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transcript
Die osteosynthetische Versorgung vonUnterkieferfrakturen stellt aus heutigerSicht eine komplexe Problematik dar, daverschiedene Faktoren wie
∑ Form und Lokalisation der Unterkiefer-fraktur,
∑ Kooperation des Patienten,∑ Hygienesituation,∑ okklusale Verhältnisse und∑ Weichteilbedingungen
einen entscheidenden Einfluss auf denklinischen Verlauf der Frakturheilunghaben [34, 43].
Bei der Betrachtung unterschied-licher plattenosteosynthetischer Kon-zepte zeigt sich, dass sich die verschie-denen Osteosynthesekonzepte insbeson-dere auf die von der Arbeitsgemein-schaft für Osteosynthese (AO Schweiz)1958 erstellten und durch Luhr, Schilli
und Spiessl [22, 33, 41] auf den Gesichts-schädel übertragenen Forderungen nacheiner funktionsstabilen Fixation bezie-hen.Als Schwerpunkte wurden die exakteanatomische Reposition sowie die Ver-wendung rigider Plattensysteme mit bi-kortikaler Verschraubung angesehen.Da-neben wurde das Konzept der übungs-stabilen Miniplattenosteosynthese vonChampy u. Lodde [6] mit monokortikalverschraubten grazilen Plattensystemenunter Ausnutzung der die Fraktur zu-sätzlich stabilisierenden und am Unter-kieferknochen ansetzenden Muskulaturinauguriert. Eine Modifikation im Rah-men der osteosynthetischen Versorgungvon Unterkieferfrakturen stellt die Ver-wendung von 3D-Plattensystemen dar,die durch ihre Grundform mit mono-kortikaler Verschraubung im Wesent-lichen durch ihre Form und nicht durchdie Dicke eine Stabilität im Bereich derFrakturzone ermöglichen [11, 12, 13].
Die klinische Erfahrung in der Ver-sorgung einer großen Anzahl an Frak-turen zeigt, dass unterschiedliche Frak-turen nicht nur unterschiedliche Osteo-synthesesysteme erfordern, sondern ei-ne auf jede Frakturlinie bezogene diffe-
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Mund Kiefer GesichtsChir 2003 · 7 : 1–6DOI 10.1007/s10006-002-0429-9 Originalien
J. Piffkò · Ch. Homann · R. Schuon · U. Joos · U. MeyerKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universität Münster
Experimentelle Untersuchungzur biomechanischenStabilität unterschiedlicherUnterkieferosteosynthesen
Online publiziert: 11 Oktober 2002© Springer-Verlag 2002
Prof. Dr. Dr. J. PiffkòKlinik und Poliklinik für Mund-,Kiefer- und Gesichtschirurgie,Universität Münster,Waldeyer Straße 30, 48149 Münster,E-mail: piffko@uni-muenster.de,Phone: 0251-8347007, Fax: 0251-8347203
Zusammenfassung
Hintergrund: Untersuchungen zum Ver-gleich verschiedener Osteosynthesekonzep-te erfordern die Beachtung sowohl biome-chanischer als auch biologischer Kriterien.Dabei sollten experimentelle Untersuchun-gen möglichst weit der In-vivo-Situationentsprechen. Ziel unserer Untersuchung wares, ein Frakturmodell zu entwickeln undmittels frakturierten und verschiedenartigosteosynthetisch versorgten Unterkieferprä-paraten die belastungsabhängige Bewegungim Frakturspaltbereich zu determinieren.Methode: An 5 humanen Unterkiefern wur-den nach Osteotomie oder Frakturierung imKorpus- und Medianbereich durch Anwen-dung der DehnungsmessstreifentechnikMikrobewegungen im Frakturspaltbereichbei unterschiedlichen Osteosynthesen (DCP-,EDCP-, Miniplatten-, 3D-Systeme) unter Be-lastung untersucht. Mit Hilfe einer von unserarbeiteten Methode zur experimentellenFrakturerzeugung konnten durch Gipsblock-scherung vergleichbare und vorbestimmteFrakturen erzeugt werden.Ergebnisse: Unsere Untersuchungen zeigen,dass die Mikrobewegungen im Spaltbereichunabhängig von der osteosynthetischen Ver-sorgung deutliche Unterschiede zwischenosteotomierten und frakturierten Unterkie-fern aufweisen. Bei den frakturierten undkongruent reponierten Unterkieferpräpara-ten fanden sich bei allen Osteosynthesesys-temen physiologische Mikrobewegungen imFrakturspaltbereich unter Belastung. ImGegensatz hierzu traten bei dem osteoto-mierten und plattenosteosynthetisch ver-sorgten Unterkieferpräparat Mikrobewegun-gen im Frakturspalt auf, die deutlich über
denen der frakturierten und kongruent re-ponierten Unterkieferpräparate lagen.Diskussion: Mit dem hier vorgestellten Frak-tur- und Osteosynthesemodell lassen sichUntersuchungen durchführen, die Mikrobe-wegungen im Frakturspaltbereich quantita-tiv determinieren können. Unsere Ergebnissezeigen die Wichtigkeit einer idealen Reposi-tion, die die Mikrobewegung im Fraktur-spaltbereich entscheidend beeinflusst.
Schlüsselwörter
Osteosynthese · Biomechanik · Unterkiefer
renzierte Behandlungsmethode ange-strebt werden sollte [20]. Zum besserenVerständnis von Osteosynthesekonzep-ten sollten neben der Evaluierung klini-scher Studien experimentelle Untersu-chungen durchgeführt werden, um nä-here Einblicke in die Biomechanik osteo-synthetisch versorgter Unterkiefer zuerhalten [35]. In der Literatur finden sichzahlreiche Veröffentlichungen über ex-perimentelle In-vitro-Untersuchungenzur biomechanischen Stabilität unter-schiedlicher Osteosyntheseverfahren.Sozahlreich diese Untersuchungen sind, sounterschiedlich sind sie auch in Bezugauf Fragestellung, Untersuchungsmate-rial, Osteosynthesekonzepte und Mess-verfahren, sodass ein Vergleich der Er-gebnisse aufgrund der Inhomogenitätdes Studiendesigns nicht möglich er-scheint [1, 2, 4, 14, 16, 25, 39, 42].
Schwerpunkte solcher Untersuchun-gen stellen neben klinisch orientiertenFragestellungen wie Stabilitätsuntersu-chungen verschiedener Frakturlokalisa-tionen [7, 8, 9, 10, 17, 31, 32, 38, 45] auchrein werkstoffkundliche Fragestellungen[28] dar. Im Bezug auf die Bewertungbiomechanischer Parameter wurden un-terschiedliche Verfahren wie beispiels-weise die Dehnungsmessstreifentechnik[5, 31, 37] oder photometrische Verfah-ren wie die Stereophotogrammetrie [26]bzw. photoelastische Analysen [30] ver-wendet. Ein besonderer Nachteil der bis-her durchgeführten Untersuchungen liegtin der Modellanalyse osteosynthetischversorgter osteotomierter Unterkiefer.Aus biomechanischer Sicht ist ein sol-ches Vorgehen, welches die Mikrofrik-tion im Frakturspaltbereich nicht nach-vollzieht, als problematisch einzustufen.Zudem wurden in keiner der oben ge-nannten Studien die Relativbewegungenim Spaltbereich quantitativ determi-niert. Aus biologischer Sicht scheinen
diese jedoch den größten Einfluss aufdie Frakturheilung zu haben [23]. Daherkommt der Evaluierung von Mikrobe-wegungen osteosynthetisch versorgterUnterkiefer entscheidende Bedeutungzu.
Das Ziel der vorliegenden Studiebestand daher in der Entwicklung undAnwendung eines Frakturmodells, andem biomechanische Untersuchungendurchgeführt werden können, die diequantitative Determinierung von Mikro-bewegungen im Frakturspaltbereich er-möglichen.
Material und Methode
Als Material für die In-vitro-Untersu-chung dienten 5 humane Unterkiefer-präparate, die postmortal explantiertund anschließend unter standardisier-ten Bedingungen präpariert wurden.Um verlagerte und retinierte Zähne so-wie pathologische Knochenprozesse aus-schließen zu können, wurden die Unter-kieferknochen nach der Mazeration mitHilfe eines modifizierten Orthopanto-mogramms geröngt [3].
Die Kiefer wurden in einem zuvordefinierten Bereich frakturiert. Hierzuwurde das jeweilige Unterkieferpräparatin 2 Gipsblöcke unter Aussparung desbeabsichtigten Frakturlinienverlaufs ein-gebettet.Da die Gipsblöcke entsprechenddem Corpus mandibulae divergieren,konnte durch Scherung der Gipsblöckegegeneinander ein Frakturlinienverlaufim Bereich der geplanten Lokalisationerzeugt werden (Abb. 1). Ein Unterkie-ferpräparat wurde in der Medianregionosteotomiert.Die osteosynthetische Ver-sorgung der Frakturen erfolgte mit Hilfeeiner Repositionszange. Die Osteosyn-theseplatten wurden entsprechend ihresVersorgungskonzepts an der biomecha-nisch günstigsten Stelle angebracht.
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Originalien
J. Piffkò · Ch. Homann · R. Schuon · U. Joos ·U. Meyer
Experimental study on the biomechanical stability of different internal fixators for use in the mandible
Abstract
Background: Comparative studies of differ-ent forms of osteosynthesis require that bio-mechanical and biological criteria be ob-served.The conditions in experimental stud-ies should be as close as possible to the invivo situation.The aim of our study was to de-velop a fracture model that would allow de-termination of the micromovements in thegap tissue following different forms of inter-nal fixation in fractured human mandibles.Methods: Micromovements in the gap tissueof five human mandibles treated with differ-ent osteosynthetic systems (DCP, EDCP, Mini-plates, 3-D systems) following osteotomy or fracture in the region of the corpus andmedian region were investigated by meansof strain gauges. By fitting the humanmandibles in plaster according to a methodof our own it was possible to create fracturesat predictable and comparable localizations.Results: Our investigations show that themicromovements in the gap tissue of os-teotomied and fractured mandibles are dif-ferent and not dependent on the form of os-teosynthesis applied. Physiological micro-movements in the gap tissue were found un-der strain for all osteosynthetic systems usedin fractured and congruently reset mandibles.Discussion: Our fracture and osteosynthesismodel allows the quantitative determina-tion of micromovements in the gap tissueand shows the importance of ideal realign-ment, which has a decisive influence on mi-cromovements in the gap tissue.
Keywords
Osteosynthesis · Biomechanics · Mandible
Mund Kiefer GesichtsChir 2003 · 7 : 1–6DOI 10.1007/s10006-002-0429-9
Abb. 1 � Schema derFrakturierung
Nach osteosynthetischer Versorgungder Unterkieferpräparate wurden Deh-nungsmessstreifen basal und alveolarsowohl vestibulär als auch lingual überdie Frakturlinie appliziert.
Beide Kiefergelenke wurden mitAnteilen des R. ascendens beidseits ineinen Gipsblock eingebettet und mitHilfe einer speziell angefertigte Appara-tur in eine Kraftapplikationsmaschineeingebracht (Abb. 2). Alle Unterkiefer-präparate wurden horizontal auf die ok-klusale Fläche der Zähne (inzisal, Mo-larregion rechts/links und Prämolarre-gion rechts/links) einwirkenden Belas-tungen (T-22-K Tensile testing machine,JJ Instruments) von 120 N ausgesetzt.
Die Aufdehnung des Frakturspaltsnach okklusaler Belastung des osteo-synthetisch versorgten Unterkieferprä-parats wurde mit Hilfe der Dehnungs-messstreifentechnik quantitativ (mstrain)determiniert.
Das Messsignal der Dehnungs-messstreifen wurde zunächst von derSteuerungssoftware des Messverstärkers(Spider 8, HBM) gefiltert und über eineserielle Schnittstelle in einem Pentium-MMX-200-MHZ-Rechner (64 MB RAM)von der Messsoftware Catmen Version2.1 Rel. 2 digital verarbeitet. Zur Siche-rung der Reproduzierbarkeit der Mess-ergebnisse wurde jeder Belastungsver-such 3-mal durchgeführt. Die statisti-sche Auswertung erfolgte durch Berech-nung der Mittelwerte sowie mittels Va-rianzanalyse.
Ergebnisse
Die graphische Darstellung der Mess-ergebnisse zeigt eine hohe Reproduzier-barkeit der Einzelmessungen bei gerin-
ger intraexperimenteller Variabilität beiden einzelnen Unterkieferpräparaten(Abb. 3). Es werden die interfragmentä-ren Dehnungswerte bei einer inzisalenBelastung von 120 N angegeben.
Beim Vergleich der median fraktu-rierten und median osteotomierten undmit gleichen Osteosynthesesystemenversorgten Unterkieferpräparate lagendie Mikrobewegungen osteosynthetischversorgter Osteotomielinien unabhän-gig vom verwendeten Versorgungssys-tem deutlich über denen von Fraktur-linien (Abb. 4). Bei dem Vergleich dermit EDCP-, DCP- und Miniplattensyste-
men versorgten Osteotomien im media-nen Bereich konnten Dehnungswerte bismaximal 7000 mstrains gemessen wer-den, wobei maximale Mikrobewegun-gen bei mit EDCP-Systemen versorgtenOsteotomien bei 5000 mstrains auftraten(Abb. 5). Zwischen mit Miniplatten undDCP-Systemen osteosynthetisch ver-sorgten Medianfrakturen fanden sichkeine wesentlichen Unterschiede in derBeweglichkeit im Frakturspalt. Mit Mi-niplatten versorgte Frakturen ermög-lichten Mikrobewegungen von 1000–3000 mstrain.
Beim Vergleich unterschiedlicherOsteosynthesen bei Korpusfrakturenzeigte sich eine nur minimale Bewegungsowohl im alveolar- und basalnahenFrakturbereich als auch im Bereich derlingualen Frakturlinie bei mit Miniplat-ten versorgten Frakturlinien (Abb. 6).Maximale Dehnungen des Frakturspaltslagen jedoch auch bei der mit DCP-Sys-temen und 3D-Systemen versorgten Kor-pusfraktur bei maximal 3000 mstrains.Bei der Versorgung von Frakturen durchMiniplatten zeigte sich im Gegensatz zuden anderen Plattensystemen eine ma-ximale Beweglichkeit im lingualen undbasalen Frakturbereich bei allen Belas-tungssituationen.
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Abb. 2 � Versuchsan-ordnung: Die frakturier-ten und osteosynthe-tisch versorgten Unter-kieferpräparate werdenim Collum- und R. -as-cendens-Bereich inGipsblöcke eingebettet,die über ebenfalls indie Gipsblöcke einge-lassene Schrauben mitder in der Kraftapplika-tionsmaschine inte-grierten Verankerungs-apparatur verschraubtwerden
Abb. 3 � Intraexperimentelle Variabilität der Dehnungsmessungen der Mikrobewegung im Fraktur-spaltbereich. Angegeben sind die Mittelwerte sowie das 95%-Konfidenzintervall für verschiedeneKiefer und deren DMS-Position, Medianfraktur 1 Miniplatte, Kraftapplikation: inzisal, DMS-Position:alveolar; Medianfraktur 2 Miniplatte, Kraftapplikation: paramedian, DMS-Position: lingual; Korpus-fraktur 1 EDCP, Kraftapplikation: molar, DMS-Position: alveolar; Korpusfraktur 2 EDCP, Kraftapplika-tion: molar, DMS-Position: paramedian)
Diskussion
Ziel der vorliegenden Untersuchung wares, die Mikrobewegungen im Fraktur-spaltbereich bei unterschiedlichen Osteo-syntheseverfahren in einem Frakturmo-dell unter Berücksichtigung der inter-fragmentären Abstützung nach exakterReposition quantitativ zu determinie-ren. Zur Messung dieser Mikrobewe-gungen wurde die Dehnungsmessstrei-fentechnik verwendet, da sie gegenüberanderen Verfahren wie z. B. spannungs-optischen Verfahren [26, 30, 40] quanti-fizierte Datensätze ermöglicht.Aufgrundder in der Literatur angegebenen Häu-figkeit und Verteilung von Unterkiefer-frakturlokalisationen wurden die häufi-gen Median-, Paramedian- und Korpus-frakturen experimentell untersucht.
Von vergleichenden Osteosynthe-seuntersuchungen ist zu fordern, dasssich die Frakturlokalisationen ähneln,sodass sie Vergleiche zwischen den ver-schiedenen Osyteosynthesesystemen er-lauben. Die Frakturen sollten so be-schaffen sein, dass die Bruchflächenkongruent sind und sich ohne sperren-de Verformung oder kleine Fragmentereponieren lassen [15]. Eine in der Lite-ratur beschriebene Methodik zur expe-rimentellen In-vitro-Frakturierung vonhumanen Unterkieferpräparaten bestehtin der Verwendung einer Pendelschlag-apparatur [36, 44]. Hierbei ist jedochzum einen keine kontrollierte Fraktur-
lokalisation möglich,zum andern kommtes durch die Art der Fixierung häufig zuKombinationsfrakturen, deren osteo-synthetische Versorgung durch Erhö-hung der Einfluss nehmenden Variablennicht reproduzierbar messbar ist. Auchdie von Reitzik et al. [27] beschriebeneFrakturerzeugung durch Fixierung vonUnterkieferhälften in einer Zugapplika-tionsmaschine scheint nicht praktika-bel, da in der vorliegenden Studie ge-samte Unterkieferpräparate definiertund reproduzierbar frakturiert werdenmüssen.
Eine weitere in der Literatur be-schriebene Methodik besteht in der Ver-wendung der 3-Punkt-Biegung mit Hil-fe einer modifizierten Schraubzwinge,die von Puddu (Davos Laboratorium fürexperimentelle Chirurgie 1985) entwickelt
wurde. Diese Methodik wurde durchIkemura et al. [18] durch lokale Schwä-chung des Knochens im Bereich der zuerwartenden Frakturlokalisation durchSetzen von Bohrkanälen modifiziert [15,18, 29]. Durch die lokale Schwächung desKnochens im Bereich des beabsichtigtenFrakturlinienverlaufs wird eine exakteReposition der Fragmente verhindert,da eine linguale bzw. vestibuläre Abstüt-zung in einigen Bereichen nicht mehrvorhanden ist.Weiterhin kommt es durchdie Verwendung einer Schraubzwingezur Knochenfrakturierung zu einer re-lativ langsamen Verformung des Kno-chens, die nicht der In-vivo-Situationentspricht.
Mit der von uns beschriebenen Me-thodik der Einbettung der Unterkiefer-präparate in 2 Gipsblöcke unter Ausspa-rung der beabsichtigten Frakturlokali-sation ließen sich alle Unterkieferpräpa-rate entsprechend der vorgegebenenFrakturlokalisation frakturieren. DiesesVerfahren ermöglicht es deshalb, ver-gleichende Studien zur Biomechanikfrakturierter und osteosynthetisch ver-sorgter Unterkieferpräparate durchzu-führen.
Aufgrund unserer Ergebnisse zurBedeutung der interfragmentären Ab-stützung können aus biomechanischerund biologischer Sicht die Ergebnissevon Studien, in welchen vergleichendeUntersuchungen von unterschiedlichenOsteosynthesekonzepten an osteoto-mierten Unterkieferpräparaten durch-geführt wurden, nur sehr eingeschränktbei der Bewertung von unterschiedlichenOsteosynthesesystemen herangezogenwerden.
Das Ziel von chirurgischen Maß-nahmen zur Frakturversorgung bestehtin der knöchernen Stabilisierung und
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Abb. 4 � Maximaldeh-nungen im Fraktur-
spaltbereich der ver-schiedenartig osteo-
synthetisch versorgtenUnterkieferpräparate(Korpusfraktur, Kraftinzisal, 120 N), Osteo-
tomie median vs.Medianfraktur
Abb. 5 � Maximaldeh-nungen im Osteotomie-
spaltbereich der ver-schiedenartig osteo-
synthetisch versorgtenUnterkieferpräparate(Osteotomie median,
Kraft inzisal, 120 N)
Abb. 6 � Maximaldehnungen im Fraktur-spaltbereich der verschiedenartig osteo-
synthetisch versorgten Unterkieferprä-parate (Korpusfraktur, Kraft inzisal, 120 N)
Ausheilung des Frakturspalts. NeuereUntersuchungen zeigten, dass in demAbstand und in der Bewegung der knö-chernen Fragmente ein entscheidender,die Knochenheilung beeinflussender Pa-rameter zu sehen ist [21]. In diesem Zu-sammenhang scheint unter knochen-physiologischer Fragestellung eine ab-solute Stabilität nicht erwünscht, da daszyklische Dehnen von Knochenzellen inGrößenordnungen von 1500–5000 mstrainzu einer regelrechten Osteoblastenfunk-tion führt, während andererseits sowohlhöhere Dehnungen (>5000 mstrain) alsauch hypophysiologische Belastungen(<500 mstrain) zu einer eingeschränktenoder fehlgeleiteten Knochenneubildungführen können [19, 23, 24].
Die Bedeutung der interfragmentä-ren Abstützung für die Mikrobewegun-gen im Frakturspalt zeigt sich beim Ver-gleich von frakturierten und osteoto-mierten Unterkiefern. Bei osteosynthe-tisch versorgten osteotomierten Unter-kiefern fanden sich bei allen getestetenOsteosyntheseverfahren Dehnungswer-te im hyperphysiologischen Bereich.
Klinische Erfahrungen zeigten, dassbei komplizierten Frakturen, die nachder Reposition nur eine geringe Adap-tionsfläche vorweisen können (vergleich-bar mit osteotomierten Knochen), stär-kere Überbrückungssysteme (Rekon-struktionssysteme) notwendig sind, umeine ausreichende Stabilität mit physio-logischen Mikrobewegungen im Frak-turspaltbereich zu erreichen [25].
In unserer Untersuchung konntenMikrobewegungen im Frakturspalt quan-tifiziert werden.
Die Vorstellung, dass bei den als„stabil“ geltenden Versorgungssystemeneine absolute Stabilität vorliegt, trifftnicht zu. Die entsprechenden Mikrobe-wegungen lagen jedoch unter knochen-physiologischer Betrachtung im Bereichvon physiologischen und damit die Frak-turheilung stimulierenden Größenord-nungen. Unsere Untersuchungen zeigen,dass die Auswahl des Osteosynthesesys-tems entscheidend davon abhängt, obeine interfragmentäre Abstützung derFragmente erreicht werden kann odernicht. Besteht eine gute interfragmentä-re Abstützung, erscheinen Miniplattenfür die Stabilisierung grundsätzlich aus-reichend.Weiterhin konnte gezeigt wer-den, dass dreidimensionale Gitterstruk-turen der Platten die Stabilität in einemsolchen Ausmaß erhöhen, dass unter
Kaubelastung physiologische Dehnungs-werte im Frakturspalt erzielt werden.
Resümee
Das hier vorgestellte Frakturmodellstellt unter Verwendung der Dehnungs-messstreifentechnik ein valides Verfah-ren dar, um die Mikrobewegungen beiunterschiedlichen Unterkieferosteosyn-thesen unter Belastung in vitro determi-nieren zu können. Die Quantifizierungder Mikrobewegungen im Frakturspaltermöglicht dabei die biologische Reak-tion des frakturierten Knochens vor-herzusagen und dadurch den klinischenErfolg von Frakturbehandlungen besserabschätzen zu können.
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