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Funktionelle Expression des TRPA1-Kanalsin vestibulären Typ II Haarzellen des Meerschweinchens
Von der Medizinischen Fakultätder Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen
zur Erlangung des akademischen Gradeseines Doktors der Medizingenehmigte Dissertation
vorgelegt von
Ingo Udo Rene Sparrer
aus Aachen
Berichter: Herr UniversitätsprofessorDr.med. Martin Westhofen
Herr ProfessorDr.med. Ercole Francois Nikolaus Di Martino
Tag der mündlichen Prüfung: 08. Februar 2012
Diese Dissertation ist auf den Internetseiten der Hochschulbibliothek online verfügbar.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 91.1 Anatomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.1.1 Die Anatomie des vestibulären Systems . . . . . . . . . . . . . . 101.1.2 Das Bogengangsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.1.3 Die Otolithenorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121.1.4 Perilymphe und Endolymphe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151.1.5 Vestibuläre Haarzellen Typ I und Typ II . . . . . . . . . . . . . . 16
1.2 Die Physiologie des Gleichgewichtsystems . . . . . . . . . . . . . . . . 191.2.1 Die Physiologie der vestibulären Haarzelle . . . . . . . . . . . . 20
1.3 TRP-Kanäle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221.3.1 Der TRPA1-Kanal, auch ANKTM1 oder p120 genannt . . . . . . 241.3.2 Die Physiologie des vestibulären Systems . . . . . . . . . . . . . 26
2 Zielsetzung 29
3 Material und Methoden 313.1 Das Meerschweinchen und die Besonderheiten seines Vestibularapparats . 313.2 Gewinnung der vestibulären Typ II Haarzellen . . . . . . . . . . . . . . . 33
3.2.1 Makroskopische Präparation des Felsenbeins . . . . . . . . . . . 333.2.2 Mikroskopische Entnahme der Otolithenorgane . . . . . . . . . . 34
3.3 Optimierung des Dissoziationsprotokolls und des Versuchsaufbau . . . . 343.3.1 Enzymatische Dissoziation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.4 Das patch-clamp-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373.4.1 Messplatz und Patchpipette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373.4.2 Durchführung der patch- clamp- Experimente . . . . . . . . . . . 42
3.5 Statistische Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
4 Ergebnisse 454.1 Quantitative Auswertung der Ionenströme im Badpuffer 1 . . . . . . . . . 464.2 Quantitative Auswertung der Ionenströme des TRPA1-Kanals durch Zu-
satz von Senföl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
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4 INHALTSVERZEICHNIS
4.3 Quantitative Auswertung der Ionenströme des TRPA1-Kanals durch Zu-satz von URB597 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
5 Diskussion 615.1 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
6 Zusammenfassung 65
Abbildungsverzeichnis
1.1 Übersicht über äußeres Ohr, Mittelohr und Innenohr . . . . . . . . . . . . 91.2 Sinneszellen der Macula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161.3 Elektronenmikroskopisches Bild einer Typ I Haarzelle . . . . . . . . . . 181.4 Elektronenmikroskopisches Bild einer Typ II Haarzelle . . . . . . . . . . 191.5 Architecture of TRP channels is that of the boarder class of six transmembrane-
spinning ion channels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221.6 Mammalian TRP family tree . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3.1 Anteriore und posteriore Wand der Pars petrosa des Felsenbeins (Meer-schwein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3.2 Optimierung des Dissoziationsprotkolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363.3 Vestibuläre Typ II Haarzelle des Meerschweinchens . . . . . . . . . . . . 373.4 Der patch - clamp Messplatz (Übersicht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383.5 Der patch - clamp Messplatz aus der Nähe . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
4.1 Stromspannungskurve nach Zugabe von 200 µM Senföl . . . . . . . . . . 484.2 Stromspannungskurve nach Zugabe von 400 µM Senföl . . . . . . . . . . 504.3 Stromkurve nach Zugabe von 200 µM Senföl über 200 s . . . . . . . . . 514.4 Stromkurve nach Zugabe von 400 µM Senföl über 200 s . . . . . . . . . 524.5 Stromkurve nach Zugabe von 200 µM Senföl über 400 s . . . . . . . . . 534.6 Stromkurve nach zweimaliger Zugabe von 200 µM Senföl . . . . . . . . 534.7 Stromkurve nach Zugabe von 400 µM Senföl über 400 s . . . . . . . . . 544.8 Boxplot Senföl und URB597 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554.9 Stromspannungskurv nach Zugabe von URB (100 µM) . . . . . . . . . . 564.10 Stromkurve nach Zugabe von 100 µM URB597 über 200 s . . . . . . . . 574.11 Stromspannungskurve nach zweimaliger Zugabe von 100 µM URB597 . 584.12 Stromkurve nach zweimaliger Zugabe von 100 µM URB597 . . . . . . . 59
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6 ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Tabellenverzeichnis
1.1 Zusammensetzung der Perilymphe, der Endolymphe, des Zytosols derHaarzelle, des Zytosols von Blutzellen, des Blutplasmas und des Liquorcerebrospinalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
3.1 Zusammensetzung Badpuffer 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343.2 Zusammensetzung intracellulärer Puffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
4.1 Anzahl der durchgeführten Versuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
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8 TABELLENVERZEICHNIS
Kapitel 1
Einleitung
1.1 Anatomische Grundlagen
Abbildung 1.1: Übersicht über äußeres Ohr (orange), Mittelohr (rot) und Innenohr (Labyrinth,blau). Aus (Boenninghaus and Lenarz, 2004); Abb. 1.1. S. 6.
Das menschliche Ohr besteht aus drei getrennten Abschnitten, dem äußeren Ohr, Auris ex-
terna, dem Mittelohr, Auris media, und dem Innenohr, Auris interna. Es beinhaltet zwei
9
10 KAPITEL 1. EINLEITUNG
Sinnesorgane, das Hör- und das Gleichgewichtsorgan. Das äußere Ohr fängt mit der Ohr-
muschel, Auricula, Schallwellen auf und leitet sie über den äußeren Gehörgang, Meatus
acusticus externus, zum Trommelfell, Membrana tympanica. Das Mittelohr besteht aus
lufthaltigen, mit Schleimhaut ausgekleideten Räumen, die durch die Ohrtrompete, Tuba
auditiva (EUSTACHI), mit dem Rachen, Pharynx, verbunden sind. Das Innenohr, auf-
grund seiner komplizierten räumlichen Gestaltung auch als Labyrinth bezeichnet, lässt
sich funktionell in einen akustischen Teil, die Schnecke, Cochlea, und einen statischen
Teil, das vestibuläre System, unterteilen.
1.1.1 Die Anatomie des vestibulären Systems
Das menschliche Innenohr ist ein flüssigkeitsgefülltes Hohlraum- und Gangsystem in der
Felsenbeinpyramide des Schläfenbeins, Pars petrosa des Os temporale. Dieses Hohlraum-
system besteht aus dem knöchernen Labyrinth, Labyrinthus osseus und dem häutigen
Labyrinth, Labyrinthus membranaceus. Das knöcherne Labyrinth umgibt das häutige La-
byrinth, dazwischen befindet sich der Perilymphraum. Das häutige Labyrinth wird von
Endolymphen ausgefüllt. Anatomisch kann man im knöchernen Labyrinth drei Abschnit-
te differenzieren:
• Vorhof, Vestibulum
• Bogengänge, Canales semicirculares
• Schnecke, Cochlea
Das Vestibulum ist ein ovoider, seitlich etwas abgeplatteter Hohlraum mit einem sagit-
talen Durchmesser von 5 bis 7 mm, einem vertikalen Durchmesser von 4 bis 5 mm und
einem transversalen Durchmesser von 3 bis 4 mm (Lang, 1992). Das Vestibulum ist die
zentrale Struktur des Innenohrs, es verbindet die drei Bogengänge mit der Cochlea und
ist gleichzeitig deren Vereinigungs- und Ausgangszone. Vom Vestibulum aus verläuft im
1.1. ANATOMISCHE GRUNDLAGEN 11
Aquaeductus vestibuli der Ductus endolymphaticus zur cerebellaren Fläche der Schläfen-
beinpyramide. Der Ductus geht in seinem Endverlauf in den proximalen Teil des Saccus
endolymphaticus über. Der Saccus endolymphaticus ist eine an der Hinterfläche des Fel-
senbeins, zwischen innnerem Gehörgang und Sinus sigmoidius gelgene Duraduplikatur.
Histologisch unterscheidet man einen proximalen, einen intermediären und einen distalen
Teil (Bagger-Sjoback et al., 1986).
Während der Ductus endolymphaticus ein 2 mm langer, einlumiger Schlauch ist (Friberg
et al., 1984), handelt es sich bei dem Saccus endolymphaticus um eine wesentlich län-
gere, sehr komplexe Struktur aus untereinander verbundenen Schläuchen, Cisternen und
Krypten (Antunez et al., 1980). Ihm wird eine wesentliche Rolle in der Regulation der
Endolymphe zugesprochen. Durch Resorption von Endolymphe findet hier eine Druckre-
gulierung statt (Ueda et al., 1993), (Friberg et al., 1984) und (Wackym et al., 1987). Eine
Druck- und Flußregulation durch das unmittelbare Angrenzen des Saccus endolymphati-
cus an den Sinus sigmoideus und den Liquorraum wurde vor allem deshalb angenommen,
weil bei Patienten mit Morbus Menière Veränderungen im Bereich des Saccus endolym-
phaticus nachgewiesen werden konnten (Schindler, 1980), (Ikeda and Sando, 1984) und
(Dornhoffer et al., 1993).
1.1.2 Das Bogengangsystem
Die drei halbkreisförmigen knöchernen Bogengänge, Canales semicirculares, liegen an-
nährend in den drei Hauptebenen des Raumes und stehen zueinander senkrecht. Jeder um-
spannt etwa 2/3 eines Kreisbogens. Vor der Mündung in den Vorhof ist der eine Schenkel
eines jeden Bogenganges zu einer Ampulla, Crus ampullare, aufgetrieben. Der andere
Schenkel bleibt ohne diese Erweiterung, Crus simplex. Zwei Ampullen liegen vorne, eine
hinten. Sie sind etwa 2,7 mm lang, 1,6 mm tief und 2,3 mm breit (Vierordt, 1906). Wäh-
rend die drei Ampullen ebenso wie das einfache Ende des lateralen Bogengangs isoliert in
das Vestibulum einlaufen, vereinigen sich die einfachen Enden der vorderen und hinteren
12 KAPITEL 1. EINLEITUNG
Bogengänge zu einem kurzen gemeinsamen Schenkel, Crus commune (Denker, 1899).
Auf Grund ihrer Lage im Raum werden drei Bogengänge unterschieden:
lateraler, horizontaler Bogengang, Canalis semicircularis lateralis Dieser Bogen-
gang grenzt an das Antrum mastoideum und bildet dort den Bogengangswulst. Er ist zwar
horizontal orientiert, jedoch sinkt er nach seitlich und unten sowie nach hinten und unten
um jeweils 15 bis 30 ab. Die Ampulle befindet sich vorn und öffnet sich in den vorderen
lateralen Winkel des Utrikulus, unmittelbar oberhalb der Fenestra vestibuli und unterhalb
der Öffnung des ampullären Endes des oberen Bogengangs. Sein Crus simplex mündet
unterhalb des Crus osseum commune in das Vestibulum.
oberer, anteriorer Bogengang, Canalis semicircularis anterior Dieser 15 bis 20 mm
lange Bogengang grenzt an die mittlere Schädelgrube und tritt an der oberen Felsenbein-
fläche als Eminentia arcuata hervor. Sein hinteres Ende bildet mit dem oberen Schenkel
des Canalis semicircularis posterior das Crus commune.
hinterer, vertikaler Bogengang, Canalis semicircularis posterior Er ist mit 16 mm
der längste der drei Bogengänge. Sein Verlauf liegt etwa in der Längsachse der Pars pet-
rosa und ist in einem 45 Winkel zur sagitalen und koronaren Ebene ausgerichtet. Im
Verhältnis zum oberen Bogengang verläuft er senkrecht. Das nichtampulläre Ende mün-
det zusammen mit dem des Canalis semicircularis anterior in das Crus commune. Das
ampulläre Ende mündet am unteren Schenkel des Kanals in den Utriculus (Lang, 1992).
1.1.3 Die Otolithenorgane
Sacculus und Utriculus bilden zusammen mit den drei Bogengängen den vestibulären
Teil des häutigen Labyrinths. Im Utriculcus und Sacculus befinden sich die Maculae, in
den Ampullen der Bogengänge die Cristae, zusammen bilden sie die Sinnesorgange des
1.1. ANATOMISCHE GRUNDLAGEN 13
vestibulären Systems. Umgeben von Stützzellen befinden sich in den Maculae und Cri-
stae die vestibulären Haarzellen Typ I und Typ II. Histologisch sind Sacculus, Utriculus
und die häutigen Bogengänge, bis auf diese Rezeptorfelder, einheitlich aufgebaut. Die
dem perilymphatischen Spalt zugewandte Oberfläche besteht aus einer dünnen bindege-
webigen Membrana propria, die innere, zum endolymphatischen Raum gewandte Seite
aus einschichtigem Plattenepithel. Zum Sacculus hin wird das Epithel jedoch schrittweise
hochprismatisch.
Utriculus und Macula utriculi Der Utriculus erhielt seinen Namen auf Grund seiner
unregelmäßigen, länglichen Form. Er ist der größere der beiden statischen Sinnesorgane.
Der Utriculus ist 3,8 mm lang und 2 mm breit (Vierordt, 1906), Curthoys et al. geben
das Volumen des Utriculus mit 2015 x 10-6 mm3 an (Curthoys et al., 1977). Er wird
von Plattenepithel mit fingerförmigen und sich verzweigenden Fortsätzen ausgekleidet.
Die Basalmembran des Epithels bildet eine Abdichtung der Endolymphe gegen den Utri-
culus. Die Macula utriculi (Macula staticae) befindet sich in der Seitenwand und dem
angrenzenden Bodenabschnitt des Utriculus, im Recessus utriculi. Nach Rosehall ist die
menschliche Macula 4,29 (3,89 - 4,88) mm2 groß (Rosenhall, 1972). Die Macula utriculi
des Menschen, des Affen, der Maus, der Fledermaus, des Frosches und des Meerschweins
sind muschelförmig, die Macula der Katze, des Hundes und des Vogels sind bohnenför-
mig (Harada, 1983). Harada gibt die Größe der menschlichen Macula utriculi mit 2,2 x
2,2 mm an.
Sacculus und Macula sacculi Der Sacculus ist von vorne betrachtet annähernd ku-
gelförmig. Er liegt im Recessus sphrenicus in der Nähe der Öffnung der Scala vestibuli
cochleae. Von vorne nach hinten ist er kegelförmig. In der Vertikalen beträgt sein Durch-
messer 2,9 mm, im Querdurchmesser misst der Sacculus 2,0 mm (Beck and Bader, 1963).
Ein Teil seiner Oberfläche steht mit der unteren Fläche des Utriculus in Kontakt. Durch
den Ductus utriculosaccularis sind beide Räume miteinander verbunden. In der Vorder-
14 KAPITEL 1. EINLEITUNG
wand des Sacculus ist die Macula sacculi eingebaut, sie steht nahezu rechtwinkelig zur
Macula utriculi. Die Macula sacculi ist 1,2 mm breit und 2,6 mm lang, ihre Oberfläche
dehnt sich über 2,4 mm2 aus (Rosenhall, 1972). Das Sinnesepithel beider Maculae stellt
ein flaches Polster dar. Bei Säugetieren liegt die Fläche der Macula utriculi bei normaler
Kopfhaltung annähernd horizontal und die Fläche der Macula sacculi ungefähr vertikal.
Die Maculae sind nicht flach, sondern gekrümmt.
Crista ampullaris und Cupula Die Crista ampullaris besteht aus einer kammerartigen
Leiste von Sinnesepithel, die mit einer Gallertmasse, der Cupula, bedeckt ist. Die Crista
macht etwa ein Drittel des Ampullenvolumens aus. Die Sterozilien und das Kinozilium
der Haarzellen ragen in die Cupula hinein. Die Cupula selber reicht bis an das Dach der
Ampulle und haftet dort fest (Helling et al., 2000).
Otolithen oder Statoconia Die Maculae und Cristae sind von einer Gallertmasse, der
Otolithenmembran, bedeckt. Die Otolithenmembran enthält zahlreiche kleine Kristalle,
die aus Kalziumkarbonat bestehen. Im Mikroskop sieht man die Kristalle als ein sechs-
seitiges Prisma mit an der Endfläche aufsitzender niedriger Pyramide. Diese Kristalle
werden Otolithen oder Statoconia genannt. In Wirklichkeit bestehen sie aber nicht nur
aus rein anorganischen Substanzen, sondern auch aus organischer Substanz, welche die
Kristalle als eine Haut überzieht und Otolithengrundsubstanz genannt wird. Die Kristalle
bestehen aus den sehr häufig vorkommenden Mineralien Calcit und Aragonit, beide ge-
hören zu der Mineralklasse der wasserfreien Carbonate ohne fremde Anionen. Sie ähneln
sich in ihren Eigenschaften sehr. Calcit hat eine Dichte von 2,6 bis 2,8 g/cm3, Arago-
nit von 2,95 g/cm3. Chemisch gesehen sind Calcit und Aragonit Calciumcarbonate, also
Calcium-Salze der Kohlensäure (Okrusch and S., 2005). Die allgemeine Form und Grö-
ße der Otolithen weicht zwischen den verschiedenen Spezies und selbst zwischen den
Individuen der gleichen Spezies voneinander ab (Harada, 1983).
1.1. ANATOMISCHE GRUNDLAGEN 15
Peri- Endo- Haar- IZR EZR Liquorlymphe lymphe zelle
Natrium (mM) 148 1,3 12 145 140Kalium (mM) 4,2 157 130 155 4 4Chlorid (mM) 119 132 4 120Bicarbonat (mM) 21 31 8 27Calcium (mM) 1,3 0,023 0,09 ≤ 10−4 1,5Protein (mg/dl) 178 38 66 - 83 200 - 400
Tabelle 1.1: Zusammensetzung der Perilymphe, der Endolymphe, des Zytosols der Haarzelle, desZytosols von Blutzellen, des Blutplasmas und des Liquor cerebrospinalis; zusammengestellt aus(Sauer et al., 1999) und (Dörner, 2003). IZR = Inrtazellularraum, EZR = Extrazellularrraum.
1.1.4 Perilymphe und Endolymphe
Wie bereits erwähnt befindet sich das häutige Labyrinth in der knöchernen Labyrinthkap-
sel. Beide Teile des Labyrinths bilden zwei mit Flüssigkeit gefüllte Kompartimente.
Zwischen der knöchernen Labyrinthkapsel und dem häutigen Labyrinth findet sich der
perilymphatische Raum, der mit Perilymphen ausgefüllt ist. Die Perilymphe sind wie ei-
ne extrazelluläre Flüssigkeit, ähnlich einem Filtrat aus Liquor und Blut zusammengesetzt.
Das gesamte Volumen der Perilymphe beträgt beim Menschen 166,4 mm3 (Igarashi et al.,
1986). Der endolymphatische Raum ist durch eine Epitehlschicht mit tight junctions iso-
liert und abgedichtet. Sowohl die Blut- Perilymph- Schranke, wie auch die Perilymph-
Endolymph- Barriere wurde von Jahnke ausführlich untersucht (Jahnke, 1980), (Jahnke,
1975). Die Hohlräume des häutigen Labyrinths sind mit Endolymphe gefüllt, ihr Gesamt-
volumen beträgt 38,1 mm3 (Igarashi et al., 1986). Sowohl für patch-clamp-Versuche wie
auch für das Verständnis der Physiologie der Haarzelle und des TRPA1-Kanals ist die
genaue Zusammensetzung der Endo- und Perilymphe von größter Bedeutung.
Die Perilymphe enthält viel Natrium und wenig Kalium. Dies Zusammensetzung ähnelt
dem Liquor sehr. Im Unterschied zur Endolymphe enthält die Perilymphe deutlich mehr
Proteine.
16 KAPITEL 1. EINLEITUNG
Abbildung 1.2: Sinneszellen der Macula. a Typ-I-Zellen, b Typ-II-Zellen. 1: Kinozilie 2: Stereo-zilien 3: Stützzellen 4: Sinneszellen 5: Nervenkelch einer afferenten Nervenfaser 6: Synapse einerafferenten Nervenfaser 7: Synapse einer efferenten Nervenfaser; aus (Leonhard, 1981).
Die Endolymphe ist wie eine intrazelluläre Flüssigkeit zusammengesetzt. Sie enthält sehr
viel Kalium und wenig Natrium. Die Elektrolytkonzentrationen beider Flüssigkeiten be-
stimmen zusammen mit der Membranpermeabilität das Ruhemembranpotential der Haar-
zellen. Eine detaillierte Darstellung der Elektrophysiologie befindet sich in Kapitel 1.2.1.
Die vestibulären Haarzellen haben Kontakt zu beiden Flüssigkeiten. Während die basa-
le Membran die natriumreiche Perilymphe berührt, wird die apikale Membran mit den
Steriozilien von der Kalium reichen Endolyphme umspült.
Die Endolymphe wird von der Stria vascularis in der Schnecke, vom Planum semiluna-
tum der Cristae ampullares und entsprechenden Epithelien der Macula utriculi und Ma-
cula sacculi gebildet. Die Resorption und immunologische Antworten der Endolymphe
erfolgen im Saccus endolymphaticus (Wackym et al., 1987), (Friberg et al., 1984).
1.1.5 Vestibuläre Haarzellen Typ I und Typ II
Wie bereits in Kapitel 1.1.3 erwähnt, bestehen die Maculae aus zwei Zellarten, den Re-
zeptorzellen und den Stützzellen. Auf Grund ihrer Morphologie werden die Rezeptorzel-
len als Haarzellen bezeichnet. Es werden Typ I und Typ II Haarzellen unterschieden. Da
1.1. ANATOMISCHE GRUNDLAGEN 17
die Haarzellen kein eigenes Aktionspotential generieren, werden sie zu den sekundären
Sinneszellen gezählt. Beide weisen an ihrer Oberfläche ein typisches Kinocilium und 20
- 100 Stereozilien auf. Sie sind orgelpfeifenartig von groß nach klein angeordnet. Die
längsten Stereozilien sind dem Kinocilium benachbart, die kürzesten befinden sich an der
entgegengesetzten Seite der Zelloberfläche. Es entsteht eine morphologisch-funktionelle
Polarisierung der Zelle.
Typ I Haarzelle Die vestibuläre Typ I Haarzelle ist flaschenförmig aufgebaut. Sie be-
sitzt einen bauchigen Zellkörper und einen verengten Hals. Die Innervation erfolgt durch
afferente Nervenfasern aus dem N.vestibularis (N.VIII). Die Nervenfasern verzweigen
sich am basolateralen Zellpol, sodass jeweils mehrere Sinneszellen von derselben Nerven-
faser erreicht werden. Außerdem legen sich Axone efferenter hemmender Nervenfasern
aus dem Ganglion scarpae an die kelchförmigen Faserenden (Wersall, 1956). Die Typ
I Haarzelle besitzt eine größere Zelloberfläche als die Typ II Zelle. An ihrem apikalen
Pol befinden sich 60 - 100 Stereozilien und ein einziges Kinocilium. Untereinander sind
die Stereozilien über tip-links miteinander verbunden (Assad et al., 1991), (Denk et al.,
1995). Sie bestehen aus Aktinfilamenten, welche in einer Curticularplatte verankert sind.
Die Stereozilien werden durch drei extrazelluläre Verbindungen, welche seitlich unten
an der Basis inserieren, zusammen gehalten. Eine vierte Verbindung bildet das tip-link,
welches von der Spitze eines Stereoziliums zum nächst größeren benachbarten Stereozi-
lium zieht. Die tip-links spannen die Stereozilien auch in Ruhe (Jaramillo and Hudspeth,
1993), jedoch sind die Stereozilien flexibel und widersetzen sich der Spannung (Craw-
ford and Fettiplace, 1985). In der Physiologie des vestibulären Systems spielen tip-links
eine bedeutende Rolle bei der Aktivierung des Transduktionskanals. Das Kinozilium ist
immer deutlich länger als das längste Stereozilium. Die Stereozilien der Typ I Haarzelle
sind insgesamt länger als die der Typ II Haarzelle. Das Kinocilium besteht aus Fibrillen
die im 9 + 2 Muster angeordnet sind (Xue and Peterson, 2006). Der große, runde Zellkern
18 KAPITEL 1. EINLEITUNG
Abbildung 1.3: An isolated type I (HCI) cell with the outer membrane of the nerve calyx (nc)stripped away demonstrates the flask shape of the cell and schows the mitochondria and otherorganelles in the calyx. S = Supporting cell. Aus (Friemann and Ballantyne, 1984); Figure 9.4 S.214.
befindet sich im aufgetrieben, basalen Abschnitt der Zelle. Um den Kern gelegenes Cyto-
plasma enthält in unterschiedlicher Anzahl Mitochondrien, endoplasmatisches Reticulum
und Golgi-Apparate. Das restliche Cytoplasma ist reich an Vesikeln und Ribosomen.
Typ II Haarzelle Die Typ II Haarzelle ist eine runde oder zylindrisch geformte mecha-
nosensitive Nervenzelle. Anders als die Typ I Haarzelle besitzt sie keinen Hals und ist
insgesamt kleiner und schlanker geformt. Die Anordnung der Zilien ist bei beiden Zell-
typen identisch. Die zylinderförmigen Zellen sind 14.00 µm lang und 9.88 µm breit, die
runden Zellen besitzen einen Durchmesser von 10.31 µm (Mo, 1993). Während die Typ
I Haarzelle von einer Art Kelch aus Nervenfasern (Calynx) umgeben ist, besitzt die Typ
II Haarzelle ein knopfförmiges Anhängsel aus afferenten und efferenten Nervenendigun-
gen (Harada, 1983). Hiermit entstehen Synapsen zu afferenten und efferenten Neuriten
(Smith and Sjostrand, 1961). Ein Nervenfaserende ist mit mehr Typ II Haarzellen als mit
Typ I Zellen verbunden (Wersall, 1956). Die Zellorganellen sind bei Typ I und Typ II
Haarzellen vergleichbar angeordnet. Der Zellkern der Typ II Zelle ist im Vergleich zur
1.2. DIE PHYSIOLOGIE DES GLEICHGEWICHTSYSTEMS 19
Abbildung 1.4: A fracture through the macula sacculi of the chinchilla demonstrates the shapeand structure of a type II sensory cell (HCII) and its relationship to a supporting cell (S). A longkinocilim (k) can be seen on the sensory cell and a short rudimentary kinocilim is seen on thesupporting cell. mv = Mikrocilli. Aus (Friemann and Ballantyne, 1984); Figure 9.9 S. 217.
Typ I Zelle nach apikal verlagert, er liegt im mittleren Drittel des Zellkörpers. Entwick-
lungsgeschichtlich sind Typ II Haarzellen älter als Typ I Zellen (Friemann and Ballantyne,
1984).
1.2 Die Physiologie des Gleichgewichtsystems
Durch das vestibuläre System ist der Mensch in der Lage, sowohl rotatorische als auch ge-
radlinige Kraftvektoren zu erfassen. Unterschiedliche Richtungen können zusammen eine
Resultierende bilden. Der Mensch kann also unterscheiden zwischen einer horizontalen
(links/rechts) Bewegung, einer vertikalen (oben/unten) Bewegung und einer Mischung
aus beiden. Das vestibuläre System ermöglicht die Wahrnehmung dieser physikalischen
Kräfte. Um dem Gehirn die eindeutige Interpretation der Informationen zu ermöglichen,
gelangen zusätzliche Afferenzen aus dem Rückenmark, dem Kleinhirn und dem visuellen
System in die vier vestibulären Kerngebiete des Hirnstamms. Die wichtigsten Efferenzen
der Vestibulariskerne ziehen zum Thalamus, ins Kleinhirn, zu den Augenmuskelkernen
20 KAPITEL 1. EINLEITUNG
und in das motorische Rückenmark.
1.2.1 Die Physiologie der vestibulären Haarzelle
Mit der Defläktion der in Kapittel 1.1.5 beschriebenen Stereozilien und tip-links beginnt
eine Signalkaskade, an deren Ende die Erregung des N.vestibularis steht. Dabei wan-
delt die Haarzelle die Abscherung der Stereozilien, also einen mechanischen Reiz in ein
elektro-chemisches Signal um. Dieses Signal erregt die afferenten Fasern des N.vestibularis.
Man spricht von der mechano-elektrischen Transduktion. Die Haarzelle ändert während
dieses Transduktionvorgangs ihr Membranpotential. Das idealisierte Membranpotential
der Haarzelle lässt sich mit Hilfe der Goldmann-Gleichung bestimmen (Goldman, 1943).
Entscheidend für die Berechung des Potenzials ist die Kenntnis der intra- und extrazellu-
lären Ionenkonzentration, sowie die Offenwahrscheinlichkeit aller beteiligten Ionenkanä-
le. Die Elektrophysiologie der vestibulären und cochleären Haarzellen ist komplex, weil
die Zelle an zwei unterschiedliche extrazelluläre Kompartimente angrenzt, nämlich die
Endolymphe und das Interstitium, das mit der Perilymphe ein elektrisches Kontinuum
bildet. Da zwischen Endo- und Perilymphe eine wesentliche Potenzialdifferenz besteht,
weisen die Haarzellen ein jeweils unterschiedliches Potenzial gegenüber den beiden Kom-
partimenten auf. In Ruhe besteht zum Perilymphraum eine Potenzialdifferenz zwischen
Zellinnerem und Zelläußerem von ungefähr -85 mV. Die Potenzialdifferenz zur Endolym-
phe beträgt -155 mV. Wenn durch Deflektion der Stereozilien an der apikalen, endolym-
phatischen Zellseite der Transduktionskanal geöffnet wird (Hudspeth and Jacobs, 1979),
kommt es aufgrund des Potentials von -155mV zu einem Einstrom von K+-Ionen, wel-
cher möglicherweise zu einem geringen Teil von Ca2+ begleitet wird (Meyer et al., 1998).
Dies führt zu einer Depolarisation der Haarzelle gegenüber der Perilymphe, was wieder-
um zu einer Öffnung von spannungsabhängigen Ca2+-Kanälen führt (Art and Fettiplace,
1987), die auf der perilymphatischen Seite der Zelle lokalisiert sind und demzufolge das
Potential gegenüber der Perilymphe registrieren (Guth et al., 1998). Ca2+-Ionen sind nun
1.2. DIE PHYSIOLOGIE DES GLEICHGEWICHTSYSTEMS 21
die Effektoren der Transmitterausschüttung in Synapsen mit vestibulären Nervenfasern
(Hudspeth et al., 2000). Denn der Ca2+-Einstrom bewirkt eine lokale Erhöhung der zy-
tosolischen Ca2+-Konzentration und setzt einen Ca2+-abhängigen Prozess in Gang, der
zur Freisetzung von Glutamat an der basolateralen Oberfläche der Haarzelle führt (Devau
et al., 1993), (Andrianov et al., 2005), (Guth et al., 1988). Der freigesetzte Transmit-
ter stellt die chemische Verbindung zwischen Haarzelle und afferenter Nervenfaser her.
Selbst in Ruhe ist an der vestibulären Haarzelle ein ständiger Transmitterausstoß zu fin-
den. Dieser führt zu einer Spontanaktivität in den afferenten Nervenfasern (Guth et al.,
1991). Jedoch bewirkt ein langanhaltender Reiz keine dauerhafte Depolarisation der Zell-
membran, vielmehr kommt es zu intermittierenden Repolarisationen. Für diese wieder-
um sind K+-Kanäle auf der perilymphatischen Seite der Haarzelle verantwortlich (Boy-
er et al., 1998). Trotz andauernder depolarisierender Wirkung des Transduktionskanals
bewirken diese eine kurzfristige Rückkehr des Potenzials auf Werte von -85 mV. Sol-
che K+-Kanäle werden entweder spannungsabhängig (d. h. durch Depolarisation) oder
Ca2+-abhängig geöffnet (Griguer et al., 1993). Sobald spannungsabhängige K+-Kanäle
die Repolarisation bewirkt haben, schließen sie sofort wieder. Dies gilt in ähnlicher Form
auch für die Ca2+-abhängigen Kanäle, denn die zytosolische Ca2+-Konzentration ist nur
solange erhöht, wie die Ca2+-Kanäle depolarisationsbedingt geöffnet sind. Aus der in-
termittierenden Öffnung der repolarisierenden K+-Kanäle sowie der phasenverschobenen
Öffnung Ca2+-Kanäle resultiert ein oszillierendes Verhalten des Membranpotenzials ge-
genüber der Perilymphe und der Transmitterfreisetzung bei kontinuierlicher Deflektion
der Stereozilien. Das Frequenzverhalten dient nicht nur dem Schutz der Zelle vor toxi-
schen Ca2+ und vor dem Verlust von K+, sondern ermöglicht der Haarzelle frequenzmo-
dulierte Kodierung der Reizsingale (Duwel et al., 2006).
22 KAPITEL 1. EINLEITUNG
1.3 TRP-Kanäle
TRP-Kanäle (englisch: transient receptor potential channels) bilden eine der größten Io-
nenkanalfamilien, welche in verschiedensten Zellen exprimiert ist. Diese Kanäle sind ubi-
quitär, sie gelten als multifunktionell und man findet sie in Vertebraten und Invertebraten.
Grundsätzlich sind TRPs nichtselektive Kationenkanäle (Montell, 2005). Einige TRP-
Kanäle werden direkt aktiviert, andere werden durch second-messenger stimmuliert.
In Säugetiergeweben werden sie sowohl in erregbaren wie auch in unerregbaren Zellen
nachgewiesen. Man findet TRP-Kanäle in fast allen Sinnessystemen. So sind sie im visu-
ellen, olfaktorischen und auditiven System involviert, sie spielen eine wichtige Rolle in
der Mechano- und Thermosensibilität und sie ermöglichen die Wahrnehmung von Phero-
monen (Lin and Corey, 2005). Die TRP-Gene wurden als erstes im visuellen System der
Drosophila-Fliege definiert (Clapham et al., 2003). Ihre Entdeckung führte zu einem er-
weiterten Verständnis von Signalübertragungsmechanismen auf molekularer Ebene, die in
vielen verschiedenen Zellarten durch Ca2+-Einstrom reguliert werden (Minke and Cook,
2002) und (Montell, 2005).
Abbildung 1.5: Architecture of TRP channels is that of the boarder class of six transmembrane-spinning ion channels. S1 - S6 are transmembrane domains. A repressents ankyrin repeats. Aus(Clapham, 2003)
Die Proteine, welche die TRP-Kanäle der Säugetiere bilden, bestehen aus sechs verschie-
denen Domänen, welche die Zellmembran sechsmal durchziehen. Man spricht von einem
1.3. TRP-KANÄLE 23
sechs-transmembran Kanal (6-TM). Alle TRP-Kanäle sind Ca2+-permeable, polymodal
aktivierbare Kationen-Kanäle (Ramsey et al., 2006). Zum einen tragen sie zur Regulati-
on der intrazellulären Ca2+- und Na+-Konzentration bei, zum anderen besitzen sie einen
großen Einfluss auf das Membranpotential.
Durch die Analyse der Gensequenzen ist der ganze Familienstammbaum der TRP-Familie
bekannt. Insgesamt tragen 22 Gene die Information der Kanäle. Der Stammbaum sowie
die Nomenklatur und die beteiligten Proteine sind im Internet hinterlegt:
http://arjournals.annualreviews.org/article/suppl/10.1146/annurev.
physiol.68.040204.100431?file=ph.68.619.table_s1.pdf
TRP-Kanäle sind an verschiedenen Sinnessystemen beteiligt und erfüllen in der Biologe
unterschiedliche Aufgaben. So benötigen Hefe-Zellen TRP-Kanäle zum Aufspüren hy-
pertoner Bedingungen (Denis and Cyert, 2002). Nematoda (Fadenwürmer) besitzen an
den Spitzen neuronalen Dendriten ihres olfaktorischen Systems TRP-Kanäle. Diese er-
möglichen ihnen, chemische Noxen zu erkennen und zu meiden (de Bono et al., 2002).
Pheromonesensitve TRP-Kanäle spielen im Sozialverhalten männlicher Mäuse eine wich-
tige Rolle. Männliche Mäuse, die den TRP2-Kanal nicht exprimieren, sind nicht in der
Lage, das Geschlecht ihrer Artgenossen zu erkennen und zeigen keine Aggression gegen
das eigene Geschlecht (Stowers et al., 2002). Neben vielen anderen Aufgaben ermögli-
chen humane TRP-Kanäle die Geschmackswahrnehmung Süß, Bitter und Umami (Zhang
et al., 2003).
Wie in Abbildung 1.6 ersichtlicht, werden in der Nomenklatur der TRP-Kanäle sechs
„Subfamilies“ unterschieden. Diese bestehen wiederum aus mehreren Untergruppen. Die
Anzahl der beteiligten Kanäle variiert in den verschiedenen Familien.
Auf der Suche nach neuen Medikamenten gegen verschiedene Krankheiten sind in den
letzten Jahren die nicht-selektiven Calciumkänale der TRP-Familie zunehmend in den
Vordergrund gerückt. Die Funktion der meisten TRP-Kanäle ist allerdings noch weitge-
hend ungeklärt. Diese Arbeit soll dazu beitragen, die Physiologie des TRPA1-Kanals in
24 KAPITEL 1. EINLEITUNG
Abbildung 1.6: Mammalian TRP family tree. The evolutionary distance is schown by the totalbranch lengths in point accepted mutation (PAM) units, which is the mean number of subsitutionsper 100 residues. Aus (Clapham et al., 2003)
der vestibulären Haarzelle weiter aufzudecken und dessen Bedeutung für die Funktion
des Gleichgewichtssinnnes hervorzuheben.
1.3.1 Der TRPA1-Kanal, auch ANKTM1 oder p120 genannt
Bei dem Ca2+-permeablen, multimodalaktivierbaren TRPA1-Kanal handelt es sich wahr-
scheinlich um ein Ortholog zu dem Drosophila melanogaster Gen “painless”, welches
punktuell in sensorischen Dendriten von Neuronen lokalisiert ist und larvale Fluchtreak-
tionen auf Hitze- und Kältenoxen vermittelt (Tracey et al., 2003). Der TRPA1-Kanal wur-
de erstmals in Liposarcom-Zelllinien identifiziert. Sensorische Neurone der Hinterstrang-
ganglien (DRG), des Ganglion trigeminale und Haarzellen im Innenohr exprimieren TRPA1-
Kanäle (Jaquemar et al., 1999), (Nagata et al., 2005), (Obata et al., 2005), (Corey et al.,
2004).
Neben verschiedenen pharmakologischen Substanzen, wie Allylisothiocyanat, Cinnamal-
dehyd, Allicin und Nikotin (Bandell et al., 2004), (Jordt et al., 2004), (Macpherson et al.,
2005), (Bautista et al., 2005), (Talavera et al., 2009), wird der TRPA1-Kanal durch Tem-
1.3. TRP-KANÄLE 25
peratur unter 17 Celsius (Story et al., 2003), (Karashima et al., 2009) und die mechani-
sche Bewegung der Zellmembran aktiviert (Kindt et al., 2007). Es ist seit langem bekannt,
dass diese Substanzen sensorische Nerven aktivieren und akute Schmerzen verursachen
(Macpherson et al., 2007). Eine bedeutende Rolle in der Aktivierung des TRPA1-Kanals
nimmt das intrazelluäre Ca2+ ein (Zurborg et al., 2007). In der Tat korreliert die neuro-
nale Sensitivität gegenüber Senföl mit der TRPA1-Expression in vivo (Jordt et al., 2003),
(Nagata et al., 2005). Story et al. berichten, dass TRPA1-Kanäle in CHO-Zellen akti-
viert werden, wenn die Umgebungstemperatur unter 17C absinkt . Temperaturen, die
der Mensch als brennend, stechend und schmerzhaft wahrnimmt (Morin and Bushnell,
1998). Bandell et al. konnten zeigen, dass die scharfen Bestandteile in Zimtöl, Winter-
green oil, Nelkenöl, Senföl und Ingwer unter niedrigen Temperaturen den TRPA1-Kanal
aktivieren (Bandell et al., 2004). Whole-cell und inside-out patch clamp-Versuche zei-
gen, dass der TRPA1-Kanal in HEK293-Zellen direkt durch Ca2+ aktiviert werden kann.
Am N-terminalen Ende des TRPA1-Kanals befindet sich eine EF-hand calcium binding
domain (EF-hand CBD), die für die Ca2+ Bindung verantwortlich ist (Doerner et al.,
2007). Viele durch Ca2+ aktivierbare Proteine besitzen diese EF- hand CBD (Hinman
et al., 2006). Niforatos et al. zeigten in verschiedenen Versuchsreihen, dass der FAAH
II-Inhibitor, URB597 den TRPA1-Kanal spezifisch aktiviert. URB597 erhöht den Cal-
ciumeinstrom in HEK293-F-Zellen, die TRPA1-Kanäle vom Menschen und von Ratten
exprimieren. Zellen, denen extrazelluläres Calcium fehlt oder die keine TRPA1-Kanäle
exprimieren, zeigen keinen Calciumeinstrom. Kultivierte DRG Neurone der Ratte zeigen
ähnliche Ströme. Andere FAAH Inhibitoren (URB532, Compound7) haben keine Wir-
kung auf den Calciumeinstrom. URB597 inhibiert den TRPM8-Kanal, auf den TRPV1
und V4-Kanal zeigt die Substanz keine Wirkung (Niforatos et al., 2007).
Wie bereits erwähnt, besteht der TRP-Kanal aus sechs transmembran Domänen (S1 bis
S6). Diese typische Kanalkonformation findet man in nahezu allen Lebewesen. Da die
6TM-Struktur in TRP und in K+-Kanälen zu finden ist, wird eine Ähnlichkeit beider
26 KAPITEL 1. EINLEITUNG
Kanäle vermutet (Yellen, 2002). So bilden TRP-Kanäle zwischen der fünften (S5) und
der sechsten (S6) Domäne eine Pore (S5-pore loop-S6). Die analysierte Struktur der Pore
eines bakteriellen, 2TM, Kaliumkanals (KcsA) ist analog zu der Architektur der β-Helix,
welche die S5 und S6 Domänen in 6TM-Kanälen bildet (Doyle et al., 1998). Der Eintritt
von Ionen in den Kanal wird durch allosterische Interaktionen zwischen einzelnen Unter-
einheiten und einer oder mehrerer Schranken reguliert. Die Lokalisation und die Struktur
dieser Pforten ist bis heute nicht eindeutig geklärt (Ramsey et al., 2006).
Sowohl das Carboxylende wie auch das Aminoende befinden sich innerhalb der Zelle.
Analysen der Aminosäurensequenz zeigen, dass innerhalb der TRP Proteine sieben hy-
drophobe Bereiche existieren. Vermutlich bilden sie die Transmembransegmente (Vannier
et al., 1998). Zwischen der sechs-transmembran Domäne und dem C-terminalen Ende be-
findet sich ein 25 Aminosäuren langes Motiv, welches als TRP-Domäne bezeichnet wird.
Dieses Motiv beinhaltet die sogenannte TRP-Box (EWKFAR). Die TRP-Domäne und
die TRP-Box existieren in allen TRPC-Genen, jedoch nicht in allen TRP-Genen. An dem
N-terminalen Ende der TRPC, TRPV und TRPA1-Kanäle befinden sich mehrere Ankyrin-
Repeats (Clapham et al., 2003).
1.3.2 Die Physiologie des vestibulären Systems
Macula: Mit den beiden Makulaorganen eines Ohres werden Translationsbeschleuni-
gungen gemessen. Durch die Einlagerung der Statokonien ist die spezifische Dichte der
Otolithenmembran höher als die der sie umgebende Endolymphe. Bei einer Translations-
beschleunigung des Körpers bleibt die verschiebbare Otolithenmembran daher um einen
winzigen Betrag zurück. Dadurch werden die Stereozilien abgeschert und die Haarzel-
len der Makulaorgane (siehe Kapittel 1.2.1) adäquat erregt. Auf der Erde ist der Mensch
ständig der Gravitationskraft ausgesetzt, für das vestibuläre System stellt diese eine per-
manente Translationsbeschleunigung dar. Bei aufrechter Körper- und Kopfhaltung steht
die Macual sacculi in senkrechter Stellung. Die Gravitation verschiebt die Otolithenmem-
1.3. TRP-KANÄLE 27
bran nach unten und reizt die Haarzellen. Ändert sich die Lage des Kopfes, so ändert sich
der Einfluß der Gravitationsbeschleunigung und damit die Verschiebung der Otolithen-
membran.
Ähnliches gilt für die Macula utriculi, nur ist ihre anatomische Lage bei aufrechter Kopf-
haltung nahezu waagerecht, wodurch die Gravitationskraft keine Abscherung der Stereo-
zilien bewirkt. Eine Änderung der Kopfhaltung führt jedoch zu einer vermehrten Absche-
rung der Stereozilien der Macula utriculi.
Für jede Stellung des Kopfes gibt es daher eine bestimmte Konstellation der Absche-
rung der jeweils zwei Makulaorgane des rechten und linken Innenohrs. Diese Konstel-
lation führt wiederum zu einer bestimmten Erregungskonstellation der entsprechenden
afferenten Nervenfasern, welche die Information über die Stellung der Vestibularapparte
im Raum an das zentrale Nervensystem weitergeben.
Cupula: Die drei Bogengänge eines jeden Innenohrs sind dreidimensional angeordnet,
so dass für jede Dimension des Raumes ein Bogengang zuständig ist. Es ensteht ein speze-
fisches Erregungsmuster in den afferenten Nervenfasern. Die Bogengangorgane erlauben
eine Wahrnehmung der Drehbeschleunigungen (Winkelbeschleunigungen).
Die Cupula enthält im Gegensatz zu den Macullae keine Kalziumkarbonatkristalle. Da-
her haben Endolymphe und Cupula die gleiche spezifische Dichte. Eine Translations-
beschleunigung kann keine Relativbewegungen zwischen Cupula, Bogengang und Zilie
auslösen und so auch nicht die vestibulären Haarzellen erregen.
Anders ist dies bei Drehbeschleunigungen. Wird der Kopf gedreht, bleibt die Endolym-
phe auf Grund ihrer Trägheit im Bogengang gegenüber den knöchernen Bogengangswän-
den zurück (Raphan et al., 1983). Die Cupula ist auf der Innenseite des Bogengangs fest
mit der knöchernen Wandung verbunden (Wersall, 1956). Bei Bewegungen des Kopfes
wird die Cupula aufgrund ihrer Eigenelastizität ausgelenkt, bleibt aber am Dach der Am-
pulle haften. Sie stößt gegen die zurückbleibende Endolymphe und wird als elastische
28 KAPITEL 1. EINLEITUNG
Membran ausgelenkt. Dies führt zu einer Defäktion der Stereozilien und einer adäquaten
Reizung der vestibulären Haarzellen (Wilson and Melville-Jones, 1979).
Für den horizontalen Bogengang nimmt die Aktivität der ipsilateralen Haarzellen zu,
wenn die Cupula in Richtung auf den Utrikulus ausgelenkt wird (utrikulopetal Cupu-
laauslenkung). Dagegen werden die kontralateralen Haarzellen durch die entsprechen-
de ampullofugale Endolymphströmung mit utrikulofugaler Auslenkung hyperpolarisiert
(Cawthorne, 1968). Bei den beiden vertikalen Bogengängen ist die Anordnung umge-
kehrt, so dass eine utriculofugale Cupulaauslenkung zu einer Aktivierung der afferenten
Nerven führt (Baloh and Honrubia, 1979).
Kapitel 2
Zielsetzung
Obwohl die Expression des TRPA1-Kanals (auch als ANKTM1 bekannt) in vestibulären
Haarzellen des Innenohres nachgewiesen, ist die funktionelle Rolle des Ca2+-permeablen
Kationen-Kanals bis lang nicht geklärt. Dies beruht vor allem auf Experimenten mit
TRPA1 knock-out Mäusen, welche physiologische Transduktionströme zeigten und we-
der eine Hörminderung noch Gleichgewichtsstörungen aufwiesen (Kwan et al., 2006).
Hauptziel war es, die funktionelle Expression des TRPA1-Kanals mittels patch-clamp-
Verfahren in der Plasmamembran von vestibulären Typ II Haarzellen des Meerschwein-
chens vor und nach Stimmulation mit spezifischen Agonisten des TRPA1-Kanals (Allyli-
sothiocyanat, AITC, 200 - 400 µM und 3′− carbamoylbiphenyl− 3− yl cyclohexylcar-
bamat, URB597, 100 µM) zu untersuchen.
29
30 KAPITEL 2. ZIELSETZUNG
Kapitel 3
Material und Methoden
3.1 Das Meerschweinchen und die Besonderheiten seines
Vestibularapparats
Wie beim Menschen teilt das Os temporale des Meerschweinchens die Schädelbasis in
die Fossa cranii media und die Fossa cranii posterior. Das Felsenbein liegt zwischen dem
Os occipitale nach kaudal, dem Os parieteale nach dorsal, und dem Os frontale, dem Os
palatina, dem Os sphenoidale, dem Os maxillare und dem Os ethomidale nach rostral
(Wysocki, 2005a), (Wysocki, 2005b).
Das Felsenbein besteht aus der Pars squamosa, der Schuppe, der Pars petrosa, der Fel-
senbeinpyramide, mit dem Warzenfortsatz als Grundfläche und der Pars tympanica, dem
Trommelfellteil. Die Pars tympanica legt sich als Belegknochen von unten her an die Pars
squamosa und die Pars petrosa, begrenzt den knöchernen Gehörgang von unten, vorn
und hinten. Oben, im Bereich der Incisura tympanica, fehlt die Pars tympanica. Zusam-
mengesetzt ist die Pars tympanica aus dem tympanischen Ring, der Bulla tympanica und
der dorsalen Bulla. Die Bulla tympanica macht einen beträchtlichen Teil des gesamten
Luftraums im Os temporale aus. Es hat eine trapezoidförmige Struktur mit abgerundeten
31
32 KAPITEL 3. MATERIAL UND METHODEN
Abbildung 3.1: Anteriore und posteriore Wand der Pars petrosa des Felsenbeins des Meer-schweins; N.VII = N.facialis (VII); nach eigener Präparation, 40 fache Vergrößerung.
Kanten und dünnen knöchernen Wänden (Wysocki, 2005a). Die knöcherne Kapsel des
Labyrinths, welches in Analogon zum menschlichen Os temporale Pars petrosa genannt
wird, ist pyramidenförmig und bildet einen Teil der Schädelbasis. Das Innenohr des Meer-
schweinchens besteht aus der inferior gelegenen Bulla tympanica (ventrale Bulla) und der
superior gelegenen dorsalen Bulla. Beide Räume sind voneinander getrennt. Das knöcher-
ne Labyrinth beinhaltet die Cochlea, das Vestibulum und drei knöcherne Bogengänge.
Nach der Spaltholzschen schematischen Darstellung liegen die beiden vertikalen Bo-
gengänge in einem 45 Winkel zur Medianebene. Dies ist irreführend, da die Lage der
Bogengänge von der Stellung des Pyramidenfortsatzes abhängig ist (Hasegawa, 1986).
Der hintere Bogengang liegt in einer Ebene, die parallel zur hinteren Pyramidenwand
steht. Die Pyramidenwand des Menschen steht mehr frontal und die des Meerschwein-
chens mehr sagital. Die Cochlea des Meerschweinchens hat keine dicke, knöcherne Hülle.
Grundsätzlich ist es schwierig, systematische anatomische Beschreibung des Os tempo-
rale des Meerschweinchens in der Literatur zu finden (Wysocki, 2005a). In seiner Arbeit
beschreibt Smalwood die Anatomie des Meerschweinchens, aber er berücksichtigt nicht
3.2. GEWINNUNG DER VESTIBULÄREN TYP II HAARZELLEN 33
das Hör- und Gleichgewichtsorgan. Seine Beschreibung des Kopfes lässt nur einen Rück-
schluss auf eine sehr lange Bulla tympanica zu. Der Aufbau des Labyrinths ist unabhän-
gig von der Tierart bei allen Wirbeltieren gleich. Jedoch besitzen wirbellose Tiere nur
das Vestibulum, ihnen fehlen die Bogengänge (Smalwood, 1992). Die Nomenklatur des
Felsenbeins des Meerschweinchens wurde in der Nomina Anatomica Veterinaria, 1994;
Terminologia Anatomica, 1998 festgelegt.
Sowohl beim Menschen als auch beim Meerschwein ist das Volumen der Macula utriculi
größer als das Volumen der Macula sacculi. Da das Meerschweinchen wie der Mensch zu
den Säugetieren zählt, darf angenommen werden, dass die beim Meerschweinchen gefun-
denen Ergebnisse auf den Menschen übertragen werden können. In pharmakologischen
Studien des Innenohrs vom Meerschweinchen wurden bereits Resultate auf den Menschen
übertragen und otoakustische Emissionen verglichen (Ando et al., 1982) und (Ueda et al.,
1993). Auf Grund vorliegender Untersuchungen behauptet Hafner, dass die knöcherne
Labyrinthkapsel des Kaninchens und Meerschweinchens sowohl in ihrer Entwicklung als
auch in ihrer fertigen fibrillären Struktur mit der des Menschen viele gemeinsame Punkte
aufzuweisen hat (Hafner, 1933).
3.2 Gewinnung der vestibulären Typ II Haarzellen
3.2.1 Makroskopische Präparation des Felsenbeins
Als Versuchstiere wurden weibliche, erwachsene Albinomeerschweinchen verwendet, wel-
che aus der Züchtung der Firma Charles River (Laboratories, Inc. Wilmington) stammten.
Das Gewicht der Tiere betrug 280 bis 400 g.
Alle Experimente wurden unter Berücksichtigung der deutschen und internationalen Richt-
linien für Tierversuche, entsprechend dem Tierschutzgesetz durchgeführt. Für alle Tiere
lag eine Tötungsgenehmigung vor. Die Versuchstiere wurden in der Tierversuchshaltung
unter standardisierten Bedingungen mit Wasser und Trockenfutter ad libitum gehalten. Es
34 KAPITEL 3. MATERIAL UND METHODEN
wurde angestrebt, den Stress der Tiere vor und während der Präparation so gering wie
möglich zu halten. Die Anzahl der verwendeten Tiere wurde auf die unbedingt erforder-
liche Menge begrenzt. Nach der Dekapation wurden das linke und das rechte Felsenbein
makroskopisch aus der mittleren Schädelgrube entnommen und in Badpuffer 1 (=BP1,
siehe Tabelle 3.1) transportiert.
3.2.2 Mikroskopische Entnahme der Otolithenorgane
Da die Cochlea und das Labyrinth nicht wie bei anderen Säugetieren in der Pars petrosa
des Felsenbeins liegen, müssen beide Bullae eröffnet werden. Nur so ist es möglich, an
die Otolithenorgane zu gelangen (Goksu et al., 1992) und (Samandari, 1976). Sacculus
und Utrikulus wurden unter dem Mikroskop mit chirurgischem Werkzeug entnommen
und in Badpuffer 1 überführt. Die Zusammensetzung des Badpuffers 1 ist in Tabelle 3.1
dargestellt.
Substanz KonzentrationTEA - Cl 136 mMMgCl2 1,8 mMCaCl2 1,8 mM
HEPES 10 mMpH 7,25
Osmolarität 320 mosm
Tabelle 3.1: Zusammensetzung Badpuffer 1
3.3 Optimierung des Dissoziationsprotokolls und des Ver-
suchsaufbau
Erst mit der Erstellung eines eigenen Protokolls zur Dissoziation der vestibulären Typ II
Haarzelle wurden elektrophysiologische Messungen an der vestibulären Haarzelle mög-
3.3. OPTIMIERUNG DES DISSOZIATIONSPROTOKOLLS UND DESVERSUCHSAUFBAU 35
lich. Die komplizierte Entwicklung der sonographischen Steuereinheit und die gezielte
Modifikation des Perfusionssystems ermöglichten die Applikation von Medikamenten
unter annährend physiologischen Bedingungen. Ohne diese langfristige Entwicklungen
wäre die Regulierung des Badstandes, die Perfusion der Badkammer und die Messungen
an den vestibulären Typ II Haarzellen nicht möglich gewesen. Hydrostatische und me-
chanische Aktivierungen wurden durch die so geschaffenen Bedingungen ausgeschlossen
(Duong Dinh et al., 2006). Voraussetzung zur Messung der Ionenströme ist eine ausrei-
chende Anzahl vestibulärer Typ II Haarzellen in gutem Zustand. Die ersten Versuche hat-
ten also das Ziel, die Zellausbeute und Versuchsbedingungen zu verbessern. Ein sichtba-
rer Zellkern und unscharfe Zellkonturen sind Kriterien für Zellen im schlechten Zustand.
Zellen im guten Zustand weisen eine glatte Oberfläche mit eindeutig erkennbaren Haaren
auf. Als Zellverbände werden Konglomerate mit mehr als zwei Zellen bezeichnet.
Anfängliche Präparationsversuche, die neben der mechanischen Dissoziation eine enzy-
matische Andauung mit Trypsin vorsahen, erfüllten beide Bedingungen nicht. So erweist
sich das Trypsin (0,1 g/l) mit einer Einwirkzeit von einer Minute als nicht geeignet für
die Zelldissoziation. Als ebenfalls unwirksam erweist sich eine mechanische Dissozia-
tion, die auf Scherkräfte der Pipetten beruht, da der hierdurch ausgelöste mechanische
Stress von den Haarzellen nicht toleriert wird. Erst mit der enzymatischen Andauung des
Vestibularorgans durch Kollagenase Typ IV (0,14 g/l) und Protease (0,12 g/l) kann die
Zellausbeute signifikant gesteigert werden. Eine weitere Verbesserung der Zellausbeute
um 26,32 Prozent gelang mit der Etablierung eines schonenderen mechanischen Verfah-
rens, welches detalliert in Kapitel 3.3.1 beschrieben wird. Hierzu wurden die Zellverbän-
de in einem auf 37 C erwärmten Wasserbad mit einem magnetischen Rührer aufgetrennt.
In der Abbildung 3.2 werden die Ergebnisse der verschiedenen Dissoziationsprotokolle
miteinander verglichen.
36 KAPITEL 3. MATERIAL UND METHODEN
Abbildung 3.2: Optimierung des Dissoziationsprotkolls. Trypsin 0,1 g/L, Kollagenase 0,14 g/Lund Protease 0,12 g/L.
3.3.1 Enzymatische Dissoziation
Nach der mikroskopischen Entnahme der Otolithenorgane erfolgte der enzymatische Ver-
dau. Die Dissoziation des linken und des rechten Otolithenorgans wurde getrennt in zwei
Reaktionsgefäßen (Eppendorf, Hamburg, Germany) durchgeführt. Hierzu wurde eine Lö-
sung mit Badpuffer1 (BP1), Protease und Kollagenase Typ IV angesetzt. Die enzymati-
sche Andauung erfolgte in einem auf 37 C erwärmten Wasserbad durch mechanische
Bewegungen, wobei ein Rührfisch die Dissoziation unterstützte. Nach 30 Minuten wurde
die Dissoziation durch Kühlung gestoppt. Die entstandene Lösung (2 × 500µ l je Oto-
lithenorgan) wurde in zwei Badkammern überführt. Nach 15 Minuten in der Badkammer
setzten sich die isolierten Haarzellen auf einem Objektträger, welcher zuvor mit Cell-Tak
(Collaborative Biomedical Products, Meylan, France) beschichtet wurde, ab und konnten
nach den Kriterien von Ricci et al. in Typ I und Typ II Haarzellen differenziert werden
3.4. DAS PATCH-CLAMP-VERFAHREN 37
(Ricci et al., 1997). Typ I Haarzellen besitzen eine sie umgebende Calynx, welche eine
patch - clamp Messung erschweren würde (Mo, 1993). An Typ I Haarzellen ist es nicht
gelungen, einen ausreichenden Seal herzustellen, somit fehlt die Grundvoraussetzung für
weiterer Versuche. Jedoch waren die Typ I Haarzellen häufiger als die Typ II Haarzellen.
Abbildung 3.3: Vestibuläre Typ II Haarzelle des Meerschweinchens nach eigener Isolierung,400fache Vergrößerung. Abbildung des Arbeitsplatzes siehe 3.4.
3.4 Das patch-clamp-Verfahren
3.4.1 Messplatz und Patchpipette
Mikroskop: Um die vestibulären Haarzellen zu sehen und die Spitze der Patchpipette
präzise auf die Zellmembran setzen zu können, wurde ein inverses Mikroskop (Zeiss, Je-
na, Germany) verwendet. Die Abbildung 3.4 und 3.5 zeigen den Messplatzaufbau. Dieses
Mikroskop ermöglicht eine 400fache Vergrößerung. Bei dem inversen Mikroskop ist das
Objektiv nach oben gerichtet, man blickt also von unten auf die Badkammer. So besteht
über der Badkammer viel Platz für andere Aufbauten und Messeinrichtungen, über die
später mehr berichtet wird. Desweiteren befindet sich über der Badkammer die Beleuch-
tungseinrichtung mit dem Kondensor.
38 KAPITEL 3. MATERIAL UND METHODEN
Abbildung 3.4: Der patch - clamp Messplatz (Übersicht) im Institut für Physiologie
Messtisch und Käfig: Da schon kleinste Bewegungen und Erschütterungen die patch
- clamp Messung stören, wurden Mikroskop, Badkammer und Mikromanipulator auf ei-
nem schwingungsgedämpften Tisch installiert. Schwingungen und Erschütterungen treten
in jedem Gebäude auf, so auch im Aachener Universitätsklinikum. Die niederfrequenten
Schwingungen wurden zum Teil mit einer sehr schweren Tischplatte aus Granit ausge-
schaltet. Damit es nicht zu Relativbewegungen zwischen der Haarzelle und der Pipet-
te kommt, wurden Mikroskop, Badkammer und Mikromanipulator mit Pipette auf dem
schwingungsgedämpften Messtisch befestigt. Da die winzigen Signale, die mit Hilfe des
Verstärkers gemessen wurden, leicht von elektrischem Hintergrundrauschen überlagert
werden, musste das Signal-Rausch-Verhältnis mit einem Faraday - Käfig optimiert wer-
den. Das Rauschen entsteht als Einstreuungen des elektromagnetischen Wechselfeldes,
das vom öffentlichen Spannungsnetz erzeugt wird und sich durch die metallischen Kom-
ponenten und stromführenden Kabel überträgt. Der Faraday-Käfig besteht aus gestanzten
Metallblechen, die den gesamten patch-clamp Stand umgeben. Alle Teile des Käfigs sind
miteinander verbunden, der Käfig besitzt keine mechanische Verbindung zum Messtisch.
3.4. DAS PATCH-CLAMP-VERFAHREN 39
Abbildung 3.5: Der patch - clamp Messplatz aus der Nähe, Institut für Physiologie
Innerhalb des Käfigs befanden sich während der Versuche nur die unbedingt notwendigen
Geräte.
Mikromanipulator: Für die Versuche wurde ein handelsüblicher Mikromanipulator
(Modell SM-5, Luigs und Neumann, Ratingen, Germany) verwendet. Er hat eine ver-
tikale Bewegungsgenauigkeit von 20 nm (Angabe des Herstellers). Gesteuert wird der
Mikromanipulator durch eine Steuereinheit, welche außerhalb des Käfigs befestigt ist.
Sie ermöglicht eine Drei-Dimmensionale Ausrichtung der Pipette. Mit Hilfe einer Pumpe
war es möglich, über ein Leitungssystem Über- oder Unterdruck an der Pipettenspitze
anzulegen. Ein Drei-Wege-Hahn ermöglichte einen schnellen Druckausgleich mit der At-
mosphäre. Die Spitze der Patchpipette wurde in einem 45 Winkel zum Boden der Mess-
kammer in das Bad eingetaucht.
Badkammer: Für die patch-clamp Versuche wurde eine in der Feinmechanikwerkstatt
selbst aus V2A-Stahl gefräßte ovale Badkammer benutzt. An den Enden befanden sich
40 KAPITEL 3. MATERIAL UND METHODEN
Aussparungen für den Zulauf und die Absaugung. Um eine gleichmäßige Perfusion aller
Bereiche der Badkammer zu erzielen, lagen Zulauf und Absaugung gegenüber.
Perfusionssystem: Das Perfusionssystem bestand aus vier in der Klinik üblichen Perfu-
sorspritzen (50 ml), die in einer Halterung an der Wand des Faraday-Käfigs befestigt wur-
den. Die vier Spritzen waren über Perfusorleitungen mit einer gemeinsamen Endleitung
verbunden. Treibende Kraft für die konstante Perfusion der Badkammer mit 2,0 ml/min
war der hydrostatische Druck in den Spritzen und Leitungen. Der Badstand wurde über
eine sonographische Steuereinheit reguliert, welche von Duong Dinh et al. beschrieben
wurde (Duong Dinh et al., 2006).
Sonographische Steuerungseinheit: Der Ultraschall Transmitter/Receiver (Model ZWS-
15/CU/QS; Microsonic, Dortmund, Germany) reguliert durch elektromagnetische Ventile
(Sirai GmbH, Steinhöring, Germany) und eine Absaugpumpe (2132 Micropervex, LKB,
Schweden) die Höhe des Badstandes. Duong Dinh et al. geben eine genaue Beschreibung
und Beurteilung dieser Technik (Duong Dinh et al., 2006) mit welcher wir die verschie-
denen Lösungen präzise in die Badkammer infundieren konnten.
Patchpipette: Die verwendeten Patchpipetten (Wandstärke: 0,24 mm) wurden aus Bo-
rosilicateglas (Hilgenberg, Göttingen, Germany) mit einem Innendurchmesser von 0,96
mm und einem Außendurchmesser von 1,2 mm hergestellt. Alle Pipetten wurden mit
einem Puller, welcher in unserer Arbeitsgruppe entwickelt wurde, gezogen. Um höhere
Abdichtwiderstände zu erzielen, wurden die Patchpipetten unmittelbar vor Gebrauch in
einer eigens gebauten Mikroforge poliert. Der Puller wurde so programmiert, dass der
Wiederstand der Patchpipette zwischen 2 und 5 Megaohm lag.
Pipettenlösung: Unmittelbar vor dem Experiment wurde die Patchpipette mit einer
Elektrolytlösung gefüllt. Diese bezeichnen wir im weiteren als intracellulären Puffer, ihre
3.4. DAS PATCH-CLAMP-VERFAHREN 41
Substanz KonzentrationGlutamt 145 mM
NaCl 8 mMMgCl2 2 mMEGTA 10 mMATP 0,3 mM
HEPES 10 mMpH 7,25
Osmolarität 300 mosmol/kg
Tabelle 3.2: Zusammensetzung des intracellulären Puffers.
Zusammensetzung ist in Tabelle 3.2 angegeben. Die Pipette wurde durch Unterdruck (tip
filling) und durch Überdruck (back filling) gefüllt. Es wurde darauf geachtet, dass sich in
der Flüssigkeit keine Luftblasen und Verunreinungen befinden.
Aktivatoren: Als Aktivatoren des TRPA1-Kanals wurden über das Perfusorsystem Al-
lylisothiocynat (AITC, Senföl, 200 - 400 µM Sigma, Deisenhofen, Germany)) und der
selektive Fettsaeureamidhydrolase-Inhibitor 3′−carbamoylbiphenyl−3−yl cyclohexyl-
carbamate (URB597, 100 µM, Cayman Chemical, Ann Arbor, USA) appliziert.
Elektrode: Für das Patch- clamp Verfahren sind zwei Elektroden notwendig. Eine Elek-
trode befindet sich in der Patchpipette und wird als intrazelluläre Elektrode bezeichnet.
Die zweite Elektrode liegt im Bad und wird dem nach als Bad- oder extrazelluläre Elek-
trode bezeichnet.
Amplifier: Die Signale wurden mit einer Frequenz von 5 kHz aufgenommen und mit
dem patch- clamp- Verstärker EPC-9 (List Electroic, Darmstadt, Germany) und der Pulse
8.6 Software (HEKA Electronics, Lambrecht, Germany) aufgenommen und dargestellt.
42 KAPITEL 3. MATERIAL UND METHODEN
3.4.2 Durchführung der patch- clamp- Experimente
Gigaseal: Ein guter Gigaseal reduziert das Rauschen deutlich. Außerdem verringert ein
guter Abdichtungswiderstand das Risiko, dass ungemessene Ströme zwischen Glaspipette
und Zellmembran in das Bad fliessen. Man spricht von einer Reduktion des Leckstroms.
Ein solcher Leckstrom würde zu einer Erhöhung des notwendigen Kompensationsstromes
der Spannungsklemme führen. Um einen ausreichenden Gigaseal herzustellen ist eine
saubere, polierte Patchpipette nötig, welche wie in Kapitel 3.4.1 hergestellt wurde.
Heranführen der Pipette an die Zellmembran und Messungen: Vor dem Eintau-
chen der Pipette in das Bad wird mit Hilfe eines U-Rohres ein Überdruck von 5 - 10 cm
Wassersäule erzeugt. Dies ist nötig, um ein Verstopfen der Spitze zu verhindern. Kurz
nach dem Eintauchen im Bad wurde der Widerstand der Pipette bestimmt. Zur weiteren
Durchführung des Experiments wurden nur Pipetten mit einem Widerstand von 4 - 5 Ohm
verwendet. Dann wurde die Pipette unter mikroskopischer Kontrolle behutsam weiter an
die Zelle herangeführt. Eine Zunahme von 0,2 - 0,3 Ohm bestätigte den Kontakt der Pi-
pette an der Haarzelle und stellte den Beginn der Sealbildung dar. Man spricht von einem
loose patch - clamp. Vor Erreichen des Gigaseals wurde ein Haltepotential von -60 mV
zwischen intra- und extrazellulärer Elektrode angelegt. Nach der Etablierung eines Giga-
seals befindet sich die Haarzelle in der Cell - attached - Konfiguration. Die Mittelwert der
Membrankapazität betrug 4,25 ±1.03 pF und der Widerstand 18,83 ±4,5 MΩ (n=41). Im
Abstand von 20 s wurden Strom-Spannungmessungen von -80 bis +80 mV und zurück
über 0,1 s durchgeführt. Zur statistischen Auswertung wurde die Spannungungsdichte
(mcd) in pA/pF berechnet. Alle Experimente wurden bei Raumtemperatur (21 - 23C)
durchgeführt.
3.5. STATISTISCHE AUSWERTUNG 43
3.5 Statistische Auswertung
Die statistische Auswertung wurde mit Hilfe von „SPSS Version 12 Software“ (SPSS
Inc.; Chicago, IL, USA) durchgeführt. Die Ergebnisse wurden mit dem Wilcoxon-Test
für gepaarte, nicht-parametrische Werte auf statistische Signifikanz geprüft. Als signi-
fikant wurd eine Fehlerwahrscheinlichkeit von p < 0,05 betrachtet. Wenn nicht anders
beschrieben, wurden die Werte als Mittelwert ± (standard deviation, S.D.) beschrieben.
44 KAPITEL 3. MATERIAL UND METHODEN
Kapitel 4
Ergebnisse
Es wurde der Strom des TRPA1-Kanals in vestibulären Typ II Haarzellen mittels patch-
clamp-Verfahren im whole-cell-Mode untersucht. Alle Versuche wurden nach den in Ka-
pitel 3.2 und 3.4 beschriebenen Protokollen durchgeführt. Base-line Ströme wurden in
Badpuffer 1 mittels Stromspannungsrampen (-80 mV bis +80 mV) im Abstand von 20 s
gemessen bis ein stabiles Plateau erreicht wurde. Hiernach erfolgte die Stimmulation des
TRPA1-Kanals mit Senföl (AITC) in zwei Konzentrationen (200 und 400 µM) oder dem
selektiven Inhibitor der Fettsäureamidhydrolase URB597 (100 µM). Tabelle 4.1 zeigt die
Anzahl der erfolgreichen Versuche und die verwendeten pharmakologischen Substanzen.
Die Versuche, in deren Verlauf die Haarzellen ihre Form und Oberflächenbeschaffen-
heit änderten, wurden für statische Auswertungen nicht berücksichtigt, um die Ergebnisse
nicht falsch positiv oder falsch negativ zu beeinflussen. Unter großem Zeit- und Material-
aufwand wurden somit weitaus mehr Versuche durchgeführt, welche im Laufe der Mes-
sung abgebrochen werden mussten. Trotz Optimierung des Dissoziationsprotokolls wie
in Kapitel 3.3 beschrieben, wurden zum Erreichen der statistisch notwendigen Fallzahl
223 Meerschweine verwendet.
45
46 KAPITEL 4. ERGEBNISSE
Substanz Konzentration VersuchsanzahlBadpuffer 1 Tabelle 3.1 42
Senföl (AITC) 200 µM 29Senföl (AITC) 400 µM 7
URB597 100 µM 5
Tabelle 4.1: Anzahl der durchgeführten Versuche
4.1 Quantitative Auswertung der Ionenströme im Bad-
puffer 1
Die in Badpuffer 1 (BP1) gemessenen Ionenströme stellen die Ausgangswerte für die
weitere Durchführung der Versuche dar. Im Folgenden und in den Abbildungen wird die-
ser Storm als Baseline bezeichnet. Spannungs-abhängige K+-Ströme wurden durch die
Zusammensetzung der intra- und extrazelluläre Flüssigkeiten verhindert. Der spannungs-
abhängige Ca2+-Strom war vernachlässigbar gering und wurde insbesondere bei -60 oder
+60 mV nicht gemessen. Der Mittelwert der Stromdichte in Badpuffer 1 beträgt -29 ±6
pA/pF bei einer Spannung von -60 mV und 62 ±9 pA/pF (n = 41). 20 Sekunden nach der
Stabilisierung eines Plateaus als Baseline wurden die weiteren Substanzen appliziert.
4.2 Quantitative Auswertung der Ionenströme des TRPA1-
Kanals durch Zusatz von Senföl
Abbildungen 4.1 und 4.4 zeigen die Stromspannungkurven (Rampen) von repäsentativen
Versuchen nach Zugabe von 200 µM und 400 µM Senföl bei Spannungen von -80 bis
+80 mV, welche zu einem Ein- und Auswärtsstrom mit der für den TRPA1-Kanal typi-
schen Stromspannungskurve führen (Macpherson et al., 2005). In den Abbildungen 4.2
und 4.3 sind die charakteristischen Stromkurven für den Ein- und Auswärtsstrom nach
Applikation von 200 µM und 400 µM Senföl dargestellt. Die Stromzunahme nach der
4.3. QUANTITATIVE AUSWERTUNG DER IONENSTRÖME DESTRPA1-KANALS DURCH ZUSATZ VON URB597 47
Applpikation begann nach 20 s und erreicht ein stabiles Plateau nach 60 s (Mittelwert:
50 ±15 s) bis das Senföl nach 200 Sekunden wieder ausgewaschen wurde. Senföl (200
µM) induzierte eine Stromdichte von 112 ±8 pA/pF (± SD) bei +60 mV und -22 ±5
pA/pF bei -60 mV (n=29). Durch die höhere Senfölkonzentration (400 µM, n=7) wurden
die folgenden Stromdichten gemessen: 168 ±22 pA/pF (+60 mV) und -62 ±16 pA/pF
(-60 mV). Dies veranschaulicht, dass die Wirkung des Senföls abhängig ist von der Kon-
zentration des TRPA1-Agonisten. In zwei weiteren Experimenten wurden während der
Applikation über 400 s ebenfalls ein stabiles Plateau bis zum Auswaschen registriert 4.5
und 4.7. Durch eine erneute Applikation von Senföl nach dem Auswaschen und dem Er-
reichen der Basline-Ströme ist die Aktivierung reproduzierbar. In Abbildung 4.6 ist die
Stromkurve für 200 µM Senföl dargestellt. Durch die erneute Applikation von 400 µM
ist eine identische Aktivierung möglich (nicht dargestellt).
In jedem Experiment wurde die Rampe mit der größten Stromzunahme ausgehend von
der Baseline in Badpuffer 1 zur Berechnung der Statistik herangezogen. Wie bereits in
den ausgewählten Versuchen ersichtlich, zeigt die Abbildung 4.8 eine deutlich größere
Zunahme des Auswärtsstromes bei +60 mV als des Einwärtsstromes bei -60 mV. Die
untersuchten Agonisten des TRPA1-Kanals bewirken eine signifikante Zunahme des Ein-
wärtsstromes (p<0,05) bei -80 mV und insbesondere des Auswärtsstromes bei +80 mV
(p<0,01). Die Stromzunahme nach der Applikation von Senföl war durch 200 µM gerin-
ger als durch 400 µM Senföl. Der synthetische TRPA1-Agonist URB597 bewirkte die
größte Stromzunahme.
4.3 Quantitative Auswertung der Ionenströme des TRPA1-
Kanals durch Zusatz von URB597
In einer weiteren Versuchsreihe wurden an n = 5 vestibulären Typ II Haarzellen des
Utriculus der TRPA1-Kanal durch die Applikation von 3′ − carbamoylbiphenyl − 3 −
48 KAPITEL 4. ERGEBNISSE
Abbildung 4.1: Stromspannungskurve des TRPA1-Kanals nach Zugabe von 200 µM Senföl(AITC) bei -80 bis +80 mV (Rampe). Die mit 1 gekenzeichnete Kurve stellt die Baseline-Rampein Badpuffer 1 da. Die mit 2 gekenzeichnete Kurve gibt die Rampe nach Zugabe von 200 µMSenföl wieder.
ylcyclohexylcarbamate (URB597, 100 µM) untersucht. In dieser Versuchsreihe muss-
ten sehr viele Versuche vorzeitig beendet werden, da URB597 extrem toxisch ist und die
Zellmembran der Haarzellen während der patch - clamp - Versuche zerstörte. URB597
bewirkt ähnliche Effekte an dem TRPA1-Kanal wie Senföl, vorallem in den hohen Kon-
zentrationen. In Abbildung 4.9 ist die repräsentative Stromspannungskurve einer vesti-
bulären Typ II Haarzelle nach extrazellulärer Zugabe von 100 µM URB597 gezeigt. In
Anwesenheit des spezifischen TRPA1-Agonist URB597 (100 µM, n=5) wurden die fol-
genden Stromdichten ermittelt: 132 ±10 pA/pF (+60 mV) und -64 ±12 pA/pF (-60 mV).
Während der Einwärtsstrome durch URB597 im Vergleich zu 400 µM Senföl größer ist,
ist der maximale Aussärstromm durch 400 µM Senföl größer (4.8). Jedoch ist das Verhal-
ten des Stromes anders. Nach 65±10 s wurde in allen Versuchen eine spontane Stromab-
nahme gemessen. Abbildung 4.10 zeigt exemplarische ein Beispiel. Im Gegensatz zu den
Versuchen mit Senföl war eine erneute Aktivierung nach dem Auswaschen nicht möglich
4.3. QUANTITATIVE AUSWERTUNG DER IONENSTRÖME DESTRPA1-KANALS DURCH ZUSATZ VON URB597 49
4.11 und 4.12. Die Zunahme der Stromdichte durch Zusatz von URB597 ist statistisch
signifikant (p < 0.05.)
50 KAPITEL 4. ERGEBNISSE
Abbildung 4.2: Diese Abbildung zeigt den gleichen Versuchsaufbau wie Abbildung 4.1 jedochnach Applikation von 400 µM Senföl.
4.3. QUANTITATIVE AUSWERTUNG DER IONENSTRÖME DESTRPA1-KANALS DURCH ZUSATZ VON URB597 51
Abbildung 4.3: In der Abbildung wird die Stromkurve nach Zugabe von 200 µM Senföl bei -60und +60 mV dargestellt. Rampen wurden alle 20 s gemessen, dazwischen wurde ein Haltepotentialvon -60 mV an der Haarzelle angelegt. Die Zunahme des Stroms beginnt nach 20 s und erreichtnach 60 Sekunden ein stabiles Plateau. Nach 200 Sekunden wurde das Senföl ausgewaschen,wodurch der Strom auf die Ausgangswerte zurückkehrt. Durch die Applikation von 200 µM Senfölnimmt der Auswärtsstrom stärker als der Einwärtsstrom zu. 1 und 2 markieren die Zeitpunkte andem die Rampen in Abbildung 4.1 gemessen wurden.
52 KAPITEL 4. ERGEBNISSE
Abbildung 4.4: Stromkurve nach Zugabe von 400 µM Senföl bei -60 und +60 mV. Details sind inder Legende von 4.1 beschrieben. Der Aus- und der Einwärststrom ist größer als nach Applikaitonvon 200 µM Senföl. Der Verlauf ist bei gleichem Versuchsaufbau identisch. 1 und 2 markieren dieRampen in Abbildung 4.2.
4.3. QUANTITATIVE AUSWERTUNG DER IONENSTRÖME DESTRPA1-KANALS DURCH ZUSATZ VON URB597 53
Abbildung 4.5: Stromkurve nach Zugabe von 200 µM Senföl bei -60 und +60 mV über 400 s.Durch die längere Applikation von Senföl wird eine ebenfalls lägeres Plateau bis zum Auswaschengemessen. Die Stromabnahme nach 400 s verhält sich wie nach 200 s.
Abbildung 4.6: Stromkurve nach zweimaliger Zugabe von 200 µM Senföl bei -60 und +60 mV.Die erneute Applikation von Senföl nach dem Auswaschen des Senföls führt zu einer erneutenStromzunahme.
54 KAPITEL 4. ERGEBNISSE
Abbildung 4.7: Stromkurve nach Zugabe von 400 µM Senföl bei -60 und +60 mV über 400 s.
4.3. QUANTITATIVE AUSWERTUNG DER IONENSTRÖME DESTRPA1-KANALS DURCH ZUSATZ VON URB597 55
Abbildung 4.8: Zusammenfassung der Effekte von Senföl (AITC) und 3′−carbamoylbiphenyl−3 − ylcyclohexylcarbamate (URB597) in vestibulären Typ II Haarzellen. In jedem Experimentwurde zur statistischen Berechnung die Stromdichte (pA/pF) als Baseline in Badpuffer 1 und diemaximall erreichte Stimmulation durch den Agonisten verwendet. Die Boxplots beschreiben dieStatistik der Experimente nach Zugabe von 200 µM und 400 µM Senföl und URB597 bei -60 und+60 mV. Das arithmetische Mittel wird durch den Stern dargestellt, der horizontale Strich in demBoxplot gibt den Mittelwert wieder, die Box entspricht dem Interquaritelabstand (50 Prozent derDaten) und die Füße entsprechen dem 90-prozentigen Confidence Interval.
56 KAPITEL 4. ERGEBNISSE
Abbildung 4.9: Stromspannungskurve nach Zugabe von URB597 (100 µM). In diesem Versuchzeigt sich eine größere Zunahme des Einwärststroms im Vergleich zum Ausswärsstromes.
4.3. QUANTITATIVE AUSWERTUNG DER IONENSTRÖME DESTRPA1-KANALS DURCH ZUSATZ VON URB597 57
Abbildung 4.10: Stromkurve nach Zugabe von 100 µM URB597 über 200 s. 80 s nach Stabilisie-rung eines Plateuas kommt es zu einer sponaten Inaktivuerung des Ein- und des Auswärtstromes.Die mit 1 gekenzeichnete Kurve stellt die Baseline-Rampe in Badpuffer 1 da. Die mit 2 geken-zeichnete Kurve gibt die Rampe nach Zugabe von 100 µM URB597 wieder.
58 KAPITEL 4. ERGEBNISSE
Abbildung 4.11: Stromspannungskurve nach initaler Zugabe von 100 µM URB597 und erneuterZugabe nach dem Auswaschen, wodurch eine erneute Aktivierung nicht gelingt. Die mit 1 geken-zeichnete Kurve stellt die Baseline-Rampe in Badpuffer 1 dar. Die mit 2 gekenzeichnete Kurvegibt die Rampe nach erstmaliger Zugabe von 100 µM URB597 wieder. Die mit 3 gekennzeichneteRampe wurde 80 s nach erneuter Applikation gemessen.
4.3. QUANTITATIVE AUSWERTUNG DER IONENSTRÖME DESTRPA1-KANALS DURCH ZUSATZ VON URB597 59
Abbildung 4.12: Stromkurve nach nach initaler Zugabe von 100 µM URB597 und erneuter Zugabenach dem Auswaschen, wodurch eine erneute Aktivierung nicht möglich ist. Vergleiche hierzu dieStromsspannungskurven in der Abbildung 4.11.
60 KAPITEL 4. ERGEBNISSE
Kapitel 5
Diskussion
Diese Arbeit hat als wichtigste Erkenntnis gezeigt, dass eine funktionelle Expression des
TRPA1-Kanal in vestibulären Typ II Haarzellen existiert. Mittels whole-cell-Messungen
und durch die Applikation von spezifischen Agonisten (AITC und URB597) wurden die
für den TRPA1-Kanal charakteristischen Strom-Spannungskurven und Stromverläuf ge-
messen. Hierbei zeigte sich, dass durch die Aktivierung des Kanals insbesondere der Aus-
wärststrom zunimmt.
Der TRPA1-Kanal ist der einzige Kanal, der spezifisch durch Senföl aktiviert wird. Dies
allein würde bereits bedeuten, dass die an vestibulären Typ II gemessenen Ströme dem
TRPA1-Kanal zugeordnet werden müssen. Darüber hinaus wurden die für den TRPA1-
Kanal charakteristischen Strom-Spannungskurven durch Senföl induziert. Insbesondere
zeigten sie die typische Auswärtsrektifizierung in der Strom-Spannungs-Beziehung (Bau-
tista et al., 2006). Desweiteren wurden diese Ströme durch URB597, einen wenn auch
nicht so weit verbreiteten, spezifischen Agonisten des TRPA1-Kanals induziert (Nifora-
tos et al., 2007).
Im Unterschied zu bisher bekannten Ergebnissen aus Modellen, in denen der TRPA1-
Kanal überexpremiert wurde, kam es in unserem Modell zu keiner Desensibilisierung der
Ströme im Rahmen der laufenden Stimulation mit Senföl. Während unter der laufenden
61
62 KAPITEL 5. DISKUSSION
Applikation von URB597 eine langsame Desensibilisierung nach 65±10 s beobachtet
wurde. Es ist wahrscheinlich, dass das Fehlen der Desensibilisierung unter laufender Zu-
gabe von Senföl durch die relativ niedrige Stromdichte in Haarzellen verursacht wird.
Prozesse wie PIP2 Erschöpfung und Ca2+-Einstrom können die Desensibilisierung in
Modellen mit hoher Expression des TRPA1-Kanals erklären (Kim et al., 2008).
Die Rolle des TRPA1-Kanals in der Haarzelltransduktion wird intensiv diskutiert und ist
bis heute nicht richtig verstanden. Da auf jeder Haarzelle nur einige hundert Transdukti-
onskanäle exprimiert werden, ist eine biochemische Analyse weitgehend ausgeschlossen.
So belegen in situ Hybridisierung, Untersuchungen der Genexpression und immunhisto-
chemische Versuche, dass der TRPA1-Kanal ein Bestandteil des Transduktionskanals in
vestibulären Haarzellen ist (Corey et al., 2004), (Corey, 2006). Dagegen zeigen Knock-
out Mäuse, die keine TRPA1-Kanäle exprimieren, trotzdem keine pathologischen Gang-
arten oder andere vestibuläre Störungen (Kwan et al., 2006). Somit scheint der TRPA1-
Kanal keinen wesentlichen Beitrag zum Transduktionsprozess in Haarzellen unter nor-
malen Bedingungen zu leisten (Kwan et al., 2006). Auf der anderen Seite ist bekannt,
dass der TRPA1-Kanal eine geringe konstitutive Aktivität besitzt, insbesondere ist der
Ca2+-Einstrom gering. Damit ein biologischer Effekt erzielt werden kann, muß der Kanal
starkt stimuliert werden. Dafür ist das Spektrum der bis lang bekannten Reize, die den Ka-
nal aktivieren, breit aufgestellt. Daher schliessen die Erkenntnisse über knock-out Mäu-
se nicht aus, dass der TRPA1-Kanal als Modifikator des vestibulären Systems fungiert.
Das von (Kwan et al., 2006) berichtete Ausbleiben vestibulärer Störungen bei TRPA1
Knock-out Mäusen impliziert somit keine Strörung in der Funktionalität des TRPA1-
Kanals. Somit sind die Effekte des TRPA1-Kanals auf das Gleichgewichtsystems eher
unsystematisch. Unter welchen physiologischen oder pathologischen Bedingungen der
Kanal aktiviert wird, ist schwer vorhersagbar. Auch wenn der Kanal symetrisch auf bei-
de Gleichgewichtsorgane exprimiert wird, kann diese schwere Vorhersagbarkeit zu einer
unterschiedlich starken Aktivität der rechten oder linken Seite führen. Dies verursacht
63
letztendlich eine unterschiedliche Spikeaktivät im N.vestibularis und kann zur klinischen
Schwindelsymptomatik führen. Die in unserer Studie maximal gemessene Stromdichte
betrug bei -60 mV ca. -80 pA / pF, während als Baseline bereits ein Strom von 18 pA /
pF vorhanden war. Dieser Baseline-Strom kann bereits durch Anteile des TRPA1-Kanals
generiert werden, sollte aber vor allem durch Leck- und nicht-spezifische Ströme, zum
Beispiel durch andere Kationen-Kanäle, entstehen. Die durch spezifische Agonisten sti-
mulierte TRPA1-Aktivität ist daher im Bereich von ca. 60 pA / pF anzurechnen. Dieser
Wert kann auf den Transduktionstrom bezogen werden. Unter ähnlichen Bedingungen
(Ionenkonzentrationen und Transmembranpotential) wird über einen Transduktionsstrom
von 100 pA/pF, jedoch in cochlearen Haarzellen, berichtet (Fettiplace, 2009), (Farris et al.,
2004), (Geleoc et al., 1997). Ein mittleres Aktivierungsniveau des TRPA1-Kanal durch
Äußwärtsströme konnte bei stark positiven Haltepotential (+80 mV) demonstriert wer-
den. Es ist nahezu ausgeschlossen, dass solche Potentiale in situ auftreten. Somit haben
diese Ströme keine direkte physiologische Relevanz. Die gemessenen Einwärtsströme bei
physiologisch relevanten Membranpotential (-60 mV) waren in der Gegenwart von Senf-
öl klein. Nimmt man eine funktionelle Bedeutung des TRPA1-Kanals in der vestibulären
Transduktion an, so ist eine starke Stimmulation des TRPA1-Kanals notwendig. Da es
sich bei dem TRPA1-Kanal um einen nicht-selektiven Kationenkanal handelt, können ge-
ringe Veränderungen der Aktivität des TRPA1-Kanals unterschiedliche Auwirkungen auf
das Potential der Haarzelle haben. So kann eine geringe Aktivierung die Repolarisation
der depolarisierten Zelle verhindern. Dagegen kann eine starke Aktivierung die Depola-
risation verstärken. Diese geringen Unterschiede können wiederum die Seitendifferenz
in der Aktivität der Gleichgewichtsorgane erklären. Desweiteren kann die maximale Sti-
mulation des TRPA1-Kanals unter verschiedenen Bedingungen große Veränderung in der
vestibulären Transduktion bewirken. So kann eine starke Aktivierung des Kanals zu einem
großen Ca2+-Einstrom und eine vermehrte Freisetzung von Transmittern an der basalen
Zellmembran führen.
64 KAPITEL 5. DISKUSSION
Die etabilierten Agonisten des TRPA1-Kanals Nikotin (Talavera et al., 2009) und Propo-
fol (Fischer et al., 2010) werden mit einer erhöhten Inzidenz von vestibulären Schwindel
in Verbindung gebracht (Knox and McPherson, 1997), (Lin and Young, 2001). Eine Asso-
ziation dieser Substanzen zwischen dem TRPA1-Kanal und vestibulären Fehlfunktionen
ist bislang nicht beschrieben. Darüber hinaus kann der TRPA1-Kanal einen Sensor für
oxidativen Stress und reaktive Sauerstoffradikale sein (Bessac et al., 2008), (Taylor-Clark
et al., 2008), (Hill and Schaefer, 2009). Diese Erkenntnisse haben wichtige Konsequen-
zen für das Verständis der Pathophysiologie des Vestibularorgans, da oxidativer Stress als
ein wichtiger Faktor für vestibuläre Erkrankungen angesehen wird (Hayashi et al., 2010).
(Labbe et al., 2005) berichten über den oxidaten Stress in Haarzellen, ausgelöst durch
einen endolymphatischen Hydrops.
5.1 Schlussfolgerungen
Während der TRPA1-Kanal sehr wahrscheinlich unter normalen Bedingungen nicht zur
Funktion des Innenohres beiträgt, insbesondere nicht auf den normalen Transduktionspro-
zess, zeigt die vorliegende Arbeit die funktionelle Expression des Kanals in vestibulären
Typ II Haarzellen. Ströme werden durch typische und spezifische Agonisten des TRPA1-
Kanals generiert. Daher kann dem TRPA1-Kanal unter bestimmten pathologischen Be-
dingungen eine funktionelle Rolle zu gesprochen werden. Medikamente, die potenzielle
Agonisten des multi-modal-aktivierbaren TRPA1-Kanal sind, können durch die Beein-
flussung des TRPA1-Kanals vestibulären Nebenwirkungen hervorrufen.
Kapitel 6
Zusammenfassung
Obwohl die Expression des TRPA1-Kanals (auch als ANKTM1 bekannt) in vestibulären
Haarzellen des Innenohres nachgewiesen, ist die funktionelle Rolle des Ca2+-permeablen
Kationen-Kanals unklar. Dies beruht vor allem auf Experimenten mit TRPA1 knock-out
Mäusen, welche physiologische Transduktionströme zeigten und weder eine Hörmin-
derung noch Gleichgewichtsstörungen aufwiesen. Zur Untersuchung der Aktivität des
TRPA1-Kanals wurden mittels patch-clamp-Verfahren die whole-cell-Ströme in der Plas-
mamembran von vestibulären Typ II Haarzellen des Meerschweinchens vor und nach Sti-
mulation mit spezifischen Agonisten des TRPA1-Kanals (Allylisothiocyanat, AITC, 200
- 400 µM und 3′− carbamoylbiphenyl− 3− yl cyclohexylcarbamat, URB597, 100 µM)
bestimmt. Durch AITC wurden die typischen Strom-Spannungs-Beziehung des TRPA1-
Kanals induziert, wie sie aus heterologen, überexprimierten Modellen bekannt sind. Dabei
wurde eine maximale Stromdichte von 168 ± 22 pA / pF (n = 41) bei einer Spannung von
+60 mV und -62 ± 16 pA / pF bei -60 mV erreicht. Nach der anfänglichen Stromzunah-
me wurde nach ca. 60 s eine stabiles Plateau erreicht, welches nach dem Auswaschen der
Agonisten auf die baseline-Wert zurück ging. Wiederholte Stimulationen waren möglich.
In der Anwesenheit von URB597 wurden ähnliche Ströme gemessen, jedoch zeigten die-
se eine spontane Inaktivierung im Rahmen der laufenden Applikation von URB597. Wir
65
66 KAPITEL 6. ZUSAMMENFASSUNG
schließen daraus, dass eine funktionelle Expression des TRPA1-Kanals in vestibulären
Typ II Haarzellen existiert, jedoch die Stromdichte relativ klein ist. So kann der TRPA1-
Kanal Ströme modulieren, welche die elektrophysiologischen Reaktionen der Haarzellen
auslösen. Dies kann bei potenziellen Nebenwirkungen vieler Medikamente und Substan-
zen relevant sein, die bekanntermaßen Aktivatoren des polymodal aktivierbaren TRPA1-
Kanals sind.
Literaturverzeichnis
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Danksagung
Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. med. Westhofen für die Überlassung
des Themas und die engagierte Betreuung beim Erstellen dieser Arbeit.
Herrn Professor Dr. med. Lückhoff möchte ich für die zahlreichen Hilfstellungen bei wis-
senschaftlichen Fragen zu dieser Arbeit danken.
Für die tatkräftige Unterstützung im Labor und bei den täglichen patch-clamp-Versuchen
danke ich ganz herzlich Herrn Dr. Ing. Jüngling.
Herrn Dr. med. Duong Dinh gilt ein besonderer Dank für die vielen Hilfestellungen und
Ratschläge während der gesamten Arbeit.
Herrn Peter Schwabe dake ich besonders für die kreative Gestaltung des Layout.
Ein ganz persönlicher Dank gilt meiner zukünftigen Frau und meiner Familie, die sich
immer in großer Geduld geübt haben.
Erklärung zur Datenaufbewahrung
Hiermit erkläre ich, dass die dieser Dissertation zu Grunde liegenden Originaldaten in
der Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde und Plastische Kopf- und Halschirurgie des
Universitätsklinikums Aachen hinterlegt sind.