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Klassik Stiftung Weimar | Planspiel "Neues Weimar"« | 04.2013
PLANSPIEL»NEUESWEIMAR«
Erläuterungen zur Durchführung
A. Zielstellung Seite 1
B. Ablauf Seite 2
C. Hintergrundinformationen Seite 5
D. Mögliche Mindmap Seite 10
E. Historisches Bildmaterial Seite 11
A. ZIELSTELLUNG
Das Planspiel »Neues Weimar« führt die Teilnehmenden am Beispiel Weimars in die soziale,
politische und wirtschaftliche Situation des deutschen Kaiserreichs um 1900 ein.
Der grundlegende Konflikt zwischen Tradition und Fortschritt wird exemplarisch für Kunst
und Kultur (im Spannungsfeld von Historismus und avantgardistischer Moderne)
thematisiert.
Mit Hilfe von Informationskarten erschließen sich die Teilnehmer die widerstreitenden
künstlerischen und kulturpolitischen Positionen wichtiger Weimarer Persönlichkeiten und
vertreten im anschließenden Rollenspiel deren Standpunkte. Auf diese Weise können sie sich
die Zerrissenheit einer historischen Umbruchphase erarbeiten, in der die Kulturpolitik des
jungen Weimarer Großherzogs Wilhelm Ernst zwischen der kulturellen Dominanz Preußens
und den Einflüssen avantgardistischer Kunst Position beziehen muss.
Das Planspiel kann zur Vorbereitung in der Schule und zu Beginn einer Exkursion in Weimar
eingesetzt werden.
Dauer: • 60 bis 90 Minuten
Materialien: • historisches Bildmaterial
• 5 Sätze Informationskarten
• 1 Mindmap »Fortschritt vs. Tradition«
Klassik Stiftung Weimar | Planspiel "Neues Weimar"« | 04.2013 –2–
B. ABLAUF
I. Einführung in das Thema unter Nutzung der historischen Bilder und einer Mindmap
Thema: »Endzeit und Neubeginn im Kaiserreich«
• grober Zeitrahmen 1900 bis 1914
Fokus: Soziale, politische und wirtschaftliche Umstände im Kaiserreich
• Fortschritt vs. Tradition als grundlegender Konflikt
Besonderes Augenmerk auf:
• »Zerfaserung« des Menschen und technische Durchdringung der Alltagswelt
• Konflikt Mensch – Maschine/ Industrie
• Wie soll der Mensch diesem Spannungsfeld begegnen/ sich in ihm verhalten?
Engführung auf Weimarer Verhältnisse:
• Situation in Weimar um die Jahrhundertwende
Überleitung zur Eigenaktivität der Schüler:
• Aufteilung in fünf Arbeitsgruppen
• Erarbeitung der kulturpolitischen Positionen anhand der Informationskarten
II. Entwicklung des Szenario und Arbeit der Teilnehmer in Gruppen
Szenario: Audienz beim Großherzog
Der Großherzog muss sich entscheiden: Soll er die moderne Kunst fördern
und Weimar zu einem Zentrum der Avantgarde machen oder nicht?
Um diese Entscheidung fällen zu können, lädt er verschiedene Persönlich-
keiten ein, die ihre eigene Position vortragen und ihn beraten sollen.
5 Arbeitsgruppen:
• Henry van de Velde
• Elisabeth Förster-Nietzsche
• Harry Graf Kessler
• Weimarer Bürger Gustav W.
• Großherzog Wilhelm Ernst
Klassik Stiftung Weimar | Planspiel "Neues Weimar"« | 04.2013 –3–
Auftrag 1 Experten
Versetzt Euch in die Lage Eurer Person hinein! Welchen Rat würde sie dem
Großherzog geben?
Stellt Eure Person und ihre möglichen Argumente später den anderen vor
und bemüht Euch, den Großherzog von dieser Position zu überzeugen.
Notiert Euch ggf. Stichworte für die Präsentation.
Auftrag 2 Großherzog
Versetzt Euch in die Lage des Großherzogs hinein! Wie reagiert er auf die
Ratschläge der einzelnen Experten?
Stellt den Großherzog, seine Einstellung und seine Argumente den anderen
vor und wertet die Ratschläge der Experten aus. Wie entscheidet Ihr Euch?
Notiert Euch ggf. Stichworte für die Präsentation.
Für die Erarbeitung der Stellungnahme können sich die Teilnehmer an folgenden Fragen
orientieren:
• Wer ist die Person?
• Warum ist sie in Weimar?
• Was sind ihre Pläne in und für Weimar?
• Welche Ideen prägen ihr Verständnis von Kunst?
III. Präsentation der Arbeitsergebnisse
Auswertung: Audienz beim Großherzog
• Die Teilnehmer schlüpfen in die Rolle des »Experten«, den sie bearbeitet haben, und
stellen ihre Argumente dem Großherzog vor, um ihn von ihrer jeweiligen Position zu
überzeugen.
• Die Gruppe »Großherzog« wägt die Argumente gegeneinander ab, vergleicht sie mit
ihrer eigenen Position und fällt abschließend eine begründete Entscheidung – für oder
gegen die Förderung moderner Kunst in Weimar.
Hintergrundinfo für Moderation: Wie hängen die verschiedenen Personen zusammen?
• Elisabeth Förster-Nietzsche lässt sich mit ihrem Nietzsche-Archiv in Weimar nieder,
um u.a. von der Strahlkraft des Goethe- und Schiller-Archivs zu profitieren.
• Harry Graf Kessler steht seit 1895 in (engem) Kontakt mit Elisabeth Förster-Nietzsche;
gemeinsam tragen sie die Idee des »Neuen Weimar«.
• Sie holen van de Velde nach Weimar und bewirken seine Anstellung bei Wilhelm
Ernst.
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IV. Abschließende Gedanken zur Thematik – Abrundung der Einheit
Stichpunktartiges Zusammenfassen der Ergebnisse & Fazit:
• Idee und Entwicklung vom »Neuen Weimar« bis zum Bauhaus
• Kunst und Kultur als Antworten auf die Probleme und Konflikte der Zeit
• Weimar als Chance und »Experimentierfeld« zum Erproben neuer Strömungen
• aber: konservative Bevölkerung und »Hartnäckigkeit« des klassischen Erbes
Thematische Einbettung und ggf. Anknüpfung an nächste Programmpunkte:
Exkursionen und Führungen in Weimar
• Die Schüler begeben sich auf die Spuren des »Neuen Weimar«.
• In welchem Maße wurden die Visionen der einzelnen Personen verwirklicht?
• In welcher Hinsicht war die Bewegung des »Neuen Weimar« (nicht) erfolgreich?
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C. HINTERGRUNDINFORMATIONEN
I. Einführung in das Spannungsfeld Fortschritt vs. Tradition
1. Foto: Großherzog Wilhelm Ernst (Enkel von Carl Alexander)
• Weimarischer Großherzog mit preußischer Uniform
• einerseits: Repräsentation von Tradition, Nationalismus und Monarchismus
Bekenntnis zur politischen und kulturellen Dominanz des Kaisers in Berlin
• andererseits: lange Zeit Förderung der avantgardistischen und modernen Kunst in
Weimar, im Gegensatz zum Kunstgeschmack des Kaisers
2. Foto: Südflügel des Stadtschlosses (errichtet 1914 unter Großherzog Wilhelm Ernst)
• Außenwirkung: Anpassung an die klassizistische Fassade des Herrschaftssitzes, der
unter der Leitung Goethes wiedererbaut worden war
• Innenraum: moderne technische Ausstattung mit Stromversorgung, fließendem
Wasser etc.
Zusammenfassung: Sinnbilder des Spannungsfeldes im Kaiserreich um 1900
• einerseits: Dominanz der preußischen Mentalität mit veraltetem Denken und
ausgeprägtem Traditionsbewusstsein
• andererseits: rasanter Fortschritt auf allen wissenschaftlichen, technischen und
künstlerischen Gebieten
Engführung: Weimar um die Jahrhundertwende
• 28.000 Einwohner (heute:~65.000)
• zögernde industrielle Entwicklung; ein industrieller Großbetrieb (Waggonfabrik);
um 1900 lediglich 1000 Fabrikarbeiter in Weimar ansässig
• dominantes Handwerk
• politisch und wirtschaftlich unbedeutende Stadt; lebt vor allem von ihrer großen
kulturellen Vergangenheit (Goethe, Schiller & Liszt)
Großteil der Bürger in Weimar sehr konservativ
• gefühlte Verpflichtung zur Wahrung (und Konservierung) des kulturellen Erbes
• ablehnende Haltung gegenüber avantgardistischen Strömungen in Kunst und Kultur
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II. Militarismus und preußische Tradition im Kaiserreich
Adel – erzkonservatives und veraltetes Denken
• Besetzung aller hohen Ämter in Politik, Militär und Diplomatie mit Adligen
• Gefährdung der eigenen Vormachtstellung durch aufstrebendes Bürgertum
• Festigung der eigenen gesellschaftlichen Stellung als Hauptanliegen
Militarismus
• traditionell hoher Stellenwert des Militärs in der preußischen Gesellschaft und auch
im deutschen Kaiserreich
• höhere Achtung gegenüber Militärangehörigen als gegenüber Zivilisten
(»Hauptmann von Köpenick-Mentalität«)
• militärischer Bereich umfasst bis zu 90% der Staatsausgaben
• Stärkung durch finanzielle Ausstattung und technischen Fortschritt; Entwicklung
neuer Waffensysteme
III. Technische und wirtschaftliche Entwicklung
• Deutsches Reich um 1900 Weltspitze auf technischem Gebiet, vor allem in jungen
Branchen wie der Elektrotechnik
• bis 1918 Vergabe jedes dritten naturwissenschaftlichen Nobelpreises an deutsche
Forscher
1901: Wilhelm Conrad Röntgen für die Entdeckung der Röntgen-Strahlen
1905: Robert Koch für seine Entdeckung des Tuberkulose-Erregers
• Wirtschaftsboom, v.a. im Exportgeschäft
• Entstehung von Großkonzernen wie Thyssen Krupp (Verhüttung/ Metallherstellung)
und Siemens (Telegrafen-Bau)
Radikale Veränderung in der Alltagswelt der Menschen
• Entstehung einer ungeheuren Dynamik durch Eisenbahn, Auto, Telegraf etc.
• Eindringen der Technik in weite Bereiche des täglichen Lebens
• Resultat in einer permanenten Überforderung der Menschen, in Hilflosigkeit,
Befremden und Skepsis
• Unbehagen durch Mangel an Verständnis für den Aufbau und die Funktionsweise
technischer Geräte
• Gefühl der Entfremdung vom Ergebnis der eigenen Arbeit durch industrielle
Fertigungsprozesse mit zahllosen Arbeitsschritten
• Endprodukt steht mit dem einzelnen Arbeiter in keiner Beziehung mehr
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IV. »Endzeit-Stimmung« in der Gesellschaft des Kaiserreiches
Klassengesellschaft mit geringer sozialer Mobilität (Aufstiegschancen)
• Herausbildung eines starken und organisierten Proletariats
• Zusammenrücken von (Groß-)Bürgertum und Adel angesichts der Bedrohung ihrer
Stellung durch das Proletariat
• Übernahme von Lebensstil und Mentalität des Adels durch das (Groß-)Bürgertum
• Abschottung der einzelnen Gesellschaftsklassen voneinander, Gefühl der Bedrohung
durch die jeweils andere Klasse
Fin-de-Siècle – Endzeitstimmung
• dominantes Gefühl von permanenter Veränderung und sich ständig wechselnden
Anforderungen an alle Menschen im täglichen Leben
• Notwendigkeit einer dauernden Anpassung als Voraussetzung für das (wirtschaftliche)
Überleben
• Entfaltung eines Gefühls der Bedrohung durch übermächtige Technik
• Gefühl eines Verlustes von Individualität und Wert der Menschen angesichts der
Massengesellschaft und der technisierten Umwelt
Künstlerische Reaktionen und Strömungen
• künstlerische Reflexion dieser allgemeinen Bedrohungs- und Gefühlslage durch
moderne Künstler, vor allem im Expressionismus (Kunst/ Literatur/ Film)
• Nietzsches »Umwertung aller Werte« und »Gott ist tot!« als eine philosophische
Reflexion
1. Historismus als Versuch zur Konstruktion eines kulturellen Haltes in der
Vergangenheit
– Kombination und Wiederbelebung vergangener Stilepochen (Neobarock, Neogotik)
– Verklärung von Macht und Glanz des Hohenzollern-Reiches
– (falsches) Versprechen von Kontinuität in Zeiten des Umbruchs
2. sogenannte »Heimatkunst«
– Rückzug in die ländliche Provinz als Reaktion auf unruhige Zeiten
– friedliche, natürliche Umgebung im Gegensatz zum Chaos der Stadt
– Ablehnung durch Kaiser Wilhelm II. trotz konservativer Ideologie
3. Avantgarde
– Auseinandersetzung mit technischem Fortschritt, Integration in das Kunstschaffen
– Versuch, Unsicherheit und Angst bei der Bevölkerung abzubauen
– Technik als natürlicher Bestandteil der Kunst und des menschlichen Lebens
– u.a. Henry van de Velde und Walter Gropius
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Van de Velde
– Kunst mit elitärem Anspruch
– trotz Integration von Technik hauptsächlich Herstellung von Einzelstücken
– handwerkliche statt industrielle Herstellung, daher hohe Preise (nur für reiche
Käufer)
Walter Gropius und Bauhaus
– (langsame) Hinwendung zur Industrie und zur seriellen Fertigung
– Entwurf nach der Idee »Kunst für alle«
– Ideal von guter Gestaltung und günstigen Preisen angestrebt
V. Zäsur: Erster Weltkrieg und Weimarer Republik
Verpasste Chance eines Neubeginns?
Erster Weltkrieg
• Hoffnungen auf Erlösung von dem Gefühl der kulturellen und technischen
Verunsicherung durch ein »reinigendes Stahlbad«
• vorherrschende Euphorie zu Beginn des Krieges in allen gesellschaftlichen und
intellektuellen Klassen
• Ernüchterung im Kriegsverlauf und Ausbleiben von »Reinigung« und »Neubeginn«
Gründung der Weimarer Republik
• Etablierung eines neuen politischen Systems, ohne Vorbild und Erfahrung in
Deutschland
• Fortleben von Traditionen und Mentalitäten aus dem Kaiserreich
– Verehrung des Reichspräsidenten als »Ersatzkaiser«
– demokratiefeindliche, militaristische und erzkonservative Vorstellungen
• Ablehnung der Republik durch viele Bürger
• Verbitterung über die Kriegsniederlage und die »Demütigung« durch die Siegermächte
• Unsicherheit in der sich rasant wandelnden, technisierten Lebenswelt wirkt fort
• verpasste Chance der deutschen Gesellschaft auf einen Neubeginnen, u.a. wegen des
Festhaltens an Althergebrachtem und Vertrautem als Reflex der Unsicherheit
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VI. Engführung: Weimar als typisches Konfliktfeld?
• Folgen der Hochindustrialisierung nur in geringen Maßen erfahrbar
• kleinstädtisches Flair mit starkem Bezug zur eigenen Geschichte und zur vergangenen
kulturellen Blüte
• ausgeprägte Hofkultur und starke traditionelle/ traditionalistische Kräfte
• Tradition und Geschichte zugleich Anziehungs- und Anknüpfungspunkt für moderne
Kunst- und Kulturbestrebungen
• Entstehung eines für das Kaiserreich typischen Konfliktes zwischen Avantgardisten
und Traditionalisten, dessen Ausgang die weitere geschichtliche Entwicklung bis 1933
versinnbildlicht
Klassik Stiftung Weimar | Planspiel "Neues Weimar"« | 04.2013 –10–
D. Mögliche Mindmap
Klassik Stiftung Weimar | Planspiel "Neues Weimar"« | 04.2013 –11–
E. Historisches Bildmaterial
Großherzogliches Schloss, Südseite © Klassik Stiftung Weimar
Klassik Stiftung Weimar | Planspiel "Neues Weimar"« | 04.2013 –12–
Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach © Klassik Stiftung Weimar