Post on 16-Aug-2019
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ISLAMReligion, Geschichte und Kultur
Im ZEIT Akademie Seminar Islam bietet die IslamwissenschaftlerinProf. Dr. Gudrun Krämer einen fundierten Überblick über den Islam in Geschichte und Gegenwart, der auch die aktuellen Debatten berück-sichtigt. Jede Lektion bietet wichtiges Hintergrundwissen, um den Islam als Religion und Kultur zu verstehen, seine Faszination auf viele Menschen nachvollziehen und seinen Ein� uss auf Politik und Gesellschaft einordnen zu können. Dieses Begleitbuch dient zur Vor- und Nachbereitung des Seminars und wird ergänzt durch ausgewählte ZEIT-Artikel zum Thema.
Begleitbuch
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Prof. Dr. Gudrun Krämer Martin Spiewak, ZEIT-Redakteur
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Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG
IslamReligion, Geschichte und Kultur
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Impressum
© Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Hamburg
Wissenschaftliche leitung Matthias Naß Redaktion Martin Spiewakautorin Prof. Dr. Gudrun KrämerGrafik, satz und Reproduktion Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KGDruck und Bindung optimal media GmbH, Röbel
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Seit Langem schon beobachten wir eine »Rückkehr« des Religiösen – in die Gesellschaft, die Politik, in die Kunst, auch in unseren Alltag. Einer der Gründe für dieses neu erwachte Interesse ist die Aus ein an der set zung mit dem Islam. Sie findet auf vielen Ebenen statt, ist konfliktreich und oft genug geprägt von Unkenntnis und Vorurteilen.
Diese Auseinandersetzung mit dem Islam reicht vom Kleinen, dem Streit ums Kopftuch, bis zum Großen, dem Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Aber immer hatte sie in den vergangenen Jahren etwas Konfrontatives. Scharia und Dschihad wurden im Westen zu Schreckens-wörtern. Die Friedensbotschaft des Korans wurde darüber kaum noch wahrgenommen. Die gemeinsamen Wurzeln der »Schriftbesitzer« – der Juden, Christen und Muslime – sind nur wenigen bewusst.
Woran es also fehlt, ist Wissen. Sind Kenntnisse über Geschichte, Glau-bensinhalt, Kultur, Gesellschafts- und Weltbild des Islams. Ohne diese Kenntnisse aber kann es kein friedliches und produktives Zusammenleben mit den Muslimen geben. Weltweit sind die Muslime mit 1,5 Milliarden Menschen die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft, etwa vier Millionen von ihnen leben heute in Deutschland.
Gudrun Krämer, Islamwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin, stellt in dieser Vorlesungsreihe der ZEIT Akademie »die Vielfalt und Wandelbarkeit islamischer Lehren und muslimischen Lebens« dar. Sie zeigt uns den Islam als eine »Religion der Möglichkeiten«, mit einem reichen kulturellen Erbe – und mit dem Potenzial, durch Reformen die Enge politischer und sozialer Traditionen zu überwinden und so den Weg in die Moderne zu finden.
Ich freue mich über Ihr Interesse am Islam und heiße Sie bei der ZEIT Akademie herzlich willkommen.
Matthias NaßWissenschaftlicher Leiter der ZEIT Akademie
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LEKTION 1 7 Der Islam in der Kontroverse
Ergänzender Beitrag aus ZEIt Geschichte: 10Kubus, Kuppel, Konflikt Moscheen in Deutschland Von Claus Leggewie
LEKTION 2 16 Die Faszination der anfänge: muhammad und die frühe Eroberungszeit
Ergänzender Beitrag aus ZEIt Geschichte: 21Heilige KriegerChristen und Muslime Von Michael Lüders
LEKTION 3 28 Der Koran
LEKTION 4 32 Prophet und sunna
LEKTION 5 35 Rechter Glaube, rechtes Handeln: Islam als Religion
InHalt
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Ergänzender Beitrag aus der ZEIt: 38Einmal Glaube und zurückPilgern nach Mekka Von Özlem Topçu
LEKTION 6 52 Die scharia: moral, Recht und öffentliche ordnung
LEKTION 7 55 sunniten und schiiten
LEKTION 8 59 sufis, Derwische und Heilige
LEKTION 9 62 Islamische Reform und politischer Islam
LEKTION 10 67 Gerechtigkeit und Gleichheit
LEKTION 11 71 toleranz und Freiheit
LEKTION 12 74 Islam und moderne
SCHLuSSwORT 77
lebensläufe 78Bildnachweise 80
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LEKTION 1
DER Islam In DER KontRoVERsE
Der Islam ist eines der großen Themen unserer Zeit, gleichgültig, ob wir auf Deutschland und Europa blicken oder auf den Nahen und Mittleren Osten. Hier steht bewusst »Themen«, denn wie die aktuellen Debatten in Deutsch-land und Europa zeigen, sehen viele derer, die sich äußern, im Islam nicht einfach ein Thema, sondern ein Problem – für ihre Gesellschaft und für ihre kulturelle Identität.
Manche der Fragen, die in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft gestellt werden, sind theologischer Art: Glauben Juden, Christen und Muslime tat-sächlich an denselben Gott? Welchen Status hat der Prophet Muhammad im Islam? Andere Fragen sind politisch: Können sich Muslime in die deutsche Gesellschaft einfügen? Ist der Islam, um die berühmt gewordene Formulie-rung des früheren Bundespräsidenten Wulff aufzugreifen, ein »Teil Deutsch-lands«? Müssen Muslime nicht erst eine Aufklärung durchlaufen, bevor sie in die Moderne passen?
Die Wucht der Fragen verstört viele Musliminnen und Muslime, auch und gerade in Deutschland und Europa. Sie sehen sich, unabhängig da-von, wie sie es persönlich mit der Scharia und dem Schleier halten, einem Generalverdacht ausgesetzt, ausgegrenzt aus einer Gesellschaft, in der das »Wir« sie in der Regel nicht einbezieht. Gelegentlich ist von Islamhass und Islamophobie, der Angst vor dem Islam, die Rede. Angriffe provozieren Gegenangriffe, Polemik ruft Apologetik hervor. Sprechen die einen von der reinen Lehre des Korans, verweisen andere auf das Verhalten von Muslimen, weitgehend unabhängig davon, ob dieses sich nun nachweislich am Koran orientiert oder nicht.
Diese Vorlesung folgt einem Leitmotiv: dem Verhältnis von Einheit und Vielfalt im Islam, einer Religion und Kultur, die sich seit ihrer Entstehung im frühen 7. Jahrhundert über die ganze Welt ausgebreitet hat und heute weltweit mehr als 1,5 Milliarden Anhänger zählt. Die Mehrheit der Mus-lime lebt nicht im Nahen und Mittleren Osten, sondern in Süd- und Süd-ostasien. In Deutschland sind es rund 4 Millionen, die in der weltweiten Gemeinschaft keine auffallende Rolle spielen. Daher werden sie hier auch nicht im Mittelpunkt stehen.
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Der Islam als Religion besitzt unbestreitbar einen Kern: Glaubensgrund-sätze, die im Glaubensbekenntnis zum Ausdruck kommen, und religiöse Pflichten. Insofern gibt es tatsächlich den einen Islam, zu dem sich alle Mus-liminnen und Muslime bekennen. Auch kulturell finden sich bestimmte Eigenheiten wie die Vorbehalte gegenüber bildlichen, vor allem figürlichen Darstellungen sowie spezifische Vorstellungen vom »richtigen« Geschlech-terverhältnis. Die Wissenschaft spricht aus diesem Grund von »islamisch geprägten« Kulturen und Gesellschaften.
Aber wie in anderen Religionen und Kulturen, können die Glaubens-grundsätze und religiösen Pflichten »im Islam« unterschiedlich interpretiert und gelebt werden. In dieser Vorlesung werde ich die Vielfalt und Wandel-barkeit islamischer Lehren und muslimischen Lebens betonen, die aus Interaktion und Austausch erwachsen – Interaktion und Austausch unter Muslimen und zwischen Muslimen und Nichtmuslimen.
Von Muslimen selbst werden Pluralität und Vielfalt durchaus unterschied-lich bewertet: Sehen die einen in ihnen ein Zeichen von Vitalität und Stärke, die den Islam als Weltreligion ausweisen, so fürchten andere eine Spaltung und Schwächung, die durch Vereinheitlichung überwunden werden sollten.
selbstverortungVollkommen objektiv und neutral kann man über den Islam so wenig spre-chen wie über Bioethik, Umweltschutz oder moderne Architektur. Wissen-schaft heißt nach meinem Verständnis jedoch ohnehin nicht, unangreifbare, ewig gültige Wahrheiten aufzustellen, sondern das eigene Argument so zu begründen, dass andere ihm folgen und es kritisch bewerten können. Dazu gehört die Klärung des eigenen Standortes.
Ich spreche als »kritische« Islamwissenschaftlerin mit historisch-sozial-wissenschaftlichem Interesse. »Kritische Islamwissenschaft« wird häufig missverstanden als Wissenschaft von Nichtmuslimen, die dem Islam kri-tisch gegenüberstehen. Darum geht es nicht. Kritisch sein heißt, die Dinge daraufhin zu befragen, was wir gesichert über sie sagen können, sei es auf Grundlage verlässlicher Quellen, sei es kraft eigener Anschauung. Dieser Weg steht Muslimen ebenso offen wie Nichtmuslimen.
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mERKsätZE
• ��DerIslambesitzteinenKernvonGlaubensgrundlagenundreligiösenPflichten,diejedochunterschiedlichgelebtundgedeutetwerdenkönnen.
• DerIslamweistTraditionenauf,dieprägendbisindieGegen-wartwirken.AberdieMuslimesindindiesenTraditionennichtgefangen.
• DierealeVielfaltundPluralitätislamischenLebensundDenkenswirdvonMuslimenselbstunterschiedlichbewertet.
• Insgesamtgehtesdarum,denIslamalsReligionderMöglich-keitenzuverstehen.
lItERatuRVoRscHläGE
alexander Flores: Zivilisation oder Barbarei? Der Islam im historischen Kontext, Berlin 2011.
Heinz Halm: Der Islam. 5. Aufl., München 2005.
malise Ruthven: Der Islam, Eine kurze Einführung, Stuttgart 2000.
Drei streitbare Beiträge zur deutschen Debatte:
thorsten G. schneiders (Hg.): Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen, wiesbaden 2009.
thorsten G. schneiders (Hg.): Islamverherrlichung. Wenn die Kritik zum Tabu wird, wiesbaden 2010.
stefan Weidner: Manual für den Kampf der Kulturen. Warum der Islam eine Herausforderung ist, Frankfurt am Main/Leipzig 2008.
(vgl. auch die Titel zu den Lektionen 10–12)
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Prof. Dr. Gudrun Krämer
Studium der Geschichte, Islam- und Politikwissenschaft sowie derAnglistik in Heidelberg, Bonn und Sussex. Habilitation im Fach Islam-wissenschaft an der universität Hamburg, 1993
1982–1994 Nahost-Referentin der Stiftung wissenschaft und Politik in Ebenhausen bei München
1987–1989 Professorin für gegenwartsbezogene Orientwissenschaft an der universität Hamburg
1994–1996 Professorin für Islamwissenschaft an der universität Bonn
Seit 1996 Lehrstuhlinhaberin für Islamwissenschaft an der Freien universität Berlin
Seit 2006 Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der wissenschaften
2010 Verleihung des Gerda Henkel Preises für wissenschaftliche Forschung
Buchveröff entlichungen (Auswahl):
»Geschichte des Islam«, München 2005
»Hasan al-Banna«, Oxford 2009
»Demokratie im Islam. Der Kampf für Toleranz und Freiheit in der arabischen welt«, Bonn 2011
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martin spiewak
Studium der Fächer Geschichte, Spanisch und Staatswissenschaften an den universitäten Hamburg und Madrid. Anschließend Besuch der Deutschen Journalistenschule in München
1993–1997 Redakteur beim »Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt«
1997–1999 Freier Journalist für verschiedene Zeitungen und Radiostationen
Seit 1999 ZEIT-Redakteur im Ressort wissen
Seit 2004 wissenschaftskorrespondent im Hauptstadtbüro der ZEIT in Berlin
Autor mehrerer Sachbücher, u. a. »wie weit gehen wir für ein Kind? Im Labyrinth der Fortpfl anzungsmedizin«, Frankfurt am Main 2005
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