Post on 20-Aug-2018
transcript
Die Rolle der Angehörigen bei
Entscheidungsprozessen aus
rechtlicher Sicht
MMag. Katharina Leitner Institut für Ethik und Recht in der Medizin (externe Mitarbeiterin)
katharina.leitner@univie.ac.at
Vortrag im Rahmen des 6. Österreichischen Interdisziplinären Palliativkongresses der Österreichischen Palliativgesellschaft „Kontroversen in Palliative Care“, Bregenz 29. 4. 2017.
Was erwartet Sie?
Grundlagen des Behandlungsverhältnisses
Rolle der Angehörigen bei einsichts- und
urteilsfähigen PatientInnen
Rolle der Angehörigen bei nicht einsichts- und
urteilsfähigen PatientInnen
• Eltern bei minderjährigen Kindern
• Vorsorgevollmacht
• Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger
Sachwalterschaft
Conclusio
Einstiegsfall
90-jähriger Patient ist überwiegend bettlägerig und hat
in den letzten Monaten stark Gewicht verloren
Er verweigert zunehmend die Nahrungsaufnahme
(mündlich, Abwenden, Ausspucken…)
Krankenhaus künstliche Ernährung
Patient: klare Ablehnung der künstlichen Ernährung
Angehörige: klare Befürwortung der künstlichen
Ernährung
Welche Rolle spielen die Angehörigen?
Voraussetzungen für
JEDE medizinische Maßnahme
Medizinische Indikation
Einwilligung des/der PatientIn
Eigenmächtige Heilbehandlung
(§ 110 StGB)
(1) Wer einen anderen ohne dessen Einwilligung,
wenn auch nach den Regeln der medizinischen
Wissenschaft, behandelt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu
sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360
Tagessätzen zu bestrafen.
(2) [Ausnahme für Gefahr im Verzug]
(3) [Privatanklagedelikt]
= Verfolgung nur auf Verlangen des/der
Behandelten!
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Einwilligung PatientIn
PatientInnen sind selbstbestimmt!
Jede rechtmäßige Heilbehandlung bedarf der
Einwilligung des/der einsichts- und urteilsfähigen
PatientIn
Einsichts- und Urteilsfähigkeit?
Einwilligungsfähigkeit
= „konkrete Einsichts- und Urteilsfähigkeit“
Konkrete Beurteilung im Einzelfall durch
Arzt/Ärztin:
• In Bezug auf kognitive Fähigkeiten des/der PatientIn
• In Bezug auf Komplexität der Entscheidungssituation
Ab 14 Jahren vermutet und nur bei Zweifeln geprüft:
• Einzelfallprüfung bei psychisch Kranken, geistig
Behinderten, Demenzen
• „Grenzfälle“: uU Beiziehung Konsiliarius
Einwilligung = höchstpersönliches Recht
PatientInnenautonomie ist nicht delegierbar
Einwilligung muss frei erfolgen
Grenze zwischen Beratung/Diskussion (Familiy-
und Community Consent) und unerlaubtem
Druck/Zwang
Sonderproblem: Delegation der Einwilligung aus
religiösen oder kulturellen Gründen
• extrem patriarchale Prägung
• Rat von religiösen Respektspersonen (zB Fatwa)
Uneingeschränktes Vetorecht
Ablehnung des/der einwilligungsfähigen PatientIn
jedenfalls zu beachten!
• Auch bei vitalen Folgen Recht auf „passive“
Sterbehilfe
Passive Sterbehilfe
• Unterlassung der Lebensverlängerung
- Nicht Beginnen oder Nicht Fortsetzen: PatientIn
lehnt Behandlung ab
Ergebnisse Einstiegsfall
Wenn Maßnahme medizinisch indiziert
Einwilligung des Patienten nötig!
Wenn der Patient klar ablehnt keine
Behandlung trotz Indikation!
Angehörige haben kein Recht auf Entscheidung
Angehörige können beratend tätig werden.
Achtung! Grenze zu Druck, Zwang
Entscheidung
bei nicht Einwilligungsfähigen?
Eltern bei minderjährigen Kindern
Vorsorgebevollmächtigte/r (§ 284f ABGB)
Vertretungsbefugnis nächste/r Angehörige/r (§ 284b ABGB)
SachwalterIn (§§ 268 ff)
Einsichts- und urteilsfähige Minderjährige
• entscheiden grds selbst
• schwerwiegende Behandlungen: zusätzlich Zustimmung der Eltern
• Meinungsverschiedenheit: Wille des/der Mj. zählt
• Ablehnung durch Mj. möglich
Nicht einsichts- und urteilsfähige Minderjährige
• Eltern entscheiden
• schwerwiegende Behandlungen: Eltern entscheiden alleine
• Meinungsverschiedenheit: Wille der Eltern zählt
• Ablehnung durch Eltern nur im „objektiven Wohl“
Vorsorgevollmacht
Wer kann vertreten?
• Bevollmächtigte/r kann jede/r sein
- Oft Vertrauensperson, Angehörige
- Auch möglich: „Aufgabenteilung“
- Möglich Bindung
• Unzulässige/r Bevollmächtigte/r:
- Wenn in Abhängigkeitsverhältnis: enge Beziehung zu
Krankenanstalt, Heim oder sonstigen Einrichtung, in der sich
VollmachtgeberIn aufhält oder betreut wird
Wer wird vertreten?
• Bei Verlust der Geschäftsfähigkeit oder Einsichts- und
Urteilsfähigkeit bzw Äußerungsfähigkeit
Errichtungsprozess
Höchstpersönliche Errichtung
Bei Vorsorgevollmacht in medizinischen
Angelegenheiten nur Errichtung vor
• RechtsanwältIn
• NotarIn
• Gericht
unter ausdrücklicher Bezeichnung dieser
Angelegenheiten
Möglichkeit der Registrierung im ÖZVV
Was darf Bevollmächtigte/r tun?
Bevollmächtigte/r hat dem Willen zu entsprechen
• Kombination mit Patientenverfügung möglich
Bevollmächtigte/r kann auch nach subjektivem
Willen des/der VollmachtgeberIn handeln
Bei Missbrauch der Vorsorgevollmacht
Antrag auf Bestellung SachwalterIn
Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger
Wer kann vertreten?
• Nächste Angehörige
- Eltern; volljährige Kinder; EhegattIn/eingetragene/r PartnerIn
im gemeinsamen Haushalt; LebensgefährtIn, wenn seit mind. 3
Jahren im gemeinsamen Haushalt
• Registrierung bei NotarIn
Wer wird vertreten? • Volljährige nicht einsichts- und urteilsfähige Person, die aufgrund
psychischer Krankheit oder geistige Behinderung
• Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens nicht selbst besorgen kann,
• aber keine/n SachwalterIn oder Vorsorgevollmächtige/r hat
Was dürfen Angehörige tun?
Zustimmung zu „kleinen“ Heilbehandlungen
Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens
Rechtsgeschäfte zur Deckung des Pflegebedarfs
Geltendmachung von Ansprüchen, die aus Anlass
von Alter, Krankheit, Behinderung oder Armut
zustehen
PatientIn kann jederzeit widersprechen!
SachwalterIn: Voraussetzungen
Auf Antrag (bei zuständigem Bezirksgericht) –
gerichtliche Bestellung
geeignete, der betroffenen Person nahe stehende
Person ist vorrangig zu bestellen (§ 279 Abs 2
ABGB)
Sachwalterverfügung (§ 279 Abs 1 ABGB):
Registrierung im ÖZVV
Befugnisse SachwalterIn
Entscheidungsmaßstab „objektives Wohl des/der PatientIn“
Behandlung, die gewöhnlich mit einer schweren oder
nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit
verbunden ist:
• „Second opinion“ (zB Operative Eingriffe, Chemotherapie, PEG-Sonde,
parenterale Ernährung)
Erteilt SW die Zustimmung nicht und dadurch Gefährdung des
Wohls
• handelt SW pflichtwidrig
• Gericht hat SW zu entheben und neuen zu bestellen
Gericht kann Zustimmung des SW ersetzen!
Gefahr im Verzug ausgenommen!
Conclusio
Angehörige haben per se keine Mitbestimmungsrechte
Möglichkeiten der Einflussnahme:
• Beratung von einsichts- und urteilsfähigen PatientInnen
• Eltern bei Kindern
• Angehörige als Vorsorgebevollmächtigte
• Vertretungsbefugte nächste Angehörige für kleine
Behandlungen
• Angehörige als Sachwalter: objektives Wohl
Kommunikation zentral!
• Auch ohne rechtliche Entscheidungskompetenz
Literatur
Aigner, Das österreichische Patientenverfügungsgesetz (PatVG), J Neurol Neurochir Psychiatr 2007/4, 29.
Aigner/Kletečka/Kletečka-Pulker/Memmer, Handbuch Medizinrecht (2017).
Barth, Minderjährige Patienten im Konflikt mit ihren Eltern, ÖJZ 2005, 596.
Bernat, Behandlungsabbruch und (mutmaßlicher) Patientenwille, RdM 1995, 51.
Bernat, Die medizinische Behandlung Minderjähriger im österreichischen Recht – Selbst- und Fremdbestimmung nach dem Inkrafttreten des
Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001, VersR 2002, 1467.
Ilkilic, Begegnung und Umgang mit muslimischen Patienten. Eine Handreichung für die Gesundheitsberufe5 (2005).
Kern/Mazal (Hrsg), Die Grenzen der Selbstbestimmung (2003)
Kletečka-Pulker, Neue Formen der Einwilligung, RdM 2009/67.
Kletečka-Pulker/Körtner/Kaelin/Kopetzki/Leitner, Rechtliche Rahmenbedingungen und Erfahrungen bei der Umsetzung von
Patientenverfügungen. Folgeprojekt zur Evaluierung des Patientenverfügungsgesetzes (PatVG) (2014).
Kletečka-Pulker/Leitner, Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht – ein Erfahrungsbericht, Imago Hominis 2016/4, 235.
Kletečka-Pulker/Leitner, Vorsorgevollmacht – ein unterschätztes Instrument? NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft. Laut gedacht:
Wegweiser zur Umsetzung der Patientenrechte 2014,
http://www.patientenanwalt.com/download/Expertenletter/Stellvertretung/Vorsorgevollmacht_ein_Instrument_Kletecka_Leitner_Expertenlet
ter_Stellvertretung.pdf (abgefragt am 1. 4. 2016).
Kletečka-Pulker/Leitner, Warum braucht es einen Vorsorgedialog? Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht auf dem Prüfstand,
Hospizkultur & Palliative Care 2014/1, 3.
Kopetzki, Der Abbruch der künstlichen Ernährung beim Wachkomapatienten, in Kröll/Schaupp (Hrsg), Eluana Englaro – Wachkoma und
Behandlungsabbruch (2010) 61.
Kopetzki, Einleitung und Abbruch der medizinischen Behandlung beim einwilligungsunfähigen Patienten. Praktische Auswirkungen der
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Kopetzki, Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, in Kopetzki (Hrsg), Einwiligung und Einwilligungsfähigkeit (2002) 1.
Leitner, Patientenverfügung: Ein Instrument auch für die Notfallmedizin? in ÖGERN (Hrsg), Notfallmedizin am Lebensende. Schriftenreihe
Ethik und Recht in der Notfallmedizin Band 3 (2016) 83.
Leitner/Kletečka-Pulker, Der Vorsorgedialog (VSD). Beachtliche Patientenverfügung oder aktuelle Behandlungsablehnung? RdM 2017 (in
Druck).
Memmer/Kern (Hrsg), Patientenverfügungsgesetz. Stärkung oder Schwächung der Patientenrechte? (2006).