Post on 17-Sep-2018
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Institut für Sinnes- und Sprachneurologie
Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Linz
Dr. Daniel Holzinger
„Neurologische Grundlagen von
Sprachentwicklungsstörungen“
Kommunikation und Sprache wird Motor der kindlichen
Gesamtentwicklung• Kognitive
Entwicklung
• Emotionale Entwicklung
• Soziale Entwicklung
• schulisch-akademische,
• berufliche Entwickl.
Kognitive Entwicklung
• Möglichkeit zum Dialog (Fragen, Lernen, Wissensvermittlung)
• differenziertere Wahrnehmung• Stützung höherer Denkprozesse (z.B.
Mathematik)• Stützung von Gedächtnisprozessen
(Abspeichern und Abrufen)• Exekutive Funktionen (Planen,
Selbstregulation, Impulsivität)
Soziale Entwicklung
• Soziale Kontakte aufbauen und pflegen– Entwicklung von Bindung– Freundschaften– Gruppenzugehörigkeit– Identitätsentwicklung ......
• Partizipieren, Selbstbestimmung• soziales Lernen zu einem großen Teil inzidentiell
(wie kommunizieren andere miteinander)• Was denken andere? (T.O.M.)• Begründungen für Verhaltensregeln,
Wertvorstellungen
Emotionale Entwicklung• Differenziertere Wahrnehmung von
Gefühlen
• verbesserter Umgang mit Gefühlen
• Gefühle weitervermitteln -Beziehungen vertiefen - Verstandenwerden und Verstehen
Kommunikation ist ein Menschenrecht!
Dazugehören!Sich ausdrücken!Selbst bestimmen!
Lernen!
Institut für Sinnes- und SprachneurologieZentrum für Kommunikation und Sprache
Neurologisch linguistische
Ambulanz
Sprach- und Lern-störungen
Pädoaudiolog.Beratungs- und
Therapiezentrum
Hörstörungen
Ambulanz fürKommunikations-
Störungen undAutismus
Schwere Sprach-o. Kommunik.
störungen
Sprache
• als selbstverständlich vorausgesetzt
• mühelos verwendet und erworben
• Aber: für 5-10% der Schulkinder– Sprache: verwirrend,
herausfordernd
Quelle von Frustration und
Freudlosigkeit
Früherfassung von Sprachentwicklungsauffälligkeiten
Bis 12 Monate• Symptome:
– Schreientwicklung (Wermke 2004)
– Lallentwicklung (Oller 1999, Penner 2002)
– frühe Gestik– Sprachverarbeitung
• Wahrnehmung von Dauerunter-schieden und anderen prosodischen Sprachmerkmalen (Guttorm et al. 2004,Molfese & Molfese 1997)
• Noch nicht in der Praxis flächendeckend einsetzbar: – fehlende Normdaten
– unzureichende Gütekriterien der Verfahren
– Nicht abgesicherte prognostische Qualität für das einzelne Kind
– Probleme der praktischen Durchführbarkeit
2 Jahre
• Ist im Alter von 2 Jahren eine Erkennung von Risikokindern für persistierende Sprachentwicklungsprobleme möglich?
• Bisherige Kinderärztliche Vorsorgeuntersuchungen unzureichend (Sachse et. al 2007): nur jeder 4. „late talker“ im Rahmen der U7 (D) als sprachentwicklungsverzögert beschrieben.
• Mutter-Kind-Pass Untersuchung in Ö. (22-26 Mo):
Sprachentwicklung altersgemäß? �ja �nein
• Elternfragebögen sind geeignet Sprachentwicklungsverzögerungen bei 2jährigen Kindern verlässlich zu erkennen (z.B. Klee et al. 1998)
Produktiver Wortschatz:
Liste von 260 Wörtern
(kritischer Wert 50)
und 36 Satzbeispiele
• 2 Jahre: „late talkers“ (Rescorla 1989): – Wortschatz < 50
– und/oder keine (o. nur vereinzelte) Zweiwortäußerungen
„late talker“
Geschlechtsspezifische Normen Österreich
Geschlechterverteilung nach Elfra_2
0
20
40
60
80
1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25
Elfra_2 10er Intervalle
An
zah
l de
r M
äd
che
n /
Bu
be
n
Mädchen Junge
• Eine ausreichend sichere Diagnose einer Sprachentwicklungsstörung ist erst im Alter von 3 Jahren möglich.
Wortschatz rezeptiv
Äußerungsverständnis
Zusammenfassung• Expressive Sprachentwicklungsverzögerung (late
talker), Wortschatz EA 16 Mo , Grammatik EA < 1;6 Jahre
• Altersgerechte Sprachrezeption (Wortschatz und Äußerungen)
• Hörstatus o.B.• Altersentsprechende Gesamtentwicklung
– kognitiv– Sozial-interaktiv– Neuro motorisch
• Förderlicher familiärer Kontext, keine außergewöhnlichen Belastungsfaktoren
Wie ist die Prognose?
2 Jahre 3 Jahre
33% sprachgestört
late talkers 33% Grenzbefund
33% o.B.
Spätzünder oder persistierendeSprachentwicklungsprobleme?
Suchodoletz 2007 (n 92)
2 Jahre 4 ½ Jahre
17% sprachgestört
Late talker 26% grenzwertig
57% o.B.
Suchodoletz 2007 (n 92)
Persistenz von SES bis ins Einschulungsalter
• Rein expressiv: (0-54%) 40%
• Expressiv und rezeptiv (26-100%) 76%
Risikofaktoren(Holzinger, Fellinger 2008)
• Eingeschränktes Sprachverständnis
• Niedriges Bildungsniveau der Mutter
• Niedriges Bildungsniveau des Vaters
• Höhere Geschwisteranzahl
• Keine/eingeschränkte Verwendung von Sätzen
Weitere Risikofaktoren
• unterdurchschnittliche Intelligenz
• Instabile familiäre Verhältnisse
• keine Sprachtherapie (HET)
• Familiäre Prädisposition für SES (Thal2005)
• Familiäre Prädisposition für LRS (Lyytinnen et. al. 2001)
Prognose für das Schul- und Jugendalter
• 1. Intelligenz / Lernen– Sukzessive Abnahme der nonverbalen
Intelligenzbei Kindern mit SES (Benasich et al 1993, Conti Ramsden 2005 IASCL)
– Ab 3 Jahren: Lernen primär über Sprache: �
eingeschränktes Allgemeinwissenbei Kindern mit SES
– signifikant schlechteres verbales Gedächtnis
• 2. Persönlichkeit (sozio-emotionale Entwicklung)– Beitchman et al.(AUS): Kinder mit SES:
5a: 50% auffälligjunges Erwachsenenalter: 40% auffällig
-Angststörungen-soziale Phobien -antisoz. Verhalten (Suchtverhalten n.s.)
– Häufige Stigmatisierung lt. Elternfragebögen, „Prügelknaben“ (Knox et al. jedes 3. Kind mit SES)
– Botting (2005): n=130 (16 jährig, UK) SDQ-Selbstversion:
• Probleme mit Gleichaltrigen
• Emotionale Probleme
• Verhaltensprobleme
– Tomblin (2005) IOWA• ADHD (EF) und internalisierende Probleme
– Mehr ADHD Symptomebei Buben
– Mehr Somatisierungssymptome bei Mädchen
– eingeschränkte „Theory of Mind“
• 3. Schriftspracherwerb und Persistenz der SES– Snowling et al. 2001– Catts et al. 2002: Kinder mit SES im Kindergartenalter
>50% Lesestörung, ca. 70% Leseschwäche (<PR 25%)
• Vgl. auch Bishop & Adams 1990 für „late bloomers“ (4 J.): Lese-Rechtschreibstörung im Alter von 15 Jahren bei 50%!
• Persistenz der Sprachstörung vom Alter von 2 Jahren bis ins Schulalter ca. 40% (rein expressiv) bis >70% (expressiv und rezeptiv)
• 4. Schulabschlüsse– Snowling et al. 2001: ca. gleich wie mit
unterdurchschnittlicher Intelligenz
– Auswirkungen auf Fremdspracherwerb und Mathematik (Vermittlung über Schriftsprache)
Was wollen Eltern wissen?
• Was kann ich tun, damit mein Kind aufholt?
• Was ist der Grund für diese Sprachentwicklungsprobleme?
Ablauf
• Was sind Sprachentwicklungsstörungen?– Expressiv und rezeptiv
– Spezifisch und nicht spezifisch
– Fälle und diagnostische Verläufe
• Was sind nicht die Ursachen?– Auszuschließende Faktoren
• Neurobiologische Grundlagen– Sprachverarbeitung
– Genetische Faktoren
– Strukturelle Auffälligkeiten
– Auffälligkeiten der Arbeitsweise des Gehirn
• Zusammenfassung
Kindliche Sprachstörungen:Grundlagen
• 6-8% (z.B. Tomblin 1997)– 6% Mädchen
– 8% Buben
– Keine Zunahme der Häufigkeit lt. internationalen Studien
– Aber:• Höhere gesellschaftliche Bedeutung von
Sprachentwicklungsstörungen
• Mehr Verordnungen zur Sprachtherapie
Häufigkeit von SSES
A) Spezifische Sprachentwicklungsstörung
(primär, UES)
• F 80.1 Expressive Sprachstörung
• F 80.2 Rezeptive Sprachstörung
• (F 80.0 Artikulationsstörung)
• F80.5 Landau Kleffner Syndrom
• F80.8 andere
• F80.9 nicht näher bezeichnet
• Ausschlusskriterien einer spez. SES:– Intelligenzminderung
– Periphere Hörstörung
– Emotionale Störung
– Hirnorganische Störung
– Deprivation
• Kommunikationsbedürfnis und Nonverbale Kommunikation altersgerecht
Artikulationsstörungen
Organisch bedingte Aussprachestörung
Phonologische Störung
Kindliche Sprechapraxie
Zusammenfassung Spezifische SES
• Ausschluss offensichtlicher neurologischer Grundlagen (Intelligenzminderung, Syndrome, Epilepsie, Kindliche Aphasien)
• Unauffälliges nonverbales Kommunikationsbedürfnis
• Deutliche Diskrepanz zur allgemeinen Entwicklung
B) Nicht spezifische Sprachentwicklungsstörungen
(sekundär)• Im Rahmen einer anderen primären
Entwicklungsauffälligkeit:– Autistisches Spektrum
– Hörstörung / Sehstörung
– Allgemeiner Entwicklungsrückstand
– Schwere Verhaltens- oder emotionale Störung
– Syndrome (Fragiles X, Down Syndrom, Williams Syndrom)...
– ...
Nicht spezifische SES Vorstellungsgrund: Mein Kind spricht nicht
Sprache:„Fenster zum kindlichen Geist“:
Gradmesser der kindlichen Entwicklung
Frühkindlicher Autismus
Anarthrie
Innenohrschwerhörigkeit
Vielfältigkeit von Sprachentwicklungsproblemen
• ICD-10 Diagnostik nicht ausreichend als Grundlage der Förderung
• Multidimensionale zusammenschauende Diagnostik (psycho-sozial, Intelligenz, Hören-Sehen, Erhebung der Ressourcen/Grenzen im Umfeld, Sprache und Schulleistungen....)
• Hypothesengeleitete psycholinguistische Förderdiagnostik basierend auf Sprachverarbeitungsmodellen
• Auf allen sprachlichen Strukturebenen (Laut, Wort, Satz, Text), expressiv und rezeptiv, pragmatisch
Zurück zur Elternfrage:
• Was ist der Grund für diese speziellen Sprachentwicklungsprobleme?
Menge und Qualität des sprachlichen Inputs?NEIN!– Kommunikation der Eltern als Ursache nicht
begründet– Wohl aber Rolle in der Intervention– Zusammenhänge mit Elternsprache oftmals
genetisch
Schallleitungsprobleme?NEIN!– Tubenfunktionsstörungen im Kleinkindalter– Roberts, Rosenfled & Zeisel (2004): Kein
entscheidender Einfluss auf Sprachentwicklung• Vgl. leichte bis mittlere Innenohrschwerhörigkeit
selten grammatische Probleme wie Kinder mit SES (Briscoe, Bishop & Norbury 2001, Wake et al. 2006)
Frühe Hirnläsion?
NEIN!– Vgl. Erwachsene
– Aber keine Indikationen von Läsionen• Keine häufigeren perinatalen Probleme bei SES
(Merricks et al. 2004, Tomblin, Smith & Zhang 1997)
• Auch bei schweren kindlichen Hirnläsionen zumeist normaler Sprachentwicklungsverlauf (Z.B. Basser 1962, Bates & Roe 2001)
Abweichungen in der Dominanzentwicklung/Händigkeit (Linkshändigkeit, Ambidextrie)?
NEIN!– Trotz zahlreicher Studien keine empirischen Belege
– Bestenfalls einige Prozent der Varianz von Sprachentwicklungsverläufen erklärt
– Kein allgemeingültiges Erklärungsmodell für die Ursache von SES
– Spezifische Abweichungen der Seitigkeitsmuster für Sprache – nicht aber für sonstige zerebrale Funktionen!
Genetische Risikofaktoren?Vielfach belegt!
– ZwillingsstudienBishop 2001:eineiig: 9% unauffällig wenn 1
Zwilling SESzweieiig:54% unauffällig wenn 1
Zwilling SES– Gleiche Umgebungseinflüsse– Höhere Heritabilität als Entwicklungseinflüsse (Plomin
et al 2000)
• Signifikante genetische Verursachung von SES (Bishop, North & Donlan 1995, Lewis & Thompson 1992, Tomblin & Buckwalter 1998...)
• Bei Betroffenheit eines Verwandten 1. Grades steigt die Wahrscheinlichkeit einer SES vierfach! (Tomblin 2009)
• Identifikation eines defekten Gens und Entwicklung eines diagnostischen Tests für SES unwahrscheinlich
• Kombinierter jeweils geringer Einfluss vieler Gene gemeinsam mit Risikofaktoren aus dem Umfeld (vlg. Asthma, Allergien, Diabetes...) führen zu SES
• Vermutlich unterschiedliche Ursachen für Störungen verschiedener Komponenten der Sprachentwicklung
• FOXP2 Gen: selten und bei SES zumeist unauffällig
Neurologische Grundlagen von SES
Funktionelle Spezialisierung
Sprachareale
• Fallstudie: periphäres Hören und primäre auditive Verarbeitung möglich, nicht aber Verarbeitung von Sprachlauten
Einschmelzungen der oberen Temporalwindung:
Herpes Encephalitis im Alter von 3 Mo
Reine Worttaubheit
-Phonemidentifikation
+Musikerkennung
+Erkennen von Prosodie (z.B. Rhythmus)
+Erkennen von bekannten Geräuschen
-Sprachwiederholung
-Sprachverständnis
+Auditive Sensitivität
Strukturelle Auffälligkeiten im Gehirn bei Menschen mit
Sprachentwicklungsstörungen
Post mortem Studien
• Gallaburda (1985) Post mortem Studien von Erwachsenen mit Lesestörung: – aufgehobene Asymmetrie des PT
– Kortikale Ektopien und Dysplasien besondersperisylvisch
• Nur eine Studie (Cohen, Campbell & Yaghmai1989) 7jähriges SES Kind mit ADHD: – Symmetrie des PT
– diskrete Fehlbildung im Broca Areal
• Gehirnasymmetrien:– Ungewöhnliche Symmetrie des PT (Plante et al. 1989,
1991) bei Großteil der Kinder mit SES– Aber auch bei nicht sprachgestörten
Familienmitgliedern– Auffälligkeiten der Gehirnasymmetrie auch in anderen
perisylvischen Arealen (Jernigan et al 1991)
• Subcortikale Strukturen: – KE family (Verbale Dyspraxie): Auffälligkeiten
weniger graue Substanz im Nucleus caudatus und mehr graue Substandz im Putamen (Vargha Kadem et al. 1998)
MRT- Studien
• Morphologie der Hirnwindungen:– Wenig konsistente Zusammenhänge mit
Auftreten von Zwischenwindungen perisylvischlinks mit Sprache (Jackson & Plante 1997) u.a. oberer Schläfenlappen
Ergebnisse funktioneller bildgebender Verfahren
• Darstellung von Durchblutungs- bzw. Stoffwechseländerungen in Hirnarealen, die bei bestimmten geistigen Anforderungen aktiviert werden
• fMRI und PET
• Für SES Kinder nur bedingt geeignet: hoher technischer Aufwand, längeres Stilliegen, teils mit Injektion radioaktiver Substanzen verbunden
Positronenemissionstomographie
S. Shaywitz et al.
Funktionelle Kernspintomographie
Funktionelle bildgebende Verfahren (SPECT)bei Kindern mit expr. SES (aus Suchodoletz 2001)
In Ruhe: Durchblutung rechts höher als links
8Chiron et al. 1999
Aud. u. verb. Aufgaben: erhöhte Durchblutung im ganzen Gehirn
Phonemdiskr.: fehlende Aktivierung links
14Tzourio et al. 1994
In Ruhe: Minderdurchblutung im linken vorderen Frontallappen
3Lou et al. 1990
In Ruhe: Minderdurchblutung in der linken Broca Region
2Denays et al. 1989
In Ruhe: Minderdurchblutung temporal ein- oder beidseits
11Billiard et al 1988
Funktionelle bildgebende Verfahren (SPECT)bei Kindern mit rez. SES
In Ruhe: Minderdurchblutung Wernicke Areal
7Lou et al. 1990
In Ruhe: Minderdurchblutung Wernicke und mittlerer Stirnlappen re
12Denays et al. 1989
Neurophysiologische Untersuchungen von
Kindersprache
• Nicht invasiv, artefaktanfällig
• Elektroenzephalographie (EEG)
• EKP (ereigniskorrelierte Potentiale)– Messung von Hirnstromveränderungen als
Reaktion auf bestimmte Reize mit häufiger Wiederholung
Akustisch evozierte Potentiale(aus Suchodoletz 2001)
Mismatch Negativität
• Scharf negativer Ausschlag zwischen 100-300 ms nach einer akustischen Veränderung
• Ausgelöst durch einen abweichenden Reiz (Devianten) in einer Folge von Standardreizen
• Deviant wird mit Gedächtnisspur der vorhergegangenen Signals verglichen. MMN tritt dann auf, wenn der neue Reiz die Erwartungen des auditorischen Kortex nicht erfüllt.
• MMN: automatische Erkennung einer Signalveränderung!
• Kinder mit SES: Hinweise auf auditorisches Verarbeitungsdefizit spezifisch für Sprachreize:– Geringere MMN bei CV Silben (/ba/ /da/ /ga/)
aber nicht für Töne (Uwer, Albrecht & Suchodoletz 2002, Shafer, et al. 2005)
Können EKP Sprachstörungen vorhersagen?
• Molfese & Kollegen: Signifikante Zusammenhängen zwischen sehr frühen EKP Auffälligkeiten und späteren SES.
• Friedrich & Friederici 2006: MMN Auffälligkeiten bei SES Risikokindern im Alter von 2 Monaten
• Leppänen et al. 1999: Neugeborene LRS Risikokinder: verzögerte und abgeschwächte Reaktionen auf den Devianten /ka/ im Vergleich zu den Standardsilben /ka:/.
Zusammenfassung:
• Hinweise auf Migrationsstörungen (embryonale Gehirnentwicklung) mit genetischer Verursachung
• Strukturelle Auffälligkeiten:– Abweichende Asymmetrie in perisylvischen Arealen– Subkortikale Anomalien– Atypische Beschaffenheit der Hirnwindungen
• Abweichende sprachliche (und nichtsprachliche) Verarbeitung (z.B. aufgehobene Asymmetrie, geringere Aktivierung sprachlicher Areale)
• Auffälligkeiten der Inputverarbeitung (verzögerte zeitliche Auflösung) sprachlicher Signale
Was ist nun die neurologische Ursache?
• SES: Nicht Folge EINES zugrundeliegenden Defizits
• Häufung von Risikofaktoren führt zu SES
Multiple Risikofaktoren
UmgebungsRisiko 1
Genet. Risiko 1
Genet.Risiko 2
????
AuditiveVerarb.störung
SchwachesPhon AG
Gramm.Defizit
???
+
RISIKO SES
Neuronale Struktur und Verarbeitung
Neurologische Grundlagen derSprachverarbeitung
• ...helfen zum Aufbau evidenzbasierter Modelle der Sprachverarbeitung
• ...und somit zu einer hypothesengeleiteten Diagnostik
• ...und hypothesengeleiteten spezifischen Therapie und Förderung
Aus Suchodoletz 2001
Multidimensionale DiagnostikFallstudie
• Mädchen 6;2 Jahre
• Einzelkind
• SSV und Geburt o.B.
• Orofaciale Funktionen 1. LJ o.B., später etwas „kaufaul“
• Erste Wörter im Alter von > 2 Jahren
• Zuvor häufiges Jargonlallen
• Schien oft nicht zuzuhören
• Stark eingeschränkte Sprechverständlichkeit
• Bereits seit Jahren in logopädischer Therapie, geringe Fortschritte
• Letztes Kindergartenjahr
• Hypermotorisch, Aufmerksamkeitsspanne eingeschränkt
• Keine sozialen Auffälligkeiten innerhalb der Kindergruppe
• Freies Gehen verspätet: 21 Mo
• Rezidivierende Mittelohrentzündungen bis ins 3. LJ
Sprachverständnis TROG-D
Sprachverständnis Reynell-III
• Sprachverständnis:– Reynell III: knapp > 3 Jahre
– TROG: stark eingeschränkt:• Präpositionen: neben, in, vor, hinter
• Tempus
• Passivsätze
• Pronomina (er, sie f., sie pl.,,,)
• Relativsätze
• Subjekt- Objektmarkierung
Periph. Hören
Aud. Vorverarbeitung
Phonolog. Erkennung
Wortbedeutung
Spur im phon. KZG
phon. RepräsentationPhonolog. Kodierung
Mot. Planung und Programmierung
Motorische Ausführung
Silbenlexikon
• Peripheres Hörvermögen o.B.• Sprachaudiometrie o.B. (Schalleitung in Vght.)• Selektives Hören eingeschränkt (40%) • Phonematische Diskrimination:
– Nachsprechen von Einsilbern: 90% korrekt– Kunstwörter VCV fehlerlos nachgesprochen– Phonemdifferenzierung in realen Wörtern (bei
fehlerhafter Aussprache) leichte Unsicherheiten– Phonemdifferenzierung: Bilder zu gehörten Wörtern
zuordnen (unterdurchschnittlich, jedoch noch im Rahmen)
• Phonologisches Arbeitsgedächtnis:– Signifikant eingeschränkt
• Zahlenfolgengedächtnis:– Max. Dreierfolgen wiedergegeben
• Phonologische Bewusstheit:– Zergliedern von Wörtern in Silben sicher
möglich (viel geübt!)
– Angabe des Anfangslauts von Wörtern (nur betont vokalisch) möglich
• Wortschatz: AWST: Referenzalter: 4 – 4 ½ Jahre
SETK-3-5 (ESR)
SETK-MR
• Dysgrammatismus:– Genus: Artikelauslassung (Elefant) oder –fehler
(der Kinder, in die Tisch)– Kasus: Schildkröte woll in der Wasser,– Verbzweitstellung zumeist realisiert (häufig
„Ersatzverb“ woll. „Der woll in Rutsche hüpfen“
– Nebensatzverbendstellung: mitunter gegeben: ...weil lustig ist
– Auslassungen der Pronomina– Pluralbildung noch nicht konsequent (viele
Gäbel, viel Vogel, viel Apfel, keine Markierung bei Pseudowörtern)
• Intelligenz:– SON (4 Jahre): handlungsbezogen IQ 91,
Denktests (IQ 100), Gesamt IQ 94– NNAT (6;2 Jahre) IQ 98– K-ABC: alle Subtests > 85– Schwächen beim Legen der Bilder einer
Bildgeschichte– Rechnen o.B.
• Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätssyndrom (Mischtyp)
• Rezeptive Sprachentwicklungsstörung
DIAGNOSEN
• Per. Hörstatus o.B.
• Selektives Hören eingeschränkt
• Leichte Schwächen der Phonemdiskrimination
• Stark eingeschränktes Phonologisches Arbeitsgedächtnis
• Primär Schwäche der rezeptiven Grammatik und somit auch der expressiven Grammatik.
• 1) Logopädie/Sprachheilpädagogik Einzelsetting:
Spezifisches Ansetzen der Förderung an der rez. Grammatik (und Wortschatz)– Aufgrund der Schwierigkeiten der rezeptiven
Grammatik: gute Eignung der Kontextoptimierung (Inputspezifizierung) nach Motsch
Absichern der phonologischen Bewusstheit
Intervention
• Z.B. KASUS:– Erarbeiten des korrekten grammatischen
Geschlechts einiger häufiger Nomina– Bewusstmachung von grammatischen
Merkmalen: » de-n Hund» Einschränkung von Input: kurze relevante
Phrasen– „zwingende“ Kontexte: Akk.: Was machst du?
Ich werfe/rolle...denBall.Wem gehört der Ball? ...demMann.
– Kontraste: Dat. – Akk. „Tierwärter!“ » Gib dem Pinguin den Fisch!
• 2. Sprachheilpädagogisches Arbeiten in der Gruppe:Absichern und Förderung von Sprachverständnis
-einfache natürliche Sprache -Sicherstellung der Aufmerksamkeit, -Sprechakteinleitungen -eindeutige Körpersprache-nicht zu schnelle Sprache -eher kurze sprachliche Äußerungen-Unterstützung durch Bilder oder Handlungsbegleitung.....
3. „Behandlung“ der Aufmerksamkeitsstörung– Verhaltenstherapeutisch orientiert
– Struktur in Abläufen und Umgebung (Sitzposition, Raumakustik, Arbeitsphasen...)
– Medikamentös
– ....
Nebensatzkonstruktionen: Verbendstellung
beginnend mit ...weil-Sätzen
...wenn-Sätzen
• 4) Einbeziehung der Eltern– Kommunikationsstrategien
– Verhaltensmanagement
– Automatisierungsübungen...
Zusammenfassung
Intervention
• Vererbbar
• ABER behandelbar!
Was jetzt?• Forschungsdesiderata:
– Exakte Beschreibung der sprachlichen und nichtsprachlichen Auffälligkeiten
• Testinstrumente• Screeningverfahren
– Gleichzeitiger Einsatz verschiedener Verfahren • Räumliche und zeitliche Auflösung, psychometrisch
– Longitudinalstudien– Interventionsforschung:
• RCS• Hypothesengeleitet• Vergleichend• Langzeiteffekte...
• Die Komplexität von SES erfordert multiprofessionelles Vorgehen– Diagnostik und Förderplanung
• Multidimensional/interdisziplinär
• Auf Sprachverarbeitung basierend
• Evidenzbasiert (theoretisch begründet, modellgeleitet)
• Auf allen sprachlichen Funktionsebenen (expressiv, rezeptiv, pragmatisch)
• Unter Berücksichtigung von Risikofaktoren (genetisch, Umfeld, Sprachverständnis...)
• Unter Einbeziehung der Eltern
– Intervention:
• früh (Plastizität nutzend)
• kind- und umfeldzentriert (Gene- EnvironmentInteraction)
• sprach- und kommunikationsorientiert, inputorientiert (Effekte auf Morphosyntax, Lexikon, Phonetik und Phonologie
• differenzierte Kindergarten- und schulische Angebote (entsprechend Art, Schwere und Risikofaktoren)
• sprachtherapeutisch und sprachheilpädagogisch
• Vermeidung von psychosozialen Sekundärstörungen: Schaffung von Rahmenbedingungen (Nachteilsausgleich vgl. LRS)
• begleitende Evaluationen der Maßnahmen
Chancen für Kindermit
Sprachentwicklungsproblemen!