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Geschichte
Franz Steiner Verlag
www.steiner-verlag.de
Franz Steiner Verlag
Von Beginn der Europäischen Integration an schufen auch die Gewerkschaften For-men der Zusammenarbeit für den europä-ischen Gemeinschaftsraum. Unter den sich herausbildenden Europäischen Gewerk-schaftsverbänden (EGV) nahm der Zu-sammenschluss der Metallgewerkschaften eine herausragende Stellung ein: Der Eu-ropäische Metallgewerkschaftsbund (EMB) schloss die traditionell im Gewerkschafts-bereich führenden, da mitgliederstarken und gut organisierten Metallarbeitnehmer-organisationen zusammen und vertrat zu-gleich mit der Metall- und Elektroindustrie Leitindustrien für Europa, die Taktgeber für den technologischen und ökonomischen Wandel waren.
Erstmals wird durch Yves Clairmont die Entwicklung der europäischen Metallge-werkschaftszusammenarbeit von deren Anfängen in der Montanunion bis zur zeit-geschichtlichen Zäsur um 1990 wissen-schaftlich nachgezeichnet. Hierbei zeigt sich, dass die Metallgewerkschaften – aus-gehend von einem kleinen Koordinations-büro – ihre Organisationsstrukturen und -strategien sukzessive dem europäischen Mehrebenensystem anpassten und stärkten. Es gelang ihnen so zunehmend, originär gewerkschaftliche Machtpotentiale für Eu-ropa zu entfalteten, so dass sich der EMB schon vor der Jahrtausendwende zu einer transnationalen Gewerkschaftsorganisa-tion formierte.
S G E I – S H E I – E H I E25
Yves Clairmont
Vom europäischen Verbindungsbüro zur transnationalen Gewerkschaftsorganisation
Organisation, Strategien und Machtpotentiale des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes bis 1990
9 7 8 3 5 1 5 1 0 8 5 2 2
ISBN 978-3-515-10852-2
Yves ClairmontVom europäischen Verbindungsbüro
zur transnationalen Gewerkschaftsorganisation
Studien zur Geschichte der EuropäischenIntegration (SGEI)Études sur l’Histoirede l’IntégrationEuropéenne (EHIE)Studies on the History of EuropeanIntegration (SHEI)
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Nr. 25
Herausgegeben von / Edited by /Dirigé par Jürgen Elvert
In Verbindung mit / In cooperation with / En coopération avecCharles Barthel / Jan-Willem Brouwer / Eric Bussière / Antonio Costa Pinto / Desmond Dinan / Michel Dumoulin / Michael Gehler / Brian Girvin / Wolf D. Gruner / Wolfram Kaiser / Laura Kolbe / Johnny Laursen / Wilfried Loth / Piers Ludlow / Maria Grazia Mel-chionni / Enrique Moradiellos Garcia / Sylvain Schirmann / Antonio Varsori / Tatiana Zonova
Yves Clairmont
Vom europäischen Verbindungsbüro zur transnationalen Gewerkschaftsorganisation
Organisation, Strategien und Machtpotentiale des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes bis 1990
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: EMB-Demonstration, Paris 30.3.1984 Foto: Robert Steiert, IG-Metall-Archiv AdsD, Bonn
Bibliografische Information der Deutschen National-bibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-515-10852-2 (Print)ISBN 978-3-515-10855-3 (E-Book)
Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © 2014 Franz Steiner Verlag, StuttgartZgl. Dissertation an der der Humboldt-Universität zu Berlin 2013 unter dem Titel: Vom europäischen Verbindungsbüro zur transnationalen Gewerkschafts-organisation. Organisation, Strategien und Machtpotentiale des Europäischen Metallausschusses und des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes 1963–1990Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Laupp & Göbel GmbH, NehrenPrinted in Germany
Meiner Mutter Evelyn Clairmont
und dem Andenken meines Vaters
Thomas Clairmont
INHALTSVERZEICHNIS
I. EINLEITUNG............................................................................................23
1. Warum zeitgeschichtliche Forschung zum EMB?.....................................23 2. Forschungsstand.........................................................................................32 3. Quellenlage ................................................................................................50 4. Der Metallausschuss/EMB – eine Gewerkschaftsorganisation?................53 5. Der Metallausschuss/EMB – eine transnationale
Gewerkschaftsorganisation? ......................................................................65 6. Zum Aufbau und Anlage der Arbeit ..........................................................75
II. VORGESCHICHTE UND KONTEXT.....................................................77
1. „Workers of the World unite“? – Gewerkschaftlicher Internationalismus ......................................................................................78
2. Gemeinsam in den Gemeinschaften – die Entwicklung europäischer Gewerkschaftsstrukturen............................................................................85
III. DIE GRÜNDUNG DES EMB – DER METALLAUSSCHUSS 1963–1971..........................................................................................................101
1. Mehr als nur ein Vorläufer – der Europäische Ausschuss der Metallgewerkschaften ..............................................................................101
2. Schreibtisch und Aktenschrank füllen sich – Leitlinien und Arbeitsfelder des Metallausschusses........................................................106
2.1 Nahe und ferne Verwandte – der Metallausschuss in den Strukturen internationaler Gewerkschaftszusammenarbeit......................111
2.1.1. Metallgewerkschaften und der Eiserne Vorhang – der Metallausschuss und die Richtungsgewerkschaftsfrage...........................126
2.2 Kritisch konstruktiv – die Einflussnahme des Metallausschusses auf die EWG-Organe .................................................144
2.2.1 „Schiff in Not“ – die Strukturprobleme im europäischen Schiffbau und die Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission .................152
2.3 Der einsame Sozialpartner – die Suche des Metallausschusses nach Kontakten zur Arbeitgeberseite.........................168
2.3.1 Am Anfang war Philips – Kontakte des Metallausschusses zu Multinationalen Konzernen.................................................................181
3. Auf dem Weg zum EMB – vom Arbeitsprogramm zur neuen Statur......1964. Die ersten acht Jahre Metallgewerkschaftsstrukturen in der
Gemeinschaft – eine Zwischenbilanz.......................................................206
Inhaltsverzeichnis 8
IV. DER EUROPÄISCHE METALLGEWERKSCHAFTSBUND (EMB) IN DER GEMEINSCHAFT 1971–1990 .....................................218
1. Mit neuer Struktur vor dem Strukturbruch ..............................................2182. Das Werkstück findet seine Form............................................................2272.1 Konstituierung und Gestalt des EMB ......................................................2272.2 Der EMB im Kampf um die eigene „Kaufkraft“? – Finanzen.................2502.3 Die Erweiterungen des EMB ...................................................................2592.3.1 Freie Gewerkschaften im größer werdenden Europa ...............................2592.3.2 Richtung: europäische Gewerkschaftseinheit ..........................................2742.3.3 Praxis des Ausschlusses ...........................................................................3052.4 Die Hälfte der Welt, aber nicht der Gewerkschaft – Frauen im EMB .....3062.5 „Einen Teil der eigenen Geschichte und Kultur vergessen“? –
Selbstverständnis, Ziele und programmatische Ausrichtung des EMB ...3103. Der EMB in den Strukturen internationaler
Gewerkschaftszusammenarbeit................................................................3193.1 Solidarität organisieren – die Zusammenarbeit der europäischen
Metallgewerkschaften innerhalb des EMB ..............................................3193.2 „Keinesfalls ein Konkurrenzkampf“? – der EMB und der IMB..............3313.3 „Immer als Mitglied des EGB gefühlt“ – der EMB und der
EBFG/EGB ..............................................................................................3393.4 „Das hat wenig mit gewerkschaftlicher Solidarität zu tun“ –
Montanausschuss und Verbindungsbüro Luxemburg ..............................3454. Zwischen Avantgarde und den Mühen der Ebene – der
EMB und die EWG-Organe .....................................................................3574.1 „Einen Luftballon hochlassen“ für eine gemeinschaftliche
Industriepolitik .........................................................................................3734.1.1 Die Strukturprobleme des Schiffbaus im Sog der konjunkturellen
Krise .........................................................................................................3815. Der EMB und die europäischen Industriellen Beziehungen ....................4035.1 „Da kam nichts bei raus!“ – der EMB und die europäischen
Metallarbeitgeberorganisationen..............................................................4035.2 Die Stimme der europäischen Arbeitnehmer in Multinationalen
Konzernen ................................................................................................4175.2.1 Am Ende mit Philips – das stumpfe Instrument der
„Spitzengespräche“ ..................................................................................4245.2.2 Der Durchbruch – Europäische Betriebsräte............................................4385.2.2.1 Die ersten Präzedenzfälle – Thomson Grand Public und Bull.................442
V. RÉSUMÉ UND SCHLUSS .....................................................................458
Inhaltsverzeichnis 9
VI. LITERATUR UND QUELLEN...............................................................473
1. Mündliche Quellen...................................................................................4732. Archivalien...............................................................................................4733. Literatur und gedruckte Quellen ..............................................................473
Abbildungen
Abbildung 1: Differenz zwischen dem tatsächlichen Beitragssatz und der eigentlich zum Ausgleich der Preissteigerung (ausgehend von 1975) erforderlichen Beitragsleistung in Belgischen Francs à tausend Mitglieder........................................................................257
Abbildung 2: Entwicklungslinien der Einnahmen und Ausgaben in Belgischen Francs.........................................................................259
Tabellen
Tabelle 1: Faktoren gewerkschaftlicher Macht ...............................................57
Tabelle 2: Zusammensetzung des Metallausschusses nach der Gründung 1963.............................................................................103
Tabelle 3: Arbeitsgruppen des Metallausschusses bis 1971 .........................113
Tabelle 4: Präsidenten des Metallausschusses und EMB 1963–1990...........229
Tabelle 5: Prozentualer Delegiertenanteil auf der ersten Generalversammlung ...................................................................230
Tabelle 6: Mandatsverteilung auf der Generalversammlung 1977 ...............231
Tabelle 7: Mandatsverteilung auf der Generalversammlung 1983 nach den Erweiterungen des EMB 1981/83..........................................232
Tabelle 8: Zusammensetzung des EMB-Exekutivausschusses nach Gewerkschaften ab 1971 ..............................................................233
Tabelle 9: Schlüssel des 1973 erweiterten EMB für die Sitze im Exekutivausschuss nach Ländern.................................................236
Tabelle 10: Zusammensetzung des Exekutivausschusses nach Gewerkschaften ab 1973 ..............................................................237
Tabelle 11: Schlüssel für den Exekutivausschuss ab der Generalversammlung 1983 ..........................................................238
Inhaltsverzeichnis 10
Tabelle 12: Generalsekretäre des Metallausschusses und EMB 1963–1990..............................................................................................246
Tabelle 13: Beitragsentwicklung in Belgischen Francs ab 1975.....................254
Tabelle 14: Einnahmen und Ausgaben des EMB in Belgischen Francs .........255
Tabelle 15: Gesamt-Mitgliederzahl der dem EMB angeschlossenen Gewerkschaften............................................................................299
Tabelle 16: Dem EMB angeschlossene Organisationen bis 1990 (Vollmitgliedschaft) .....................................................................301
Tabelle 17: Assoziierte Mitglieder (ohne Stimmrecht)...................................305
Tabelle 18: Arbeitsgruppen des EMB vor 1990..............................................324
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Abkürzung Erläuterung
ABVV Algemeen Belgisch Vakverbond (Belgien)
AdsD Archiv der sozialen Demokratie
AEU Amalgamated Engineering Union (Großbritannien)
AMU Associated Metalworkers’ Union (Großbritannien)
ANMB Algemene Nederlandse Metaalbedrijfsbond (Niederlande)
APAC Association of Patternmakers and Allied Craftsmen (Großbritannien)
ASBSBSW Amalgamated Society of Boilermakers, Shipwrights, Blacksmiths and Structural Workers (Großbritannien)
ASTMS Association of Scientific, Technical and Managerial Staffs (Großbritan-nien)
AUEW Amalgamated Union of Engineering Workers (Großbritannien)
BRD Bundesrepublik Deutschland
BRITE Basic Research in Industrial Technology for Europe
BRT Bruttoregistertonnen
CCMB Centrale Chrétienne des Métallurgistes de Belgique/Christelijke Centrale der Metaalbewerkers van België (Belgien)
CCMC Comité des constructeurs d’automobiles du Marché commun
CC.OO Comisiones Obreras (Spanien)
CECA Communauté européenne du charbon et de l'acier
CECIMO Comité européen de coopération des industries de la machine-outil
CEE Communauté économique européenne
CEEMET Council of European Employers of the Metal, Engineering and Technol-ogy-Based Industries
CEEP Centre européen des entreprises à participation publique et des entrepri-ses d'intérêt économique général/European Centre of Enterprises with Public Participation and of Enterprises of General economic Interest/ Europäischer Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft
CEMA Comité européen des groupements de constructeurs du machinisme agri-cole
CES Confédération européenne des syndicats
CESL Confédération Européenne des Syndicats Libres
Abkürzungsverzeichnis 12
Abkürzung Erläuterung
CFDT Confédération Française Démocratique du Travail (Frankreich)
CFDT–FGM Fédération Générale de la Métallurgie – Confédération Française Démo-cratique du Travail (Frankreich)
CFDT–FGMM Fédéderation Générale des Mines et de la Métallurgie Confédération Française Démocratique du Travail (Frankreich)
CFTC Confédération française des travailleurs chrétiens (Frankreich)
CGIL Confederazione Generale Italiana del Lavoro (Italien)
CGT Confédération Générale du Travail (Frankreich)
CGT–FTM Confédération Générale du Travail – Fédéderation des Travailleurs de la Métallurgie (Frankreich)
CGZP Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Perso-nalserviceagenturen (Deutschland)
CII Compagnie Internationale pour l’Informatique
CISC Confédération Internationale des Syndicats Chrétiens
CISL Confédération Internationale des Syndicats Libres
CISL Confederazione Italiana Sindicati Lavatori (Italien)
CLCA Comité de liaison de la construction automobile des pays des Communau-tés européenes
CMB–FGTB Centrale des Métallurgistes de Belgique/Centrale der Metaalbewerkers van België – Fédération Général du Travail de Belgique/Algemeen Bel-gisch Vakverbond (Belgien)
CMT Confédération mondiale du Travail
CO-Metal Centralorganisationen af Metalarbejdere i Danmark (Dänemark)
COMETT Programme on Cooperation between Universities and Enterprieses re-garding Training in the Field of Technology
CPN Communistische Partij van Nederland (Niederlande)
CRPE Conseil régional paneuropéen
CSI Confédération syndicale internationale
SSR eskoslovenská socialistická republika
DAF Van Doorne’s Automobiel Fabriek
DAG Deutsche Angestelltengewerkschaft (Deutschland)
DDR Deutsche Demokratische Repubik
DGB Deutscher Gewerkschaftsbund (Deutschland)
DKP Deutsche Kommunistische Partei (Deutschland)
EAEA European Arts and Entertainment Alliance/Europäische Allianz für Kunst und Unterhaltung
Abkürzungsverzeichnis 13
Abkürzung Erläuterung
EAL-IUL Europäischer Ausschuss der Lebensmittelgewerkschaften in der Interna-tionalen Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Café- und Genussmittel-Gewerkschaften
EBFG Europäischer Bund freier Gewerkschaften
EBR Europäischer Betriebsrat
EBV Europäischer Bergarbeiterverband
ECSC European Coal and Steel Community
ECFTU European Confederation of Free Trade Unions in the European Commu-nity
ECU European currency unit
EDV Elektronische Datenverarbeitung
EEA Einheitliche Europäische Akte
EETPU Electrical, Electronic Telecommunication and Plumbing Union (Großbri-tannien)
EFBH Europäische Föderation der Bau- und Holzarbeiter
EFBWW European Federation of Building and Woodworkers
EFCG Europäische Föderation der Chemiegewerkschaften
EFCGU European Federation of Chemical and General Workers Unions
EFFAT European Federation of Food, Agriculture and Tourism Trade Uni-on/Europäische Föderation der Gewerkschaften des Lebensmittel-, Land-wirtschafts- und Tourismussektors und verwandter Branchen
EFRE Europäischer Fonds für regionale Entwicklung
EFTA European Free Trade Association
EFTA-TUC Trade Union Committee for the European Free Trade Area
EG Europäische Gemeinschaft
EGB Europäischer Gewerkschaftsbund
EGBW Europäisches Gewerkschaftskomitee für Bildung und Wissenschaft
EGI Europäisches Gewerkschaftsinstitut
EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EG-NGG Europäischer Gewerkschaftsausschuss Nahrung, Genuss, Gaststätten
EGÖD Europäischer Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst
EGS Europäisches Gewerkschaftssekretariat
EGV Europäischer Gewerkschaftsverband
EGV–TBL Europäischer Gewerkschaftsverband Textil, Bekleidung und Leder
EIF European Industry Federation
Abkürzungsverzeichnis 14
Abkürzung Erläuterung
EJF Europäische Journalistenföderation
ELA–STV Eusku Langileen Alkartasuna – Solidaridad de Trabajadores Vascos (Spanien)
EMB Europäischer Metallgewerkschaftsbund
EMCEF European Mine, Chemical and Energy Workers’ Federation/Europäische Föderation der Bergbau-, Chemie- und Energiegewerkschaften
EMF European Metalworkers’ Federation
EO Europäische Organisation
EPSU European Federation of Public Service Unions
ERO Europäische Regionalorganisation
ESPRIT European Strategic Programme for Research and Development in Infor-mation Technology
ETF Europäische Transportarbeiter-Föderation/European Transport Workers’ Federation
ETUC European Trade Union Confederation
ETUCE European Trade Union Committee for Education
ETUF–TCL European Trade Union Federation – Textiles Clothing and Leather
ETUI European Trade Union Institute/Institut syndical européen
ETUS European Trade Union Secretariat
EU Europäische Union
EuGH Europäischer Gerichtshof
EURAM European Research in Advanced Materials
EURATOM Europäische Atomgemeinschaft
EURECA/EUREKA European Research and Coordination Agency
EUROCADRES Europäischer Rat der Angestellten in Leitungsfunktion/Council of Euro-pean Professional and Managerial Staff
EUROCOP European Confederation of Police – Europäischer Dachverband der Poli-zeigewerkschaften
Euro-IUL Europäische Regionalorganisation der Internationalen Union der Le-bensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Café- und Genussmit-tel-Gewerkschaften
EVC Eenheidsvakcentrale (Niederlande)
EVP Europäische Volkspartei
EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWWU Europäische Wirtschafts- und Währungsunion
FEAE–CFDT Fédération des Etablissements et Arsenaux de l’Etat – Confédération
Abkürzungsverzeichnis 15
Abkürzung Erläuterung
Française Démocratique du Travail (Frankreich)
FEJ European Federation of Journalists
FEM Fédération Européenne des Métallurgistes
FERPA Europäische Föderation der Rentner und älterer Personen/Fédération européenne des retraités et des personnes âgées/European Federation of Retired and Older Persons
FES Friedrich-Ebert-Stiftung
FGM–CFDT Fédéderation Générale de la Métallurgie (Frankreich)
FGMM–CFDT Fédéderation Générale des Mines et de la Métallurgie (Frankreich)
FGTB Fédération Général du Travail de Belgique (Belgien)
FIA International Federation of Actors
FIM International Federation of Musicians
FIM–CISL Federazione Italiana Metalmeccanici – Confederazione Italiana Sindacati dei Lavoratori (Italien)
FIOM Fédération syndicale internationale des organisations de travailleurs de la métallurgie
FIOM Federazione Impiegati Operai Metallurgici (Italien)
FLM Federazione Lavoratori Metalmeccanici (Italien)
FM–CC.OO Federacion del Metall de Comisiones Obreras (Spanien)
FNOL Fédération Nationale des Ouvriers du Luxembourg (Luxemburg)
FO Confédération Générale du Travail - Force Ouvrière (Frankreich)
FO Défense Natio-nale
Féderation Syndicaliste Force Ouvrière des Personnels Civils et de la Défense Nationale et Ministères à Statut Similaire (Frankreich)
FOL Fédération des Ouvriers du Luxembourg (Luxemburg)
FOM Fédération Force Ouvrière de la Métallurgie (Frankreich)
FSE Fédération syndicale européenne
FSM Fédération syndicale mondiale
GAP Gemeinsame Agrarpolitik
GATT General Agreement on Tariffs and Trade
GMB&ATU General Municipal Boilermakers and Allied Trades Union (Großbritan-nien)
GMBE Gewerkschaft Metall – Bergbau – Energie (Österreich)
GMWU General and Municipal Workers’ Union (Großbritannien)
GTB Gewerkschaft Textil-Bekleidung (Deutschland)
GUF Global Union Federation
HBS Hans-Böckler-Stiftung
Abkürzungsverzeichnis 16
Abkürzung Erläuterung
IAO Internationale Arbeitsorganisation
IBCG Internationaler Bund Christlicher Gewerkschaften
IBCMV Internationaler Bund Christlicher Metallarbeiterverbände
IBFG Internationaler Bund Freier Gewerkschaften
IBH Internationale Baumaschinen Holding
IBS Internationales Berufssekretariat
IBV Internationaler Bergarbeiterverband
ICFTU International Confederation of Free Trade Unions
ICFTU-ECSC Metalworkers’ and Miners’ Inter-Trade Committee, International Con-federation of Free Trade Unions – European Coal and Steel Community
IFA International Framework Agreement
IFCTU International Federation of Christian Trade Unions
IFTU International Federation of Trade Unions
IGB Internationaler Gewerkschaftsbund
IGR Interregionaler Gewerkschaftsrat
IGM/IG Metall Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland)
ILO International Labour Organization
IMB Internationaler Metallarbeiterbund
IMCO Inter-Gouvernmental Maritime Consultative Organization
IMF International Metalworkers' Federation
IMO International Maritime Organization
Industriebond CNV Industriebond Christelijk Nationaal Vakverbond in Nederland (Nieder-lande)
Industriebond FNV Industriebond Federatie Nederlandse Vakbeweging (Niederlande)
Industriebond NKV Industriebond Nederlands Katholiek Vakverbond (Niederlande)
Industriebond NVV Industriebond Nederlands Verbond van Vakverenigingen (Niederlande)
IRV Internationale Rahmenvereinbahrung
ISB Institut für soziale Bewegungen
ISR Internationale syndicale rouge
ISTC Iron and Steel Trades Confederation (Großbritannien)
ITF Internationale Transportarbeiterföderation
ITGWU Irish Transport and General Workers’ Union (Irland)
IUL Internationale Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restau-rant-, Café- und Genussmittel-Gewerkschaften
Abkürzungsverzeichnis 17
Abkürzung Erläuterung
IVECO Industrial Vehicles Corporation
IVG Internationale Vereinigungen der Gewerkschaften
JESSI Joint European Submicron Silicon
KPD Kommunistische Partei Deutschlands (Deutschland)
LAV Letzeburger Arbechter-Verband (Luxemburg)
LCGB Lëtzebuerger Chrëschtleche Gewerkschafts-Bond/Confédération Luxem-bourgeoise des Syndicats Chrétiens (Luxemburg)
MADEN-I Türkiye Maden çileri Sendikası (Türkei)
MEF Mineurs European Federation
MLC Maritim Labour Convention
MSEUE Mouvement Socialiste pour les États-Unis d'Europe
MSF Manufacturing, Science, Finance (Großbritannien)
NATO North Atlantic Treaty Organization
NSMM National Society of Metal Mechanics (Großbritannien)
NUM National Union of Mineworkers (Großbritannien)
NVV–Metaal Algemene Nederlandse Bedrijfsbond voor de Metaalnijverheid en de Elektrotechnische Industrie (Metaalbedrijfsbond) – Nederlands Verbond van Vakverenigingen (Niederlande)
OECD Organisation for Economic Co-operation and Development
OGB-L Onofhängege Gewerkschaftsbond Lëtzebuerg (Luxemburg)
ORGALIME Organisme de Liaison des Industries Métalliques Européenes
ÖTV Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (Deutschland)
PCB Parti Communiste de Belgique (Belgien)
PCF Parti Communiste Français (Frankreich)
PERC Pan-European Regional Council
PERR Pan-Europäischer Regionalrat
POEM Panhellenischer Metallarbeiterverband, Fédération Panhehéllénique des Ouvriers sur Métaux, Panhellenic Metalworkers’ Federation (Griechen-land)
RACE Research and Development in Advanced Communications Technology in Europe
RE Rechnungseinheiten
RGI Rote Gewerkschaftsinternationale
RILU Red International of Labour Unions
SABCA Sociétés Anonyme Belge de Constructions Aéronautiques
Abkürzungsverzeichnis 18
Abkürzung Erläuterung
SE Societas Europaea
SIDA Sindicata italiano dell’ automobile (Italien)
SIF Svenska Industritjänstemannaförbundet (Schweden)
SIMA Sindicato das Indústrias Metalúrgicas e Afins (Portugal)
SKF Svenska Kullagerfabriken
SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Deutschland)
SSE Secrétariat syndical européen
TASS Technical Administrative and Supervisory Section (Großbritannien)
TGP Thomson Grand Public
TGWU Transport and General Workers’ Union (Großbritannien)
TUAC Trade Union Advisory Committee
TUC Trades Union Congress (Großbritannien)
TUI Trade Union International
UCATT Union of Construction, Allied Trades and Technicians (Großbritannien)
UGT Unión General de Trabajadores (Spanien)
UGT União Geral de Trabalhadores (Portugal)
UGT – Metal Unión General de Trabajadores – Federacion Siderometalurgica (Spanien)
UIL Unione Italiana del Lavoro (Italien)
UILM–UIL Unione Italiana Lavoratori Metallurgici – Unione Italiana del Lavoro (Italien)
UIS Union International Syndicale
UNIFE Union des industries ferroviaires européenes
UNO United Nations Organization
UNICE Union des Industries de la Communauté Européene/Union of Industrial and Employers' Confederations of Europe
UNI-Europa Union Network International-Europa – Europäischer Gewerkschaftsver-band der Privatangestellten im Bereich Dienstleistungen und Kommuni-kation
USO–FTM Unión Sindical Obrera – Federacion de Trabajadores del Metal (Spanien)
ver.di Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Deutschland)
VFW Vereinigte Flugtechnische Werke
WCL World Confederation of Labour
WEM Western European Metal trades employer organisation
WFTU World Federation of Trade Unions
Abkürzungsverzeichnis 19
Abkürzung Erläuterung
WGB Weltgewerkschaftsbund
WKR Weltkonzernrat
WSA Wirtschafts- und Sozialausschuss
WVA Weltverband der Arbeitnehmer
DANK
Im Februar 2013 wurde ich mit der hier vorgelegten Arbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert. Für die Unterstützung, die ich von zahlreichen Personen bei der Erarbeitung meiner Dissertation erfuhr, möchte ich mich herzlich bedanken.
Dank gilt zunächst sehr nachdrücklich dem ehemaligen Generalsekretär des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes (EMB), Peter Scherrer. Er hat den Ver-fasser dieser Arbeit zuerst auf das Desiderat einer Geschichte des EMB hingewie-sen und wurde ein herausragender Unterstützer und Förderer dieses Projektes. Ohne ihn wäre es nicht zu dieser Arbeit gekommen. Zu danken ist dem EMB auch insgesamt, der alle nur mögliche Unterstützung leistete, die man sich für ein For-schungsprojekt zu den europäischen Metallgewerkschaften nur erhoffen konnte. Außerdem gebührt den weiteren ehemaligen Generalsekretären des EMB für ihre freundliche Gesprächs- und Auskunftsbereitschaft Dank: Günter Köpke, Hubert Thierron, Hans Fluger und Reinhard Kuhlmann.
Sehr großer Dank gebührt dem Betreuer meiner Dissertation, Prof. Dr. Hart-mut Kaelble, für die Bereitschaft mich als Doktorand anzunehmen und für die wertvollen Hinweise und Unterstützung, die ich erfuhr. Ebensolcher Dank gilt den Projektleitern und Betreuern des Forschungsprojektes „Vom europäischen Ver-bindungsbüro zur transnationalen Gewerkschaftsorganisation? 40 Jahre EMB“ an der Freien Universität Berlin, Prof. Dr. Siegfried Mielke, Prof. Dr. Peter Massing und Prof. Dr. Dr. Jürgen Kocka. Ganz besonders der Leiter, Prof. Mielke, nahm sich engagiert des Projektes an und gab kostbare Hinweise aus seiner großen Kenntnis internationaler Gewerkschaftsarbeit. Prof. Kocka war nicht nur stets be-reit, wertvolle Hilfestellungen zu leisten, sondern übernahm zudem die Zweitbe-gutachtung meiner Dissertation, wofür ich sehr herzlich danke. Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsstelle für nationale und internationale Ge-werkschaftspolitik am Otto-Suhr-Institut. Meinem Kollegen Klaus Henning danke ich für eine sehr gute und konstruktive Zusammenarbeit im Rahmen des For-schungsprojektes. PD Dr. Peter Rütters ließ mich immer wieder in Gesprächen an seinem umfassenden Wissen über die internationale Gewerkschaftsbewegung teil-haben und inspirierte mit produktiv-ketzerischen Fragen.
Ich danke der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) für die sehr großzügige materielle Förderung, die sie mir und dem Projekt zur Verfügung stellte. Dank gebührt der HBS aber nicht minder auch für die so ausgezeichnete ideelle und wissenschaftli-che Unterstützung. Namentlich und ganz besonders danke ich Dr. Michaela Kuhnhenne aus dem Referat Forschungsförderung und Werner Fiedler vom Refe-rat Promotionsförderung der HBS sehr herzlich.
Zu danken ist in diesem Zusammenhang auch den Mitgliedern des von der HBS eingerichteten Projektbeirates, der ein wachsames Auge auf den Fortschritt
Dank 22
der Arbeit behielt: neben den genannten Michaela Kuhnhenne und Peter Rütters allen voran Dr. Ursula Bitzegeio, Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die auch jenseits des Projektbeirates stets für Gespräche und Hinweise bereit stand, ebenso wie Prof. Dr. Jürgen Mittag vom Institut für soziale Bewegungen. Ich danke aus dem Projektbeirat dem Kenner der Geschichte Europäischer Gewerkschaftsverbände, Dr. Rainer Fattmann (Bonn). Ich danke den beiden Projektbeiratsmitglieder von der IG Metall (Frankfurt a. M.) Dr. Joachim Beerhorst – der auch Hilfestellung bei der Durchführung der Zeitzeugeninterviews u. a. im Hinblick auf die Bereitstel-lung von Räumlichkeiten leistete – und Dr. Christian Weis für ihre nützlichen Hinweise; gleiches gilt für die Beiratsmitglieder Dr. Hartmut Simon (ver.di-Archiv, Berlin), Prof. Dr. Hans-Wolfgang Platzer (Fulda), Prof. Dr. Werner Büh-rer (München), Dr. Gloria Müller (DGB Verbindungsbüro, Brüssel), Dr. Johannes Platz (FES, Bonn), Prof. Dr. Werner Reutter (Berlin).
Ich danke Dr. Knud Andresen (Hamburg) für sehr viele wertvolle Anregungen und Hinweise, die mir zu geben, er nahezu keinen Zeitaufwand scheute.
Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der FES, Bonn: in der Bib-liothek und vor allem auch den Kolleginnen und Kollegen des Archivs der Sozia-len Demokratie. Zunächst Herrn Martin Raabe, der den Zugriff auf das EMB-Archiv ermöglichte, sowie Frau Christine Bobzien etwa im Hinblick auf den Zugriff auf das IG-Metall-Archiv. Frau Petra Giertz kümmert sich – in ihrem En-gagement weit über jede berufliche Pflicht hinausgehend – hervorragend um die Archivnutzer, hierfür danke ich sehr. Ich danke in diesem Zusammenhang auch Rocky Renger für seine freundliche Aufmerksamkeit und Ermunterungen während meines Archivaufenthaltes.
Ich danke Herrn Robert Steiert für die Überlassung von Fotorechten. Für die sehr hilfreiche technische Unterstützung bei den geführten Interviews
danke ich Andy Michaelis. Ich danke Prof. Dr. Jürgen Elvert und seinen Mitarbeitern bei den „Studien
zur Geschichte der europäischen Integration“ (SGEI) dafür, dass mir ermöglicht wurde in der Schriftenreihe der SGEI zu veröffentlichen. Ich danke den Mitarbei-tern des Franz Steiner Verlags für die angenehme und professionelle Zusammen-arbeit; insbesondere Frau Katharina Stüdemann von der Programmplanung und Frau Sarah Schäfer von der Herstellung.
Großen Dank schulde ich Kathrin Lottmann, für die selbstlose Hilfe bei der Formatierung des Textes.
Meine Familie und Freunde mussten in den letzten Jahren manche Vernach-lässigung erdulden: Für ihr immer wieder gezeigtes Verständnis danke ich sehr. Vor allen anderen danke ich in jeder Hinsicht Silvia Klein!
Bei allem Dank für erhaltene Unterstützung verantworte ich die Ergebnisse – gar etwaige Fehler in der Darstellung oder Interpretation der geschilderten Ereig-nisse und Zusammenhänge – selbstverständlich allein.
I. EINLEITUNG
1. WARUM ZEITGESCHICHTLICHE FORSCHUNG ZUM EMB?
Die Erkenntnis, dass die Globalisierungsprozesse der Märkte sowie die internatio-nale Kapitalmobilität nationale wirtschaftliche und soziale Steuerungsmaßnahmen zunehmend erschweren, ist längst Allgemeingut geworden.1 Standortrivalitäten und Anpassungsdruck an internationale Kapitalinteressen drohen nationale Volks-wirtschaften und Arbeitnehmer2 in einen Wettbewerb zu zwingen, der zu einer Dumpingspirale bei Löhnen, Steuern und sozialen Sicherungssystemen führt und einen sukzessiven Verlust von Sozialstandards befürchten lässt.
Die Gewerkschaftsbewegung ist hierdurch vor eine existenzielle Bewäh-rungsprobe gestellt. Sollen die Erfolge jahrzehntelanger Kämpfe – die zumindest in vielen westlichen Industrienationen eine gewisse Teilhabe der Arbeitnehmer an den Produktivitätsfortschritten gebracht haben – nicht rückgängig gemacht, son-dern ausgebaut und auch auf weitere Länder ausgedehnt werden, muss die interna-tionale Gewerkschaftsbewegung gemeinsame Antworten auf die Globalisierungs-herausforderung finden. Hierzu bedarf es über den Nationalstaat hinausgehender politischer Durchsetzungsstrategien und einer Stärkung regulierender transnatio-naler Institutionen.3
1 Siehe die fast unübersehbare Zahl an Büchern – auch diversen Bestsellern –, die sich mit dem Problem der Globalisierung in verschiedener Hinsicht auseinandersetzen, wie etwa: Martin, Hans-Peter; Schumann, Harald 1997 (13. Aufl.): Die Globalisierungsfalle. Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand, Reinbek. Beck, Ulrich 1997: Was ist Globalisie-rung? Frankfurt a. M. Chomsky, Noam 2001 (6. Aufl.): Profit over People. Neoliberalis-mus und Globale Weltordnung, Hamburg, Wien. Forrester, Viviane 1997: Der Terror der Ökonomie. Wien. Hardt, Michael; Negri, Antonio 2000: Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt a.M., New York. Klein, Naomi 2001: No Logo. London. Ziegler, Jean 2003 (9. Aufl.): Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher. München. Siehe für einen Überblick über die sozial- und politikwissenschaftlichen Globalisierungs-debatten u. a.: Platzer, Hans-Wolfgang; Müller, Torsten 2009: Die globalen und europäi-schen Gewerkschaftsverbände. 1. Band, Berlin, S. 61 ff.
2 Für die bessere Lesbarkeit wird sprachlich in dieser Arbeit auf die Nennung beider Ge-schlechter verzichtet. Es sind sowohl weibliche, wie männliche Personen gemeint.
3 Besteht das „Globalisierungsdilemma“ doch darin, dass der Globalisierungsprozess zwar der demokratisch legitimierten Regulation bedarf, die etablierten Regelungsinstanzen der nationalen Wohlfahrtsstaaten jedoch gerade durch die Globalisierung selbst in ihren Mög-lichkeiten der Gestaltung untergraben werden. (Vgl.: Vobruba, Georg 2001: Integration + Erweiterung. Europa im Globalisierungsdilemma, Wien, S. 43.) Es muss also eine demo-kratisch legitimierte Regelungsebene, die über den Nationalstaat hinaus zu wirken ver-mag, die Gestaltungsmacht des Volkssouveräns absichern.
24 I. Einleitung
Das mit Abstand bedeutendste Projekt nationenübergreifender Politikgestal-tung stellt seit nunmehr sechzig Jahren die Europäische Einigung dar. Zugleich finden sich in Europa viele der weltweit am weitesten entwickelten Industrienati-onen, deren Volkswirtschaften untereinander auf das Engste verbunden sind. Eu-ropa verfügt zudem im internationalen Vergleich über eine einzigartige Landschaft von qualitativ hervorragend ausgebildeten Sozialstaaten. Wenn es den Gewerk-schaften gemeinsam mit jenen politischen Partnern, die ebenfalls für einen sozia-len Ausgleich in der Gemeinschaft eintreten (neue soziale Bewegungen etc.), auf europäischer Ebene nicht gelingen sollte, nach Vollendung des Binnenmarktes auch einen europäischen Sozialraum durchzusetzen, dürfte es ihnen nirgendwo gelingen, die Globalisierung gemäß ihrer Ziele mitzugestalten. Nirgendwo sind die Ausgangsvoraussetzungen hierzu durch etablierte politische Leitungszentren, ein – wenn auch ungleich verteiltes4 – extrem hohes gesellschaftliches Wohl-standsniveau und die im kollektiven Bewusstsein der Menschen verankerte Idee eines „europäischen Sozialmodells“ besser als hier. Mag der Sozialstaat sich auch sehr unterschiedlich in den europäischen Ländern ausgeprägt haben – Gøsta Esping-Andersen kategorisiert diese etwa in seinem Modell der „Three Worlds of Welfare Capitalism“ entlang der Regime-Typen „liberal“, „konservativ“, „sozial-demokratisch“,5 Bernd Schulte entlang des „kontinentaleuropäischen Typs“, „an-gelsächsischen Typs“, „skandinavischen Typs“ und „südeuropäischen Typs“6 – so hat Hartmut Kaelble doch recht: „Europa ist die Bastion des modernen Wohl-fahrtsstaates. Er entwickelte sich nirgends sonst so weit. Er erhielt von nirgends sonst so starke Impulse.“7 Nach Eberhard Eichenhofer findet der Sozialstaat nicht nur seine Bastion in Europa, er ist vielmehr überhaupt eine „Hervorbringung Eu-ropas“.8
4 Eine stark ungleiche Verteilung existiert dabei sowohl zwischen ganzen Ländern und Regionen wie auch zwischen den Menschen innerhalb der nationalen Gesellschaften in Europa.
5 Esping-Andersen, Gøsta 1998: Die drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus. Zur politi-schen Ökonomie des Wohlfahrtsstaates, in: Lessenich, Stephan; Ostner, Ilona (Hrsg.) 1998: Welten des Wohlfahrtskapitalismus. Der Sozialstaat in vergleichender Perspektive, Frankfurt a. M., New York, S. 19–56.
6 Schulte, Bernd 1998: Wohlfahrtsregime im Prozess der europäischen Integration. In: Lessenich, Stephan; Ostner, Ilona (Hrsg.) 1998: Welten des Wohlfahrtskapitalismus. Der Sozialstaat in vergleichender Perspektive, Frankfurt a. M., New York, S. 255–270.
7 Kaelble, Hartmut 1987: Auf dem Weg zu einer europäischen Gesellschaft. Eine Sozialge-schichte Westeuropas 1880–1980, München, S. 73. Für einen Kurzüberblick zur Ge-schichte des auf die Absicherung der allgemeinen Lebensrisiken abzielenden europäischen Wohlfahrtsstaates siehe auch: Kaelble, Hartmut 2012: Geschichte des Wohlfahrtsstaates in Europa seit 1945. In: Sozialer Fortschritt. 61, Jg., Heft 5, 2012, S. 79–85.
8 Eichenhofer, Eberhard 2007: Geschichte des Sozialstaats in Europa. Von der „sozialen Frage“ bis zur Globalisierung, München, S. 36. Zu den mittel- und osteuropäischen Staa-ten, die sich den Modellen Esping-Andersens und Schultes nicht ohne weiteres zuordnen lassen, siehe etwa: Baum-Ceisig, Alexandra; Busch, Klaus; Hacker, Björn; Nospickel, Claudia 2008: Wohlfahrtsstaaten in Mittel- und Osteuropa. Entwicklungen, Reformen und
1. Warum zeitgeschichtliche Forschung zum EMB? 25
„Europa“ kann einen wichtigen Regulationsbeitrag als Antwort auf die nega-tiven Folgen der Globalisierung leisten und dem Wettlauf nach unten bei Löhnen und Sozialstandards begegnen.9 Dort, wo der Nationalstaat keine Regelungsmacht mehr besitzt, wo Kollektivverhandlungen von nationalen Gewerkschaften nicht mehr greifen, weil international aufgestellte Unternehmen Länder und nationale Arbeitnehmer gegeneinander ausspielen können, eröffnet „Europa“ den Gewerk-schaften neue Durchsetzungsperspektiven. Transnational für ein „soziales Europa“ zu streiten und dieses aktiv mitzugestalten, stellt somit eine zentrale Herausforde-rung für die Gewerkschaften dar.
Die aktuelle Dynamik der Europäischen Integration, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der auf die Refinanzierung der Staatsfinanzen durchschlagenden Kri-se des Finanzmarktkapitalismus’,10 geht jedoch nicht in die Richtung eines „Euro-
Perspektiven im Kontext der europäischen Integration. Baden-Baden. Zum Gesamtzu-sammenhang der europäischen Wohlfahrtssysteme siehe u.a.: Kaelble, Hartmut; Schmidt, Günther (Hrsg.) 2004: Das europäische Sozialmodell. Auf dem Weg zum transnationalen Sozialstaat, Berlin. Schubert, Klaus; Hegelich, Simon; Bazant, Ursula (Hrsg.) 2009: The Handbook of European Welfare Systems. London, New York./Dies. 2008: Europäische Wohlfahrtssysteme. Ein Handbuch, Wiesbaden. Kraus, Katrin; Geisen, Thomas (Hrsg.) 2001: Sozialstaat in Europa. Geschichte, Entwicklung, Perspektiven, Wiesbaden. Cousins, Mel 2005: European Welfare States. Comparative Perspectives, London u.a. Schmid, Jo-sef 2010 (3. Aufl.): Wohlfahrtsstaaten im Vergleich. Soziale Sicherung in Europa: Orga-nisation, Finanzierung, Leistung und Probleme, Wiesbaden. Ritter, Gerhard A. 2010 (3. Aufl.): Der Sozialstaat. Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich, Mün-chen.
9 Hier anders als etwa Fritz Scharpf, der der Auffassung ist, dass sich die Europäischen Staaten niemals auf soziale Mindeststandards einigen werden. (Scharpf, Fritz 2008: Der einzige Weg ist, dem EuGH nicht zu folgen. [Interview geführt durch Cornelia Girndt] in: Mitbestimmung. Nr. 7–8, 2008, S. 19.) Allerdings erschließt sich dieser Pessimismus nicht: Warum sollte es nicht möglich sein, dass die Mitgliedsländer sich in Europa z. B. auf vor Armut schützende Mindestlöhne sowie Mindeststandards in der Sozialleistungs-quote gemäß ihrer Wirtschaftsleistung und ihres Pro-Kopf-Einkommens verpflichten? Die Versuche europäischer Staaten, Wettbewerbsvorteile durch Niedriglöhne und Sozialabbau zu erreichen, würden hierdurch erschwert. (Siehe Klaus Buschs „Korridor-Modell“ ange-passter Sozialleistungsquoten: Busch, Klaus 2009: Die europäischen Perspektiven des Wohlfahrtsstaates. In: Brandt, Peter (Hrsg.): „Soziales Europa?“. Berlin, S. 115–141. Ders. 2011: Das Korridormodell – relaunched. Ein Konzept zur Koordinierung wohl-fahrtsstaatlicher Politiken in der EU, Berlin.) Dass sich Länder durch Steuerdumping Wettbewerbsvorteile bei der Unternehmensansiedlung verschaffen, könnte man in Europa durch die Festlegung von Mindestsätzen bei der Unternehmensbesteuerung verhindern. (Siehe zur Kritik an Scharpf u. a. auch: Maaß, Gero: „Den schwierigen europäischen Ges-taltungsauftrag annehmen.“ In: Mitbestimmung. Nr. 9, 2008, S. 55. Jacobi, Otto: „Fatale Ratschläge.“ In: Mitbestimmung. Nr. 9, 2008, S. 56.) Es wäre nur bei der Festlegung der Mindeststandards den Unterschieden in der Leistungsfähigkeit der Länder Rechnung zu tragen, damit auch wirtschaftlich schwächere Länder diesen zustimmen können.
10 Siehe zur Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus u. a.: Altvater, Elmar u. a. 2010: Die Rückkehr des Staates? Nach der Finanzkrise, Hamburg.
26 I. Einleitung
pas der Arbeitnehmer“ oder eines „sozialen Europas“.11 In den Gemeinschaftslän-dern mit Leistungsbilanzdefiziten – den sogenannten Krisenländern – werden die Arbeitnehmer mit Austeritätspolitiken konfrontiert, die das Gegenteil der von den Gewerkschaften geforderten Ausrichtung gesellschaftlicher Steuerung bedeuten.12 Zugleich geht diese Politik nicht zuletzt auf den Druck der EU-Institutionen zu-rück. In den Organen der EU finden die Gewerkschaften offenbar derzeit nicht in dem Maße politische Partner, wie dieses notwendig wäre, um ihre Ziele zur Gel-tung zu bringen. Auch eine europäische Zivilgesellschaft im Sinne einer diskursi-ven, politischen Öffentlichkeit,13 welche realpolitische und ökonomische Eliten
11 In diesem Zusammenhang wurden in jüngerer Zeit vielfach auch die bereits vor der Fi-nanzkrise ergangenen Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) „Laval/Viking/ Rüffert“ gedeutet. Im Fall Viking ging es um die Herabsetzung der Löhne auf estisches Niveau durch das Ausflaggen eines finnischen Schiffes nach Estland, im Fall Laval um die Beschäftigung lettischer Bauarbeitnehmer nach lettischen Arbeitsbedingungen in Schwe-den. In beiden Fällen hatten sich die Gewerkschaften im Sinne des Rechtes auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeit unter Anwendung bzw. der Androhung von Streik gewehrt. Der EuGH räumte in seinen Urteilen jedoch der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleis-tungsfreiheit Priorität gegenüber dem Streikrecht und der gewerkschaftlichen Aktionsfrei-heit ein und erklärte die Gewerkschaftsaktionen als unvereinbar mit dem Gemeinschafts-recht. Im Fall Rüffert erklärte der EuGH in Sinne der Dienstleistungsfreiheit das Nieder-sächsische Vergabegesetz, das Tariftreueerklärungen verlangte, für unvereinbar mit den Vorgaben des europäischen Rechts. Diese Urteile wurden vielfach als massive, politische Angriffe auf Arbeitnehmersicherheit und Gewerkschaftsrechte durch ein „Richterrecht“ des EuGH angesehen. Das Gericht bewerte einem neoliberalen Mainstream folgend die Grundfreiheiten des Binnenmarktes (Freier Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienst-leistungsfreiheit, Freier Kapital- und Zahlungsverkehr) in ihrem Verhältnis zu elementaren Arbeitnehmerrechten massiv über. (Vgl. u. a.: Blanke, Thomas 2008: Die Entscheidungen des EuGH in den Fällen Viking, Laval und Rueffert – Domestizierung des Streikrechts und europaweite Nivellierung der industriellen Beziehungen. Oldenburger Studien zur Eu-ropäisierung und zur transnationalen Regulierung, Nr. 18, 2008, http://www.cetro.uni-oldenburg.de/de/download/Nr._18_jm.pdf [3.7.2011]. Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) 2009: Das EuGH und das soziale Europa. Für eine Auf-wertung sozialer Grundrechte im EU-Rechtssystem, Internationale Politikanalyse, Mai 2009, Bonn.)
12 Siehe hierzu die Kampagne des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) „No to Auste-rity. Priority for Jobs and Growth!“, der mit einer Großdemonstration am 29.9.2010 in Brüssel Nachdruck verliehen wurde. Siehe auch die EGB-Demonstration “Yes to Euro-pean Solidarity/Yes to Jobs and Workers’ Rights/No to Austerity” am 17.9.2011 in War-schau und den EGB-Aktionstag am 29.2.2012 “Enough is enough. Alternatives do exist: For Employment and Social Justice”. Siehe auch: Kowalsky, Wolfgang; Scherrer, Peter (Hrsg.) 2011: Gewerkschaften für einen europäischen Kurswechsel. Das Ende der europäischen Gemütlichkeit, Münster. Kowals-ky, Wolfgang 2012: Zielloses Europa zwischen Auseinanderdriften, Rebellion und Kurs-wechsel: Die Austerität frisst ihre Kinder. In: Schabedoth, Hans-Joachim; Schaaf, Peter (Hrsg.) 2012: Franz Steinkühler. Einer von uns, Marburg, S. 96–117.
13 Siehe zu dem Begriff der Zivilgesellschaft u.a.: Kocka, Jürgen 2001: Die Zivilgesellschaft und die Rolle der Politik. Thesen und Fragen, in: Ders.: Interventionen. Der Historiker in der öffentlichen Verantwortung, Göttingen, S. 129–139. Und: Gosewinkel, Dieter; Rucht,
1. Warum zeitgeschichtliche Forschung zum EMB? 27
durch Druckentfaltung auf die europaeinheitliche Durchsetzung von spezifischen Politiken im Sinne der Gewerkschaften verpflichten könnte, kommt nicht hinrei-chend zur Geltung, um die Logik der Austeritätspolitik zu durchbrechen.14
Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen europäischen Krise ist zu fragen, in-wieweit es den Gewerkschaften in der Vergangenheit gelungen ist, die Chance „Europa“ wahrzunehmen.15 Welche Möglichkeiten boten sich den Gewerkschaf-ten in sechzig Jahren Europäischer Einigung, Arbeitnehmerinteressen in Europa
Dieter; Daele, Wolfgang von den; Kocka, Jürgen (Hrsg.) 2003: Zivilgesellschaft – natio-nal und transnational. Berlin. Insbesondere: Kaelble, Hartmut 2003: Gibt es eine Europäi-sche Zivilgesellschaft? In: Ebenda. S. 267–284. Zur europäischen Öffentlichkeit verschie-dene Beiträge in: Kaelble, Hartmut; Kirsch, Martin; Schmidt-Gernig, Alexander (Hrsg.) 2002: Transnationale Öffentlichkeit und Identitäten im 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M., New York.
14 Die schlechte Beteiligung an den Direktwahlen zum Europäischen Parlament und die Tendenz, diese als bloße Stimmungstests in nationalen politischen Auseinandersetzungen zweckzuentfremden, weisen auf eine teilweise ausgeprägte Distanz der Bürger Europas gegenüber dem politischen Geschehen auf Gemeinschaftsebene und eine problematische Mobilisierungsfähigkeit im Hinblick auf die Meinungs- und Entscheidungsfindungspro-zesse im europäischen Rahmen hin. (Vgl. hierzu u. a.: Mittag, Jürgen 2004: Das Europäi-sche Parlament im Legitimationsdilemma. In: Gewerkschaftliche Monatshefte. Nr. 9, 2004, S. 533–542.) Hierbei dürfte auch die in den meisten Medien sehr mangelhafte Be-richterstattung der Journalisten über europäische Politik eine Rolle spielen, die eine dau-ernde Unterinformiertheit der Menschen in Europa reproduziert. Der Schriftsteller Robert Menasse formulierte jüngst in einer Polemik: „‚Nation’ ist ein Abstraktum, das jeder als etwas konkretes zu verstehen glaubt, ‚EU’ ist ein konkretes Projekt, das jeder als völlig abstrakt und abgehoben empfindet.“ (Menasse, Robert 2012: Der europäische Landbote. Wien, S. 58.) Das „politische Europa“ bleibt insgesamt fremd und damit suspekt und ver-dächtig, was nationalen Realpolitikern u. a. ermöglicht, positive Effekte europäischer Po-litiken als eigene Verdienste zu verkaufen, „Europa“ hingegen für schwierig vermittelbare und unpopuläre Entscheidungen verantwortlich zu machen. Für Europa, wie für die Nati-onalstaaten, dürfte jedoch auch gelten, dass das in den letzten Jahrzehnten in der Realpoli-tik vielfach vertretene „TINA-Prinzip“ (ein verbreitetes ironisches Apronym nach der Be-hauptung „there is no alternative“, mit der Margaret Thatcher ihrer marktradikalen, libe-ralistischen Politik die Anmutung einer unausweichlichen „Naturgesetzlichkeit“ gab) den Glauben an politische Steuerung, auf die man sich entlang von mehreren Alternativen de-mokratisch verständigt, unterminiert hat. Wenn es keine Alternativen gibt und jeder politi-sche Akteur somit nur die eine „richtige“ Politik exekutieren kann und darf, ist auch gleichgültig, wer diese Politik exekutiert und es werden Wahlen ebenso wie jedes politi-sche Engagement wertlos. Der sinnstiftende „Mythos“ (Wirsching, Andreas 2010: Statio-nen auf dem Weg nach Maastricht. In: Buchstab, Günter; Kleinmann, Hans-Otto; Küsters, Hanns Jürgen (Hrsg.) 2010: Die Ära Kohl im Gespräch. Eine Zwischenbilanz, Köln, Weimar, Wien, S. 119–131.) des politischen „Europa“, als eines friedenssichernden Zu-sammenschlusses, verliert zugleich mit zunehmender zeitlicher Distanz zu den Schrecken des Zweiten Weltkrieges an Strahlkraft und ist allein nicht mehr ausreichend, um die Menschen Europas politisch zu mobilisieren.
15 Denkbar wäre schließlich auch, dass derzeit die Gewerkschaften lediglich aufgrund der temporären spezifischen stark konservativen Mehrheitsverhältnisse in Europa eine schwie-rige Phase der Einflussnahme erleben.
28 I. Einleitung
zu stärken, welche Strategien setzten sie hierbei ein und welche Erfolge erzielten sie? Oder haben sie gar die Europäisierung ihrer Strukturen verschlafen, wie man-che Kritiker meinen?16 Lassen sich grundsätzliche strukturelle Parameter und stra-tegische Handlungserfordernisse für die Gewerkschaften aus ihrer europäischen Geschichte erkennen, die ihre Einflussmöglichkeiten bestimmten?
Als ein Beitrag zur allerjüngsten Zeitgeschichtsschreibung und der europäi-schen Integrations- und Verbandsforschung soll hierfür im Folgenden die Zusam-menarbeit der Metallgewerkschaften in Europa, zunächst ab 1963 im „Europäi-schen Metallausschuss“, dann ab 1971 im neugegründeten „Europäischen Metall-gewerkschaftsbund“ (EMB) untersucht werden. Nicht nur war der EMB einer der größten und einflussreichsten Europäischen Gewerkschaftsverbände (EGV),17 er vertrat mit der Metall- und Elektroindustrie auch Leitindustrien für Europa, wel-che Taktgeber für den technologischen und ökonomischen Fortschritt sind und in denen maßgeblich der Wohlstand Europas erwirtschaftet wird.18 Der EMB war somit ein bedeutender gewerkschaftlicher Akteur in zentralen Wirtschaftssekto-ren, der darüber hinaus aber auch in besonderer Weise herausgefordert war, sich den politischen und ökonomischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte zu stel-len.
Die EMB-Gründung in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts fällt zusammen mit dem Beginn jener Prozesse, die das gegenwärtige Verständnis von Globalisierung prägen:19 Expansion des internationalen Kapital- und Waren-verkehrs, Zunahme Multinationaler Konzerne, Währungsinstabilität nach Aufkün-digung des Bretton-Woods-Systems, zunehmende Mobilität von Personen, Struk-turwandel der Schwerindustrien, verbunden mit der Revolutionierung von E-lektro-, Datenverarbeitungs- und Kommunikationstechnologien. Automatisierung
16 Vgl. etwa Otto Jacobi, der die These aufstellt, die Gewerkschaften hätten aus organisati-onspolitischem Konservativismus, gleichwohl sie die Europäische Integration immer gut-geheißen hätten, „ihre Politik und Verbandsstruktur nicht europäisiert.“ Deshalb hätten sie die Chance verpasst, „sich als soziale Gewährsmacht im europäischen Einigungswerk zu etablieren.“ (Jacobi, Otto 2004: Europa machen. In. Gewerkschaftliche Monatshefte. Nr. 5, 2004, S. 292.) Ungleich strenger noch urteilt Willy Buschak über die europäischen Ge-werkschaften, wenn er überpointiert behauptet: „Als die Europäische Wirtschaftsgemein-schaft (EWG) gegründet wurde, blieb sie ohne gewerkschaftliche Antwort“. (Buschak, Willy 2007: Der Europäische Gewerkschaftsbund und die Europäischen Gewerkschafts-verbände. In: Traub-Merz, Rudolf; Schneider, Michael; Zimmermann, Rüdiger (Hrsg.) 2007 (2. Aufl.): Europäische Gewerkschaftsorganisationen. Bestände im Archiv der sozia-len Demokratie und in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, S. 9.)
17 Die Bezeichnung der „Europäischen Gewerkschaftsverbände (EGV) für die europäischen Organisationen von Industrie- und Branchengewerkschaften etablierte sich in den neunzi-ger Jahren, im hier betrachteten Zeitrahmen wurden sie noch „Europäische Gewerk-schaftsausschüsse“ genannt.
18 Im Sommer 2012 vereinigte der EMB sich mit anderen Industrie-Gewerkschaftsverbänden zu IndustriAll, European trade union. Damit endete die Geschichte eines exklusiv für die Metallindustrie zuständigen EGV.
19 Siehe hierzu ausführlich: S. 218 ff.
1. Warum zeitgeschichtliche Forschung zum EMB? 29
und Rationalisierung veränderten die Arbeitswelt; der Einsatz von Computern führte zu einem einschneidenden Wandel der Arbeitsabläufe und -bedingungen. Rasant beschleunigt durch die Elektronische Datenverarbeitung, expandierte die internationale Finanzmarktspekulation; die „Derivat-Revolution“20 setzte ein, in deren Folge der Handel mit Finanzderivaten den weltweiten Umsatz von Waren und Dienstleistungen schon bald bei weitem überstieg und innerhalb kurzer Zeit zum größten Markt überhaupt anwuchs. Vielfältige grenzüberschreitende wirt-schaftliche Verflechtungen machten nationale Volkswirtschaften immer stärker von Entwicklungen der Weltwirtschaft abhängig. Vom angelsächsischen Raum ausgehend,21 wurde zunehmend global eine als Washington Consensus bezeichne-te Politik exekutiert, die den „freien Marktkräften“ ein möglichst ungehindertes Spiel ermöglichen sollte. Den geistigen Überbau für diese Entwicklung lieferte die Hegemonie eines ökonomisch definierten Liberalismus’ – vielfach auch als „Neo-liberalismus“ bezeichnet. Anschaulich markiert wird diese aufkommende Mei-nungs-Dominanz durch die Vergabe des sogenannten Wirtschaftsnobelpreises an die Galionsfigur dieser Ideologie, Milton Friedman, im Jahr 1976.
Der EMB – der europäische Industriegewerkschaftsverband für die alten Schwerindustrien ebenso wie für die neuen elektronischen Technologien – musste auf all diese Entwicklungen reagieren. Als besonders herausforderungsvoll erwies sich zudem die seit dem ersten Ölpreisschock zu Beginn der siebziger Jahre kri-senhafte Wirtschaftslage.22 Fragt man danach, ob der EMB als Organisation in diesem schwierigen Umfeld in der Lage war, im Sinne seiner Ziele erfolgreich zu arbeiten, muss man seine Ressourcen, seine Durchsetzungsstrategien und deren Wirkung – seine Macht – untersuchen. Nach einer kurzen Darlegung des For-schungsstandes zum EMB und einer Beschreibung der Quellenlage werden im Folgenden daher einige begriffliche Grundüberlegungen für eine Analyse der Ar-beit des EMB angestellt, die zum einen seine Geltung und Wirkungsmacht als eine „Gewerkschaftsorganisation“, zum anderen seinen Status als „transnationa-le“ Gewerkschaftsorganisation betreffen, die nach anderen Kriterien zu beurteilen ist, als nationale Gewerkschaften. Die in diesen beiden Kapiteln – unter Rückgriff auf Theorien der Organisationssoziologie und Politikwissenschaft23 – entwickel-
20 Vgl.: Vogl, Joseph 2010: Das Gespenst des Kapitals. Zürich, S. 90. 21 Eine zentrale Rolle nahm hierbei die „Chicagoer Schule“ der Wirtschaftswissenschaft ein:
Von dieser her streute die „neue“ Lehre in die Welt aus – siehe etwa die sogenannten „Chicago Boys“.
22 Siehe zur pointierten Beschreibung des hier geschilderten gesellschaftlichen Wandels den Essay: Doering-Manteuffel, Anselm; Raphael, Lutz 2008: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen.
23 Jüngst stellten Rüdiger Graf und Kim Christian Priemel die Legitimität der Verwendung von Theorien der Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaft für die Zeitgeschichtsfor-schung radikal in Frage. (Graf, Rüdiger; Priemel, Kim Christian: Zeitgeschichte in der Welt der Sozialwissenschaften. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. 59. Jg., Heft 4, 2011, S. 479–509.) Aufgabe der Zeitgeschichtsforschungen sei es, zeitgebundene sozial-wissenschaftliche Ansätze durch Historisierung zu dekonstruieren, anstatt auf diese me-