Post on 22-Mar-2016
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ELEGANCE IS THE rEAL PUNK OdEr:
WEr SICH SCHMÜCKT, dEM WACHSEN FLÜGEL
MAY 2012
KEIN HANSEATENSOHN OdEr FrEUNdIN AUS L.A.
IM FLUr
Text: Anselm Lenz mit Anna Fuchs, Mode: Anna Fuchs, Fotos: Fritz Jaenecke
Hair & Make-Up: Udo Farnschläder, Creative Director: Tanja Pfaff
elegance is real the punk 01
Staubpartikel tanzen in der Luft. In der Küche
dudelt das Radio. Wann werden wir die »Hits
der Nuller« endlich los? Der Duft von Kaffee.
- Alles ist da. Die Wohnung, die Zeitung. Die
Freiheit, mich wohl zu fühlen. Die Situation
gibt alles her. Kleinmut, Niedertracht und At-
titüde haben Pause. Das licht zeichnet wei-
che Schatten in den Raum.
Wenn da nicht immer diese Nachrichten auf
dem ladypinkgeschützten iPhone wären.
»OMG: Mein neuer Yogalehrer ist klasse. Er
bringt mir das gute Leben bei. Word! Meine
Putzfrau kann ich mir nun allerdings nicht
mehr leisten. Knutsch � Deine Ulla«, »Hast Du
schon gehört, dass sie das Golem wieder
zumachen wollen? Wo sollen wir nun hinge-
hen?«, »Hast Du nicht gesagt, Du bringst heu-
te Ciabatta und Strauchtomaten in deinem
Weidenkörbchen mit? Landliieebee x x x«.
Was soll man ihnen antworten? Der jogisier-
ten Freundin, der Nachtfee, der Kolle-
gin vom Landfrauenverein. Für sie alle
drei gibt es heute nur eine Samme-
lantwort: »Fahrt zur Hölle. Ach, Ihr seid
schon auf dem Weg? Für heute ohne
mich.«
Kann man das senden? Nein. Menschen
sind zu unterschiedlich, was ja in der Regel
Freude auslöst. Aber heute müssen meine
diversen Seelchen ohne mich irrlichtern. Mei-
ne Fingerspitzen lassen Buchstaben über die
Anzeige tanzen: »Die Zeitung knistert, der
Kaffee ist perfekt. Dieser Tag wurde für mich
allein gemacht.« Basta - und drücke auf sen-
den. Nun denn. Das Croissant ist luftig, fettig
und krümelt, wie herrlich gottlos.
Nix da. Es klingelt. Natürlich. Wie in einer die-
ser TV-Soaps, in denen auch niemals nie-
mand einfach mal so im Sessel sitzt, Zeitung
liest und Kaffee trinkt und man ihn oder sie
eine halbe Stunde lang dabei beobachten
könnte. Fortsetzung folgt. Soll ich jetzt lachen
oder weinen? Vor der Tür wartet jedenfalls
niemand auf Einlass. Bloß ein Zettel. Eine
Nachricht von Gregor. Drama, Baby, Drama!
»heute müssen meine seeLchen ohne mich irrLichtern.«
elegance is real the punk 01
#1 WAS SoLL MAn dA AnTWorTen?
»es kLingeLt. wie in einer Dieser tv-soaPs.«
»Drama, BaBy, Drama.«
Er ist eines jener Opfer, wie sie hier überall
herumlaufen. Und doch hatte man etwas
gesehen und sich eingelassen. Denn diese
Hoffnung ist zumindest gegeben, Männer
könnten ja entwicklungsfähig sein. Gregor,
ein halbwegs ansehnlicher Hanseatensohn
von Format, wie er selber denkt, denn man
hört den schwäbischen Akzent kaum noch
raus; er macht was mit Medien, lächelt gern
und hat alles im Griff. Gemütsäußerungen
sind ihm fremd, er gestikuliert nur sparsam, ist
vermutlich irgendwie gebildet (soweit waren
wir noch gar nicht gekommen) und – man
wollte nicht mehr alleine einschlafen und
samstags auf dem Wochenmarkt das Wei-
denkörbchen selber tragen.
Ein zufälliges Treffen in einer präzis gewähl-
ten Szenebar mit relevanter Kandidatenaus-
wahl, ein routiniertes Lächeln, plänkeln, mit
nach hause nehmen, eine Freundschaftsbe-
stätigung in Facebook (aber ohne den Be-
ziehungsstatus zu ändern!). Er hatte mal eine
Ausstellung in dieser szenigen Off-Galerie
oder so, ganz nette Fotos, das übliche: Indus-
trieanlagen im Instagram, eine Kubanerin
vor einem Graffi tto in Havanna, irgendwie im
goldenen Schnitt gesetzt, dazu der übliche
Fitzelkram, wie er auf der Documenta oder
an der städtischen Kunsthochschule abge-
feiert wird. Er reist gern, auch berufl ich … und
hach.
Wie bin ich nur auf die Idee gekommen, ihm
meinen Wohnungsschlüssel zu überlassen,
gleich nach dem ersten Sex?
»Man hat sich bemüht« steht auf dem Pa-
pier, dazu der Schlüssel. Lässig auf die Trep-
pe gelegt, geklingelt, wohlwissend, dass ich
da bin, und subito davongeschlurft in von
Kinderhand verleimten Turnschuhen in weiß,
grün und blau. Der Typ hat Allüren – soll ich
auf die Straße hinausrennen und ihm nach-
rufen? »Fahr zur Hölle, zu den Andern.«
Oder eine Nachricht schreiben? Das Spati-
um blinkt auf dem Telefon - soll ich das sen-
den? Das mobile Telefon bimmelt im Vinta-
gesound. (Warum gibt es eigentlich noch
nicht Handyschoner aus dunkelgrünem
Samt mit Kordelverzierung?)
»Pizza bestellt?«
»Wie?«
»Ich bin jetzt da, vor Deiner Tür!«
»Bella! Ich denke, du kommst morgen.«
»Nö, wieso?«
»Los Angeles...«
»Ja, große Stadt.«
»Warte, ich mach auf.« »unD Doch hatte man sich eingeLassen.«
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#2 ScHWäBiScHer HAnSeATenSoHn
»mann hat sich Bemüht…«
»fahr zur höLLe, zu Den anDern.«
Steht sie so da, auf meiner Treppe. Hat keine
Ahnung, dass sie gerade diesem schlech-
ten Typen High Five hätte geben können. Ein
wunderbar unpassender Moment, in dem
sie ihr goldenes Köfferchen die Treppen hin-
aufklappert. Im Flur lehnt sie sich gegen die
Kacheln. Sie will begrüßt und bewundert wer-
den. Aber sicher doch. Was für eine willkom-
mene Ablenkung. Die Zeitung von heute ist
doch eh schon nicht mehr aktuell und Kaffee
schmeckt bitter, wenn er kalt ist.
Bella sieht fabelhaft aus mit ihrem Lollipop,
tatsächlich erinnert sie mich an eine dieser
alten Hollywood-Schönheiten, wie sie mir da
entgegenschwebt. Sie scheint von Reisen
wieder einmal alles mitgebracht zu haben,
was uns hier abgeht. lebensfreude, einen
Hang zur Pose, weil man sie kann, und weil
sie nichts kostet, eine feierliche Alltagskultur
jenseits von Authentizität. Und ein gewisse
lust auf Selbstvertrauen.
»Bella, Du siehst blendend aus.«
»Du bist aber auch nicht schlecht.«
»Ha, das will ich hören. Schön, dass du da
bist. Komm rein.«
»Lust auf seLBstverrauen.«
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#3 FreUndin AUS L. A. iM FLUr
»LeBensfreuDeunD ein hang zur Pose.«
Bella zieht sich um, »frischt sich auf«, sie träl-
lert im Bad. Soviel Positivität überfordert mich
jetzt. Soll sie machen, ich gehe raus, Blumen
gießen. Gestern hat‘s geregnet, aber irgend-
was will passieren. »Man hat sich bemüht.«
»Ich möchte näher zu Gott, mein Freund,
nimm mich in die Zweige und recke dich für
mich«, rede ich den Baum an. Aber der ant-
wortet natürlich nicht, der alte Sack.
Als ich Bella im Haus rufen höre, bin ich schon
oben im Baum. Hier, ich bin hier.
»Was machst du denn da? Spannst du bei
den Nachbarn?
»Nein, ich dachte, ich verschaffe mir mal ei-
nen Überblick über meine Gefühlslage.«
»Aha. Na klar, das geht ja auch besser, so
von da oben.«
Bella lacht. Soll man ihr erzählen was los ist?
»Soll man dir erzählen was los ist?«
»Huch? Ja, bitte.«
»Also. Die Kurzform. Er heißt Gregor, und er
hat mir heute meinen Wohnungsschlüssel
und einen absurd kurzen Brief vor die Tür ge-
legt - und sich dann davon gemacht.«
»Oh. Wie lange wart ihr denn zusammen?
Den kenne ich ja noch gar nicht.«
»Einen Monat oder so.«
»Und dann hat er Deinen Wohnungsschlüssel?«
»Hat sich so ergeben, wegen der Arbeit.«
»Verstehe ich nicht, aber okay. Und jetzt ist
Trauer angesagt?«
»Nö. Aber Du bist quasi mit seinem Brief
gekommen.«
»Ach so.«
»Du müßtest an ihm vorbeigelaufen sein.«
»Der Smeagol?«
»Vermutlich, ja.«
»Okay, das mag so eine Notlösung gewesen
sein. Du machst sonst doch auch alles allei-
ne, das kennt man ja gar nicht von Dir. Jetzt
komm mal wieder runter.«
»Ich rege mich doch gar nicht auf!«
»Nein, vom Baum.«
»nimm mich in Deine zweige unD recke Dich
für mich.«
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#4 Mein FreUnd der BAUM (der ALTe SAck)
»irgenDwas wiLL Passieren.«
»Da die Sonne jetzt weg ist, können wir hier draußen was spielen, oder?« Bellas paradoxer
Humor. Wir bauen das Croquet-Spiel auf. Ich bin etwas lustlos, aber Bella gibt sich alle Mühe.
»Stellen Sie sich vor, Sie sind die Kugel. Sie müssen da durch, denn Sie wurden mit dem Schlä-
ger angebumst. Der Boden ist kultiviert, aber uneben. Alles Mögliche könnte Sie ablenken.
Wenn Sie auf eine andere Kugel treffen, sind Sie am Zug. Wenn Sie ein Tor passieren, bleiben
Sie am Zug. Nur die Wenigsten schaffen den Parcours in einer Runde, denn das ist fast un-
möglich, würde das Zusammentreffen von extremem Glück, enormer Fähigkeit und besten
Umständen erfordern. Alle Anderen müssen sich langsam von Tor zu Tor über den gestutz-
ten Rasen arbeiten, Rückwärtsschläge machen, und hoffen, nicht von Anderen beiseite ge-
mobbt zu werden. Sie können aber auch auf das große Glück spielen, weite Stöße versuchen
und landen dann meistens im Abseits.«
»Bella, du bist genial.«
»Naja, H.G. Wells hat mal ein Buch über Croquet geschrieben, in dem er das Spiel mit Leben
gleichsetzt. So frei nach...«
Wir ziehen also heute das Abseits vor. Bella hat Rosé Crémant mitgebracht, sie hat sich über-
legt, dass das ganz gut passen könnte zu unserer Gartenpartie und schenkt aus. Wir lachen
darüber, wie wir so französische Salondamen spielen und sind auch gar nicht der Ansicht,
dass wir von Manet gemalt werden sollten.
»Malerisch, wie Du den Ball verballert hast.«
»Ja, wieso?, ich hab doch ganz gut ins Aus getroffen!
Gibt´s jetzt Einwurf?«
»Moment, wenn ich den Zielstab ziele, dann treffe ich
vielleicht Gregor an den Hinterkopf!«
»Mit Schmackes, Baby!«
»Nee, Geschmacklos, der Schnuller!«
»Soll das ein Wortspiel sein, Anna?«
»Ach, egal, ich schwing jetzt den Hammer.«
»Vorsicht, Du könntest einen Käfer treffen.«
»Ha. Gregor? Den habe ich fast schon vergessen.«
»mit schmackes, BaBy.«
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#5 BeLLA BALLA
»extremes gLück, enorme fähigkeiten, Beste umstänDe.«
Es beginnt Spaß zu machen. Da wir die Klei-
der wechseln können, und somit unsere See-
len gut geschützt zum Funkeln kommen, ler-
nen wir wieder zu singen.
Bella ist da nicht so engagiert und wehrt sich
nicht gegen die Hooklines des Garagen-
rocks, die ich anstimme. Bella ist der Ansicht,
dass Elvis Presley der größte Künstler aller Zei-
ten ist und wirft sich in die Hüfte. Das steht ihr
natürlich famos, weswegen ich sie frage, ob
sie das aus Los Angeles mitgebracht habe.
»Mensch, Anna, was ich Dir mitbringe ist
mehr als eine Stadt. Das Leben ist eine Schei-
be. Alles darf nach Draußen, wenn das Drin-
nen gut verpackt ist.«
»Sing ich doch!«
Ich hole die E-Guitarre aus dem Schrank,
schließlich hat man sich ja die Nägel lackiert,
um sie zu benutzen. Ich kann noch drei Ak-
korde spielen und Bella improvisiert darauf
eine kleine Weise von den JB‘s.
»Was können die, was wir nicht können?«
»Wir sind Norddeutsche und haben uns das
verboten?«
»Na, dann können wir uns das doch auch
wieder erlauben, oder?«
»Machen wir doch schon.«
»man hat sich Die nägeL Lackiert, um sie zu Benutzen.«
#6 SMeLLS Like Teen SPiriT
»aLLes Darf nach Draussen, wenn Das Drinnen gut verPackt ist.«
»Das LeBen ist eine scheiBe.«
»Krachend zerplatzt diese Torte an meinen
Lippen«, äußert Bella, während das Kleid
über ihren sich füllenden Bauch wallt. »Al-
right«, antworte ich kauend, »es schmeckt
und soll sein, weil ich es liebe. Es gibt Sorbet,
Kuchen, Donauwelle, vielleicht später noch
ein Steak, oder?«
»Ach, Bella, wenn der Glam in die Stadt
reitet, dann klappen die Deutschen die
Bürgersteige hoch und schließen die Fens-
terläden.«
»Und wir fläzen hier elegant auf dem Sofa
und fahren uns das Essen rein, ungerecht,
oder?«
»Nee, praktisch.«
»Aber das Wort »praktisch« ist doch von
der Anstandskleidung besetzt worden, wie
sie von pseudo-skandinavischen Outdoor-
labels in den Markt gedrückt wird.«
»Na, aber so ein Taschenmesser in der
khakifarbenen Kniekehlen-Baggie wäre ja
schon praktisch jetzt.«
»Im Kampf gegen die Raubtiere of the 21st
Century oder was?«
»Ja, dann fühlt man sich so erdverbunden.«
»aLLright, es schmeckt unD so soLL es sein,
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#7 STrASSenFeger
»sPäter noch ein steak, oDer?«
»Weißt Du, ich weiß nicht, ob man das so machen kann«, fragt Bella
in einem kurzen Moment mit Selbstzweifeln vor dem Spiegel.
»Was weißt Du nicht?«
»Ist das alles richtig so?«
»Was sollte denn richtig sein? Moral, Demut, Diät und Häuslichkeit?«
»Ja, man könnte sonst meinen, wir seien durchgedreht.«
»Weil wir Kleider tragen, ein Leben führen, essen, tanzen und sin-
gen? Na, wohl bekomm´s. Du bist fantastisch und einzigartig Bella,
hörst Du?«
Tatsächlich scheint es ja immer mal wieder Verdacht zu erregen,
wenn Menschen beginnen, das Leben zu lieben. Wenn sie zu sich
finden, eine Lebenslust in sich haben und sie sich auch gestatten.
Aber in wessen Interesse ist es, das als Unbescheidenheit abzutun?
Der Versuch führt doch nur in den muffigen Konsens und in ein
Gleichgewicht der Schwäche, mit dem wir uns gegenseitig ärmer
machen. Leider haben es Frauen noch immer am besten drauf, ei-
nander argwöhnisch zu belauern. Dagegen hilft nur eines: es eben
nicht zu tun - und sich zu erlauben, sich selber und die Schöpfung
zu feiern.
»Gehen wir tanzen?«
»Erstmal errichten wir die Fassade.
Weil wir es können.
Und weil es Spaß macht.«»man könnte meinen, wir seien DurchgeDreht.«»weiL wir kLeiDer tragen, ein LeBen führen, essen, tanzen unD singen?«
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#8 MorAL, deMUT, diäT
»tatsächLich scheint es ja immer maL wieDer verDacht zu erregen, wenn menschen Beginnen, Das LeBen zu LieBen.«
»Weißt Du, immer wenn ich von woanders
herkomme, dann muss ich erstmal wieder
lernen, dass man hier bis vor Kurzem nicht im
Kleid einkaufen konnte. Die Frauen schienen
freiwillig in Funktionsbekleidung mit „Was-
sersäule“ oder Steppjacke, Jeans und Ugg
Boots, in erdgetönten Farben, weil sie das ir-
gendwie natürlicher fanden.«
Bella steckt mir die Zigarette an.
»Ja, absurd, oder. Als würde man nur trocken
Brot essen, weil man dann integer rüber-
kommt. Aber diese düstere Zeit ist zum Glück
vorüber.«
»Wir sollten etwas Richtiges essen.«
Und so machen wir Schluss mit den ge-
brauchten Gefühlen und setzen uns. Bella
zieht ein Buch aus dem Regal und liest vor:
»Neid entsteht aus Schwäche, Kleinmut,
mangelndem Selbstvertrauen, selbstemp-
fundener Unterlegenheit und überspanntem
Ehrgeiz, deswegen verbirgt der Neider sei-
nen unschönen Charakterzug schamhaft. Er
lehnt lauthals ab, es dem Beneideten gleich-
zutun. Geht es ihm an den Kragen, genießt
der Neider stille Schadenfreude. Das ist von
Götz Aly, passt doch ganz gut.« Das ist von
Götz Aly, passt doch ganz gut.
»Wollten wir nicht Schluss machen mit den
gebrauchten Gefühlen? «
»Haben wir doch. Wir könnten in die Taver-
ne des Lichts gehen. Wir könnten einen Club
aufsuchen. Theater? Ich reserviere uns noch
Karten fürs Theater, was meinst Du?«
»Hast du die Nummer?«
»woLLten wir nicht schLuss machen mit Den geBrauchten gefühLen?«
elegance is real the punk 01
#9 die FASSAde Wird erricHTeT
»wir könnten in Die taverne Des Lichts gehen.«
Gelb und Rot. Schallplatte. Technics 1210.
Nachschminken. Das Knarzen aus den Laut-
sprechern. Ein Tanz. Wir sehen gut aus, was
kann uns passieren? Wir dürfen das machen,
weil wir es wollen. Wer ist eigentlich Gregor?
Wir werden die Welt nicht retten, wenn wir
uns in falscher Demut üben. Im Gegenteil.
Das Theater wartet auf uns. Wir werden aus-
gehen.
Nichts wartet. Gar nichts. Wir sind unser eige-
nes Theater. Weil wir es können. Weil wir uns
das erlauben. Wir entscheiden lautlos, wir ge-
hen nicht hin. Magst noch was trinken?
Wir bereichern die Welt durch unsere Abwe-
senheit. Nichts brauchen wir mehr, als die
Angst zu verlieren, zu sein. Wir sind entschie-
den: Wir haben heute uns.
Bella und ich bleiben. Sollen die Karten doch
verfallen, oder an andere gehen. Wir schmü-
cken uns heute nicht für den Anlass, wir ma-
chen das für uns.
Sie dreht eine Pirouette mit dem Sektglas, ihr
Kleid flattert und es schwappt ein Schluck
auf das Parkett. Weil es gut ist.
»wir sinD unser eigenes theater. weiL wir es können. weiL wir uns Das erLauBen.«
elegance is real the punk 01
#10 gegen den AUSgeHZWAng
»wir sehen gut aus, was kann uns Passieren? wir Dürfen Das machen, weiL wir es woLLen.«
wiederbeleben und zitieren, nur
um es wieder im Fluß der Schöp-
fung hinter uns zu lassen.
Die Mode ist ständige Entwick-
lung, Verfeinerung, Veränderung.
Wer sie verbannen oder einfrie-
ren will, weil sie »zu nichts nut-
ze« sei, der redet einer Gesell
schaft das Wort, die sich letztlich in
die Selbstzerfleischung manövriert.
Ganz abgesehen davon, dass
Mode auch ein bisschen ange-
nehm verfeinerte Politik ist, kann
sie durchaus praktisch sein, auch
ohne, dass man gleich im Zeltstoff
mit allerlei Nottaschen am Revers
herumlaufen muss. Wenn die bei-
den Damen in den beschriebenen
zehn Situationen das belegt ha-
ben, wäre ja schon etwas gewon-
nen, oder. Für den Moment darf
sich jedenfalls die Hoffnung auf
eine schönere Welt in feinem Stoff
und einem tollen Schnitt in die Welt
setzen. - Kleiden wir uns?
#11 eS LeBe die nUTZLoSigkeiT
Nun gilt die Liebe gemeinhin als
das am härtesten umkämpfte Gut
der Gesellschaft. Wer sich selbst
liebt, wer sich schmückt, dem
wachsen Flügel. Und wer so be-
schwingt durchs Leben geht, der
wirkt anziehend. Und wer anzie-
hend wirkt, dem wächst die Auf-
merksamkeit der Anderen zu. Und
mit der Aufmerksamkeit verlängert
sich die zugestandene Redezeit,
die Anerkennung, die Möglich-
keiten und letztlich der Spaß am
Leben – für alle Beteiligten. Diese
sanfte Macht der Individualität, der
Schönheit, der ungewöhnlichen Er-
scheinung, der besonderen Fähig-
keiten: all das wird volkstümlich in
den Verdacht gezogen, magisch
zu sein, Hexenwerk, nicht von die-
ser Welt. Wer so herausragt ohne zu
leiden oder direkte Macht auszu-
üben kann keiner von uns sein. Da-
ran muss etwas getürkt sein. Das
kommt dem Volk spanisch vor.
Dangerous! - Fremd und gefährlich!
Doch warum so verkniffen, warum
so deutsch? Die Zweifel der Ge-
meinschaft am Individuum mögen
hie- und da ihre Berechtigung ha-
ben, aber wenn wir über Musik,
Mode, Leben, Humor, Freude und
Lebensart sprechen: was ist so
schlecht, so verwerflich, so unver-
schämt daran? Was ist gefährlich
daran, sich modisch zu kleiden?
Was bewundert die Welt die Pa-
riserin, die Mailänderin, ach, fast
alle Weibsbilder entwickelter,
westlicher Nationen. Ein Bekennt-
nis zur Mode, zum Spiel, zum
Theater, zur Welt als Bühne ist ein
Bekenntnis zur Zivilisation, weil wir
in endlosen Diskursen unsere Ener-
gien kanalisieren, Neues erschaf-
fen, Altes ersetzen, Vergangenes
elegance is real the punk 01
Die moDe kann Der wunDerBarste ausDruck Der seeLe sein, ein schutz zugLeich unD im fLuss Der geseLLschaftLichen Diskurse ein interessantes, wenn nicht Das interessanteste thema üBerhauPt.
von Anselm Lenz mit Anna Fuchs, Palermo und Hamburg Frühjahr 2012
ANNA FUCHS KG
Karolinenstrasse 27
D-20357 Hamburg
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