Orangen im Mantel - OPIUM · nes sicher: Die schönsten und vielfältig-sten gab es vor dem Zweiten...

Post on 27-Sep-2020

0 views 0 download

transcript

118 www.liebes-land.de 1/2012 1/2012 www.liebes-land.de 119

Der sizilianische Obstbauer wolltesein Glück hinausschreien. Damit

die Welt den Freudenschrei über die Ge-burt seines Sohnes auch wirklich regis-tierte, wählte er einen besonderen Weg:Er druckte das Bild des Sprösslings auf

Früher trugen Orangen zartes Seidenpapier. Dirik von

Oettingen schätzt die Mini-Werbeplakate als Zeugnisse der

Kultur und Sammelobjekte. Er besitzt schon 40 000 Papiere.

Orangen im Mantel

bergs berühmtes Bad im Trevi-Brunnenaus dem Film ,La Dolce Vita’ zieren diePapiere“, sagt von Oettingen. Lachendfügt er hinzu: „Manche Frauen sind sehrfreizügig dargestellt. Die sizilianischenBauern sind halt auch nur Männer.“

Für bestimmte Regionen gab es spezielleMotive. So wurden für den deutschenMarkt Orangen-Papiere entwickelt, dieGrimms Märchenfiguren, Martin Lutheroder das Brandenburger Tor zeigen. Wer-besprüche wie „Willst du verjüngen dei-ne Mienen, dann kauf Pilar-Apfelsinen“stand quer über manchem Papier. „Süßwie Küsse“ versprach ein andererSchriftzug. Auch den „einzig negativen

Aspekt an diesem wunderschönen Hob-by“ verschweigt von Oettingen nicht: Aufsizilianischen Blutapfelsinen fanden sichoft rassistische Abbildungen von Men-schen mit dunkler Hautfarbe. Grund da-für war wohl der Name der Blutorangen-sorte „Moro“ (schwarz) und die langeHerrschaft der arabischen Mauren aufder Insel an Italiens Stiefelspitze.

Allerdings waren selbst Bilder mit poli-tisch korrekten Abbildungen nicht so er-folgreich wie geplant. „Trotz aller Bemü-hungen war die Werbewirkung der Pa-pierchen sehr gering“, erklärt Dirik vonOettingen. „Es konnte keine spezielleMarke etabliert werden, wie es etwa bei

A L T E S W I S S E N

Seidenpapier und wickelte seine Orangendamit ein. So wurde eines der phantasie-vollen Papiere geboren, denen Sammlerheute nachjagen.

„Oft hat das, was auf den Orangenpapie-ren gezeigt wird, gar nichts mit derFrucht zu tun“, sagt Dirik von Oettingen,der mit über 40 000 Exemplaren diegrößte Sammlung der Welt besitzt. Aufden zarten Einwicklern sitzen knurrendeSalonlöwen, gefährliche Wildtiere, strah-lende Himmelskörper, Comic-Heldenund Diamanten oder Kronen, die denWert des einstigen Luxusgutes Orangehervorheben sollten.

Immer wieder sind es auch schöne Frau-en, die auf den etwa DIN-A4 großen Pa-pieren prangen. „Eine Erntehelferin, eineMutter, ein Vamp und sogar Anita Ek-

Zupackende Erntehelferin

oder verführerischer Vamp

– hübsche Frauen waren

ein beliebtes Motiv und

sollten zum Gucken und

Kaufen anregen.

Lustige Giraffen und Comic-Helden

wie Asterix sorgen auf den Papieren

noch heute für gute Laune. Die für

Süditalien typischen Schwarzen sind

jedoch mehr als fragwürdig.

Auch mancher Mann schaffte es auf die

Orange. Er musste dann aber schon so

stark und legendär wie Herkules sein.

Dirik von Oettingen sammelt seit 1997

Orangenpapiere und besitzt heute die

größte Sammlung der Welt.

Foto

s:©

Diri

k vo

n Ö

ttin

gen

(16)

;© p

hoto

crew

,© c

anon

cam

,© C

hris

tian

Jung

/Fot

olia

.com

Mit offizieller Genehmigung

2012

Heft 1/2012

1/2012 www.liebes-land.de 121

fast wehmütig, wenn er seine Sammel-objekte einen „historischen Gegenstand“nennt. „Heute fängt kaum noch jemandan zu sammeln,“ sagt er. „Der Gangdurch den Supermarkt ist einfach zu frus-trierend.“ Wenn er ein neues Exponat zuseinen Tausenden hinzunehmen kann,handelt es sich meist um ein Jahrzehntealtes Papier, das ihm ein anderer Samm-ler schickt.

So begann es auch mit seiner Leiden-schaft: Sein Vater, ein Kunstmaler mitBlick für originelle Gebrauchsgrafik,schenkte ihm ein paar Orangenpapiere.Der Vater hatte die kleine Sammlungwiederum vom seinem Vater geerbt, zurgrößten der Welt aber wurde sie erst

durch den Enkel Dirik. Der sagt, er wer-de seinem Hobby für immer treu bleiben.Schön, wenn sich Menschen treffen, dieden süßen Geschmack der ersten Oran-ge, die sie als Kind aßen, ein Leben langmit dem zarten Rascheln von Seidenpa-pier verbinden. Heide Grehl

120 www.liebes-land.de 1/2012

Chiquita-Bananen der Fall ist.“ Die Oran-gen wurden von mittelständischen Bau-ern vertrieben, jeder hatte nur einenwinzigen Anteil am Orangenmarkt.Außerdem machten sich Kunden seltendie Mühe, die Papiere genau anzusehen.

Während oft spekuliert werden muss, inwelcher Zeit ein Papier entstand, ist ei-nes sicher: Die schönsten und vielfältig-sten gab es vor dem Zweiten Weltkrieg.Dirik von Oettingen schwärmt von klein-

Es raschelt im KartonAls Orangenpapierchen im Jahr 1880 erstmals Früchte umhüllten, dienten sie nochnicht als Reklamefläche, sondern sollten das Obst bei der Fahrt von Italien oderSpanien vor Feuchtigkeit und Fäulnis schützen. Bald entdeckten die Bauern die Ein-wickler als Werbefläche und druckten Namen und Wappen darauf. Als die Früchteschneller und schonender transportiert, gekühlt und chemisch behandelt wurden,verlor das Papier seine Schutzfunktion und wurde zum reinen Reklameträger.

Zum Oberbegriff Orangenpapiere gehören übrigens auch die Umhüllungen anderer Früchte. „Das hat sich so eingebürgert“, sagt Sammler von Oettingen, da90 Prozent der Papiere tatsächlich Orangen bedecken. In Oettingens Sammlung finden sich aber auch Reklameblätter, die einst Äpfel, Zitronen, Mandarinen, kanarische Tomaten oder Pfirsiche verpackten.

formatigen Lithografien. Besonders inSpanien beauftragten Bauern Grafikerund Künstler damit, ihre Papierchen zugestalten. „So entstanden zum Teil wert-volle kleine Kunstwerke“, erklärt derSammler, der sich in seinem Buch „Ver-hüllt um zu verführen. Die Welt auf derOrange“ humorvoll mit dem Thema aus-einandersetzt. 95 Prozent der Einwicklerstammen aus Spanien und Sizilien.

Mit den Kunstwerken von früher habendie lieblos und billig gestalteten Umhül-lungen von heute nichts mehr gemein-sam. „Nur aus Sizilien kommen hin undwieder noch neue, hochwertige Papiere.Wenn man die findet, freut man sich na-türlich“, sagt von Oettingen. Er klingt

Zu schade für den PapierkorbAuf seiner Homepage „Das Orangen-papiermuseum“ zeigt Dirik von Oettingen eine Auswahl seiner Papiere:www.opiummuseum.de

Während auf vielen Papieren aus

Sizilien der Ätna ausbrach, waren

auch Tiermotive sehr beliebt. Immer

wieder sieht man Pferde (mit oder

ohne Reiter) und den stolzen,

spanischen Stier.

Der deutsche Markt braucht

deutsche Sprüche, dachten

sich die Spanier. Leider ging

bei der Übersetzung auch

mal was daneben (links).

Manch sizilianischer Farmer

verzichtete ganz auf Worte

und versuchte seine Kunden

mit hübschen Ornamenten

zu locken (ganz rechts).

Spanische Bauern wollten den

deutschen Markt mit „Onkel

Otto“ überzeugen.

Orangenpapiere sind zugleich Schutzund Schmuck – wiesich das für schöneKleider gehört.