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Neue Wohlfahrtsmärkte: Von der Sozial- zur Verbraucherpolitik
PD Dr. Wolfram Lamping
Beitrag für den zweiten Workshop von DIW und FES „Wissenschaft und Politik im Gespräch: Perspektiven forschungsgeleiteter Verbraucherpolitik“, 22.10.2010, Berlin.
• Rückzug des Sozialstaates aus alten Sicherungsversprechen
• Größere Räume politisch gewollter Eigenverantwortlichkeit
• Höherer Anteil auf dem Markt produzierter Sicherungsleistungen
• Stärkere Einforderung marktanalogen Verhaltens im Sozialstaat
• Wachsende Anforderungen an die Bürger, sich zu rationalen Managern
ihrer Sicherungsportefolios weiter zu entwickeln
• Nutzung der neuen Wohlfahrtsmärkte ist mit Blick auf
Verhaltensanforderungen und Verteilungsfolgen hoch anspruchsvoll
1. Neue Herausforderungen im Sozialstaat
• Weniger Generösität, mehr marktbasierte Leistungen und eine stärkere
Aktivierung der Individuen: Oberflächenindikatoren eines neues
Sozialstaatsverständnisses
• Wahlentscheidungen rationaler und aufgeklärter Individuen sowie
traditionelle Konsumentenfähigkeiten werden auf dem Markt der
sozialstaatlichen Produkte und Dienstleistungen immer wichtiger
• Individuen sollen zunehmend aktive, informierte, selbstkontrollierte und
selbstverantwortliche Unternehmern ihrer selbst werden und klassische
Marktfähigkeiten entwickeln
2. Verbraucher auf Wohlfahrtsmärkten – vier Beispiele
• Stärkere Mitwirkungspflichten der Arbeitssuchenden (z.B.
Eingliederungsvereinbarung)
• Neue Reziprozität von Rechten und Pflichten
• Vermittlungsgutschein (Auswahl privater Dienstleister; kaum
Transparenz auf dem Vermittlungsmarkt; creaming)
• Bildungsgutschein (Auswahl zwischen verschiedenen
Weiterbildungsträgern)
2.1 Arbeitslosenversicherung und aktivierende Arbeitsmarktpolitik (2003-2005)
• Mehr Wahl durch u.a.
- Spezifische Tarife (Hausarzt-Tarife, Teilnahmebonusse für die Einschreibung in
Programme)
- Individuell zugeschnittene Tarife in Form von Kostenerstattungs-Tarifen,
Selbstbehalt-Tarifen, Beitragsrückerstattungs-Tarifen, Bonussystemen
• Zudem haben Versicherte ein Kassenwahl- sowie ein außerordentliches
Kündigungsrecht bei Beitragserhöhungen (Zusatzbeitrag) ihrer Kassen und
• und sollten ferner zusätzliche private Versicherungen aufgrund wachsender
Leistungslücken in der GKV abschließen.
2.2 Gesetzliche Krankenversicherung (2004, 2007 und 2010)
• Marktschaffung durch Einführung der geförderten privaten
Zusatzversicherung („Riester-Rente“)
• Großer individueller Entscheidungsraum (Abschluss eines Vertrags
oder nicht; Höhe des Eigenanteils, Anlageform etc.)
• Wahl zwischen unterschiedlichen Anbietern und unterschiedlichen
zertifizierten Anlageformen
• Hohe Marktintransparenz und Folgenunsicherheit
• Selektive Inanspruchnahme der Riester-Rente
2.3 Gesetzliche Rentenversicherung (2001)
• Pioniergesetz
• Auswahl geeigneter Pflege-Anbieter (ambulante, teilstationäre oder
stationäre Anbieter) auf einem wenig transparenten Wettbewerbsmarkt
• Unterschiedliche Preise, Leistungen und Qualitäten der Anbieter
• Pflegegeld oder Pflegesachleistung (ambulante Pflege)
• Notwendigkeit zusätzlicher privater Vorsorge
(Pflegezusatzversicherung) für nicht von der GPV abgedeckte oder
nicht ausreichend finanzierte Leistungen
2.4 Gesetzliche Pflegeversicherung (1995)
• Pflege als Wohlfahrts- und Wachstumsmarkt – neue/alte
Herausforderungen für den Verbraucherschutz
Problemkomplex „Qualität/Leistungserbringung“ („Pflege-TÜV“)
Problemkomplex „finanzielle Zusatzvorsorge/Finanzdienstleistungen“
2.4 Gesetzliche Pflegeversicherung (1995)
• Optimistische Grundannahmen der neuen deutschen Sozialpolitik
• Gefahr: In den neuen Entscheidungsräumen brechen neue soziale
Ungleichheiten v.a. entlang der Dimensionen Einkommen, Bildung und Risiko
auf und drohen, sich über ungleiche Zugangschancen und die unterschiedliche
Nutzung der neuen Wahlmöglichkeiten zu verfestigen.
• Mögliche Folge: Keine Entscheidungen zu treffen oder riskante (Fehl-)
Entscheidungen zu treffen aufgrund von Markttransparenz, unvollständigen
Informationen, hoher Komplexität, unvollständigen Informationen, hoher
Komplexität und oft unkalkulierbaren Langfrist-Folgekosten von Entscheidungen
3. Schlussfolgerungen
• Herstellung von Markttransparenz sowie Initiierung, Förderung und
Ausbau von adäquaten, neutralen und verlässlichen Informations-
systemen eine wichtige Zukunftsaufgabe des Sozialstaats
• Die Verbraucherpolitik hat Mühe, mit dieser Entwicklung Schritt zu
halten
3. Schlussfolgerungen