Post on 16-Jul-2019
transcript
Braucht es bei jedem Kopfschmerz ein CT?Marcel Arnold, Neurologische Klinik
Kopfschmerz und CT
• Bei welchen Patienten braucht es keine Bildgebung?
• Bei welchen Patienten braucht es eine Bildgebung?
• In welcher Situation genügt ein CT nicht?
Patient 1, 1960
• Seit 1990 Anfälle von stärksten, stechenden, rechtsseitigen retro- und supraorpitalen Schmerzen, meist in den Wintermonaten
• Tränenfluss, Rhinorrhoe, konjunktivaleInjektion
• Keine Aura, keine Nausea• Gelegentlich leichte Photophobie
• Dauer (unbehandelt): ca. 60-90 Min. • Schmerzmaximum: nach ca. 5 Minuten• Schmerzintensität: VAS 7-10• Zeitpunkt: meistens in den frühen Morgenstunden• Frequenz: meistens 1-5x tgl. • Therapie: Zeitweise gutes Ansprechen auf Imigran 6 mg s. c.• Auslösende Faktoren: keine• Abklärungen: MRI Schädel vor 3 Jahren (damals Zunahme
der Anfallsfrequenz)
Patient 1, 1960
• Aktuell Zunahme der Anfallsfrequenz seit 6 Tagen (7-9 x täglich)
• Schmerzcharakter, Dauer etc. unverändert• Ansprechen auf Imigran s. c. weiterhin gut,
jedoch limitiert auf maximal 2 Mal täglich
Patient 1, 1960
• Diagnose: Cluster-Kopfschmerz mit Zunahme der Anfallsfrequenz, Ansprechen auf Imigran
• Procedere: – Keine Bildgebung– Anfallstherapie: O2 und Imigran s. c.– Basistherapie: Verapramil
Patient 1, 1960: Diagnose, Procedere
• Nikotinabusus, orale Antikonzeption• Seit 3 Wochen zunehmende holokranielle
Dauerkopfschmerzen• VAS 3 bis 6• Maximale Intensität am morgen• Mehrmals morgendliches Erbrechen• Konzentrationsstörung bei der Arbeit• Normaler internistischer Status und Neurostatus• Non-Contrast CT extern „normal“
Patientin 2, 1980
• Am folgenden Tag leichte transiente Arm- und Beinschwäche links (wenige Minuten) und vermehrte Schläfrigkeit
• Zuweisung auf die Notfallstation
Patientin 2, 1980
Neurostatus
Patientin 2, 1980: Befunde
CT extern nativ CT Notfall
nativ
+KM
• Diagnose: Hirnvenenthrombose• Procedere: Hospitalisation,
Vollliqueminisierung, Novalgin, Paracetamol
Patientin 2 : Diagnose, Procedere
Patient 3, 1968
• Am Abend nach einer langen Radfahrt stechende Kopfschmerzen periorbital und frontal links (VAS 7)
• Bei Persistenz der Schmerzen nach 2 Tagen Notfallkonsultation
Neurostatus auf der Notfallstation
Ansonsten Normalbefunde im neurologischen Status
Patient 3, 1968
Patient 3, 1968
• Verdachtsdiagnose?
• Weiterführende Diagnostik?
• MRI: Wandhämatom A. carotis interna li hochzervikal
• Diagnose: Karotisdissektion• Procedere: Antikoagulation für 3 bis 6 Monate
Patient 3, Diagnose und Procedere
• Seit 4 Wochen lageabhängige holokranielle occipital betonte Kopfschmerzen, aufgetreten im Anschluss an leichtes Schädel-Hirntrauma
• Schmerzen verschwanden beim Liegen und traten jeweils 5 bis 10 Minuten nach dem Aufstehen auf (VAS maximal 7)
• Seit 3 Tagen Dauerkopfschmerzen gleichen Charakters, im Liegen Schmerzlinderung, aber Schmerzen gehen nicht mehr ganz weg
• Neurostatus und internistischer Status beim Hausarzt normal
Patientin 4, 1955
Patient 4: Diagnose, Procedere
D: Hypoliquorrhoe-Syndrom
P: Liegekur, Lecksuche
Kopfschmerz und CT: Einleitung
• Primäre Kopfschmerzen – Leidensdruck– “ungefährlich”
• Sekundäre Kopfschmerzen– seltener– zum Teil hohe Mortalität, Morbidität– Ursache vielfach gut behandelbar bei rechtzeitiger
Diagnose– Klinische Symptome und Befunde sind oft
wegweisend und bestimmen die weitere Diagnostik
Kopfschmerz auf dem Notfall: Häufigkeit
• 1 – 5% aller Notfallkonsultationen
• 66% - 81% primäre Kopfschmerzen
• 19% - 34% sekundäre Kopfschmerzen
• 5% - 10% lebensgefährliche Kopfschmerzen– 1% SAB
Agostino E. Neurol Sci 2004; 25, Suppl 3: 187;Davenport R. JNNP 2002; 72, Suppl 2: ii33
Kopfschmerz und CT
• Bei welchen Patienten braucht es keine Bildgebung?
• Bei welchen Patienten braucht es eine Bildgebung?
• In welcher Situation genügt ein CT nicht?
Keine Bildgebung• Primäre Kopfschmerzen mit früherer Bildgebung
• Primäre Kopfschmerzen seit Jahren ohne Änderung von Frequenz, Qualität und Intensität
Keine Bildgebung• Cave: Die Diagnose von primären Kopfschmerzen
erfordert mehrere Episoden– Migräne ohne Aura: 5
– Migräne mit Aura: 2
– Episodische Spannungskopfschmerzen: 10
• Cave: Migräne ist ein Risikofaktor für zervikale Gefässdissektionen
• Cave: Symptomatischer Clusterkopfschmerz
Kopfschmerz und CT
• Bei welchen Patienten braucht es keine Bildgebung?
• Bei welchen Patienten braucht es eine Bildgebung?
• In welcher Situation genügt ein CT nicht?
Bildgebung obligat• Verdacht auf sekundäre Kopfschmerzen
– Vaskulär: SVT, Dissektion, SAB, ICB, SDH
– „Posttraumatisch“
– Entzündlich (Meningitis, Encephalitis, Abszess)
– Erhöhter Hirndruck (Tumor, Pseudotumor cerebri)
– Persistierendes Hypoliquorrhoesyndrom
– Hypertensive Krise
– Reversibles zerebrales Vasokonstriktionssyndrom
Bildgebung nur bei diagnostischerUnsicherheit
• Verdacht auf sekundäre Kopfschmerzen– Glaukom
– Arteritis temporalis
– Sinusitis, Otitis
– Toxisch, medikamentös (Medikamente, CO, Industriegifte)
– Stoffwechsel (Hypoxie, Dialyse, Hypoglykämie)
Kopfschmerz und CT
• Bei welchen Patienten braucht es keine Bildgebung?
• Bei welchen Patienten braucht es eine Bildgebung?
• In welcher Situation genügt ein CT nicht?
CT ungenügend
• Dissektionen (MRI)• Brückenvenenthrombose (MRI)• Hypophysenapoplexie (MRI)• SAB > 24 - 48 Stunden (MRI, LP)• Hypoliquorrhoesyndrom (MRI)• Reversibles zerebrales Vasokonstriktionssyndrom (MRI, MRA,
Angiographie)• Hirnmetastasen (MRI)• Infektiöse und autoimmune ZNS-Erkrankungen (LP, evtl. MRI)
Anamnestische Wegweiser
• Donnerschlag-Kopfschmerz– SAB (cave warning leak)– wenn rezidivierend reversibles zerebrales
Vasokonstriktionssyndrom– selten Sinusvenenthrombose, Dissektion,
Hypophysenapoplexie, Kolloidzyste 3. Ventrikel
Anamnestische Wegweiser
• Morgendlich betont, „morgendliches Erbrechen“, Zunahme bei Valsalva, Somnolenz, beim Liegen– Hirndruck (Tumor, Pseudotumor cerebri, Abszess..)
• Lageabhängigkeit (verschwindet beim Liegen…)– Hypoliquorrhoesyndrom
• Claudicatio masticatoria– Arteritis temporalis
Anamnestische Wegweiser• HIV
– Abszess, Meningitis
• Tumorleiden– Hirnmetastasen
• Systemerkrankungen, z. B.– M. Behcet: Sinusvenenthrombosen oder entzündliche fokale
Läsionen– Lupus: Neurolupus, Antiphospholipid-AK-Syndrom
Wegweisende Befunde
• Stauungspapillen (Hirndruck: Tumor, Pseudotumor, SVT)
• Retinale Blutungen: SAB
• Steinharter Bulbus: Glaukom
Wegweisende Befunde• Fieber, Meningismus, Brudzinski, Kernig, Hautläsionen:
Meningitis
Wegweisende Befunde• Ipsilaterales Horner-Syndrom, Hirnnervenausfälle,
pulssynchroner TinnitusKarotisdissektion
Wegweisende Befunde• Okulomotoriusparese (besonders innere mit Pupillenbefall) • SAB bei Aneurysma der A. communicans posterior
Wegweisende Labor-Befunde• Senkung, CRP
– Arteritis temporalis, Meningitis, Encephalitis, aber bei 50% der P. mit Hirnabszess normal
• D-Dimere– Hirnvenenthrombose, aber bei >10% der P. mit
isolierten Kopfschmerzen normal
Wegweisende Befunde• Cave hypertensive Krise
– Blutdruck oft sekundär erhöht bei SAB, intracerebralen Blutungen, Dissektionen…
– Potentieller Schaden durch abrupte Blutdrucksenkung• Cave Trauma: Sturz evtl. sekundär bei SAB, SVT…
Zusammenfassung I• Keine Bildgebung bei eindeutig primären Kopfschmerzen mit langer
Anamnese • Bildgebung bei Verdacht auf sekundäre Kopfschmerzen mit einigen
Ausnahmen• Aufgrund der hohen Morbidität und Mortalität sekundärer
Kopfschmerzen sind unverzügliche Abklärungen auch bei relativ geringer Wahrscheinlichkeit sinnvoll
• Auch transiente Donnerschlag-KS sind abklärungsbedürftig• CT muss qualitativ gut und fein geschichtet sein (< 3 mm)• Gabe von Kontrastmittel bei normalem Nativ-CT• Ein normales CT schliesst einen gefährlichen Kopfschmerz nicht aus
Zusammenfassung II• MRI und/oder LP abhängig von anamnestischen und
klinischen Wegweisern
• Red flags (Dr. Hans Marty) berücksichtigen
• Hoher Blutdruck heisst nicht hypertensive Krise
• Einige Engramme mit nach Hause nehmen
Zusammenfassung III
• Auch bei sorgfältiger Anamnese und Untersuchung werden einige sekundäre Kopfschmerzen verzögert diagnostiziert (z. B. bei monosymptomatischer SVT oder Vertebralisdissektion(50% der Patienten erleben Schmerzen nicht als aussergewöhnlich)
Herzlichen Dank!