Post on 18-Sep-2018
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A Hinführung zum Thema
1. Bedeutung von Naturerfahrungen in der heutigen Zeit
„Besonders für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hat der möglichst freie
und unmittelbare Umgang mit der Natur, das Erleben mit allen Sinnen, eine große
Bedeutung, die kein Spielplatz, Fernsehbeitrag oder Buch alleine liefern kann.“1
Aus diesem Zitat geht die Bedeutung unmittelbarer Naturerfahrungen für Kinder und
Jugendliche hervor, die sich durch nichts ersetzen lassen. Gerade in unserem heutigen
Medienzeitalter, in dem der Alltag der jüngeren Generation durch den Konsum von
Fernsehsendungen, Video und DVD, Computerspielen, Internet und Handy geprägt ist,
verlieren Heranwachsende zunehmend den direkten Bezug zu ihrer Lebenswelt. Mit
dem selbstverständlichen Hineinwachsen in komplexe „Medienwelten“ geht auch eine
Wahrnehmungs- und Bewusstseinsveränderung einher. Um die gewaltige
Informationsflut verarbeiten zu können, nehmen die Wahrnehmungsprozesse in ihrer
Intensität ab und werden veroberflächlicht. Es ist unumstritten, dass Medien auch
über ökologische Themen berichten. Im Gegensatz zu persönlichen Erfahrungen liefern
sie Informationen jedoch lediglich aus zweiter oder dritter Hand. Insgesamt führt die
Medialisierung unserer alltäglichen Lebenswelt zu einem zunehmenden Verlust, der
für die Entwicklung so wichtigen und unersetzlichen, Primärerfahrungen.2
Insbesondere in unserer heutigen hoch komplexen Gesellschaft, die durch
zunehmende Individualisierungstendenzen und einen immer stärkeren
zwischenmenschlichen Konkurrenzdruck gekennzeichnet ist und sich sinnliches Erleben
sowie primäre Erfahrungen in erster Linie auf den Konsum sekundärer Fertigprodukte
reduzieren, reicht eine Schulstruktur, die sich auf reine Weitergabe von Faktenwissen
1 Bögeholz, Susanne: Qualitäten primärer Naturerfahrung und ihr Zusammenhang mit Umweltwissen
und Umwelthandeln. 1. A. Opladen: Leske + Budrich 1999 (= Schriftenreihe „Ökologie und
Erziehungswissenschaft“ der Arbeitsgruppe „Umweltbildung“ der Deutschen Gesellschaft für
Erziehungswissenschaft Bd. 5), S. 19. 2 Vgl. Ferchoff, Wilfried: Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert. Lebensformen und Lebensstile.
1. A. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, S. 365ff.
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beschränkt, nicht mehr aus. Um einer Entfremdung von der Natur, unserer
Lebensgrundlage, entgegenzuwirken und Erfahrungsdefiziten vorzubeugen, müssen
Primärerfahrungen nicht nur angeregt, sondern bewusst initiiert werden. Eine große
Chance besteht in der Kooperation zwischen Schulen und außerschulischen Lernorten.
Aus diesem Grund unterstützt die Regierung die Bildungsarbeit in den sogenannten
Umweltstationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, wieder für unsere Umwelt
zu sensibilisieren, indem unter anderem direkte Naturerfahrungen angeregt werden.
2. Anliegen der Arbeit
In der heutigen Zeit klaffen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten im Alltag oft
auseinander. Der Begriff Umweltverhalten bezieht sich auf das alltägliche Verhalten
jedes Einzelnen in umweltrelevanten Situationen. Dagegen konstituiert sich das
Umweltverhalten aus den vier Teilbereichen Umweltwissen, Umwelteinstellung,
Handlungsbereitschaft und Verhaltensintention. Studienergebnisse zeigen, dass
Deutsche Umweltschutz als wichtiges Anliegen erachten und die Grundprinzipien der
Bildung für nachhaltige Entwicklung anerkennen. Trotz des vorhandenen Bewusstseins
für die Bedrohungen unserer Lebenswelt finden diese Prinzipien im Alltag jedoch kaum
Anwendung. Um Umweltprobleme beheben zu können, müssen diese zuerst als solche
wahrgenommen und Gestaltungskompetenzen erworben werden.3
Direkte Erlebnisse in unserer Natur, die verstärkt die affektive Komponente
ansprechen und dadurch emotionale Betroffenheit auslösen, sind nicht nur
entwicklungspsychologisch von besonderer Bedeutung, sondern bilden darüber hinaus
sowohl die Voraussetzung für die Bereitschaft als auch für die Kompetenz zu
umweltgerechtem Handeln. Im Rahmen der Umweltbildung lässt sich der Lernprozess
dreiteilen, wobei die grundlegende Naturerfahrung an erster Stelle steht. Erst in der
anschließenden Reflexion bahnt sich ein Verständnis an, das zum Aufbau von
3 Vgl. Kuckartz, Udo: Umweltbewusstsein und Umweltverhalten. In: Informationen zur politischen
Bildung 287 (2008), S. 4ff.
9
Umweltwissen führt. Erleben und Verstehen sind wiederum Auslöser von
Umwelthandeln, das ohne die beiden vorhergehenden Schritte nicht möglich ist.4
Um der Diskrepanz zwischen Umweltwissen und Umwelthandeln entgegenzuwirken
und unsere Kinder und Jugendlichen dabei zu unterstützen, sich zu handlungsfähigen,
kritischen und engagierten Individuen zu entwickeln, sollten zunächst die
grundlegenden Primärerfahrungen gefördert werden. Unsere zukünftige Generation
muss Erlebnisfähigkeit erwerben, Verantwortungsbewusstsein übernehmen und
Wertevermittlung erfahren, um unsere Lebenswelt in Zukunft nachhaltig mitgestalten
zu können.
Vor diesem Hintergrund eröffnete sich mir die Möglichkeit, mich diesem Anliegen
anzunehmen, indem mir der Leiter der Umweltstation Naturerlebnisgarten
Kleinostheim das Angebot unterbreitete, ein pädagogisches Umsetzungskonzept für
die Einrichtung zu konzipieren.
4 Vgl. S. Bögeholz (1999), S. 15ff.
„Erzähle mir und ich vergesse. Zeige mir und ich erinnere mich.
Lasse es mich tun und ich verstehe.“ (Konfuzius)
10
3. Aufbau der Arbeit
Im ersten Teil der Arbeit (I.) werde ich mich der UN-Weltdekade „Bildung für
nachhaltige Entwicklung“ widmen, um eine Informationsgrundlage zu schaffen, die
einem besseren Verständnis der Thematik dient. Darunter gewähren die Klärung
grundlegender Begrifflichkeiten, ein Einblick in die Hintergründe der Dekade sowie
Informationen über die Umsetzung der UN-Dekade in Deutschland einen Überblick
über das komplexe Thema. Im folgenden Abschnitt (II.) steht die
Nachhaltigkeitspädagogik, insbesondere im schulischen Bereich und an
außerschulischen Lernorten, im Vordergrund. Anschließend (III.) zeigt das
pädagogische Umsetzungskonzept der Umweltstation Kleinostheim des Landesbundes
für Vogelschutz in Bayern e.V., wie die zuvor erarbeitete Theorie in die Praxis
umgesetzt werden kann. Aufgrund des Konzeptcharakters kann es in diesem Teil zu
inhaltlichen Wiederholungen kommen. Des Weiteren ist festzuhalten, dass alle, nicht
durch Quellenangaben gekennzeichneten, Informationen aus Gesprächen mit Leiter
und Mitarbeitern der Umweltstation und den dort ausgestellten Informationstafeln
hervorgehen.
Aus stilistischen Gründen werde ich im Laufe der vorliegenden Arbeit auf die
Doppelnennung weiblicher und männlicher Endungen unterschiedlicher Personen- und
Berufsgruppen verzichten, um mich bei geschlechtsspezifischen Nennungen
ausschließlich auf die übliche „Mann-Form“ zu beschränken. Selbstverständlich sind in
der neutralen Bezeichnung weibliche Vertreterinnen gedanklich mit eingeschlossen.
11
B Bildung für nachhaltige Entwicklung
dargestellt am Beispiel eines pädagogischen Umsetzungskonzepts
für die Umweltstation Naturerlebnisgarten Kleinostheim
des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern e.V.
I. Die UN-Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“
In seiner Eröffnungsrede zum internationalen Start der UN-Dekade „Bildung für
nachhaltige Entwicklung“ fand UNESCO-Generaldirektor Koichiro Matsuura folgende
Worte, welche der wissenschaftlichen Definition für nachhaltige Entwicklung sehr nahe
kommen.
„Bildung für nachhaltige Entwicklung muss selbstverständlich mehr sein als nur ein
Logo oder ein Slogan. Sie muss für uns alle – Individuen, Organisationen und
Regierungen – in allen unseren alltäglichen Entscheidungen und Handlungen
konkrete Realität werden, um unseren Kindern, Enkeln und deren Nachfahren einen
nachhaltigen Planeten und eine sichere Welt zu hinterlassen.“5
Im folgenden Abschnitt wird die Definition für Nachhaltigkeit näher ausgeführt sowie
Dimensionen und Bedeutung des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung aufgezeigt.
Weiter wird ein Einblick in die Entstehungsgeschichte der UN-Weltdekade, ihre Inhalte
und Ziele sowie die konkrete Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland gewährt.
1. Begrifflichkeiten
Zum besseren Verständnis der folgenden Arbeit bedarf es zunächst der Klärung
grundlegender Begrifflichkeiten.
5 Deutsche UNESCO-Kommission, Sekretariat UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (Hg.):
Förderung einer Globalen Partnerschaft für die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“
(2005-2014) – Der Internationale Umsetzungsplan der UN-Dekade in Kurzfassung. Bonn: 2005, S. 3.
12
1.1 Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit verlangt den verantwortungsbewussten, behutsamen Gebrauch von
natürlichen, nicht erneuerbaren Rohstoffen, wie Erdgas und Erdöl. Darüber hinaus
fordert sie auch die Forschung nach Alternativen für begrenzt vorhandene Rohstoffe,
Recycling, also die Wiederverwertung von Rohstoffen, sowie den Einsatz erneuerbarer
Energien. Das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung soll nicht nur auf kommunaler oder
nationaler Ebene Anwendung finden. Vielmehr muss Nachhaltigkeit weltweit zu einem
Leitbild werden, welches einer Einigung zwischen Industrienationen und den weniger
entwickelten Ländern bedarf.6
Das Ideal der Nachhaltigkeit ist in der Agenda 21, welche im weiteren Verlauf näher
betrachtet wird, an sehr vielen Stellen vertreten. Heutzutage wird der Begriff in vielen
Kontexten verwendet, anfänglich war er jedoch wesentlich enger interpretiert. Der
Nachhaltigkeitsbegriff definierte eine Vorgehensweise in der Waldwirtschaft, welche
über Jahrhunderte beständige Erträge garantieren sollte. Der heute lebende
Waldbauer profitiert von den Bäumen, die seine Ahnen anpflanzten. Auch er pflanzt
wieder neue Bäume an, deren Erträge dann seinen Kindern und Enkeln den
Lebensunterhalt sichern sollen. Nur durch eine sinnvolle, generationenüberdauernde
Kultivierung des Waldes ist dessen Überleben und eine langfristige Nutzung
garantiert.7
1.2 Nachhaltige Entwicklung
Nachhaltige Entwicklung ist ein Grundsatz der Entwicklungs- und Umweltpolitik,
welchen sich aber auch die Wirtschaftspolitik verstärkt zu Eigen macht. Er soll dazu
beitragen, dass Lebensqualität und Lebenssituation der gegenwärtigen
Weltbevölkerung verbessert werden, jedoch ohne die Lebenschancen kommender
Generationen zu beeinträchtigen oder zu gefährden. Der Erhalt der natürlichen
6 Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission (2005), S. 3.
7 Vgl. Stroh, Katharina / Stamm, Norbert: Agenda 21 – nachhaltige Entwicklung für das 21. Jahrhundert.
In: Umweltwissen. Bayerisches Landesamt für Umwelt (Hg.). Augsburg: 2008, S. 3.
13
Umwelt steht dabei immer im Fokus. Die Vermeidung von Umweltschäden sowohl
durch Produzenten bei der Herstellung ihrer Produkte als auch durch Konsumenten,
indem sie die Erzeugnisse genauer auf ihre Umweltverträglichkeit hin untersuchen,
sind hier als kurze Beispiele für den Erhalt der natürlichen Umwelt zu nennen.8
In wirtschaftlichen Zusammenhängen prägte erstmals die Brundtland-Kommission,
benannt nach dem norwegischen Vorsitzenden der Weltkommission für Umwelt und
Entwicklung im Jahr 1983, Gro Harlem Brundtland, den Begriff der nachhaltigen
Entwicklung (engl. sustainable development). Die Brundtland-Kommission definiert
wie folgt:
„Die Menschheit ist einer nachhaltigen Entwicklung fähig – sie kann gewährleisten,
dass die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt werden, ohne die Möglichkeiten
künftiger Generationen zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu
beeinträchtigen.“9
Eine nachhaltige wirtschaftliche Entfaltung gliedert soziale, ökologische und
ökonomische Notwendigkeiten mit ein. Beispielsweise sollte das Wirtschaftswachstum
durch die Belastbarkeit der Ökosysteme begrenzt sein. Auch das Beachten weltweiter
Abhängigkeiten und Verknüpfungen ist ein essentieller Bestandteil einer nachhaltigen
Entwicklung. Gemeint sind hier zum Beispiel Umweltverschmutzung in den
Industriestaaten, die Schuldenkrise, Bevölkerungsentwicklung, Wüstenausbreitung in
der Dritten Welt und die globale Hochrüstung. Für diese Themen gilt es gemeinsam
Problemlösungen zu finden. Im Bereich der Wirtschaft wurden hierfür bereits
Managementregeln der Nachhaltigkeit eingeführt, die ein umweltgerechtes Leben und
Wirtschaften reglementieren sollen. Zum einen darf die Nutzung erneuerbarer
Rohstoffe ihre Regenerationsrate nicht übersteigen. Auch die Verwendung nicht-
erneuerbarer Naturgüter sollte nicht über der Benutzung von Alternativen liegen.
Bestes Beispiel hierfür ist die Nutzung von Sonnenenergie anstelle fossiler
Energieträger oder ein ausgewogenes Verhältnis beider. Abschließend wird auch die
8 Vgl. Duden Wirtschaft von A bis Z. Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 2. A.
Mannheim: Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus 2004. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für
politische Bildung 2004. 9 K. Stroh / N. Stamm (2008), S. 3.
14
Freisetzung von Stoffen und Energien durch das Regelwerk gesteuert. Die Freisetzung
darf nicht größer sein als die Anpassungsfähigkeit der natürlichen Umwelt.10
1.3 Bildung für nachhaltige Entwicklung
Zum besseren Verständnis der folgenden Arbeit bedarf es zunächst einer
Unterscheidung der beiden Begriffe Umweltbildung und Bildung für nachhaltige
Entwicklung, da der Unterschied aus der Literatur nicht immer deutlich hervorgeht.
Zusammengefasst lassen sich die Begriffe aus einem Entwicklungsprozess herleiten, in
dem zu unterschiedlichen Zeiten jeweils bestimmte Themenschwerpunkte im Fokus
des öffentlichen Interesses standen. Seit den 1960er Jahren beschäftigte man sich
verstärkt mit der sozialen Gerechtigkeit, die damals als zentrales Problem des großen
Gefälles zwischen armen und reichen Ländern erkannt wurde. In dieser Zeit
entwickelten sich viele Nichtregierungsorganisationen, die im Sinne des heute
bezeichneten globalen Lernens agierten. In den 1970er Jahren diskutierte man in der
Öffentlichkeit vermehrt die Umweltthematik, die sich unter anderem auf die
Ressourcenknappheit und das Aussterben der Arten konzentrierte. In dieser Zeit, in
der die ökologische Problematik verstärkt bewusst wurde, entstanden zahlreiche
pädagogische Konzepte, die sich der Umweltbildung zuordnen lassen. Als dritter
Bestandteil vervollständigt die Ökonomie das Gesamtkonzept der Nachhaltigkeit.
Insgesamt tragen demnach die drei Säulen globales Lernen (soziale Gerechtigkeit),
Umweltbildung und Ökonomie die Bildung für nachhaltige Entwicklung. Wenn im
Folgenden die Rede von Umweltbildung ist, ist also ein Teilbereich des gesamten
Bildungskonzepts gemeint.11
1994 wurde die Bedeutung und Notwendigkeit der Nachhaltigkeit im deutschen
Grundgesetz verankert, während der Bildungsaspekt zunächst noch vernachlässigt
wurde. Die ersten Veröffentlichungen der Bildung für nachhaltige Entwicklung
10
Vgl. K. Stroh / N. Stamm (2008), S. 3. 11
Vgl. Arbeitskreis „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ mit Federführung des Bayerischen
Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit (Hg.): Akteure, Wege, Perspektiven. Bildung für
nachhaltige Entwicklung in Bayern. Aktionsplan im Rahmen der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige
Entwicklung“ 2005-2014. München: 2009, S. 16.
15
entstammen dem Bereich der Umweltbildung. Erste offizielle bildungspolitische
Publikation stellt der Orientierungsrahmen „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ der
Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 1998 dar.12
Bildung soll es den Menschen ermöglichen, die lebensbedrohlichen Probleme auf
unserer Erde schon im Voraus absehen zu können, sich mit ihnen auseinanderzusetzen
und Lösungswege zu finden. Des Weiteren vermittelt diese Bildung Werte und
Prinzipien, die die Grundlage der nachhaltigen Entwicklung darstellen. Um dies zu
verdeutlichen, seien an dieser Stelle die Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit,
die soziale Toleranz sowie der Schutz und die Regeneration der Umwelt als Beispiele
genannt. Schließlich drückt der Begriff auch eine Bildung aus, die die Gesamtheit und
den wechselseitigen Bezug der drei Dimensionen Umwelt, Gesellschaft und Kultur in
den Vordergrund stellt.13
Wesentliches Ziel der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ besteht in der
Gestaltungskompetenz, welche im Verlauf dieser Arbeit ausführlicher erläutert wird.14
2. Hintergründe
Um ein sinnvolles Konzept im Rahmen der Bildung für nachhaltige Entwicklung
erstellen zu können, muss man sich auch der Zusammenhänge, der historischen
Entstehungsgeschichte und der Umsetzungsmöglichkeiten bewusst sein.
2.1 Agenda 21
1992 auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen in Rio de
Janeiro wurde die Agenda 21 von circa 180 Staaten verabschiedet. Mit der
Unterzeichnung wurde die Zusammenführung zweier Bereiche der internationalen
12
Vgl. Brunold, Andreas: Politische Bildung für nachhaltige Entwicklung und das Konzept des Globalen
Lernens. In: Standortbestimmung Politische Bildung. Tutzinger Schriften zur politischen Bildung. Hg. v.
Heinrich Oberreuter. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag 2009, S. 318. 13
Vgl. K. Stroh / N. Stamm (2008), S. 3. 14
Vgl. Arbeitskreis „Bildung für nachhaltige Entwicklung (2009), S. 16.
16
Politik, die durch den Bericht „Our common Future“ der Brundtland-Kommission 1987
erstmals erfolgte, bekräftigt. Dabei handelt es sich um die Verknüpfung der Stränge
„ökologische Notwendigkeiten“ und „entwicklungspolitische Einsichten“, um den
wirtschaftlichen Aufschwung voran zu treiben und die Lebensbedingungen in den
Entwicklungsländern zu verbessern. Im Einzelnen setzte man sich mit den Themen der
„verteilenden, sozialen und politischen Gerechtigkeit“ auseinander.15 Insgesamt
gliedert sich die Agenda 21 in vier Teilbereiche, wobei sich Teil eins mit sozialen und
wirtschaftlichen Aspekten, wie Armutsbekämpfung und Gesundheit, beschäftigt. Teil
zwei befasst sich mit ökologischen Ressourcen, Teil drei mit der Unterstützung
wichtiger Gruppen, wie Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Im vierten Teil werden
die Mittel zur Umsetzung, wie Finanzierungsmöglichkeiten und Weiterentwicklung in
Bildungssystemen, analysiert. Darunter fällt auch die Förderung der
Bewusstseinsbildung. Im Rahmen meiner Arbeit, die sich insbesondere mit der Bildung
für nachhaltige Entwicklung im ökologischen Bereich auseinandersetzt, nimmt
Teilbereich zwei einen zentralen Stellenwert ein. Denn dieser widmet sich dem Erhalt
und der Bewirtschaftung der Ressourcen für die Entwicklung. Dazu zählen zum Beispiel
das Entgegenwirken der Entwaldung, der Schutz der Ozeane und der
Süßwasservorkommen, der Erhalt der Artenvielfalt sowie ein verantwortungsvoller
Umgang mit den vorhandenen Flächenressourcen.16
In diesem Zusammenhang wurde mit der Agenda 21 mit Nachdruck auf die
vorhandenen Missstände aufmerksam gemacht, wie den rücksichtslosen Umgang mit
endlichen Rohstoffen und das exponentielle Wachstum der Weltbevölkerung. An den
zukünftigen Lebensbedingungen der Weltbevölkerung setzt der Gedanke der Bildung
für nachhaltige Entwicklung an. Es soll in der heutigen Zeit verantwortungsvoll mit den
vorhandenen Ressourcen gewirtschaftet werden, so dass auch nachfolgende
Generationen lebenswerte Verhältnisse vorfinden.
15
Vgl. de Haan, Gerhard: Gestaltungskompetenzen als Kompetenzkonzept der Bildung für nachhaltige
Entwicklung. In: Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Operationalisierung, Messung,
Rahmenbedingungen, Befunde. Hg. v. Inka Bormann / Gerhard de Haan. 1. A. Wiesbaden: VS Verlag
2008, S. 23. 16
Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorensicherheit (Hg.): Umweltpolitik.
Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro.
Dokument. Agenda 21. Bonn, i f.
17
Um ein Umdenken für die Zukunft zu gewährleisten, bedarf es einer grundlegenden
Bewusstseinsänderung, die im Bereich der Bildung und Erziehung ansetzen muss,
womit sich die Agenda in Kapitel 36 beschäftigt.17
2.2 Entstehungsgeschichte der UN-Weltdekade
Im Anschluss an den Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg im Jahr
2002 riefen die Vereinten Nationen im Dezember des gleichen Jahres die UN-
Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ins Leben.18 Die UN-Dekade ist für
den Zeitraum 2005 bis 2014 festgeschrieben und wird global von der UNESCO
gesteuert, die durch die Vereinten Nationen mit dieser Aufgabe betraut wurde. Die
UNESCO ist eine Organisation innerhalb der Vereinten Nationen, die sich mit den
Themen Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation befasst.
In der Bundesrepublik widmete sich die Deutsche UNESCO-Kommission der Thematik
und begann, sich Anfang 2003 mit deren Umsetzung auseinanderzusetzen. Mit der
daraus entstandenen „Hamburger Erklärung“, die im Sommer 2003 fertig gestellt
wurde, war ein Orientierungsrahmen gegeben, der die wichtigsten Ziele der Dekade
auf den Punkt brachte. In der „Hamburger Erklärung“ wird darauf hingewiesen, dass
sich die Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie die Bildungsinhalte am Leitfaden der
nachhaltigen Entwicklung orientieren sollen und dass dies nicht nur in Deutschland so
gehandhabt werden solle, sondern eine gemeinschaftliche Aufgabe aller Länder dieser
Welt darstelle. Des Weiteren macht die Erklärung deutlich, dass besonders die
Industrienationen in die Verantwortung gerufen werden sollen, um neue
Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln. Darüber hinaus wird auch hier wieder auf den
Generationenvertrag hingewiesen, der besagt, dass die heute lebenden Menschen
behutsam mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen umgehen sollen, so dass
zukünftigen Generationen die gleichen Möglichkeiten gegeben sind.
17
Vgl. G. de Haan (2008), S. 23f. 18
Vgl. de Haan, Gerhard / Leicht, Alexander: Die Umsetzung der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige
Entwicklung“ (2005-2014) in Deutschland. Zwischenbericht für die Jahre 2004 bis 2007. Hg. v.
Deutsche UNESCO-Kommission e.V. Bonn: 2008, S. 5.
18
Im Mai des Jahres 2004 wurde ein Nationalkomitee von der UNESCO einberufen,
welches sich um die Umsetzung der UN-Dekade in Deutschland kümmern sollte.19 Mit
einem einstimmigen Beschluss des deutschen Bundestages am 1. Juli 2004 wurde der
Bundesregierung aufgetragen, die UN-Dekade auch in Deutschland entsprechend
umzusetzen. Darüber hinaus wurde die Bundesregierung gebeten, dass die
Koordinierungsaufgabe auch hierzulande der deutschen UNESCO-Kommission
übertragen wird und diese mit ausreichenden finanziellen Mitteln auszustatten. Dies
führte 2005 zur Eröffnung der UN-Dekade in Deutschland, die es sich zum Ziel setzte,
Bildung für nachhaltige Entwicklung in allen Bildungsbereichen zu integrieren. 20
2.3 Der internationale Umsetzungsplan
Zunächst ist festzuhalten, dass zur lokalen, nationalen und internationalen Umsetzung
der UN-Dekade ein internationales Rahmenprogramm nötig ist, bei dem alle
beteiligten Entscheidungsinstanzen mitwirken können. Aufgabe des internationalen
Umsetzungsplanes ist es, sowohl das Verantwortungsbewusstsein als auch die
Identifikation der teilnehmenden Staaten mit der UN-Dekade zu festigen. Darüber
hinaus muss die Zusammenarbeit der einzelnen Länder gestärkt werden, indem
unterschiedliche internationale Bildungsinitiativen miteinander vernetzt werden. Auf
diese Weise sollen die einzelnen Staaten dazu angeregt werden, Projekte im Sinne der
UN-Dekade zu initiieren und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen. Nur so
wird gewährleistet, dass jedem Einzelnen die Möglichkeit gegeben ist, sich an der
Umsetzung der UN-Dekade zu beteiligen.
Insgesamt verfolgt die UN-Weltdekade die Ziele, durch die nachhaltige Entwicklung die
Bildungs- und Lernqualität voranzubringen, mit Hilfe der Bildung für nachhaltige
Entwicklung die Millenniumsentwicklungsziele zu erlangen, die einzelnen Nationen
dabei zu unterstützen Bildung für nachhaltige Entwicklung in das jeweilige
Bildungssystem einzubeziehen sowie die Kooperation untereinander zu vereinfachen.
19
Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission / Nationalkomitee für die UN-Dekade: Nationaler Aktionsplan für
die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Bonn 2008, S. 9. 20
Vgl. G. de Haan / A. Leicht (2008), S. 5.
19
Zur Erreichung eben genannter Ziele bedarf es eines Engagements der
Entscheidungsträger in unterschiedlichen Bereichen. Um die Qualität von Bildung zu
verbessern, muss das Konzept lebenslangen Lernens neu ausgerichtet werden. Die
Neuausrichtung sollte sich dabei auf Lerninhalte beziehen, die dem Einzelnen
Fähigkeiten, Kenntnisse und Werte an die Hand geben, die ihm dabei helfen, seine
Lebensqualität zu steigern. Ferner gilt es die Lehrpläne aller Schularten
umzustrukturieren. In sämtlichen Bereichen der schulischen Bildung, von der
vorschulischen bis zur Bildung an Hochschulen, müssen die Lernenden Kenntnisse über
Inhalte der nachhaltigen Entwicklung erwerben. Darüber hinaus muss das öffentliche
Interesse für die Anliegen und die Bedeutung der nachhaltigen Entwicklung geweckt
werden. Nur so erlangen Bürger ein Verantwortungsbewusstsein, welches sie dazu
motiviert, sich aktiv für ihre Lebenswelt einzusetzen. Auch den Menschen, die in
wirtschaftlichen und industriellen Berufen tätig sind, gilt es durch
Weiterbildungsmaßnahmen Wissen über das Prinzip der Nachhaltigkeit zu vermitteln,
damit diese ihre Fertigungsprozesse und persönlichen Konsummuster daran ausrichten
können. Eine erfolgreiche Umsetzung der UN-Dekade ist nur dann gewährleistet, wenn
jeder Einzelne seinen Beitrag dazu leistet.21
3. Umsetzung der UN-Dekade in Deutschland
Für die lokale Umsetzung in der deutschen Bildungspolitik liefert die international
konzipierte UN-Dekade Richtlinien.
21
Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission (2005), S. 4ff.
20
3.1 Ziele und Inhalte
Am internationalen Rahmenprogramm orientieren sich die nationalen Ziele und
Inhalte. Oberstes Ziel der Umsetzung der UN-Dekade in Deutschland stellt die
Integration des Nachhaltigkeitsgedankens in sämtlichen Bildungsfeldern dar. Des
Weiteren gilt es auch die Bildung für nachhaltige Entwicklung in allen dafür relevanten
politischen Instanzen zu verankern. Durch diese Vorgehensweise strebt die
Bundesregierung eine grundlegende Weiterentwicklung im Sinne des Gedankens der
Bildung für nachhaltige Entwicklung bis 2014 an. Im Rahmen dieses Hauptzieles setzte
sich Deutschland vier strategische Ziele, nämlich Weiterentwicklung und Bündelung der
Aktivitäten sowie Transfer guter Praxis in die Breite, Vernetzung der Akteure der
Bildung für nachhaltige Entwicklung, Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung von
Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie Verstärkung internationaler Kooperationen.
3.1.1 Weiterentwicklung und Bündelung der Aktivitäten sowie Transfer guter Praxis
in die Breite
In Deutschland besteht bereits eine gute Basis zur Erreichung des ersten strategischen
Zieles der Weiterentwicklung und Bündelung der Aktivitäten sowie Transfer guter
Praxis in die Breite. Denn schon vor Einführung der UN-Dekade existierten dort
zahlreiche erfolgversprechende Projekte im Rahmen der Bildung für nachhaltige
Entwicklung, jedoch in unterschiedlich starkem Ausmaß. Aufgabe ist es nun, die
vorhandenen Ansätze weiter auszubauen und die einzelnen Initiativen mehr
miteinander zu vernetzen. Ferner soll das Engagement nicht nur in einigen
Bildungsbereichen stattfinden, sondern in das gesamte Bildungssystem aufgenommen
werden. Dazu zählt das breite Spektrum an Bildungseinrichtungen von der Vorschule
über die Schule und Hochschule bis hin zu Institutionen der beruflichen Bildung und
Weiterbildung. In diesem Sinne werden Inhalte der Bildung für nachhaltige
Entwicklung Gegenstand lebenslangen Lernens. Zur Umsetzung dieses strategischen
Ziels strebt die Bundesregierung bestimmte Maßnahmen an. Darunter fällt die
21
Unterstützung der einzelnen Bundesländer bei der Erstellung oder Weiterentwicklung
von Landesaktionsplänen. Im Bereich der Frühförderung wird eine stärkere
Berücksichtigung der Bildung für nachhaltige Entwicklung angestrebt, was unter
anderem eine Intensivierung der Qualifikation des Personals in Einrichtungen für
Kinder sowie die Entwicklung neuer Bildungspläne beinhaltet. Außerdem soll Bildung
für nachhaltige Entwicklung auch in den allgemeinbildenden Schulen fortschreitend
Einzug erhalten. Davon sind einerseits die Lehrpläne und andererseits die
Schulentwicklung betroffen. Darüber hinaus muss auch das Lehrpersonal entsprechend
der Kriterien der Bildung für nachhaltige Entwicklung aus- und weitergebildet werden.
Insgesamt soll mit außerschulischen Organisationen, die sich in diesem Bereich
engagieren, verstärkt zusammengearbeitet werden. Des Weiteren werden Schulen für
besonders intensive Nachhaltigkeitsarbeit ausgezeichnet. Ferner müssen gelungene
Projekte aus Forschungen und Modellversuchen einem breiteren Publikum in Aus- und
Weiterbildung zugänglich gemacht werden. Auch an den Universitäten und in
Fortbildungsmaßnahmen gilt es Bildung für nachhaltige Entwicklung in die Lehre mit
einzubeziehen. Da Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht nur in formellen, sondern
auch in informellen Bildungssektoren von Bedeutung ist, bedarf es einer verstärkten
Beachtung auch im medialen und kommunikativen Bereich sowie in der betrieblichen
Arbeit und der Freizeitgestaltung. Auf diese Weise wird die Bevölkerung über die
Inhalte der Bildung für nachhaltige Entwicklung informiert, womit auch eine
Verstärkung des öffentlichen Bewusstseins für deren Bedeutung einhergeht. Insgesamt
lässt sich festhalten, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht nur in einem
Bildungsbereich allein stattfinden kann, sondern dass jedes Thema mehrere Instanzen
tangiert.22
3.1.2 Vernetzung der Akteure der Bildung für nachhaltige Entwicklung
Im Allgemeinen wird das Konzept Bildung für nachhaltige Entwicklung durch mehrere
Handlungsinstanzen umgesetzt. Diese reichen von Regierungsebenen über Ökonomie
22
Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission ( 2008), S. 11f.
22
und Nichtregierungsorganisationen bis hin zu verschiedensten Bereichen der Politik im
Bildungs-, Entwicklung- und Umweltsektor. Ein besonderes Interesse der Bildung für
nachhaltige Entwicklung gilt der Kooperation und Kommunikation der einzelnen
Instanzen untereinander und der Öffentlichkeitsarbeit. Eine besondere Rolle spielen
dabei die Organisationen, die sich im lokalen Bereich für die Nachhaltigkeitsbildung
einsetzen. Im Sinne des Integrationsgedankens strebt man für die kommenden Jahre
die Erweiterung und Stabilisierung bestehender Netzwerke, wie zum Beispiel UNESCO-
Projektschulen, an. Notwendig für eine funktionierende nachhaltige Entwicklung ist die
Kooperation zwischen Bildungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen, wie
beispielsweise zwischen Schulen und Firmen der Umgebung. Außerdem liegt ein
Anliegen der Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Ausdehnung lokaler
Kooperationen zu „Public-Private-Partnerships“, in denen unter anderem Kommunen,
Vereine sowie soziale und kulturelle Organisationen mitwirken. Zur Einlösung des
Integrationsgedankens bedarf es einer Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen
sämtlichen Bereichen der Bildung und Akteuren der Bildung für nachhaltige
Entwicklung. Um den aktiv Mitwirkenden Hilfestellung zu leisten, wird ihnen speziell
geschultes Fachpersonal im Bereich der Nachhaltigkeitsbildung, auch auf schulischer,
hochschulischer und beruflicher Ebene, zur Seite gestellt. Daneben sollen Forschung
und Bildung für nachhaltige Entwicklung enger zusammenrücken.23
3.1.3 Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung von Bildung für nachhaltige
Entwicklung
Durch die Aneignung von Kenntnissen und damit verbundenen Wertvorstellungen im
Bildungsbereich wird ein grundlegendes Bewusstsein für die Notwendigkeit der
Bildung für nachhaltige Entwicklung geschaffen. Dies führt auch dazu, dass nahezu alle
Menschen den Grundgedanken des Konzepts der Bildung für nachhaltige Entwicklung
vertreten. Darüber hinaus liefert Bildung auch die notwendige Grundlage, um die im
Nachhaltigkeitsprogramm enthaltenen Inhalte im alltäglichen Leben praktisch
23
Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission (2008), S. 12f.
23
anwenden zu können. Dazu zählt auch das Bewusstsein jedes Einzelnen darüber, dass
er in seinem privaten und beruflichen Handeln aktiv werden kann. Als Teilziel des
strategischen Ziels Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung von Bildung für
nachhaltige Entwicklung sei die Stärkung des öffentlichen Bewusstseins im Sinne der
Bildung für nachhaltige Entwicklung genannt. In diesem Zusammenhang soll den
einzelnen Bürgern klar werden, über welche persönlichen Mitwirkungsmöglichkeiten
sie verfügen. Mit diesem Wissen setzten sie sich intensiver für eine Aufnahme der
Bildung für nachhaltige Entwicklung in die praktischen Aufgabenfelder der Bildung ein.
Darüber hinaus müssen Lehrende und Fachpersonal über die zentralen Inhalte der
Nachhaltigkeitsbildung informiert sein. Allgemeine Intentionen der Bildung für
nachhaltige Entwicklung müssen auch von den jeweiligen Akteuren auf Bundes- und
Länderebene als spezifische eigene Ziele anerkannt und in alle Bildungsfelder
hineingetragen werden. Neben der Integration des Nachhaltigkeitsgedankens in
Bildungsbereiche muss dieser auch in den Medien stärker vertreten sein, die ihre
Öffentlichkeitsarbeit immer direkt mit der UN-Dekade in Beziehung bringen sollen.
Wie auch im schulischen Bereich werden besondere Dienste von Städten und
Kommunen im Sinne der Nachhaltigkeit ausgezeichnet und öffentlich gemacht.24
3.1.4 Verstärkung internationaler Kooperationen
Erfolgreiche Nachhaltigkeitspolitik basiert auf internationaler Zusammenarbeit. Aus
diesem Grund verfolgt auch Deutschland als eines der teilnehmenden Länder das Ziel,
die in ihm geborenen Projekte in die Diskussion auf internationaler Ebene
einzubringen. Im Rahmen eines globalen Vernetzungsprozesses profitiert Deutschland
von den Initiativen und Erfahrungen anderer Staaten. Durch die internationale
Ausrichtung der UN-Dekade ergibt sich die Möglichkeit einer länderübergreifenden
Kooperation. Unter das Strategieziel Verstärkung internationaler Kooperationen fallen
folgende Unterbereiche. So wird eine stärkere Einbeziehung der Bildung für
nachhaltige Entwicklung in europäische Bildungsprogramme angestrebt. Dazu benennt
24
Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission (2008), S. 13.
24
die EU-Kommission entsprechende Themenschwerpunkte. Weiter müssen
Maßnahmen zur Ausweitung und Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit
durchgeführt werden, welche die Dekade weltweit zum Erfolg führen. Themen wie
Bildung sowie Umwelt und nachhaltige Ressourcennutzung sollen mit Blick auf die
Erreichung der Millenniumsziele in Zusammenarbeit mit anderen Teilnehmerländern
ausgeweitet werden. Der Erfahrungsaustausch ermöglicht, erfolgreich durchgeführte
Projekte aus anderen Staaten in die deutsche Bildungsarbeit zu integrieren. Darüber
hinaus müssen auch deutsche Dekade-Projekte weltweit zugänglich sein, wobei die
UNESCO-Kommissionen und das UNESCO-Sekretariat in Paris behilflich sein können.25
Abschließend ist hinzuzufügen, dass die vier oben genannten strategischen Ziele dem
Ausbau der Bildung für nachhaltige Entwicklung als Richtlinien in Deutschland dienen.
Neben dieser Absicherung der Bildung für nachhaltige Entwicklung durch Vorgaben
wurden Nationalkomitees von der Deutschen UNESCO-Kommission berufen, welche
den Fortschritt der Dekade durch ständige Beobachtung und Überprüfung sichern
sollen. Des Weiteren wurde zur Konkretisierung der Ziele ein Maßnahmenkatalog
erarbeitet, in dem auch der jeweilige Ausgangszustand analysiert, einzelne Akteure
aufgezählt und Teilziele näher ausgeführt werden. Dieser Maßnahmenkatalog wurde
von allen Entscheidungsträgern der Dekade in Deutschland gemeinsam erstellt. Auf
diesen detailliert einzugehen, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen.26
3.2 Lernen im Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung
Die Ausrichtung der Bildung für nachhaltige Entwicklung auf die Zukunft spiegelt sich
grundsätzlich in der Tätigkeit des Lernens wider, denn „Lernen ist dann ein
Bevorratungskonzept für den Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten zum künftigen
Handeln“27. In diesem Zusammenhang sollen kognitive Muster zur Problemlösung
ausgebildet werden. Man unterscheidet zwischen prospektiven und retrospektiven
Formen kognitiver Muster. In der Schule werden im Wesentlichen retrospektive
25
Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission (2008), S. 14. 26
Vgl. Deutsche UNESCO-Kommission (2008), S. 14. 27
G. de Haan, Gerhard (2008), S. 27.
25
Strategien vermittelt, die auf bereits vorhandenen Hypothesen beruhen. Diese gehen
davon aus, dass die Zukunft eine lineare Weiterentwicklung der Gegenwart darstellt.
Um jedoch auch zukünftig offen und kreativ auf sich einstellende Situationen reagieren
zu können, bedarf es den auch für die Bildung für nachhaltige Entwicklung präferierten
prospektiven Strukturen. Hierbei werden zahlreiche Informationen vermittelt, die auf
eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung ausgerichtet sind. Im Idealfall ergänzen
prospektive Strategien die retrospektiven. Formelle Bildung verfolgt das Ziel der
Aneignung epistemischen Wissens mit Hilfe der retrospektiven Strategie.
„Wer über epistemisches Wissen verfügt, ist in der Lage, auf der Grundlage eines
Wissens, das aus der Vergangenheit gewonnen wird (das betrifft das meiste des in
Schulbüchern archivierten Wissens), bestimmte Verhaltens- und Entscheidungsregeln
auszuwählen und anzuwenden.“28
Da epistemisches Wissen jedoch von zuvor festgelegten, immer einsetzbaren
Lösungswegen ausgeht, die auf klar definierte Probleme anzuwenden sind,
funktioniert es in Bezug auf die nachhaltige Entwicklung nicht. Stattdessen verlangt
dieses Konzept zusätzlich die Vermittlung heuristischen Wissens, das grundsätzliche
Muster des Handelns und Entscheidens enthält, welche in der jeweiligen Situation
angewendet werden können. Ausgestattet mit entsprechenden Kenntnissen und
Kompetenzen kann man auch ohne das Vorhandensein spezifischen Fachwissens in
neuen und unvorhersehbaren Situationen flexibel handeln, da man dadurch in der
Lage ist, sich fehlendes Expertenwissen bei Bedarf selbst anzueignen. Mit
heuristischem Wissen lassen sich auch später noch Fehler korrigieren, die erst
während des Handelns auftreten. Darüber hinaus unterstützt es auch die
Weiterentwicklung und den Aufbau neuen epistemischen Wissens. Ziel der Bildung für
nachhaltige Entwicklung ist es, den Lernenden heuristisches Wissen an die Hand zu
geben, welches ihnen dabei hilft, die gemeinsame Zukunft selbständig,
verantwortungsbewusst und kooperativ nachhaltig zu konstruieren. Um nicht nur auf
Situationen reagieren zu können und stattdessen auch eine gemeinsame und aktive
Zukunftsgestaltung zu gewährleisten, bedarf es Lernprozessen, die sowohl von
„universeller“ als auch „lebensweltlicher“ Bedeutung sind und darüber hinaus
28
G. de Haan (2008), S. 27.
26
„zukunftsrelevante Ansprüche“ geltend machen. Gerhard de Haan definiert universelle
Geltungsansprüche als jene, die es dem Einzelnen ermöglichen, von ihrem Recht, an
der nachhaltigen Mitgestaltung ihrer Umwelt, Gebrauch zu machen. Erst durch den
Erwerb erforderlicher Kenntnisse und Kompetenzen wird er dazu befähigt, seine
Gestaltungsrechte zu erkennen und einzufordern. Als entsprechende Voraussetzungen
dafür lassen sich die grundlegenden sozialen Lernziele Kulturfähigkeit, Sozialfähigkeit
sowie Beschäftigungsfähigkeit anführen. Diese universellen Kompetenzen stehen eng
mit den „Gleichheitsrechten“ und dem „Recht auf die Wahrung und Anerkennung ihrer
Unterschiede“ in Beziehung. In Zusammenhang mit der Bildung für nachhaltige
Entwicklung werden die Kompetenzen um ökologische und ökonomische Aspekte
erweitert, indem sie der Verwirklichung „intra- und intergenerationeller Gerechtigkeit“
dienen. Universelle Geltungsansprüche, die in den unterschiedlichen Lebensbereichen
von dem jeweiligen Individuum als wichtig erkannt werden, und dadurch zur Teilhabe
qualifizieren, bezeichnet de Haan als lebensweltlich.29
3.3 Kompetenzen
Die Befähigung zur gemeinsamen, aktiven und eigenverantwortlichen Gestaltung der
Lebenswelt, welche ein flexibles Reagieren auf erkennbare Missstände und die
Neukonstitution bereits vorhandenen Wissens zulässt, ist das Ziel einer Bildung für
nachhaltige Entwicklung. Kompetenzen sind nach Weinert
„die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten
und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen
motivationalen, volitionalen (der willentlichen Steuerung von Handlungsabsichten
unterliegenden; der Verf.) und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten um die
Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll
nutzen zu können“30.
Demnach lassen sich Kompetenzen über die rein kognitive Dimension hinaus als ein
komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Komponenten beschreiben. So
29
Vgl. G. de Haan (2008), S. 27f. 30
Weinert, Franz: Leistungsmessung in der Schule. Weinheim und Basel 2001. S. 27f.
27
beinhalten sie neben kognitiven Anteilen auch emotionale, motivationale und soziale
Bestandteile. Auch das Verhalten, die Grundeinstellung und Selbstwahrnehmung
tragen zur Kompetenzbildung bei.31
Die Kompetenzen für die Bildung für nachhaltige Entwicklung orientieren sich am
Referenzrahmen für Schlüsselkompetenzen der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, da dieser länderübergreifend anwendbar und
darüber hinaus auf bildungspolitischer und auf planerischer Ebene bedeutsam ist. Die
Vermittlung von Schlüsselkompetenzen ist Aufgabe von Schule und Unterricht und
stellt besondere Ansprüche an diese.32
3.3.1 Output-Strategie der Bildung für nachhaltige Entwicklung
Da die Bildung für nachhaltige Entwicklung grundsätzlich ein Konzept darstellt, das
Gestaltungskompetenzen vermittelt, lässt sie sich den am Output orientierten
Bildungskonzepten zuordnen. Im Wesentlichen sollen sich Lernende hierbei Strategien
zur Lösung von Problemen, Fähigkeiten und Handlungskonzepte aneignen. Im
Gegensatz dazu beschäftigen sich Input-Ansätze, wie zum Beispiel die traditionellen
Lehrpläne, schwerpunktmäßig mit Lerninhalten, wie feststehende Begriffe und
Faktenwissen. Da Individuen jedoch über unterschiedliches Vorwissen, Erfahrungen
und Interessen verfügen, geht es bei der Output-Orientierung weniger um das
Vorhanden- und Nichtvorhandensein einzelner Informationen. Stattdessen wird
akzeptiert, dass Kenntnisse je nach individuellen Voraussetzungen variieren und
unterschiedlich stark ausgebildet sein können. Da nicht die Vermittlung und
Anhäufung abfragbaren Faktenwissens, sondern vielmehr der Aufbau von
Kompetenzen im Vordergrund steht, kann der Lerngegenstand je nach Motivation und
Vorkenntnissen von den Schülern relativ frei bestimmt werden. Mit der Output-
Orientierung kann sich die heranwachsende Generation über den bereits vorhandenen
31
Vgl. G. de Haan (2008), S. 30. 32
Vgl. G. de Haan (2008), S. 30.
28
Wissensstand der Elterngeneration hinaus entwickeln, was durch die alleinige
Wissensweitergabe nicht gewährleistet ist.33
3.3.2 Gestaltungskompetenz
Oberstes Ziel der Bildung für nachhaltige Entwicklung ist die Vermittlung von
Gestaltungskompetenz. Darunter versteht man das Erkennen der Notwendigkeit
nachhaltiger Entwicklung sowie die Umsetzung von Kenntnissen in diesem Bereich. Im
Speziellen soll der Lernende befähigt werden, die gegenwärtige Situation mit
Zukunftsstudien in Verbindung zu bringen und daraus Erkenntnisse der sozialen,
ökologischen und ökonomischen Weiterentwicklung mit Berücksichtigung auf ihre
wechselseitige Beeinflussung zu gewinnen. Dies ist die Voraussetzung dafür, Probleme
erkennen sowie verantwortungsvolle und zukunftsweisende Entscheidungen treffen zu
können. Auf individueller, gesellschaftlicher und politischer Ebene lassen sich so
angestrebte Ziele verwirklichen und zukunftstaugliche Entwicklungsprozesse in Gang
setzten.34
3.3.3 Teilkompetenzen
Nach de Haan lässt sich das übergeordnete Ziel der Gestaltungskompetenz in zehn
Teilkompetenzen untergliedern. Deren Legitimation ergibt sich aus Überlegungen der
Nachhaltigkeitswissenschaft. Darüber hinaus orientieren sie sich an gesellschaftlichen
Normen, sozialen Interaktionen sowie Forschungen über die Zukunft. Folgende
Teilkompetenzen der Gestaltungskompetenz werden unterschieden: weltoffen und
neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen, vorausschauend denken und
handeln, interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen und handeln, gemeinsam mit anderen
planen und handeln können, an Entscheidungsprozessen partizipieren können, andere
motivieren können, aktiv zu werden, die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren
33
Vgl. G. de Haan (2008), S. 29. 34
Vgl. G. de Haan (2008), S. 30f.
29
können, selbständig planen und handeln können, Empathie und Solidarität für
Benachteiligte zeigen können und sich motivieren können, aktiv zu werden. Die
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ordnet diese
Teilkompetenzen jeweils drei übergeordneten Kompetenzkategorien zu, welche in
folgender Tabelle veranschaulicht werden.35
Kompetenzkategorien der OECD Teilkompetenzen der Gestaltungskompetenz
Interaktive Verwendung von Medien und
Tools
T.1 Weltoffen und neue Perspektiven
integrierend Wissen aufbauen
T.2 Vorausschauend denken und handeln
T.3 Interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen
und handeln
Interagieren in heterogenen Gruppen G.1 Gemeinsam mit anderen planen und
handeln können
G.2 An Entscheidungsprozessen partizipieren können
G.3 Andere motivieren können, aktiv zu werden
Eigenständiges Handeln E.1 Die eigenen Leitbilder und die anderer
reflektieren können
E.2 Selbständig planen und handeln können
E.3 Empathie und Solidarität für Benachteiligte zeigen können
E.4 Sich motivieren können, aktiv zu werden Abbildung 1
Die hier aufgeführten Teilkompetenzen sind nicht isoliert voneinander zu betrachten,
sondern sind alle miteinander verknüpft.36
3.3.3.1 Weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen
Die Teilkompetenz Weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen
erhält durch die Involviertheit einzelner Nationen in einem großen Ganzen
beziehungsweise deren wechselseitige Abhängigkeit ihre Legitimation. Gerade in
Bezug auf die nachhaltige Entwicklung muss man sich globalen Problemen und
Entwicklungen, wie zum Beispiel dem Klimawandel, stellen. Auch länderübergreifende
35
Vgl. G. de Haan (2008), S. 31f. 36
Vgl. G. de Haan (2008), S. 36.
30
Aktivitäten, wie Fairer Handel, müssen in ihrem komplexen Zusammenspiel betrachtet
werden. Um gegensätzliche Interessen verstehen und unterschiedliche Lösungen im
Sinne der nachhaltigen Entwicklung finden zu können, bedarf es eines Blickes über die
eigenen Landesgrenzen hinaus und der Einnahme anderer kultureller und nationaler
Perspektiven. Darüber hinaus muss man sich auch über die differierenden
gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Sichtweisen bewusst sein sowie
diese beurteilen und anwenden können.37
3.3.3.2 Vorausschauend denken und handeln
Während die erstgenannte Teilkompetenz ihren Schwerpunkt auf internationale
entwicklungspolitische Aspekte legt, wird in der zweiten Kompetenz Vorausschauend
denken und handeln die zeitliche Ebene der Nachhaltigkeit fokussiert. Hierbei steht der
Erwerb von Handlungsstrategien im Vordergrund, die zukünftige nachhaltige
Entwicklungsprozesse ermöglichen. Auch Zukunftsprognosen über die Entwicklung der
Artenvielfalt werden untersucht. Vorausschauend denken und handeln schließt
Ökosysteme, wirtschaftliche Veränderungsprozesse und soziale Gerechtigkeit mit
ein.38
3.3.3.3 Interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen und handeln
Da sich die Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Regel mit sehr komplexen
Themen, wie der Entwicklung der Biosphäre, auseinandersetzt, ist eine
interdisziplinäre Herangehensweise unumgänglich. Aus diesem Grunde wurde auch die
Teilkompetenz Interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen und handeln benannt. Um
sowohl übergreifende als auch detaillierte Nachhaltigkeitskonzepte analysieren und
umsetzen zu können, müssen alle beteiligten Bereiche berücksichtigt werden. Als
Beispiele für übergreifende Konzepte lassen sich Überlegungen zur sozialen
37
Vgl. G. de Haan (2008), S. 32. 38
Vgl. G. de Haan (2008), S. 33.
31
Gerechtigkeit und die Interdependenz von Politik, Ökologie und Ökonomie, Konflikten,
Armut und Gewalt in Beziehung mit ihren Ursachen und Resultaten anführen.
Detailkonzepte der Nachhaltigkeit finden sich beispielsweise in den Handlungsfeldern
Technik, Handel und Konsum.39
3.3.3.4 Gemeinsam mit anderen planen und handeln können
An Entscheidungsprozessen partizipieren können
Die Teilkompetenzen Gemeinsam mit anderen planen und handeln können und An
Entscheidungsprozessen partizipieren können erlangen ihre Bedeutung aufgrund der
Erkenntnis, dass nachhaltige Entwicklung nicht nur Aufgabe des Staates und der
Wirtschaft ist. Stattdessen handelt es sich um eine gemeinsame, soziale und damit
jeden Einzelnen betreffende Angelegenheit. Denn Gemeinschaftssinn sowie auch die
Auseinandersetzung und aktive Zukunftsgestaltung von Umwelt und Gesellschaft
lassen sich nicht nur durch staatliche Gesetzgebungen und Verordnungen regeln. Aus
diesem Grund muss die Bildung für nachhaltige Entwicklung an die Verantwortung des
Individuums gegenüber der Gemeinschaft und Natur appellieren und ein allgemeines
Umdenken einleiten. Zwar erkennen nahezu alle Staaten und Sozietäten die
Nachhaltigkeit als international gültiges Entwicklungsziel an. Jedoch existieren in den
einzelnen Ländern unterschiedliche Auffassungen über Handlungsstrategien, dieses
Ziel zu erreichen. Um eine länderübergreifende Diskussion und eine globale
demokratische Entscheidungsfindung möglich zu machen, müssen sowohl die eigenen
Standpunkte als auch die anderer Länder immer wieder hinterfragt und neu bestimmt
werden. Beim Austragen von Kontroversen sollen unterschiedliche
Interessengegensätze analysiert werden, um zum Beispiel Fragen der Menschenrechte
zu klären sowie Diskriminierung und Vorurteile aus dem Weg zu räumen.40
39
Vgl. G. de Haan (2008), S. 33. 40
Vgl. G. de Haan (2008), S. 33f.
32
3.3.3.5 Andere motivieren können, aktiv zu werden
Die Teilkompetenz Andere motivieren können, aktiv zu werden erhält ihre
Berechtigung aus der Erkenntnis der Notwendigkeit gemeinschaftlichen Handelns für
eine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung. Grundlage hierfür liefert die jüngere
Motivationspsychologie, welche die Bedeutung emotionaler Momente für kooperative
Vorhaben betont. Demnach sind neben rationalem Wissen auch Emotionen, wie zum
Beispiel Hoffnung auf Erfolg, Vertrauen und Risikowahrnehmung, an der
Motivationsentwicklung wesentlich beteiligt. Eigenes Engagement in der nachhaltigen
Entwicklung bildet daher eine günstige Voraussetzung, auch andere dafür zu
begeistern und zur aktiven Gestaltung unserer jetzigen und künftigen Lebenswelt zu
bewegen. Ein gemeinschaftliches Vorhaben ist zum Beispiel Energiesparen im
Klassenzimmer, was ohne die Motivation und das Engagement aller Beteiligter, kaum
durchführbar wäre.41
3.3.3.6 Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren können
Reflexionsfähigkeit stellt eine wesentliche Kompetenz der Persönlichkeitsbildung dar.
Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren können entspricht einem
zeitgemäßen Verständnis von Bildung, in dem eine Persönlichkeitsentwicklung
angestrebt wird, die Aspekte der Autonomie, der Persönlichkeit und der
Gemeinschaftlichkeit beinhaltet. Selbstverwirklichung, Egoismus und das Ausnutzen
der sozialen Gruppe, um einen persönlich Vorteil daraus zu ziehen, schließt das
moderne Bildungsverständnis jedoch aus. Nach diesem Verständnis verfügt ein
gebildeter Mensch über die Fähigkeiten, unmenschliches Verhalten abzuwehren und
zu kommunizieren. Des Weiteren besitzt er Kenntnisse über die eigene Existenz und
deren Geschichte, die Bereitschaft zur Eigenverantwortung und zur
Verantwortungsübernahme innerhalb einer Gruppe. Überträgt man diese Erkenntnisse
41
Vgl. G. de Haan (2008), S. 34.
33
auf die Bildung für nachhaltige Entwicklung, so bezieht sich die Kompetenz auf das
Bewusstsein
„der Hintergründe, Formen und Auswirkungen des eigenen Lebensstils und des
Lebensstils anderer Personen sowie Gesellschaften auf die Lebens- und
Arbeitssituation anderer Menschen sowie auf die Biosphäre“42.
Darüber hinaus beinhaltet die Kompetenz Kenntnisse über angemessene,
gesundheiterhaltende Lebensstile, die eine nachhaltige Güterwirtschaft sowie eine
verantwortungs- und umweltbewusste Freizeitgestaltung und Mobilität
berücksichtigen.43
3.3.3.7 Selbständig planen und handeln können
Die Teilkompetenz Selbständig planen und handeln können korreliert mit der
Kompetenz Gemeinsam mit anderen planen und handeln können, wobei das
Augenmerk hierbei auf das eigenständige Handeln des einzelnen Individuums gerichtet
ist. Die zu erwerbende Fähigkeit verlangt eigeninitiatives Handeln in Bezug auf den
Wandel der Lebensstile und des Konsumverhaltens sowie den Schutz der Rechte
Anderer. Nicht nur allgemeine Verhaltensweisen sollen positiv beeinflusst werden,
auch die Gestaltung des eigenen Lebens muss bewusst unter Berücksichtigung der
nachhaltigen Entwicklung erfolgen. Dabei ist es wichtig, dass das Individuum eigene
Interessen und Bedürfnisse erkennt, formuliert und umsetzt sowie von seinen
Persönlichkeitsrechten Gebrauch macht. Allerdings muss dies mit Rücksicht auf andere
Mitmenschen und zukünftige Generationen erfolgen, deren Rechte es ebenfalls zu
wahren gilt. Nicht zuletzt aus diesem Grund darf die individuelle Entwicklung
keinesfalls die nachhaltige Entwicklung bedrohen.44
42
G. de Haan (2008), S. 35. 43
Vgl. G. de Haan (2008), S. 35. 44
Vgl. G. de Haan (2008). S. 35.
34
3.3.3.8 Empathie und Solidarität für Benachteiligte zeigen können
Auch die Teilkompetenz Empathie und Solidarität für Benachteiligte zeigen können
fordert Rücksichtnahme auf Mitmenschen, insbesondere auf solche, die in irgendeiner
Art und Weise benachteiligt sind. Hierbei kommt der ethische Aspekt der nachhaltigen
Entwicklung, deren ursprüngliches Ziel ausschließlich in der Bekämpfung der
Ausbeutung natürlicher Ressourcen bestand, zum Ausdruck. Später erkannte man
jedoch das enge Zusammenwirken von Umwelt und Entwicklung und erweiterte das
bisherige Konzept um die Vision, eine humane und lebenswerte Welt für alle
Menschen zu gestalten, die von inter- und intragenerationeller Gerechtigkeit geprägt
ist. Aus dieser Verknüpfung ergeben sich einige Auswirkungen auf die nachhaltige
Entwicklung, indem sie zum Beispiel als anthropozentrisches Konzept den Menschen in
den Mittelpunkt stellt. Begründet wird die Forderung nach einem
verantwortungsvollen und nachhaltigen Umgang mit unserer Lebenswelt nicht alleine
durch den Erhalt der Natur. Stattdessen besteht das oberste Ziel im Schaffen einer
gerechten Welt durch die stärkere Berücksichtigung internationaler Verknüpfungen.
Hierbei wird besonderes Augenmerk auf die Entwicklungsländer und sozial schwächer
gestellte Menschen gerichtet. Pädagogisch stellt diese Teilkompetenz jedoch ein
Problem dar, was sich aus dem Überwältigungsverbot ergibt. Dieses besagt, dass man
Schüler nicht in eine bestimmte Richtung lenken darf, sondern ihnen stets mehrere
Wahlmöglichkeiten zur freien Entscheidung und Handlung darbieten soll. Darüber
hinaus spricht auch das pädagogische Anliegen, Heranwachsende zu eigenständig
entscheidungsfähigen Menschen zu erziehen, dagegen. Danach muss dem Individuum
stets der Umfang seines solidarischen Verhaltens freigestellt sein. Generell bleibt ihm
auch selbst überlassen, ob und wann er sozial tätig wird. In diesem Zusammenhang
kommt der nachhaltigen Entwicklung die Aufgabe der Vermittlung grundlegender
Befähigungen sowie sozial und vor allem mit Rücksicht auf Schwächere interagieren zu
können zu. Dazu zählt die Fähigkeit, politische, individuelle, soziale und wirtschaftliche
Situationen unter sozialen und nachhaltigen Gesichtspunkten zu analysieren und zu
beurteilen sowie das Wissen über Möglichkeiten, sich gegenüber Armen, Bedürftigen
35
und Unterdrückten sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene empathisch
und solidarisch zu zeigen.45
3.3.3.9 Sich motivieren können, aktiv zu werden
In engem Zusammenhang mit der Kompetenz, andere Menschen zum aktiven Handeln
anzuregen, steht auch die Teilkompetenz Sich motivieren können, aktiv zu werden.
Denn insbesondere in Bezug auf die Bewältigung persönlicher Krisensituationen und
den Umgang mit einer ungewissen Zukunft nehmen Emotionen einen besonderen
Stellenwert ein. Erkenntnisse aus der Risikoforschung belegen, dass persönliche
Verhaltensänderungen immer Unsicherheiten hervorrufen. Genauso muss auch die
Disziplin der Nachhaltigkeit stets mit Ungewissheiten umgehen, da es sich hierbei um
eine Wissenschaft handelt, die sich mit der Zukunft befasst. So spielen bei dem
persönlichen Umgang mit ungewissen Prognosen über zukünftige Entwicklungen nicht
nur vernunftgesteuerte Komponenten, sondern auch emotionale Anteile eine Rolle.
Daher beinhaltet die bedeutende Teilkompetenz Sich motivieren können, aktiv zu
werden sowohl das Bewusstsein über persönliche Motive als auch die eigene
Motivation zur Partizipation an demokratischen Interaktionen und nachhaltigen
Handlungsprozessen.46
45
Vgl. G. de Haan (2008), S. 35f. 46
Vgl. G. de Haan (2008), S. 36.
36
II. Nachhaltigkeitspädagogik
1. Nachhaltigkeitspädagogik im schulischen Bereich
Um eine zukunftsorientierte Bildung zu ermöglichen, nimmt das Aufgabenfeld Bildung
für nachhaltige Entwicklung im schulischen Bereich einen zentralen Stellenwert ein.
„Denn mit ihr wird ein wissenschaftlich, politisch, sozial wie individuell zentrales
Handlungsfeld erschlossen, das als paradigmatisch gelten kann für eine
zukunftsweisende Bildung.“47
Dabei sollte den Lernenden der Sinn der Lerninhalte stets bewusst sein.48
Wichtig ist, Heranwachsende möglichst früh für die Bedeutung der nachhaltigen
Entwicklung zu sensibilisieren. Darin liegt auch die besondere Rolle des Lern- und
Handlungsfeldes Schule begründet. Da Lernende viel Zeit ihres Lebens in der Schule
verbringen, sollte die sich hiermit bietende Chance genutzt werden, an dieser Stelle
mit der Nachhaltigkeitspädagogik anzusetzen.
„Kinder verbringen in einer entscheidenden Phase ihrer Entwicklung nahezu zwölf
Jahre lang fast ebenso viele Stunden des Tages in der Schule wie zuhause. Der Anteil
der Zeit … beläuft sich somit von der Einschulung bis zum Schulabschluss auf
insgesamt rund 15000 Stunden.“49
Zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele in der Schule müssen Grundlagen für eine
gemeinsame Gestaltung des schulischen Umfelds im Sinne der Bildung für nachhaltige
Entwicklung geschaffen werden. Durch die kritische-konstruktive Auseinandersetzung
und Mitgestaltung werden sich die Schüler ihrer Verantwortung für ihre Lebenswelt
bewusst. Im Rahmen dieses Handlungsprozesses lernen sie, in Kooperation mit dem
Lehrpersonal persönliche Ziele zu setzen und zu erreichen. Dadurch entsteht auch die
Möglichkeit auf lokaler Ebene an der Bildung für nachhaltige Entwicklung mitzuwirken.
Insbesondere sollen Heranwachsende dazu befähigt werden, sinnvoll in ökologischen,
sozialen und kulturellen Themenfeldern argumentieren und kommunizieren zu
47
G. de Haan (2008). S. 28. 48
Vgl. G. de Haan (2008), S. 28. 49
Rutter, Michael: Fünfzehntausend Stunden. Schulen und ihre Entwicklung auf die Kinder. 1. A.
Weinheim: Beltz Verlag 1980. S. 25.
37
können. Die Lernenden sollen neben dem Erwerb von Kenntnissen im Bereich der
Ökologie und der Entwicklung eines Umweltbewusstseins lernen, theoretische Inhalte
und gemäß persönlicher Intentionen auch in der Praxis anzuwenden. Dabei sollte man
nicht vernachlässigen, dass Wirtschaft, Ökologie sowie soziale und globale
Gerechtigkeit häufig nicht konform gehen. Aus diesem Grund muss stets bedacht
werden, dass ideale Theorien auch auf die Realität übertragbar sein müssen. Darüber
hinaus sollte man sich mit der Frage beschäftigen, ob der Natur ein Eigenrecht zusteht,
welches über den Interessen jetziger und zukünftiger Generationen steht. Als
denkbare Methoden der schulischen Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex
führt Marion Sonnenmoser Formen des offenen Unterrichts und des selbstbestimmten
Lernen an. Auch eine Öffnung der schulinternen Bildung nach außen, zum Beispiel
durch eine Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen und Instituten, die sich im
Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung engagieren ist möglich. Kooperation
wird aber nicht nur vor Ort angestrebt, sondern soll darüber hinaus durch eine
Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen anderer Länder erweitert werden.
Grundsätzlich muss schulische Bildung im Rahmen der nachhaltigen Entwicklung
Lernenden, Kompetenzen und Kenntnissen an die Hand geben, die selbständige
Reflexion fördern. Zu beachten ist hierbei, dass man keine eingeschränkten
Sichtweisen und vorgegeben Handlungsmuster vermittelt. Im Gegensatz dazu gilt der
Grundsatz, eine offene Umgangsweise mit Inhalten unserer Lebenswelt zu üben, um
dadurch Raum für neue Perspektiven zu lassen. Lernprozesse werden durch „Distanz-
und Differenzierungsverfahren“ initiiert.50
1.1 Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Lehrplänen
Durch die Verankerung des Lern- und Handlungsfeldes Bildung für nachhaltige
Entwicklung in zahlreichen Lehrplänen wird deren Bedeutung zum Ausdruck gebracht.
In den Bildungsstandards der Fächer Biologie und Geographie nimmt es beispielsweise
einen zentralen Stellenwert ein und wird in den jüngeren Schulgesetzen zunehmend
50
Vgl. Stipproweit, Marion: Lokale Agenda 21. Implikationen für die Umweltbildung. In: Umweltbildung
in Theorie und Praxis. Hg. v. Adelheit Stipproweit. 1. A. Landau: Knecht 1998. S. 41f.
38
als Orientierungsgröße herangezogen.51 Der bisherige Fächerkanon der Schule wird mit
diesem Themenkomplex um ein neuartiges Lernfeld, nämlich die Bildung für
nachhaltige Entwicklung, erweitert. Durch die bereits oben erwähnte und für die
Bildung für nachhaltige Entwicklung erforderliche Lernstrategie, die ihren Schwerpunkt
auf die Vermittlung prospektiver Inhalte und heuristischen Wissens verlagert, werden
traditionelle, meist additive Lernwege, ergänzt. Im Gegensatz zur alleinigen Anhäufung
von Wissen vermittelt die Bildung für nachhaltige Entwicklung anwendbare
Fähigkeiten zur kreativen Problemlösung und aktiven Mitgestaltung unserer
zukünftigen Umwelt und Gesellschaft in einem größeren Kontext.52
1.2 Richtlinien für die Umweltbildung an den bayerischen Schulen
In der Bekanntmachung vom 22.01.2003 des Bayerischen Staatsministeriums für
Unterricht und Kultus wurden die Richtlinien für die Umweltbildung an bayerischen
Schulen bekanntgegeben. Das Staatsministerium verweist zunächst auf Art. 131 Abs. 2
der Bayerischen Verfassung, der wie folgt lautet:
„Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung
und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und
Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit für alles
Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur und
Umwelt.“53
An diesem Zitat aus der Bayerischen Verfassung wird deutlich, dass sich das
Bundesland Bayern schon seit längerer Zeit um die Umweltbildung bemüht. Bereits
1984 wurde das Bildungsziel Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt in die
Verfassung aufgenommen. Im Jahr 1990 veröffentlichte das Bayerische
Staatsministerium für Unterricht und Kultus erstmals Richtlinien für die Umweltbildung
an den bayerischen Schulen, welche nach dem Erscheinen der Agenda 21 um das
51
Vgl. G. de Haan (2008), S. 26f. 52
Vgl. G. de Haan (2008), S. 28f. 53
Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hg.): Richtlinien für die Umweltbildung an
den bayerischen Schulen. Bekanntmachung vom 22.01.2003 Nr. VI/8 S4402/7 – 6/135767. München:
2003, S. 1.
39
Leitziel der Bildung für nachhaltige Entwicklung erweitert wurden. Da es sich bei der
Umweltbildung um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, muss auch die
Schule einen entsprechenden Beitrag dazu leisten. Bildung für nachhaltige Entwicklung
vereint ökonomische Problemstellungen, ökologische Fragen und soziale
Entwicklungen auf der gesamten Erde, bei welchen es auch zu Überschneidungen
kommen kann. Aufgrund des Zusammenhangs dieser Bereiche sollten sie auch als
Ganzes behandelt werden. Verantwortlich mit Umwelt und Natur umzugehen gilt als
Ausgangspunkt der Umweltbildung, welchen sich die Schüler selbst aneignen müssen.
Dabei ist, wie bei jedem anderen Lernvorgang auch, ausschlaggebend, dass die
Heranwachsenden die bereits gemachten Erfahrungen mit neuen Ansprüchen in
Verbindung bringen sowie Haltungen, Verständnis und Wissen selbstständig erlernen.
Zentrales Ziel der Umweltbildung ist es die Kinder und Jugendlichen dazu anzuleiten,
sich gemäß ihrem Alter rege am gesellschaftlichen Geschehen zu beteiligen und dieses
auch mit gestalten zu können. Das Anleiten zur Partizipation und die Vermittlung von
Gestaltungskompetenzen macht die Umweltbildung zum Teil der politischen Bildung.
Schüler sollen weiter die Befähigung erlangen, die gegenseitige Abhängigkeit zwischen
Umwelt und Mensch zu erkennen. Auch die Ausprägung der Fähigkeit, sich mit dem
Lösen von Problemen tatkräftig auseinanderzusetzen, gehen mit der oben genannten
Befähigung konform. Das Aneignen puren Sachwissens bleibt jedoch belanglos, wenn
die Heranwachsenden keinen Bezug zum Alltag in ihrer Lebenswelt herstellen können.
Wichtig ist, dass sie die Thematik persönlich und gefühlsmäßig anspricht und ihr
Wissen es ihnen ermöglicht, sich in die Lebensumstände anderer hineinzuversetzen.
Auch die Auseinandersetzung mit dem Schönen und Künstlerischen der Natur und
Umwelt sind maßgebend für die Nachhaltigkeitsbildung. Umweltbildung möchte den
Menschen ganzheitlich erreichen, indem sie seine Empfindungen, sein praktischen
Veranlagungen sowie seinen Sachverstand anspricht. Somit steht sie in der Tradition
Johann Heinrich Pestalozzis, indem sie Herz, Hand und Kopf der Schüler bildet. Eines
der zentralen Ziele der schulischen Umweltbildung ist es die Kinder und Jugendlichen
zu ermutigen, das Erlernte auch in die Tat umzusetzen. Über den Vergleich der eigenen
Verbrauchsmuster und Vorlieben mit erlernten, umweltgerechten, zukunftsfähigen
und nachhaltigen Lebensweisen und Konsumverhalten sollen sie ein persönliches
40
Umweltbewusstsein entwickeln, welches sie nach außen nicht nur verbal vertreten
sondern auch danach handeln. Besonders wichtig dabei ist, dass die Heranwachsenden
feststellen, dass sie einerseits selbst an der Schädigung der Umwelt beteiligt und
andererseits von den Ausmaßen der Umweltverschmutzung selbst betroffen sind oder
noch sein werden. In diesem Zusammenhang sollen sie erkennen, dass sich eine
gesunde Umwelt auch positiv auf ihren eigenen Gesundheitszustand auswirken kann.
Darüber hinaus muss den Schülern klar werden, dass es bei der Umsetzung einer
nachhaltigen Entwicklung aufgrund der vielen Beteiligten zu differierenden Interessen
und dadurch zu Auseinandersetzungen kommen kann. Es gilt zu verstehen, dass jeder
seinen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten muss, damit dieses Konzept
fruchtet. Anfangs wird Umwelt vom Individuum nur im näheren Umfeld oder in der
Region wahrgenommen. Umweltbildung muss die Heranwachsenden dazu befähigen,
sich im lokalen Umfeld zu engagieren und sich bei der Lösung von Umweltproblemen
zu beteiligen. Ferner sollen sie verstehen, dass sie nicht nur von lokalen, sondern auch
von globalen Umweltbelastungen tangiert sind. Umweltbildung findet hier sozusagen
vom Nahen zum Fernen statt. Schließlich sollen die Kinder und Jugendlichen erfassen,
dass der gerechte Umgang mit Umwelt und Natur sowie der Respekt vor der
Schöpfung das Fundament einer nachhaltigen Entwicklung bildet. Im Schulalltag ist es
von besonderer Bedeutung, dass die Schüler die Umsetzung der Intentionen der
Umweltbildung selbst erfahren. Diese sind nicht nur im Verhalten der Lehrer, sondern
auch in den Heranwachsenden übertragenen Aufgaben, die sie eigenständig, in der
Gruppe oder mit Hilfestellung des Lehrpersonals, ausarbeiten und umsetzen können zu
finden. Auch zur inneren Schulentwicklung kann Umweltbildung einen erheblichen
Beitrag leisten. Die Schule muss sich jedoch ihrer Umgebung öffnen, um den Kindern
und Jugendlichen die Gelegenheit zu bieten, Ansichten und Interessen verschiedenster
nichtschulischer Institutionen, wie zum Beispiel Unternehmen, Umweltorganisationen
und politische Vereinigungen, kennenzulernen. Alle Aktionen, die die Schule im
Rahmen der Umweltbildung durchführt, bedürfen einer stetigen Evaluation und
Aktualisierung, da so Nachhaltigkeit entsteht. Über die Umweltbildung können Schüler
positive Erfahrungen gewinnen. Da Umweltbildung sowohl einen persönlichen als auch
einen gesellschaftlichen Lernvorgang darstellt, unterliegt sie gewissen Grenzen, die
41
auch im schulischen Bereich zu finden sind. Daher sind Proteste gegen Thematiken der
Umweltbildung durch die Schüler vom Lehrpersonal unbedingt anzuerkennen, Fehler
zu dulden und ein demokratischer Umgang in der Gemeinschaft zu fördern. Auch von
Misserfolgen sollen sich die Heranwachsenden nicht den Mut nehmen lassen, da auch
diese Bestandteil im Sinne der nachhaltigen Entwicklung sein können.54
Abbildung 2
54
Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2003), S. 1ff.
42
1.3 Bildung für nachhaltige Entwicklung in der politischen Bildung
1.3.1 Bildung für nachhaltige Entwicklung im fächerübergreifenden Unterricht
Das Thema Umwelt zählt nicht ausschließlich zum Aufgabenbereich der politischen
Bildung, denn alle Schulfächer können etwas zur Umweltbildung beitragen. Bei
genauerem Betrachten fällt sogar auf, dass Themen und Inhalte der verschiedensten
Fächer korrelieren. Die Möglichkeit, die Probleme der Umwelt fächerübergreifend zu
behandeln, bietet den Schülern, durch die Betrachtung einer Umweltthematik aus
verschiedensten Blickwinkeln, ein abwechslungsreiches Lernen. Aufgrund der
fehlenden Fächerverbindung im Bereich der Umweltbildung an den meisten Schulen
und aus den daraus resultierenden Wiederholungen entstehen bei den
Heranwachsenden oft Vorbehalte gegen diese Themenbereiche. Insbesondere in der
politischen Bildung besteht bei sehr vielen Inhalten die Möglichkeit, sie in Verbindung
mit anderen Fächern zu setzen und sie somit interessanter zu gestalten. Häufig können
umweltpolitische Probleme ohne das Wissen, welches die Schüler in anderen Fächern
erworben haben, nicht verstanden werden. Ein Beispiel hierfür wären die
Gesetzgebungen in Bezug auf biologisch- beziehungsweise gentechnisch veränderte
Lebensmittel. Ohne die nötigen Informationen aus dem Biologieunterricht können die
Heranwachsenden nicht nachvollziehen, weshalb der Gesetzgeber diese
Nahrungsmittel für bedenklich erachtet. Doch auch die in anderen Fächern
behandelten Themen bedürfen vielfach einer politischen Betrachtung. So gilt es zum
Beispiel im Bereich der Bio- und Gentechnik die möglichen Auswirkungen für ein
gesamtgesellschaftliches Zusammenleben aufzuzeigen, die das Thema zu einem
politischen machen.55 Die Mannigfaltigkeit und Unsicherheit denkbarer Folgen der
Umweltverschmutzung verlangen nach umweltgerechtem Handeln im Sinne der
„Daseinsvorsorge“56.
55
Vgl. Sander, Wolfgang: Politische Bildung als fächerübergreifende Aufgabe der Schule. In: Handbuch
politische Bildung. Hg. v. Wolfgang Sander. 3. A. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag 2005, S. 254f. 56
Vgl. Kahlert, Joachim: Umweltbildung. In: Handbuch politische Bildung. Hg. v. Wolfgang Sander. 3. A.
Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag 2005, S. 431.
43
1.3.2 Bildung für nachhaltige Entwicklung als Aufgabenfeld der politischen Bildung
Es ist wichtig, insbesondere die verschiedenen Interessensgruppen zu beachten, die
unterschiedliche Risikoauffassungen und Aufwands- beziehungsweise
Brauchbarkeitsspekulationen vertreten. Aufgrund dessen ist es der maßgebliche
Auftrag der Politik, aktiven Umweltschutz zu betreiben und für dessen Einhaltung
Sorge zu tragen. Somit ist der Schutz der Umwelt auch Aufgabe der politischen
Bildung.57 Der gerechte Umgang mit der Umwelt oder nachhaltiges Handeln verlangt
nicht nur die Erfüllung von Umweltstandards und das Einhalten von Richtlinien.
Darüber hinaus ist wichtig, sich am Modell der sozialen Gerechtigkeit und an den
verschiedenen Konzeptionen der Lebensqualität zu orientieren. Betrachtet man die
Aspekte der nachhaltigen Entwicklung und des ökologischen Diskurses gemeinsam, so
ist festzustellen, dass die gesamte Gesellschaft zum kollektiven Handeln aufgerufen ist.
Unterschiedliche Interessen und Risikoauffassungen bedürfen einheitlicher
Regelungen, welche in einer umweltpolitischen Debatte verhandelt und in der Folge
festgelegt werden müssen. In diesem Zusammenhang gilt es miteinander zu
Kommunizieren und sich auszutauschen, was mit dem Wandel der Umweltbildung
einhergeht, die mehr und mehr zur politisch wichtigen Bildung avanciert.58
Im institutionellen Bereich der Schule hat sich der Themenkomplex der Bildung für
nachhaltige Entwicklung mittlerweile etabliert, wobei hierbei einzuwenden ist, dass
sich schwerpunktmäßig Akteure, die in erster Linie aus erziehungswissenschaftlichen
Disziplinen stammen, mit didaktischen Fragestellungen diesbezüglich
auseinandersetzen. Da die nachhaltige Entwicklung auf globaler Ebene betrachtet
werden muss, bedarf es einer stärkeren Berücksichtigung aus einer politischen
Perspektive. In diesem Sinne muss Bildung für nachhaltige Entwicklung mit politischer
Bildung gleichgesetzt werden, indem ein Demokratieverständnis angestrebt wird, das
auf dem Nachhaltigkeitsprinzip basiert. Insbesondere vor dem Hintergrund der
Globalisierung stellt die Bildung für nachhaltige Entwicklung ein Aufgabenfeld der
Politikdidaktik dar. Nahezu alle politischen Inhalte verlangen eine Auseinandersetzung
mit dem Aspekt der Nachhaltigkeit auf globaler Ebene. Um „Tendenzen zur
57
Vgl. J. Kahlert (2005), S. 431. 58
Vgl. J. Kahlert (2005), S. 432f.
44
Entpolitisierung relevanter Themengebiete“59, die insbesondere in den pädagogischen
Handlungsfeldern zustande kommen, entgegenzuwirken, müssen die Inhalte der
Bildung für nachhaltige Entwicklung explizit unter politikdidaktischen Gesichtspunkten
analysiert und systematisiert werden.60
1.3.3 Die Gestaltungskompetenz im Rahmen der Bildung für nachhaltige
Entwicklung
In der politischen Bildung wird dem Erlangen von Gestaltungskompetenz im Sinne der
Bildung für nachhaltige Entwicklung ein besonderer Stellenwert zu Teil. Umweltbildung
soll dabei helfen, Gestaltungskompetenz durch Aufklärung zu erwerben und die
Heranwachsenden bei einer verantwortungsbewussten Lebensführung zu
unterstützen. Des Weiteren sollen die Schüler auf eine ungebundene
Auseinandersetzung mit variierenden Entscheidungssituationen und die nachhaltige
Gestaltung ihrer Zukunft vorbereitet werden.61 Gerhard de Haan stellt in diesem
Zusammenhang fest, dass
„seitdem Umweltschutz, eingebettet in den Nachhaltigkeitsdiskurs, als eine
gesellschaftspolitische Gestaltungsaufgabe begriffen wird, hat sich das Verständnis,
Umweltbildung solle einen Beitrag zur Entwicklung von Partizipationskompetenz
leisten, weitgehend durchgesetzt“62.
Auch wenn die Auswirkung der schulischen Umweltbildung auf die Heranwachsenden
noch nicht hinreichend erhoben ist, wird ihr eine besondere Bedeutung zugemessen.
Ihr pädagogisches Handeln leitet die Schüler in Übereinstimmung mit Bildungsidealen
dazu an, selbständig, vernünftig, eigenverantwortlich und gemeinverträglich zu
handeln. Ein bestimmtes Verhalten soll dabei jedoch nicht antrainiert werden,
vielmehr muss es dem Individuum zu einer Befähigung verhelfen sein Verhalten
entsprechend zu überdenken.
59
A. Brunold (2009), S. 322. 60
Vgl. A. Brunold (2009), S. 320ff. 61
Vgl. J. Kahlert (2005), S. 432f. 62
J. Kahlert (2005), S. 433.
45
Darüber hinaus will Umweltbildung als politische Bildung den Lernenden dabei
behilflich sein,
„sich ein reflektiertes und altersangemessenes Urteil über Umweltrisiken zu bilden
(Beurteilung der Umweltqualität und des umweltpolitischen Handlungsbedarfs);
Rahmenbedingungen für umweltverbessernde Maßnahmen zu erkennen, zu
verstehen und zu beurteilen (Handlungsvoraussetzungen); die Angemessenheit von
umweltverbessernden Maßnahmen unter Berücksichtigung ihrer möglichen,
wahrscheinlichen, beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen zu beurteilen (Kalkül
von Handlungsfolgen)“63.
Eine Aufgabe der politischen Bildung besteht zudem auch darin, deutlich zu machen,
dass die Fragen der Bildung für nachhaltige Entwicklung von hoher Komplexität sind
und daher auch zahlreiche Wissensbereiche umfassen. Aus diesem Grund muss man
entsprechende Themen aus den unterschiedlichsten Sichtweisen betrachten, um den
Lernenden die Multiperspektivität zu veranschaulichen. Im Gegensatz zu einer
einseitigen Ausrichtung kann so ein wesentlicher Beitrag zur kritischen Urteilsfähigkeit
geliefert werden. In der Schule bietet sich aufgrund der Vielseitigkeit des
Themenkomplexes ein fächerübergreifender Unterricht an. Im Rahmen solcher
Angebote sind außerschulische Lernorte besonders gefragt.64
1.3.4 Präzisierung der Teilkompetenzen der Gestaltungskompetenz
Die Teilkompetenzen, die de Haan den Gestaltungskompetenzen zuordnet, präzisiert
Brunold, indem er sie auf den Bereich der politischen Bildung überträgt. In diesem
Zusammenhang werden die Kompetenzen durch die Einbeziehung sogenannter
Bürgerkompetenzen auf politisch-demokratischer Ebene erweitert. Angestrebt wird
der Erwerb folgender Kompetenzen:
Erstens sollen die Lernenden Formen, Konflikte und Belange der Werteorientierung
sowohl im sozialen Bereich als auch in den Feldern der Politik, Ökonomie und Ökologie
erkennen, bewerten und anwenden können. Zweitens wird der Erwerb von
63
J. Kahlert (2005), S. 434. 64
Vgl. J. Kahlert (2005), S. 434f.
46
Partizipations- und Interventionsfähigkeiten gemäß eigener Bedürfnisse und im Sinne
des Allgemeinwohls angestrebt. Außerdem sollen die Heranwachsenden dazu befähigt
werden, in diesem Sinne zu agieren. Drittens bedarf es der Vermittlung der
Kompetenz, sich aktiv in „bürgerschaftlichen“ und „zivilgesellschaftlichen“ Belangen im
Sinne der Demokratie zu engagieren. Viertens müssen die Schüler lernen, weltweite
Probleme und Fragestellungen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, um der
Komplexität der Bildung für nachhaltige Entwicklung gerecht zu werden. Fünftens
sollen sie für die Menschen- und Bürgerrechte sensibilisiert werden, indem sie diese
erkennen und lernen, sich aktiv dafür einzusetzen. Sechstens ist es von Bedeutung,
dass die Lernenden die Kompetenz entwickeln, private Erkenntnisse und lokale
Probleme mit damit zusammenhängenden globalen Fragestellungen in Verbindung zu
bringen. Siebtens besteht ein Ziel der Bildung für nachhaltige Entwicklung im Rahmen
des Politikunterrichts darin, die Heranwachsenden zu befähigen, zukünftige
Entwicklungen und mögliche bevorstehende Risiken abzuschätzen sowie
gegebenenfalls Handlungsalternativen auf individueller aber auch auf internationaler
Ebene aufzuzeigen. Hierbei sollten sich die Jugendlichen ihrer Verantwortung auch
über die nationalen Grenzen hinaus bewusst sein. Achtens stellt die Fähigkeit zur
Reflexion über persönliche und kulturelle Leitbilder, die durch Medien vermittelt
werden, eine wichtige Kompetenz dar. Ebenso sollten die Schüler Formen des
Konsums und unterschiedliche Lebensstile kritisch und mit der erforderlichen Distanz
reflektieren können.65
1.4 Bildung für nachhaltige Entwicklung im Lehrplan der bayerischen Hauptschule
Wie bereits erwähnt, hat sich die Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Institution
Schule etabliert und ist auch in den unterschiedlichen Lehrplänen fest verankert.
Sowohl explizit erwähnt als auch in Form verschiedener Themenkomplexe, die einen
Bezug zur Nachhaltigkeitsdiskussion herstellen lassen, sind die Inhalte präsent. Die
Bedeutung der Bildung für nachhaltige Entwicklung als Aufgabenfeld der Schule und
65
A. Brunold (2009), S. 320.
47
die Erkenntnis der damit verbundenen Chance, Kinder und Jugendliche bei der
Entwicklung eines Verantwortungsbewusstseins für unsere Welt zu begleiten, spiegelt
sich auch im Lehrplan der bayerischen Hauptschule wider.
Bereits in Kapitel I „Grundlagen und Leitlinien“ zeigt sich die Gewichtung, die der
Bildung für nachhaltige Entwicklung zugeschrieben wird, denn in Artikel 131 der
Verfassung des Freistaates Bayern werden unter den obersten Bildungszielen
„Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit“, „Aufgeschlossenheit für alles
Wahre, Gute und Schöne“ sowie „Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt“
aufgezählt (2). Darüber hinaus sollen die Schüler „im Geiste der Demokratie, in der
Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk im Sinne der
Völkerversöhnung“ erzogen werden (3).66
Der Auftrag der Hauptschule (2.) besteht unter anderem in der Vermittlung von
Allgemeinbildung (2.2): „Sie bereitet auf eine verantwortliche Gestaltung des Lebens
und auf die Wahrnehmung von Rechten und Pflichten in der Gesellschaft vor“. Neben
der Allgemeinbildung sollen die Schüler der bayerischen Hauptschule eine
Wertorientierung (2.3) erfahren, die im Nachhaltigkeitskonzept einen bedeutenden
Stellenwert einnimmt. Die politische Bildung soll sich mit den „Fragen und
Herausforderungen der Zeit“ beschäftigen und eine „Bereitschaft zur Übernahme von
Verantwortung“ anbahnen, um die Heranwachsenden so zu einem Handeln gemäß
ihrer „Rechte und Pflichten als mündige Bürger“ zu befähigen (2.4). In diesem
Zusammenhang werden einige fächerübergreifende Ziele genannt, die eng mit den
Zielen der Bildung für nachhaltige Entwicklung in Beziehung stehen, wie die
„Menschenwürde und Menschenrechte“, „Frieden“, „freiheitliche Ordnung“,
„Deutschland, Europa, Welt“, „Interkulturelle Erziehung“ und insbesondere der Aspekt
der „Umwelt“, der sich mit dem „Wissen um den Wert und die Gefährdung der
natürlichen und kulturellen Umwelt, Bereitschaft zur Mitverantwortung für die
Erhaltung der Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen“ beschäftigt.67
Zu den zu erwerbenden Schlüsselqualifikationen im Unterricht der Hauptschule zählt
auch „die Bereitschaft und Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Mitverantwortung“, die
66
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hg.): Lehrplan für die bayerische
Hauptschule. München: 2004, S. 7. 67
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2004), S. 8.
48
im Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung gerade im Hinblick auf die
Globalisierung und die Vernetzung unterschiedlicher Bereiche, mit denen sich die
Nachhaltigkeitsdiskussion beschäftigt, eine unverzichtbare Kompetenz darstellt. 68
1.5 Bildung für nachhaltige Entwicklung im Lehrplan des GSE-Unterrichts der
bayerischen Hauptschule
Nicht nur im allgemeinen Teil des Hauptschullehrplans ist die Thematik der Bildung für
nachhaltige Entwicklung stark vertreten. Insbesondere das Fach
Geschichte/Sozialkunde/Erdkunde (GSE) widmet sich diesem Themenkomplex in den
unterschiedlichsten Facetten. Da sich die Bildung für nachhaltige Entwicklung in einem
sehr weit gefassten und vielseitigen inhaltlichen Rahmen bewegt, beschäftigen sich
auch viele Lerninhalte des GSE-Unterrichts unmittelbar mit der Thematik oder lassen
sich indirekt mit ihr in Beziehung bringen.
Im Folgenden werde ich entsprechende Lerninhalte exemplarisch und knapp
umreißen, da eine genauere Lehrplananalyse den Rahmen dieser Arbeit sprengen
würde.
1.5.1 5. Klasse
Der GSE-Unterricht der Jahrgangstufe fünf beschäftigt sich unter anderem mit dem
Thema „Die Erde auf einen Blick“ (5.2). Dabei sollen die Lernenden Kenntnisse über die
Entstehung der Erde sowie ein Orientierungswissen auf globaler Ebene erwerben.69
Von besonderer Bedeutung für die Inhalte der Bildung für nachhaltige Entwicklung ist
auch der Lernbereich „Region und Umwelt“ (5.4), der den Landschafts- und
Umweltschutz als wichtige Aufgaben der gegenwärtigen Generation hervorhebt und
die Heranwachsenden dazu befähigen soll, ihre Verantwortung für ihre Lebenswelt zu
erkennen und pflichtbewusst mit ihr umzugehen. Außerdem gewinnen sie einen
68
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2004), S. 11. 69
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2004), S. 119f.
49
Überblick über Möglichkeiten und Maßnahmen des Umweltschutzes, wie zum Beispiel
im Bereich der Müllvermeidung, Energieeinsparung und Regenwassernutzung.70
1.5.2 6. Klasse
In der sechsten Klasse widmet sich der Lehrplan verstärkt der demokratischen
Gesellschaft im Allgemeinen, „Umgang mit Konflikten in der demokratischen
Gesellschaft“ (6.1) sowie regionalen Themengebieten in Form der heimatlichen
Umgebung „Bayern“ (6.3). Im Sinne der sogenannten „Bürgerkompetenzen“, die
politisch-demokratische Denk- und Handlungsweisen beinhalten, sollen die
Heranwachsenden Interessengegensätze als „ein wesentliches Kennzeichen einer
pluralistischen Gesellschaft“ erkennen, deren Erscheinungsformen, wie
Meinungsverschiedenheiten und Rivalitäten, Auslöser und Folgen verstehen sowie
Regeln und Maßnahmen zur Konfliktbewältigung verinnerlichen. Als Lebensraum und
Heimat der Schüler stellen regionale Erfahrungen und Kenntnisse über Bayern, zum
Beispiel über die Wirtschaftsräume und das Phänomen des Strukturwandels, eine
wichtige Grundlage zum Verständnis globaler Entwicklungen dar. 71
Auch das Lernfeld „Freizeit“ (6.4), die in unserer Gesellschaft durch sich verändernde
Lebensverhältnisse immer mehr zunimmt, beinhaltet grundlegende Erkenntnisse im
Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens. Hierbei sollen die Mädchen und Jungen ihr
eigenes Freizeitverhalten kritisch reflektieren und dabei lernen, unterschiedliche
Freizeitangebote abzuwägen und die vorhandene Zeit sinnvoll sowie ökologisch und
sozial verantwortungsvoll zu gestalten.72
70
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2004), S. 120f. 71
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2004), S. 168. 72
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2004), S. 168f.
50
1.5.3 7. Klasse
Besonders aktuelle und wichtige Inhalte der Bildung für nachhaltige Entwicklung
werden auch im GSE-Unterricht der siebten Jahrgangsstufe genannt, wie das „Klima“
(7.2) und die „Bedrohung der Menschen durch Naturkräfte“ (7.9). Der Lerninhalt
„Klima“ beschäftigt sich mit der aktuellen Debatte über den Klimawandel, wobei die
Lernenden über Vorgänge, Ursachen durch menschliches Handeln und mögliche
Folgen in Kenntnis gesetzt werden. Darüber hinaus sollen sie die Bedeutung des
Klimaschutzes als wichtige Aufgabe erkennen und entsprechende Handlungsstrategien
entwickeln.73
„Die Bedrohung des Menschen durch Naturkräfte“ steht in engem Zusammenhang mit
dem Klimawandel. Hierin besteht die Chance, Schülern Folgen nichtumweltbewussten
Handelns aufzuzeigen und ihnen ihre eigene Verantwortung für ihren Lebensraum zu
verdeutlichen. Darüber hinaus werden ihnen mögliche Auswirkungen von
Naturereignissen und Maßnahmen zur Vorsorge dargelegt.74
1.5.4 8. Klasse
In der achten Jahrgangsstufe rückt unter anderem die Globalisierung in den
Vordergrund. Der Lernbereich „Europa“ (8.1) beschäftigt sich mit dem Phänomen des
zusammenwachsenden Europas in Form topografischer Grundkenntnisse und
bedeutender Wirtschaftsräume, deren Rand- und Kerngebiete sowie deren
unterschiedliche Leistungspotentiale.75
Weiterhin sollen die Schüler über „Boden und Ernährung“ (8.4) aufgeklärt werden,
wobei Boden als entscheidende, jedoch nur begrenzt vorhandene, Nutzfläche sowie als
wesentliche Ernährungsgrundlage erkannt werden soll. Unter diesem Aspekt wird auch
73
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2004), S. 222. 74
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2004), S. 226. 75
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2004), S. 288.
51
die Aufgabe der Landwirtschaft in Deutschland und die Bedeutung einer nachhaltigen
Bodennutzung betrachtet.76
Wie auch in der sechsten Jahrgangsstufe unter dem Lernbereich „Umgang mit
Konflikten in der demokratischen Gesellschaft“ (6.1) beinhaltet auch der GSE-Lehrplan
der siebten Klasse die „Demokratie in Deutschland“ (8.7). Insbesondere auf die
Bundesrepublik Deutschland bezogen, erwerben die Heranwachsenden Wissen über
das Mehrparteiensystem, die Funktion und Bedeutung von Wahlen sowie
Grundkenntnisse über Staatsorgane. Des Weiteren besteht eine Aufgabe der Schule
darin, die Lernenden in demokratischer Gesinnung zu erziehen und diese dazu zu
befähigen, sich für den Erhalt unserer Demokratie einzusetzen, was auch im Sinne der
Bildung für nachhaltige Entwicklung auf globaler Ebene wichtig ist.77
1.5.5 9. Klasse
In der neunten Jahrgangsstufe wird der Fokus auf Europa und auf die „Eine Welt“ (9.2)
ausgeweitet. Lernziele sind der Erwerb von Kenntnissen über den Begriff und die
Entwicklungen der Globalisierung. In diesem Zusammenhang sollen Schüler über die
unterschiedlichen Entwicklungsstadien in Kenntnis gesetzt werden, wozu Merkmale
und Problematik der Entwicklungsländer und der USA als „eine führende
wirtschaftliche und ideologische Macht“ zählen. Hierbei gilt es Abhängigkeiten
zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu verstehen sowie die eigene
Involviertheit zu erkennen.78
In engem Zusammenhang mit dem Lernfeld „Eine Welt“ steht der Bereich „Globale
Zusammenarbeit für Sicherung und Frieden“ (9.4). Die Lernenden sollen sich darüber
bewusst werden, dass ein weltweites friedliches Zusammenleben eine internationale
Kooperation verlangt. Darüber hinaus werden Kenntnisse über Strategien zur
Krisenbewältigung und Sicherung des Friedens sowie deren Grenzen aufgezeigt.79
76
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2004), S. 289. 77
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2004), S. 291. 78
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2004), S. 360f. 79
Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2004), S. 362.
52
Bei der Analyse des Hauptschullehrplans fällt auf, dass sich das bereits inhaltlich
fächerübergreifend angelegte Fach GSE intensiv mit Fragestellungen der
Nachhaltigkeitsdiskussion beschäftigt. Wie zuvor angedeutet bietet sich für die
schulische Bewältigung der Inhalte der Bildung für nachhaltige Entwicklung
fächerübergreifende und projektorientierte Lernangebote an. GSE lässt sich
diesbezüglich in vielen Bereichen auch mit anderen Fachgebieten vernetzen, wie mit
den Fächern Religionslehre, Ethik, Deutsch, Englisch, Physik/Chemie/Biologie,
Kunsterziehung oder Arbeit/Wirtschaft/Technik.
2. Nachhaltigkeitspädagogik an außerschulischen Lernorten
Wie bereits erwähnt, ist die Nachfrage für außerschulische Angebote der
Nachhaltigkeitspädagogik im Rahmen schulischer Projekte und fächerübergreifender
Unterrichtsvorhaben besonders groß. Aber nicht nur in Zusammenarbeit mit Schulen
stellen außerschulische Lernorte eine wesentliche Chance im Bereich der Bildung für
nachhaltige Entwicklung dar. Auch andere Zielgruppen können von entsprechenden
Angeboten profitieren.
2.1 Was sind außerschulische Lernorte?
Zunächst muss definiert werden, was in der vorliegenden Arbeit unter
außerschulischen Lernorten verstanden wird.
„Mit dem Begriff >>Außerschulische Lernorte<< wird darauf aufmerksam gemacht,
daß die Lernenden das Schulgebäude verlassen können, um gezielt einen
gesellschaftlich-politischen Problembereich durch eigene Erfahrungen,
Beobachtungen und Erlebnisse gemeinsam zu erschließen.“80
80
Ackermann, Paul: Außerschulische Lernorte in der politischen Bildung. In: Politik und Unterricht.
Zeitschrift zur Gestaltung des politischen Unterrichts. Hg. v. Landeszentrale für politische Bildung
Baden-Württemberg. 2. Quartal. 24. Jahrgang. Villingen-Schwenningen: Neckar-Verlag 1998, S. 3.
53
Insgesamt können alle Orte außerhalb der Institution Schule unter einer
entsprechenden Anleitung des Pädagogen als Lern- und Erfahrungsräume genutzt
werden. Selbst den Kindern und Jugendlichen vertraute Orte, wie eine nahegelegene
Waldlichtung oder ein Bach, lassen sich mit Hilfe einer interessanten Fragestellung
oder unter Einbeziehung neuer Aspekte zu interessanten Lernorten im Sinne der
Bildung für nachhaltige Entwicklung umfunktionieren. An außerschulischen Lernorten
in der freien Natur können die Heranwachsenden die Umgebung zum Beispiel anhand
von Aktivitäten, wie im Bach Wasser schöpfen und untersuchen oder Tierspuren finden
und deuten, selbständig erkunden und sich dadurch aktiv erschließen. Auch in Museen
lassen sich nachhaltige Erlebnisse durch das entdeckende Lernen an Objekten vor Ort,
beispielsweise mit Hilfe von Suchspielen, initiiert.81
Auch die Umweltstation des Landesbundes für Vogelschutz e.V. in Kleinostheim bietet
sich als außerschulischer Lernort an.
2.2 Geeignete Methoden und besondere Lernchancen an außerschulischen
Lernorten in der politischen Bildung
Nach Ackermann bieten sich folgende Lernmethoden im Bereich außerschulischer
Lernorte für den Politikunterricht an, die sich aber auch auf das Lernen im Allgemeinen
übertragen lassen. Des Weiteren eröffnen sich durch die Ausweitung des Unterrichts
besondere Lernchancen.
2.2.1 Realitätsbegegnung und Erfahrungsorientierung / Erkundung / Exkursion
Zunächst ermöglicht das Aufsuchen außerschulischer Lernorte den Heranwachsenden
Realitätsbegegnung und Erfahrungsorientierung. In diesem Zusammenhang bietet sich
die Chance, die in den Klassenräumen lediglich theoretisch aufgearbeitete,
81
Vgl. Kneppenberg, Christel: Außerschulische Lernorte. Hg. v. Landesinstitut für Schule und Medien
Brandenburg. 1. A. Ludwigsfelde-Struveshof: 2005 (= Materialien zur Rahmenlehrplanimplementation
Grundschule. Materialien für das Fach Geschichte, Jahrgangsstufe 5/6), S. 3ff.
54
gesellschaftlich-politische Realität unmittelbar zu erleben. Auf diese Weise können die
Lernenden Wirklichkeit primär erfassen, ordnen und deuten.82 Erkundungen und
Exkursionen ermöglichen eine Auflösung der sonst meist strikten Trennung zwischen
dem Lernen in geschlossenen oder abgegrenzten Schulräumen und dem Lernen vor
Ort. In manchen Phasen einer Unterrichtseinheit bieten sich Erkundungen besonders
an, wie zum Beispiel zur Einführung in einen neuen Themenkomplex, zur Vertiefung
des bereits Erarbeiteten und zur Ergebnissicherung am Ende einer Phase. In
Begegnungen mit der Realität lassen sich bestimmte didaktische Ziele verwirklichen.
Dazu zählt die Ermöglichung ganzheitlichen Lernens mit allen Sinnen, die unmittelbare
Begegnung mit Gegenständen oder Situationen im Ganzen sowie Primärerfahrungen in
der Realität, die fachliches Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen direkt ergänzen
können.83 Bei der Durchführung von Exkursionen und Erkundungen bedarf es einer gut
durchdachten Organisation. Zu beachten ist hierbei eine ausgewogene Kooperation
zwischen Schülern und dem Lehrpersonal in den Phasen der Zielsetzung, praktischen
Durchführung sowie Aufarbeitung und Reflexion.
Bei der Realisierung und Auswertung einer Exkursion schulen die Lernenden genaues
Beobachten und Lernen, persönliche Erfahrungen und Erlebnisse mit theoretischem
82
Vgl. P. Ackermann (1998), S. 3. 83
Vgl. Peterßen, Wilhelm: Kleines – Methodenlexikon. 3. A. München: Oldenbourg Schulbuchverlag
2009, S. 73.
Zielsetzung
(Thema, konkrete Arbeitsaufträge, Planung der Durchführung)
Praktische Durchführung
(Realisierung)
Aufarbeitung und Reflexion
(Darstellung der durchgeführten Arbeiten, Ergebnissammlung, Einordnung in den thematischen Gesamtzusammenhang)
Abbildung 3
55
Wissen in Beziehung zu bringen. Des Weiteren wird die Fähigkeit gefördert, sich
argumentativ an Diskussionen zu beteiligen und eigene Schlussfolgerungen daraus zu
ziehen. Damit einhergehend lernen die Heranwachsenden selbständig,
gemeinschaftlich, genau, eigenverantwortlich und ausdauernd aktiv zu werden.84
2.2.2 Entdeckendes Lernen / Forschendes Lernen
Lernen im Rahmen schulischen Unterrichts basiert im Wesentlichen auf der
Vermittlung von Sekundärerfahrungen, wobei persönliche, primäre Erlebnisse oft
vernachlässigt werden.85
„Lernpsychologische Untersuchungen haben ergeben, dass subjektives Wissen
besser behalten wird und wirkungsvoller ist, wenn es nicht bloß paketartig, fix und
fertig geschnürt erworben wird, sondern wenn Lernende es sich in einem
individuellen Prozess Stück um Stück aufbauen. Dabei geht es nicht darum,
Lernende an den Nullpunkt menschlicher Erkenntnisgewinnung zurückzuversetzen,
sondern sie vorliegende Erkenntnisse nach-vollziehen, nach-entdecken zu lassen,
sie einen persönlichen Prozess der Wissenskonzeption (…) durchlaufen zu lassen.“86
Um entdeckendes Lernen zu ermöglichen, müssen zu lernende Inhalte so aufbereitet
werden, dass sie bei Schülern eigene Fragestellungen auslösen und zum Nachforschen
reizen. Erst danach führen Organisation und Durchführung zur Aneignung konkreten
Wissens. Im Sinne des Konstruktivismus bauen die Heranwachsenden Schritt für Schritt
selbständig strukturiertes Wissen auf. Hierbei wechselt der Pädagoge von der Rolle des
Belehrenden zum Lernberater und Moderator, der die Lernenden während möglichst
selbständiger Lernprozesse begleitet.87
Auch Ackermann, der die Methode des entdeckenden Lernens als forschendes Lernen
bezeichnet, betont, dass ausgehend von spezifischen und individuellen
Fragestellungen oder Problemen forschendes Lernen betrieben wird, indem diese
84
Vgl. W. Peterßen (2009), S. 80. 85
Vgl. W. Peterßen (2009), S. 66. 86
W. Peterßen (2009), S. 66. 87
Vgl. W. Peterßen (2009), S. 66f.
56
systematisch analysiert werden. Sowohl der Arbeitsprozess als auch das Resultat sind
so auch für Dritte verständlich.88
2.2.3 Prozessorientierung: „Der Weg ist das Ziel“
Insgesamt liegt bei der Prozessorientierung der Schwerpunkt weniger auf abfragbaren
Kenntnissen beziehungsweise dem Lernergebnis als auf dem Lernprozess an sich. Von
besonderer Bedeutung sind die selbsttätigen Erkundungen an außerschulischen
Lernorten, die sich besonders gut in Form von Projekten durchführen lassen.89
2.2.4 Verbindung von abstraktem und konkretem Lernen
Über eine einseitig theoretische Vermittlung von Faktenwissen hinaus, die bei Kindern
und Jugendlichen eher wenig Interesse für Fragen der Politik weckt, werden ihnen
durch die Integration außerschulischer Lernorte unmittelbare Erfahrungen in
unterschiedlichen Bereichen der Politik zu Teil. Insgesamt soll der Tendenz, sich im
Politikunterricht immer mehr von der gesellschaftlich-politischen Realität zu entfernen,
entgegen gewirkt werden. Es wird jedoch keine vollständige Ersetzung abstrakten
Lernens angestrebt. Stattdessen bedarf es einer sinnvollen Ergänzung durch konkrete
Begegnungen.90
2.2.5 Vergleich und Austausch unterschiedlicher Wissensformen
Daneben ermöglichen Unterrichtsgänge einen Vergleich und Austausch
unterschiedlicher Wissensformen, indem Schülern dabei nicht nur mit den Aussagen
und Ansichten ihres Lehrers konfrontiert werden, sondern darüber hinaus auch
88
Vgl. P. Ackermann (1998), S. 3. 89
Vgl. P. Ackermann (1998), S. 4. 90
Vgl. P. Ackermann (1998), S. 4.
57
Sichtweisen von Experten, Mitarbeitern von Institutionen und Normalbürgern kennen
lernen. Unterschiedliche Ansichten können von den Heranwachsenden kritisch
reflektiert und miteinander verglichen werden.91
2.2.6 Mehrdimensionales Lernen / Ganzheitliches Lernen
Ferner wird im Rahmen von Erkundungen ganzheitliches, mehrdimensionales Lernen
gefördert, da hierbei Wissen nicht nur in Form von Buchstaben und Schaubildern
vermittelt wird. Stattdessen nehmen die Heranwachsenden ihre Lebenswelt mit allen
Sinnen wahr. Durch das persönliche Erleben werden Erkenntnisse und Erfahrungen im
Gedächtnis fest verankert und lassen sich leichter abrufen als rein theoretisch
vermitteltes Faktenwissen.92
An dieser Stellt ist anzumerken, dass ganzheitliches Lernen vielmehr Prinzip zur
Organisation von Lernvorgängen als Methode darstellt. Hierbei wird der Lernende in
seiner Gesamtheit in den Mittelpunkt gerückt und mit dem Lerngegenstand als Ganzes
in Verbindung gebracht. Dieses Prinzip stellt einen Gegensatz zum noch weit
verbreiteten kopfgesteuertem Lernen in der Schule dar. Ganzheitliches Lernen umfasst
jedoch vielmehr als nur das sinnliche Lernen, da man den Menschen nicht nur auf
seine fünf Sinne reduzieren kann. Stattdessen richtet sich das Augenmerk auf den
ganzen komplexen Menschen, der das Angebot erhält, sich als gesamte Person mit
dem ganzen Objekt auseinanderzusetzen. Sowohl die subjektive als auch die objektive
Ganzheit müssen gleichermaßen Berücksichtigung finden. Im unterrichtlichen Lernen
sollten Heranwachsende in ihrer ganzen Person geachtet werden und nicht nur auf
ihre Position als Schüler reduziert werden. Auch dem zu lernenden Objekt soll in seiner
Vollständigkeit begegnet werden, indem es den Heranwachsenden in seiner
ursprünglichen und unverfälschten Form präsentiert wird. Von großer Bedeutung beim
ganzheitlichen Lernen ist das Sammeln von Primärerfahrungen, die die Lernenden
direkt am Lerngegenstand vor Ort machen können.93
91
Vgl. P. Ackermann (1998), S. 4. 92
Vgl. P. Ackermann (1998), S. 4. 93
Vgl. W. Peterßen (2009), S. 116f.
58
2.2.7 Methoden und Arbeitstechniken lernen
Weiterhin wird den Schülern unmittelbar vor Ort die Bedeutung von Hilfsmitteln zur
Erschließung sozialwissenschaftlicher und politischer Phänomene bewusst. Hierbei
bietet sich die Chance, Methoden und Arbeitstechniken aus dem Bereich der
Sozialwissenschaften, wie das Beobachten, Protokollieren oder Vergleichen, zu
erproben.94
2.2.8 Fächerübergreifendes Lernen
In der Regel geht man beim fächerübergreifenden Lernen von einem zentralen Leitfach
aus, das ein Thema intensiver und zeitgleich mit verwandten Fächern behandelt. Um in
einem fächerübergreifenden Unterrichtsvorhaben nachhaltig und effektiv Wissen zu
vermitteln, bedarf es intensiver Absprachen zwischen den beteiligten Fachlehrer. Denn
nur auf diese Weise können Unterrichtsinhalte aufeinander aufbauen und sich
gegenseitig ergänzen.95
Ebenso begreifen die Heranwachsenden durch die Konfrontation und
Auseinandersetzung mit komplexen Fragestellungen aus der gesellschaftlich-
politischen Praxis, dass stets verschiedene Perspektiven eingenommen und
Zugriffsweisen betrachtet werden müssen, um die jeweilige Situation vollständig
erfassen zu können. In der Schule wird die Komplexität der Wirklichkeit meist
exemplarisch auf den „Zuständigkeitsbereich“ des jeweiligen Schulfaches reduziert,
was den Schülern bewusst werden sollte.96
94
Vgl. P. Ackermann (1998), S. 4. 95
Vgl. W. Peterßen (2009), S. 85. 96
Vgl. P. Ackermann (1998), S. 5.
59
2.2.9 Soziales Lernen
Eine verstärkte Einbeziehung außerschulischer Lernorte wirkt sich in besonderem
Maße auch auf das soziale Lernen in der Gruppe und das Schulleben insgesamt aus.
Sowohl auf der Ebene der Lernenden untereinander als auch auf der Beziehungsebene
zwischen Pädagogen und Schülern eröffnen sich neue Möglichkeiten der
Kommunikation. Die Heranwachsenden nehmen andere Rollen als im traditionellen
Unterricht ein, wie zum Beispiel die eines Fotografen oder Sprechers. Aus den neuen
Beziehungsformen können sich sowohl Chancen als auch Konflikte ergeben. Außerdem
kann durch eine Kooperation mit außerschulischen Einrichtungen und das Erkunden
neuer Lernorte eine gewisse Öffentlichkeit des Schullebens durch Ausstellungen,
Elternabende und Berichte in der Schülerzeitung hergestellt werden.97
2.2.10 Handlungs- und subjektorientiertes Lernen
Zwar bei Ackermann nicht explizit genannt, jedoch eng mit von ihm angeführten
Methoden in Beziehung stehend, lässt sich handlungsorientiertes Lernen als geeignete
Methode nachhaltigen Lernens an außerschulischen Lernorten anführen.
Zusammenfassend lässt sich das Konzept handlungsorientierten Lernens wie folgt
beschreiben: „>Wer Handlungsfähigkeit will, muss handeln lassen!< oder >Wer
Selbständigkeit will, muss Selbständigkeit gewähren!<“98 Aus eben genanntem Zitat
geht auch das wichtigste Ziel aller Handlungen und Methoden des
handlungsorientierten Lernens hervor, nämlich die Förderung der intellektuellen
Fähigkeit, sein eigenes Handeln selbst zu planen, abzuwägen und zu organisieren, denn
nur so kann Selbständigkeit erworben werden. Hierbei wird der eigene Verstand zum
Instrument der Tätigkeit. Noch vor dem Ausführen einer Handlung entwirft das Subjekt
ein Handlungsschema in der Planungsphase. Anstatt von Pädagogen vorformulierte
Aufgaben zu erfüllen, sollten die Lernenden eigenaktiv ihre Handlungen organisieren
und vorbereiten, um so vollständige Lernprozesse durchlaufen zu können. Alle
97
Vgl. P. Ackermann (1998), S. 5. 98
W. Peterßen (2009), S. 143.
60
Vorgehensweisen, die diese Forderung erfüllen, zählen zur Methode des
handlungsorientierten Lernens. Lehrer geben Impulse und Rückmeldung und leisten
gegebenenfalls Hilfestellung. In der Literatur wird die Planung und Durchführung von
Projekten häufig als Möglichkeit des handlungsorientierten Lernens empfohlen. Als
Merkmale des handlungsorientierten Lernens lassen sich Zielgerichtetheit, Vorplanung
der Handlung, selbständiges Handeln der Lernenden und Vollständigkeit des
Lernprozesses, eigenständige Planung, Durchführung sowie Kontrolle anführt.99
Ackermann betont die Subjektorientierung als geeignete Methode der politischen
Bildung. Demnach stehen die Schüler in außerschulischen Lernprozessen als
individuelle Subjekte, die selbstverantwortlich und eigeninitiativ handeln, im
Mittelpunkt.100
Abschließend lässt sich hinzufügen, dass sich einzelne genannte Methoden und
Vorgehensweisen nicht immer streng voneinander trennen lassen und oft miteinander
in Beziehung stehen. Im Rahmen der politischen Bildung und insbesondere auf dem
Gebiet der Bildung für nachhaltige Entwicklung sind alle genannten Methoden,
Prinzipien und Vorgehensweisen von besonderer Bedeutung.
2.3 Kooperation zwischen Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen
Das bewusste Initiieren und Ermöglichen von Primärerfahrungen ist für Kinder und
Jugendliche in der heutigen Zeit wichtiger denn je, denn gerade durch den
zunehmenden Medienkonsum entstehen Defizite in „originalen Begegnungen“ und
unmittelbaren Naturerfahrungen. Medien vermitteln den Schülern zwar eine Fülle an
Informationen, die jedoch nur „aus zweiter Hand“, also indirekt erfahren werden.
Diese sind meist nicht hinreichend aufgearbeitet und überfordern daher die
Heranwachsenden überfordern. Aus diesen Gründen sollte das Klassenzimmer hin und
99
Vgl. W. Peterßen (2009), S. 143f. 100
Vgl. P. Ackermann (1998), S. 3.
61
wieder verlassen werden, um auch andere Lernorte zu nutzen, die unmittelbare
Erfahrungen durch eigenständiges Erkunden zulassen.101
In der heutigen Zeit, in der Schulen zunehmend Ganztagsangebote zur Verfügung
stellen, nehmen innovative und zeitgemäße Lernformen, wie die Kooperation mit
außerschulischen Lernorten und Einrichtungen, einen zentralen Stellenwert ein.
Besonders im Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung bietet sich eine
derartige Zusammenarbeit an, da sich gerade außerhalb der Institution Schule neue
und vielfältige Methoden eröffnen, die unter anderem Schlüsselqualifikationen, wie
Transferfähigkeit, selbständiges Handeln und Kooperationsfähigkeit, fördern. Eine
Öffnung der Schule nach außen, zum Beispiel im Rahmen von Projektarbeit und eines
fächerübergreifenden Unterrichts, wird in den neuen Richtlinien, wie die Richtlinien für
die Umweltbildung an den bayerischen Schulen (Januar 2003), und Lehrplänen auch
zunehmend gefordert. Sie liefert sowohl Vorteile für die Institution Schule als auch für
die außerschulischen Einrichtungen.
Einerseits erfahren Lehrer durch neue thematische und inhaltliche Anregungen eine
Bereicherung für ihren eigenen Unterricht. Darüber hinaus werden sie in ihrer Arbeit
zeitweise durch den Einsatz außerschulischer Partner entlastet. Außerdem besteht die
Möglichkeit, größere Projekte zu initiieren und die Nachhaltigkeitsthematik
längerfristig und fachübergreifend in den Unterricht zu integrieren. Bereits in der
Praxis erprobte und erfolgreiche Modelle helfen dabei. Derartiger Projektunterricht
bedeutet zwar zunächst Mehrarbeit auf Seiten der Lehrer, kann aber langfristig
durchaus eine Bereicherung für die Lernenden und den Unterricht darstellen, da dabei
selbstorganisiertes Lernen sowie soziale Kompetenzen gefördert werden. Hierzu
zählen zum Beispiel Kooperationsfähigkeit, die Fähigkeit eigene Bedürfniss zu
erkennen und mitzuteilen, Kompromisse einzugehen und die Fähigkeit, Konflikte in
demokratischen Entscheidungsprozessen zu lösen.
Andererseits profieren auch außerschulische Institutionen von einer Kooperation mit
Schulen, denn sie bietet die Chance, Heranwachsende aus unterschiedlichen sozialen
Verhältnissen und Milieus mit den Nachhaltigkeitsthemen zu konfrontieren. Um
nachhaltig erfolgreich agieren zu können, streben viele Akteure der außerschulischen
101 Vgl. C. Kneppenberg (2005), S. 5.
62
Bildung für nachhaltige Entwicklung eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit einer
Schule über einen längeren Zeitraum hinweg an. Durch eine Öffnung der Schule nach
außen werden die Schüler dazu angeregt, sich aktiv an der Gestaltung ihrer Umwelt zu
beteiligen. Im Sinne der Politikdidaktik werden sich die Heranwachsenden so ihrer
Verantwortung und Aufgabe als mündige Bürger bewusst.102
102
Wölfl, Christine: Nachhaltigkeitsthemen im Fokus. Eine Welt, Ernährung, Freizeit, Kleidung,
Partizipation. Eine Lehrplananalyse der Jahrgangsstufen 1-7 an bayerischen Schulen. Hg. v.
Ökoprojekt – MobilSpiel e.V. München: 2003, S. 6.
63
III. Pädagogisches Umsetzungskonzept
für die Umweltstation Naturerlebnisgarten Kleinostheim
des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern e.V.
1. Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V.
Träger der Umweltstation Naturerlebnisgarten Kleinostheim ist der Landesbund für
Vogelschutz in Bayern e.V. (LBV), der sich seit 100 Jahren für die Pflege und den Erhalt
der Natur engagiert. Im Gründungsjahr 1909 wurde der LBV als „Staatlich autorisierte
Vogelschutzkommission“ durch das Königlich Bayerische Innenministerium ins Leben
gerufen. Im Laufe der Jahre entwickelte sich der Verein, der sich zunächst
ausschließlich dem Vogelschutz verschrieben hatte, zum viertgrößten
Naturschutzverband in Deutschland. Dieser setzt sich heute aktiv für den Arten- und
Biotopschutz ein und betreibt Bildung für nachhaltige Entwicklung. Zentrale Aufgabe
des Artenschutzes besteht im Erhalt der vielfältigen Arten der Tier- und Pflanzenwelt,
wie zum Beispiel seltener Orchideen und des bedrohten Weißstorches. Jedoch auch
die für die Arten notwendigen Lebensräume müssen erhalten, erweitert und gepflegt
werden, womit sich der Biotopschutz beschäftigt. Daher erwarb der LBV bereits mehr
als 2.500 ha an Fläche durch Kauf und Pacht, was durch den Bayerischen
Naturschutzfond finanziell unterstützt wurde. Neben dem Erhalt unserer natürlichen
Lebensgrundlage in Arten- und Biotopschutz ist die Bildungsarbeit von grundlegender
Abbildung 4
Bedeutung, um über die natürliche Umgebung zu informieren und dafür zu
sensibilisieren. In Bayern setzten sich 13 Einrichtungen aktiv im Sinne der
nachhaltige Entwicklung
Zusammenhänge verstehen
bewusst werden und einen sorgsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen
erlernen.
Diese Einrichtungen, von denen jede die Auszeichnung
„Umweltbildung.Bayern“
und einem Kindergarten zusammen. Die Bildung für nachhaltige Entwicklung
103
Das Qualitätssiegel „Umweltbildung.Baye
die besondere Leistungen
Bedeutung, um über die natürliche Umgebung zu informieren und dafür zu
sensibilisieren. In Bayern setzten sich 13 Einrichtungen aktiv im Sinne der
nachhaltige Entwicklung dafür ein, dass auch zukünftige Generationen
Zusammenhänge verstehen, sich ihrer Verantwortung für den natürlichen Lebensraum
und einen sorgsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen
Einrichtungen, von denen jede die Auszeichnung
„Umweltbildung.Bayern“103 erhielt, setzten sich aus insgesamt zwölf Umweltstationen
und einem Kindergarten zusammen. Die Bildung für nachhaltige Entwicklung
Das Qualitätssiegel „Umweltbildung.Bayern“ zeichnet Institutionen der Umweltbildung in Bayern
besondere Leistungen im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung
Abbildung 5
64
Bedeutung, um über die natürliche Umgebung zu informieren und dafür zu
sensibilisieren. In Bayern setzten sich 13 Einrichtungen aktiv im Sinne der Bildung für
Generationen ökologische
ihrer Verantwortung für den natürlichen Lebensraum
und einen sorgsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen
Einrichtungen, von denen jede die Auszeichnung der Dachmarke
setzten sich aus insgesamt zwölf Umweltstationen
und einem Kindergarten zusammen. Die Bildung für nachhaltige Entwicklung beginnt
der Umweltbildung in Bayern aus,
im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung erbringen.
65
im Kindergarten „arche noah“ bereits im Elementarbereich an. Die Bildungsarbeit wird
von Mitgliedern des Referats „Bildung für nachhaltige Entwicklung/Freizeit“ in der
Landesgeschäftsstelle in Hilpoltstein gesteuert. Im Sinne der Bildung für nachhaltige
Entwicklung initiiert die Naturschutzjugend (NAJU) im LBV mit circa 17.000 Mitgliedern
des LBV-Nachwuchses in über 120 Kinder- und Jugendgruppen unterschiedliche
Aktivitäten, wie Ferienfreizeiten, Seminare, Camps, Informationsstände, Workshops,
Theateraktionen sowie aktive Pflege und Erhalt von Biotopen. Um auch die
Öffentlichkeit in Belangen unserer natürlichen Lebensgrundlage zu informieren, reicht
das umfangreiche Bildungsangebot des LBV von Seminaren über Ausstellungen und
Exkursionen bis hin zu Broschüren, die sich in Schulen bereits als gern verwendetes
zusätzliches Unterrichtsmaterial bewährten. Insgesamt zählt der LBV etwa 75.000
Mitglieder in mehr als 350 Kreis-, Orts- und Jugendgruppen.104 Darüber hinaus tritt der
LBV mit seinen Materialien regelmäßig auf der Bildungsmesse „didacta“ auf.
2. Was versteht man unter einer Umweltstation?
Umweltstationen sind multifunktionale Institutionen, die im Auftrag der Bildung für
nachhaltige Entwicklung, in erster Linie das Ziel verfolgen, bei Menschen aller
Altersstufen ein Bewusstsein für unsere Umwelt anzubahnen und
Handlungskompetenzen in diesem Bereich zu fördern. Durch unmittelbare Erlebnisse
in und Erfahrungen mit der Natur empfinden die Beteiligten Wertschätzung und
Achtung der Umwelt, wobei auch überregionale und fachübergreifende Aspekte, die in
der Agenda 21 gefordert sind, Berücksichtigung finden. Um der zunehmenden
104
Vgl. http://www.lbv.de/service/wir-ueber-uns/das-ist-der-lbv.html (24.07.2009)
„Die gute Tat: Er pachtete ein Grundstück und überließ es der Natur.“
(Emil Baschnonga)
66
Entfremdung des Menschen von der Natur entgegenzuwirken, soll die
Naturerlebnispädagogik zunehmend gefördert werden.105
Insbesondere in außerschulischer Bildungsarbeit, jedoch auch als Ergänzung zum
herkömmlichen Schulunterricht, können Interessenten inhaltlich vielfältige Angebote
zur Auseinandersetzung mit unserer Umwelt wahrnehmen. Von besonderer
Bedeutung sind innovative Methoden, die erlebnis-, handlungs- und projektorientiert
ausgerichtet sind. Vor allem partizipative Methoden, die die Bürger unmittelbar an
Planungs-, Entscheidungs- und Durchführungsprozesse teilhaben lassen, tragen dazu
bei, das oberste Ziel der Bildung für nachhaltige Entwicklung, die sogenannte
Gestaltungskompetenz, zu erwerben.106
Am 27.01.1993 sprach sich der Bayerische Landtag für die Erfordernis der Einrichtung
von Umweltstationen aus. Insgesamt orientiert sich die Bildungsarbeit der
Umweltstationen an den Richtlinien des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt,
Gesundheit und Verbraucherschutz.107
105
Vgl. http://lbv.de/umweltbildung/lbv-lernorte/druckansicht.html (25.07.09) 106
Vgl. http://www.umweltbildung.bayern.de (25.07.09) 107
Vgl. http://lbv.de/umweltbildung/lbv-lernorte/druckansicht.html (25.07.09)
67
3. Die Umweltstation Naturerlebnisgarten Kleinostheim
Abbildung 6
Kontakt
Dreizehnmorgenweg 8
63801 Kleinostheim
Tel: 06027/409079 -6 oder -7
Fax: 06027/409079 -8
E-Mail: unterfranken@lbv.de
Homepage: http://www.unterfranken.lbv.de
68
3.1 Entwicklung
Aufgrund eines Straßenbauprojekts mussten Ausgleichsflächen geschaffen werden,
wodurch der Kreisgruppe Aschaffenburg des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern
e.V. 1986 eine aufgelassene Kiesgrube überlassen wurde. Um im Sinne des
Biotopschutzes, einer der Hauptaufgaben des LBV, die Fläche zu vergrößern, kaufte
und pachtete man angrenzende Grundstücke dazu. Dank des großen ehrenamtlichen
Engagements zahlreicher Mitglieder konnte die Kiesgrube in einen natürlichen Zustand
zurückversetzt werden. Im Jahr 1992, damals unter dem Namen „Projektgarten“,
wurde die Umweltstation zum experimentellen Lehrrevier für Umweltbildung ernannt.
Das Grundstück der Umweltstation Naturerlebnisgarten umfasst mittlerweile eine
Gesamtfläche von mehr als vier Hektar, wovon ein Teich einen Hektar des Areals
einnimmt. Durch das abwechslungsreiche Gelände, welches neben dem stehenden
Gewässer unter anderem über eine Streuobstwiese, eine Trockenmauer, einige
Hecken und einen Sandmagerrasen verfügt, bieten sich einer Vielzahl von Pflanzen und
Tieren unterschiedlichste Lebensräume. Die Vielfalt des großräumigen Geländes
ermöglicht ein vielfältiges Angebot für Kindergartengruppen, Schulklassen,
Multiplikatoren sowie Senioren- und Behindertengruppen. Seit 2006 wird sukzessive
am behindertengerechten Ausbau der Umweltstation gearbeitet. Zum einen legt man
Wege so an, dass diese auch mit dem Rollstuhl befahren werden können, zum anderen
wird die Beschilderung der einzelnen Stationen zusätzlich mit Blindenschrift versehen.
Im Juni 2008 konnte das Naturerlebnishaus, welches auch als LBV-
Bezirksgeschäftsstelle Unterfranken fungiert, eingeweiht werden.
Als Maskottchen der Umweltstation Kleinostheim begleitet
der Steinkauz Fabian nicht nur die kleinen Besucher auf
ihrem Weg durch den Naturerlebnisgarten. Er begrüßt die
Gäste auf der Homepage, führt auf dem Lageplan durch
das Gelände und erläutert auf Beschilderungen vor Ort die
einzelnen Stationen. Seinen Namen verdankt er dem
Fünftklässler Fabian zu verdanken, der sich beim Bau des
Lehmofens in Gestalt eines Steinkauzes besonders Abbildung 7
69
engagierte. Die Wahl des Maskottchens der Umweltstation fiel bewusst auf den
Steinkauz, da die kleine Eulenart (ca. 20 cm) in Deutschland auf der „Roten Liste der
bedrohten Tierarten“ als stark gefährdet eingestuft wurde und in Bayern vorwiegend
in den Streuobstwiesen am Untermain zu finden ist. Das Steinkauzvorkommen am
bayerischen Untermain, zwischen Alzenau und Amorbach, der Region, in der auch die
Umweltstation Kleinostheim ansässig ist, zählt mit etwa 120 bis 150 Brutpaaren als
bedeutendste Population in Bayern. Als Nistplatz bevorzugt der Steinkauz Bruthöhlen
in alten Bäumen, weicht aber auch alternativ auf künstlich errichtete Niststätten aus.
Durch die Rodung von Streuobstbäumen zugunsten des Straßenbaus und zur
Errichtung von Industriegeländen nimmt der natürliche Lebensraum der Eule und
anderer dort beheimateter Tier- und Pflanzenarten immer mehr ab. Gerade der
Steinkauz als standorttreuer und sensibler Vogel leidet besonders unter den Eingriffen
in sein Biotop. Aus eben genannten Gründen setzt sich der LBV stark für die Erhaltung
von Streuobstwiesen ein, für die der Steinkauz als Indikatorart gilt.
3.2 Anlage und Ausstattung
Die Anlage der Umweltstation in Kleinostheim besteht aus einem Naturerlebnishaus
und einem Naturerlebnisgarten, der etwa 100 Meter vom Gebäude entfernt und in
wenigen Minuten bequem zu Fuß zu erreichen ist.
Im Naturerlebnishaus sind Verwaltung und Organisation untergebracht. Darüber
hinaus bieten ein Besprechungszimmer (Vereinszimmer), ein Vortrags-
beziehungsweise Ausstellungsraum und eine Naturwerkstatt vielfältige Möglichkeiten
für Informationsvermittlung, Diskussion und Austausch. Im Zuge des
behindertengerechten Ausbaus wurde im Neubau des Naturerlebnishauses eine
Behindertentoilette mit Dusche eingerichtet. Neben den sanitären Einrichtungen
befinden sich im Erdgeschoss des Gebäudes auch eine Teeküche und eine Infotheke,
an der auch Artikel des LBV-Shops verkauft werden, die insbesondere im Bereich der
Umweltbildung eingesetzt werden können. Des Weiteren sind Materialien, Geräte und
70
Maschinen in entsprechenden Lagerräumen verstaut. Eine kleine Bibliothek für
Mitarbeiter und Interessenten vervollständigt das umfangreiche Angebot der
Umweltstation.
Pädagogen, Mitarbeitern, anderen Multiplikatoren und Gästen steht eine vielfältige
mediale Ausstattung zur Veranschaulichung und für Experimente zur Verfügung. Diese
sind im Folgenden aufgelistet:
Ausstattung:
• Laptop
• Beamer
• Diaprojektor
• Overheadprojektor
• Großleinwand
• Lautsprecher mit Mikrofon
• Mobiler Soundverstärker mit CD-Spieler
• Flipchart/Magnetwände
• Kommunikationsstellwände
• Medienkoffer
• Schultafel
• Interaktives Whiteboard
• Radio/CD-Spieler
• Sprechfunkgeräte
• Mobiles „Kleinlabor“/Binokulare
• Basteltische, Werkbänke, Werkzeuge usw.
72
Ein wichtiger Bestandteil der Umweltstation ist der Naturerlebnisgarten, in dem die
Besucher in der Natur Beobachtungen, Erfahrungen und Experimente direkt vor Ort
machen können.
Abbildung 9
Auf dem Weg durch das Gelände warten zahlreiche Angebote auf die kleinen und
großen Gäste, die zu unterschiedlichen Aktivitäten einladen, Informationen über
unsere Umwelt vermitteln, Interessantes entdecken und die Natur mit allen Sinnen
erleben lassen.
Die Erkundungstour des über 42.000 m² großen Areals startet am Haupteingang (1)
und führt die Besucher zunächst an Informations- und Hinweistafeln (2) vorbei. Hier
kann man sich zum Beispiel unterschiedliche Nisthilfen für Vögel und Insekten
ansehen. Eine Experimentierhütte (3) lädt zu einem handlungsorientierten Umgang
mit unserer Umwelt ein. Hier finden in einer Art „Offenes Klassenzimmer“ auch
Einführungen in die unterschiedlichen Themengebiete für Schulklassen statt. An einer
Schultafel können währenddessen Zusammenhänge anschaulich dargestellt werden.
Naturerfahrungen mit allen Sinnen lassen sich im sogenannten Sinnesgarten, der eine
Kräuterspirale, ein Kräuterduftrondell, ein Insektenhotel und verschiedene
Gemüsebeete beinhaltet, sammeln. Die Kräuterspirale (4) und das Kräuterduftrondell
laden die Besucher dazu ein, ihre Kenntnisse über Heil- und Küchenkräuter zu
überprüfen und zu erweitern. Außerdem kann man die unterschiedlichsten Düfte
wahrnehmen und den einzelnen Pflanzen zuordnen. Das Kräuterduftrondell (5) ist
wohl das beste Beispiel einer behindertenfreundlichen Ausstattung. Bequem und
barrierefrei können Rollstuhlfahrer in das Rondell hineinfahren und in die extra für sie
73
erhöht angelegten Pflanzenbeete blicken, an den Kräutern riechen, sie anfassen oder
sogar schmecken. In Zusammenarbeit mit dem Blinden- und Sehbehindertenbund
Aschaffenburg-Miltenberg wurde eine Beschilderung der einzelnen Pflanzen in
Blindenschrift (Brailleschrift) angefertigt. Im sogenannten Insektenhotel (6), einer
künstlich geschaffenen Nist- und Überwinterungshilfe für
Insekten, sind unterschiedliche Insektenarten, wie zum
Beispiel Solitärbienen, Hummeln oder Florfliegen, zu
entdecken und gefahrlos aus nächster Nähe zu
beobachten. An den einzelnen „Zimmern“, die aus
unterschiedlichen organischen und nichtorganischen Materialien bestehen, wie zum
Beispiel aus Stroh, Bambusstäben, Schilfrohren, Tonziegeln oder Baumrinde, können
Besucher herausfinden, welche Insekten, welchen Nistplatz bevorzugen.
Insektenhotels bieten auch gefährdeten Arten einen Lebensraum, da hier
Eiablageplätze in Totholz oder verwitterten Steinen geschaffen werden, die in unseren
„aufgeräumten“ Wäldern kaum noch zu finden sind. Durch Bestäubung und als
biologische Schädlingsbekämpfer tragen Insekten dazu bei, das ökologische
Gleichgewicht zu erhalten. Durch Bepflanzung, Pflege und Ernte der Gemüse- und
Kräuterbeete (7) können Kinder Erfahrungen im Umgang mit Anbau, Pflege und Ernte
von frischem Gemüse und Kräutern als Grundlage einer gesunden Ernährung sammeln.
Ein besonderes Highlight stellt auch der Lehmbackofen (8) in Form eines
überdimensional großen Steinkauzes dar, den Schüler
einer fünften Klasse mit Unterstützung von den
Mitarbeitern der Umweltstation errichteten. Zum Schutz
vor Verwitterung baute eine Projektgruppe aus
langzeitarbeitslosen Menschen ein Holzdach darüber.
Wenn der Lehmofen zum Einsatz kommt, erfahren die Besucher, wie man die zuvor
kennengelernten Kräuter zum Würzen von Kräuterfladen oder Pizzen verwenden kann.
Der Geruchssinn wird im Duftpavillon (8), der aus ineinander verschlungenen Weiden
besteht, angesprochen. Hier kann man an unterschiedlichen Stationen versuchen,
bekannte angenehme und unangenehme Gerüche ihrer Duftquelle und persönlichen
Erlebnissen zuzuordnen. Direkt neben dem Duftpavillon befindet sich der Fühlkreis (8),
Abbildung 10
Abbildung 11
74
der in mehrere Segmente unterteilt ist. Jedes Segment ist mit einem anderen Material
aufgefüllt, wie zum Beispiel mit rauer Baumrinde, feinem Sand, spitzen Kiefernzapfen
und kalten, glatten Steinkieseln. Teils mit verbundenen Augen führen sich die Besucher
gegenseitig barfuß über die verschiedenen Untergründe und können sich im Anschluss
über Wahrnehmungen und Empfindungen austauschen. Strukturen des Bodens
werden durch den Verzicht auf das Augenlicht neu entdeckt und hautnah erlebt.
Unterschiedliche Lebensräume kann man im Bereich der Streuobstwiese (9) mit
angrenzenden Hecken (9) erkunden. Der Erhalt alter Obstsorten und eines Biotopes
mit einer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt sind ein wertvoller Beitrag zum Natur- und
Umweltschutz und prägen darüber hinaus das Landschaftsbild, besonders in der
Region Untermain. Die Blumenwiese (10) lädt zu Bewegungsspielen inmitten einer
intakten Natur ein. An der Lagerfeuerstelle (11) auf der Wiese können Besucher einen
ereignisreichen Tag im Sinne der Erlebnispädagogik beim Backen von Stockbrot
ausklingen lassen. Der 2009 errichtete Wasserspielplatz (12) ermöglicht einen
spielerischen Umgang mit dem nassen Element, das vor
allem Kinder zum Planschen, Spritzen und Pumpen
anspricht. Mit Hilfe einer Handpumpe kann das Wasser
durch unterschiedlich große und hohe Metallbecken
befördert werden. Informationen zur Geologie im
Spessart (13) können die Besucher auf einer entsprechenden Informationstafel
nachlesen. Spannend wird es besonders für Kinder, die den 43 Meter langen
Weidentunnel (14) erforschen. Währenddessen können sie aus der Perspektive
heckenbewohnender Tiere deren Lebensraum wahrnehmen oder einfach nur
Verstecken spielen. Das Prinzip „Der Weg ist das Ziel“ wird im Projekt Allee „Baum des
Jahres“ (15) verwirklicht, denn hier liegt der Schwerpunkt auf einem
Entstehungsprozess, bei dem die Allee Jahr für Jahr um den jeweiligen „Baum des
Jahres“ ergänzt wird. In einer integrativen Pflanzaktion wurde 2008 zum Auftakt ein
Walnussbaum von Bewohnern eines Altenheimes in Kooperation mit Kindern aus der
NAJU-Kindergruppe gepflanzt. Für 2009 wurde die Pflanzung eines Bergahorns durch
Mitglieder des Blinden- und Sehbehindertenbundes und der NAJU vorgenommen. Um
einen weiteren interessanten Lebensraum erweitert die Trockenmauer (16) das
Abbildung 12
75
abwechslungsreiche Areal des Naturerlebnisgartens, die zum Beispiel Eidechsen
anlockt und Schutz bietet. Durch die vielen Spalten und Ritzen der Trockenmauer stellt
sie ein geeignetes Milieu für eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren dar. Bei gutem
Wetter, wenn die Steine von der Sonne aufgeheizt sind, hat der Besucher die
Möglichkeit, die zahlreichen tierischen Bewohner, wie beispielsweise Spinnen,
Eidechsen, Schlangen oder Hummeln zu beobachten. Der Sandmagerrasen (17) mag
eingangs recht unspektakulär erscheinen. Setzt man sich jedoch etwas näher mit
diesem Lebensraum auseinander, lässt sich feststellen, dass er gefährdeten, stark auf
diese Umgebung spezialisierten, Tier- und Pflanzenarten eine Heimat bietet. Wie auch
die Trockenmauer bevorzugen wärmeliebende Reptilien und Insektenarten den kargen
Sandboden, der die Wärme der Sonnenstrahlen gut absorbiert, weshalb die hier
wachsenden Pflanzen mit nur wenig Wasser versorgt werden müssen. Auch der
Sandmagerrasen selbst gilt als bedrohter Lebensbereich, da er vielerorts der
wachsenden, modernen Agrarlandschaft weichen musste. In unmittelbarer
Nachbarschaft zum Sandmagerrasen befindet sich die Flachwasserzone (18) des circa
ein Hektar großen Teiches des Naturerlebnisgartens. Die in Flachwasserzonen
angesiedelten Pflanzen dienen dem Gewässer zur Selbstreinigung, sind Lebensraum für
wirbellose Kleintiere und Laichplatz für Fische. Mit
Kescher und Becherlupe ausgestattet können die
Besucher in diesem Bereich selbst aktiv werden und die
hier lebenden wirbellosen Kleintiere, wie den
Wasserskorpion fangen und bestimmen. Bei der
Identifizierung sind Karteikarten mit Beschreibungen und Skizzen oder gerne auch die
Mitarbeiter der Umweltstation behilflich. Kleinere Tiere werden im Binokular
vergrößert und sichtbar gemacht. Im Sinne eines sorgsamen Umgangs mit der Natur
werden alle gefangenen Lebewesen wieder im See freigesetzt. Auf dem Brutfloß für
Wasservögel (20), das im Rahmen einer Multiplikatorenfortbildung für angehende
Erzieher der Fachakademie für Sozialpädagogik Aschaffenburg entstand, haben die
Vögel die Möglichkeit, ungestört zu brüten. Besucher der Umweltstation können sie
dabei beobachten, ohne sie zu stören. Hierzu wurde auf der Holzbrücke ein Fernglas
montiert. Gemeinsam mit Auszubildenden zum Forstwirt entstand am Ufer des Teiches
Abbildung 13
76
eine künstliche Eisvogelbrutwand (21). Die Eingriffe des Menschen in die
Uferlandschaften, wie beispielsweise die Begradigung von Flussläufen und die damit
einhergehenden Steinaufschüttungen, erschweren es dem Eisvogel, einen geeigneten
Platz für den Bau seiner Bruthöhle, die er zur Aufzucht seiner Jungen benötigt, zu
finden. Die Umweltstation erhofft sich, mit dem Bau der Brutwand, die einem
natürlichen Steilufer nachempfunden ist, eine geschützte Ausweichmöglichkeit für den
Wappenvogel des LBV geschaffen zu haben. In einer spektakulären Rettungsaktion
wurde ein Ameisennest (22) in die Umweltstation umgesiedelt. Die Hügelnester der
Waldbewohner werden häufig durch unachtsame Waldbesucher, durch Rodungen
oder bei Bauarbeiten zerstört. Doch nicht nur deshalb sind die Bestände der
Waldameise stark zurückgegangen, sondern auch der Einsatz von Insektiziden ist daran
beteiligt. Nun können sich die Waldameisen im Naturerlebnisgarten nützlich machen
und ihren Beitrag zum natürlichen Gleichgewicht leisten.
Zusätzliche Ausstattung für das Angebot im Außenbereich:
• Ruderboot
• Kescher
• Becherlupe
• Materialien für Wasserexperimente
• Parabolspiegel zum Kochen mit Sonnenenergie
• Spielgeräte z.B. Fallschirm für Bewegungsspiele
• Schultafel in der Experimentierhütte
• Fachliteratur, Bestimmungsbücher und Karteikarten
3.3 Organisationsstruktur
Leiter der Umweltstation Naturerlebnisgarten Kleinostheim und LBV-
Bezirksgeschäftsstellenleiter für Unterfranken ist der staatlich geprüfte Forsttechniker
Thomas Staab. Des Weiteren beschäftigt der Landesbund für Vogelschutz die Diplom
77
Biologin Sabine Schmidt in einem halben Anstellungsverhältnis. Sie ist vorwiegend für
den Bereich der Umweltbildung zuständig. Zu ihren Aufgaben zählen die Vorbereitung,
Durchführung und Nachbereitung von Veranstaltungen in der Umweltstation sowie die
Planung neuer Projekte im Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Ferner ist
Karin Philipp als Verwaltungskraft beim LBV angestellt. Sie nimmt unter anderem
Anfragen und Buchungswünsche entgegen und terminiert diese und rechnet gebuchte
Veranstaltungen ab. Darüber hinaus ist die Umweltstation offiziell anerkannte
Zivildienststelle für ein bis zwei Zivildienstleistende. Im neunmonatigen Wechsel
assistieren junge Männer bei der Durchführung von Aktionen oder führen diese
selbständig durch. Auch die Landschaftspflege im Naturerlebnisgarten und die
Instandhaltung fallen in ihren Tätigkeitsbereich. Derzeit ist der Umweltstation eine
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme durch die Agentur für Arbeit zugeteilt. Der Teilnehmer
dieser Maßnahme erfüllt die Arbeiten eines Hausmeisters und unterstützt bei der
Instandhaltung sowie der Landschaftspflege innerhalb der Umweltstation. Darüber
hinaus führen LBV-Mitglieder und ehrenamtliche Mitarbeiter Seminare, Aktionen,
Weiterbildungen sowie sonstige Veranstaltungen durch und beteiligen sich an
Großveranstaltungen im Sinne der Öffentlichkeitsarbeit (Apfelmarkt, Ökomarkt,
Familienmesse, Mainfrankenmesse).
3.4 Bedeutung der Umweltstation für die Region
Mit ihren etwa 375.000 Einwohnern liegt die Region Bayerischer Untermain im
Nordwesten des Freistaates Bayern. Einerseits ist die Gegend eher ländlich geprägt,
andererseits bietet die Nähe zum Ballungsgebiet Frankfurt eine gut ausgebaute
Infrastruktur und weitere Vorteile einer nahen Großstadt. Aschaffenburg gilt als das
Zentrum der Region, die von den Mittelgebirgen Spessart und Odenwald umgeben ist
und vom Main durchflossen wird. Darüber hinaus bietet das milde Klima beste
Voraussetzungen für den hier betriebenen Weinanbau. Mit ihrer Bildungsarbeit
bereichert die Umweltstation Naturerlebnisgarten in Kleinostheim den Bayerischen
Untermain durch ein vielfältiges Angebot. Nicht nur Schulen und Kindergärten
78
profitieren von einer intensiven Zusammenarbeit, auch Vereine, Senioren- und
Behindertengruppen, Familien sowie auch lokal ansässige Firmen. Durch die Nähe zu
den beiden benachbarten Bundesländern Hessen und Baden-Württemberg kommt der
Umweltstation Naturerlebnisgarten Kleinostheim eine überregionale Bedeutung zu.
Abbildung 14
79
In den Firmen Sodenthaler Mineralbrunnen GmbH und dem Gärtnereibetrieb Löwer
GmbH fand die Umweltstation langjährige Kooperationspartner, die unter anderem an
der Verwirklichung von Projekten, wie dem „Aktionstag Wasser“ oder Baum- und
Kräuterpflanzungen, beteiligt sind. Auch andere Partner, wie die Sparkasse
Aschaffenburg-Alzenau, die Gemeinde Kleinostheim, Stadt und Landkreis
Aschaffenburg, der Landkreis Miltenberg daneben diverse Naturschutzgruppen und
Vereine, stehen mit finanziellen Mitteln, Werkzeugen und Geräten sowie in beratender
Tätigkeit zur Seite.
80
4. Pädagogisches Umsetzungskonzept
4.1 Leitgedanken und Ziele
Im Rahmen der Umstrukturierung der Umweltbildung zur Bildung für nachhaltige
Entwicklung wurden auch deren Ziele erweitert. Demnach prägt das Leitbild der
nachhaltigen Entwicklung die Vermittlung von Kenntnissen, Erfahrungen und
Einstellungen. Leitgedanken, an denen sich das Konzept der Umweltstation
Kleinostheim orientiert, sind der Subjekt- und Lebensweltbezug durch die
Berücksichtigung der Bedürfnisse und Interessen der Besucher sowie die Ermöglichung
unmittelbarer Naturerfahrungen mit allen Sinnen. In erster Linie sollen durch die aktive
Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex der Bildung für nachhaltige Entwicklung
Prozesse der Wahrnehmungsdifferenzierung und Sensibilisierung in Bezug auf unsere
Lebenswelt ausgelöst und unterstützt werden. Dazu zählen auch bewusstes Hinsehen,
emotionales Erleben und kritisches Hinterfragen. Mit ihrem Bildungsangebot fördert
die Umweltstation Kompetenzen, die im alltäglichen Leben unverzichtbar sind. Ein
vielfältiges Angebot ermöglicht den Besuchern, Interessen zu entdecken und
Gestaltungskompetenzen zu entwickeln. Der Erwerb der Gestaltungskompetenz ist in
einem zeitgemäßen Bildungssystem grundlegend, denn Kinder, Jugendliche und
Erwachsene werden dadurch dazu befähigt, ihr Lebensumfeld in Gegenwart und
Zukunft aktiv und verantwortungsbewusst, gemäß den Inhalten der Bildung für
nachhaltige Entwicklung, mit zu gestalten. Wichtig ist hierbei, schon im frühen
„Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen,
um Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen,
sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten Meer.“
(de Saint-Exupéry)
81
Kindesalter anzusetzen, denn unsere Kinder heute sind die Zukunft von morgen. Die
Gestaltungskompetenz konstituiert sich aus mehreren Teilkompetenzen, die es dem
Menschen ermöglichen, Umweltprobleme zu erkennen und spezifische Strategien der
Problemlösung und Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Diese lauten wie folgt:
• „weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen,
• vorausschauend denken und handeln,
• interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen und handeln,
• gemeinsam mit anderen planen und handeln können,
• an Entscheidungsprozessen partizipieren können,
• andere motivieren können, aktiv zu werden,
• die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren können,
• selbständig planen und handeln können,
• Empathie und Solidarität für Benachteiligte zeigen können sowie
• sich motivieren können, aktiv zu werden.“108
Darüber hinaus strebt die Umweltstation Naturerlebnisgarten die Verwirklichung
weitere Ziele an:
• Bewahrung und Verbesserung natürlicher und naturnaher Lebensräume
sowie Erhaltung, Verbesserung und Wiederherstellung der
Lebensgrundlagen der frei lebenden Tier- und Pflanzenarten,
• Medien- und Öffentlichkeitsarbeit im Sinne des Natur- und
Umweltschutzes,
• Förderung des Natur- und Umweltschutzgedankens im gesamten Bildungs-
und Erziehungsbereich,
• Naturkunde zum Anfassen und dadurch Primärerfahrungen ermöglichen,
• altersgerechte Vermittlung natürlicher Zusammenhänge,
108
Vgl. de Haan, Gerhard: Gestaltungskompetenzen als Kompetenzkonzept der Bildung für nachhaltige
Entwicklung. In: Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Operationalisierung,
Messung, Rahmenbedingungen, Befunde. Hg. v. Inka Bormann / Gerhard de Haan. 1. A. Wiesbaden:
VS Verlag 2008. S. 31f.
82
• Anregung zu nachhaltigem Denken und Handeln im Sinne der Agenda 21,
• Netzwerke der Umweltstationen in Bayern schaffen und Zusammenarbeit
mit anderen Bildungseinrichtungen sowie die
• Vermittlung von Schlüsselkompetenzen zum Beispiel im Bereich des
sozialen Verhaltens, Kooperationsfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit.
Insgesamt lassen sich die Zielsetzungen der Bildung für nachhaltige Entwicklung, die im
Naturerlebnisgarten stattfindet, den drei Kategorien Herz, Hand und Kopf zuordnen.
Kopf steht hierbei für den Erwerb von Sachkompetenz auf kognitiver Ebene, Hand für
die Entwicklung von Handlungskompetenz auf aktionaler Ebene und Herz für das
emotionale Betroffensein auf der affektiven beziehungsweise emotionalen Ebene.
Emotionalen und aktionalen Zielen kommt eine mindestens genauso große Bedeutung
zu wie kognitiven Intentionen, wobei sich alle drei Komponenten gegenseitig bedingen
und miteinander in Wechselbeziehung stehen.109
Kopf (kognitiv, Sachkompetenz)
Im Rahmen der Bildung für nachhaltige Entwicklung kommt dem
Sachkompetenzerwerb eine immense Bedeutung zu, da die Nachhaltigkeit sowohl für
Lernende als auch für Pädagogen und andere Multiplikatoren eine große
Herausforderung darstellt. Ein umfangreiches Wissen seitens der Lehrenden bildet die
Grundlage dafür, die komplexe Thematik so zu vermitteln, dass keine
109
Vgl. Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung München (Hg.): Klassenzimmer Natur.
Schullandheimaufenthalte mit ökologischem Schwerpunkt. 1. A. Wolnzach: Druckhaus Kastner 1994
(= Handreichung für die Schulen in Bayern), S. 13.
„Wenn sich Herz und Geist mit der Natur verbinden würden, wäre die
Erde das Paradies.“ (Klaus Ender)
83
Missverständnisse und Verwirrungen aufkommen. Als Beispiele für die Sachkompetenz
lassen sich Kenntnisse über Abläufe des Klimasystems, die für das Verständnis des
Zustandekommens von Umweltkatastrophen grundlegend sind, und ökonomisches
Wissen, das unter anderem die Basis für das Thema Konsum bildet, anführen. Darüber
hinaus werden beim kognitiven Wissenserwerb „Vernetzungs-, Kreislauf- und
Diskursdenken“ gefördert, was Voraussetzung für eine Orientierung im vernetzten
System der Nachhaltigkeitsthematik ist und den Einzelnen dazu befähigt, sich an
Diskursen aktiv zu beteiligen. Sachkompetenz ist auch für die Methode der
Handlungsorientierung eine unverzichtbare Grundlage, denn ohne entsprechende
Kenntnisse kann keine gezielte Handlung erfolgen.110
Hand (aktional, Handlungskompetenz)
Die Komponente der Hand richtet sich auf die Aktivität des Einzelnen, die einen
praktischen Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet. In diesem Sinne wird das Ziel verfolgt,
den Lernenden dazu zu befähigen, zum Beispiel im Bereich des Energiesparens
nachhaltig zu agieren. Zwar kann der Einzelne alleine keine großen Veränderungen
bewirken, jedoch vermag die Summe aller Akteure durch den Synergieeffekt viel zu
bewegen. Aufgrund der Tatsache, dass jeder gemäß eigener Vorlieben, Ansprüche und
Einstellungen handelt, leistet die persönliche Handlungskompetenz auch einen Beitrag
zur Konstruktion persönlicher Lebensstile, was wiederum eine Chance im Sinne
nachhaltiger Bildung darstellt.111
Herz (emotional / affektiv)
Einen wichtigen Stellenwert nimmt auch das Herz auf der emotionalen Ebene ein. In
Bezug auf nachhaltigkeitsorientierte Bildungsprozesse muss eine Vermittlung
angestrebt werden, ohne Zukunftsängste zu schüren oder Aspekte, wie Verantwortung
und Moral, zu überbetonen. Dies kann leicht überfordern oder blockieren und so
gegenteilige Effekte erzielen. Nur eine Pädagogik, die nicht überfordert und keine
110
Vgl. Hellwig, Martin: Nachhaltigkeitspädagogik. Kompetenzen, Inhalte und Lehr-/ Lernmethoden
einer neuen erziehungswissenschaftlichen Fachrichtung. 1. A. Münster: ecotransfer-Verlag 2008, S.
140. 111
Vgl. M. Hellwig (2008), S. 141.
84
Widersprüchlichkeiten und Paradoxien ungelöst stehen lässt, kann das Bedürfnis
wecken, sich mit Hingabe und persönlichem Engagement für unsere Lebenswelt
nachhaltig einzusetzen.112
Als affektive Ziele lassen sich Angemutetsein, Freude und Interesse an der Natur
anführen. Darüber hinaus bildet die emotionale Komponente die Voraussetzung jedes
Lernprozesses.113
4.2 Zielgruppen
Grundsätzlich richtet sich das Angebot der Umweltstation Naturerlebnisgarten an
Interessenten aller Altersgruppen und kultureller Abstammung. Neben Kindern und
Jugendlichen als zahlenmäßig größte Zielgruppe werden insbesondere Menschen mit
Behinderung sowie Senioren gezielt durch das Programm angesprochen.
Selbstverständlich erreichen die Veranstaltungen auch Multiplikatoren, die hier
Erfahrungen sammeln und Wissen erwerben können.114 Der Integrationsgedanke spielt
in jeglicher Hinsicht eine wesentliche Rolle.
Kinder und Familien
Häufig besuchen Kindergärten und Kindertagesstätten den Naturerlebnisgarten, da
gerade Kinder im Elementarbereich unmittelbare Naturerfahrungen mit allen Sinnen
suchen und in der Regel mit großer Begeisterung aufnehmen. Auch dem kindlichen
Bewegungsdrang werden Aktivitäten und Spiele auf dem geräumigen Areal gerecht. Im
Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung ist es besonders wichtig, bereits in
jungen Jahren die natürliche kindliche Neugierde und Aufnahmebereitschaft zu
nutzen, da hier Grundsteine für die weitere Entwicklung gelegt sowie Werte und
Einstellungen vermittelt werden können. Als besonders wichtige Zielgruppe ist die
jüngere Generation in Zukunft für eine sinnvolle und nachhaltige Gestaltung unserer
112
Vgl. M. Hellwig (2008), S. 142. 113
Vgl. Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung (1994), S. 11ff. 114
Vgl. http://unterfranken.lbv.de/startseite/naturerlebnisgarten-kleinostheim/zielgruppen.html
(04.08.09)
85
Lebenswelt verantwortlich. Nicht nur institutionelle Kindergruppen sind willkommen.
Auch im privaten Bereich kann die Umweltstation von Familien und Kindern, zum
Beispiel zur Durchführung von Kindergeburtstagsfeiern, aufgesucht werden. Im
Rahmen des vielfältigen Angebots können die Mädchen und Jungen beispielsweise an
einer Seeräuber-Bootsrundfahrt auf dem See teilnehmen, sich auf der Spielwiese
austoben, im Lehmofen Brotfladen mit selbst gesammelten Kräutern backen oder am
Abend einen ereignisreichen Tag am Lagerfeuer mit Stockbrot ausklingen lassen.
Abbildung 15
Schulklassen
Einen Ausgleich und eine sinnvolle Ergänzung zum herkömmlichen Schulalltag bietet
der Naturerlebnisgarten für Schulklassen aller Altersstufen, wobei sich das Angebot
auf den Lehrplan, das Alter, den jeweiligen Wissensstand und die vorhandenen
Interessen abstimmen lässt. In der Schule erlerntes Faktenwissen kann durch
naturnahe Erlebnisse im Rahmen schulischer Exkursionen und Erkundungen vertieft
86
und erweitert werden. Materialien zur Nachbereitung stehen ebenfalls für Lehrer und
Schüler zur Verfügung. Darüber hinaus werden auch nichtschulische Jugendgruppen
und Vereine durch das vielfältige Programm erreicht.
Abbildung 16
Menschen mit Behinderung
Leiter und Mitarbeiter der Umweltstation legen besonders großen Wert darauf, auch
Menschen mit Behinderung einen interessanten Besuch zu ermöglichen. Einerseits
gewährleistet ein barrierefreies Umfeld das bequeme Erkunden mit Rollstuhl oder
Gehhilfe auf ebenen Wegen. Andererseits wurden auch die einzelnen Attraktionen
speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung abgestimmt. Diesbezüglich
sind zum Beispiel die Beete des Kräuterduftrondells in einer Höhe platziert, in der
Rollstuhlfahrer mühelos auf die Pflanzen blicken können. Beschilderungen der
einzelnen Kräuter in Blindenschrift machen Blinden und Sehbehinderten ein
selbständiges Informieren möglich. Zum rollstuhlgerechten Umfeld zählen eine
87
entsprechende sanitäre Einrichtungen im Naturerlebnishaus. Die speziell auf die
Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung ausgerichtete Umgebung lädt zudem
integrative Gruppen zum gemeinsamen Erforschen und anschließenden
Erfahrungsaustausch ein. So führen beispielsweise Sehbehinderte nichtblinde
Menschen, jedoch mit verbundenen Augen, durch den Naturerlebnisgarten, die auf
diese Weise in die Rolle von Blinden schlüpfen und währenddessen Hör-, Geruchs- und
Tastsinn besonders ausgeprägt einsetzen können.
Abbildung 17
Senioren
Auch Senioren sind eingeladen, sich an Veranstaltungen zu beteiligen. In
Zusammenarbeit mit Bewohnern des Altenheims Rohe`sche Stiftung Kleinwallstadt
starteten Mitglieder des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern e.V. das längerfristig
angelegte Baumpflanzprojekt, in dessen Rahmen jedes Jahr die Allee „Baum des
Jahres“ durch die entsprechende Pflanzaktion ergänzt wird. An der Pflanzung des
88
Wahlnussbaumes beteiligten sich Schüler aus der Elsava-Schule für Erziehungshilfe.
Gemeinsam mit dem Seniorenheim wurden bereits Nistkästen gebaut und aufgehängt,
Apfelsaft gepresst sowie Küchen- und Heilkräuter gesammelt und erklärt.
Abbildung 18
Multiplikatoren und ehrenamtliche Mitglieder des LBV
Für Lehrer, Erzieher und andere Multiplikatoren sowie ehrenamtliche Mitglieder des
Landesbundes für Vogelschutz in Bayern e.V. werden Exkursionen, Workshops,
Fortbildungen und weitere Seminare veranstaltet. In diesem Rahmen wird
theoretisches Wissen erworben und praktische Erfahrungen gesammelt. Darüber
hinaus gewährleistet die Vernetzung der Akteure im Bereich Bildung für nachhaltige
Entwicklung einen fruchtbaren Erfahrungsaustausch, gegenseitige Anregungen für das
Programm sowie Unterstützung bei Organisation und Durchführung von Projekten.
89
Weitere Interessenten
Insgesamt erreicht das Angebot der Umweltstation eine breite Öffentlichkeit.
Grundsätzlich wendet es sich an alle Interessenten aus der Region und der weiteren
Umgebung. Nicht nur Kindergeburtstage und Veranstaltungen für Jugendgruppen und
Familien können in Anspruch genommen werden. Außerhalb offizieller
Veranstaltungen dürfen Besucher mit Hilfe eines Faltblattes (geplant) und eines im
Naturerlebnisgarten angebrachten Lageplanes das Areal eigenständig erforschen.
Einzelne Stationen sind mit Informationstafeln versehen, die bei Bedarf und Interesse
studiert werden können.
4.3 Lernmethoden
Um die Ziele der Umweltstation umzusetzen, bedarf es geeigneter Lernmethoden und
Richtlinien. Paul Ackermann trug für den Bereich außerschulischer Lernorte mehrere
Lernmethoden zusammen, die sich besonders gut für den Politikunterricht eignen. Da
die Umweltbildung einen Teil der politischen Bildung darstellt, werden einige dieser
Methoden im Folgenden auf die Bildungsarbeit der Umweltstation
Naturerlebnisgarten Kleinostheim angewandt, konkretisiert und erweitert.
4.3.1 Realitätsbegegnung und Erfahrungsorientierung
Eine große Chance der Bildungsarbeit in der Umweltstation besteht in der Möglichkeit
der Realitätsbegegnung und Erfahrungsorientierung. Gerade für Schulklassen stellen
Exkursionen an und Erkundungen von außerschulischen Lernorten, wie dem
Naturerlebnisgarten Kleinostheim, eine sinnvolle Ergänzung des herkömmlichen
Unterrichts dar. Denn dort kann rein theoretisch vermitteltes Wissen durch
unmittelbares persönliches Erleben ergänzt und mit allen Sinnen gespürt werden.
Realität wird nicht nur über Zweite sekundär vermittelt, sondern kann durch
90
Primärerfahrungen in ganzheitlichen Lernprozessen wahrgenommen und verarbeitet
werden.115
„Erst auf der Grundlage bewußter persönlicher Erfahrungen wird die kognitive
Auseinandersetzung mit dem genannten Thema fruchtbar, ansonsten bleibt sie
aufgesetzt, >Kopfwissen<.“116
Persönliche Naturerfahrungen nehmen deshalb einen besonderen Stellenwert ein, weil
sie neben der kognitiven Ebene auch auf der emotionalen Ebene die Bedingung für die
Bereitschaft nachhaltigen, umweltrelevanten Handelns darstellen. Erleben führt zu
Verstehen, welches wiederum das gezielte Handeln bedingt. Auf Lernprozesse der
nachhaltigen Entwicklung angewandt sind Naturerfahrungen notwendig, um durch
deren Reflexion Umweltwissen aufbauen zu können. Dieses Wissen bildet die
Voraussetzung, um umweltgerecht handeln zu können.117
So können Heranwachsende in den Sommermonaten in der Aktion „Kochen mit
Sonnenenergie“ die Intensität der Sonne direkt erleben und selbst zum Kochen
einsetzen. Mit Hilfe eines Parabolspiegels wird Sonnenenergie durch die Trichterform
eingefangen, gebündelt und auf einen Topf oder eine Pfanne umgeleitet und
konzentriert. Auf diese Weise werden von den Kindern und Jugendlichen entweder
Würstchen im Kochtopf erwärmt oder Rühreier und Pfannkuchen in der Pfanne
gebacken. Selbst gesammelte Kräuter verfeinern die Mahlzeit je nach Geschmack.
115
Vgl. P. Ackermann (1998), S. 3. 116
Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung (1994), S. 20. 117
Vgl. Bögeholz, Susanne: Qualitäten primärer Naturerfahrung und ihr Zusammenhang mit
Umweltwissen und Umwelthandeln. 1. A. Opladen: Leske + Budrich 1999 (= Schriftenreihe „Ökologie
und Erziehungswissenschaft“ der Arbeitsgruppe „Umweltbildung“ der Deutschen Gesellschaft für
Erziehungswissenschaft Bd. 5), S. 15f.
Abbildung 19
Erleben Verstehen Handeln
Naturerfahrung Umweltwissen Umwelthandeln
91
Abbildung 20
4.3.2 Entdeckendes Lernen / Forschendes Lernen
Individuell gesammelte Erfahrungen und dabei sukzessiv aufgebaute
Wissensstrukturen bleiben nach Erkenntnissen von Lernpsychologen länger im
Gedächtnis verankert als umfangreiche, bereits durch andere Menschen vorgefertigte
Wissensbestände, die sekundär vermittelt werden. Bei entdeckendem
beziehungsweise forschendem Lernen ist das selbständige Suchen nach Antworten auf
„Naturschönheit ist eine Sache, die nicht so obenauf liegt, die erst entdeckt werden muß. Das Sinnliche allein ist dazu nicht genug, ein wenig Sinnen
gehört auch dazu.“ (Peter Rosegger)
92
eigene Fragen und das Erforschen selbst gewählter Sachverhalte und Themengebiete
von besonderem Interesse. Auf diese Weise können Besucher wissenschaftliche
Erkenntnisse besser verstehen oder auf ihre ganz persönliche Weise neu entdecken.118
Im Sinne des entdeckenden Lernens, das Ackermann auch als forschendes Lernen
bezeichnet, werden Inhalte im Naturerlebnisgarten mit dem Ziel angeboten, bei
Besuchergruppen Fragestellungen auszulösen, die neugierig machen und zum
Nachforschen anregen. Wissen wird in den folgenden Organisations- und
Problemlöseprozessen eigenständig strukturiert und erworben.119
In der Wasserexperimentierhütte direkt am
See können Kinder, Jugendliche und
Erwachsene Wasseruntersuchungen
vornehmen. Ausgerüstet mit Sieb und
Kescher stoßen sie auf interessante
Kleinlebewesen, die sich im Wasser tummeln
und auf bestimmte Wasserqualitäten
hinweisen (Saprobienindex). Die entdeckten
Wasserflöhe, Ruderwanzen, Gelbrandkäfer
und Libellenlarven können anschließend von
den kleinen „Forschern“ unter dem
Mikroskop genauer untersucht werden.
4.3.3 Prozessorientierung: „Der Weg ist das Ziel“
Wie auch beim entdeckenden beziehungsweise forschenden Lernen liegt der
Schwerpunkt der Umweltarbeit auf der Vorgehensweise, also auf den Prozessen des
Erfahrens und Erlebens. Auch das Gelände des Naturerlebnisgartens an sich unterliegt
einem, sich ständig verändernden Entwicklungsprozess. Im Gegensatz zur
Produktorientierung wird nach dem Prinzip der Prozessorientierung zum Beispiel jedes
118
Vgl. W. Peterßen (2009), S. 66. 119
Vgl. W. Peterßen (2009), S. 66f.
Abbildung 21
93
Jahr der jeweilige aktuelle Baum des Jahres in die Allee „Baum des Jahres“ integriert.
Auch der in einer Rettungsaktion schichtweise abgetragene und im
Naturerlebnisgarten wieder aufgebaute Ameisenstaat unterliegt einem fortwährenden
Entwicklungsprozess, den Besucher bestaunen können.
Abbildung 22
4.3.4 Verbindung von konkretem mit abstraktem Wissen /
Vergleich unterschiedlicher Wissensformen
Anstelle einseitiger Vermittlung von Fakten wird eine Ergänzung des theoretischen
Wissens durch primäre Erlebnisse angestrebt. Konkretes und abstraktes Wissen kann
auf diese Weise erfolgreich miteinander verbunden werden. Bei verschiedenen
Veranstaltungen werden in der Experimentierhütte, in der auch eine Schultafel zur
Veranschaulichung angebracht ist, Pflanzen, Tiere, Kreisläufe und andere Vorgänge in
der Natur theoretisch aufbereitet. Im Rahmen der Aktion „Energie im Samenkorn“
94
werden unter anderem verschiedene Samenkornarten und deren spezifische
Verbreitungsweise erläutert. Anschließend suchen die Teilnehmer die Samen und
können sie eigenständig untersuchen. In der Schule werden umfangreiche
Themenkomplexe meist durch den Lehrer aufbereitet und in Form von abstraktem
Wissen vermittelt. An konkreten Beispielen kann Theorie für die Schüler
veranschaulicht und mit allen Sinnen besser „begriffen“ werden. Entdeckungen und
Erfahrungen lassen sich durch entsprechende Materialien im schulischen Bereich
nachbereiten.
Direkt vor Ort können Interessenten mit Experten und Multiplikatoren in Beziehung
treten, um unterschiedliche Sichtweisen miteinander und mit eigenen Erfahrungen zu
vergleichen. Neben Expertenwissen, durch Multiplikatoren angeleitete
Naturerfahrungen und den Informationsaustausch mit anderen Besuchern haben
Teilnehmer auch die Möglichkeit, sich in die Rolle blinder Menschen zu versetzen und
sich mit verbundenen Augen barfuß über die unterschiedlichen
Bodenbeschaffenheiten des Fühlkreises führen zu lassen.
Abbildung 23
95
4.3.5 Mehrdimensionales Lernen / Ganzheitliches Lernen
Im Rahmen des Programms des Naturerlebnisgartens Kleinostheim wird
ganzheitliches, mehrdimensionales Lernen in einem naturnahen Umfeld angeregt und
bewusst initiiert. Persönliches Erleben mit allen Sinnen führt zu einer festen
Verankerung von Erfahrungen und Erkenntnissen im Gedächtnis, die sich leichter
abrufen lassen als rein theoretisches, abstraktes Wissen.120
Demnach sollten die Sinnesorgane möglichst vielfältig angesprochen werden, indem
visuelle, akustische, haptische und räumliche Wahrnehmungen angeregt werden.
Das lernende Individuum wird bei dem Prinzip des ganzheitlichen Lernens als gesamte
Person in den Mittelpunkt des Lernprozesses gerückt und mit dem Lerngegenstand als
Ganzes in Beziehung gebracht. Ganzheitliches Lernen umfasst jedoch viel mehr als nur
die sinnliche Wahrnehmung, denn der komplexe Mensch lässt sich nicht auf seine fünf
Sinne reduzieren.121
„Unabtrennbar gehören zu einem Menschen aber auch seine körperlichen
Befindlichkeit, seine sozialen Bezüge, ja sogar die Blockaden seiner Möglichkeiten,
die oftmals auch außerhalb seiner Person liegen.“122
Auch religiöse Gesinnungen wie „Ehrfurcht vor der Schöpfung“ sowie die jeweiligen
individuellen Beziehungsgeflechte, in die ein Mensch fest eingebettet ist, müssen
geachtet werden.123
„Es sind dies zum einen soziale Zusammenhänge, historisch-zeitbedingte, kulturelle
und geistige Räume, in denen er lebt, aber auch biologische und physiologische
Kontexte.“124
Auch das Objekt, dem der Besucher begegnet, wird unverfälscht und original
präsentiert. Große Bedeutung beim ganzheitlichen Lernen kommt dem Sammeln von
Primärerfahrungen zu, die direkt am Lerngegenstand vor Ort stattfinden.125
Ganzheitliches Lernen meint jedoch nicht nur, das lernende Subjekt und den
Lerngegenstand in seiner Ganzheit zu erfassen. Darüber hinaus soll der Lernprozess
120
Vgl. P. Ackermann (1998), S. 4. 121
Vgl. W. Peterßen (2009), S. 116f. 122
Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung (1994), S. 18. 123
Vgl. Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung (1994), S. 18. 124
Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung (1994), S. 18. 125
Vgl. W. Peterßen (2009), S. 116f.
96
selbst auf den drei Ebenen des emotionalen, aktionalen und kognitiven Lernens
stattfinden, was bereits Pestalozzis Grundsatz „Lernen mit Kopf, Hand und Herz“
besagt.126
Im Naturerlebnisgarten Kleinostheim werden Besuchern vielfältige, unmittelbare
Sinneserfahrungen ermöglicht, wobei der Mensch als komplexe Person geachtet wird
und dem unveränderten, ursprünglichen Lerngegenstand, zum Beispiel in Form einer
naturbelassenen, unberührten Umwelt sowie Natur aus „zweiter Hand“ begegnet.
Neben pädagogisch aufbereiteten Themenkomplexen bietet allein das anregende
Umfeld, das sich in unterschiedliche Biotope aufgliedert, zahlreiche Möglichkeiten
ganzheitlicher Begegnungen auf verschiedenen Ebenen.
4.3.6 Soziales Lernen
Gemeinschaftliche Aktivitäten in der Umweltstation dienen dem Erwerb von
Schlüsselqualifikationen, wozu auch das soziale Lernen innerhalb der Gruppe zählt.
Sowohl auf der Beziehungsebene der Teilnehmer untereinander als auch zwischen
Lernenden und Pädagogen beziehungsweise Multiplikatoren ergeben sich vielfältige
Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren.
Erfahrungen werden ausgetauscht und
reflektiert, Anregungen aufgenommen und
umgesetzt, subjektive Wahrnehmungen durch
Andere bestätigt oder in Frage gestellt.
Gemeinschaftliche Aktivitäten erfordern auch
Absprachen und das Aufstellen und Einhalten von
Regeln, die Übernahme von Verantwortung,
gegenseitiges Vertrauen sowie Rücksichtnahme
und manchmal auch motivierende Worte.
Besucher schlüpfen in die Rolle von Forschern
und Entdeckern und nehmen aktiver, als zum
126
Vgl. Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung (1994), S. 17.
Abbildung 24
97
Beispiel im traditionellen Schulunterricht, an den einzelnen Aktionen teil. Auf der Basis
neuer Beziehungsformen können sich Chancen auftun, jedoch auch Konflikte ergeben.
Die Durchführung von Projekten, Aktivitäten in Kleingruppen und kooperative Spiele
fördern unter anderem Eigeninitiative, Kommunikations- und Teamfähigkeit.
Verantwortungsbewusstes Handeln und die Fähigkeit, Anderen zu vertrauen, wird zum
Beispiel dadurch angeregt, dass sich die Teilnehmer gegenseitig über den Fühlkreis
führen, wobei einer der Akteure mit verbundenen Augen zeitweise auf sein Augenlicht
verzichtet und vollkommen von seinem Helfer abhängig ist.
4.3.7 Handlungsorientiertes, partizipatives und subjektorientiertes Lernen
Nur durch handlungsorientiertes, selbständiges Tun kann Handlungsfähigkeit und
Selbständigkeit erlernt werden. 127
Daraus geht hervor, dass es nicht ausreicht, reproduzierbares Wissen zu vermitteln,
um handlungsbereite und -fähige Menschen zu fördern, die im Sinne der Bildung für
nachhaltige Entwicklung tatsächlich aktiv werden können. Handlungsorientierung
beruht also wechselseitig darauf, sowohl „handelnd zu lernen“ als auch „lernen zu
handeln“.128
Als wichtigstes Ziel handlungs- und erlebnisorientierten Lernens lässt sich die
Förderung der intellektuellen Kompetenz anführen. Um selbständig und bewusst
handeln zu können, muss man über die Fähigkeit verfügen, sein eigenes Handeln
eigenständig zu planen sowie Chancen und Risiken abzuwägen. Noch vor der
eigentlichen Tätigkeit wird mit Hilfe des Verstandes ein Handlungsplan entworfen.
Wichtig hierbei ist, dass die einzelnen Handlungsschritte nicht bis ins kleinste Detail
vorgegeben werden, sondern dass ausgehend von Impulsen eine eigenständige
Organisation der Handlung vorausgeht, denn nur so können vollständige Lernprozesse
durchlaufen werden. Bei Bedarf stehen Mitarbeiter für Hilfestellungen zur Verfügung
und geben gemeinsam mit den anderen Teilnehmern Rückmeldung. Als geeignete
Möglichkeit für handlungsorientiertes Lernen bietet sich das Projekt an. Merkmale des
127
Vgl. W. Peterßen (2009), S. 143. 128
Vgl. Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung (1994), S. 38.
98
handlungsorientierten Lernens sind Zielgerichtetheit, Vorplanung der Handlung,
selbständiges Handeln der Lernenden und Vollständigkeit des Lernprozesses,
eigenständige Planung, Durchführung und Kontrolle.129
Insbesondere partizipative Lernmethoden, die die Besucher aktiv an Planungs-,
Entscheidungs- und Durchführungsprozessen teilhaben lassen, bilden die
Voraussetzung für das Erreichen des obersten Zieles der Bildung für nachhaltige
Entwicklung, nämlich die sogenannte Gestaltungskompetenz zu erwerben.130
Eine unverzichtbare Methode der Bildung für nachhaltige Entwicklung, die eng mit der
Handlungsorientierung in Beziehung steht, stellt die Subjektorientierung dar. Hierbei
stehen Besucher in außerschulischen Lernprozessen als individuelle Subjekte, die
ausgehend von ihren persönlichen Interessen und Bedürfnissen selbstverantwortlich
und eigeninitiativ handeln, im Zentrum.131
Ganz im Sinne des von Pestalozzi geprägten Leitsatzes „Lernen mit Kopf, Herz und
Hand“ findet im Naturerlebnisgarten Kleinostheim ein ständiger Methodenwechsel
zwischen Informationsvermittlung, sinnlicher Wahrnehmung und praktischem Handeln
statt, der positive Lernerfahrungen möglich macht. Dieser Grundsatz spiegelt sich nicht
nur in der Methodenvielfalt wider, sondern zieht sich auch als „roter Faden“ durch das
gesamte pädagogische Konzept, insbesondere der Zielsetzungen sowie der
angeführten Methoden und Prinzipien.
4.3.8 Output-Strategie
Im Konzept Bildung für nachhaltige Entwicklung soll ein Lernen stattfinden, dass die
Lernenden beim Aufbau heuristischen Wissens unterstützt. Diese Kenntnisse und
Fertigkeiten bilden die grundlegende Voraussetzung, sich aktiv, eigenständig,
verantwortungsbewusst, kooperativ und zukunftsorientiert für unsere Umwelt
einsetzen zu können. Ausgestattet mit heuristischem Wissen vermögen Individuen,
129
Vgl. W. Peterßen (2009), S. 143f. 130
Vgl. http://www.umweltbildung.bayern.de (25.07.09) 131
Vgl. P. Ackermann (1998), S. 3.
99
nicht nur auf sich einstellende Situationen zu reagieren, sondern aktive
Zukunftsgestaltung zu betreiben.132
Da im Rahmen der Nachhaltigkeitspädagogik in erster Linie Gestaltungskompetenzen
vermittelt werden, lässt sie sich den am Output orientierten Bildungskonzepten
zuordnen. Mit Hilfe der Output-Orientierung sollen sich Lernende Strategien zur
Problemlösung, Fähigkeiten und Handlungskonzepte aneignen. Im Gegensatz zu einer
Input-Strategie, die im Wesentlichen auf der Anhäufung von Faktenwissen basiert,
dominiert hierbei die Konstruktion von Kompetenzen. Darüber hinaus können
individuelle Vorerfahrungen, Kenntnisse, Interessen und Motivation besser
berücksichtigt werden. Die Output-Strategie ermöglicht es der heranwachsenden
Generation, sich über den bereits vorhandenen Wissensstand der Elterngeneration
hinaus zu entwickeln, flexibel auf Situationen zu reagieren und unsere Umwelt
nachhaltig mitzugestalten.133
Insgesamt ist anzumerken, dass sich die einzelnen Methoden und Richtlinien nicht
immer streng voneinander abgrenzen lassen, sondern sich vielmehr gegenseitig
bedingen und miteinander in Beziehung stehen.
4.4 Programm und Angebot
4.4.1 Schwerpunktthemen
Das vielfältige Angebot der Umweltstation Naturerlebnisgarten Kleinostheim lässt sich
nach unterschiedlichen Kriterien aufgliedern. Zum einen richten sich die Aktivitäten
nach den alljährlich wechselnden Jahresthemen der UN-Dekade. Das aktuelle Projekt
der Umweltstation Kleinostheim des Jahres 2009 lautet „Mit Energie durch Jahr und
Zeit“.
132
Vgl. G. de Haan (2008), S. 27f. 133
Vgl. G. de Haan (2008), S. 29.
100
Jahresthemen der UN-Dekade
2007: „Kulturelle Vielfalt“
2008: „Wasser“
2009: „Energie“
2010: „Geld“
2011: „Stadt“
2012: „Ernährung“
2013: „Mobilität“
2014: „kein eigenes Thema, damit im Abschlussjahr Raum für ein generelles Fazit, ein
Zusammenführen der bisherigen Themen und ein Ausblick bleibt“134
Daneben findet eine jahreszeitliche Einteilung der Themenkomplexe statt, wobei für
die Jahreszeit typische Aktionen durchgeführt oder jeweils interessante Biotope
beziehungsweise aktive Tierarten thematisiert werden.
Frühjahr
Im Frühjahr werden insbesondere Aktionen angeboten, die sich mit den
Themengebieten Hecke und Blumenwiese befassen, da im Frühling alles beginnt, zu
blühen und zu grünen. In der Aktion „Gebündelte Energie im Samenkorn – Die Kraft
der kleinen Körner“ wird anschaulich vermittelt, dass in den winzigen Samenkörnern
viel Energie gespeichert wird. Als „Naturdetektive“ können sich Kinder selbst auf die
Suche nach den Körnern machen und damit gemeinsam eine eigene Samenbibliothek
anlegen. Mit besonderer Begeisterung werden auch Veranstaltungen rund um das
Wasser aufgenommen, die entweder am eigenen See oder an einem Bach, wie
beispielsweise beim Kooperationspartner, der Firma Sodenthaler Mineralbrunnen
GmbH, stattfinden. Im Rahmen des Dekadenthemas „Energie“ steht im Frühjahr 2009
die Wasserenergie im Fokus. So werden zum Beispiel Wasserräder gebaut, um damit
eigenhändig Energie zu erzeugen.
134
M. Hellwig (2008), S. 25.
101
Sommer
Im Sommer dreht sich alles um die Sonne, die man in dieser Jahreszeit besonders zu
spüren bekommt. Passend zum Jahresthema 2009 wird sie in Form der Sonnenenergie
thematisiert. Aktivitäten, wie „Wir kochen mit der Sonne – Energie geht durch den
Magen“ oder ein Sonnentheater zeigen den Besuchern, wie man die Kraft der Sonne
gezielt nutzen kann.
Herbst
Im Herbst können sich die Gäste der Umweltstation mit Themen wie der Apfelernte
und der Streuobstwiese befassen. Gemeinsam mit Kindern, Jugendlichen und Senioren
werden Äpfel gesammelt, gepresst und Apfelsaft daraus gekeltert. Hierbei erleben die
Kinder aktiv, wie aus einer reifen, regional typischen Frucht, ein leckeres und gesundes
Getränk entsteht. Währenddessen erfahren die Teilnehmer Wissenswertes über den
vielfältigen Lebensraum der Streuobstwiese und die dort lebenden seltenen
Bewohner. Der Steinkauz ist hierbei von besonderem Interesse, da dieser innerhalb
Bayerns nur noch am Untermain in einem größeren Vorkommen verbreitet ist.
Winter
Im Winter werden zum Beispiel eine spannende Fledermausnacht, Lesungen und
Vorträge angeboten. Darüber hinaus finden Ausstellungen und Bastelaktionen statt.
102
Insgesamt konstituiert sich das Programm aus Workshops zu unterschiedlichen
Themengebieten, Fortbildungen und Seminaren, Vorträgen, Leseabenden,
Kindergeburtstagfeiern, Informationsständen und Großveranstaltungen, wie der Tag
der offenen Tür oder die Aktion „Kunst & Natur“. Außerdem beteiligt sich die
Umweltstation an Großveranstaltungen, wie dem Ökomarkt und dem jährlich
stattfindenden Apfelmarkt.
Abbildung 25
Das Angebot wird auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmt. So gewährleistet das
speziell für Schulklassen konzipierte Programm eine sinnvolle Ergänzung und
Vertiefung der im Unterricht behandelten Inhalte. Innovative Methoden an neuen
Lernorten ermöglichen Primärerfahrungen. Als Ausgleich zum traditionellen
Schulunterricht steht hier nicht die Vermittlung von Faktenwissen im Vordergrund.
Stattdessen wird eigenes Erleben und hautnahes Entdecken angeregt. Im Rahmen
subjektorientierter Handlungen werden die Interessen und Bedürfnisse der Schüler
berücksichtigt sowie die Inhalte an den Lehrplan und Wissenstand der Lerngruppe
103
angepasst. Anregungen und Wünsche der Lehrkraft können im Vorfeld abgesprochen
und berücksichtigt werden. Zur Nachbereitung stellt die Umweltstation gerne
Materialien zur Verfügung. Gerade in den unteren Klassenstufen wird großen Wert auf
eine spielerische, ungezwungene Wissensvermittlung gelegt und der Bewegungsdrang
in Form von Bewegungs- und Entspannungsspielen berücksichtigt.
Angebote für Kindergärten und Kindertagesstätten sind insbesondere auf die
Wahrnehmung mit allen Sinnen ausgerichtet. Auch hier stehen spielerische und
handlungsorientierte Aktivitäten sowie die Befriedigung des kindlichen
Bewegungsdranges im Vordergrund. Zur Bestimmung inhaltlicher Schwerpunkte und
zur Klärung organisatorische Fragen erfolgen Absprachen mit den Erziehern.
4.4.2 Umsetzungsbeispiel: „Wasser-Erlebnis-Tag“
Im Folgenden wird anhand des „Wasser-Erlebnis-Tag“ exemplarisch aufgezeigt, wie
Bildung für nachhaltige Entwicklung von den Mitarbeitern der Umweltstation auch
außerhalb des Naturerlebnisgartens praktiziert wird.
Im Jahr 2008 war Wasser das Schwerpunktthema der UN-Dekade. Jedoch schon seit
1999 bietet die Umweltstation Kleinostheim in Kooperation mit der Sodenthaler
Mineralbrunnen GmbH, in der Zeit zwischen Oster- und Sommerferien,
Grundschulklassen, Familien und sonstigen Gruppen die Möglichkeit, mehr über das
Thema Wasser zu erfahren. Die Veranstaltung findet auf dem Betriebsgelände des
Getränkeherstellers in Soden im Spessart statt, der neben Räumlichkeiten auch
erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Der Erlebnistag, welcher auf eine
maximale Klassenstärke von etwa 30 Schülern ausgelegt ist, dauert circa eineinhalb
Stunden und gliedert sich in drei Teile gegliedert. Sollte eine Gruppe die maximale
Teilnehmerzahl überschreiten, kann sie geteilt werden. In nächster Nähe der Firma
Sodenthaler befindet sich ein Spielplatz, auf dem sich die jeweils wartende Gruppe
beschäftigen kann.
104
Der Wasserkreislauf
Einleitend wird, zusammen mit den Kindern, der Wasserkreislauf erarbeitet. Besonders
in der vierten Jahrgangsstufe ist darauf zu achten, dass die Teilnehmer über ein gutes
Vorwissen verfügen können, da Wasser ein Lehrplanthema der vierten Klasse darstellt.
Aber auch die Jüngeren können durch kleine verbale oder zeichnerische Hinweise auf
die richtige Antwort kommen. Sollte die Gruppe aus älteren Schülern bestehen, wird
die Thematik um Wasserverbraucher erweitert. Dabei erarbeiten die Teilnehmer den
täglichen Wasserverbrauch eines durchschnittlichen Deutschen und veranschaulichen
den Verbrauch anhand von gefüllten Wassereimern. Weiter wird der Wasserverbrauch
mit dem anderer Länder, wie zum Beispiel Afrika, verglichen. Der Bildungsgedanke der
nachhaltigen Entwicklung kommt besonders am Ende der Einführung zum tragen,
wenn die Teilnehmer über die Fragestellung „Wo geht Wasser verloren?“
herausfinden, dass dies nur durch Verunreinigung geschieht. Weiterhin lernen sie, dass
der Weg des Wassers durch die verschiedenen Bodenschichten sehr lange sein kann
und dadurch erst zukünftige Generationen mit dem Problem der
Wasserverschmutzung zu kämpfen haben werden. In dieser Einheit der Veranstaltung
ist es besonders wichtig den Besuchern zu vermitteln, dass ohne Wasser kein Leben
auf der Erde möglich wäre, Wasser Grundlage aller Nahrungsmittel darstellt und
deshalb der Grundwasserschutz mit Trinkwasserschutz gleichzusetzen ist.
105
Besichtigung der Abfüllanlage der Firma Sodenthaler
Abbildung 26
Anhand der Erarbeitung des Wasserkreislaufs finden die Kinder heraus, auf welche
unterschiedlichen Arten Wasser zu Tage tritt. Auf dem Werksgelände der Firma
Sodenthaler befinden sich etliche Brunnen, durch die das Grundwasser mit Hilfe von
Pumpen an die Oberfläche gelangt. Da Grundwasser durch die Natur besonders gut
gegen Schadstoffe geschützt ist, kann es meist ohne Aufbereitung getrunken werden.
Bei einer Führung über das Betriebsgelände und durch die Abfüllanlage wird den
Teilnehmern veranschaulicht, dass Wasser die Grundlage für alle Getränke darstellt.
Darüber hinaus lernen sie den Weg des Wassers von der Quelle bis in die Flasche
kennen.
106
Keschern im Sodenbach
Nach einer kurzen Pause mit Brezeln und Getränken und nachdem sich die Schüler ihre
Gummistiefel angezogen haben, werden sie in Kleingruppen eingeteilt und je Gruppe
mit Kescher, Pinsel und einem Aquarium (Kunststoffschale) ausgestattet. Ein
Mitarbeiter der Umweltstation zeigt anhand eines Plakates zur Wassergüte in Bächen,
welche Tiere im Sodenbach leben, von was sie sich ernähren und wo sie meist zu
finden sind. Diese Informationen befinden sich auch auf laminierten Karten, welche
später bei der Typisierung der gefangenen Bachbewohner behilflich sein sollen und
weitere Informationen enthalten. Anschließend wird erklärt, wie man mit den
ausgehändigten Materialien umgeht. Der Kescher muss beispielsweise immer
entgegen der Fließrichtung gehalten werden. Um nicht von der Strömung des
Gewässers fortgespült zu werden, halten sich die Kleinlebewesen, wie Bachflohkrebse
und Köcherfliegenlarven, unter Steinen, Wurzeln und anderen schweren
Gegenständen im Bachbett auf. Eine mögliche Vorgehensweise wäre, dass ein Schüler
den Kescher vor einem Stein in Position bringt, während ihn ein anderer anhebt. Die
Tiere werden durch die Strömung von ihrem Haltepunkt abgeschwemmt und landen
im Netz des Keschers. Nun wird mit Hilfe des Pinsels, um die Tiere nicht zu verletzen
oder sie gar zu töten, das gefangene Exemplar in das mit etwas Wasser gefüllte
Aquarium befördert. Dadurch wird den Teilnehmern der achtsame Umgang mit der
Schöpfung nahegelegt. Die Kinder haben nun
ausreichend Zeit, so viele im Bach lebende
Tierarten wie möglich zu fangen.
Abschließend werden mit Hilfe der bereits
oben genannten Karten die Art und die
Zugehörigkeit zur entsprechenden
Wassergüte bestimmt. Auch in diesem
Abschnitt der Veranstaltung besteht die
Möglichkeit, die Arbeit für höhere Klassen zu
vertiefen, indem die gefangenen Bachtiere
unter dem Mikroskop näher betrachtet
werden. Anschließend werden die Tiere Abbildung 27
107
wieder vorsichtig in die Freiheit entlassen. Bevor die Schüler den Nachhauseweg
antreten, bekommen sie einen „Elternbrief“ überreicht. In diesem werden die Mütter
und Väter über die Arbeit des Landesbundes für Vogelschutz e.V., die Kooperation mit
der Firma Sodenthaler und deren Arbeit im Sinne der Bildung für nachhaltige
Entwicklung informiert. Darüber hinaus erhalten sie einen Gutschein für einen
kostenlosen Kasten Mineralwasser und haben die Möglichkeit, über das Einsenden
eines Coupons eine Kindergeburtstagsfeier in der Umweltstation zu gewinnen.
108
C Abschließende Gedanken
1. Zusammenfassung
Insgesamt bestand das Anliegen der Arbeit unter anderem darin, die Bedeutung von
Primärerfahrungen im Umgang mit unserer Lebenswelt hervorzuheben. Eine große
Chance, solche Begegnungen anzubahnen, liefert meines Erachtens die Bildung für
nachhaltige Entwicklung in Umweltstationen, wie auch die Umweltstation
Naturerlebnisgarten Kleinostheim. Bewusstes Wahrnehmen, sinnliche Erfahrungen
und kritisches Hinterfragen unserer Lebenswelt ist Voraussetzung für das Schätzen
unserer Umwelt und das Erkennen von Umweltproblemen. Um jedoch nachhaltig mit
unseren natürlichen Ressourcen umzugehen und um eine lebenswerte Umwelt auch
für zukünftige Generationen zu sichern, reicht das Erkennen von Problemen alleine
nicht aus. Stattdessen bedarf es auch Handlungskompetenzen, die im Konzept der
Bildung für nachhaltige Entwicklung als Gestaltungskompetenz angestrebt werden. Die
Umweltbildung in Deutschland wurzelt in der UN-Weltdekade „Bildung für nachhaltige
Entwicklung“, die die vier strategischen Intentionen Weiterentwicklung und Bündelung
der Aktivitäten sowie Transfer guter Praxis in die Breite, Vernetzung der Akteure der
Bildung für nachhaltige Entwicklung, Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung von
Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie Verstärkung internationaler Kooperationen.
Im Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung dominiert der pädagogische
Aspekt des Lernens. Wichtiger als die sekundäre Vermittlung bereits aufbereiteten
Faktenwissens, ist die Orientierung an der sogenannten Output-Strategie, in deren
Rahmen Lernende eigenständig Taktiken zur Problemlösung entwickeln und dadurch
persönliche Kompetenzen aufbauen. Durch diesen handlungs- und erlebnisorientierten
Ansatz erwerben insbesondere junge Menschen die nötige Gestaltungskompetenz, die
eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung, die über den heute vorhandenen
Wissensbestand hinausreicht, zulässt. Eng damit in Verbindung steht auch die
Intention der Vermittlung heuristischen Wissens, das hilft, nicht nur auf vorhandene
Situationen zu reagieren, sondern darüber hinaus die gemeinsame Zukunft eigenaktiv
109
und verantwortungsvoll zu gestalten. Um möglichst viele Kinder und Jugendliche zu
erreichen, sollte man bereits im vorschulischen Bereich damit ansetzen. Dass sich
Bildungspolitiker durchaus der Aufgabe der Schule bewusst sind, zeigt die Präsenz der
Thematik in den Lehrplänen, unter anderem auch in dem in dieser Arbeit genauer
analysierten GSE-Unterricht an der bayerischen Hauptschule. Um wirklich im Sinne der
Bildung für nachhaltige Entwicklung Lernen zu initiieren, indem die Output-Strategie
angewandt und der Aufbau heuristischen Wissens ermöglicht wird, bedarf es einer
Öffnung der Schule nach außen. Dies kann zum Beispiel durch die Kooperation mit
Umweltstationen erfolgen, die traditionelles schulisches Lernen sinnvoll ergänzen
können. Außerschulische Lernorte sind jedoch nicht nur in Zusammenarbeit mit
Schulen für die Bildung für nachhaltige Entwicklung von besonderer Relevanz. Darüber
hinaus sprechen sie auch Zielgruppen wie Familien, Menschen mit Behinderung und
Senioren an. Kinder und Jugendliche profitieren auch außerhalb schulischer Aktivitäten
von diesen Einrichtungen, indem sie dort zum Beispiel Kindergeburtstage feiern
können. Prozessorientiertes, entdeckendes, handlungsorientiertes, partizipatives,
subjektorientiertes und ganzheitliches Lernen mit allen Sinnen spricht Kopf, Hand und
Herz an, dient dem Aufbau lebenswichtiger Kompetenzen und bleibt unvergessen im
Gedächtnis verankert. Durch die Verbindung von konkretem mit abstraktem Wissen
und den Vergleich unterschiedlicher Wissensformen werden Lernende zu eigenaktiv
handelnden Individuen. Auch Schlüsselkompetenzen, wie soziales Verhalten,
entwickeln Besucher durch projektorientierte Aktionen. Insgesamt bilden die eingangs
geforderten Primärerfahrungen in unmittelbaren Naturbegegnungen die Grundlage
eines jeden Lernprozesses im Sinne des Schutzes und Erhalts unserer wertvollen
Lebenswelt auch für zukünftige Generationen.
110
2. Ausblick
Überspitzt geht die immense Bedeutung der pädagogischen Arbeit im Rahmen der UN-
Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ aus eben genanntem Zitat hervor.
Alarmierend ist die Behauptung, dass dem Menschen sogar die Natur fremd sei.
Obwohl dieser Teil der natürlichen Lebenswelt ist, entfremdet er sich zunehmend von
ihr und damit von sich selbst. Vom Standpunkt der Natur aus betrachtet, schließt sie
den Menschen ein, den sie als Bestandteil ihrer akzeptiert, denn „der Natur ist nichts
fremd“. Für den Menschen bildet die Natur die Lebensgrundlage, ohne die er nicht
leben könnte. Erst, wenn er sich selbst als Wesen der Natur wahrnimmt, diese zu
schätzen lernt und seine Verantwortung erkennt, wird er sich auch intensiv für den
Erhalt unserer Lebenswelt einsetzen wollen und können. Meines Erachtens ist ein
gesellschaftliches Umdenken nötig, um die Zukunft der Welt zu sichern. Dazu sollten
Menschen wieder mehr an die Natur herangeführt werden, um diese neu kennen und
schätzen zu lernen.
Im Entstehungsprozess dieser Arbeit durfte ich das vielfältige Programm, welches die
Umweltstation Kleinostheim anbietet, ausführlich kennenlernen und deren wichtige
Aufgabe erfahren. Besonders von Schulen aus der Umgebung werden die Chancen
einer nachhaltigen Bildung direkt vor Ort erkannt und die Angebote gut angenommen.
Idealerweise findet ein Schneeballeffekt statt, indem Besucher erworbenes Wissen an
andere weitergeben, Fertigkeiten vermitteln und neugierig machen, um so möglichst
viele Menschen zu erreichen. Auf diese Weise finden weitere Gäste den Weg in die
Umweltstation. Wünschenswert wäre auch die Errichtung weiterer Umweltstationen,
die sich in Zukunft immer mehr flächendeckend miteinander vernetzen.
„Der Natur ist nichts fremd – dem Menschen sogar die Natur.“
(Klaus Ender)
111
D Verzeichnisse
1. Literaturverzeichnis
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Abbildung 2 Themenbereiche der Umweltbildung
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Abbildung 3 Ablauf einer Exkursion
Aus: Peterßen, Wilhelm: Kleines – Methodenlexikon. 3. A.
München: Oldenbourg Schulbuchverlag 2009, S. 80.
Abbildung 4 Logo des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern e.V.
Aus: http://www.lbv-wue.de/lbv_logo.gif (24.07.09)
Abbildung 5 Übersichtskarte der LBV-Umweltstationen
Aus: http://www.lbv.de/lbv-regional/umweltstationen.html
(24.07.09)
Abbildung 6 Naturerlebnishaus der Umweltstation Kleinostheim
Fotografie: Thomas Staab (Leiter der Umweltstation)
Abbildung 7 Steinkauz Fabian
Aus: http://unterfranken.lbv.de (24.07.09)
116
Abbildung 8 Übersichtsplan des Naturerlebnisgartens
Aus: http://unterfranken.lbv.de (24.07.09)
Abbildung 9-13 Impressionen Umweltstation Naturerlebnisgarten Kleinostheim
Fotografien: Thomas Staab
Abbildung 14 Karten der Region Bayerischer Untermain
Aus: http://www.bayerischer-
untermain.de/uebersichtskarte_3.html (29.07.09)
Abbildung 15-18 Impressionen Umweltstation Naturerlebnisgarten Kleinostheim
Fotografien: Thomas Staab
Abbildung 19 „Doppelter Dreischritt“
Aus: Bögeholz, Susanne: Qualitäten primärer Naturerfahrung und
ihr Zusammenhang mit Umweltwissen und Umwelthandeln. 1. A.
Opladen: Leske + Budrich 1999 (= Schriftenreihe „Ökologie und
Erziehungswissenschaft“ der Arbeitsgruppe „Umweltbildung“ der
Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft Bd. 5), S. 16.
Abbildung 20-27 Impressionen Umweltstation Naturerlebnisgarten Kleinostheim
Fotografien: Thomas Staab und Verfasser
119
F Erklärung
Ich versichere hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst, ganz oder
in Teilen noch nicht als Prüfungsleistung vorgelegt und keine anderen als die
angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Sämtliche Stellen der Arbeit, die benutzten
Werken im Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, habe ich durch
Quellenangaben kenntlich gemacht. Dies gilt auch für Zeichnungen, Skizzen, bildliche
Darstellungen und dergleichen sowie für Quellen aus dem Internet.
Augsburg, den ...................... .............................................