Post on 15-Sep-2019
transcript
ErgothErapiE in allEn FacEttEn
ergopraxis
praxisprofiAusfallzeiten in der Praxis
Autismus
Joscha hat jetzt einen PlanWHEDA
Zehn Hausbesuche bei DemenztErtiärE PrävEntion
Ergotherapie bei BrustkrebsPsycHiAtriscHE AkutBEHAnDlung
mehr Alltag wagen
Mai 2014 | 7. JahrgangISSN 1439-2283www.thieme.de/ergopraxis5
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Leserforum 6 Briefe an die Redaktion
Gesprächsstoff 8 Aktuelles
10 Neue Wege in der psychiatrischen AkutbehandlungMehr Alltag wagen
Wissenschaft 12 Konzepte und Theorien von
GesundheitGesund sein ist für jeden anders
14 Internationale Studienergebnisse
17 kurz & bündig
Refresher 18 WHEDA
Zehn Hausbesuche bei Demenz
25 Fragen zu WHEDA
Ergotherapie 26 Ergotherapie in der tertiären
Prävention bei BrustkrebsDie Lebensqualität erhöhen
30 Autismusspezifische VerhaltenstherapieJoscha hat jetzt einen Plan
34 Functional Ambulation Categories (FAC)Die Gehfähigkeit beurteilen
praxisprofi 36 Entschuldigen oder berechnen –
Wie gehen Sie mit Ausfällen in Ihrer Praxis um?
37 Leerlauf dulden oder Patienten disziplinieren
38 Kompakt informiertUnentschuldigtes Fehlen ist kein Kavaliersdelikt
40 MeinungsbildZu viele nehmen es hin
41 Aus der PraxisWir erstellen Ausfallrechnungen
Profession & Perspektiven 42 Die ersten Absolventen der Hoch
schule für Gesundheit in BochumGeneration mit Großauftrag
44 Einblicke in das PsychiatriepraktikumGute Anleitung – Glücksache?
47 Die RechtsfrageWas tun, wenn sich Mitarbeiter nicht an Arbeitszeiten halten?
48 Schwarzes Brett
50 Rezensionen – Vier im Visier
Info 52 Produktforum
53 FortbildungszentrumInvAcademy
54 Fortbildungskalender
55 Fortbildungsmarkt
57 Stellenmarkt
59 Ausblick
59 Impressum
Mai 2014
WHEDA: Ergotherapie bei Demenz Das ergotherapeutische Programm WHEDA unterstützt Menschen mit Demenz und deren Angehörige dabei, besser im Alltag zurechtzukommen. Dass zehn Haus besuche ausreichen können, um Klienten anzuleiten, zeigt Andrea Rühlemann am Fallbeispiel.
praxisprofi: Ausfallzeiten in der Praxis Was tun Sie, wenn Patienten Termine nicht einhalten und auch nicht vorher absagen? Ein Auge zudrücken oder in Rechnung stellen? praxisprofi informiert über rechtliche Hintergründe und hat nachgefragt, wie andere Praxisinhaber das regeln.
Tertiäre Prävention bei Brustkrebs Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Eine zufriedenstellende Nachsorge gibt es nicht. Dabei könnten gerade Ergotherapeuten hier einen wertvollen Beitrag leisten. Viktoria Deimel hat ein Programm entwickelt, das hoffen lässt.
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Joscha hat jetzt einen PlanAutismusspezifische VerhAltenstherApie Mit einem autistischen Kind steht das ganze Leben auf dem Kopf. Umso glücklicher war Sonja Röder, als eine Autismustherapeutin Ordnung in das Leben mit ihrer Tochter Joscha brachte.
Eine Mutter berichtetWährend meiner sogenannten Risikoschwangerschaft – ich war über 35 Jahre alt – wurde mir zu zusätzlichen Untersuchungen geraten. Eine Chorionzottenbiopsie in der neunten Schwangerschaftswoche setzte dann eine ganze Maschinerie in Gang. Das Ergebnis: Hirnanomalien, namentlich Kleinhirnhypoplasie und Balkenagenesie. Was das für das Kind bedeutet und wie es sich auswirkt, wollten wir als werdende Eltern wissen. Der Pränataldiagnostiker zuckte nur mit den Achsel: „Mag sein, dass alles völlig unauffällig ist, oder Schwerstmehrfachbehinderung.“ Und: „Machen Sie es weg, machen Sie ein Neues.“ Wir entschieden uns gegen diesen RatSchlag, auch wenn wir von da an nicht mehr in guter Hoffnung waren. Doch das sollte die beste Entscheidung unseres Lebens werden.
Fördermöglichkeiten einmal rauf und wieder runter > Seit Joscha auf der Welt ist, haben wir die komplette Palette an Fördermöglichkeiten durchlaufen. Da ihre Muskulatur entweder zu schlaff oder zu angespannt war und sie kaum Greifreflexe hatte, stand für sie im Alter von sechs Wochen Wassergymnastik auf dem Programm. Als sie drei Monate alt war, begann die Frühförderung: Ergotherapie, Physiotherapie und Sehförderung. Sie bekam auch Orthesen und BotoxSpritzen gegen ihre Spitzfußstellung. Mit fast vier Jahren lernte sie ohne Krabbelphase das Laufen. Im Kindergarten kamen „standardisiert“ Logopädie und Ergotherapie hinzu, auf eigene Faust Osteopathie, Reittherapie und Senso rische Integrationstherapie zur Regulierung aller Sinneswahrnehmungen. Die Musiktherapie bekam sie wegen der akustischen Überreizung, Logopädie wegen orofazialer Störungen, und in der Reittherapie lernte sie ein Schaukelpferd von einem lebendigen Pferd zu unterscheiden.
In der Zwischenzeit ist Joscha knapp zehn Jahre alt und besucht eine Regelschule. Befunde wie Tetraparese sind gewichen; sie wurden ersetzt durch motorische Einschränkung, AspergerSyndrom und Inselbegabungen. Sie verfügt über perfekte Computerkenntnisse. Einwandfrei lesen konnte sie im Alter von drei Jahren, auch
Sütterlin und Handschrift. Englisch brachte sie sich autodidaktisch vor dem Schuleintritt über Youtube bei. Mit sechs Jahren erwarb sie das CambridgeZertifikat. Zurzeit bringt sie sich Spanisch bei und der nächste CambridgeAbschluss steht bevor.
Auf der einen Seite beschäftigt sich Joscha präpubertierend mit Hannah Montana und Justin Bieber – und auf der anderen Seite steckt sie im TeletubbiesEntwicklungsstadium. Ihre kognitive Entwicklung hat uns als Eltern viele Anekdoten beschert. Eine Ärztin meinte zum Beispiel vor Jahren: „Entschuldigen Sie, wenn ich frage, aber wie kommunizieren Sie eigentlich mit Ihrem Kind?“ Ich entgegnete: „Fragen Sie es doch.“ Und Joscha antwortete: „Ach, in aller Regel verbal.“
Folgenreiche Begegnung mit der Verhaltenstherapie > Als Eltern litten wir: Unser Kind konnte einen Laptop perfekt bedienen, aber nicht mit Besteck essen. Joscha aß alles mit der Hand. Der Speiseplan war entsprechend eingeschränkt: Baguette, Toast mit Honig, Nudeln ohne Sauce, Bratwürstchen und wieder von vorn. Und Joscha sieht nur zweidimensional. Ein Teller mit Essen und ein Bild von einem Teller mit Essen unterscheiden sich für sie nicht. So
Abb. 1 Mutter und Tochter bei einem Ausflug. Manchmal scheint Joscha resistent für Reize von außen, dann ist sie wieder ausgelassen und fokussiert.
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leckt sie eben an der Abbildung in einer Zeitschrift und wundert sich, dass sie nicht essbar ist. Wegen fehlender AugeHandKoordination kann sie sich auch nicht an und ausziehen. Sie benötigt Hilfe in allen Lebenslagen, zum Beispiel beim Toilettengang oder beim Zähneputzen. Sie ist räumlich desorientiert, hat eine Weglauftendenz und autoaggressive Trends. Sie malt nicht und schreibt auch nicht mit der Hand. Sie kratzt, wenn sie liebkosen will.
Irgendwann sind wir an die Autismustherapeutin Angela Sichelschmidt geraten. Während eines Hausbesuchs bei uns saß sie lachend am Tisch und plauderte darüber, dass Joscha ja bald mit Messer und Gabel essen wird. Im gleichen Moment aß Joscha Fischstäbchen mit den Händen. Eigentlich hat sie sie mehr zerbröselt. Das Fett war überall. Das Kind klebte, der Tisch klebte und der Teppich wirkte überreif für den Sperrmüll. In dem Moment empfand ich diese Therapeutin zwar als empathisch und sympathisch, hielt sie aber für etwas sparsam im Geiste. Joscha und Besteck – wie sollte das funktionieren? Ob wir nicht sachte mit einem Löffel beginnen sollten, fragte ich zaghaft und schenkte der Frau neben einer guten Portion Skepsis noch einen Kaffee ein. Nein, war ihre knappe Antwort, da müssen wir durch.
Ab sofort versuchte ich, Joscha beim Essen mit Besteck zu führen und irgendwie meine und Joschas Finger zu sortieren. Jede MiniKorrektur ihrer Besteckhaltung führte zu Eskalationen und Joscha ließ das Besteck wieder fallen. Das Essen wurde oft kalt. Zwischendrin sollte ich Stempelchen als Belohnung machen und kodieren, was sie selbstständig schafft, was sie fast allein schafft und wobei ich ihr helfe. Am liebsten hätte ich das Kind bis zu seinem 98. Lebensjahr mit den Fingern essen lassen. Aber ich riss mich zusammen, schaute mir selbst heimlich zu, wie meine Finger Messer und Gabel hielten, und übte. Und irgendwann klappte auch unser gemeinsames Training.
Angela und Joscha verstanden sich bestens. Jeder Handgriff saß, binnen weniger Wochen aß Joscha mit Messer und Gabel. In der Schule nahm sie urplötzlich das Mittagessen zu sich. Nach gutem altem Brauch wurde gegessen, was auf den Tisch kam. Und das mit Inbrunst. Und Selbstbewusstsein. Der soziale Druck war gewichen: Sie wusste, sie kann jetzt mithalten. Zu Hause konnten wir es kaum fassen: Wie, Joscha isst Salat? Und sie mochte plötzlich Saucen, wo doch bislang alle Essensbestandteile strikt getrennt und säuberlich
abgezirkelt mit Abstand voneinander auf dem Teller zu liegen hatten. Wir waren stolz, glücklich und erleichtert. Sie hatte es geschafft.
Struktur lautet das Zauberwort > Nach einer Odyssee von einem Arzt zum anderen und dasselbe bei Therapeuten träumten wir Eltern zeitweise von Fragebögen und Befunden, fühlten uns verfolgt von der Videokamera. Und dazwischen spielte Angela Sichelschmidt mit unserem Kind, dass es eine Augenweide war. Joscha lachte wie nie. Wir schlackerten mit den Ohren, bekamen einen perfekten Tagesplan an die Tür des Kinderzimmers mit Klettkärtchen und Fotos der Betreuer (a Abb. 2). Struktur lautet das Zauberwort. Wir mutierten zu CoTherapeuten, den Schulbegleiterinnen und den Lehrern widerfuhr das gleiche Schicksal. Bislang hatten wir uns aus allen therapeutischen Förderungsansätzen rausgehalten. Wir gaben unser Kind beim Therapeuten ab, holten es wieder ab und hofften auf Fortschritte. Angela Sichelschmidt aber unterzog uns einer CrashkursVerhaltenstherapie. Also lernten auch wir die dazugehörigen Vokabeln wie Prompten, Token, Chaining und Kodierungen (a Glossar).
Joscha legt mittlerweile großen Wert auf minutiöse Tagesabläufe und rügt uns oft, wenn wir Abläufe vergessen oder durcheinanderbringen. Vereinbarungen sind für sie verbindlich. Wenn das Zähneputzen erledigt ist, gehört das Kärtchen in den FertigUmschlag. Dadurch ließ Joscha ab von ihren nervenzermürbenden Fragen: Nach meiner HirnOP litt sie unter Verlustangst und fragte circa ein halbes Jahr lang fünfzigmal am Tag: Lebst du in sechs Tagen noch? Nachdem sie einmal im Radio gehört hat, dass ein Mensch zwei Liter am Tag trinken sollte, fragte sie ständig: Habe ich heute genug getrunken? Und im Auto fragte sie etwa einmal pro Minute: Wo sind wir jetzt? Sonja Röder, Kontakt: roederso@aol.com
Abb. 2 Mit diesem Tagesplan kam Ordnung in Joschas Leben. Mittler-weile hält sie sich strikt daran und muss manchmal ihre Eltern ermahnen, nach den Spielregeln zu spielen.
GlossAr
AVT: Autismusspezifische VerhaltenstherapiePrompt: eine Hilfestellung, um die richtige Reaktion zu erleichternKonsequenz: ein Stimulus, der sofort nach der Reaktion dargeboten wird und zum Ziel hat, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Reaktion zu verändernVerstärkung: der wirksamste Weg, wünschenswerte Verhaltensweisen zu fördern Chaining: Reaktionsverkettung, gelernte Einzelhandlungen werden zu einer Gesamthandlung verknüpftKodierung: Kriterien für Lernerfolge zur DatennahmeToken: „Münzverstärker“, symbolische Währung wie Smileys
... weiter lesen Sie in ergopraxis 5/2014
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