zwei Ziele: Kritik und Abgrenzung • gegenüber einem individualistisch
orientierten Liberalismus • gegenüber einem als kollektivistisch
definierten Sozialismus
Prof. Dr. Johannes Eurich
• Formulierung des Subsidiaritätsprinzip in der Enzyklika Pius XI. nach Grundlach und Nell-Breuning (1931)
• Eine Zuständereform sei dringend notwendig
„[W]ie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen [...]. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja in ihrem Wesen nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen und aufsaugen.“
Prof. Dr. Johannes Eurich
• Nach Nell-Breuning hat „Hilfegebot“ Vorrang vor „Kompetenzanmaßungsverbot“
• Subsidiaritätsprinzip hat eine „Stufenordnung“ der Gemeinschaften zur Voraussetzung
• Ableitung der ethischen Maxime• Höhepunkt im sozialpolitischen Gebrauch des
Subsidiaritätsprinzips nach dem Zweiten Weltkrieg• Abwehr der Gefahr eines totalen „Versorgungsstaats“• Katholische Kirche und Caritas legitimieren mit dem
Subsidiaritätsprinzip den Vorrang der freien vor den öffentlichen Trägern der Wohlfahrtspflege
Prof. Dr. Johannes Eurich
Gibt es Subsidiarität auch in der evangelischen Sozialethik?
• Subsidiarität hat auch eine protestantische Traditionslinie
• Entwicklung von Prinzipien des föderalen Gemeinschaftsaufbaus von unten nach oben in der frühen Neuzeit
• Lutherische Ethik betont Souveränität mit den verbundenen sozialen Verpflichtungen des Staates
• Die Kompetenzordnung zwischen Staat, Individuum und intermediären Instanzen bleibt weiterhin umkämpft
Prof. Dr. Johannes Eurich
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• In lutherischen Kreisen wurde die Wohlfahrtstaatskritik der Nachkriegszeit geteilt.
• Evangelische Sozialethik blieb dem Prinzip der Subsidiarität gegenüber distanziert: • Konzept stieß auf Kritik (nicht konfessionelle
Versäulung sondern Sozialstaat, Wahlfreiheit als Leitbild)
• EKD-Denkschrift grenzt sich dem negativen Verständnis von Subsidiarität als Gebot der Nachrangigkeit staatlicher Hilfe ab
Prof. Dr. Johannes Eurich
Was sind neuere Entwicklungen in der Subsidiaritätsdebatte?
• Maxime der Subsidiarität erhält eine Re-Definition als Grundsatz sozialen Handelns
• Individuelle und zivilgesellschaftliche Eigeninitiative sind von Bedeutung
• Notwendigkeit sozialstaatlicher Rahmenbedingungen• Befähigung zu gemeinschaftlicher Selbsthilfe und
persönlicher Selbstverantwortung Sozialwort „Für eine Zukunft in Solidarität und
Gerechtigkeit“ (1997)• Seit den 90er Jahren hat eine andere Entwicklung
eingesetzt
Prof. Dr. Johannes Eurich
• Durch neue sozialpolitische Instrumente wurde die Vorrangstellung der freien Wohlfahrtspflege aufgeweicht
• Marktsituation: Angebote sind vergleichbar und das bessere wird sich durchsetzen
• Dabei: Unterschiede zwischen kommerziellem Markt für Wirtschaftsgüter und Sozialmarkt
• Begriff des Kunden übertragen in den Bereich von Ämtern und Trägern von sozialen Dienstleistungen
• Bestimmung über Quantität und Qualität übernimmt der öffentliche Träger
Prof. Dr. Johannes Eurich
• Empfänger sind stets Ko-Produzenten der Dienstleistung
• Genannte Veränderungen gehen auf das Konzept eines aktivierenden Sozialstaats zurück
• Stimulierung der zivilgesellschaftlichen Kräfte und ihrer Eigeninitiative
• Sozialstaat erbringt wohlfahrtsstaatliche Leistungen nicht mehr selbst
Gewährleistungsstaat• In anderen Bereichen werden öffentliche Aufgaben
von privaten Akteuren übernommen
Prof. Dr. Johannes Eurich
• Der aktivierende Staat stimuliert die gesellschaftliche Verantwortung
• Neue Steuerung bestimmt Formate stärker als Subsidiaritätsmodell
• „Neue Subsidiarität“: Chance zur Verbesserung der politischen Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeiten von Bürgern
• Revitalisierung zivilgesellschaftlichen Engagements hat auch Schattenseiten (bedürftige Menschen)
Prof. Dr. Johannes Eurich
• Der Status der betroffenen Menschen wird verändert
negative Auswirkung auf Personengruppen, deren Bedürfnisse nicht angemessen befriedigt werden können
• Kindergartenbereich: Wo sind die sozial benachteiligten Familien, die finanzielle Unterstützung benötigen?
• Regelungen zur Unterstützung
Prof. Dr. Johannes Eurich
Vielen Dank!