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LVR-Zentrum für Medien und Bildung
Medienzentrum für dieLandeshauptstadt Düsseldorf medienbrief
02/2011
Leben und Lernen mit Computerspielen
Marco, 17 Jahre, Schüler:
„Ich spiele, solange ich denken kann...“
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vorwort
Michael Thessel, Leiter des LVR-Zentrums für Medien und Bildung (LVR-ZMB) Foto: LVR-Zentrum für Medien und Bildung
Mechtild Appelhoff, Leiterin des Bereichs Medienkompetenz und Bürgermedien der Landesanstalt für Medien (LfM)
Foto: Landesanstalt für Medien
Computerspiele in die Schule?
Tim, 14 Jahre, spielt in seiner Gilde gerne WoW, während Sonja, 12 Jahre, gemeinsam mit ihren Freundinnen ihre Lieblingssongs bei SingStar singt. André, 17 Jahre, hingegen verbringt seine Freizeit gerne mit Freunden – und zwar mit dem Taktik-Shooter Counter Strike, und Alev, 15 Jahre, bewirtschaftet auf ihrer Farm bei facebook ihr Ackerland.
Diese Szenen aus dem Medienalltag vieler Kinder und Jugendlicher erschließen sich so manchem Erwachsenen nicht auf Anhieb. Eltern und Lehrkräfte können oftmals die Faszination, die digitale Spielwelten auf Heranwachsende ausüben, nicht nachvollziehen. Im Gegenteil: Computerspiele sind in den Köpfen oftmals mit den Begriffen „Gewalt“ und „Sucht“ assoziiert. Und natürlich gibt es Problemlagen im Kontext digitaler Spiele: Ist der Konsum als übermäßig zu bezeichnen, wenn andere, bislang liebgewonnene Hobbies darunter leiden? Welches Geschichtsbild vermittelt sich durch einen Shooter, dessen Rahmenhandlung im Zweiten Weltkrieg angesiedelt ist? Was passiert mit den persönlichen Daten, die man preisgeben muss, um ein Social Game zu spielen?
Dennoch: Erziehende, und damit auch Schule, sollten diese Begeisterung, die viele Kinder und Jugendliche virtuellen Welten entgegenbringen, ernst nehmen – und auch in Bildungskontexten aufgreifen. Gleichzeitig werden Heranwachsende bei der begleiteten Auseinandersetzung mit digitalen Spielen für die verschiedenen Problemlagen sensibilisiert und eine kritische Spielenutzung kann so befördert werden. Insgesamt sollten digitale Spiele nicht auf ihre Risiken verkürzt werden – dies würden ihrer vielen Potenziale nicht gerecht! Vielmehr geht es darum, als Lehrkraft eine differenzierende Perspektive einzunehmen und Schülerinnen und Schülern unter Berücksichtigung ihrer Begeisterung eine reflektierende Auseinandersetzung mit virtuellen Welten zu ermöglichen.
Virtuelle Welten bieten dafür vielfältige Möglichkeiten, die sich gewinnbringend in den Unterricht einbinden lassen. In der vorliegenden „Medienbrief“-Ausgabe informieren Expertinnen und Experten aus Forschung & Praxis über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und zeigen eine spannende Bandbreite von Maßnahmen, Projekten und Materialien auf, die Ihnen Lust auf eine Beschäftigung in Ihrem Unterricht machen sollen!
Für diese Ausgabe haben sich mit dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) und der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) zwei Institutionen zusammengetan, die bereits seit vielen Jahren mit der didaktischen Aufbereitung und Nutzbarmachung von medienpädagogischen Materialien befasst sind und mit ihren Maßnahmen insbesondere Eltern, Lehrkräften und Multiplikatoren Ideen und Hilfen an die Hand geben wollen, die eine kritische Auseinandersetzung mit Medienthemen ermöglichen.
Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre – und insbesondere bei der praktischen Umsetzung in Ihrem Unterricht!
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Editorial
Meike Isenberg
Computerspiele und virtuelle Welten sind aus dem Alltag vieler Kinder und Jugendlicher nicht mehr wegzudenken und sind somit oftmals ein fester Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit. Zugleich werden Kinder und Jugendliche in ihrer Computer(spiel)nutzung vielfach sich selbst überlassen, sodass sich Schule zunehmend mit diesem Thema auseinandersetzen sollte. Beachtet werden sollten sowohl die Chancen als auch die Problemlagen, um Heranwachsenden einerseits das Einnehmen einer differenzierenden Perspektive zum Thema Computerspiele zu ermöglichen und andererseits eine kritisch-reflektierende Spielenutzung zu fördern.
Die zentrale Frage hierbei ist, in welcher Form diese Auseinandersetzung sinnvoll erfolgen kann und unter (medien)pädagogisch-didaktischen Gesichtspunkten erfolgen sollte – eine Frage ohne die eine richtige Antwort. Die Autorinnen und Autoren dieser „Medienbrief“-Ausgabe zum Schwerpunktthema Computerspiele jedoch versuchen, anhand einer Vorstellung von Unterrichtsmaterialien, Praxisprojekten sowie wissenschaftlichen Erkenntnissen, zu informieren und Anregungen für die Auseinandersetzung mit dem Thema in schulischen Kontexten zu geben. Bewusst stehen in der vorliegenden Ausgabe die Potenziale von Spielen und deren didaktische Nutzbarmachung im Fokus der Betrachtung.
Der Leitartikel von Jürgen Fritz will Hintergrundwissen darüber vermitteln, was Computerspiele fordern, welche Motivationskraft sie entfalten, welche Lernprozesse durch das Spielen ausgelöst werden und welche Förderungsmöglichkeiten es gibt. Meike Isenberg stellt Kernergebnisse aus aktuellen Studien, die der Frage nach den Lernpotenzialen, aber auch Problemlagen von Computerspielen nachgehen sowie verschiedene Unterrichts- und Informationsmaterialien der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Computerspiele im Unterricht vor. Linda Breitlauch setzt sich in ihrem Beitrag mit dem Thema Computerspiele als Lernmethode auseinander und erläutert die Lernprozesse und -potenziale von sogenannten „Serious Games“ oder „Game Based Learning“, also von Spielen, die konzipiert sind, um Lerninhalte zu vermitteln.
In weiteren Beiträgen stellen die Autoren Tobias Hübner, Jürgen Sleegers, Andreas Hedrich, Ibrahim Mazari, Arne Busse und Martin Müsgens verschiedene Praxisprojekte und -konzepte, darunter das Projekt „gameskompakt – Medienkompetenz im Koffer“ des Instituts Spielraum, den kreativ-produzierenden Ansatz des „Creative Gaming“, die Idee der „eSport Schulmeisterschaft“, das Konzept von „Eltern-LAN Veranstaltungen“ oder die Angebote der EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz – klicksafe.de, vor. Die Autoren zeigen dabei eine Bandbreite an Möglichkeiten einer vielfältigen, differenzierten Auseinandersetzung mit dem Thema Computerspiele in schulischen sowie außerschulischen Kontexten auf.
Abgerundet wird das Schwerpunktthema Computerspiele durch zwei Interviews: Marco Fileccia lässt die Computerspielhelden Pacman, Mario, Niko Bellic und Lara Croft über ihre Existenz in Schule und Unterricht diskutieren und veranschaulicht dies anhand verschiedener Computerspielprojekte des Elsa-Brandström-Gymnasiums in Oberhausen, an dem er unterrichtet. Abschließend kommt Schüler Marco
Siegmund zu Wort und gibt Einblicke in seine Computerspielnutzung.
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Soziales Spielen verändert soziale Strukturen.
Relevanz von Games
Ibrahim Mazari
Computerspiele sind für junge Menschen selbstverständlicher Bestandteil der Freizeitgestaltung und insbesondere für Jungen das kommende Leitmedium. Studien wie JIM 2010 (Jugend, Information und (Multi-) Media vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest) zeigen eindringlich, wie stark die Bedeutung von Games von Jahr zu Jahr wächst. Computerspiele prägen ganze Jugendkulturen und spielen für viele Kinder und Jugendliche eine wichtige Rolle, sich in der Medienwelt kulturell zu verorten. Diese Entwicklung korrespondiert mit der wachsenden wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung von Games. Der Umsatz digitaler Spiele in Deutschland hat den der Kinokassen und der Musikindustrie überholt und zeigt darüber hinaus noch weit mehr Potenzial – vor allem im Boom-Markt der Online-Games.
Kulturpolitisch hat die Stellungnahme des Deutschen Kulturrats 2009 für Furore gesorgt, nach der Computerspiele wie andere Erzeugnisse menschlicher Kreativität selbstverständlich als Kultur zu betrachten seien mit allen Vorzügen wie Förderung und Würdigung.
Dies ist umso erstaunlicher, da Computerspiele gerade in Deutschland keinen guten Ruf genießen und sich Lehrer, Politiker und einige Kulturschaffende aus traditionellen Kulturbranchen schwer tun mit neuen Formen kultureller Erzeugnisse.
Sowohl die Bedeutung von digitalen Spielen für die jugendliche Lebenswelten als auch die steigende wirtschaftliche und gesellschaftliche Relevanz von Games fordern Schule und Bildungswesen heraus, sich dem Thema kritisch konstruktiv zu nähern, um Jugendliche zu motivieren, sich spielerisch Inhalte anzueignen, aber auch, um den Gebrauch von Games zu hinterfragen.
Warum fördern Spiele Kompetenzen?
In der Diskussion um die Wirkungen von digitalen Spielen wird verkürzt vor den tatsächlichen oder vermeintlichen Gefahren gewarnt. Zu einer sachlich differenzierten Betrachtung gehört es, die positiven Aspekte der Spiele (auch digitaler Spiele) für das Lernen zu untersuchen und für den Unterricht zu nutzen.
Was fördern Spiele?
¢# Sensomotorisch (Auge-Hand-Koordination, Reaktionsschnelligkeit, Konzentrationskraft, navigieren und lenken)
¢# Kognitiv (räumliches Orientierungsvermögen, Gedächtnisfähigkeit, Kombinationsfähigkeit, Kompetenz in konvergenter Kreativität, Lernfähigkeit, Experimentierfreudigkeit, Zeitmanagement, Ressourcenmanagement, Planungskompetenz, Problemlösungskompetenz, Sachkompetenz)
¢# Emotional (Gefühlsmanagement, Stressresistenz, Selbstdisziplin, Erfolgsmotivation, Ausdauer)
¢# Sozial (Kooperationsfähigkeit, Hilfsbereitschaft, Empathie)
¢# Der soziale Nutzen von Games zeigt sich insbesondere in der spezifischen Ausprägung des eSports (elektronischer Sport, das Computerspielen unter Wettbewerbsbedingungen). Wie im klassischen Sport geht es darum, junge Menschen für eine gemeinsame Sache zu begeistern, sich den Interessen eines Teams unterzuordnen und im Geiste von Fairness und Leistungsbereitschaft gegeneinander anzutreten. Es geht um Strategie, Taktik und Teamfähigkeit.
¢# Die Spieler messen sich untereinander.
¢# Sie erfahren eigene Stärken und Schwächen, lernen mit Niederlagen umzugehen und sich permanent zu verbessern.
Soziales Spielen verändert soziale Strukturen.
Das soziale Element des Online-Gamings oder des Spielens unter LAN-Bedingungen führt zu komplexen gesellschaftlichen Strukturen, die sich als Spielervereinigungen (Clans) online auf Plattformen wie beispielsweise der größten europäischen Liga für Computerspieler (Electronic Sports League) organisieren und sich im realen Leben treffen. Es gibt Helden und Stars in bekannten Clans, die Vorbilder für Millionen junger Menschen sind.
Demzufolge tragen die Clans eine hohe pädagogische Verantwortung. Durch die Zusammenarbeit im Verein erwerben die jungen Spieler weitere Kompetenzen,
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die nicht direkt mit dem Spiel selbst zusammenhängen, sondern die soziale Organisation rund um den Kult des Spielens betreffen.
Die Clans leisten das, was auch Sportvereine leisten:
¢# Sie vermitteln Werte.
¢# Sie erziehen zu Teamfähigkeit.
¢# Sie lernen durch ihre Reisen andere Kulturen und Sprachen kennen.
¢# Sie erwerben Organisationsfähigkeiten (im nichtvirtuellen Leben).
¢# Spieler werden in ihnen kommunikativer.
¢# Clan-Spieler lernen vernetztes Denken.
Männerwelt eSport
Es gibt einen geschlechtsspezifischen Unterschied im Umgang mit digitalen Spielen. War früher der Frauenanteil wie in den Anfangszeiten des Internets generell geringer, so gilt das heute bei Games nicht. Jedoch bevorzugen Mädchen und Frauen allgemein andere Spiele sowie einen anderen Umgang damit. So ist der Anteil der eSport-Damen mit etwas über fünf Prozent in Europas größter Online-Liga ESL ziemlich klein, auch wenn es spezielle Frauenligen gibt und der Frauenanteil wächst. Erstaunlich ist, dass selbst auf dieser Plattform des wettbewerbsorientierten Spielens (ESL) Mädchen und Frauen stärker bei Rollenspielen („World of Warcraft“, „Guildwars“) vertreten sind. Frauen spielen anders, ihnen ist der soziale Austausch wichtiger als das „Sich-Messen“. So macht der Frauenanteil bei „World of Warcraft“ (dem Rollenspiel mit den meisten Spielern) über 30 Prozent aus.
Wie kann ich Games im Unterricht nutzen?
Computerspiele sind komplexe Gebilde, die wie andere Medieninhalte Gegenstand unterschiedlicher Disziplinen und Schulfächer sein sollten. Besonders wirksam wäre es, Games in den regulären Schulunterricht zu integrieren, da es mit der Anknüpfung an die Interessen der Schüler und dem multimedialen Eigenschaften von Games besser gelänge, die Lernmotivation zu steigern und Inhalte zu vermitteln. Gerade die Spielmechaniken Belohnung, Level, Wettbewerb, und Strategie sind für alle Formen des Lernens und Problemlösens relevant und sollten gezielt genutzt werden.
Im Deutschunterricht böte sich an, die narrativen Strukturen von Games zu analysieren und mit anderen Textarten zu vergleichen. Wie werden Helden konstruiert? Gibt es kulturelle Vorbilder in der Literatur und im Film? Wie prägen Games andere Kulturerzeugnisse und was sagt uns das über die Gesellschaft?
Für den Geschichtsunterricht wäre es spannend, bestehende Strategiespiele wie „Age of Empires“ und „Civilization“, die den Werdegang der Menschheit simulieren, auf Ihre Richtigkeit hin zu untersuchen und die Schüler zu motivieren, sich mit den dargestellten Epochen mehr zu beschäftigen. Gekoppelt mit Internet-gestützten Publikationsformen wie Blogs oder Wikis ließen sich daraus Projekte bauen.
Im Kunstunterricht könnten Schüler sich mit Artworks von Games auseinandersetzen und diese nachzeichnen. Die Ästhetik digitaler Spiele eignet sich ideal, um Schüler zu motivieren, ihre Kunstfertigkeit auszuprobieren und die Artworks zu analysieren und
Foto: Ibrahim Mazari
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mit anderen Kunstwerken zu vergleichen. Im Fach Sozialwissenschaft können Schüler einen kritischen Blick auf die Stereotypen in Games (ähnlich wie in anderen Medien) werfen, etwa welche Geschlechtsbilder transportiert und wie Nationen und Kulturen dargestellt werden. Computerspiele ließen sich betrachten als Erzeugnisse einer Gesellschaft, die ihre Konflikte, Wünsche und Sehnsüchte in Medien abbildet. Medien sind demnach ein spannendes Feld, um gesellschaftliche Entwicklungen ausfindig zu machen.
Nicht zuletzt der Sportunterricht könnte sich mit dem Thema eSport beschäftigen und fragen, ob man Games wie Sport im Wettbewerb praktizieren kann, schließlich ist der elektronische Sport (eSport) in einigen Ländern als Sportart anerkannt. Neben den theoretischen Aspekten kann man Games aktiv zur-Teambildung nutzen. Diese Überlegungen bilden die ideale Überleitung zu einem bestehenden Projekt, bei dem Schulen in Teams gegeneinander antreten und im sportlichen Wettbewerb gemeinsam mit einem Lehrer für ihre Schule antreten: Die eSport Schulmeisterschaft
Projekte mit Games im Unterricht – eSport Schulmeisterschaft
Bei dem bundesweiten Schulwettstreit treten Schüler als Team für ihre Schule an und messen sich in fünf verschiedenen Computerspielen mit Schülern anderer Schulen. In einer Online-Qualifikation ermitteln die Teilnehmer die vier besten Mannschaften, die in einer Finalveranstaltung den Deutschen Schulmeister im Computerspielen ausmachen. Die eSport Schulmeisterschaft geht bereits in ihre fünfte Saison und wird von dem Computerspiel-Ligenanbieter Turtle Entertainment und dem Deutschen Spielemuseum e. V. veranstaltet. Das Institut für Computerspiel „Spawnpoint“ aus Erfurt unterstützt die angemeldeten Schulen bei der Durchführung in der Schule und zeigt Möglichkeiten auf, wie Computerspielinhalte in den Schulunterricht eingebunden werden können. Ziel ist es, den verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien und Werte zu vermitteln wie Teamfähigkeit, Kreativität, Kommunikation und den Erwerb von IT-Kompetenzen, um ein Gruppenziel zu erreichen. Dieses Jahr nahmen 62 Schulen aus ganz Deutschland mit über 400 Schülern teil. Das reizvolle an der eSport Schulmeisterschaft besteht darin, den Zusammenhalt in der Schule durch den Sportgeist zu wecken und sich darüber hinaus spielerisch den Themen zu nähern, Benachteiligungen frühzeitig entgegenzuwirken und Berührungsängste gegenüber Computerspiele bei Schülern, Lehrern und Eltern abzubauen.
Das Projekt liefert eine gute Basis für Diskussions-runden und Referate innerhalb des Klassenverbunds,
um das eigene Spiel- und Mediennutzungsverhalten zu beleuchten, über die gezeigten Spielinhalte zu reflektieren, Spielinhalte und ihre Auswirkungen auf das soziale Verhalten zu bewerten und das Thema Jugendschutz und Alterseinstufungen durch die USK zu behandeln.
www.schulmeisterschaft.de
Ibrahim Mazari ist Sozialwissenschaftler und Psychologe, verantwortet in seiner Funktion als Pressesprecher der „Turtle Entertainment GmbH“ die Kommunikation der „Electronic Sports League“ (ESL). Darüber hinaus ist er der Jugendschutzbeauftragte der ESL und kümmert sich um die Themen Jugendschutz und Medienkompetenz. Ein weiteres Aufgabengebiet ist die politische Kommunikation und die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen.
Foto: Ibrahim Mazari
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Abbildung: Stefan Bayer, www.pixelio.de
Mit Ballerspielen gegen pädagogische No-Go-Areas?
Erfahrungen mit Eltern-LANs
von Arne Busse in Kooperation mit Torben Kohring, Ibrahim Mazari, Tobias Miller, Horst Pohlmann und und Jürgen Sleegers
Das Thema Computerspiele und der pädagogische Umgang mit Computerspielen ist für Eltern häufig eine große erzieherische Herausforderung. Viele Eltern scheuen die erzieherische Auseinandersetzung oder beschränken sich auf Regelungen hinsichtlich der erlaubten Nutzungszeit. Eine kritische, zwischen entwicklungsbeeinträchtigenden und -fördernden Aspekten differenzierende Auseinandersetzung erfordert Zeit, Engagement und Orientierungswissen – eine Kombination, die für heutige, zahlreichen beruflichen wie privaten Anforderungen ausgesetzten Eltern, oft nicht verfügbar ist. Eltern, aber auch pädagogische Fachkräfte sowie Lehrkräfte bei der Auseinandersetzung mit dem jugendlichen Hobby „Computerspielen“ zu unterstützen, ihnen das notwendige Orientierungswissen zu vermitteln sowie Dialogbarrieren zwischen den Generationen und eventuelle Berührungsängste gegenüber digitalen Medien abzubauen, ist daher ein wesentliches Anliegen von Eltern-LAN Veranstaltungen.
Pädagogische Ausgangssituation
Die pädagogische Ausgangssituation lässt sich aus nserer Sicht in drei Thesen beschreiben: u
1. Computerspiele1 sind relevanter Bestandteil (männlicher) jugendlicher Freizeitgestaltung.
Aktuelle Studien, wie beispielsweise die KIM- und JIM-Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest, zeigen, dass Computer- und Videospiele zu einem relevanten Teil jugendlichen Medienhandelns geworden sind. Vor allem für männ-
liche Heranwachsende stellt der Umgang mit Computerspielen eine wichtige Freizeitbeschäftigung dar. 93 Prozent der in der aktuellen JIM-Studie befragten 12- bis 19jährigen Jungen spielen Computerspiele (Mädchen 69 Prozent), die durchschnittliche tägliche Spielzeit der Jungen liegt bei 104 Minuten in der Woche und 132 Minuten am Wochenende.2
Dieser sehr ausgeprägten und teilweise auch sehr intensiven Mediennutzung gegenüber stehen Erwachsene, die nicht oder nur wenig spielen und sich kaum
Der Begriff Computerspiele wird im Folgenden als Synonym für alle Arten von digitalen Spielen, unabhängig von der technischen Plattform (PC, Konsole, Mobiltelefon etc.) verwendet.
2 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.), JIM 2010. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart 2010, S. 36. online: www.mpfs.de/jim
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mit diesem Medienhandeln der Heranwachsenden auseinandersetzen und aufgrund mangelnder eigener Erfahrung, fehlender Informationen nicht wissen, wie sie digitale Spiele pädagogisch beurteilen sollen. Die zweite These lautet dementsprechend:
2. Die Generation3 der Eltern (und Lehrkräfte) verfügt über kein diesem Medienhandeln entsprechendes Wissen, keinen angepassten Erfahrungshorizont oder pädagogischen Zugang.
Das Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (JFF) kam 2007 in einer Studie zur Akzeptanz des deutschen Jugendmedienschutzsystems zu dem Ergebnis, dass die notwendige Verantwortungsübernahme seitens der Eltern insbesondere dadurch beschränkt wird, dass Wissen und Fähigkeiten von Heranwachsenden und Erziehungsberechtigten in Bezug auf die interaktiven Möglichkeiten der heutigen Medienwelt sehr auseinanderdriften.4
Die dritte These mag gegenüber den beiden vorherigen überraschend erscheinen:
3. Eltern sind Expertinnen und Experten ihrer Kinder.
Eltern sind aufgrund ihres täglichen Umgangs mit ihren Kindern nicht nur die zumindest erfahrensten Expertinnen und Experten ihrer Kinder. Gleichzeitig sind sie bis zu einem gewissen Alter auch immer Rollenvorbild. Aufgrund dieses besonderen Charakters der Eltern-Kind-Beziehung sollten Eltern eine stärkere Verantwortung für das Medienhandeln ihrer Kinder übernehmen.
Konzept und Ablauf der Eltern-LANs
Unter dem Veranstaltungstitel „Eltern-LAN. Zusammen. Spiele. Erleben.“ wird der vernetzen Spielweise
zahlreicher aktueller Computerspiele Rechnung getragen, wie auch dem pädagogischen Charakter der Veranstaltung, mit der u. a. eine kommunikative „Vernetzung“ der jungen und alten Generation intendiert ist. Die Teilnehmenden einer Eltern-LAN bauen Berührungsängste mit dem Medium Computer ab und probieren unter pädagogischer Anleitung selbst Spiele in einem geschützten Rahmen aus. Ihnen werden Orientierungswissen und Medienkompetenz vermittelt und damit ermöglicht, sich mit Heranwachsenden über deren mediales Handeln und die Inhalte von Computerspielen kritisch auseinanderzusetzen. Als Rahmen der Eltern-LANs wurden bewusst die Live-Veranstaltungen der Electronic Sports League (ESL) gewählt, bei denen sich bis zu zweitausend Jugendliche und junge Erwachsene treffen, die wie bei einer herkömmlichen Sportveranstaltung professionellen Computerspielern und -spielerinnen via Großleinwand zuschauen, „ihr Team“ anfeuern und erfolgreiche Spielzüge bejubeln. Neben den eigenen Spielerfahrungen können die Teilnehmenden der Eltern-LANs so auch einen Einblick in die jugendliche Computerspielkultur gewinnen.
Der typische Programmablauf einer Eltern-LAN dauert ca. fünfeinhalb Stunden und beginnt mit einer medienpädagogischen Einführung zu Computerspielen. In einer ca. zweistündigen angeleiteten Spielphase werden dann das Auto-Rennspiel TrackMania Nations Forever und der Taktik-Shooter Counter-Strike gespielt. Vor der jeweiligen Spielphase werden die Spiele vorgestellt und die Steuerung erläutert. Nach der Spielphase stellt ein (ehemaliger) professioneller Computerspieler die ESL vor, beantwortet Fragen der Teilnehmenden zum eSport (das wettbewerbsmäßige Spielen von Computerspielen im Mehrspielermodus) oder schildert seine persönliche „Spiel-Biografie“. Im Anschluss wird das Thema „Medienwirkung/Exzessives Spielen“ in einem eigenständigen Themenblock dargestellt. Danach tauschen sich Teilnehmende mit Pädagogen und Pädagoginnen in einer Nachbesprechung über die gewonnenen Erfahrungen aus und diskutieren Fragen zum erzieherischen Umgang mit Computerspielen. Abschließend werden die Teilnehmenden in Kleingruppen über die Liga-Veranstaltung geführt und mit professionellen Computerspielern sowie Besuchern ins Gespräch gebracht. Eine Broschü
3 Es sind hier alle drei Generationenbegriffe zu berücksichtigen: der genealogische (Abstammung/Abfolge), der pädagogische (Wer lernt von wem oder lehrt/erzieht wen?) und der historisch-soziologische, der gesellschaftliche Gruppen nach bestimmten politischen, kulturellen, sozialen Erfahrungen oder Praxen ordnet. Vgl. François Höpflinger, Generationenfrage – Konzepte, theoretische Ansätze und Beobachtungen zu Generationenbeziehungen in späteren Lebensphasen. Lausanne 1999, online www.hoepflinger.com/fhtop/Generationenfrage.pdf (16.12.2010)
4 Helga Theunert/Christa Gebel, Untersuchung der Akzeptanz des Jugendmedienschutzes aus der Perspektive von Eltern, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften. Eigenständige Teilstudie zur Analyse des Jugendmedienschutzsystems. Endbericht. München 2007, S. 101 u. 108
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re mit Hintergrundinformationen sowie Tipps zum Medienalltag in der Familie wird den Teilnehmenden bereits vor der Veranstaltung als Download auf www. eltern-lan.info zur Verfügung gestellt.
Als wesentliches pädagogisches Prinzip der Eltern-LAN Veranstaltungen lässt sich der „Perspektivwechsel“ beschreiben. Eltern und pädagogischen Fachkräften, Lehrkräften wird in einem geschützten medienpädagogischen Rahmen ermöglicht, Computerspiele selber auszuprobieren und die Faszination digitaler Spielewelten zu erkunden, von denen ihre Kinder zu berichten wissen. Für einen begrenzten Zeitraum von zwei Stunden nehmen die erwachsenen Teilnehmenden während der Spielzeit die Perspektive computerspielender Kinder und Jugendlicher ein und können die genannte Faszination im Ansatz selbst erfahren. Dies soll nicht in Billigung des Medienhandelns resultieren, wohl aber in Verständnis und Motivation zur Kommunikation mit den Heranwachsenden.
Interesse und Resonanz der Teilnehmenden
Die meistgenannten Motive zur Teilnahme von Eltern und Pädagogen an den Eltern-LANs sind das Kennenlernen der Spiele der Kinder und Jugendlichen und das Verstehen der Faszination, die für Kinder und Jugendliche von Computerspielen ausgeht. Auch der Austausch mit anderen Eltern wird bei der Abfrage der Erwartungen und Teilnahmemotivationen zu Beginn der Eltern-LANs häufig genannt. Der größte Informationsbedarf bezog sich auf Regelungen zum Umgang mit Computerspielen im familiären Medienalltag sowie dem Kennenlernen von Ansprechpartnern bei weiterführenden Fragen oder konkreten Unterstützungsangeboten. Eine Mutter eines Zwölfjährigen aus Berlin resümierte ihre Teilnahme: „Ich kann jetzt besser argumentieren, kann jetzt eher sagen, das eine Spiel ist für mich in Ordnung, aber das andere, da möchte ich nicht, dass du es spielst.“. Eine derartige Informationsveranstaltung kann also dazu beitragen, Berührungsängste von Erziehenden gegenüber dem in erster Linie von Kindern und Jugendlichen genutzten Medium abzubauen und einen kritischen Dialog ermöglichen.
Resümee und Ausblick
Die Konzeption der bundesweiten Eltern-LANs sieht eine Anbindung an den professionellen eSport vor, um einen Einblick in diese Jugendkultur zu ermöglichen. Aber auch in schulischem Rahmen können Erwachsene mit Jugendlichen über Faszination und Wirkung von Computerspielen ins Gespräch kommen, indem beispielsweise Schüler und Schülerinnen gewonnen werden, die Eltern und Lehrende bei einer ähnlichen Veranstaltung beim Spielen unterstützen. Seit 2010 besteht die Möglichkeit, die Eltern-LANs auch direkt in Schulen oder Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit durchzuführen. Da hier Teilnehmende aufeinander treffen, die auch im Anschluss an die Eltern-LAN noch miteinander zu tun haben werden, können die gewonnenen Erkenntnisse und Kompetenzen in dem pädagogischen Bezugsrahmen (Schule, Jugendeinrichtung etc.) auch für die weitere pädagogische Arbeit gemeinsam nutzen, bis hin zu einer gemeinsamen Computerspielveranstaltung von Erwachsenen und Jugendlichen.5
Arne Busse, M.A., geb. 1966, ist Referent in der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Fachbereich „Politikferne Zielgruppen” Der Artikel wurde von Arne Busse gemeinsam mit Torben Kohring (Projektleiter des Spieleratgeber NRW, www.spieleratgeber-nrw.de, des Vereins ComputerProjekt Köln), Ibrahim Mazari (Pressesprecher und Jugendschutzbeauftragter Turtle Entertainment GmbH, Veranstalter der ESL), Tobias Miller (Redaktionsleiter von spielbar.de, dem Internetangebot der bpb zu Computerspielen), Horst Pohlmann und Jürgen Sleegers (Dipl.-Pädagogen und Leiter von Spielraum, Institut zur Förderung von Medienkompetenz an der Fachhochschule Köln) und Adrian Weiß (PR-Manager Turtle Entertainment GmbH, Veranstalter der ESL) verfasst.
5 Beispiele hierfür sind beschrieben auf: www.spielbar.de/ neu/2010/02/elternabend-zu-und-mit-computerspielen/ (Der initiierende Lehrer hatte vorher an einer Eltern-LAN teilgenommen). www.spieleratgeber-nrw.de/?siteid=1927
http://cms-dev.fh-koeln.de/spielraum/level3/schulische_medienpaedagogik/00678/index.html
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in Kooperation mit der
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Verantwortlich für den Themenschwerpunkt:
Dr. Meike Isenberg (LfM)
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Prof. Dr. Linda Breitlauch
Arne Busse
Marco Fileccia
Prof. Dr. Jürgen Fritz
Nadine Giebenhain
Andrea Hedrich
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Dr. Meike Isenberg
Michael Jakobs
Dr. Patrick Jung
Torben Kohring
Barbara Kraayvanger
Manfred Kremers
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Tobias Miller
Dagmar Missal
Martin Müsgens
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Foto (Titelseite):
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Bildung (Schülerporträt Marco Siegmund),
Signatur: DS_005161
Foto (Rückseite):
Stefan Arendt/LVR-Zentrum für Medien und
Bildung, Signatur: D 042.03.01-000014
Der „Medienbrief“ erscheint zweimal jährlich und ist kostenlos.
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