1. Ringvorlesung der University of Cologne 8. Januar 2014 Rechts(un)sicherheit in der EU-Türkei...

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Ringvorlesung der University of Cologne8. Januar 2014

Rechts(un)sicherheit in der EU-Türkei Beziehung- Das Spannungsverhältnis zwischen Ausgrenzung und Mitgliedschaft -

Prof. Dr. Harun Gümrükçüharung@akdeniz.edu.tr

Akdeniz Universität Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften, Antalya/TÜRKEI

1 GRUNDTHESEN

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GRUNDTHESE

Grundsätzliche Fragen zur Gründung der E(W)G/EU und ihren Merkmalen

Supranationalität Unmittelbare Geltung des Europarechts Vorrang des Europarechts Verdrängung des Nationalrechts durch

Europarecht Kann die EU-Mitgliedschaft der Türkei

verweigert werden?

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1.1 Die Grundlagen des E(W)G/EU Türkei-Assoziationsrechts und seine Zielvorgaben

Rechtliche Grundlagen Die Beitrittsassoziierung von 12.09.1963/Ankaraer Abkommen Das Zusatzprotokoll von 1. Januar 1973 Mehr als 50 E(W)G/ EU Türkei Assoziationsratsbeschlüsse

Zielvorgaben Partnerschaft unter gleichwertigen Bedingungen Vorgesehene Vollmitgliedschaft als Endziel Keine Bilateralität Supranationalität und Auslegung durch den EuGH Provisorium

1.2 Die Beitrittsassoziierung als eine vereinfachte Form des EWG-Vertrages

Die Assoziierung der Türkei mit der E(W)G/EU als eine beitrittsvorbereitende Assoziierung

Von ihrer Struktur her als eine vereinfachte Form des EWG-Vertrages von 1958

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1.3 Die Assoziierung als ein Mittel zur Durchsetzung der partnerschaftlichen Interessen

Die Beitrittsassoziierung als ein vielfältig einsetzbares Mittel zur Koordinierung der Interessen der beteiligten Staaten auch ohne Mitgliedschaft

Ihr Ziel: Förderung des Wohlstandes der beteiligten Staaten und damit Leistung eines Beitrages zum weltweiten Frieden

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1.4 Ziel der Beitrittsassoziierung: Eine ausgewogene Partnerschaft

Ihr Ziel war/ist es: Ausgewogene Partnerschaft unter den Vertragsparteien Förderung des Wohlstandes unter den Partnern und

Sicherung des Friedens Ausrichtung auf Partnerschaft und friedenssichernde

Strategien Unterlassung derjenigen Strategien zum Ausbau der

eigenen Machtposition und zur Durchsetzung eigener Interessen 

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1.5 Die Assoziierung als ein neues Rechtsinstitut des Völkerrechts

Eine dynamische Assoziierung hin zur Mitgliedschaft

Keine „unabhängige Existenz“ einer beitrittsvorbereitenden Assoziierung

Die Beitrittsassoziierung „ein neues Rechtsinstitut des Völkerrechts“ und Kennzeichnung der Gemeinschaft durch ein akzessorisches Verhältnis

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1.6 Die Beitrittsassoziierung als Bestandteil der Gemeinschafts-rechtsordnung

Supranationaler Charakter des E(W)G/EU-Türkei-

Assoziationsrechts und damit die Negation jeglicher Vorstellung von Bilateralität

Das E(W)G/EU-Türkei-Assoziationsrecht als der integrierende Bestandteil der Gemeinschaftsrechts-ordnung

Entfaltung unmittelbarer Wirkung und Vorrangigkeit gegenüber dem nationalen Recht

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1.7 Charakteristika des Assoziationsrechts

Supranationale Verträge zeichnen sich ausdurch

Vorrangigkeit Wirksamkeit Unmittelbare Wirkung

Aufsicht durch die Europäische Kommission

Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften/Union (EuGH)

2 GEGENTHESEN

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2.1 Umdeutung des E(W)G/ EU Türkei-Assoziationsrechts durch

Mitgliedsstaaten Keine Partnerschaft unter gleichwertigen

Bedingungen, interessenorientierte Partnerschaft

Keine Vollmitgliedschaft, sondern ein offener Prozess und Privilegierte Partnerschaft

Kein supranationaler Charakter, keine Auslegung durch den EuGH

Kein Bestandteil des Europarechts

2.2 Die Grundlage der Rechtsunsicherheit:Ersatz der Außen- durch die

Innenpolitik

Ersatz der Außen- durch die Innenpolitik Innenpolitische Vorgaben bei der Umsetzung des E(W)G/EU-

Türkei-Assoziationsrechts Auslegung des supranationalen Rechts durch die nationalen

Gerichte unter Zugrundelegung nationaler Kriterien Verfolgung der Strategie der Klaglosstellung

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2.3 Privilegierte Partnerschaft als Mittel einer kapital- und warenmäßigen Globalisierungsstrategie

Gleichsetzung einer privilegierten Partnerschaft mit einer kapital- und warenmäßigen Globalisierungsstrategie

Die vollendete limitierte Zollunion von 1996 liefert die Grundlagen zur privilegierte Partnerschaft .

Die erste und auch die letzte Praxis

in der E(W)G/EU-Geschichte!

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2.4 Strategien und Sichtweisen der E(W)G/ EU-Mitgliedstaaten

Politisch nationalistisch orientiert Juristisch dualistisch gestellt und damit falsch Ignoranz und/oder fälschliche Darstellung der

EuGH-Urteile Keine Ermöglichung zumindest einer gewissen

Partizipation der Türkei am Gemeinschaftsleben Inkaufnahme der Rechtsunsicherheit in Europa

3 AUSWEG AUS DER SACKGASSE

3.1 Auslegung des Assoziations-rechts durch den EuGH

Auslegung der der Beitrittsassoziierung zugrunde liegenden Verträge und Basisdokumente durch den EuGH

Zurückweisung der dualistischen Position der Regierenden in Europa und mancher Rechtsgelehrten

Ermöglichung zumindest einer gewissen Partizipation am Gemeinschaftsleben für den assoziierten Partner

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3.2 Die Ergebnisse der 62 EuGH- Entscheidungen

Zwischen Januar 1987 und Januar 2014 hat der EuGH 62 Urteile über das Assoziationsrecht gefällt. Als Folge wurde die Sichtweise der EU-Mitgliedsstaaten fortlaufend widerlegt.

Die EuGH-Urteile bestätigen den Inhalt des Assoziationsrechts. Sieben EuGH-Urteile davon beschäftigten sich mit Verschlechterungsverbot und Standstillgebot

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3.3 Aufgrund folgender EuGHE Aufgabe der umgesetzten Verschlechterungen

seit 1980 und Beseitigung aller Verschlechte-rungen für Unternehmer und Selbständige seit Januar 1973 in den Mitgliedstaaten. Dafür sprechen u.a die folgenden EuGH-Urteile:

Costa/Enel – 1964 Peskeloglou – 1983 Demirel -1987 Savaş – 11. Mai 2000 Abatay/Şahin – 2003 Tüm/Darı – 2007 Soysal/Savatli - 19. Februar 2009

4 VERWEIGERUNGS-STRATEGIE

UND DIE RECHTSKRISEIN EUROPA

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4.1 Bewusste Ignoranz der Europäischen Kommission in der Verschlechterungfrage und der Standstillklausel

Die Rechtsverweigerung durch Europäische

Kommission Unterlassung der Kontrollfunktion Keine Anpassungen im Europarecht hinsichtlich

der Verschlechterungsfrage und der Standstillklausel

Nicht-Preisgabe ihrer falschen Rechtsposition

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4.2 Die getürkte Vorstellung der Europäischen Kommission und

des Parlamentes

Ignoranz der EuGHE in seinen Türkeiberichten Keine Erklärung hinsichtlich der unmittelbaren

Anwendbarkeit des Assoziationsrechts Keine Berichterstattung hinsichtlich der

Umsetzung des Assoziationsrechts Verfolgung interessenorientierter Türkeipolitik und

damit Verschwiegenheit über die bestehenden Verpflichtungen, die sich aus den E(W)G/EU-Türkei-Verträgen ableiten lassen

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4.3 Was macht Großbritannien?

Keine Analyse der Tüm- und Dari-Entscheidung des EuGH von 2007 und die erforderlichen Schlussfolgerungen

Keine Anwendung der EuGHE Schaffung einer rechtsunsicheren Zone

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4.4 Die Bedeutung der Kleinen Anfrage im deutschen Parlament durch die FDP

Die Bundesregierung erwidert die kleine Anfrage in Bezug auf die Änderungen im Bereich der Visumpflicht wie folgt:

“Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Europäische Kommission im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Frage der Notwendigkeit von Anpassungen des Schengener Besitzstandes prüft und gegebenenfalls mit den Mitgliedstaaten in den einschlägigen Gremien abstimmt.“

Im Licht diese Antwort bleibt zu fragen: „Warum wird die seit 30 Jahren angewandte Visapflicht nicht abgeschafft und das Standstillgebot seit 1973 nicht befolgt?“

Kommt die Europäische Kommission ihren rechtmäßigen Pflichten nach?

5 DIE HALTUNG DER TÜRKEI:

NICHT-VERSTEHENNICHT-SAGENSICH ABWIMMELN LASSEN

6 ZWISCHENBILANZ

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6.1 Sind die Vorgehensweise des Außenministeriums und die Positionen der EU Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission richtig? NEIN

Grundthese: die bestehenden Rechte dürfen nicht verschlechtert werden (Standstill clause/ Standstillklausel)

Diesbezügliches EuGH-Urteil Costa-Enel von 1964

Ohne diesen Grundsatz keine Bedeutung des Europarechts.

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6.2 Die EuGHE hinsichtlich der des Standstillgebots

Vier EuGHE im Bezug auf Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit seit Mai 2000

Bestätigung der Stillhalteklausel Welche Konsequenzen wurden hieraus

gezogen?

Keine. Warum?

7 BILANZ

EUGH-ENTSCHEIDUNGEN:Sind diese Bananen?WAS TUN?IGNORANZ oder die UMSETZUNG!

Die Supranationalität zeichnet sichdurch Vorrangigkeit und unmittelbare Wirksamkeit aus

Trotz dieses dem Vertrag zugrunde liegenden Imperativs wurde im Falle der E(W)G/EU-Türkei-Assoziierung die Umsetzung der vertraglichen Vereinbarungen von den sich ändernden politischen Gegebenheiten abhängig gemacht.

Dies macht deutlich, dass internationale Beziehungen, zumal es sich um asymmetrische Assoziierungsbe-ziehungen handelt, in erster Linie von Machterwerb und Verfolgung eigener Interessen geprägt sind.

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