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Crisis Resource Management
Jennifer Borgmann & Anja HerrmanSeminar: Trauma & Traumaverarbeitung
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Inhalt• Einleitende Studie (Institut of Medicine „To err is human“)• Beispiel aus der Luftfahrt• Bestehende Fehlerkultur• Crisis Resource Management (CRM)• Incident Reporting Systeme
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Institut of Medicine: „To err is human“
• Fehler in der Medizin gehören zu den 10 häufigsten Todesursachen bei stationär aufgenommenen Patienten
• vermeidbare Fehler rangieren deutlich vor Todesursachen wie Brustkrebs, AIDS und tödlichen Verkehrsunfällen.
• „five jears after to err is human” wurden die zwischenzeitlich gemachten Erfahrungen neuerlich zusammengefasst (Leape et al. 2005)
Resultat: das Problem ist größer als 1999 angenommen
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Schlüsselbotschaften von „to err is human“
80% aller Komplikationen und Katastrophen sind auf das Team und/oder Kommunikationsdefizite zurückzuführen
kritischen Faktor: herrschende „Fehlerkultur“
• Wir leben in einer Kultur, die Fehler für unmöglich hält „culture of blame“
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„naming, blaming, shaming“
Fehler haben immer noch den Beigeschmack v. Schuld oder Unfähigkeit oder werden gleich mit der Verurteilung der gesamten Person verknüpft.
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Beispiel aus der Luftfahrt
Die Luftfahrt bietet hinsichtlich der Ursachen von Fehlern einige
Parallelen zur Medizin.
1978 stürzte eine Linienmaschine mit 181 Passagieren ab
Was war geschehen?
defekte Kontrolllampe
Der Pilot setzte sich über die Empfehlung des
Copiloten weg, dass Flugzeug trotzdem zu landen
kreiste über dem Flughafen bis das Flugzeug wegen
Treibstoffmangel abstürzte
10 Tote
Landung bei nicht ausgefahrenem Fahrwerk i. d. R. ohne Verlust von Menschenleben möglich
Anlass für die Entwicklung eines ersten psychologischen Trainingsprogramms.
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Warum können wir mit unseren Fehlern so schlecht umgehen?
Anspruch eine komplexe Situation (eine Operation oder das Fliegen) fehlerfrei
beherrschen wollen.
Fehler sind dabei negativ besetzt
führt dazu, dass Fehler nicht bearbeitet, sondern vergessen und verdrängt werden (die Umstände sind schuld)
gilt insbesondere für Fehler die folgenlos geblieben sind
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„Wir können Fehlern nur adäquat begegnen, wenn wir akzeptieren, dass wir Fehler machen.“
passive Fehler (Unterlassen einer Handlung)
in dynamischen Umgebungen wie die der Notfallmedizin gefährlich
„nichts tun“ ist auch eine andauernde aktive Entscheidung
aktive Fehler
kann man nach der Art ihres Entstehens einteilen:
● Fehler auf Ebene des theoretischen Wissens
● Fehler durch Anwendung falscher Regeln
● Fehler auf Ebene der praktischen Fertigkeiten
● sog. Ausrutscher oder Versehen
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Fehlerarten
Im Hinblick auf präventive Maßnahmen ist auch die Unterscheidung von
systematischen und zufälligen Fehlern wichtig.
zufällig:
ungünstige, einmalige Kombination von Umständen
systematisch
konstanten, regelmäßig auftretende Konstellationen.
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Zwischenfallsentstehung
Ein wichtiger Faktor ist die Erkenntnis, dass Zwischenfälle meist nicht plötzlich eintreten, sondern eine Art Evolution hinter sich haben. Diese bezieht sich sowohl auf die Zeit als auch auf die Ursache. (Reason, 1994)
Faktor Mensch kann nicht beeinflusst werden
jedoch die Bedingungen (Technik Organisation) unter denen Menschen arbeiten.
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Bedingungen der Realität
Erstmalige Erleben einer Situation
Unzureichende Vertrautheit mit der Ausrüstung
Müdigkeit & Stress (Studien über psychomotorische Leistungsfähigkeit haben ergeben, dass ein ausgedehntes Schlafdefizit einer nicht unerheblichen Blutalkoholkonzentration gleichzusetzen ist )
Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
Heuristiken
Geteilte Aufmerksamkeit
Konzentration auf eine Aufgabe führt zur vollständigen Blindheit für wichtige Hinweisreize
● Kognitive Anforderungen
● Einfluss der Persönlichkeit (bspw.auf das Fliegen)
● Soziales Umfeld
Zwischenfallsentstehung, begünstigende Faktoren: human factors
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Crisis Resource Management (CRM) = Allgemeines Management von Zwischenfällen
● David Gaba: Curriculum zum Training an Patienten-simulatoren
● Ziel: Prinzipien und Erkenntnisse der „Human-Factor“- und Fehlerforschung, so am Simulator trainieren, dass sie Eingang in die tägliche Routinearbeit finden
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ACRM-Kurse: Prinzipien und Erkenntnisse der „Human-Factor“- und Fehlerforschung am Simulator zu trainieren
„nichtfachlichen“ Aspekte der Arbeit wie:
- Kommunikation
- Teamarbeit
- Ausnutzen aller verfügbaren Ressourcen („resourcemanagement“)
- Vorausplanen
- Absprachen treffen
- Aufmerksamkeit geschickt verteilen
- rechtzeitiges Anfordern von Hilfe
- Vermittlung, wie Fehler entstehen und welche Konstellationen
besonders gefahrenträchtig sind
- Strategien anbieten, wie man Fehler vermeiden, erkennen und bekämpfen kann
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Beispiel: Anästhesiesimulator.
• Erscheinungsbildes hochrealistisch
• auch wenn bestimmte Reaktionen wie Schweiß- sekretion oder Änderung des Hautkolorits heute noch nicht simuliert werden können.
• Evaluation: Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten Obwohl bisher noch nicht bewiesen ist, geht man derzeitig davon aus, dass die Simulationtechnik hervorragend geeignet ist, nichttechnische Fähigkeiten zu trainieren
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Incident Reporting Systeme
Die Critical Incident Technik zeichnet sich
dadurch aus, dass durch das Sammeln
von Informationen über kritische Zwischenfälle Erkenntnisse für
Korrekturen ("Schließen von Sicherheitslücken") gewonnen werden
künftige Fehler vermeiden
Basis : anonyme Meldungen von kritischen Ereignissen
Voraussetzung: Abkehr von der 0 Fehler Forderung, Hinwendung zum Fehler
Management
Beispiel: Pasis oder PaSOS (Patienten Sicherheits Optimierungs System)
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Vorteile Incident Reporting
● Einfacher und breiter Zugang via Internet
● Direktes und anonymes, fallbezogenes Feedback
● Analysen zu den einzelnen Fallberichten
● Rückfragemöglichkeit für das Analyseteam an den Melder
● Meldungen direkt vom Melder zu PaSOS, niemand in der Institution erfährt davon
● Für PaSOS als Redaktion gilt Presserecht und damit ein Zeugnisverweigerungs-recht und eine Beschlagnahmeeinschränkung für alle Daten
● Eine Sammlung von solchen Ereignissen kann strukturiert untersucht werden,
● betont Elemente, die ein System besonders verletzbar machen
● ermöglicht Einsicht in Bewältigungs- und Vermeidungsstrategien
● Breite online-Visualisierung von bestehenden Incidents: Jeder kann aus Incidents von Anderen lernen (präventive Wirkung)
Patienten-Sicherheits-Optimierungs-System
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Nachteile Incident Reporting
● nur Ereignisse die bewusst realisiert und memoriert werden
● Voraussetzung: exaktes und wahrheitsgetreues Reporting
● Die CIT-Technik betont Ereignisse, die eher selten sind während sehr häufige, 'banale' Ereignisse eher untergehen
Under-reporting von beinahe Zwischenfällen und Problemen ohne direkte Folgen ("Eisberg-Phänomen)
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Krisenintervention
● Begriffsklärung Krisenintervention● Vorgehen● Gruppenintervention● Kontraindikation, Weiterleitung● Dont`s● Programm Critical Incident Stress Management● Diskussion
KriseninterventionDef.: Eingreifen nach dem Höhepunkt einer Gefahr
Def. traumat. Krise DSM-IV:
Betonung der subjektiven Aspekte „Die Reaktion der Person umfasse intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.“
Reaktionen: leichte Reaktionen ohne Krankheitswert bis PTBR
Def.: Psychologische Krisenintervention (Hallenberger):Bereitstellung aufsuchender Verhaltens- und Erlebnisorientierter Hilfe für alle Beteiligten einer Krise.
Im Verlauf der Krisenintervention soll die Stresssymptomatik reduziert und der psychische Zustand der Betroffenen diagnostiziert werden.
Sie beginnt mit der Psychischen Ersten Hilfe und endet mit der Nachsorge bzw. einer Überleitung an eine psychotherapeutische oder eine psychiatrische Fachkraft.
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Wichtig:
● Auf Einsatzkräfte zugehen.
Personen in Notsituationen
sind häufig nicht in der Lage,
ihre Not selbst zu bemerken,
zu beschreiben und aktiv
nach Hilfe zu suchen.
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Wichtig
● Alle Beteiligten einer Krise im Blick behalten, auch die berufliche und die soziale Umwelt.
● Arbeit an den Auswirkungen des Traumas
● Nachsorge!
Ziele psychologischer Krisenintervention
1. Bereitstellung aufsuchender psychologischer Hilfe für alle Beteiligten
2. Verringerung der Stresssymptomatik
3. Diagnostik und gegebenenfalls Weiterleitung an Fachkräfte
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Diagnostik in der Krisensituation
● Viele Krisenhelfer nicht psychologisch geschult● Kenntnis der Symptome (ABR, PTBR)● Einteilung potentiell traumatisierter Betroffener:
– Selbsterholungsgruppe– Wechslergruppe– Risikogruppe
● Suizidgefährdung abklären!● Problematisch: Motivation zu Therapie
Hilfreiches VorgehenDosierte KonfrontationGedanken ordnenUnterstützen, nicht Bemuttern
kognitive und affektive Restrukturierung
Gewinn von Kontrolle überdie traumatische Erfahrung
Von der Seele reden
?
Hilfreiches VorgehenWissen, dass die erlebten Reaktionen zu den üblichen Folgen des Erlebten gehören
Symptome sind„normale Reaktion aufeine unnormale Situation“
Erklären der Symptome als Überlebensmechanismen Rückkehr zu kognitiver Informationsverarbeitung. Erleichterung, nicht verrückt zu sein
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Bewältigungsstrategienaktive
Bewältigungsformen -
Problemlöseorientiert
Positive Neubewertung
Konstruktiver Ausdruck und die Mitteilung von Gefühlen
Flucht/ Vermeidung führt zu weiteren Leiden
Selbstbeschuldigung
Abwehr von Unterstützung
Hilfreiche soziale Unterstützung
Emotionale Unterstützung
Informationen
Soziale Begleitung
Instrumentelle Unterstützung Austausch mit Kollegen:
- Ist das meine Schuld?- Hab ich was falsch gemacht?- Hätte ich vielleicht mehr tun können?
Krisenintervention in Gruppen
Direkte Lerneffekte duch InteraktionenWohlbefinden mit anderen erlebenOrientierungshilfe für Bewältigung erhaltenGemeinschaftserfahrungInformation (PE) und Vorbereitung für weitere Therapie
Achtung : in Gruppen keine stark belastete Personen wegen Gefahr der Retraumatisierung
Take Up and Back Up
Zuhören, Sprechen
Psychoedukation
Ressourcenorientierung und Bewältigung
Soziale Unterstützung
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Kontraindikationen
● Personen mit hoher prätraumatischer Belastung● Personen mit schweren dissoziativen
Symptomen● Typ 2 Traumen● Substanzmissbrauch● Mangelnde Distanzierungsfähigkeit zum
traumatischen Ereignis● Instabile psychosoziale und körperliche
Situation
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Kontraindikationen
● Mangelnde Affekttoleranz● Unkontrolliert autoaggressives Verhalten● Akute Suizidalität● Psychotisches Erleben
● In diesen Fällen Weiterleitung an Spezialisten indiziert
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Dont´s der Krisenintervention
● Nicht traumaadaptierte Techniken● Frühkindliche Deutung● Alleinige Pharmakotherapie ● Passive Helfer- (Therapeuten) Haltung● Alleinige unvorbereitete Traumakonfrontation
ohne Einbettung in Behandlungsplan● Drängen auf Katharsis
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Critical Incident Stress Management (CISM), Mitchell & Everly 2002
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Critical Incident Stress Management (CISM), Mitchell & Everly 2002
Intervention Ziele
1. Vorbereitung auf Krise Erwartungen aufbauen, Stressbewältigung verbessern
2. Indiv. KI, „eins zu eins“
Symptomlinderung, Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit
3. Demobilisierung, Hinweise, Gruppeninformationen
Info, Beratung, Psych. Dekompression, Stressmanagement
4. Defusing Symptomlinderung, möglicherweise Abschluss
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Interventionen Ziele
5. Critical Incident Stress Debriefing (CISD)
Psychischen Abschluss ermöglichen, Symptomlinderung
6. Systeme (Familie, Organisationen)
Kommunikation und Unterstützung fördern, Abschluss wenn möglich oder Überweisung
7. Nachsorge, Überweisung
Einschätzung des psychischen Status, Betreuung durch Spezialistem veranlassen
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Defusing - innerhalb der ersten 12 h
● 1. Einleitung– Vorstellung– Grund und Ziele der Intervention– Grundregeln– Erwartungen
● 2. Exploration bezüglich Art und Auswirkungen der Krise
● Information zu Stress und Bewältigungsmöglichkeiten
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Critical Incident Stress Debriefingnach 1-10 Tagen
1. Einleitungsphase:
Teamvorstellung, Vorgehen, Erwartungen, Regeln
2. Faktenphase:
Schilderung des Ereignis
3. Gedankenphase:
gedankliche Reaktionen
4. Reaktionsphase:
Identifizierung der am stärksten traumatisierenden Aspekte des Vorfalls, kathartische Entlastung ermöglichen
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Critical Incident Stress Debriefingnach 1-10 Tagen
5. Symptomphase
Identifizierung aller Symptome von
Stress oder psychischer Anspannung
6. Informationsphase
Normalisierung und Entpathologisierung der Reaktionen, Vermittlung einfacher
persönlicher Stressbewältigungsmöglichkeiten
7. Rückorientierungsphase
Abschluss, Beantwortung aller Fragen, Bedarf an Nachsorge abklären
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Einblick in die Praxis:
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Diskussion
„Psychologische Krisenintervention beginnt schon vor Eintritt der Verletzung.
Zum einen dadurch, dass das Hilfsmittel psychologische Krisenintervention unverzüglich genutzt werden kann.
Zum anderen können schon im Vorfeld Maßnahmen durchgeführt werden, die das Auftreten von Hilflosigkeit, Furcht, Entsetzen oder Tiefgreifender Verzweiflung beeinflussen.“
Frank Hallenberger, 2006
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Literatur
● Hallenberger, Frank (2006). Psychologische Krisenintervention für Einsatzkräfte. Frankfurt: Verlag für Polizeiwissenschaft.
● Grube, C. et al. (2002). Man at Risk. Aktuelle Strategien zum Risikomanagement in der Anästhesie. Anaesthesist, 51: 239-247.
● Rall, M. et al. (2002). Neue Trainingsformen und Erhöhung der Patientensicherheit. Sicherheitskultur und integrierte Konzepte. Unfallchirurgie, 105: 1033-1042.
● Müller, M.P. et al. (2006). Vom Fehler zum Zwischenfall – Strategien zur Erhöhung der Patientensicherheit in der Anästhesie. Anästhesie und Intensivmedizin, 47: 13-25.
● World Wide Web