Post on 29-Aug-2019
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Kinder sind keine kleinen Erwachsenen
Arzneimitteltherapie für Kinder
Berliner Fortbildungskongress 2018
Margit SchlenkFachapothekerin für Offizinpharmazie, Ernährungsberatung, Homöopathie
und Naturheilverfahren, Prävention und Gesundheitsförderung, Präventionsmanager WIPIG, Geriatrische Pharmazie, Medikationsmanager
baKlinPharmMoritzApotheke Nürnberg
NM Vital Apotheke Neumarkt
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Arzneitherapie beim Kind• Situation• Kindliche Physiologie: Pharmakologische
Besonderheiten• Rezepturherstellung für Kinder
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Betrachtung des Wachstums – und Entwicklungsprozesses
Kind als “laufender Prozess“ mit großen Veränderungen von Fötus über Geburt zu Adoleszenz
- Physiologie- Körpergröße, Körperzusammensetzung- Wachstum und Entwicklung- Kognitive und motorische Funktionen⇒ Kind ist kein kleiner Erwachsener⇒ Säugling ist kein verkleinertes Kind!⇒ KEINE LINEARITÄT !
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Definition „KIND“• Ein Mensch , der sich in der Lebensphase der Kindheit
befindet (Begriffsverwendung in Rechtswissenschaft, Psychologie, Soziologie, Medizin)
• Nach Definition der Kinderrechtskonvention der UNO, wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat
• nach deutschem Recht ist Kind, wer noch nicht 14, Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist. Im Jugendarbeitsschutzgesetz (§ 2) ist die Grenze jedoch erst bei 15 Jahren gezogen.
• Allgemein wird in der Entwicklungspsycholgie nach dem Stand der biologischen, psychischen und sozialen Entwicklung folgende Entwicklungsabschnitte unterschieden:
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Definition „KIND“⇒ Neugeborenes (bis 28. Lebenstag) ⇒ Säuglingsalter (1. Lebensjahr) ⇒ Kleinkindalter (2. und 3. Lebensjahr) ⇒ Frühe Kindheit (4.–6. Lebensjahr) ⇒ Mittlere Kindheit (7.–10. Lebensjahr) ⇒ Späte Kindheit (11.–14. Lebensjahr)⇒ danach Adoleszenz
Beschränkung hier ...... v.a. auf die Phase 2. – 14. Lebensjahr und auf den ambulanten Bereich der Arzneimittelanwendung
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Status Quo„Nur etwa 20 Prozent der auf dem Markt befindlichen Arzneimittel sind hinreichend für Kinder und Jugendliche geprüft und für pädiatrische Indikationen zugelassen. Die Situation ist umso prekärer, je jünger das Kind ist und je schwerer es erkrankt. [...] Für fast 90 Prozent aller Medikamente, mit denen heute auf Neugeborenenintensivstationen die besonders gefährdeten "Frühchen" behandelt werden, bestehen keine Zulassungen für Kinder.“
Prof. Dr. Hansjörg Seyberth, Vorsitzender der Kommission für Arzneimittelsicherheit im Kindesalter der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) http://www.innovations-report.de/html/berichte/medizin_gesundheit/bericht-59042.html
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Ab Mitte 2008 gültige Rechtsnorm
Medikamente, die über eine genehmigte Kinderindikation verfügen, werden künftig besonders gekennzeichnet.
Ab Mitte 2008 muss für jedes neu zugelassene Medika-ment ein sogenanntes „Pädiatrisches Prüfkonzept“ vorgelegt werden.
Zuständig für diese spezielle Prüfung ist der Pädiatrie-ausschuss, der gemäß der neuen EU-Verordnung über Kinderarzneimittel bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) in London angesiedelt ist (zusätzlich in D: Kommission am BfArM)
Ausgenommen von dieser Regelung sind Arzneimittel, deren Wirksamkeit und Unbedenklichkeit durch langjährige Erfahrung bewiesen ist. Dies gilt auch für homöopathische und pflanzliche Mittel.
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Pädiatrisches Prüfkonzept
• Das Pädiatrische Prüfkonzept enthält Einzelheiten zum Zeitplan und zu den Maßnahmen, durch die Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit des Arzneimittels in allen gegebenenfalls betroffenen Untergruppen der pädiatrischen Bevölkerung nachgewiesen werden sollen.
• Darüber hinaus werden alle Maßnahmen beschrieben, wie die Formulierung eines Arzneimittels angepasst werden soll, damit seine Verwendung in verschiedenen pädiatrischen Untergruppen annehmbarer, einfacher, unbedenklicher und wirksamer wird.
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Verpflichtung !• Mit Ausnahme von Generika, Arzneimitteln mit
mindestens 10-jähriger allgemeiner medizinischer Verwendung in der EU (well established use), Homöopathika und traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln sowie vergleichbaren biologischen Arzneimitteln (Biosimilars) muss ab dem 26.07.2008 mit jedem Zulassungsantrag ein pädiatrisches Prüfkonzept (PIP) vorgelegt werden
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Vorgehensweise• Solche Arzneimittel, die nach einem pädiatrischen
Prüfkonzept PIP = Pediatric Investigation Plan) untersucht wurden und mit einer pädiatrischen Indikation zugelassen sind, werden künftig auf Anhieb erkennbar sein: Ein hochgestellter blauer Buchstabe »P« innerhalb eines ebenfalls blauen sternförmigen Umrisses zeichnet sie aus
• In Verbindung mit der neuen Zulassung kommt der pharmazeutische Unternehmer in den Genuss der Datenausschließlichkeitsfrist
• Die neue Regelung soll einen zusätzlichen Anreiz für kleinere und mittlere Unternehmen auch Generika-Hersteller bieten, patentfreie Arzneimittel für Kinder weiterzuentwickeln
• UMSETZUNG??? => bisher in der EU 80 neue Kinderarzneimittelzulassungen seit 2008
Befreiungsmöglichkeiten vom PIP
• Klassenbefreiung – entsprechend einer vom Pädiatrieausschuss herausgegebenen Liste von Erkrankungen, die nur bei Erwachsenen vorkommen. Der Pädiatrieausschuss überlegt momentan die Beseitigung aller Klassenbefreiungen (diese betreffen überwiegend Krebserkrankungen)
• Vollständige Befreiung – für alle pädiatrischen Untergruppen und Indikationen
• Teilweise Befreiung – für eine oder mehrere pädiatrische Untergruppen und Indikationen
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Daher :UAW´s bei Kindern => Melden!
• Auffallend ist, dass mehr Verdachtsfälle von UAW für Jungen als für Mädchen gemeldet werden
• Vergleich der Melderate in Deutschland mit der in anderen europäischen Ländern zeigte, dass die Meldehäufigkeit in Deutschland erheblich geringer ist!
Quelle: Vortrag zur Kinderpharmakovigilanz in D von Frau Dr. Jutta Krappweis auf Basis einer Untersuchung von Verdachtsmeldungen unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW), die das BfArM in den Jahren 1996 - 2005 erreichten
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Spezielle Betrachtung des kindlichen Organismus
• Durch Wachstum und Entwicklung werden Pharmakokinetik und Pharmakodynamik eines Arzneistoffes beeinflusst
- veränderte Körperzusammensetzung- Änderungen bei der Metabolisierung- Veränderte Organfunktionen- Veränderte Rezeptorexpressionen, Rezeptorfunktion
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Veränderung der Körperzusammensetzung
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Veränderung der Körperzusammensetzung
Frühchen Neugeb. Kleinkind Kind Erwachsener
Wasser 82% 80% 55-60%
Extrazellularraum 50% 30%
Eiweiß 8% 10% 20%
Fett 1% 14% 25% 15% 31% (w)/13%(m)
VerhältnisHirnmasse/KG
13% 2%
Quelle: C. Bühler DAZ 2004 1588
Quelle: Modifiziert nach Breitkreutz; http://www.apotheken-kurhessen.de/Breitkreutz.pdf
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Quelle: http://www.upkbs.ch/Projects/Vortraege/Vortrag/Drewe.pdf
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Quelle: http://www.upkbs.ch/Projects/Vortraege/Vortrag/Drewe.pdf
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Quelle: http://www.upkbs.ch/Projects/Vortraege/Vortrag/Drewe.pdf
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Quelle:http://www.upkbs.ch/Projects/Vortraege/Vortrag/Drewe.pdf
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Quelle: http://www.upkbs.ch/Projects/Vortraege/Vortrag/Drewe/.pdf
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Konsequenz
• Erkenntnisse über Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und UAWs sind NICHT vom Erwachsenen auf das Kind übertragbar !
• => Sinnhaftigkeit der Forderung nach Arzneimittelprüfungen für verschiedene Altersgruppen der Kinder!
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Anwendung ohne Zulassung:Rechtliche Problematik
Quelle: http://www.upkbs.ch/Projects/Vortraege/Vortrag/Drewe/.pdf
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„Off label“-Anwendungen
• Keine Dosisempfehlungen• Kein Hinweis/Warnung vor UAWs• Keine Angaben zu Interaktionen• Vorliegen einer pädiatrischen Darreichungsform
fraglich• Keine Produkthaftung durch den Hersteller• Keine Finanzierung durch Kostenträger
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Keine Dosisemfpfehlung für Kinder ?derzeitiger Behelf:
Dosisberechnung für Kinder nach der Körperoberfläche,
da sie den Extrazellularraum reflektiert!
• EZR = 6 x KOF• Dosis Kind = Derw x KOF/1,73 m3
• Bisher: Dosierung nach Gewicht u./o. Alter, im niedergelassenen Bereich nicht nach KOF
• In den „Pädiatrischen Dosistabellen“: > 320 Arzneistoffe/Medikamente mit Dosierungsangaben nach KOF
Kein Fertigarzneimittel im Handel?INDIVIDUALREZEPTUR!
• Kenntnis - Domäne der Apotheke• USP!
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Conditio sine qua non:richtige Einwaage!
• Analysenwaage/Feinwaage • Lerne Deine Waage kennen: Min-u. max-Werte,
Ablesegenauigkeit, Eichwert => Ableitung der Verkehrsfehlergrenze einer Waage
• Verkehrsfehlergrenze = absoluter Fehler (maximal zugelassene Abweichung vom wahren Messwert)
• Wiege immer im unteren Belastungsbereich der Waage• Erreichbarkeit geforderter Genauigkeit durch
Stammzubereitungen oder Rezepturkonzentrate• Einwaagekorrektur zu berechnen? (bei Gehaltsminderung von 2
% bei Wirk-u. Konservierungsstoffen) Exel-Tabelle zur Einwaagenkorrektur aus dem NRF!!!
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4-Augen-Prinzip!Kann Leben retten!
• Keine Verwechslungen• Keine Ablese-oder Berechnungsfehler
• Plausibilitätsprüfung durch wiederkehrende Dosisberechnung!
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„Dosis beim Kind“ ist das eine-„Zufuhrweg“ das andere Thema!
• Hohe Verantwortung des Apothekers und PTA in der Rezeptur und Beratung des Arztes möglich!
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Formulations of Choice
Dermatika• Verwendung geeigneter Hilfsstoffe• Wie bei flüssigen AM zur Konservierung
immer Sorbinsäure/Kaliumsorbat - nie Benzylalkohol oder Benzoesäure unter 2 Jahren
• Enzymsysteme bei Kindern unter zwei Jahren nicht ausgereift, schwerste Nebenwirkungen durch Kumulation (Ikterus)30
Kapseln• Steck-Kapseln sind (noch) die häufigste Arzneiform für Kinder• Inhalt wird meist ausgefüllt, um appliziert werden zu können,
nicht bei Kindern unter 2 Jahren geeignet• d.h. Arzneiform ist dann eigentlich „abgeteiltes“ Pulver• Problem: Verordnung nach Masse, Herstellung nach Volumen• Endkontrolle: Prüfung der Gleichförmigkeit der Masse nach
AB/NRF : Dosierungsgenauigkeit/ Gehaltseinheitlichkeit dokumentieren
• Bedenke: Streuung des Gehaltes ist immer größer als Streuung der Masse!
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Kapselgröße 1 als Kompromiss für pädiatrische Kapseln
• Möglichst wenig Füllstoff: je mehr Füllstoff, desto mehr Nebenwirkungen , gerade beim Säugling (NRF S. 38 Mannitol/Aerosil)
• Nebenwirkung: Mannitol ist Abführmittel…• Zielkonflikt: je größer die Kapsel, umso besser
ist Fliessverhalten des Pulvers und damit die Dosierungsgenauigkeit – gut für Herstellenden
• Zielkonflikt: Handling beim Ausfüllen bei größeren Kapseln besser: gut für die Eltern…
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Wirkstoff nicht verfügbar?• Verwendung eines passenden
Fertigarzneimittels als Ausgangsstoff-Lieferant
• Mind. 10 Tabletten zermörsern für optimale Dosierungsgenauigkeit
• Als Füllmittel: Cellulose , Lactose- als Hilfsstoffe weiter einsetzen
• Vorsicht: kein Mörsern von Präparaten mit vorgranulierter Lactose oder Pellets33
Liquida• Besser applizierbar als Kapseln
(Oralspritze!, Dosierungsgenauigkeit)• Cave: Stabilität? (pH-Wert,
Lichtempfindlichkeit, mikrobiologische Stabilität?)
• Geschmack? (NaCl als Geschmackskorrigens bei Hct)
• Meist als Geschmackskorrigens:Verdicker wie Hydrogelbildner oder Saccharose-Sirup
• NRF-Rezepturen (Arzt informieren!)34
Auswahl von Kinderarzneimitteln in der Selbstmedikation
• Keine Selbstmedikation unter 1 Jahr• Bewährte Arzneimittel einsetzen• REGEL 1: Bei Kindern Verzicht auf alle
unwirksamen, überflüssigen, potenziell gefährlichen Mittel: Beratung durch die Apotheke wichtig
• REGEL 2: Keine neu zugelassenen AM, für die wenig Erfahrungswerte und keine Langzeitstudien vorliegen
• REGEL 3: Beipackzettel: „… aufgrund mangelnder Erfahrung …“ => Aufklärung!
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Heilweisen ohne evidenzbasierte Studienlage
• Homöopathie• Bachblüten• Spagyrik• Biochemie nach Schüssler• Usw.
Kaum Studien, Risiko aber geringNutzen-Risiko-Bewertung in vielen Fällen auf Nutzenseite ansiedelbarGrenzen aufzeigen! Beratungsfunktion der Apotheke!
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neue oder alte Arzneistoffe beim Kind einsetzen?
• Gerade im Kindersektor ist es sinnvoll, auf ältere Wirkstoffe zurückzugreifen, da hier mehr Datenmaterial verfügbar ist!!!
• Einschätzung kann sich verändern, da neue Arzneimittel für Kinder Studien durchlaufen müssen (PIP)
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Cave „Prägung“
• Kind erlernt Verhaltensweisen, wenn bei Bagatellerkrankung/Befindlichkeitsstörung gleich zu Saft /Tablette oder Kügelchen gegriffen wird!
• Öfter an die „3 Z“ denken- Zärtlichkeit- Zuwendung- Zeit
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Literaturliste- Normdosen gebräuchlicher Arzneistoffe und Drogen, Haffner, Schultz,
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, 11.Auflage 2006, ISBN 3-8047-2312-8
- Phytotherapie in der Kinderheilkunde, 4.Auflage, Schilcher, Dorsch, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, ISBN 3-8047-2244-X
- Naturheilmittel und Phytotherapie, Keller, Schlenk, Jorek, Wiesenauer, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart, 2005, ISBN 3-7692-3578-9
- Phytopraxis, 2.Auflage, Wiesenauer, Springer Verlag, ISBN 3-540-25620-2
- l- V.Harnack, Janssen, WVG Stuttgart, Pädiatrische Dosistabellen, ISBN
3-8047-1999-6- Hoffbauer, Schanzler, Handbuch Medikamente für Kinder, Rohwolt
Taschenbuch Verlag, ISBN 3 499617307
BEDENKE DIE SPEZIELLE VERANTWORTUNG DER APOTHEKE BEI DER VERSORGUNG VON KINDERN MIT DEN KENNTNISSEN ZU PHARMAKOKINETIK, PHAMAKODYNAMIK UND GALENIKINVOLVIEREN SIE SICH!
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