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Deu tsche r G e w e r k s c h a f t s b u n d
DGB Hessen-Thüringen 19 ,201 6 i . i
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I Warsbergstraße 1 | 99092 Erfurt
Thüringer Landtag
Ausschuss für Europa, Kultur und Medien
Jürgen-Fuchs-Straße 1
99096 Erfurt
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DGB Stellungnahme Europapolitische Strategie Thüringen
Grundsätzliche Anmerkungen
Die Europäische Union gründet im freien Zusammenschluss der europäischen Staaten und
im Respekt vor ihrer Vielfalt. Sie ist eine Antwort auf die Zerstörung Europas im zweiten
Weltkrieg und auf eine deutsche Hybris, die sich das vielfältige Europa Untertan machen
wollte, nicht zuletzt durch eine Politik und durch Ordnungsvorstellungen, die den Nachbarn
aufgezwungen werden sollten. Der Erfolg dieser inneren Einheit Europas wurde in den letz
ten Jahren, gerade auch durch die deutsche Austeritätspolitik, immer wieder aufs Spiel ge
setzt.
Aus Sicht des DGB ist Europa ist in seiner bislang schwersten, bzw. in einer existenziellen
Krise, die an die faktischen und die moralischen Wurzeln des Zusammenschlusses geht. Die
britische Abstimmung über den Austritt des Königreichs aus der EU, die noch immer nicht
gelöste Euro-Krise, die zunehmende Polarisierung gegenüber Russland und die Zuspitzung
des Dramas um geflüchtete Menschen, in dem die Abschottung zwischen den Staaten zu
nimmt und Europa zu jener Festung zu werden droht, die es nie werden wollte - all dies
unterminiert unsere Wertegemeinschaft und trägt zur Auflösung des europäischen Zusam
menhalts bei.
Sorge bereitet dem DGB zusätzlich, dass eine Reihe von Mitgliedsländern der EU unter
dem Druck rechtskonservativer, rechtsextremer und europaskeptischer Parteien steht, die
bei einem Wahlerfolg dem britischen Vorbild nachfolgen dürften. Die jüngsten Studien der
OECD erkennen, mit Ausnahme der skandinavischen Länder, eine zunehmende soziale
Spaltung in den europäischen Mitgliedsländern, die ebenfalls zu einer Stärkung der rechts
extremen Parteien beiträgt.
Die Austeritätspolitik, die auf Druck Deutschlands alternatives durchgesetzt wird und wel
che die demokratische Legitimation der EU schon seit Jahren unterminiert, stärkt zudem
Fliehkräfte, die das grenzenlose Europa erst schwächen und dann zerstören können. Da
runter leidet die Attraktivität der Europäischen Idee bei den jungen Europäerinnen und Eu
ropäern, die besonders stark von Arbeits- und Perspektivlosigkeit betroffen sind.
Aus all den genannten Gründen ist die Initiative Thüringens, für eine landespolitische Euro
pastrategie ausdrücklich begrüßenswert. Es geht darum umzusteuern. Auf neuen Wegen
müssen wir zur Wiederbelebung der einigenden Europäischen Idee durch konkrete wirt
schaftliche, soziale, friedenspolitische und kulturelle Initiativen und Strategien gelangen
und damit den Europäischen Zusammenhalt stärken und weiterentwickeln.
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Der DGB steht, nicht nur im Rahmen der Europapolitischen Strategie des Freistaats Thürin
gen, bereit die einigende Europäische Idee zu stärken und weiter zu entwickeln. Innerhalb
laufender, regionaler Partnerschaften mit weiteren Gewerkschaften in unterschiedlichen
Teilen Europas, tragen wir außerdem unseren Teil zur Weiterentwicklung der europäischen
Idee eines Europas der Menschen bei.
Die Europapolitische Strategie Thüringens wird im Grundsatz begrüßt und positiv begleitet.
Auf eine differenzierte Stellungnahme zu jedem einzelnen Punkt der Strategie wird aller
dings hier verzichtet. Die Stärkung der Regionen im europäischen Prozess ist durchaus be
grüßenswert. Dennoch präferiert der DGB eine Zusammenführung der europapolitischen
Positionen auf Ebene des Bundes.
Zu zwei Punkten aber entsprechende Anmerkungen:
Entwicklung der europäischen Verträge
Den Einsatz Thüringens für transparente Verfahren und eine angemessene Beteiligung der
nationalen Parlamente inkl. der Länderkammer Bundesrat, bei der Weiterentwicklung der
europäischen Verträge vor allem in Richtung sozialer Fortschrittsklausel, begrüßt der DGB
ausdrücklich. Es steht aber ehrlicherweise zu befürchten, dass bei den vielen unterschiedli
chen Interessen der 16 Bundesländer, aber auch der Fraktionen im Bundestag und nicht
zuletzt im Europäischen Parlament, die Thüringer Stimme kein ausreichendes Gewicht hat,
um Veränderungsprozesse im genannten Sinne, zu gestalten. Es wird viel mehr darauf an
kommen, die landespolitische Strategie auf allen Ebenen zu tragen und strategische Part
nerinnen zu gewinnen um daraus eine Bundesstrategie zu entwickeln. Einer Stärkung des
Europaparlaments, mit gesetzgeberischem Initiativrecht, steht der DGB im Grundsatz auf
geschlossen gegenüber,
Soziale Dimension der EU stärken
Die in der Landesstrategie benannten Thüringer Ziele sind vor allem mit Blick auf die Wei
terentwicklung der sozialen Querschnittsklausel des Art. 9 AEUV zu einer sozialen Fort
schrittsklausel unterstützenswert. Stark zu begrüßen ist die zentrale Rolle, welche die Lan
desstrategie den Sozialpartnern, also den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden
hierbei zuschreibt. Eine direktere Einbeziehung, vor allem der DGB Gewerkschaften, in die
Ausrichtung der eigenen Thüringer Umsetzung Europäischer Programme, wäre aus Sicht
des DGB wünschenswert.
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Zu den einzelnen Fragestellungen nimmt der DGB wie folgt Stellung.
1. Der DGB hat die Europapolitische Strategie des Freistaates Thüringen erstmalig über
das Anschreiben zur Anhörung vom 20. Juni 2016 zur Kenntnis genommen.
2. Die gewählten Schwerpunkte der Europapolitischen Strategie des Freistaats
Thüringen können zusammengefasst als ambitioniert bewertet werden. Bei allen
Befürchtungen, dass Thüringen wenig Einfluss nehmen kann auf alle
angesprochenen Problematiken ist vor allem die Fokussierung auf die Europäische
Union als Friedens- und Sozialunion unterstüzenswert.
3. Der Fokus der Landesregierung im Teil C der Europapolitischen Strategie wird
begrüßt und unterstützt. Vor allem die direkten Mitwirkungsmöglichkeiten für
Unionsbürgerjnnen im Rahmen Europäischer Bürgerinitiativen müssen gestärkt
werden. Das EIZ sollte nach Möglichkeit in allen Planungsregionen mit einem Büro
und Ansprechpartnerjnnen verankert sein. Die Fokussierung auf junge Menschen
und den ländlichen Raum ist wichtig. Hier ist darauf hinzuweisen, dass junge
Menschen europaaffiner als andere Generationen sind und weitere Zielgruppen
nicht außer Acht gelassen werden sollten. Junge Menschen partizipieren dabei aber
verstärkt von europäischen Möglichkeiten des Kennenlernens als andere
Generationen.
4. Am stärksten betrifft Arbeitnehmerjnnen und damit auch den DGB und seine
Gewerkschaften der Strang „interregionale Vernetzung der Wirtschaft". Es ist zu
begrüßen, wenn die Landesregierung hier stärker unterstützt. Die Implementierung
von tarif- und mitbestimmungsrechtlichen Fragestellungen im Rahmen dieser Arbeit
steht dabei leider nicht im Fokus. Die Finanzierung eines europäischen
gewerkschaftlichen Austausches auf Jugend- aber auch Erwachsenenebene wäre
wünschenswert. Ein Beispiel: Delegationen von Thüringer Ministerien /
Ministerinnen ins „europäische Ausland" werden stark begleitet von
Firmenchefs bzw. Geschäftsführer_innen. Gewerkschafter_innen,
Betriebsrätjnnen, Jugend- und Auszubildendenvertretungen sollten aber
ebenso in diese Delegationen eingebettet werden, um den Austausch
über Mitbestimmung und Tarifbindung auf europäischer Ebene voran zu
bringen.
5. Der DGB sieht keine weiteren Schwerpunkte, sondern spricht sich für eine Stärkung
der Mitbestimmungsstrukturen der Betriebs- und Personalräte im Austausch auf
europäischer Ebene aus, Veranstaltungen des EIZ, die sich um eine positive
Bewerbung von Mitbestimmung und Tarifbindung bemühen, wären ein Beispiel für
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eine Erweiterung des bisherigen Portfolios der Umsetzung der europapolitischen
Strategie.
6. Siehe Frage 5
7. Die INTERREG Programme sind bei Fachleuten und thematisch orientierten
Lobbygruppen sicherlich bekannt. Darüber hinaus ist der Bekanntheitsgrad aber
niedrig. Soziale Medien sind genauso zu nutzen wie regelmäßige Ansprache
potentieller Nutzergruppen. Im Bereich der Berufsbildung gibt es einen
Landesausschuss für Berufsbildung. Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ebenso einen
Landesbeirat. Warum also nicht einen Landesbeirat Europa, angesiedelt in
der Staatskanzlei, unter Einbindung der Spitzenorganisationen der
Sozialpartner u.a.
8. Hürden in der Nutzung der INTERREG Programme sind oft fehlende Ressourcen der
potentiellen Nutzergruppen. Es gibt in Thüringen in den wenigsten Fällen
europapolitische Abteilungen die sich um die Nutzung solch wichtiger Programme
kümmern können, Deshalb ist eine Ansprech- und Werbestruktur aus unserer Sicht
wichtig.
9. Die Öffentlichkeitsarbeit der Thüringer Landesregierung sollte sich auf die positive
. Darstellung und den Wert des geeinten friedlichen Europas beziehen,
Austauschprogramme als Chance des Blicks über den eigenen Tellerrand, Ein
Beispiel: „Europa ist weit weg" ist der häufig gehörte Satz, wenn es um Europa
geht. Oft ist ganz in der Nähe irgendetwas mit Fördermitteln aus der Europäischen
Union saniert worden. Aber kaum jemand weiß es.
10. In den sozialen Medien Thüringens findet sich kein attraktiver Auftritt zum Thema
Europa, Es gibt gefühlt keine direkt ausgemachte Zielgruppe bzw, falls es diese gibt,
ist es ein Closed Shop.
11. Europapolitische Bildungsarbeit für junge Menschen findet u.E. meistens über die
Europäische Jugendbildungs- und Begegnungsstätte in Weimar statt. Diese muss
gestärkt und finanziell so ausgestattet sein, dass eine kontinuierliche
Weiterentwicklung stattfinden kann. Eine Stärkung der Jugendverbandsarbeit mit
Programmen zum Austausch auf europäischer Ebene wäre eine sinnvolle Ergänzung.
Der Landesjugendring Thüringen ist hier sicher guter Ansprechpartner.
12. Über die Arbeit der Europäischen Informationszentren ist beim DGB so gut wie gar
nichts bekannt.
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13. Wie Fragen
14. Oie Europe Oirekt Informationszentren müssen u.a. attraktive Kanäle Inden sozialen
Medien schaffen. OirekteAnsprachevon Zielgruppen und direkte Erreichbarkeit für
diese Zielgruppen sind wichtig für die europapolitische Öffentlichkeitsarbeit
Thüringens.
15. Oie Bedeutung der bestehenden Pegionalpartnerschaften Thüringens, für die
künftige Entwicklung Thüringens, sind nichtzu vernachlässigen. Nur wenn die
Partnerschaft gelebt und dasgemeinsame voneinander lernen und der Austausch
von Ideen im Vordergrund steht, können diese Partnerschaften aber auch auf Europa
und seine Bürgerinnen ausstrahlen. Nur einmal im Jahr besucht Politik die Politik,
ist keine sinnvolle Partnerschaft. Natürlich ist der politische Austausch wichtig. Oer
Austausch könnte aber zusätzlich verstärkt auf Ebenederjenigen stattfinden, die sich
bspw. ehrenamtlich für das Funktionieren demokratischen Zusammenlebens
einsetzen.
1 .̂ Oie bestehenden Pegionalpartnerschaften haben unseres Erachtens wenig bis keine
Bedeutung für die in Thüringen lebenden Menschen.
17. Siehe Antworte
18. Oie Folgen neuer Pegionalpartnerschaften für die in Thüringen lebenden Menschen,
dürften überschaubar sein.Wie in FrageJSbereits angesprochen müssen diese
Partnerschaften auch auf Ebene der in Thüringen lebenden Menschen implementiert
werden.
19. Oer 0GB hat auf Bundesebene eine europapolitische Abteilung. Im 0GB Flessen^
Thüringen gibt es einen politischen Ansprechpartner für europapoltische
Fragestellungen. Über einSPegionen Projekt gemeinsam mit Gewerkschaften aus
Flessen^Thüringen, Spanien, Polen, Italien und Frankreich gibt es einen
regelmäßigen sozialpolitischen Austausch. Oirekter Kontakt zu den europäischen
Institutionen bleibt aber eher die Ausnahme.
20. Wahlen und Unterschriftensammlungen sind die bisherigen Möglichkeiten der
Einflussnahme der in Thüringen lebenden Menschen auf die Entscheidungsprozesse
der EU. Oie Mitgliedschaft in Gewerkschaften und weiteren europäisch
ausgerichteten Organisationen erhöht die Möglichkeiten der Einflussnahme etwas.
Oie europapolitische Strategie des Freistaats Thüringen kann, wenn diese praktische
Auswirkungen entfaltet, ein Baustein einer besseren Beteiligung, auch der in
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Thüringen lebenden Menschen, an europäischen EntScheidungsprozessen sein.
21. Die Verbesserung der europapolitischen Öffentlichkeitsarbeit wird keine
Verbesserung der Mitwirkungsmöglichkeiten der in Thüringen lebenden Menschen
bringen. Dafür bedarf es konsequenter politischer Entscheidungen, die sich in der
Landesstrategie wieder finden.
22. Direkt partizipatorische Möglichkeiten auf allen Ebenen werden vom DGB
grundsätzlich begrüßt.
23. Europäische EntScheidungsprozesse sind tatsächlich häufig intransparent. Eine
Stärkung und Erweiterung der Kompetenzen des Europaparlaments ist zu forcieren.
Es ist am Ende auch Aufgabe der Abgeordneten des Europäischen Parlaments über
Veranstaltungen und eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit, für mehr Transparenz zu
sorgen. Als absolutes Negativbeispiel für intransparente europäische Prozesse gilt
wohl das transatlantische Handelsabkommen TTIP.
24. Gemischte Abkommen sind zum Beispiel eine richtige Antwort in Europa. Nationale
und regionale Parlamente sind beteiligt und müssen zwangsläufig konsultiert
werden. Außerdem kommt den nationalen Parlamenten (hier Bundestag) und
regionalen Parlamenten (hier Thüringer Landtag) eine Übersetzer- und
Aufklärungsrolle zu. Die in Thüringen lebenden Menschen müssen über ihre
Wahlkreisabgeordneten, über Entscheidungen und entsprechende Hintergründe
informiert werden.