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Agrar- und Ernährungspolitik III
Vorlesung 1. April 2009
Modelle der Agrar- und Ernährungswirtschaft
Martin Kniepert
Ziel dieser Vorlesung
Was sind Modelle, was sollen sie leistenAussagekraft?Verlässlichkeit?Transparenz?Instrumentalisierbarkeit?
Kurz-Vorstellung einzelner Modelle als BeispielePipeline-ModellStilisiertes ModellOptimierungsmodellÖkonometrisches Modell
Joe Walsh, irischer Landwirtschaftsminister, anlässlich der Verhandlungen zur Agenda 2000:
“Ireland was the only country that really had a scientific basis to their negotiating stance. (...) Every time a policy option was put out at the negotiating table, we were able to feed that policy option into the computer and come up with results. No other country in the European Union was doing that.”
zitiert nach Witzke, Zintl (2000:2).
Wozu Statistiken? Wozu Modelle?
Formulierung der AgrarpolitikFormuliert in den Römischen Verträgen für die EUFormuliert im Landwirtschaftsgesetz von 1992Konkreter formuliert in Regierungs-, aber natürlich auch Oppositionsprogrammen, formuliert durch Verbände etc.
Ziele der AgrarpolitikVersorgung der Bevölkerung mit gesunden Nahrungsmitteln (food security)Einkommenssicherung der LandwirteErhalt der natürlichen RessourcenSicherung der Nahrungsmittelsicherheit (food safety)Erhalt der Lebensfähigkeit des ländlichen Raumes.
Erfassung, Auswertung, Planung(Wiederholung aus 1. Vorlesung)
Für Primärstatistiken werden spezielle Erhebungen zu einer Fragestellung durchgeführt
Agrarstrukturerhebung (Erhebung der Charakteristika der Einzelbetriebe)Preiserhebung, Ertragsermittlung (t Weizen / ha bspw.)Stichproben aus Einzelbetrieben (freiwillig buchführende Betriebe; dt: INLB, franz: RICA, engl.: FADN) Produktionstechnische Daten (bspw. aus Versuchspflanzungen der BOKU)Erhebungen auf der Vermarktungsebene =>Aufkäufe der Mühlen)Schweinezählung, etc.
Wichtige SekundärstatistikenSchlachtungsstatistik aus: Veterinärmedizinische UntersuchungenAußenhandelsstatistik aus: Zoll- bzw. MehrwertsteuerRinderzählung aus: Auswertung der RinderdatenbankAgrarische Förderung aus: Verwaltungsdaten der AMA, INVEKOS
Synthese-StatistikenLand-, forst, oder Volkswirtschaftliche GesamtrechnungVersorgungsbilanzen
Modelle - Abstraktion
Vom Konkreten zum AbstraktenModelleisenbahn, Fahrplanübersicht1:1 Modell in der Karosserieentwicklung„Modell stehen“ in Malerei oder Bildhauerei
Vom Speziellen zum Allgemeingültigen „...immer nach dem selben Schimmel“ (lat. simile)von der spezielle zur allgemeine RelativitätstheorieEinzelbetriebliche Beobachtung – überbetriebliche gültige Beobachtung (Stichprobengröße)
Modelle - Abstraktion
Nach Sachs Reduzierung auf das WesentlicheNotwendig: Neutralsierung aller sonstigen Einflüsse auf die betrachteten Größen
Was wesentlich ist, ergibt sich aus der jeweiligen Fragestellung!
Die Fragestellung kann mehr oder weniger Komplexität voraussetzenGrundsätzlich ist eine stärkere Vereinfachung für Analysen hilfreicher sein als die Berücksichtigung ein zu großen Zahl von Einflüssen. (=> Partiell oder Allgemein? Siehe unten.)
Vom Konkreten zum Abstrakten
Anforderungen an Ag‘Econ Modelle (1) (im eher technischen Sinn)
Prognose von MarktentwicklungenGenauigkeit, Aktualität
Politikanalyse- und Planung: Wirkungen und Wirksamkeit von Preisstützungen, Direktzahlungen, Exportstützungen etc.
Einschätzung von Wohlfahrtseffekten, EinkommenEinschätzung der Beeinflussung des MarktgeschehensAbschätzung des Finanzierungsbedarf eines Politikmaßnahme... und weiters betriebsstrukturelle, verteilungspolitische, umweltpolitische, regionale Auswirkungen etc. pp.
Anforderungen an Ag‘Econ Modelle (2)(im eher kommunikativen Sinn)
Erläuterung ökonomischer Wechselwirkung im Sinne eines SchulungsmodellsSchulung ökonomischer IntuitionModelle zur Politikberatung bedürfen der Akzeptanz durch Entscheidungsträger
AktualitätNachvollziehbarkeit der Ergebnisse
Modelle als Kommunikationsinstrumentefür Verhandlungen auf nationaler Ebenefür Verhandlungen auf internationaler EbeneZugänglichkeit
Sorgfältige Auswahl bei der Konzipierung eines Modells
Wichtige Kennzeichen von Modellen (1)
Endogen (im Modell erklärt) vs. Exogen (vorgegeben)Feste Mengengerüste vs. endogenisierte Mengen; Preise werden vorgegeben (Wifo-EU-Beitrittsmodell von Österreich)Modelle mit endogenen Mengen, aber exogenen Preisen (i.d.R. Modell für die Angebotsseite, Optimierungsmodelle)Modelle mit zusätzlich endogener Preisbildung, aber exogenen Makro-Größen (bspw. FAPRI)
Partielle vs. Allgemeine GleichgewichtsmodelleFür nur angebots- oder nachfrageseitige Modelle stellt sich die Frage nach einem Gleichgewicht nichtPartielle Gleichgewichte beziehen sich auf Angebot und Nachfrage einzelner, möglicherweise wechselseitig verbundener MärkteAllgemeine Gleichgewichtsmodelle berücksichtigen gesamtwirtschaftliche Effekte (Produktion => Faktoreinkommen => Nachfrage => Produktion; nicht notwendig dynamisch- konjunkturell)
Wichtige Kennzeichen von Modellen (2)
Komparative Statische vs. dynamische (die Zeit berücksichtigende) Modelle
Komparativ Statisch: Unabhängig voneinander bestehende (Gleichgewichts-)Zustände werden einander gegenübergestellt. Oft konsekutiv zur Veranschaulichung mehrjähriger EntwicklungenDynamisch Rekursiv: Verzögerungseffekte (lags) werden berücksichtigtDynamische Modelle: Insbesondere Präferenzen und Technologieeinsatz werden endogenisiert und wirken zurück auf Modellergebnisse
Stochastische vs. deterministische ModelleStochastische Modelle beziehen Unsicherheiten (d.h. umgekehrt) Wahrscheinlichkeiten ein. Deterministische Modelle sind eindeutig.Diskussion: Möglichkeiten von Konfidenzintervallen in der Ergebnispräsentation
Wichtige Kennzeichen von Modellen (3)
Gehalt an Theorie und Empirie„Stilisierte“ Modelle kommen im Extremfall ganz ohne empirische Daten aus, bieten also eine Art Testversion reiner TheorieStilisierte Modelle können sukzessive mit Empirie aufgefüttert werden.Optimierungsansätze (oft „Programmierungsmodelle“ genannt) sind wesentlich von betrieblichen Optimierungsrechnungen abgeleitet. Zentral ist die Annahme der Nutzen- bzw. Profit- bzw. (volkswirtschaftlich gesprochen) der Wohlfahrtsmaximierung. Technische Zusammenhänge stellen Restriktionen dar.Ökonometrische Modelle setzen primär auf die Ableitung ökonomischen Verhaltens aus vorliegenden Beobachtungen (Stichproben, Zeitreihen etc.) Theoretische und sachliche Überlegungen können als Restriktionen eingeführt werden.
Diskussion: Vom der „ad hoc“ Spezifikation zu gemischten Ansatz. Modelling as „Arts or Science“. Or largely as craft?
Modellentwicklung in den vergangenen Jahren
Erste Ag‘Econ-Modelle in den 70er JahrenBis in die 80er Jahre wenige Modelle, Entwicklungen vor allem in den USA, wenige Modelle in EuropaSeit etwa 20 Jahren starke Zunahme der Zahl der Modelle, bedingt durch
die erhebliche verbesserten Möglichkeiten Computertechnologieden erhöhten Bedarf an quantitativer Analyse von Agrarpolitikden erhöhten Bedarf an Marktbeobachtung und Analyse durch den Rückzug der Agrarpolitik
Jahr 2009: Eine fast unüberschaubare Zahl von ModellenModelle werden komplexer, detaillierter, erfüllen zunehmend die ursprünglich alternativen Anforderungen
Beispiel: Schweinemarkt-Vorschätzung (1)
Motivation: Prognose von ProduktionsentwicklungMethode: Pipeline-ModellTräger in AT: Bundesanstalt für AgrarwirtschaftNutzer der Ergebnisse: Nationale und EU-Einrichtungen, Verbände, Einzelhandel etc.Empirischer Gehalt:
Aktuelle DatenlageSchätzung von Parametern aus bisherigen DatenKeine Aussagen über Preise oder Einkommen
Rekursiv dynamisch, deterministisch
Beispiel: Schweinemarkt-Vorschätzung (2)
Pipeline-Modelle allgemeinertechnische Vorgaben (Dauer eines Produktionsprozesses => bspw. Vorschätzung anhand von Beständen von Jungtieren)Auftragseingänge Bedarfsentwicklungen (bspw. Alterstruktur als erklärungsvariable für Spielzeugindustrie und Pensionistenheime)
Pipeline-Komponente ist ein wesentlicher Teil für Modelle zu Analyse zyklischer Entwicklungen („Schweinezyklus“, gesamtwirts. Konjunktur etc.)
Beispiel: Stilisiertes Modelle ATPSM (1)
Motivation: Bereitstellung quantitativer Grundlagen für internationale VerhandlungenMethode:
Partielles GleichgewichtsmodellKomparativ statischdeterministisch
Träger: UNCTADDifferenzierung: Länder und Produkte Zugänglichkeit: Frei
Beispiel: Stilisiertes Modelle ATPSM (2)
Empirischer Gehalt: Kalibrierung an VersorgungsbilanzenElastizitäten aus der LiteraturPolitik (insbesondere Handelspolitik) durch „Wedges“ erfasst
Theoretischer Gehalt: Mikroökonomische Restriktionen für Elastizitäten (entspricht: optimierendem Verhalten => Dualität)
Beispiel: PMP-Modell FAMOS (1)
Motivation: Analyse der Produktions- und Strukturentwicklung der AT-Landwirtschaft (ausschließlich angebotsseitig)Politikanalyse und -simulation
Methode: Positive Mathematical Programming (vgl. Howitt 1995, in Amer. J. Agr. Econ. 77 (May 1995), 329-342
Träger: BOKU, INWE (vgl. E. Schmid, 2004, Diskussionspapier)
Nachfrager von Ergebnissen: bspw. Bundesministerium, bspw. OOE-LRHDifferenzierung: Ressourcen, Produkte, Einzel-Betriebe
Beispiel: PMP-Modell FAMOS (2)
Empirischer Gehalt: Kalibriert aneinzelbetrieblichen Ressourcen von Auswahljahren,Standard-Deckungsbeiträgen bzw. daraus ableitbarer Standard-Produktion
Theoretischer Gehalt:Strikt mikroökonomischer ProduktionstheorieLeontief-Technologie, fallende ErträgeDualitätZielfunktion der Deckungsbeitrags-Maximierung
Beispiel: AGMEMOD(1)
Motivation: Analyse der Marktentwicklung (Angebot, Nachfrage, Preise, Einkommen) in der EU und darüberhinausPolitikanalyse und -simulation
Methode: Ökonometrie, Zeitreihenanalyse Träger: Forschungseinrichtung in den Mitgliedsländern der EU (vgl. AGMEMOD-Partnership)
Nachfrager von Ergebnissen: EU-Kommission für ihren Outlook-Report, MinisterienDifferenzierung: Länder, Produkte
Beispiel: AGMEMOD (2)
Empirischer Gehalt: Versorgungsbilanzen und Preisstatistiken als DatengrundlageSoweit möglich Elastizitäten ökonometrisch geschätzt anhand historischer DatenSoweit – wegen fehlender Daten – nötig : Stilisiert (wie ATPSM s.o.)
Theoretischer Gehalt:Überwiegend Ad-hoc-Spezifikationen auf Grundlage mikro-ökonomischer TheorieTeilweise mikroökonomische Restriktionen auf Schätzungen
Notorische Probleme für alle Modell
Mangelhafte DatengrundlagenSchwierigkeit einer angemessenen Abbildung von PolitikinstrumentenVerlust der Möglichkeit zur einfachen Handhabung bei zunehmender Komplexitätzu geringe Ressourcen, um problemlos ein ‚state of the art‘-Modell zu entwickelnzu geringe Ressourcen zur fortgesetzten Wartung von Modellenzu viele, zu wenig transparente Modelle im Sinne der Kommunikation
CAP-Reports der EU Kommission
"These projections are not intended to constitute a forecast of what the future will be, but instead a description of what may happen under a specific set of assumptions and circumstances"
"The results presented are the final outcome of different approaches (econometric methods, statistical analyses, specific assumptions, expert judgements, etc.)“
(EU-Commission (12/1999), CAP-Reports Prospects for agricultural markets 1999-2006)
Zusammenfassend
Entscheidend für die Modellkonzeption sind die Fragestellungdie Datenlage
Ideal wäre ein Modell 100% empirisch abgestützt100% theoretisch abgestütztaber: es gibt eine Main-Stream, jedoch nicht nur diese eine. Empirie und Theorie geraten oft in Widerspruch
Modellentwicklung muss daher ein integrierter und kontinuierlicher Prozess der Verbesserung der Daten, der ökometrischen Methoden sowie der ökonomischen Theorieentwicklung sein.
Zur weiteren Vorgehensweise…
AusgangspunktStilisiertes Modell ATPSM
Erläuterung einer mikroökonomischen Struktur eines ModellsÜberprüfung der Möglichkeiten, eine solches Modell sukzessive empirisch „aufzufüttern“
... ATPSM
where: D, S, X, and M denote demand, supply, exports and imports, respectively;
^ denotes relative changes and ∆ absolute changes;Pw denotes world price;tc denotes the domestic consumption tariff and tp denotes the domestic
production tariff;ε denotes supply, η demand elasticity, γ the ratio of exports to
production;i and j are commodity indexes; andr is a country (or region; eg. EU instead of individual member states)
index