Post on 06-Feb-2018
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Henri de Lubac (1896-1991) als Konzilstheologe
Der französische Jesuit Henri de Lubac
(1896‐1991) hat nicht nur am Konzil mitge‐
wirkt, sondern auch im Vorfeld durch zahl‐
reiche Publikationen den Konzilsvätern
wesentliche Orientierungshilfen geliefert.
Von seiner Berufung in die vorbereitende
Theologische Kommission erfuhr P. Henri de
Lubac SJ im August 1960 zuerst aus der Zei‐
tung. Die Berufung dürfte von Papst Johan‐
nes XXIII. selbst veranlasst worden sein, der
damit die Vertreter der so genannten „Nou‐
velle théologie“ insgesamt vom Verdacht der
Unzuverlässigkeit freisprechen und ihre
Kompetenz für das schon einberufene Konzil
gewinnen wollte.
De Lubac, seit 1929 Hochschullehrer am Insti‐
tut Catholique in Lyon und von 1950 bis 1958
von der Ordensleitung mit einem Lehrverbot belegt, hat selbst seinen unmittelbaren
Einfluss auf die Arbeit der Kommissionen des Konzils als eher niedrig veranschlagt.
Er stand in der zweiten Reihe der Konzilstheologen.
Mit Karol Wojtyla an den Passagen über den Atheismus mitgearbeitet
Seine unmittelbare Mitwirkung ist am deutlichsten beim sogenannten „Schema 13“
festzustellen, aus dem dann die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von
heute Gaudium et spes hervorgegangen ist. Zusammen mit dem damaligen Erzbischof
von Krakau, Karol Wojtyla, arbeitete er an den Passagen über den Atheismus mit.
Die Artikel 19‐22 von Gaudium et spes erinnern in vieler Hinsicht an de Lubac. Der
französische Jesuit und der spätere Papst kannten und schätzten sich seit dieser Zeit
sehr.
De Lubac hat allerdings, und hier dürfte seine Bedeutung kaum von anderen über‐
troffen werden, im Vorfeld des Konzils durch seine zahlreichen Publikationen den
Konzilsvätern wesentliche Orientierungshilfen geliefert. Damit hat er indirekt die
vom Konzil verabschiedeten großen Texte wesentlich vorbereitet. Das Verdienst von
Henri de Lubac, den Gerd Haeffner einen „christlichen Humanisten“ genannt hat,
besteht vor allem darin, die Erneuerung der Theologie aus den Quellen der Schrift,
der Kirchenväter und auch der im Original gelesenen großen Scholastiker vorange‐
trieben zu haben. Zusammen mit seinem Ordensmitbruder Jean Daniélou hatte de
Lubac bereits vor dem Krieg die Reihe „Sources chrétiennes“ begründet, in der bis
heute weit über 500 Bände erschienen sind.
Besonders ist der Einfluss de Lubacs erkennbar in der dogmatischen Konstitution
über die Kirche Lumen gentium. De Lubacs Buch Méditation sur l’église (1953), bereits
1954 erstmals ins Deutsche übersetzt und 1968 neu übertragen und eingeleitet von
Hans Urs von Balthasar (Die Kirche. Eine Betrachtung, Johannes Verlag), nimmt nicht
nur wesentliche Gedanken der Kirchenkonstitution vorweg, sondern sogar auch
deren Aufbau und Systematik. Ein Satz daraus gilt als die auf dem Konzil am häu‐
figsten zitierte Sentenz: „C’est l’église qui fait l’Eucharistie, mais c’est aussi
l’Eucharistie qui fait l’Église“ („Die Kirche macht die Eucharistie, und die Eucharistie
wiederum macht die Kirche“). Damit wird der tiefe innere Zusammenhang von Kir‐
che und Eucharistie benannt. Die „Eucharistische Ekklesiologie“ ist eine der zentra‐
len Lehren des Konzils und findet einen Nachhall in der letzten Enzyklika Johannes
Pauls II. „Ecclesia de eucharistia“ (17. 4. 2003).
Für ein offensive Hinwendung zur Welt, in der die Kirche eine Aufgabe hat
Der Einfluss de Lubacs ist erkennbar auch in der Pastoralkonstitition Gaudium et spes,
an der de Lubac, wie oben erwähnt, als einzigem Text selbst mit formulierte. Mehr
noch als die Artikel 19–22 über den Atheismus (hier steht im Hintergrund de Lubacs
Le drame de l’humanisme athée, 1944, dt. nunmehr: Über Gott hinaus. Die Tragödie des
atheistischen Humanismus, Einsiedeln: Johannes Verlag 1984) entspricht de Lubac frei‐
lich eine offensive Hinwendung der Kirche zur Welt, der es sich nicht anzupassen
gilt, sondern in der und für die die Kirche eine Aufgabe hat. Mit großer Selbstlosig‐
keit hat de Lubac in den Jahren des Konzils die Lehre seines Freundes und Ordens‐
mitbruders Pierre Teilhard de Chardin erschlossen, verteidigt und gegen falsche
Vereinnahmung in Schutz genommen, ohne freilich ihre Grenzen zu verkennen.
Schließlich verdankt sich auch die Offenbarungskonstitution Dei Verbum den Vorar‐
beiten de Lubacs. In dieser zweiten dogmatischen Konstitution schlägt sich das fun‐
damentaltheologische Ringen der vorausgegangenen Jahrzehnte nieder. Das Ver‐
hältnis von Offenbarung, Tradition und Schrift wird in einer klaren und alte falsche
Alternativen überwindenden Weise bestimmt. „Offenbarung“ ist ein geschichtlich‐
personales Geschehen, das im Christusereignis seinen Höhepunkt hat. Als das
Fleisch gewordene WORT ist Christus die eine Quelle der Offenbarung im strengen
Sinn, Tradition und Schrift sind Medien ihrer Weitergabe. Das Christentum aber ist,
wie de Lubac immer wieder betont, keine „Buchreligion“, sondern die Religion der
Gemeinschaft mit Jesus Christus, der uns die Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott
vermittelt.
Unmittelbar nach dem Konzil hat Henri de Lubac zu den drei wichtigsten Konzils‐
texten Kommentare verfasst: Zur Kirchenkonstitution: Paradoxe et mystère de l’Église,
deutsch Geheimnis, aus dem wir leben. Der Kommentar zu Gaudium et spes mit dem
Titel Athéisme et sens de l’homme (1968) ist bis heute nicht ins Deutsche übersetzt wor‐
den.
Den ausführlichsten Kommentar zur Offenbarungskonstitution verfasst
Den ausführlichsten Kommentar hat de Lubac zur Offenbarungskonstitution Dei
Verbum, und hier noch einmal zum Vorwort und zum Ersten Kapitel, vorgelegt, wo
es ganz grundlegend um das Offenbarungsverständnis selbst geht, deutsch Die göttli‐
che Offenbarung, Freiburg 2001.
Galt de Lubac noch zu Beginn der 1960‐er Jahre als ein Progressiver, musste er sich
nur ein paar Jahre später als konservativ verdächtigen lassen. Doch nicht er hatte sich
gewandelt, sondern die öffentliche Wahrnehmung, in der zunehmend profane Wis‐
senschaften wie Soziologie und Psychologie in den Rang von Leitwissenschaften auf‐
stiegen und die Theologie zu dominieren begannen. Schon 1968 warnt er in dem
Buch Krise zum Heil? (dt. 1969, ²2001) vor einer die Kirche in ihrem Kern bedrohen‐
den Traditionsvergessenheit. 1972 gehört er mit Hans Urs von Balthasar und Joseph
Ratzinger zu den Mitbegründern der Internationalen Zeitschrift „Communio“, die
der sachgemäßen Interpretation des Konzils ein Forum bieten will. Statt von einem
dritten Vatikanischen Konzil zu träumen, gilt es, endlich die Lehren des Zweiten
Vatikanischen Konzils, ausgehend vom Buchstaben der Texte, zu studieren und ernst
zu nehmen. Dies ist die wichtigste Botschaft des Interviews des hochbetagten Henri
de Lubac (Zwanzig Jahre danach, München/Zürich 1985), das auch fünfzig Jahre
danach nichts von seiner Aktualität verloren hat.
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Bischof Dr. Rudolf Voderholzer, Bis Januar 2013 Professor für Dogmatik,
Theologische Fakultät Trier