Post on 05-Apr-2015
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Die Arbeit an Emotionen in der Psychotherapie
Claas-Hinrich LammersKlinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Charité-Universitätsmedizin BerlinCampus Benjamin Franklin
claas-hinrich.lammers@charite.de
Der kalte Sinn löst den Knoten nicht
Fernando, in „Stella“ von J.W. Goethe
Irrtümer und Zweifel des Verstandes schwinden schneller und spurloser als die Irrtümer und Zweifel des Herzens
„Die Brüder Karamasov“ Fjodor Dostojewski
Das Herz hat seine Gründe, von denen der Verstand nichts weiß
„Pensees“ Blaise Pascal
Gliederung
II. Die Struktur emotionaler Konflikte
III. Die Therapie an und mit Emotionen
I. Die Bedeutung von Emotionen
I. Die Bedeutung von Emotionen
Motivationale Systeme
• Biologische Triebe (Hunger, Durst, Sexualität)
• Physischer Schmerz
• Emotionen (Ärger, Traurigkeit, Freude, Scham ect.)
Emotionen bestehen aus vier Komponenten
1. somatisches Geschehen i.S. einer Aktivierung der viszeralen
und muskuloskelettalen Systeme (z.B. Pulsbeschleunigung,
Schwitzen, Anspannung der Muskeln)
2. einem behavioralen Anteil (Handlung bzw. Handlungsimpuls)
3. Kognitionen (Wahrnehmung eines Stimulus, gedankliche Re-
präsentation, Bewertung)
4. einer subjektiven-empfindenen Komponente (Gefühl)
• Orientierung und Kontrolle
• Lustgewinn / Unlustvermeidung
• Bindungsbedürfnis
• Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung
Emotionen und Grundbedürfnisse des Menschen
• Emotionen zeigen die Befriedigung oder die Frustration von
Bedürfnissen an. Z.B.:
Bedürfnis Umwelt Emotion
Bindung Zurückweisung Angst
Bindung Kontakt Geborgenheit
Selbstwert Kritik Minderwertigkeit
Selbstwert Lob Stolz
Bedeutung von Emotionen
• Emotionen initiieren adaptive Handlungen in Bezug auf die
Bedürfnisse und die jeweilige Umwelt
Z.B.:
Angst Vermeiden, Weglaufen, Aufmerksamkeitssteigerung
Schuld Entschuldigung, Wiedergutmachung
Interesse Annäherung, Intensivierung des Reizes
Ärger Bekämpfen, Ablehnen, Entfernen
Bedürfnis Umwelt Emotion Handlung
Bindung Zurückweisung Angst Rückzug
Selbstwert Lob Stolz Aktivität
Kontrolle Überforderung Ärger Ablehnen
Grundbedürfnis = Selbstwert, Orientierung und Kontrolle,
Bindungsbedürfnis, Lustgewinnung/Unlustvermeidung
Primäre Emotion
Reaktion der Umwelt
Emotionsschematische Theorie
• In der Entwicklung wiederholt erfahrene Reaktionen der Umwelt auf ein Bedürfnis können zu Bildung eines emotionalen Schemas führen
• Ein solches Schema macht sich durch eine primäre Emotion bemerkbar
Grundbedürfnis = Selbstwert, Orientierung und Kontrolle,
Bindungsbedürfnis, Lustgewinnung/Unlustvermeidung
Primäre Emotion
Reaktion der Umwelt
Emotionsschematische Theorie
Adaptive
Reaktion
• Ohne emotionales Erleben sind wir
entscheidungsunfähig
• Nicht-bewusste Emotionen haben Einfluss auf unsere Entschei-
dungen.
z.B. Die „Somatic-marker-Theorie“ von Damasio, 1996
Bedeutung von Emotionen
• Emotionale Zentren des Gehirns regulieren kognitive Zentren;
umgekehrt regulieren kognitive Zentren auch emotionale Zentren,
aber deutlich schwächer
• Objekte menschlicher Erfahrungen werden als erstes bewertet
(Gut vs. Schlecht / positive vs. negativer Affekt)
• Zwischenmenschliche Interaktionen werden als erstes mit dem
Faktor emotional positiv vs. emotional negativ bewertet
Bedeutung von Emotionen
• Negatives motivationales Priming
Negative emotionale Reize bahnen Assoziationen, Repräsentationen
und Verhaltensprogramme im Vermeidungssystem, während positi-
ve emotionale Reize das Annäherungssystem aktivieren.
• Die Unterdrückung des Ausdrucks von negativen Emotionen
führt zu:
1. einer anhaltenden Intensität der Emotion
2. einer gesteigerten sympathischen Aktivierung
3. Einbußen im Gedächtnis
4. einer abgeschwächten Intensität von positiven Emotionen
• Negative Emotionen sind ein Signal zur Verhaltensänderung,
wodurch deren Erleben beendet werden kann
• Bei fehlenden Handlungsmöglichkeiten werden negative
Emotionen im Erleben zu vermeiden versucht
Bedeutung von Emotionen
ABC-Schema der Gefühle?
A = Situation B = Bewertung C = Emotion
A = Kritik B = Man mag C = Traurigkeit mich nicht
Emotionales Schema
Primäre Emotion: Minderwertigkeit Sekundäre Emotion: Traurigkeit
II. Die Struktur emotionaler Konflikte
Grundbedürfnis = Selbstwert, Orientierung und Kontrolle,
Bindungsbedürfnis, Lustgewinnung/Unlustvermeidung
Emotionales Schema
Problematische primäre Emotion
Emotionsschematische Theorie psychischer Erkrankungen
Schemata
• Wichtige Erfahrungen mit der Reaktion der Umwelt auf ein Be-
dürfnis werden als emotionales Schema gespeichert ->insb.
primäre Emotionen (core-emotion), Stimmungen, körperlichen
Reaktionen und Empfindungen
• Ein Schema wird durch situative Reize automatisch bottom up
aktiviert und dann unbewusst top down (kognitiv-behavioral)
exekutiert
• Man kann bei diesem Schema auch von einer emotionalen Kondi-
tionierung sprechen
Schemata
Beispiel
• Herr X. wurde in seiner Kindheit und Jugend andauernd
kritisiert. Sein Grundbedürfnis nach Selbstwert wurde frustriert
und er erlebte immer wieder die Emotion Minderwertigkeit.
Adaptiver Wert von Minderwertigkeit = Rückzug, Schutz vor
Frustration
• Im Erwachsenenalter führt jede Leistungssituation zu der mal-
adaptiven primären Emotion „Minderwertigkeit“
Instrumentale Emotion = eine „manipulative“ Emotion, die dazu
dient, eine bestimmte Reaktion beim Gegenüber hervorzurufen
Adaptive primäre Emotion = die unmittelbare, zuerst auftreten-
de hilfreiche Emotion nach einem Stimulus
Maladaptive primäre Emotion = eine unmittelbar auftretende
Emotion, die der Situation nicht angemessen und problematisch ist
Sekundäre Emotion = eine zeitliche verzögert auftretende,
kognitiv bearbeitete reaktive Emotion (dient häufig dazu, eine
primäre Emotion zu verdecken)
Verschiedene Funktionen einer Emotion
Schemata
2. Bewältigungsschema: Die Umgehensweise mit den aus den
Schemata hervorgehenden Emotionen
Vermeidung = des auslösenden Stimulus
Bekämpfung = der Emotion
Ertragen = der Emotion
1. Emotionales Schema: Schematische Reaktion auf Grund-
bedürfnissen
Annäherungsschema = positive primäre Emotion
Vermeidungsschema = negative primäre Emotion
Grundbedürfnis = Selbstwert, Orientierung und Kontrolle, Bindungs-
bedürfnis, Lustgewinnung/Unlustvermeidung
Primäre (mal)adaptive Emotion
Maladaptive Verarbeitung
Bekämpfen
(sek. Emotion)
Emotionales Schema
Maladaptive Verarbeitung
Vermeiden
(sek. Emotion)
Adaptive
Verarbeitung
(sekundäre
Emotion)
Maladaptive
Verarbeitung
ErtragenBewältigungsschemata
Emotionsschematische Theorie psychischer Erkrankungen
• Die emotionsfokussierte Therapie konzipiert eine Reihe
von psychischen Problemen als Ausdruck eines
emotionsphobischen Konfliktes
• Der Patient versucht das Erleben von aversiven problematischen
Emotionen zu vermeiden
• Die psychischen Symptome sind Ausdruck der Vermeidung einer
konflikthaften Emotion, für die der Patient keine Handlungskompe-
tenzen hat
Grundbedürfnis = Selbstwert
Primäre maladaptive Emotion
Angst, Minderwertigkeit, Scham
Maladaptive VerarbeitungBekämpfen = Ärger, Wut,
Selbsthass(sek. Emotion)
Emotionales Schema
Maladaptive VerarbeitungVermeiden =
PerfektionismusEmotion = Stolz,
Selbstbewusstsein, Überlegenheit
(sek. Emotion)Maladaptive Verarbeitung
Ertragen= Angst, Minderwertigkeit,
Scham
Bewältigungsschema
Emotionales Schema des narzisstischen Konfliktes
• Die Bewertung des Selbst beeinflusst das Erleben von primären
Emotionen und ist deswegen eine feste Größe in der Entstehung
und Aufrechterhaltung von emotional-kognitiven Schemata.
• Es gibt zwei grundsätzliche dysfunktionale Bewertungen des
eigenen Selbst:
1. „Ich bin schwach, hilflos“
2. „Ich bin schlecht und schuldig“
Selbst-Schemata und Emotion
• Grundbewertung: „Ich bin schwach, hilflos“
Wenn als primäre Emotion Unsicherheit auftritt, kommt z.B. als
sekundäre Emotion schneller Ärger oder Verzweiflung.
Selbst-Schemata und Emotion
• Grundbewertung: „Ich bin schlecht und schuldig“
Wenn als primäre Emotion Ärger auftritt, kommt z.B. als sekun-
däre Emotion schneller Traurigkeit oder Schuldgefühle
III. Emotionsfokussierte Therapie
Regulation vor Stimulation!!!
Vorteile des emotionsfokussierten Ansatzes
• Das Erkennen des motivationalen Konfliktes durch ein emotions-
fokussiertes Vorgehen ermöglicht ein effizienteres Einsetzen
von veränderungsorientierten Schritten
• Die emotionale Aktivierung und Prozessierung im Rahmen ver-
schiedener Therapiekonzepte ist unerlässlich für den Erfolg einer
Psychotherapie (Whelton, 2004)
• Die emotionale Intensität von Therapiesitzungen ist einer der
besten Prädiktoren für einen psychotherapeutischen Therapieerfolg
(Beutler et al., 2000; Iwakabe et al., 2000; Znoj et al., 2004)
• Bei der verhaltenstherapeutischen Expositionstherapien der An-
stieg von Angst unter der Exposition der wesentliche Prädiktor für
den Therapieerfolg (Kozak et al., 1988; Foa et al., 1995)
Erlebnisorientierte emotionsfokussierte Therapie:
• gutes psychosoziales Funktionsniveau
• keine Suizidalität
• gute Impulskontrolle
• Einsicht und Regulation von Abwehrverhalten
• guter therapeutischer Kontakt
Therapieindikation
Emotionsmanagement bzw. kognitive Verhaltenstherapie:
• schlechtes psychosoziales Funktionsniveau
• Suizidalität
• selbst-oder fremdschädigenden Impulse bzw. Emotionen
• im Vordergrund stehendes Abwehrverhalten
• dissoziative Zustände
Die Grundannahmen der emotionsfokussierten
Therapie sind:
3. Die sekundären Emotionen bzw. andere vermeidende Verhaltens-
weisen werden mit der Zeit symptomatisch, d.h. problematisch
2. Das Erleben dieser Emotion wird phobisch vermieden, indem
sekundäre Emotionen bzw. vermeidende Verhaltensweisen akti-
viert werden
1. Patienten haben lerngeschichtlich einen intrapsychischen Konflikt
erfahren, in dessen Mittelpunkt eine problematische adaptive
oder maladaptive Emotion steht
Basisziel des Umganges mit Emotionen
Nicht frei von Emotionen sein,
sondern frei in Emotionen sein
1. Die Förderung der Wahrnehmung von Emotionen
Vier psychotherapeutische Prozesse zur
Veränderung von Emotionen
4. Die Veränderung von Emotionen
2. Die Förderung der regulatorischen Fähigkeit im Umgang mit
Emotionen
3. Die Steigerung der emotionalen Einsicht
Ziele der therapeutischen Arbeit an Emotionen
2. Qualitative Veränderung der maladaptiven primären Emotion
1. Identifikation und Korrektur der sekundären Emotion (Bewälti-
gungsstrategien) und deren vermeidende Funktion (primäre
Emotion)
3. Akzeptanz und Exposition mit der adaptiven primären Emotion
und Emotionsdesensitivierung
4. Training von Emotionsausdruck und emotionsadäquates
Verhalten 5. Restrukturierung selbstabwertender Prozesse
Techniken in der Arbeit an Emotionen
• Erlebnisorientierte Therapie => emotionale Aktivierung
z.B. Imagination, Rollenspiel, Emotionsstimulation
• Empathie und Validierung
• 2-Stuhl-Technik
• Klärungsorientierte Arbeit mit Reparenting
• Kognitive und behaviorale Arbeit; z.B: Emotionsanalysen und
tagebuch; Umsetzen von Emotionen in Ausdruck und Verhalten
• Gibt es bei dem Patienten noch dysfunktionale Bewältigungs-
strategien, die mit sekundären Emotion einhergehen?
• Kann der Patient seine adaptiven primären Emotionen wahr-
nehmen, aushalten und akzeptieren?
• Kann der Patient die Bedürfnisse erkennen, die durch seine adap-
tiven primären Emotionen ausgedrückt werden?
• Ist der Patient in der Lage, seine adaptiven primären Emotionen
angemessen auszudrücken bzw. in Handlungen umsetzen?
Emotions-Checkliste
• Hat der Patient eine maladaptive primäre Emotion, die korrigiert
werden muss?
Buchtips
2. McCullough et al., Treating Affect Phobia
3. J Young. Schematherapie
4. L. Greenberg, Emotion-Focused Therapy
1. P. Ekman, Gefühle lesen
5. S. Hayes, Akzeptanz und Commitment Therapie
Die Arbeit an Emotionen in der Psychotherapie
Claas-Hinrich LammersKlinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Charité-Universitätsmedizin BerlinCampus Benjamin Franklin
claas-hinrich.lammers@charite.de